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Das Bad ist die Königsdisziplin jeder Putzamateurin. Die stumpfen Armaturen werden mit Gallseife eingeschäumt, die Fliesenfugen leuchten nach einer Bimssteinbehandlung wieder wie neu. Um verkalkte Badfliesen sauber zu bekommen, mische man Buttermilch mit Essig und Salz. Der Brei wird aufgetragen und wirkt ein paar Minuten ein. Die Handtücher lege man sorgfältig zusammen, Kante auf Kante, bis sie aussehen wie Hotelhandtücher. Fehlt nur der Aufkleber, der den Gast daran erinnert, die Handtücher auf den Boden zu werfen, wenn man frische wünscht. Raoul jedenfalls scheint unsere Wohnung mit einem Hotel zu verwechseln. Er wirft die Handtücher grundsätzlich auf den Boden.

Als es klingelt, bin ich gerade dabei, störrische Fliesenfugen mit einer alten Zahnbürste zu bearbeiten. Ich erwarte niemanden. Ich erwarte grundsätzlich nie jemanden, denn ich führe kein offenes Haus. Bei mir ist die Tür immer geschlossen.

Ein zögerliches Klingeln, das passt nicht zu Eberwein. Ich lege das Putztuch ins Waschbecken. Auf eine böse Überraschung habe ich keine Lust, deshalb luge ich durch den Spion. Eine Frau steht vor der Tür, und sie sieht Maja erstaunlich ähnlich. Zerzauster Bob, als sei sie durch den Sturm gelaufen. Jeans, adrettes Jäckchen.

Ich öffne die Tür einen Spalt. Tatsächlich, es ist Maja.

Ich küsse sie auf die Wange und ziehe sie in die Wohnung. Ich benötige einige Augenblicke, um mir ihres Widerstandes bewusst zu werden. Ihre Schultern sind steif, ihr Lächeln wirkt gekünstelt. Sie hat einen dunkelroten Lippenstift aufgelegt, ihr Mund leuchtet wie eine Wunde.

»Ist Raoul nicht da?«, fragt sie.

Aus ihrem Mund klingt der Name fremd und exotisch. Ich kenne keinen Raoul, will ich sagen.

»Wir haben einen Termin«, sagt sie, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, sich mit meinem Freund zu verabreden.

»Davon weiß ich nichts«, sage ich.

»Vierzehn Uhr«, sagt Maja. »Wir hatten den Termin für vierzehn Uhr vereinbart.«

Ich sehe auf meine Armbanduhr. Es ist zwei.

»Tatsächlich?«, sage ich. »Raoul ist aber nicht da.«

»Ah«, sagt Maja.

Ich forsche in ihrem Gesicht nach Anzeichen von Enttäuschung.

»Komm doch herein«, sage ich. »Wir trinken ein Glas, während wir auf ihn warten.«

Maja setzt sich mit steifem Rücken an den Rand des Sofas, die Knie fest aneinandergepresst; wie jemand, der das erste Mal in dieser Wohnung zu Besuch ist.

»Er kommt sicher gleich«, sage ich.

Sie nickt. Alles an ihr wirkt verspannt. Eine Aura der Unnahbarkeit.

»Kaffee?«

»Danke, nein«, sagt sie. »Mein Herz.« Sie greift sich an die Brust.

»Was ist damit?«

»Ich muss aufpassen«, sagt sie. Mädchenhaftes Kichern. »Der Stress, weißt du.«

»Nein«, sage ich. »Weiß ich nicht.«

»Der neue Job, die vielen Termine.« Sie wedelt mit der Hand, als wolle sie ihre Worte verscheuchen. »Ich bin viel unterwegs. Das ist wahnsinnig anstrengend.«

»Ich mach uns einen Aperol«, sage ich.

»Um Himmels willen, keinen Alkohol während der Arbeitszeit!«

»Wasser?«

»Leitungswasser bitte«, sagt sie. »Mineralwasser tut meinem Magen nicht gut.« Sie legt ihre Hand auf den Bauch. Seit sie arbeitet, leidet sie offenbar ohne Unterlass an Unpässlichkeiten.

»Bin gleich wieder da«, sage ich und verschwinde in die Küche, um Raoul anzurufen. Mailbox. Verdammt.

»Möchtest du Saft in dein Wasser?«, rufe ich aus der Küche ins Wohnzimmer. »Wir hätten Ribiselsaft hier. Nur Ribisel, leider.« Ich fühle mich wie eine Kellnerin in einem schlecht sortierten Café.

»Ich brauche nichts«, ruft sie zurück. »Bitte bemüh dich nicht.« Wahrscheinlich hat sie Angst, dass ich ihr noch weitere Getränke anbieten könnte. Als ich ins Wohnzimmer zurückkehre, streicht sie nervös an ihren Haaren herum, doch der Bob bleibt zerzaust. Ich setze mich in Raouls Schreibtischsessel, um nicht mit ihr auf dem Sofa zu hocken, und fühle mich deplatziert in meiner eigenen Wohnung.

»Also läuft das Beratergeschäft gut?«, frage ich.

»Meine Zielgruppe ist potentiell unendlich groß«, sagt sie. »Im Prinzip fällt jeder rein, der sich auf dem freien Markt bewegt.«

»So wie Raoul«, sage ich.

»So wie Raoul«, sagt Maja.

»Ich biete im Grunde ein komplettes Rundumpaket für Jungunternehmer«, sagt Maja. »Inklusive Förderungen, Steuerrecht und Businessplan. Im Prinzip kenne ich mich überall aus.«

Maja spricht mit einer seltsamen, offiziellen Stimme, so habe ich sie noch nie sprechen hören. In jeden zweiten Satz baut sie ein im Prinzip ein. Ich bin so gebannt von ihrem Auftritt, dass ich vergesse, ihr weitere Fragen zu stellen.

Maja malt mit dem Zeigefinger ein Muster auf ihr Knie. Dann sieht sie auf ihre Uhr: »Kommt Raoul heute noch? Im Prinzip habe ich noch zwei weitere Termine.«

»Entschuldige mich einen Moment«, murmle ich.

In der Küche versuche ich erneut, Raoul zu erreichen. Er hebt nicht ab. Zwanzig Minuten nach zwei. Der Sekundenzeiger der Küchenuhr schleppt sich vorwärts, und ich fühle mich ebenfalls erschöpft und kraftlos.

»Wolltest du nicht auch einen Termin, Ruth?«, ruft Maja.

Ich geselle mich wieder zu ihr, sie blättert in ihrem Kalender. »Weil wir grad dabei sind: Ich kann dir den kommenden Dienstag anbieten.«

Sie bietet mir einen Tag an wie ein Stück Kuchen. Was erwidert man darauf? Ist ein neues Leben auch Teil deines Portfolios?

»Oder kommenden Donnerstag, zehn Uhr.«

»Ich kann dir nichts versprechen«, sage ich, als sei Maja auf meine Versprechen angewiesen. Sie buhlt um einen Termin, denke ich, und dass sich das gut anfühlt. Mein erstes förmliches Rendezvous mit Maja.

»Glaubst du, dass Raoul heute noch kommt?«, fragt sie.

Ich springe dienstbeflissen auf und kontrolliere in der Küche das Display meines Handys. Kein Anruf in Abwesenheit, keine Kurznachricht, keine Langnachricht. Nichts. Ein Stechen in der Magengegend. Es wird ihm doch nichts passiert sein? Raoul ist sonst immer zu erreichen, er telefoniert zwar nicht gerne, doch er schaltet sein Handy nie aus. Es hängt an seiner Gürtelschlaufe in einem lächerlichen Etui wie ein nach außen verlagertes Organ. Ich öffne eine neue Kurznachricht, schreibe, »Komm schnell, du hast Besuch«, und drücke auf »senden«.

Als ich dieses Mal ins Wohnzimmer zurückkehre, ist die alte Ordnung im Raum zerstört. Das Sofa ist verwaist, und über dem Couchtisch wölbt sich ein jeansblauer Hintern. Maja kniet auf allen vieren vor der Couch, den Kopf gesenkt wie ein Schaf auf der Weide, während sie mit der rechten Hand den Boden abtastet. Ich möchte sie warnen, ich habe dort heute noch nicht gewischt, es könnte staubig sein! In wenigen Schritten bin ich bei ihr, sie aber stoppt mich mit der Hand und fleht: »Bitte nicht weiter, keinen Schritt!«

Sie spricht wieder mit ihrer alten, ein wenig schrillen Maja-Stimme, und das nährt meine Hoffnung, doch da ist immer noch eine Distanz zwischen uns, die mir Sorgen bereitet.

Ihrer Position nach zu urteilen, hat Maja ihre Kontaktlinse verloren.

»Ich helfe dir«, sage ich, und während wir den Boden abtasten, suche ich zugleich nach der alten Maja, die ich nicht verlieren will, und ich erinnere mich an die Zeit, als sie noch eine Brille trug und unglücklich darüber war, dass ihre Augen versagten, wo doch alles andere an ihrem Körper überdurchschnittlich gut zu funktionieren schien. Ich sah ihr regelmäßig dabei zu, wie sie die Linse auf der Kuppe ihres Zeigefingers platzierte, wie das Auge die Linse förmlich ansaugte, wenn sie nur den Finger nah genug dran hielt. Ein seltsamer magnetischer Effekt, der nie aufhörte, mich zu faszinieren. Wie sie blinzelte und sagte: »Ich sehe dich«, und dann lachten wir beide, und ich bekam eine Gänsehaut, denn dieses »Ich sehe dich« klang beinahe wie ein »Ich liebe dich«.

»Ich darf sie nicht verlieren«, jammert Maja, ihr schönes Gesicht ist verschoben vor Verzweiflung, und ich denke nur: Ja, auch ich will dich nicht verlieren. Vorsichtig tastend schieben wir uns auf Knien in Zeitlupe vom Sofa zum Couchtisch und wieder zurück.

Wie ihre Kontaktlinse aussehe, frage ich, ob sie durchsichtig sei, und sie sagt, nein, die Linse sei blau getönt, hellblau, auf weißem Untergrund könne man sie gut erkennen. Der Laminatboden hier sei allerdings ein Hindernis, weil er so unruhig gemasert sei, und ich sehe meinen Boden mit einem Mal mit neuen Augen, denn eine Maserung ist mir noch nie aufgefallen, schon gar keine unruhige.

Ich sage Sprüche wie: »Mach dir keine Sorgen, wir finden sie bestimmt« und »Ich spüre, dass wir sie gleich haben«, obwohl ich gar nichts spüre, nur meine Knie, die auf dem Boden scheuern, und ich wünsche mich zurück in mein Badezimmer zu den blauen Fliesen mit ihrer ruhigen Oberfläche, ein in der Bewegung erstarrtes Meer.

Plötzlich schließt jemand die Tür auf, es ist Raoul, wer sonst, und schon steht er im Wohnzimmer, und kühle Luft weht herein.

»Keinen Schritt weiter!«, ruft Maja, und Raoul erstarrt an der Schwelle.

»Hast du nicht etwas vergessen?«, frage ich ihn, und er sieht von Maja zu mir und wieder zu Maja und sagt: »Was ist hier los?«

In seinem Gesicht kann ich eine dreifache Fassungslosigkeit erkennen. Dass Maja hier ist – bestimmt hat er die Nachricht auf seinem Handy noch nicht gelesen –, dass er unvorbereitet mitansehen muss, wie zwei schlecht gelaunte Frauen auf dem Boden herumkriechen. Und dass er am Betreten seiner eigenen Wohnung gehindert wird.

Ich stehe auf und bemühe mich, nur auf bereits untersuchtes Terrain zu treten. »Wir müssen systematisch vorgehen«, sage ich zu Maja. »Es wird am besten sein, wir kennzeichnen die Stellen, an denen wir schon gesucht haben. Und wir markieren die Grenzen, innerhalb derer wir überhaupt suchen. Wie weit springt eine Kontaktlinse?«

Maja antwortet nicht, sie seufzt nur.

»Sie hat ihr Augenlicht verloren«, sage ich zu Raoul.

Er schiebt sich an der Wand entlang und an uns vorbei in die Küche. Ich höre, wie er die Kaffeemaschine anwirft, und folge ihm.

»Könnt ihr nicht woanders spielen?«, zischt er. »Ich habe zu arbeiten.«

»Sie ist doch wegen dir hier!«, sage ich. »Hast du deine Termine nicht im Griff?«

»Das kann nicht sein«, gibt er zurück. »Unser Termin ist morgen.«

Als Beweis hält er mir das Display seines Handys vor die Nase, aber ich kann nur die Uhrzeit lesen. Vierzehn Uhr fünfundvierzig.

»Wir haben auf dich gewartet«, sage ich. Betonung auf wir.

Schon läuft er aus der Küche, und ich höre ihn zu Maja sagen: »Mach dir keine Sorgen, Maja.«

Ich höre, wie sie Möbel verrücken, es quietscht, etwas schleift auf dem Boden. Ich verberge mich hinter der Küchentür, um ihre Worte zu belauschen, doch sie sprechen nicht. Die Neugier zwingt mich dazu, mein Versteck zu verlassen. Maja und Raoul haben mit den Möbeln einen Absperrring gebildet.

»Da drin muss sie sein«, sagt Maja und deutet in den Ring.

»Es ist höchst wahrscheinlich, dass wir sie hier drin finden«, sagt Raoul.

»Es sei denn, sie hat sich an unsere Kleider geheftet, aber das glaube ich nicht«, sagt Maja.

»Das glaube ich auch nicht.« Raouls Stimme ist jetzt mild und weich, vielleicht liege ich ja richtig, vielleicht ist alles ein abgekartetes Spiel, um Maja als bemitleidenswerte Figur in unserem Leben zu positionieren, als eine, um die Mann sich kümmern muss.

»Wir werden da nicht hineintreten«, sagt Raoul zu mir und deutet in die Mitte des Möbelkreises. Er ist gerade erst zur Tür hereingekommen und bestimmt bereits, was getan werden darf und was nicht.

Wenig später ist das Taxi da. Raoul kehrt verborgene Gentleman-Qualitäten hervor und bietet Maja wie selbstverständlich seinen Arm an. Maja klammert sich daran fest, einen gut geübten Ausdruck des Leidens im Gesicht. Ihr selbstbewusster Bob sitzt wie eine verrutschte Krone auf ihrem Kopf.

Während der Liftfahrt wird ihr Raoul beruhigende Worte zuflüstern, vielleicht wird er seinen Arm um ihre Schultern legen, und nachdem er die Wagentüre für sie geöffnet hat, wird er sie auf die Wange küssen.

Ich bleibe zurück, betrachte die eingezäunte Tabuzone, die beinahe die Hälfte des Raumes einnimmt, ein Sperrgebiet mitten in der Wohnung, und frage mich, wie um alles in der Welt es nur so weit kommen konnte.