will.

„Deine Mutter hat Recht", sagte Claire sanft, „du bist sehr selbständig, und dass du es bis hierher geschafft hast, heißt, dass du auch sehr stark bist. Das ist gut, weil wir beide sehr stark sein müssen, um hier rauszukommen."

Sherry spürte, wie ihre Augen groß wurden. „Was meinst

du damit? Das Revier verlassen? Aber da sind überall Zombies, und ich weiß nicht, wo meine Eltern sind. Was ist, wenn sie Hilfe brauchen oder nach mir suchen ...?"

„Schätzchen, ich bin sicher, dass es deinen Eltern gut

geht", sagte Claire rasch. „Wahrscheinlich sind sie noch in der Firma, wo sie sich verstecken - genau, wie du es getan hast -, um auf Leute zu warten, die von außerhalb der Stadt kommen und alles wieder gutmachen ..."

„Du meinst, um alle zu töten", sagte Sherry. „Ich bin zwölf, weißt du, ich bin kein Baby mehr."

Claire lächelte. „Entschuldige. Ja, um alle zu töten. Aber bis die Guten kommen, sind wir auf uns gestellt. Und das Beste, was wir tun können, das Klügste, ist, ihnen aus dem Weg zu gehen - diesen Zombies und Ungeheuern so weit

wie nur möglich aus dem Weg zu gehen. Du hast Recht, die Straßen sind nicht sicher, aber vielleicht finden wir ein Auto und ..."

Jetzt war es an Claire zu verstummen. Sie erhob sich und ging zu dem großen Schreibtisch auf der anderen Seite des Büros. Im Gehen sah sie sich um.

„Vielleicht hat Chief Irons seine Autoschlüssel hier gelassen oder eine Waffe, etwas, das uns nützlich sein könnte -"

Claire entdeckte etwas auf dem Boden hinter dem Schreib-

tisch. Sie bückte sich, und Sherry eilte ihr nach, zum einen, um in ihrer Nähe zu bleiben, zum anderen, um zu sehen, was Claire da gefunden hatte. Sie wusste jetzt schon, dass sie Claire nicht noch einmal verlieren wollte, ganz egal, was noch geschah.

„Hier ist Blut", sagte Claire leise, so leise, dass Sherry meinte, sie hätte es gar nicht aussprechen wollen.

„Und?"

Stirnrunzelnd sah Claire an der Wand empor, dann wieder

auf den großen, trocknenden roten Klecks auf dem Boden.

„Der Fleck ist noch feucht. Und hier sieht er aus wie abgeschnitten. Es müsste doch hier auch was an die Wand ge-

spritzt sein ..."

Sie klopfte gegen die dunkle Holzzierleiste, die an der

Wand verlief, dann gegen die Wand selbst. Es gab einen hörbaren Unterschied: ein dumpfes Pochen von der Leiste, doch die Wand klang hohl.

„Liegt dahinter ein Raum?", fragte Sherry.

„Ich weiß nicht, es hat den Anschein. Und es würde erklä-

ren, wohin er sie ... wohin er sich abgesetzt hat. Chief Irons, meine ich."

Während sie anfing, die Fußleisten entlang zu tasten, sah sie zu Sherry empor, strich dann mit den Händen über die Wand und drückte dagegen. „Sherry, sieh dich beim Schreibtisch um, ob du einen Hebel oder einen Schalter finden

kannst. Wenn es einen gibt, wäre er wohl irgendwo versteckt, vielleicht in einer der Schubladen ..."

Sherry ging hinter den Schreibtisch - und stolperte; ihr Fuß rutschte auf einer Handvoll Bleistifte aus, die sie nicht gesehen hatte. Sie fasste nach der Schreibtischplatte, versuchte, ihr Gleichgewicht zu wahren, landete aber dennoch ziemlich hart auf den Knien.

„Autsch!"

Claire war sofort neben ihr und legte ihr einen Arm um die Schultern. „Bist du in Ordnung?"

„Ja. Ich - hey! Guck mal!"

Ihre geprellten Knie vergessend, deutete Sherry auf einen Schalter unter der oberen Schreibtischschublade, der in eine kleine Metallplatte eingelassen war. Er sah aus wie ein Lichtschalter, musste aber zu der Geheimtür gehören, das wusste sie einfach.

Ich hab ihn gefunden!

Claire streckte die Hand aus und legte den Schalter um -

und hinter ihnen glitt ein Teil der Wand reibungslos nach oben, verschwand in der Decke und offenbarte einen schwach beleuchteten Raum, dessen Wände aus großen Ziegelsteinen bestanden. Kühle, feuchte Luft wehte in das Büro. Es war ein geheimer Durchgang, genau wie in irgendwelchen Filmen.

Sie standen auf und traten auf die Öffnung zu. Claire hielt Sherry mit einem Arm zurück und sah zuerst hinein. Der kleine Raum war völlig leer - drei Ziegelwände, ein fleckiger Holzboden. Nur etwa halb so groß wie das Büro. Die vierte Wand wurde von einer großen altmodischen Aufzugtür eingenommen, eine von der Art, die man zur Seite schieben musste.

„Fahren wir damit?", fragte Sherry. Sie war aufgeregt, aber auch ängstlich.

Claire hatte ihre Pistole hervorgeholt. Sie ging neben Sherry in die Hocke und lächelte - aber es war kein freudiges Lä-

cheln, und Sherry wusste, was kam, noch bevor Claire ein Wort gesagt hatte.

„Schätzchen, ich glaube, es ist am sichersten, wenn ich zuerst gehe und mich etwas umsehe und du zunächst hier bleibst -"

„Aber du hast gesagt, wir sollten zusammenbleiben! Du

hast gesagt, wir suchen uns ein Auto und verschwinden! Was ist, wenn das Monster kommt und du nicht hier bist, oder wenn du umgebracht wirst?"

Claire umarmte sie, doch Sherry war fast schlecht vor hilfloser Wut. Claire wollte ihr sagen, dass sie sich keine Sorgen machen solle, dass das Monster nicht kommen würde, dass

nichts Schlimmes passieren könne - und dann würde sie

trotzdem gehen.

Blöde Erwachsenenlügen!

Claire lehnte sich zurück und strich Sherry das Haar aus dem Gesicht. „Ich mach dir keine Vorwürfe, dass du Angst hast. Ich hab auch Angst. Das ist eine schlimme Situation -

und ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was passieren wird. Aber ich will das Richtige für dich tun, und das heißt, dass ich dich nicht in eine Lage bringen werde, wo du verletzt werden

könntest, nicht, wenn ich es vermeiden kann."

Sherry schluckte ihre Tränen hinunter und versuchte es

noch einmal. „Aber ich will mit dir gehen ... Was, wenn du nicht wiederkommst?"

„Ich werde wiederkommen", sagte Claire fest. „Das verspreche ich. Und wenn - wenn nicht, dann will ich, dass du dich wieder versteckst, wie vorher. Es wird jemand kommen, es wird bald Hilfe eintreffen, und man wird dich finden."

Wenigstens war sie ehrlich. Es gefiel Sherry nicht, ganz und gar nicht, aber immerhin - und Claires Gesichtsausdruck verriet ihr, dass es nichts gab, was sie, Sherry, tun konnte, um ihren Entschluss zu ändern. Sie konnte sich deswegen nun benehmen wie ein Baby, oder sie konnte sich damit abfinden.

„Sei vorsichtig", flüsterte sie, und Claire umarmte sie noch einmal, ehe sie sich erhob und auf den Aufzug zuging. Sie drückte einen Knopf neben der Tür, und es ertönte ein leises, sanftes Summen. Nach ein paar Sekunden tauchte eine Liftkabine auf, die sanft zum Halten kam. Claire zog die Tür auf, trat hinein und wandte sich für einen letzten Blick auf Sherry um.

„Bleib hier, Schätzchen", sagte sie. „Ich bin in ein paar Minuten wieder da."

Sherry zwang sich zu einem Nicken - und Claire ließ die

Tür los, die sich daraufhin schloss. Sie drückte einen Knopf im Aufzug, und die Kabine fuhr abwärts. Claires lächelndes Gesicht verschwand aus Sherrys Blickfeld und ließ sie allein zurück in der kalten, dunklen Passage.

Sherry setzte sich auf den staubigen Boden und zog die

Knie mit ihren Armen dicht an ihren Körper, schaukelte sanft vor und zurück. Claire war mutig und klug, sie würde bald zurück sein, sie musste bald zurück sein ...

„Ich will meine Mom", flüsterte Sherry, aber es war niemand da, der sie hörte. Sie war wieder allein, genau das, was sie am allerwenigsten sein wollte.

Aber ich bin stark. Ich bin stark, und ich kann warten.

Sie ließ das Kinn auf ihren Knien ruhen, berührte die Halskette, die ihre Mutter ihr als Glücksbringer gegeben hatte, und wartete darauf, dass Claire zurückkehrte.

SECHZEHN

Annette Birkin saß im Überwachungsraum des Laboratori-

ums und starrte erschöpft zu der Bildschirmwand über dem Kontrollpult empor. Es kam ihr vor, als sei sie seit Jahren hier, um darauf zu warten, dass William auftauchte, und allmählich glaubte sie, dass er das nie tun würde. Sie würde noch ein wenig länger warten - aber wenn sie ihn nicht bald zu Gesicht bekam, würde sie noch einmal nach ihm suchen müssen.