DER AUFSTIEG AUF DEN PASS ist von Anfang an beschwerlich. Jeder kämpft still gegen die Schwerkraft an.

Auf einmal sehen Elsa und Camille eine Gestalt am Wegesrand sitzen.

Elsa: »Du, Camille, da ist schon eine zusammengebrochen.«

»Wir sind noch nicht mal zwei Stunden unterwegs — wie wird das erst in fünf Stunden sein?«

»Na, wen haben wir denn da? Das ist gar keine Frau... Oje, das ist ja mein leitender Angestellter von France-Telecom! Ich glaub’s nicht!«

»Hattest du was mit dem?«

»Nein, nein! Wir haben zusammen Pizza gegessen, Kaffee getrunken, koffeinfreien, und sind dann zum Schlafen in die Herberge zurückgegangen. Es war nur ein Traum.«

Sie befinden sich nun auf der Höhe des Pilgers, der sich tatsächlich als der leitende Angestellte von France-Telecom entpuppt, völlig erschöpft sitzt er am Straßenrand auf seinem kaputten innovativen Decathlon-Rucksack.

»Hallo! Probleme?«

»Ich fahre zurück nach Biarritz.«

»Ach ja? Warum denn das?«

»Ich warte hier auf ein Taxi, das mich zurückbringt.«

»Was ist passiert?«

»Ich bin total am Ende. Mir ist so schlecht, dass ich kaum noch sprechen kann. Das Pilgern bekommt mir nicht.«

Camille: »Sie sind vielleicht ein bisschen zu früh aufgebrochen und ein bisschen zu schnell gegangen. Ohne Training ist es am Anfang wirklich anstrengend.«

»Nein, nein, darum geht es nicht. Nein, ich werde doch lieber segeln gehen.«

»Aber Segeln ist auch anstrengend.«

»Na ja, Wandern ist jedenfalls nichts für mich, das ist etwas für Prolls.«

In der Ferne entdecken sie drei kleine Punkte: drei Pilger.

Elsa: »Na sag mal, wen sehe ich denn da? Ist das nicht Pierre?«

Camille: »Da kommen ja auch Claude und Clara... Hallo! Alles klar? Kommen Sie jetzt doch mit?«

Pierre: »Ich schon. Was die beiden anderen wollen, weiß ich nicht.«

Claude: »Wir wandern auch weiter.«

Camille und Elsa freuen sich sehr und zeigen es auf ihre Weise — indem sie kleine Schreie ausstoßen.

Pierre zum leitenden Angestellten: »Probleme?«

Elsa: »Er fährt nach Hause, es geht ihm nicht gut.«

Pierre: »Können wir etwas für Sie tun?«

Der leitende Angestellte: »Nein, nein, ist schon in Ordnung.«

Pierre: »Na gut, dann lassen wir Sie jetzt allein. Wir haben noch einiges vor uns... Der Opa grüßt schön!«

Clara: »Und die Oma auch!«

Camille: »Unsere ganze Prollfamilie grüßt Sie!«

Claude schlägt dem jungen Mann auf die Schulter und pfeift dabei die Erkennungsmelodie von France-Telecom. Der leitende Angestellte wirkt völlig bedröppelt.

Topfit macht sich die Gruppe wieder auf den Weg.

Elsa: »Kann mir jemand einen Fotoapparat leihen?«

Pierre sucht in seiner Jackentasche. »Ich müsste eine Einwegkamera haben... Hier.«

Elsa: »Danke, genau das brauche ich.«

Sie knipst den leitenden Angestellten von France-Telecom mit Pierres Einwegkamera.

»Es stört Sie doch nicht, dass ich ein paar Fotos mache — für mein Album. Könnten Sie sich nicht ein kleines bisschen ansprechender hinsetzen? Kopf nach hinten, Mund auf, komm schon, zeig mir deine kleine geile Zunge und zieh die Hose ein wenig hoch, damit ich deine schönen Beine sehe... So, ja, so ist er hübsch, so ist er geil, meine große, fette Verantwortung...«

Der leitende Angestellte: »Ist ja schon gut. Hören Sie auf, mich zu verarschen!«

Elsa erbarmungslos: »Och, ist er verärgert, mein kleiner Einzelkämpfer? Ist die Herausforderung doch zu groß für sein schwaches Herzchen?«

Nach vier Stunden Aufstieg stehen die Pyrenäen in ihrer ganzen Pracht vor ihnen — hohe Berge, weite Hänge mit Weiden, wo schwarzfüßige Schafe und rotmähnige Wildpferde grasen. Die Gipfelreihen erstrecken sich bis in die Unendlichkeit wie ein erstarrtes Wellenmeer.

Eisiger Regen fällt nun auf die Pilger herab und tränkt sie.

Die Gruppe hat sich zerstreut, jeder kämpft sich allein und schlapp weiter wie eine einsame Ameise.

Wolken umgeben die Gipfel, der Nebel wird dichter, dieser schaurig schöne Albtraum will überhaupt kein Ende nehmen.

Pierre ist zwar nicht mehr der Letzte, aber er hat Watte in den Knien, wunde Füße, einen verspannten Rücken, und er bekommt kaum noch Luft. Endlich lässt er sich gehen und schreit seinen Schmerz laut hinaus:

»Was bin ich bloß für ein Trottel! >Der Opa grüßt schön<« (äfft er sich selbst nach), »ja hätte ich doch bloß die Klappe gehalten, denn der Opa ist völlig am Ende, gesotten und durchgebraten wie ein richtiger Opapa! Warum habe ich nur gesagt, dass ich weiterwandere? Was bin ich doch für ein Trottel! Und dabei könnte ich in aller Seelenruhe in einem Erste-Klasse-Abteil sitzen und nach Paris fahren! Ich habe es satt!«, brüllt er in den Wind, »das ist zu hart! Zu hart!«

Ein Gipfelkreuz markiert die Passhöhe. Alle versammeln sich dort und ruhen aus.

Seit Jahrhunderten legen Pilger an diesem Kreuz Steine oder Blumen nieder, sie bringen bunte Bänder und Tücher an oder lassen Dinge zurück wie eine zerbrochene Brille, einen kaputten Rasierapparat oder eine leere Zigarettenschachtel, auf der »Heute habe ich aufgehört« steht. Simple Kleinigkeiten, die von einer Anwesenheit zeugen, die sagen: Ich war hier, ich gebe euch ein Zeichen, ich habe genauso gelitten wie ihr, ich habe es geschafft, wir sind alle auf demselben Weg unterwegs.

Wie tröstlich sind diese Zeichen für den Wanderer! Der lebendige heidnische Kult einer Gemeinschaft, die ihre Riten selbst schafft und frei erfindet. Die Spuren, die den Weg säumen — Steinpyramiden, verzierte Pfeile, Skulpturen, Initialen an Brunnen, Nachrichten an Herbergsmauern für nachfolgende Pilger, für jene, mit denen man sich angefreundet und die man wieder aus den Augen verloren hat — , diese Spuren sind sozusagen die Bande der Menschheit, die im Individualismus verkommt und verzweifelt nach einem Sinn sucht.

Alle Pilger schildern die Pyrenäenetappe als den schlimmsten Wegabschnitt, aber auch als den unvergesslichsten, und alle würden ihn jederzeit noch einmal gehen... Als müsste man erst alle Zweifel durchlaufen, als müsste man durch die Hölle und durch die schmerzliche — körperliche und seelische — Selbstversenkung gehen, um die Schönheit des Lebens zu erkennen.

Nach einem einstündigen Abstieg, der ihnen die Knie weich macht, entdecken Mathilde, Ramzi und Said eine Lichtung, sie stapfen durch hohen Farn und entdecken Häuser am Ende eines Tals.

Ramzi: »He, Said, ich glaub, das is Roncesvalles!«

Said: »Guy, ist das Roncesvalles?«

Guy kommt angelaufen: »Ja, das ist Roncesvalles.«

Mathilde: »Wir sind da! Das ist Roncesvalles.«

Die anderen gesellen sich zu ihnen, sie kreischen vor Freude.

Ramzi: »Is das schön!«

Guy: »Vorsicht! Wir haben noch fast achthundert Kilometer vor uns!«

Said: »Was?«

Ramzi: »Wie viel?«

Said: »Achthundert, das ist nicht wenig...«

Doch diese Information kann ihre Freude nicht trüben; sie haben diese albtraumhafte Etappe hinter sich gebracht, und sie sind noch alle zusammen!

Trotz zittriger Knie vergeht der Rest des Abstiegs wie im Flug.

Von Weitem sieht das Kloster beeindruckend aus, doch aus der Nähe betrachtet, ist das Ganze nach der Renovierung nur noch ein ziemlich geschmackloser Kasten.

Spanien ist erst spät aus dem Mittelalter erwacht, dann kam der Faschismus, und nun hat sich das Land Hals über Kopf in einen wilden Liberalismus und eine rücksichtslose Industrialisierung gestürzt, die seine Küsten, seine Kulturgüter und seine Landschaften zerstört.

Die Gruppe ist bei der nüchternen Klosteranlage angelangt und strebt fröhlich lachend und laut redend durch den Gewölbegang dem Pilgerbüro entgegen.

Hier beginnt der spanische Jakobsweg, überschattet von einem rückständigen Katholizismus. Überall in Spanien muss man sich als Pilger ausweisen, um einen Platz in einer Herberge zu bekommen — man muss buchstäblich zu Kreuze kriechen.

Selbst in Roncesvalles, wo Tausende Wanderer ankommen, die eine schreckliche Prüfung hinter sich haben, wird man von den Geistlichen und dem Personal unfreundlich und herablassend empfangen, denn in deren Augen und nach Ansicht der katholischen Kirche machen die Pilger einem nur das Leben schwer. Man gibt ihnen zu verstehen, dass sie, verglichen mit den ehrwürdigen Bewohnern des heiligen Ortes, nur nichtswürdige Würmer sind. Im Refektorium und überhaupt im ganzen Kloster bekommen die Pilger nichts zu essen, und so sind die erschöpften Wanderer gezwungen, in dem sündhaft teuren Restaurant neben der Abtei zu essen, das übrigens der Abtei selbst gehört. Um einen Schlafplatz zu bekommen, muss man ein Formular ausfüllen, und wenn der katholische Glaube nicht Ihr oberstes Motiv war, um die Pilgerreise zu unternehmen, können Sie eine böse Überraschung erleben: Man lässt Sie einfach nicht in die Herberge rein, und das nächste Hotel liegt eine Stunde Fußmarsch entfernt.

Unsere neun Wanderer füllen im Pilgerbüro also die Fragebogen aus, während ein Pater ihre Ausweise überprüft. Dann stehen sie da und warten auf das Urteil.

Der Pater: »Si puede dormir aquí, pero no tengo bastante camas para toda la gente...« Er deutet nacheinander auf jeden Einzelnen. »Uno, dos, tres, cuatro, cinco, seis — sí.« Dann deutet er auf Guy, Said und Ramzi: »El, el y el, no, disculpe.«

Elsa: »Was sagt er?«

Guy: »Dass er nur sechs Plätze hat und dass er Said, Ramzi und mich nicht beherbergen kann.«

Pierre: »Warum geht es bei uns und bei Ihnen nicht?«

Guy: »Das ist hier immer so. Man muss aussehen wie ein Durchschnittspilger. Dunkelhäutige sind nicht willkommen.«

Pierre packt die heiße Wut.

»Hören Sie mal, Pater, wir alle hier sind gemeinsam achthundert Kilometer marschiert, wir gehören zusammen, wir sind eine Gruppe. Gruppe — verstehen Sie? Wie Geschwister — klar? Und Geschwister trennt man nicht, sie müssen zusammenbleiben, Pater, denn nur so kommt man im Leben weiter: zusammen. Verstanden?«

Alle sind bass erstaunt über Pierres Redeschwall, allen voran Claude und Clara.

»Was ist denn in dich gefahren, Pierre?«

»Schnauze!«

»Selber Schnauze!«

»Bei uns ist es auch so, wir bleiben zusammen. Die Dunkelhäutigen und wir sind wie die Finger einer Hand, verstehen Sie? Man kann sie nicht trennen. Also, entweder schlafen Guy, Said und Ramzi auch in der Herberge, oder gar keiner von uns bleibt hier!«

Der Pater: »No hablo francés.«

Pierre: »Was hat er gesagt?«

Claude, mit strahlendem Lächeln: »Dass du ihn mal kannst!«

Pierre wird stinksauer, drohend baut er sich vor dem Pater auf: »Ich schlag Ihnen gleich die Fresse ein, Sie Scheißpfaffe! Ich habe die Nase voll von euch Kuttenträgern. Ihr geht uns auf die Nüsse und schreibt uns vor, was wir tun und lassen sollen, gleichzeitig aber führt ihr euch auf wie die Schweine! Franco ist tot, wach auf, du verkalktes Monster, der Faschismus in Spanien ist zu Ende!«

Wenn Pierre wütend ist, flucht er gern, was seine Argumente ein wenig schwächt. Trotz seiner harten Schale ist Pierre ein unverbesserlicher Gefühlsmensch.

Der Pater: »Qué dice?«

Clara gibt sich sehr weitläufig und sprachgewandt: »Mein Bruder ist nicht immer rational, er ist manchmal sogar un poco irrational. Comprendes?«

Pierre: »Schnauze!«

Clara: »Selber Schnauze!«

Der Pater: »Qué dice?«

Clara: »Er sagt, dass Sie ein Culero erster Klasse sind, und ich kann ihm da nur recht geben.«

Der Pater: »No comprendo...«

Pierre: »Kommt, gehen wir, heute lade ich euch alle ins Hotel ein.«

Das lässt sich keiner zweimal sagen, hochzufrieden marschieren sie los. Nur Ramzi, der immer einen Heidenrespekt vor Geistlichen hat, egal, welcher Religion, verabschiedet sich herzlich von dem Pater. Er legt die Hand aufs Herz:

»Salam alaikum, Bruder, und Allahu akbar.«

Schnell verlassen sie diese ungastliche Stätte. Guy weiß, wohin: Einmal hat er mit reichen Kunden in einem Luxushotel genächtigt, aber das liegt noch eine Stunde entfernt.

»Kommen Sie, Pierre?«

Pierre kommt. Als Schlusslicht.

Im Luxushotel rennen sie kreischend und lachend durch die Gänge. Nach dem wochenlangen einfachen Leben in den Herbergen freuen sie sich an den bequemen Betten, dem Teppichboden unter den Sohlen, den schweren Vorhängen, den Daunenkissen und dass sie mal wieder allein in einem Zimmer sein können. Sie leeren die Minibars, ziehen sich die blödesten Fernsehsendungen rein. Und vor allem: Vor allem aalen sie sich unter Bergen von Badeschaum in den Wannen. Alle sind bester Laune.

In der Nacht träumen sie lebhaft, auch die Träume freuen sich über die glücklichen Seelen, für die sie verantwortlich sind.

Claude tanzt auf einer Wiese Tango mit dem älteren Mann, von dem er in der Nacht zuvor geträumt hat.

Clara und Mingo gehen durch die Nacht, schwere Koffer drücken sie nieder. Schwärme von angeleinten Kindern und Enten folgen ihnen. Sie kommen zu einer Tür auf einer Wiese, öffnen sie und sehen dahinter exotische Tiere, die brav dasitzen und lächeln. Plötzlich scheint die Sonne.

Mathilde steht vor einem Tisch, auf dem zwei große Eier liegen, ein weißes und ein schwarzes. Sie begutachtet sie, weiß nicht, welches sie nehmen soll.

Mit einer Lampe in der Hand dringt Guy an der Spitze seiner Gruppe in ein Labyrinth aus Büschen ein, das wie ein Fragezeichen geformt ist. Er folgt den Windungen und findet den Ausgang, wo ihn ein großes Ei erwartet, daraus strahlt ihm Mathildes Gesicht entgegen.

Said folgt dem Schatten einer schwarz verschleierten Frau, die mit einem Sprung einen Fluss überquert. Er kommt an den Fluss und will zu dem Schatten hinübereilen, doch er traut sich nicht zu springen. Dann wagt er es doch und fliegt ungehindert ans andere Ufer. Als er auf dem Boden aufkommt, verwandelt sich der Schatten in ein Pferd, er sitzt auf und galoppiert davon.

Camille sitzt bei Sonnenuntergang am Rand einer Klippe, die steil ins Meer abfällt. Geduldig entwirrt sie blutige Därme und gibt sie einem Adler zum Fraß.

Elsa rüttelt am Tor eines Parks, aber das Tor ist mit einem Schloss versehen. Sie taucht ein in eine Wanne, die auf einer Wiese steht und mit schäumendem Wasser gefüllt ist. Und da streckt ein Teufel mit gespaltenem Schwanz und langer roter Nase die Hand ins Wasser, zieht einen großen Schlüssel heraus und öffnet damit das Vorhängeschloss. Zusammen mit dem Teufel verschwindet Elsa im nebligen Park.

Pierre und Édith schwimmen in einem See zwischen riesigen bunten Bojen in Form von Enten. Sie spielen im Wasser und bespritzen sich gegenseitig.

Ramzi sieht ein großes A auf sich zukommen, das A verwandelt sich in eine schöne Frau, die bis zu den Fußspitzen verschleiert ist. Sie drückt ihn an sich, dann entfernt sie sich von ihm und winkt ihm zum Abschied. Die Frau versinkt in der Erde und ist verschwunden.