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Zwei Wochen später rief ein Mann namens Wendell Klerk bei Carver an und bestellte ihn zu einem Treffen in ein Hotel am Nordufer des Genfer Sees. Klerk sagte nicht, worüber er sprechen wollte. Das war nicht nötig. Er befahl nur barsch: »Seien Sie in dreißig Minuten dort«, und legte, ohne auf Antwort zu warten, auf.

Carvers Neugier war geweckt. Klerk war nicht nur im Wirtschaftsteil der Presse, sondern auch in den Klatschspalten eine bekannte Größe, da er immer unausweichlich mit der neusten blonden Schönheitskönigin liiert war. Er war in eine weiße Arbeiterfamilie hineingeboren worden, eines von zwei Kindern eines Eisenbahnarbeiters und einer sozial ambitionierten Lehrerin. Im Bürgerkrieg hatte Klerk auf der Verliererseite gekämpft und das Land verlassen, nachdem das britische Mashonaland als Malemba wiedergeboren worden war. Er war nach Johannesburg gezogen, wo er eine internationale Firma gründete und zu einem Wirtschaftsimperium ausbaute, zu dessen Geschäftsbereichen Kasinos, Hotels, Baufirmen und Minen gehörten – »vom Kasino bis zum Kohlenbergwerk«, wie ein Journalist es ausdrückte. Klerk war bekannt als taffer Unternehmer. Im Laufe der Jahre hatten Journalisten und feindselige Politiker ihn der Korruption bezichtigt und ihm sogar Verbindungen zum organisierten Verbrechen nachgesagt. Aber keine Anklage erwies sich als haltbar. Wenn, dann sorgten sie nur für Sympathie in der Bevölkerung, die Klerk als harten, aber bewundernswerten Sturkopf betrachtete.

In den vergangenen Wochen war Klerk aber in einem anderen Zusammenhang in den Nachrichten gewesen. Carver vermutete darin den Grund für den Anruf. Er war zumindest neugierig geworden und wollte sich anhören, was Klerk im Sinn hatte.

Siebenundzwanzig Minuten später betrat er die Rezeption eines modernen, niedrigen Klinkerbaus mit Zierelementen, die mehr nach Marokko als nach Schweiz aussahen. Von einem Angestellten wurde er durch die Eingangshalle nach draußen geführt, an einem Swimmingpool mit Liegen vorbei und durch eine Unterführung der Küstenstraße. Dahinter erstreckte sich ein Anleger weit hinaus aufs Wasser, und am Ende lag ein langes, schlankes Motorboot, das einem venezianischen Wassertaxi ähnelte.

Es gehörte zu dem Hotel, der Wimpel am Heck trug dessen Initialen. Der Mann, der am Steuerrad vor der Passagierkabine stand, war keiner der weiß befrackten Bootsführer des Hotels. Er trug die globale Uniform der exklusiven Schläger: schwarzer Anzug, Schlips, weißes Oberhemd, Sonnenbrille und Ohrhörer, eine unsichtbare, aber fraglos vorhandene Pistole.

Carver wurde abgetastet, dann in die Kabine gewinkt, wo Wendell Klerk wartete. Klerks gedrungener, kraftvoller Körper mit dem stupsnasigen Bauerngesicht und dem kurzen, schwarzen Kraushaar wirkte auf den eleganten Polstersitzen so unpassend wie eine Kanonenkugel. Die beiden Männer gaben sich die Hand, dann setzten sie sich und schwiegen, während das Boot ablegte und auf den See hinausfuhr.

Klerk schaute durch ein Bullauge. Offenbar zufrieden, weil sie endlich außer Reichweite landgestützter Abhörgeräte waren, richtete er seine schwarzbraunen Augen auf Carver und fragte: »Sie wissen, wer ich bin, ja?«

»Natürlich.«

»Dann kennen Sie sicher auch mein Interesse an dem Entführungsfall.«

»Sicher, ich verfolge die Nachrichten. Sie sind der Onkel der Stratten-Tochter – der Bruder ihrer Mutter.«

»Folglich können Sie sich denken, warum ich Sie hergebeten habe.« Klerk sprach mit tiefer Brummstimme.

Carver nickte. »Ihre Schwester wurde ermordet und Ihre Nichte entführt. Da auch der Vater und der Bruder tot sind, bleiben nur Sie, um das Mädchen zu befreien. Ich nehme an, Sie haben eine der Topsecurityfirmen angeheuert, damit sie die Verhandlung führt. Offensichtlich hatte sie keinen Erfolg, und nun denken Sie, es ist Zeit für Plan B. Geld ist für Sie kein Problem, und Sie haben sicherlich einige sehr mächtige Freunde mit guten Beziehungen. Mancher von denen könnte zu der Organisation gehören, für die ich mal gearbeitet habe. Vielleicht gehörten Sie sogar selbst dazu. Jedenfalls ist mein Name gefallen, richtig?«

Klerk nickte. »So ungefähr. Ich werde Ihnen die Situation darlegen, wenn Sie erlauben. Die Entführer ziehen alle paar Tage woandershin, aber meine Leute sind ihnen zu jedem Versteck gefolgt. Das war nicht weiter schwer. In Afrika bleibt nichts lange geheim, nicht wenn man bereit ist zu zahlen. Ich habe die Behörden nicht eingeschaltet, weil ich denen weder Geheimhaltung noch angemessenes Handeln zutraue. Stattdessen möchte ich, dass Sie meine Nichte Zalika Stratten befreien. Sie muss unverletzt zurückgeholt werden. Ihre Sicherheit ist der einzige Grund, weshalb ich meine Leute nicht längst hingeschickt habe. Sie sind gut, aber – wie soll ich sagen? – es mangelt ihnen an Raffinesse. Darum bin ich auf Sie gekommen.«

»Mag sein, dass ich raffinierter bin«, sagte Carver. »Aber die Kerle, die Ihre Nichte haben, werden sie kaum kampflos aufgeben. Selbst wenn Ihre Nichte unverletzt bleibt, die Entführer bleiben es keinesfalls. Und ich will nicht in einem afrikanischen Gefängnis verfaulen.«

»Das verstehe ich. Aber seien Sie unbesorgt: Weder mich noch die Polizei wird es kümmern, falls von den Entführern einige für ihre Tat bezahlen müssen. Das werde ich regeln.«

Klerk rieb Daumen und Zeigefinger aneinander, um anzudeuten, dass die Zahlbereitschaft auch hier der Schlüssel zum Erfolg war. Dann blickte er Carver abwägend an.

»Wie groß sind Sie?«, fragte er.

»Eins achtzig.«

»Gewicht?«

»Knapp achtzig Kilo.«

»Halbschwergewicht«, stellte Klerk fest. »Das wird gehen. Sie halten sich in Form?«

Carver dankte dem Himmel für die hundertfünfzig Kilometer Geländelauf, die er in den vergangenen vierzehn Tagen geleistet hatte. »Ja.«

»Komplett genesen?«

Klerk wusste also von der Folter, die Carver in dem Chalet bei Gstaad erlitten hatte, und welches Chaos sie in seiner Psyche angerichtet hatte.

»Ja, ich bin kampffähig.«

Klerk musterte ihn, wie ein Juwelier einen Stein unter der Lupe nach verborgenen Fehlern absucht. »Ja, das glaube ich auch«, bemerkte er schließlich. »Gut, ich bin sicher, wir können uns finanziell einigen, Sie und ich. Meine Leute versorgen Sie mit allen Details, die wir über den derzeitigen Aufenthaltsort der Entführer haben. Darüber hinaus müssen Sie noch zwei Dinge wissen. Erstens ist Zalika alles, was ich noch an Familie habe. Ich habe keine Kinder, Mr. Carver. Habe immer gehofft, es werde einmal jemanden geben, der meine Arbeit weiterführt, wenn ich nicht mehr bin, der mein Geschäft am Leben erhält. Zalika ist meine einzige Hoffnung, und ich werde vor nichts Halt machen, vor absolut gar nichts, wenn ich sie dadurch befreien kann. Was immer Sie brauchen, Sie werden es bekommen. Klar?«

»Vollkommen. Was ist das Zweite?«

»Unsere Geschäftsgrundlage«, antwortete Klerk. »Ich bin ein harter, rücksichtsloser Drecksack, Mr. Carver. In meiner Familie hat meine Schwester das gute Aussehen und die gesellschaftlichen Umgangsformen abbekommen, ich keins von beidem, dafür aber den Willen zu siegen. Und ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht. Handeln Sie in meinen Augen richtig, und Sie haben nichts zu befürchten. Wenn Sie dagegen je versuchen, mich zu hintergehen, werde ich das nicht vergessen, sondern mit Ihnen abrechnen, egal wie lange es dauert. Nachdem Sie nun wissen, mit was für einem Mann Sie sich einlassen, sind Sie noch interessiert?«

»Ja.«

»Gut. Wann können Sie aufbrechen?«

»Wann geht der nächste Flug?«

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