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»Und? Wie fühlt es sich an?«, fragt der Mann.
Er sieht zu mir herüber. »Verehrtes Fräulein, bin ich Ihrer Meinung nach zu nah an Ihnen dran?«
»Gerade richtig«, sage ich aus Verlegenheit. Ich verfüge über keinerlei nennenswerte Doppelbett-Erfahrung.
Der Mann sprach mich in der Bettenabteilung an und bat mich, für einen Moment seine Frau zu vertreten und mich in gebotener Distanz zu ihm ins Doppelbett »Halma« zu legen. Auf der rechten Seite wohlgemerkt, denn er sei »ein Linkslieger«, sagte er. Immer links, andernfalls könne er nicht schlafen. Ich bräuchte nichts Besonderes tun, »einfach nur daliegen«.
Ich streckte mich auf meiner rechten »Halma«-Seite aus und begann sofort zu träumen. Wenn wir in eine größere Wohnung zögen mit einem separaten Schlafzimmer, könnten wir dieses Bett in die Mitte des Raums stellen und rundherum mit Farn dekorieren, eine Traumfabrik inmitten des Dschungels.
»Nehmen wir mal an, Sie wollten ein wenig – nun: kuscheln«, tönt es von meiner linken Seite. »Wie machen Sie das üblicherweise? Greifen Sie einfach hinüber? Oder gehört das verehrte Fräulein zu den Anschleicherinnen, die warten, bis der Partner ihnen den Rücken zudreht, um sich wie ein Rucksack an ihn dranzuhängen?«
»Das ist mir jetzt zu nah«, sage ich.
»Also doch«, seufzt der Mann und richtet seinen Blick an die Decke. »Herta will getrennte Betten, Twin-Betten wie in amerikanischen Hotelzimmern, hat sie gesagt, doch getrennte Betten sind für mich der Anfang der Ehezerrüttung. Zunächst getrennte Betten, dann essen wir an unterschiedlichen Tischen, zuletzt lässt sie ein zweites Bad einbauen. Mir kann es nicht nah genug sein. Was halten Sie davon, Fräulein?«
»Ich war noch nie in Amerika«, sage ich.
»Twin-Betten«, sagt er, »sind der Anfang vom Ende. Ein harmloses Wort für eine Erfindung des Teufels. Zuerst driften die Gedanken auseinander, dann die Körper. Ich suche das ideale Doppelbett, Fräulein, ein Bett, in dem man auch zu zweit alleine ist. Wenn meine Frau das wünscht, soll es so sein.«
Durch die Bewegung auf der Matratze ist das Hemd des Mannes hinaufgerutscht, ich kann seinen behaarten Bauch sehen.
»Schön, dass Sie mir helfen«, sagt er. »Eine bessere Wahl hätte ich nicht treffen können.« Er stützt sich auf seinen Unterarm auf. »Bevorzugen Sie eine feste Matratze oder mögen Sie es, so richtig einzusinken?«
»Ich mag es lieber härter«, sage ich.
»Ach«, sagt der Mann. »Ich verstehe. Wenn Sie so freundlich wären: Darf ich Sie noch für ein letztes Experiment missbrauchen?«
Er zieht ein Tuch aus seiner Hosentasche und schwenkt es vor meinem Gesicht, als wolle er mich auf einen Zaubertrick vorbereiten.
»Wenn es schnell geht«, sage ich. »Ich bin verabredet.«
»Ganz schnell«, sagt er. »Bitte reichen Sie mir Ihre Hand. Ganz entspannt daliegen. Und nicht erschrecken.«
Er schlingt das Tuch zunächst um mein Handgelenk, dann um eine Sprosse des Betthauptes und knotet es fest.
»Und jetzt rufen Sie bitte: ›Nein, Gerhard, aufhören.‹ Ich heiße nämlich Gerhard.«
»Nein, Gerhard, aufhören«, sage ich.
»Lauter«, sagt er. »Meine Frau ist lauter. Deutlich lauter.«
»Ich muss jetzt wirklich weiter«, sage ich.
»Nur einmal noch«, fleht er. »Bitte.«
»Binden Sie mich los, Gerhard«, sage ich mit Nachdruck. »Jetzt sofort!«
»Das war schon ganz gut«, sagt der Mann.
Ein Gesicht beugt sich über mich. »Ruth? Was ist los!«
Es ist Maja. Schick sieht sie aus mit ihrer Brille.
»Was machen Sie mit meiner Freundin?« Sie wendet sich an Gerhard mit ihrer strengsten Stimme. Das meine Freundin fühlt sich warm und gut an, und ich bin schon wieder bereit, ihr alles zu verzeihen, wenn sie nur öfter sagte: Was machen Sie mit meiner Freundin.
Wir kichern noch, als wir die Küchenabteilung durchqueren und durch eine schmale Tür in die Schreibtischabteilung schlüpfen. Wir kennen alle Abkürzungen. Noch zweimal abbiegen, dann sind wir in unserer Musterwohnung angelangt: 47 Quadratmeter, Hochbett mit integriertem Schreibplatz, Eckcouch, Bad, Mini-Küche, Teppiche mit psychedelischem Muster.
Die Sache mit dem Möbelhaus war meine Idee. Täglich ins Café, das kann ich mir nicht leisten. Maja war sofort Feuer und Flamme. »Wie wunderbar schräg!«, rief sie aus. »Du bist meine Sparmeisterin, meine Geiz-Prinzessin!«
Üblicherweise bringen wir Thermoskannen mit Kaffee und Tee mit, im Sommer kalte Getränke. Ein einziges Mal hatten wir ein Picknick veranstaltet, mit Sandwiches und Kuchen. Die Möbelhaus-Kunden glaubten an ein Happening, die Möbelhaus-Mitarbeiter nicht, und sie komplimentierten uns hinaus. Seither halten wir es wie eine Untergrundorganisation und wechseln regelmäßig unseren Aufenthaltsort.
»Deine Zahlen bitte«, sagt Maja, nachdem wir es uns bequem gemacht haben.
»Welche Zahlen?«
»Der Businessplan.«
»Businessplan?« Ich sehe in meine leeren Hände.
Sie rückt ihre Brille zurecht. »Einverstanden, fangen wir anders an. Erzähl mir von deiner Geschäftsidee. Was. Hast. Du. Vor?« Sie redet mit mir wie mit einer Begriffsstutzigen.
Ich gehe gedanklich die Geschäfte in der Przewalskistraße durch.
»Ich dachte an Schmuckimport aus einem Schwellenland«, sage ich. »Afrikanische Ketten, asiatische Zehenringe, so was in der Art.«
»Hmhm«, sagt Maja. »Sehr ausgereift scheint die Idee nicht zu sein.«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich dachte, ich fange erst einmal an. Dann sehe ich ohnehin, ob es einschlägt.«
»So geht das aber nicht«, sagt Maja streng und droht mit dem Zeigefinger. »Selbständigkeit ist kein Ponyhof, da will alles gut überlegt sein. Im Prinzip musst du heute schon wissen, was du in drei Jahren verdienen wirst.«
Ein abstruser Gedanke. »Ich weiß nicht, was ich in drei Stunden essen werde – wie soll ich da wissen, was ich in drei Jahren verdiene?«
»Siehst du, das ist der Unterschied zwischen dir und mir«, sagt sie und schüttelt ihren Bob. »Ich weiß sehr wohl, was ich in drei Stunden essen werde.«
Ich taste nach dem Päckchen, das ich im Seitenfach meines Beutels verstaut habe. Die Kontaktlinse, gut verwahrt in einigen Schichten Papiertaschentuch. Ob ich Maja die Linse aushändige, mache ich vom Ergebnis des Gesprächs abhängig.
»Wie läuft es eigentlich mit Raouls Projekt?«, frage ich. »Wie oft trefft ihr euch? Und wieso rätst du ihm, Bekannte meiner Eltern anzupumpen?«
»Im Prinzip sind das viele Fragen auf einmal«, sagt Maja. »Lass uns doch über dich reden. Es geht um dein Projekt. Deine Zukunft. Was du brauchst, ist eine Portion gesunden Egoismus. Wo möchtest du in fünf Jahren stehen?«
Darüber habe ich mir noch nicht den Kopf zerbrochen. Von mir aus kann es immer und immer so weiter gehen, je weniger Überraschungen mein Alltag bereithält, umso besser.
»Raoul«, sagt Maja, »möchte in fünf Jahren drei Angestellte haben. Was möchtest du?«
Ich sehe vier Männer vor ihren Bildschirmen in unserem Wohnzimmer herumlungern und sage: »Ich möchte das nicht.«
»Du möchtest also keine Angestellten«, sagt Maja.
»Ich möchte nicht, dass Raoul Angestellte hat«, sage ich. »Wo sollen wir die alle unterbringen?«
Das Existenzgründergespräch deprimiert mich jetzt schon. Vielleicht sollte ich auf meine Berufserfahrung zurückgreifen und meine Dienste als selbständige Todesanzeigen-Poetin anbieten. Individuelle Traueranzeigen-Lyrik jenseits der Zeitungsfloskeln. Krisenfest und Small-Talk-frei.
Maja zeigt auf ein Bücherbord in Birkennachbildung. »Passt perfekt in eure Wohnung. Da kannst du deine Buchhaltung unterbringen und Raoul die seine. Und bald steht da auch dein Businessplan, wetten?« Siegessicheres Lächeln.
Eine Jungfamilie mit Kleinkind betritt die Musterwohnung. Der Mann rüttelt am Hochbett, das sofort gefährlich zu wanken beginnt. Immer wieder äugt er zu uns herüber.
»Kümmern Sie sich nicht um uns«, sagt Maja. »Wir gehören quasi zur Einrichtung.«
Der Jungfamilienpapa sieht verstört zu Boden, seine Begleiterin starrt Maja offen an. Ich versuche es mit einem Ablenkungsmanöver.
»Das Bett ist sicher in Ordnung«, sage ich. »Sie dürfen nicht erwarten, dass hier alles stabil montiert ist.«
Maja prustet heraus. »Lässt sich hier überhaupt irgendetwas stabil montieren?« Maja steht auf abgefahrenes dänisches Design, auf großgemusterte finnische Stoffe und Kommoden aus Zebrano-Holz. In ihrer Villa im Speckgürtel der Stadt wurde rein gar nichts mit einem Inbusschlüssel zusammengeschraubt. Wenn Maja ihre ökonomische Überlegenheit hervorkehrt, macht sie es schwer für mich, sie zu mögen. Bevor sie Georg heiratete, war sie doch auch nichts und hatte nichts. Wir teilten ein gemeinsames Schicksal, die Nicht-Aufnahme in die Selma-Bande, und manchmal unser Pausenbrot.
Der Jungfamilienpapa hat sich daran gemacht, die Ausmaße von Wohnwand und Hochbett mit einem Metermaß aus Papier auszumessen. Er ruft seiner Frau die Zahlen zu. Sie notiert sie mit einem Bonsai-Bleistift auf einem der Notizblätter, die das Möbelhaus ausgibt. Das Kind wälzt sich währenddessen auf einem grünen Langflorteppich, der so aussieht, als könnte er kleinen Tieren dauerhaft Unterschlupf bieten. Das Kind trägt eine Brille, eine Seite ist abgeklebt: Miniaturpirat. Das Kind reißt dem Teppich einige Haare aus und steckt sie in den Mund.
»Könnte passen«, sagt der Jungvater, zufrieden mit dem Ergebnis seiner Messungen. Er trägt ein Holzfällerhemd und schwitzt stark.
Maja klopft auf ein Kissen. »Möchten Sie auch das Sofa testen? Wir stehen gerne für Sie auf.«
Der Mann lächelt das erste Mal. »Wenn Sie drauf sitzenbleiben, nehme ich es.« Bestimmt der frechste Flirtversuch, den er jemals gewagt hat. Auf jeden Fall der frechste in Gegenwart seiner Frau. Als er das selbst registriert, errötet er bis über beide Ohren. Seine Frau reißt ihm das Metermaß aus der Hand.
»Hast du es nicht gesehen? Pauli isst den Teppich auf! Und wer kann wieder mit ihm in die Notaufnahme fahren? Wer?« Die Frau zieht das Kind hoch und schleift es aus der Musterwohnung. Der Mann folgt den beiden mit einigem Sicherheitsabstand. Als er Maja einen Abschiedsblick zuwirft, hebt sie nur bedauernd die Schulter, Marke Jeder ist für sein Unglück selbst verantwortlich.
»Ich rate dir dazu, einen kleinen Schreibtisch zu besorgen«, sagt Maja. »Der Schreibtisch ist dein Büro, dort verstaust du deine Unterlagen. Du solltest einen Ort haben nur für dich und deine Arbeit.«
Der einzige Schreibtisch, der mir je exklusiv zur Verfügung stand, war jener in der Todesanzeigenredaktion. Er stand in einer dunklen Kammer, das einzige Fenster ging in einen schmutzigen Innenhof. Die Herausgeber der Zeitung dachten wohl, Todesanzeigen benötigten keinen Glamour, und eine freundliche Umgebung könne sich kontraproduktiv auf das Gemüt der Hinterbliebenen auswirken. Wann immer ein Angehöriger an die Tür der Kammer klopfte, kauerte ich mich innerlich zusammen und schämte mich im Voraus für die schäbige Umgebung. Dabei achteten sie meistens gar nicht darauf. Sie diktierten mir mit zittriger Stimme die Koordinaten der Verstorbenen, viele nahmen nicht einmal auf dem dafür vorgesehenen Stuhl Platz, sondern blieben auf der Schwelle stehen, wohl aus Angst, dass die Trauer sie bei Nachlassen der Körperspannung überwältigen könnte.
Nach der Arbeit ging ich oft ins Möbelhaus und setzte mich an einen der jungfräulichen Schreibtische in der Büromöbelabteilung, um ein bewusstes Gegengewicht zu schaffen zum tristen Interieur, das ich gerade verlassen hatte. Möbel ohne Geschichte, danach sehnte ich mich.
»Wenn’s sein muss«, sagt Maja, »kann ich dir das Geld borgen. Für den Schreibtisch.«
»Niemals«, sage ich. Soweit kommt’s noch.
Maja überreicht mir einen Zettel, darauf steht:
Geschäftsidee
Abgrenzung zum Mitbewerb
Alleinstellungsmerkmal
Positionierung
Zielgruppe
Marketingmaßnahmen
»Das füllst du aus bis zum nächsten Mal«, sagt sie. »Deine Hausaufgabe. Im Prinzip muss ich gleich zum nächsten Termin.«
Ich sehe auf das Blatt und sage die magischen Worte leise vor mich hin, ich sage Marketing und Geschäftsidee und Positionierung, und erst als Maja schon im Labyrinth der Gänge verschwunden ist, fällt mir ein, dass ich vergessen habe, ihr die Linse zurückzugeben.