|67|KAPITEL III

Monsignore Rossellino (il bello muto):

 

Jeden Morgen und jeden Abend danke ich der göttlichen Vorsehung für meinen Sturz auf den Stufen zum Vatikan und die daraus resultierende Stummheit: auf solche Weise hat sie mich meinen Erfolgen in der Gesellschaft und den Gefahren dieser Welt entrissen und mich bei einem Meister in Dienst gestellt, der – so streng er mitunter ist (doch ist er es nicht auch gegen sich selbst?) – unermüdlich zum höchsten Ruhme Gottes und der Kirche wirkt.

Gleichwohl hielte ich es für einen Irrtum, hinter allen Wechselfällen des Lebens, großen und kleinen, die Hand unseres Erlösers zu sehen. Satan ist mitnichten so schwach, daß er nicht sein Teil beisteuern könnte zu den Begegnungen und Fügungen, die die Seelen gefährden und die Gott in seiner Allmacht zuläßt, um die Tugend seiner Geschöpfe zu prüfen.

Ich möchte hier zur Erbauung der Gläubigen von einer solchen Fügung berichten, die höchst dramatische und verhängnisvolle Konsequenzen haben sollte, denn sie verführte eine ganze Familie zu arglistiger Täuschung und verursachte zudem Blutvergießen und viele Tränen wie auch großen Aufruhr im Staat.

Mein Bericht beginnt zu einer Zeit, da Francesco Peretti bereits sechs Jahre mit Vittoria Accoramboni verheiratet ist. In diesen sechs Jahren ist kaum ein Tag vergangen, an dem der Kardinal die Frau seines Adoptivsohnes nicht wenigstens auf eine knappe Stunde empfangen hätte. Er sieht sie häufiger als seinen Neffen, was wir uns damit erklären, daß Francesco durch die bescheidenen Amtsgeschäfte am Hofe des Papstes zu sehr in Anspruch genommen wird, um seinen Onkel täglich besuchen zu können. Doch abgesehen davon, daß niemand genau sagen kann, worin seine Amtsgeschäfte bestehen1, für die er als Sohn eines Kardinals erhöhte Einkünfte bezieht (freilich bedeutend |68|niedrigere als der Sohn des Papstes), würde ein Wort Seiner Eminenz genügen, damit Francesco herbeieilte und ihm zu Füßen fiele. Aber Montalto sagt dieses Wort nicht, denn obwohl er Francesco sehr zugetan ist, langweilt er sich in seiner Gesellschaft.

»Francesco«, pflegte Monsignore Cherubi zu sagen, bevor er »zu seinen Gondeln« zurückgeschickt wurde, »besitzt alle Tugenden. Es fehlt ihm nur an Bildung und Lebensart. Er hat nichts gelesen, nichts gesehen, nichts geleistet, nichts gelernt.« Wären diese Worte dem Kardinal zu Ohren gekommen (und ich glaube, man sollte sie vor ihm nicht wiederholen), hätte er erwidert, daß Monsignore Cherubi zwar genug Bildung und Lebensart für eine glänzende Karriere besitze, es ihm aber an bestimmten Tugenden gebreche, unter anderem an Diskretion.

Nach der Morgenmahlzeit, die der Kardinal mit großer Pünktlichkeit Schlag zwölf Uhr einzunehmen pflegte – ein Mahl, an dessen Kargheit ich mich aus gutem Grunde erinnere, da ich es teilte –, lustwandelte er eine halbe Stunde in seinem Garten. Dieser Spaziergang auf Krücken war eine recht anstrengende Übung, gleichzeitig auch eine Zerstreuung für ihn, bei der er seine Bäume, seine Büsche und, in der schönen Jahreszeit, seine Blumen so eingehend betrachtete, daß der ihn begleitende Obergärtner dabei täglich seine schwierigste Stunde erlebte. Nichts entging dem Auge des Kardinals: Unkraut, eine nachlässig beschnittene Hecke, ein schlecht geharktes oder unzureichend bewässertes Stück Boden, Blattläuse auf einem Rosenstrauch, ein nicht richtig befestigter Stützstab. Über solche kleinen Mängel entrüstete sich Seine Eminenz beinahe ebensosehr wie über die große Unordnung im Staate, die Gregor XIII. durch seine Laßheit verschuldet hatte.

Nach Beendigung seiner Inspektion kehrte der Kardinal ins Haus zurück; um sich in seine Bibliothek zu begeben, mußte er seine Krücken ablegen und sich auf einem Stuhl von zwei kräftigen Lakaien die Treppen hinauftragen lassen. Danach diktierte er mir seine Post, bis er die Taschenuhr herauszog und mit kaum verhohlener Befriedigung feststellte:

»Es ist bald vier Uhr. Vittoria wird gleich kommen.«

Und tatsächlich: mit einer Pünktlichkeit, die – wie ich später erfuhr – im Palazzo Rusticucci allgemeine Verwunderung hervorrief, erschien Schlag vier Uhr die so sehr geliebte Nichte. |69|Sie trug eine hochgeschlossene Tunika von beabsichtigter strenger Einfachheit und eine Schnur Perlen um den Hals; ein Spitzenkragen rahmte ihr schönes Gesicht. Wie aber von Einfachheit reden, wenn nicht in ehrfurchtsvoller Bewunderung? Denn die ungewöhnliche goldene Haarpracht, die hinter Vittoria herwehte, umhüllte Schultern und Rücken mit einem wahrhaft königlichen Mantel.

Ermutigt durch die spöttischen Bemerkungen des Papstes, machten die Höflinge so viele Witze über diese täglichen Begegnungen, daß Seine Eminenz sie von Anfang an nur in meinem Beisein stattfinden ließ. Ich empfand mich als störenden Dritten zwischen Onkel und Nichte und zog mich bescheiden hinter einen kleinen Schreibtisch zurück, wo ich Briefe kopierte und mich mäuschenstill verhielt. Nicht genug damit, daß ich stumm war: ich bemühte mich auch, unsichtbar zu sein.

Wenn Vittoria sich von Seiner Eminenz verabschiedete, versäumte sie niemals, mich mit einem bezaubernden Lächeln in die Welt der Lebendigen zurückzuholen. Als sie das erste Mal auf diese Art bekundete, daß sie meine Anwesenheit zur Kenntnis nahm, war ich so überrascht, als hätte die Madonna auf dem Bild zur Rechten des Kardinals vom Jesuskind aufgeschaut und mir für einen Augenblick ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Ich wage zu hoffen, daß niemand an diesem Vergleich Anstoß nimmt. Welcher Maler würde nicht davon träumen, eine Maria mit dem Kinde nach dem Modell von Vittoria zu malen, sofern sie, die selbst nie empfangen hat, sich zu einer für sie so grausamen Haltung bereitfinden könnte?

Nachdem Vittoria in einem Armlehnstuhl ihrem Onkel gegenüber Platz genommen hatte, begann die Unterhaltung jedesmal damit, daß Seine Eminenz sich eingehend nach dem körperlichen und seelischen Befinden der Bewohner des Palazzo Rusticucci erkundigte. Würde Flamineo sich entschließen, endlich seiner wahren Berufung zu folgen? Und war Marcello jetzt bereit zu arbeiten? Warum heiratete er nicht die reiche Witwe, in die er vernarrt ist, statt schamlos vor aller Augen in Sünde mit ihr zu leben? Wäre Francesco nicht gut beraten, il mancino auf den Hof seines Vaters bei Grottammare zu schicken, statt zu dulden, daß er als Parasit im Palazzo Rusticucci lebte und die meiste Zeit in der Taverne mit dem gotteslästerlichen Namen verbrachte, wo er Geld von den Dirnen |70|nahm, die er protegierte? Was machte das Magengeschwür der armen Camilla? Sollte sie ihre Mahlzeiten nicht besser auf ihrem Zimmer einnehmen, um Tarquinias ewigen Sticheleien zu entgehen? Konnte nicht Vittoria mit ihrer ganzen Autorität auf ihre Mutter einwirken, damit der Kampf der beiden alten Damen aufhörte? Giulietta war jetzt fünfundzwanzig; warum verheiratete man sie nicht, da sie offenbar nicht fromm genug war, Nonne zu werden? Francesco wurde sichtlich dicker; war es für ihn nicht an der Zeit, das Fechten und Reiten wieder aufzunehmen? Der Kardinal hatte auch gehört, daß der Wächter des Palazzo Rusticucci ein Trinker war; eine schlechte Gewohnheit bei jedem Mann, gewiß, aber bei einem Wächter noch weit schlimmer, denn der müsse ja Augen und Ohren offenhalten und dürfe nicht dösen. Worauf wartete man noch, ihn zu entlassen?

Auf diese Weise versuchte Seine Eminenz, Ordnung in die Angelegenheiten des Palazzo Rusticucci zu bringen, so wie er es täglich in seinem Garten tat und wie er es gern im Staat getan hätte. Politisches Geschick ging ihm auch hierbei nicht ab, denn er hütete sich wohl, die losen Sitten Caterina Acquavivas zu beanstanden, die eine wichtige Informationsquelle für ihn war.

Es gab noch ein anderes Thema, das der Kardinal niemals berührte, um seine Nichte zu schonen: die Kinderlosigkeit dieser Ehe, die ihn sehr bekümmerte, in einem solchen Maße, daß er, der sonst so verschwiegen ist, zu mir darüber sprach. »Seht, Rossellino«, sagte er eines Tages, ohne allerdings direkt auf Vittoria anzuspielen, »es ist nicht gut, wenn eine Frau kinderlos ist, vor allem, wenn sie eine starke Einbildungskraft hat. Denn früher oder später wird sie denken, daß vielleicht ein anderer Mann …«

Vittoria hatte ihre schönen Hände auf ihr Haar gelegt, das sie über den Knien zusammengerafft hatte (dieselbe Haltung, die den Kardinal bei ihrer ersten Begegnung so stark irritierte), und beantwortete die Fragen ihres Onkels mit Geschick, Würde und viel Geduld, wobei sie bisweilen auch ihre eigene Meinung äußerte. Sie liebte Seine Eminenz zu sehr, bewunderte sein Genie zu sehr, um ihm nicht zu erlauben, als Familienoberhaupt zu sprechen und zu handeln, sogar über Francescos Kopf hinweg. Doch sie erlaubte es nur innerhalb bestimmter Grenzen.

|71|Ihre Antworten waren differenziert. In bezug auf Flamineo, il mancino, den Wächter oder Tarquinias Rolle im »Kampf der beiden Alten« (der Kardinal drückt sich manchmal etwas drastisch aus, wie man bei Cherubis Entlassung erlebt hat) stimmte sie seinen Empfehlungen zu. Sie verschanzte sich allerdings hinter »der Autorität ihres Mannes«, um sich nicht festlegen zu müssen. Bei Giulietta wich sie schon aus. Wenn Giulietta weder heiraten noch den Schleier nehmen wolle, warum sie dann zwingen? Wo es jedoch um ihren Zwillingsbruder ging, antwortete Vittoria nicht nur ausweichend, sondern verteidigte ihn. Wer trage denn die Schuld, wenn Marcello bei der Sorghini die Zuneigung fand, die ihm Tarquinia in seiner Kindheit so grausam vorenthalten hatte? Und liege es nicht auf der Hand, daß er in dieser unglückseligen Affäre weniger der Verführer als vielmehr der Verführte ist? Zweifellos sei diese Liaison ein Skandal, doch wäre der Skandal kleiner, wenn er wegen ihres Geldes eine Frau heiratete, die dem Alter nach seine Mutter sein könnte?

Von niemandem sonst hätte Seine Eminenz solche Widerrede geduldet. In Wirklichkeit, glaube ich, war er fasziniert von dieser Mischung aus Sanftmut und Unbeugsamkeit. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Kardinal als strenger Franziskaner niemals Gefühle der Liebe kennengelernt hat, wie ich sie vor meinem Unfall für die Contessa V. empfand. Und in seinem Alter, als gebeugter, gelähmter kranker Greis, für den es eine ungeheure Anstrengung bedeutete, vom Stuhl aufzustehen, die Krücken zu nehmen und ein paar Schritte im Garten auf und ab zu gehen, vermochte er dieses Gefühl erst recht nicht bei seinem wahren Namen zu nennen. Wie hätte er eine Neigung, die frei war von körperlichem Begehren, Liebe nennen können? So durfte der Kardinal in der Lauterkeit seines Herzens Vittoria lieben und sie sich von ihm lieben lassen, denn das Amt dieses großen Mannes, sein Alter und sein Gesundheitszustand gaben ihr Sicherheit. In gewissem Maße erwiderte sie sogar die fordernde, eifersüchtige, besorgte und herrische Zuneigung, die er ihr entgegenbrachte. Wie sonst hätte sie bei ihrem Stolz geduldet, daß er auf dem Weg über ihren Mann die Personen, mit denen die Perettis Umgang haben durften, derart streng aussuchte? Was für ein Unterschied zu Vittorias Leben vor der Eheschließung, als im Palazzo Rusticucci offene Tafel gehalten und |72|jedermann willkommen geheißen wurde, sofern er nur vornehm genug war, sich um ihre Hand bewerben zu können. Und was für Opfer hatte sie seit sechs Jahren einer Ehe bringen müssen, in der sie weder die Glückseligkeit der großen Liebe noch die Freuden der Mutterschaft kennengelernt hatte!

Wegen der vom Kardinal verhängten Beschränkungen gab es nicht einmal zwanzig Personen in Rom, die sich der seltenen Ehre rühmen konnten, Vittoria besuchen oder bei sich empfangen zu dürfen. Die Gemahlin eines Sultans, dachte ich oft, lebt nicht eingesperrter als Vittoria, und obwohl ich um nichts in der Welt diese Vermutung vor dem Kardinal geäußert hätte, sagte ich mir, daß all diese Vorsichtsmaßnahmen vergeblich seien: keine Mauer ist für Satan unüberwindlich, wenn er in der Festung schon Komplizen hat. Wer wüßte das besser als ich?

Am 19. März 1581 – dieses Datum werde ich gewiß lange nicht vergessen, weil Seine Eminenz sich an dem Tag völlig ungerechtfertigt und auf das heftigste über mich erzürnte – las Vittoria, nachdem sie die inquisitorischen Fragen des Kardinals beantwortet hatte, auf lateinisch aus den »Bekenntnissen« des heiligen Augustinus vor, wobei er sie wie einen Kleriker auf jeder Seite unterbrach und einen Kommentar verlangte; da erschien ein für fünf Uhr angemeldeter Besucher.

Hier muß ich erklären, daß der Kardinal jegliches Protokoll und Gepränge haßte (was Gregor XIII. eine manierierte Heuchelei nannte); deshalb fanden sich die von ihm in Audienz zu empfangenden Personen zu der vereinbarten Zeit ein, ohne nochmals von einem Majordomus angekündigt zu werden; nur peinlichste Pünktlichkeit war ihnen angeraten.

Kardinal Montalto empfing sehr viele Menschen, vor allem erlauchte Fürsten aus Italien und dem Ausland fühlten sich von seiner vielgerühmten Weisheit und Erfahrung angezogen. Er pflegte diese Beziehungen sowohl durch seine Audienzen als auch durch eine umfangreiche Korrespondenz. Böse Zungen am Hofe behaupteten deshalb, er sichere sich Verbündete für den Fall, daß »ein großes Unglück« geschähe. Hätte man daraufhin gefragt: »Was für ein großes Unglück?«, wäre man nur auf verschlossene Münder, zuckersüße Mienen, abgewandte Blicke, wenn nicht gar auf Achselzucken ob der dummen Frage gestoßen. Außer dem Sieg der ketzerischen Hugenotten gab es |73|nur ein großes Unglück, das man im Vatikan fürchtete; niemand sprach darüber, aber alle dachten ständig daran: das Ableben Gregors XIII.

Dieses große Unglück würde nämlich ein großes Problem aufwerfen: die Frage der Nachfolge. Und die Art, wie Kardinal Montalto seine Freundschaft mit den Mächtigen dieser Welt kultivierte, legte den Schluß nahe, er wolle sich selbst um die Nachfolge bemühen. Freilich sind die Kardinäle bei der Papstwahl im Konklave völlig von der Außenwelt abgeschnitten (selbst ihre Speisen, die man ihnen durch einen kleinen Schalter reicht, werden vorher auf geheime Botschaften untersucht). Wer aber wäre naiv genug zu glauben, die Fürsten hätten keinen Einfluß auf die Abstimmung? Wer wüßte nicht, daß bei einer früheren Papstwahl der immer noch herrschsüchtige Philipp II. von Spanien den siebzig Kardinälen nur fünf ihm genehme papabile zur Auswahl gelassen hatte, während die übrigen fünfundsechzig Prälaten von vornherein nicht für den Heiligen Stuhl in Frage kamen?

Fürst Paolo Giordano Orsini, Herzog von Bracciano, für den 19. März zu fünf Uhr bei Seiner Eminenz angesagt, war zwar mitnichten so mächtig wie der König von Spanien, doch er gehörte einer einflußreichen italienischen Familie an. Durch seine Frau Isabella war er verwandt mit Francesco di Medici, dem Großherzog von Toskana, dessen Bruder den Kardinalspurpur trug und großen Einfluß auf das Konklave hatte. Bracciano war aber nicht nur reich durch Geburt und seine Verbindungen, er hatte auch wahre Wundertaten in der Schlacht von Lepanto vollbracht, in der die Flotte des Großtürken durch die vereinigte Flotte der christlichen Staaten vernichtet worden war. Von Venedig daraufhin mit dem Kommando über seine Galeeren betraut, hatte der Fürst sich seit fünf Jahren großen Ruhm bei der Jagd auf berberische Piraten erworben.

Dieser große Kriegsheld war zudem ein Mann von Geschmack und Kultur, aufgeschlossen, kunstliebend und wißbegierig; er förderte die Poeten und suchte die Gesellschaft gebildeter Leute wie Seine Eminenz. Er war ein stattlicher Mann – seine kräftige Statur ließ ihn kleiner erscheinen, als er eigentlich war –, hatte blaue Augen, blondes, ins Rötliche spielendes Haar, regelmäßige Gesichtszüge, einen runden festen Hals und die gebräunte Hautfarbe des Seemanns. Seit ihn vor |74|Lepanto ein Pfeil am Oberschenkel verwundet hatte, hinkte er leicht, was er durch besonders große Schritte zu überspielen versuchte; dadurch bekam sein Gang eine gewisse Aggressivität, die aber durch den sensiblen Ausdruck seines Mundes wettgemacht wurde.

In allem hatte Bracciano Glück gehabt, nur nicht in seiner Ehe. Seiner langen Abwesenheiten müde, hatte sich seine Frau Isabella in eine Affäre mit einem Verwandten ihres Mannes eingelassen, mit Troilo Orsini, der, als erster über seinen Verrat erschrocken, nach Paris geflohen war, wo er sich vor der Vendetta von Bruder und Ehemann sicher glaubte. Ein Jahr später traf ihn dort die Kugel eines von Francesco di Medici gedungenen Schützen, ohne ihn allerdings zu töten; so konnte ihm der Vollstrecker der Hinrichtung, bevor er ihm den Gnadenstoß gab, noch sagen, wer ihn gesandt hatte.

Durch Isabellas Ehebruch hatten nach dem Verständnis der Zeit Francesco di Medici und Bracciano das Gesicht verloren. Darum mußte auch Isabella sterben. Dieses ungeschriebene Gesetz, so barbarisch es war, wurde im ganzen Land so widerspruchslos akzeptiert, daß Gregor XIII., als man ihm die Hinrichtung Troilo Orsinis meldete, ganz natürlich, als ob sich die Sache von selbst verstünde, fragte:

»Und was geschah mit der Herzogin?«

Erstaunlicherweise war mit ihr nichts geschehen. Seit fünf Jahren war sie in der Burg von Bracciano eingeschlossen und wartete auf den Tod, aber der Tod kam nicht, weil ihr Mann sich nicht entschließen konnte, sie zu töten. Er hatte sie geliebt. Sie hatte ihm einen Sohn geboren: Virginio. Im übrigen stand diesem Krieger der Sinn nicht nach Blut, schon gar nicht nach dem Blut einer Frau, das, wie er wohl ahnte, seinen Ruhm nicht vermehren würde, selbst wenn die Sitte die Hinrichtung einer Ehebrecherin entschuldigte, ja sogar verlangte. Ist es nicht seltsam, daß gerade in einem solchen Fall die Aufforderung unseres Heilands zur Vergebung – »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!« – weder vom Volk noch von den Fürsten gehört wird? Ich wage die Frage: Ist etwa unser Christentum im täglichen Leben nur Lippenbekenntnis?

Um auf den 19. März zurückzukommen – als ich sah, daß die Uhr auf meinem Schreibtisch fünf Minuten vor fünf Uhr zeigte, |75|schrieb ich auf ein Stück Papier: »Es ist Zeit, Euer Eminenz«, erhob mich und legte es in die Hände des Kardinals, wohlgemerkt: in die Hände und nicht auf die Knie, wie er später behauptete. Ich kehrte an meinen Platz zurück und war sehr erstaunt, daß der Kardinal seine Nichte nicht umgehend entließ, wie er es sonst nach meinem Hinweis immer tat. Ich schwankte, ob ich ihn noch einmal mahnen sollte, aber weil er schon tags zuvor meinen »Übereifer« gerügt hatte, unterließ ich es. Und das sollte mir schlecht bekommen, denn Schlag fünf Uhr trat Fürst Orsini, Herzog von Bracciano, mit seinen langen schnellen Schritten, die immer den Anschein erweckten, er wolle zum Sturmangriff übergehen, in das Zimmer – niemand hatte ihn angekündigt, wir hatten ja keinen Majordomus.

Der Fürst schritt auf den Kardinal zu, ein höfliches Lächeln auf den Lippen, als er plötzlich Vittoria bemerkte. Er blieb abrupt stehen, schien wie betäubt, erbleichte, starrte sie an und war keines Wortes fähig. Der dicke Teppich auf dem Fliesenboden hatte das Geräusch seiner Schritte verschluckt, so daß Vittoria ihn nicht hatte kommen hören. Mit ihrer klaren, singenden Stimme las sie weiter aus den »Bekenntnissen«, bis Seine Eminenz sie mit nur mühsam unterdrücktem Ärger aufforderte:

»Vittoria, laßt uns jetzt bitte allein. Ich habe mit dem Fürsten Orsini zu reden.«

Vittoria schaute auf, bemerkte Bracciano und erhob sich. Das Buch entglitt ihren Händen, sie sah es mit Bestürzung zu Boden fallen, doch ihr Blick kehrte zu Bracciano zurück. Sie sah ihn unverwandt an, während sie mit zitternder Stimme zum Kardinal sagte:

»Mein Vater, bitte verzeiht mir mein Ungeschick.«

»Schon gut, schon gut«, antwortete der Kardinal mit blitzenden Augen. »Rossellino wird es aufheben. Rossellino, begleitet Vittoria hinaus!«

Unschlüssig, welchen der beiden Befehle ich zuerst ausführen sollte, zögerte ich einen Augenblick, als er mich auch schon wütend anfuhr:

»Seid Ihr genauso taub wie stumm, Rossellino? Ihr sollt Vittoria hinausbegleiten!«

Diese schien aus ihrer Trance zu erwachen, küßte ihrem Onkel mechanisch die Hand, schritt mit gesenkten Augen an dem |76|regungslosen Fürsten vorbei und trat durch die Tür, die ich ihr aufhielt. Sie ging vor mir her, erst an der Treppe holte ich sie ein und war mit ihr auf gleicher Höhe, als sie hinabzusteigen begann. Die Spitzen ihres goldenen Haars berührten die Stufen. Ihre linke Hand auf dem Marmorgeländer zitterte, und als ich mich vor der Hoftür von ihr verabschiedete – ihre Kammerfrau kam ihr mit der Maske und dem weiten Cape, unter dem sie ihr Haar verbarg, entgegen –, schenkte sie mir nicht das gewohnte freundliche Lächeln. Die Kammerfrau legte ihr das Cape um die Schultern, Vittoria setzte selbst die Maske auf, bevor sie die Kapuze hochschlug. Sie schob die Halbmaske aus schwarzem Samt mit drei kleinen Brillanten zwischen den Augen zunächst auf die Stirn, um das Band im Nacken besser befestigen zu können. Ihre Augen waren halb geschlossen, ihr schönes Gesicht erschien mir bleich und völlig ausdruckslos. Als sie die Samtmaske endlich über ihr Gesicht zog, hatte ich den Eindruck, eine Maske aus Stoff verdecke eine Maske aus Fleisch und Blut.

 

 

Aziza, die Wespe:

 

Ich bin in Tunis geboren, meine Eltern sind Mauren, wie man hierzulande sagt. Mit zehn Jahren wurde ich am hellichten Tag aus der Medina von Banditen entführt und an einen Piraten verkauft, der, sowie ich an Bord war, unter Segel ging, um entlang den Küsten des Adriatischen Meeres Freibeuterei zu betreiben. Er hieß Abensur. Er hatte mich nicht als eine Ware zum Weiterverkaufen erworben, sondern wollte sich während seines gefahrvollen Unternehmens in seinen Mußestunden an mir erfreuen.

Abensur war gläubig und auf seine Art ein gewissenhafter Mann. Als er von mir erfuhr, daß ich noch nicht voll entwickelt war, schwor er, mich nicht zu entjungfern, bevor ich nicht die Regel hätte. Und er schenkte mir einen kleinen Dolch, damit ich mich gegen die Handgreiflichkeiten der Matrosen zur Wehr setzen könne. Ich bin schon immer lebhaft und behend wie ein Äffchen gewesen. Zweimal mußte ich nach einer Hand stechen, die mir zu nahe kam. Von da an belästigte mich niemand mehr, und alle nannten mich »die Wespe«.

Die Winde der Adria sind noch launischer als die des Mittelmeeres; |77|mal fauchen sie wie die Furien, dann flauen sie ab. Als Abensur am Horizont die venezianischen Galeeren auftauchen sah, befahl er zu wenden, und die Tartane flog vor dem Wind über die Wellen. Doch nach einer Stunde legte sich der Wind, wir kamen nicht mehr vom Fleck, und die Galeeren näherten sich bedrohlich. Als abzusehen war, daß wir gekapert würden, schnallte Abensur, wohl wissend, daß auf seinen Kopf eine Prämie ausgesetzt war, den Gürtel mit seinem Gold um und sprang ins Meer. In dunstiger Ferne erschienen die Küsten eines Landes, das man Albanien nennt. Später erfuhr ich, daß die Albaner ein wildes Volk sind. Sie hassen die Türken, die seit Jahrhunderten versuchen, sie zu unterjochen. Noch mehr aber hassen sie die Berber, die an ihren Küsten räubern. Doch wer weiß? vielleicht hat es Abensur trotzdem geschafft, an Land zu gehen und zu überleben. Gott ist groß!

Abensur hatte mir gefallen. Er war hart und sanft zugleich, wie richtige Männer sind. Und ich wartete ungeduldig darauf, Frau zu werden, damit er mich nähme.

Die Matrosen auf der venezianischen Galeere, die uns aufbrachte, waren keine Sklaven, sondern Freie. Sie bewiesen es sofort: wer von den Unseren beim Entern überlebte, wurde in Ketten gelegt, um in Venedig verkauft zu werden. Über mich sollten die Würfel entscheiden. Ich fiel an einen stinkenden und bärtigen dicken Einäugigen, der mir von allen der Schlimmste zu sein schien, offenbar aber den Ton angab. Sowie ich das begriffen hatte, lief ich weg, und als er mich bedrängte, stach ich ihn in den Arm. Er stieß ein wütendes Geheul aus und rief seine Kameraden zusammen: ich wurde ergriffen und entwaffnet. Der Einäugige schäumte vor Zorn, riß mir die Kleider vom Leib und band mich in der prallen Sonne nackt an die Reling. Bis zum Einbruch der Nacht, erklärte er, werde er mich in der Hitze schmoren lassen und mich dann den Gelüsten der Besatzung ausliefern. Anschließend werde er selbst sich ergötzen und mich erstechen.

Auf seinen Befehl sollte ein sehr junger Matrose, der offenbar mehr Ohrfeigen als gute Worte bekam, mir alles ins Arabische übersetzen. Kaum war er damit fertig, mußten alle Mann auf ihre Posten. Ich blieb allein, die Sonne brannte, und die Stricke schnitten mir in Arme und Beine. Nach kurzer Zeit schlängelte sich der Schiffsjunge, der meine Sprache sprach, |78|zwischen dem Tauwerk heran und gab mir zu trinken. Er heiße Folletto, flüsterte er, und habe Mitleid mit mir, da er selbst oft geschlagen werde. Er hatte große schwarze Augen und ein hübsches, sanftes Mädchengesicht. Bei genauerem Hinsehen wurde mir klar, worin seine Aufgabe an Bord bestand. Auch auf unserer Tartane hatte es einen Schiffsjungen für diesen Zweck gegeben. Aber die roumis1 der Galeere – im Unterschied zu unseren Matrosen – dankten Folletto nicht für seine Gefälligkeiten, sondern schlugen und verachteten ihn.

Solange meine Marter dauerte, kamen die Hurensöhne der Reihe nach heran, starrten mir frech ins Gesicht, betasteten und befühlten mich wie einen Hammel, den man auf dem Markt kaufen will, und grinsten mich an. Ich bemühte mich, gute Miene zu machen, aber abgesehen davon, daß mich die brennende Sonne schrecklich quälte, zitterte ich vor Angst, weniger in Gedanken an den Dolchstoß, der alles beenden würde – und den ich sogar herbeisehnte –, sondern weil ich mir ausmalte, was ich vorher von diesen Schweinen alles würde erdulden müssen. Mir war übel bei der Vorstellung, wie sich diese grobschlächtigen Männer auf mir wälzen würden, und mehr als einmal bedauerte ich, mich nicht Abensur hingegeben zu haben.

So mädchenhaft Folletto sein mochte, mangelte es ihm doch nicht an Mut, und unter Einsatz seines Lebens – der Allmächtige möge es ihm lohnen! – kroch er bis zum Heck der Galeere und berichtete dem Kapitän von meinen Qualen. Der kam zur Klärung der Angelegenheit persönlich nach vorn, was er sonst niemals tat, wie mir Folletto sagte. An seiner prächtigen Kleidung und seinem stolzen Ausdruck merkte ich, daß er nicht nur der Kapitän dieses Schiffes war, sondern auch ein großer Emir in seinem Land. Ich fand ihn sehr schön: himmelblaue Augen, Haar von der Farbe eines Goldstücks, Schultern so breit wie eine Tür, und so groß, daß ich ihm gerade bis zur Brust reichte. Hinter ihm folgten ein magerer Langer, offenbar sein Erster Offizier, und Folletto, der seine Fragen ins Arabische übersetzte.

»Wie heißt du?«

»Aziza, die Wespe.«

»Warum ›die Wespe‹?«

|79|»Weil mein Herr Abensur mir einen kleinen Dolch geschenkt hat, damit ich mir die Matrosen vom Leibe halten kann.«

»Du warst also noch Jungfrau?«

»Ich bin es immer noch. Abensur hat mich nicht berührt.«

»Wer hat dich hier angebunden?«

»Der Einäugige. Er hat mich im Spiel gewonnen, und ich habe ihn gestochen.«

Der blonde Emir schien nachzudenken; mit leiser Stimme sprach er lange zu seinem Ersten Offizier. Folletto hatte mir erzählt, der Emir und er selbst seien Römer, die Mannschaft komme aus Venedig. Der Emir kannte die Venezianer zu gut, um sie durch übereiltes Handeln gegen sich aufzubringen.

Schließlich befahl er Folletto, mich loszubinden, und der Erste Offizier sollte den Einäugigen holen. Die Stricke waren so festgezurrt, daß sie mir ins Fleisch schnitten, und ich konnte mich, ihrer ledig, kaum auf den Beinen halten. Der Emir hieß den Schiffsjungen, mir zu trinken zu geben und mir beim Anziehen zu helfen. Die ganze Zeit wandte er kein Auge von mir. Seine Augen gefielen mir, mal waren sie zartblau wie der Morgenhimmel, mal – wenn er ärgerlich wurde – stahlblau wie eine Klinge.

Als der Einäugige erschien, zog er mit einer tiefen Verbeugung seine Mütze vor dem Emir, redete ihn mit »Durchlaucht« an, sprach aber wie ein Mann, der sich im Recht glaubt: »Durchlaucht wissen genau, daß eine erbeutete Frau der Mannschaft gehört. Die da gehört mir. Ich habe sie beim Würfeln gewonnen.«

»Das ist eine Wespe. Sie hat dich gestochen. Und sie wird dich wieder stechen.«

»Sie wird mich nicht mehr stechen, denn ich werde sie zerquetschen.«

»Dann hast du nichts von ihr. Verkauf sie mir.«

»Mit Verlaub, Durchlaucht«, sagte der Einäugige und guckte mich böse an, »ich will sie lieber zerquetschen.« Der blonde Emir wandte sich an seinen Ersten Offizier: »Ruf sofort die Mannschaft zusammen!«

Alsbald waren die Matrosen im Kreis um uns versammelt, und der Emir sagte:

»Dieses Mädchen ist eine Wespe. Sie hat den Einäugigen gestochen, er will sie deshalb zerquetschen, nachdem ihr euern |80|Spaß mit ihr hattet. Ich möchte sie ihm abkaufen. Wenn er einwilligt, zahle ich jedem von euch zehn Dukaten als Entschädigung.«

Wie Folletto mir später erklärte, hatte der Emir nicht zufällig von zehn Dukaten gesprochen. Das war der Preis einer berühmten Dirne in Venedig, wo die Galeere bei gutem Wind in drei oder vier Tagen einlaufen sollte.

Der Vorschlag wurde von den Matrosen einstimmig begrüßt, und der Einäugige begriff, daß für ihn der Moment zum Einlenken gekommen war. Sonst hätte er nicht nur den Emir, sondern auch seine Kameraden gegen sich.

»Durchlaucht«, sagte er mit einer zweiten Verbeugung, »da Ihr zu meinen Gefährten so großzügig seid, will ich es auch zu Euch sein. Ich verkaufe Euch die Wespe für fünfhundert Dukaten.«

»Fünfhundert! Teufel nochmal!« rief der Emir. »Deine Großzügigkeit kommt mich teuer zu stehen!«

Dabei lächelte er und schien mich mageres Kätzchen abzuwägen.

»Der Preis wiegt schwer, die Ware leicht …«, sagte er. Die Männer lachten über diesen Witz, nur der Einäugige blieb ungerührt und wollte von der geforderten Summe nichts nachlassen.

»Durchlaucht, der Preis einer Ware läßt sich nur an dem Vergnügen messen, das man sich von ihrem Besitz verspricht.«

»Sieh einer an, gar nicht dumm, Meister«, erwiderte der Emir. »Du bekommst deine fünfhundert Dukaten, der Erste Offizier wird sie dir sofort vorzählen.«

Der kam tatsächlich nach kurzer Zeit mit einem großen Jutesack, ließ sich auf einem Schemel hinter einem quergelegten Faß nieder und zählte jedem der Männer zehn, dem Einäugigen fünfhundert Dukaten vor.

In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so viele Goldstücke gesehen. Ich fragte Folletto leise, warum der Emir solch ein Vermögen hergebe.

»Na, um dich loszukaufen«, sagte er auf arabisch.

»Um mich loszukaufen?« wunderte ich mich. »Der Emir brauchte dem Einäugigen doch nur die Kehle durchzuschneiden?«

»Nein, nein«, lachte Folletto, »so einfach ist das in Venedig nicht. Dort wird verkauft und gekauft.«

|81|Der Emir stellte Folletto, den er als Dolmetscher brauchte, in meinen Dienst, und so entging der arme Junge fortan der Geilheit und den Mißhandlungen der Besatzung. Auf Weisung des Emirs lehrte er mich Italienisch, so wie es in Rom gesprochen wurde, nicht wie in Venedig. Ich machte rasch Fortschritte, denn ich wollte leidenschaftlich gern meinen neuen Herrn verstehen und mich ihm verständlich machen. Folletto erklärte mir, daß sein eigener Name eigentlich ein Spitzname sei und »Kobold« bedeute. Sicher war es ein Versehen der Natur, aus Folletto einen Knaben zu machen: nur sein Glied war männlich, alles andere an ihm war weiblich.

Der Herzog – ich muß ihn jetzt mit seinem italienischen Titel anreden – erklärte mir lachend, er sei ein ebenso ehrenwerter Mann wie der Seeräuber Abensur und werde mich erst nehmen, wenn ich voll entwickelt bin. Er forderte mich aber auf, während der Siesta bei ihm zu liegen, und schien zufrieden, in meinen Augen wahnsinnigen Stolz und große Freude über diesen Vorschlag zu lesen. Es war sehr heiß in der Kabine, er schlief nackt, und ich war wie geblendet von seiner weißen Haut und den Proportionen seines mächtigen, wie aus Marmor gehauenen Körpers. Ich habe später in Italien eine Statue gesehen, den Farnesischen Herakles; sie ist ihm sehr ähnlich und vermittelt den gleichen Eindruck von Kraft. Gott ist groß, der mich in das Bett dieses Mannes geführt hat!

Seine Schenkel hatten den Umfang meines Oberkörpers, und sobald er seine Beine nur ein wenig streckte, wurden seine Muskeln stahlhart. Ich staunte über seine breiten Schultern und seine mächtige gewölbte Brust mit dem kurzen blonden Fell. Auch im Schlaf wich die Kraft nicht aus seinem Körper, im Gegenteil. Manchmal bewegten sich kleine Muskeln unter der Haut wie eine leicht gekräuselte Wasserfläche bei ruhiger See. Auf den Ellenbogen gestützt, betrachtete ich ihn, ganz erfüllt von dem Verlangen, meine kleine Hand über die weiten Gefilde seines Körpers zu führen, wagte es allerdings nicht, da ich bei aller Anbetung sehr viel Respekt vor dem Herzog hatte. Nicht nur der Hitze wegen fühlte ich mich schlaff. Die Dünung der Adria hob und senkte die Galeere, und mir war, als ob mein Herr mich in seinen Armen wiege.

Beim Erwachen schien er zunächst überrascht, mich an seiner Seite zu sehen, dann erkannte er mich und lächelte, und als |82|er in meinen Augen las, was ich fühlte, murmelte er unverständliche italienische Worte, die mir wie süße, einschmeichelnde Musik in den Ohren klangen. Er zog mich an sich und streichelte mich. Ich war erstaunt, daß er so sanft und geduldig sein konnte. Schauer überliefen mich, ich zitterte wie Espenlaub und stöhnte im Rhythmus seiner Zärtlichkeiten. Bisher hatte ich nie gestöhnt oder geschrien, wenn ich mich einmal selbst liebkoste. Die mir von meinem Herrn bereitete Lust war unendlich viel schöner. Mein Kopf lehnte an seiner breiten Schulter, in seinen großen Händen fühlte ich mich wie eine willenlose Puppe; ich überließ mich ihm und hatte nur den einen beseligenden Gedanken (den ich mit jedem Stöhnen wiederholte): ›Er ist mein Herr. Ich gehöre ihm. Er kann machen mit mir, was er will.‹

Als alles vorbei war und ich sah, wie meine Erregung ihn nicht gleichgültig gelassen hatte, streckte ich meine Hand nach seinem Glied aus. Er hielt mich am Handgelenk zurück, schüttelte lächelnd den Kopf und sagte auf italienisch zu mir: »Erst, wenn ich dich genommen habe.« Da ich ihn nicht verstand, rief er Folletto, der nebenan in einer Kammer schlummerte oder wenigstens so tat, und hieß ihn übersetzen. Immer noch lächelnd, fuhr er dann mit seinen großen Fingern durch mein schwarzes Lockengewirr, drehte mir den Rücken zu und schlief ein.

Später, als mein Herr sich wieder angezogen hatte und auf die Kommandobrücke hinausgetreten war, fragte ich Folletto, warum er meine Liebkosungen abgewiesen habe. Folletto überlegte. Dank seiner zwitterhaften Veranlagung kannte er die Männer genauso gut wie die Frauen. Doch er mußte immer erst ein wenig nachdenken, um seine Empfindungen zu entwirren.

»Du fühlst dich ihm durch die bloße Liebkosung schon zugehörig«, sagte er. »Hingegen wird er dich als die Seine erst betrachten, wenn er in dich eingedrungen ist. Die Männer legen ungeheuren Wert darauf, eine Frau mit ihrem Glied zu erobern. Sie begreifen nicht, daß die Frauen sich immer schon vorher hingeben.«

»Das stimmt, Folletto. Wieso weißt du das alles so genau?«

»Weil auch ich in den Fürsten verliebt bin, Aziza. Und wenn du in seinen Armen stöhnst, möchte ich an deiner Stelle sein, nicht an seiner.«

|83|Dieses Geständnis war mir peinlich, und ich wechselte das Thema.

»Was wird er bei unserer Rückkehr nach Rom mit mir machen? Wird er mich verkaufen? Mich in seinen Harem stecken?«

Folletto lachte: »Die roumis, Aziza, haben keinen Harem. Sie haben eine Ehefrau. Und manchmal nehmen sie sich eine Konkubine.«

»Eine Konkubine?« fragte ich verblüfft. »Nur eine?«

»Manchmal haben sie auch mehrere, aber nie gleichzeitig.«

Der Gedanke, mein Herr könnte dereinst meiner überdrüssig sein und sich dann meiner entledigen, stimmte mich traurig. Ich gestand Folletto meine Befürchtungen.

»Nein«, sagte er, »dich wird er behalten.«

»Warum?«

»Weil du ihm gehörst, ohne ihn als dir gehörig anzusehen. Er braucht von dir also keine Schreie, keine Tränen, keine Launen, Eifersuchtsszenen und ständigen Geldforderungen zu befürchten. Du wirst für ihn immer der Hafen bleiben, wo er nach überstandenen Stürmen einlaufen und Anker werfen kann.«

Waren Follettos Worte eine Prophezeiung oder ein Rat? Ich weiß es nicht. Obwohl es mir manchmal schwergefallen ist, habe ich seinen Rat befolgt, so daß sich die Prophezeiung erfüllte.

Einen Monat nach diesem Gespräch bekam ich meine erste Regel, und als sie vorbei war, nahm mich mein Herr während der Siesta. Er bereitete mich so zärtlich vor, ging so behutsam und schonend zu Werke, daß ich dabei kaum Schmerzen verspürte, sondern nur die Freude und den Stolz, Frau zu sein, als endlich sein mächtiges Glied in mich eingedrungen war.

Die Flotte unserer Galeeren durchfurchte unablässig das Adriatische Meer auf der Suche nach berberischen Piraten, doch immer seltener mit Erfolg, denn der Ruf der Unbesiegbarkeit, der dem Fürsten vorauseilte, hatte alle in Angst und Schrecken versetzt. Als ich hinreichend Italienisch sprechen und verstehen konnte, fand mein Herr es an der Zeit, mich zu seinem Glauben zu bekehren. Bei unserem Zwischenaufenthalt in Venedig ließ er einen Priester an Bord kommen, der mich unterweisen sollte.

Ehe der Priester den Mund aufmachte, hegte ich etliche Befürchtungen hinsichtlich dessen, was der roumi mich lehren würde. Aber als er mir erklärte, daß Gott Himmel und Erde und |84|den Menschen erschaffen habe, daß er Herr über das Schicksal der Menschen sei, daß Gehorsam gottgefällig, Ungehorsam dagegen sündhaft sei, daß die Guten nach dem Tode ins Paradies kämen, die Bösewichte aber in der Hölle dem Teufel überantwortet würden, begriff ich, daß der Gott der Christen und Allah ein und derselbe Gott waren, angerufen mit verschiedenen Namen, je nachdem ob man in Tunis oder Rom geboren war. Ich hatte keine Gewissensbisse mehr, mich taufen zu lassen. Doch in der Nacht erwachte ich manchmal und sagte mir: ›Ach ja, arme Aziza, nun bist du also eine roumia und die Konkubine eines roumi! Was würde man in der Medina von dir denken, was würden deine armen Eltern denken, wenn sie es wüßten!‹ Und ich mußte lachen und weinen: lachen, wenn ich an mich, weinen, wenn ich an meine Eltern dachte.

Seit unserer Rückkehr nach Rom hat es andere Frauen im Leben des Fürsten gegeben, doch wie Folletto gesagt hatte: nicht gleichzeitig, sondern nacheinander (denn so verstehen die roumis den Harem); mich hat er behalten und zu seiner Vertrauten und Freundin gemacht, der er keine seiner Liebschaften verheimlicht.

Trotzdem begehrt er nach wie vor meine Zärtlichkeiten, so wie auch ich ihn begehre. Von Zeit zu Zeit läßt er mich durch Folletto rufen, der mit einem neidvollen Seufzer sagt: »Geh, er verlangt nach dir.« Bei meinem Eintritt liegt der Fürst nicht auf seinem Bett, sondern sitzt, den Rücken mit Kissen gestützt. Schweigend strecke ich mich zwischen seinen Schenkeln aus. Mit beiden Händen liebkost er meinen Lockenkopf, während seine Beine allmählich steif werden und meinen Körper gleichsam wie in einen Schraubstock gespannt halten. Mir gefällt seine gebieterische Art, mich wie eine Stute unter seine Schenkel zu pressen. Mir gefällt auch, wie seine Hände sich immer fester auf meinen Kopf stützen und mir den Rhythmus seine Galopps aufzwingen, bis ein rauhes Röcheln aus seinem tiefsten Innern hervorbricht. Es erfüllt mich mit Stolz, ihm diesen Moment höchsten Glücks, in dem er ganz mir gehört, zu schenken. Mühsam kommt er wieder zu Atem und sagt: »Komm, steig wieder auf.« Ich schmiege mich an ihn, den Kopf auf seinem Herzen, und sage:

»Oh, wie mächtig es schlägt! Wie kräftig es ist! Es wird niemals aufhören zu schlagen!«

|85|»Doch, eines Tages wird es stehenbleiben.«

An seiner veränderten Stimme spüre ich: er denkt an seine Schenkelwunde, und sage ihm zu wiederholtem Male, daß ihn die christlichen Ärzte schlecht behandelt haben. In Tunis gibt es zwei berühmte Ärzte, einen Araber und einen Juden, die ihn bestimmt besser kuriert hätten.

»Aber wie soll ich nach Tunis reisen?« sagt er achselzuckend. »In dieses Piratennest! Wo ich so viele von ihresgleichen an den Galgen gebracht habe!«

Ich höre auf sein Herz, das jetzt ruhiger schlägt. Mit angezogenen Beinen liege ich auf der Seite, meinen Kopf unter seiner linken Achsel, und kann, wenn ich den Arm über seinen gewölbten Brustkorb lege, mit den Fingerspitzen kaum seine rechte Achselhöhle erreichen, so breit ist er.

Ich bin jetzt sechzehn Jahre alt. Ich esse, wie ich Appetit habe, und ich habe meist großen Appetit. Doch ich bin weder gewachsen noch dicker geworden. Ich wiege nicht viel mehr als eine Feder. Meine Brüste sind kaum größer als Granatäpfel, mein Hintern ist klein, rund und fest wie der eines Knaben. Ich weiß wirklich nicht, was der Fürst an mir liebenswert findet, abgesehen vielleicht von meiner mattbraunen Haut und meinem Gesicht mit den Gazellenaugen, der kleinen Nase, dem vollen Mund und den schwarzen Locken.

Ich presse die Nase an seine Hand, die so gut riecht, die immer gut riecht, sogar wenn er schwitzt, und warte schweigend. Trotz meiner Ungeduld bedeutet Warten Genuß. Paolo ist gerecht: er schickt mich nicht weg, ohne nicht auch mich befriedigt zu haben. Ich schließe die Augen und bin ganz Erwartung.

Manchmal streiten wir uns auch – immer über das gleiche Thema: ein Thema, bei dem ich, obwohl ich sonst so gut zu schweigen weiß, vor Unwillen meine Zunge nicht im Zaume halten kann.

»Schon vor fünf Jahren hättest du es tun sollen! Sie hat dich mit einem Verwandten betrogen. Wie schamlos! Du hast dich damit begnügt, sie in der Burg von Bracciano einzuschließen. Und jetzt gibt sie sich Wächtern, Stallknechten, Maultiertreibern und Küchenjungen hin. Sie bringt dich jeden Tag mehr in Schande!«

Seine Augen werden stahlblau, und er stößt mich hart zurück.

|86|»Halt den Mund, du Barbarin! Du, eine Frau, verlangst von mir, eine Frau zu töten. Du bist keine Christin. Du bist nicht christlicher als Francesco di Medici, als sein Bruder, der Kardinal, oder der Papst! Sobald die Rede von Isabella ist, beschwört mich Francesco, ›mich wie ein Edelmann‹ zu verhalten. Sein Bruder beschwört mich, ›wie ein Christ‹ zu handeln. ›Wie ein Christ‹ – was für ein Hohn! Und der Papst äußert öffentlich scheinheiliges Erstaunen darüber, daß ich meine Angelegenheiten ›noch nicht in Ordnung gebracht habe‹! Hör mir gut zu, Aziza, und schreib es dir hinter die Ohren: ich bin Soldat und kein Henker!«

Ich schweige. Ich sitze auf dem Bett, die Arme um die hochgezogenen Knie geschlungen, schaue ihn von der Seite an und mache ein Gesicht wie ein gescholtenes, geschlagenes kleines Mädchen, obwohl er noch nie die Hand gegen mich erhoben hat. Diese Miene besänftigt ihn immer und amüsiert ihn zugleich. Er ist ja nicht dumm. Er ist ein Mann, der alles an den Frauen liebt, selbst ihre kleinen Listen. »Komm her, du böses Mädchen«, sagte er kurz darauf. Ich werfe mich in seine Arme, seufze tief auf und schmiege mich an ihn. Wenn er mich jetzt doch nehmen wollte, wie glücklich wäre ich, unter seinem mächtigen Körper begraben zu sein.

Ich bin nicht blutgierig und habe kein Interesse am Tod seiner Frau. Ich bin Paolos Sklavin, nicht einmal seine Konkubine. Aber es macht mich rasend, daß diese Frau ihn entehrt. Ich höre sehr wohl die Bemerkungen, die hier und da und sogar auf der Straße über ihn gemacht werden. Es bringt mich zur Verzweiflung, daß man diesen Helden einen Feigling nennt, sei es auch nur hinter vorgehaltener Hand.

Dieser letzte kleine Streit fand zwei Tage vor dem 19. März statt. Nach dem 19. März änderte sich natürlich alles.

 

 

Raimondo Orsini (il bruto1):

 

Mein Bruder Lodovico, Graf von Oppedo, und ich gehören zur jüngeren Linie der Orsinis. Das Oberhaupt der älteren Linie – und damit zugleich der ganzen Familie – ist Paolo Giordano |87|Orsini, der allergrößte, allerschönste, allermutigste Herzog von Bracciano. Er residiert in all seiner Pracht im Palazzo Montegiordano, von vier Türmen flankiert und nur durch den Tiber von der Engelsburg getrennt. Lodovico und ich, wir müssen uns mit einem wesentlich kleineren Haus bescheiden, ohne Ecktürme, und besitzen auch nicht, wie Bracciano, das Asylrecht.

Ich finde diesen Zustand unerträglich. Wieso sollen wir – die wir ja ebenfalls Orsinis sind, auch wenn wir zur jüngeren Linie gehören – nicht das Recht haben, in unserem Haus Herberge und Schutz zu gewähren, wem immer wir wollen – zum Beispiel einem Straßenräuber –, ohne daß der Bargello della Corte bei uns eindringen, unseren Gast festnehmen, ihm kurzerhand den Prozeß machen und ihn aufhängen kann? Welcher Orsini könnte so eine Beleidigung ertragen?

Paolo Giordano ist uns gegenüber noch in anderer Hinsicht im Vorteil. Nicht nur durch die Erbschaft hat er einen gut gefüllten Geldbeutel, er hat sich auch noch ein hübsches Vermögen erworben. Die fünf Jahre in Venedigs Diensten haben seinen Reichtum beträchtlich vermehrt. Die Hälfte seiner Beute ging an die Serenissima, die andere Hälfte an ihn.

Paolo Giordano hat sich uns immer als guter Verwandter gezeigt und nicht mit seinen Piastern gegeizt. Aber seit kurzem hält er seinen Geldbeutel gut verschnürt. Im Januar sagte er zu mir: »Raimondo, hier sind zehntausend Piaster für Lodovico und dich. Hör gut zu! Das sind die letzten, die ihr bekommt. Eure Taschen haben Löcher. Euch flottmachen zu wollen ist wie der Versuch, das Faß der Danaiden zu füllen.« Ich glaube jedenfalls, daß er »Danaiden« gesagt hat. Ich kenne diese Leute nicht und weiß auch nicht, warum sie Wein in ein löchriges Faß gefüllt haben.

Das schlimme ist: es hat sich herumgesprochen, daß Paolo unsere Schulden nicht mehr bezahlen würde. Und von diesem Tage an haben wir nicht das kleinste Darlehen mehr bekommen, nicht einmal bei den Juden. Nachdem die zehntausend Piaster verpulvert waren, mußten wir zum äußersten Mittel Zuflucht nehmen: wir haben zwei unserer Leute ausgeschickt, von den Reisenden in den Nora-Bergen Lösegeld zu erpressen. Leider sind diese Elenden rohe Kerle, die sich mit Diebstahl allein nicht zufriedengeben. Sie töten auch, häufig ohne zwingenden Grund.

|88|Es stimmt, daß ich in meiner Jugend il bruto genannt wurde, weil ich kräftige Fäuste und schnelle Füße hatte und zum Degen griff, sobald eine Sache schiefzugehen drohte. Aber auch darin liegt eine gewisse Ungerechtigkeit. Mein Bruder Lodovico zieht genauso schnell blank, ist aber niemals il bruto genannt worden, weil er ein hübsches Gesicht hat und lesen und schreiben kann.

Ich kann meinen Namen schreiben, und das reicht. Ich finde, für einen Edelmann ist der Degen nützlicher als die Feder. Nach dieser Vorrede soll man aber nicht denken, daß ich nicht auch sehr gut wüßte, was sich schickt.

Am 28. März hat Paolo mich in den Palazzo Montegiordano gebeten und in seinem Billett hinzugefügt: »Komm bitte möglichst unauffällig, ohne zwanzig Mann Gefolge.« Als mir mein Sekretär diesen Satz vorlas, packte mich die Neugier.

»Wie geht es dir, Raimondo?« begrüßte mich Paolo mit seiner üblichen Herzlichkeit in dem großen Saal von Montegiordano. »Wie kommst du klar, mein Junge, nachdem ich dir den Geldhahn zugedreht habe?«

»Ganz gut.«

»Ganz gut in puncto Finanzen oder ganz gut in puncto Moral?«

Ich lächelte statt einer Antwort, nicht ahnend, daß er über unsere Leute, die in den Nora-Bergen ihr Unwesen trieben, Bescheid wußte.

»Ah, du willst mir nicht antworten!« lachte er. »Du hast wohl kein Vertrauen zu mir, deinem älteren Verwandten? Hältst du mich für den Bargello? Aber das macht nichts. Setz dich, Raimondo, und trink einen Becher von diesem guten Wein. Ich möchte dich um einen Dienst bitten.«

Ich nahm Platz. Doch er ging schweigend im Zimmer auf und ab und trank auch nicht. Und plötzlich ging mir ein Licht auf: Paolo, der große Paolo, der sonst so majestätisch und selbstsicher auftrat, war verlegen.

»Also gut‹, sagte er endlich, »ich habe mich entschlossen, dem schändlichen Leben von Isabella ein Ende zu machen.«

»Ach, das ist neu! Seit fünf Jahren sträubst du dich dagegen.«

»Siehst du, Raimondo, Isabella versinkt immer tiefer im Laster. Vor fünf Jahren war sie eine Ehebrecherin, jetzt ist sie eine Messalina.«

|89|Ich runzelte die Stirn.

»Was erzählst du da, Paolo? Ich verstehe kein Wort. Wer ist zunächst mal diese Messalina?«

»Eine Frau, die mannstoll ist und sich allen Männern hingibt, Tag und Nacht.«

»Und wo findet man dieses Wunder?«

»Aber Raimondo, das war eine Kaiserin im alten Rom, die vor vielen hundert Jahren gelebt hat.«

»Wenn sie tot ist, warum sprichst du von ihr?«

Ich dachte einen Moment nach, und da Paolo schwieg, fuhr ich fort:

»Mit einem Wort, Paolo, fünf Jahre lang hast du es abgelehnt, deine Frau zu töten. Jetzt bist du dazu entschlossen. Gut, das ist deine Sache.«

»Nein, Raimondo«, sagte Paolo und sah mich an. »Ich möchte, daß du die Sache erledigst.«

»Ich?«

»Ja, du. Selbstverständlich werde ich deine Dienste belohnen.«

Ich schwieg. So ein Vorschlag wurde mir zum ersten Mal gemacht, und um ehrlich zu sein: er mißfiel mir.

»Die Sitte will aber, daß der Ehemann die ehebrecherische Gattin eigenhändig tötet, denn er ist ja beleidigt worden«, sagte ich.

»Die Sitte gilt mir wenig, Raimondo. Ich will es anders. Ich gebe dir für Isabella ein Billett mit, damit sie weiß, daß du von mir geschickt bist.«

»Ja«, sagte ich langsam, »für den Notfall ginge das. Aber du bringst dich um ein großes Vergnügen, wenn du die Frau nicht selber tötest, die dich so oft gehörnt hat.«

Bei diesen Worten sah ich ihn erbleichen.

»Ich bringe mich um kein Vergnügen«, entgegnete er mit dumpfer Stimme. »Vergiß nicht, daß ich sie geliebt habe.«

Nach einer Pause sagte ich: »Du sprachst von einer Belohnung.«

»Zwanzigtausend Piaster.«

»Ich würde aber sagen: dreißigtausend!«

»Wenn du meinst«, sprach er zornig, »wenn du meinst! Wir wollen da nicht feilschen. Das wäre abgeschmackt.«

»Hör zu«, sagte ich, etwas pikiert über seinen Ton, »es kommt |90|dich billiger, wenn du das von einem der Banditen machen läßt, denen du in Montegiordano Asyl gewährst.«

»Das meinst du nicht im Ernst!« sagte er lebhaft. »Das wäre Isabellas und meiner unwürdig. Wenn schon nicht von meiner Hand, muß sie durch die Hand eines anderen Orsini sterben.«

Ich überlegte wieder einen Moment und fragte dann: »Paolo, du hast gesagt, sie sei eine Dirne. Erlaubst du, daß ich sie vorher als solche behandle?«

Mit zornfunkelnden Augen fuhr er mich an: »Du hast dich nicht geändert, Raimondo. Du bist und bleibst il bruto. Wer würde in so einem Moment an diese Dinge denken?«

Ich stand auf.

»Wenn ich il bruto bin«, zischte ich, »kann ich ja gehen.«

Er packte mich am Arm.

»Nein, Raimondo, ich bitte dich, sei nicht böse! ich brauche dich.«

Er zwang mich, wieder Platz zu nehmen.

Er ging ein paar Schritte durchs Zimmer, ehe er fortfuhr:

»Mit Isabella kannst du machen, was du willst, doch ich möchte nicht, daß sie unmenschlich behandelt wird.«

»Das war auch nicht meine Absicht. Selbst il bruto ist nicht gefühllos.«

»Ach, Raimondo«, sagte er und nahm meine Hand, »entschuldige, ich habe dich verletzt.«

»Nein, nein«, rief ich und zog schnell meine Hand zurück.

Wir wollten nicht mit diesem Mißklang auseinandergehen und unterhielten uns noch über dieses und jenes. Ich konnte jedoch nicht verwinden, was er zu mir gesagt hatte. Einmal mehr fand ich den Ruf bestätigt, den ich in der Familie habe: ein Rohling und ein Dummkopf zu sein. Ich wollte nicht von ihm scheiden, ohne ihm zumindest durch die Blume zu verstehen zu geben, daß ich nicht so begriffsstutzig bin, wie er glaubt.

»Paolo«, fragte ich mit Unschuldsmiene, »du hast deinen Sekretär verloren?«

»Verloren ist das richtige Wort. Er ist Priester geworden.«

»Falls du Ersatz suchst, könnte ich dir einen geeigneten Mann empfehlen.«

»Wen?«

»Marcello Accoramboni.«

|91|Paolo schien zu versteinern und verharrte einen Moment mit gesenktem Blick, keines Wortes mächtig. Ich fuhr gleichmütig fort:

»Marcello ist gebildet. Er hat früher sogar Latein gelernt.«

Er hob die Brauen und fragte: »Woher weißt du das alles, Raimondo? Kennst du ihn?«

»Nein, aber ich kenne ein Mädchen, das ihn oft sieht.«

»Wer ist das?«

»Caterina Acquaviva.«

»Und wer ist dieses Mädchen?«

»Das Kammermädchen von Vittoria Peretti.«

Er erbleichte, und um seine Verwirrung vor mir zu verbergen, drehte er mir den Rücken zu, schritt zum Fenster und blickte in den weiten Innenhof von Montegiordano. Dieser Blick lehrte ihn nichts Neues, wette ich. Die Verbannten, denen er Asyl gewährt hatte, kampierten dort Tag und Nacht. Er ernährte sie und wußte wohl, daß sie, gäbe er ihnen Waffen, der Macht des Papstes gefährlich werden konnten.

»Welcher Art ist deine Bekanntschaft mit diesem Mädchen?« fragte er, ohne sich umzudrehen.

»Ich gehe mit ihr ins Bett, wenn mir danach ist.«

»Könntest du mir eine Begegnung mit ihr vermitteln?«

»Gewiß. Doch das wäre nicht sonderlich angezeigt.«

Er drehte sich um und sah mir in die Augen.

»Warum?«

»Ihre Eltern sind aus Grottammare. Ich habe den Verdacht, daß Caterina in Montaltos Hand ist.«

»Gut, sprechen wir nicht weiter darüber.«

Bei diesen Worten nahm er meinen Arm und begleitete mich bis zur Treppe. Es freute mich, daß er so aufmerksam zu mir war, nachdem ich hinter seine kleinen Geheimnisse gekommen war. Ich war gerührt, meine Zuneigung für ihn erwachte aufs neue, und ich sagte:

»Als Ersatz kann ich dir ein Treffen mit Marcello Accoramboni vermitteln.«

»Wie das? Eben hast du gesagt, du kennst ihn nicht.«

»Das stimmt, doch er verkehrt mit dem mancino, Caterinas Bruder.«

»Wer ist dieser mancino

»Ein Brigant, der sich zum Zuhälter gemausert hat. Er treibt |92|sich in der Taverne ›Zum Ölberg‹ herum. Manche behaupten, er sei der Besitzer.«

»Du hast seltsamen Umgang, Raimondo«, sagte Paolo mit einem leichten Lächeln.

»Du aber auch, den Leuten nach zu urteilen, die ich in deinem Hof gesehen habe.«

Wir umarmten uns und trennten uns als gute Freunde, ohne daß er sich bezüglich Marcellos entschieden hätte. Paolo brauchte meine Hilfe in diesem Fall nicht mehr, denn er wußte jetzt durch mich, wer il mancino war und wo er ihn finden konnte.

Als Isabella mich in Begleitung meines Reitknechts Alfredo und einer starken Eskorte vor den Mauern von Bracciano auftauchen sah, begriff sie den Zweck meines Besuches, und es war kaum nötig, ihr Paolos Schreiben vorzuweisen. Trotzdem empfing sie mich mit ihrer gewohnten Freundlichkeit. Ihr schönes Gesicht zeigte nicht die mindeste Spur von Angst, und nachdem sie mich zum Sitzen aufgefordert hatte, plauderte sie höflich mit mir.

»Raimondo, sag Paolo vor allem Dank dafür, daß er mich nach meiner Affäre mit Troilo noch fünf Jahre hat leben lassen. Das war weit mehr, als ich hoffen durfte. Sag ihm auch, ich bin sehr gerührt, daß er es nicht übers Herz bringt, mich eigenhändig zu töten. Du natürlich auch nicht, Raimondo, du bist nicht der rechte Mann für diese Art Geschäft. Du hattest immer eine kleine Schwäche für mich, leugne es nicht. Und ich fand es immer ungerecht, daß man dich il bruto nennt. Du hast nicht die Augen und auch nicht den Mund einer Bestie.«

Sie erhob sich voller Anmut aus ihrem Sessel und küßte mich. Dann nahm sie wieder Platz, als sei nichts gewesen, und fuhr im Plauderton fort:

»Und wie gedenkst du die Sache zu erledigen, Raimondo?«

Ich schluckte meinen Speichel herunter und antwortete mit erstickter Stimme:

»Wie Recht und Gesetz es verlangen: mit einer roten Seidenschnur.«

»Oh, nein, Raimondo, so nicht, ich bitte dich!« rief sie. »Der Kopf eines Erdrosselten ist so abstoßend. Ich will nicht häßlich aussehen, auch nicht im Tode. Nein, Raimondo! Nimm den Dolch! Stoß mir den Dolch mitten ins Herz!«

|93|»Wie du willst«, sagte ich leise.

»Und noch eine kleine Bitte, Raimondo«, fuhr sie liebenswürdig fort und neigte den Kopf leicht zur Seite. »Gib mir noch drei Tage, ich bitte dich darum.«

»Um deine Angelegenheiten zu regeln?«

»Oh, nein!« Sie lachte ein helles Lachen. »Die sind seit fünf Jahren geregelt … Aber wie ich gesehen habe, sind viele gutaussehende Männer in deiner Eskorte, allen voran du selber. Und du hast mich immer begehrt, Raimondo, streit das nicht ab.«

»Entschuldige, Isabella«, sagte ich und blickte zu Boden. »Bei mir mag es ja noch angehen, ich bin dein Cousin wie Troilo. Aber alle die anderen … Wie konnte es geschehen, daß du so eine …« Ich suchte den Namen, den Paolo verwendet hatte, da er mir jedoch nicht einfiel, schloß ich: »… so eine unersättliche Frau geworden bist?«

Sie lachte abermals. Wie schön sie war! Diese Zähne, dieser Mund, diese Augen, dieses dichte schwarze Haar! Doch sie wurde wieder ernst und sagte:

»Als Paolo bei mir war, schliefen wir sehr oft miteinander, mehrere Male am Tag. Er war ein unermüdlicher Liebhaber, und auch mit seinem Mund vollbrachte er wahre Wunder. Und ich, Raimondo, ich hatte immer Lust. Immer. Und weil ich Paolo anbetete, habe ich, auch wenn er nicht bei mir war, an ihn gedacht und davon geträumt, daß er mich nähme. Dann ist Paolo in den Krieg gezogen. Die Zeit seiner Abwesenheit war die Hölle für mich. Und eines Abends habe ich mich Troilo an den Hals geworfen, einfach weil er seinem Cousin ähnelte. Der arme Troilo ist vor Angst gestorben, und als er begriffen hatte, was ihn erwartete, ist er geflohen. Damals ist die Welt für mich zusammengestürzt. Troilo wurde getötet, mein Sohn wurde mir genommen, und ich habe auf den Tod gewartet. Und beim Warten … Weißt du, Raimondo, es gibt Menschen, die betäuben sich mit Wein. Und womit ich mich betäube, weißt du jetzt.«

Die ganze Nacht blieb ich bei ihr, und nachdem ich am nächsten Morgen mein Zimmer aufgesucht hatte, fing ich an zu weinen. Ich konnte nicht mehr verstehen, warum Isabella sterben sollte. Sie war so lebendig.

Am Vormittag suchte ich den Kaplan auf, beichtete und fragte:

|94|»Ihr wißt, weshalb ich hier bin, Vater?«

»Ja, ich weiß«, antwortete er und sah zu Boden.

»Ich möchte, daß sie vorher beichtet. Ich möchte nicht, daß sie im Zustand der Sünde stirbt.«

Der Kaplan war sehr alt und hatte kaum noch Fleisch im Gesicht, seine Knochen schienen nur von einer durchsichtigen dünnen Haut überspannt. Er wirkte wie ein Skelett, so daß es mich fast überraschte, tief in seinen Augenhöhlen noch Augen zu entdecken, die allerdings, sah man genauer hin, auch tot waren.

»Ich habe ihr schon lange nicht mehr die Beichte abgenommen«, sagte er mit so schwacher Stimme, daß man fürchten mußte, sie könne jeden Augenblick versagen. »Wozu auch? Sie bereut nicht. Sie denkt nur daran, weiterzumachen.«

»Dann wird sie also verdammt sein?«

»Ach«, sagte er und hob seine fleischlosen Hände, »wie soll ich das wissen?«

»Mein Vater«, bat ich, »ich flehe Euch an, nehmt ihr die Beichte ab! Nehmt ihr noch ein letztes Mal die Beichte ab!«

»Nein! nein! nein!« wiederholte er mit einer Kraft, die ich von diesem gebrechlichen Greis nicht erwartet hätte. »Es wäre wiederum nur eine schlechte Beichte mehr! Selbst wenn sie vor mir kniet, die Stirn gesenkt, und die Litanei ihrer Verderbtheiten aufzählt, merke ich deutlich, daß sie sich noch immer daran ergötzt …«

Er drehte sich um, und ich sah ihm wütend nach, wie er sich entfernte. Wäre er nicht Priester gewesen, hätte ich ihn mit meinem Degen durchbohrt.

Beim Mittagsmahl, das ich mit Isabella allein in ihrem Zimmer einnahm, sagte ich: »Gib mir deinen Schlüssel, Isabella, damit ich jederzeit zu dir kommen kann!«

Sie lächelte: »Er steckt an der Tür, nimm ihn dir. Aber du triffst mich vielleicht nicht allein an – Gott sei Dank bin ich nicht oft allein«, fügte sie mit einer bitteren Falte um den Mund hinzu. Doch sie faßte sich gleich wieder und fragte in einem leichten Plauderton:

»Wie geht es denn Paolo? Ist seine Wunde verheilt? Hat er immer noch seine kleine Maurin?«

»Ja.«

»Und wie ist sie? Hast du sie gesehen?«

|95|»Einmal, durch Zufall. Er zeigt sie nicht vor. Sie ist wie eine kleine magere Katze, mit großen Augen und großem Mund.«

Isabella begann zu lachen, Gott weiß warum, und fuhr beinahe fröhlich fort:

»Er hat bestimmt auch andere gehabt, ich wette.«

»Sehr viele andere.«

Sie hob ihr Glas an die Lippen, ohne zu trinken.

»Die Männer haben Glück, Raimondo. Sie können mit jeder schlafen und werden nicht ›Dirne‹ gescholten. Wenn sie Ehebruch begehen, werden sie nicht getötet. Trotzdem möchte ich um nichts auf der Welt mit ihnen tauschen. Komm, Raimondo, schnell! Los, sei nicht so langsam! Sonst bist du auch für mich il bruto

Sie griff nach meiner Hand und zog mich hinter sich her. Ihre schwarzen Augen versengten mich fast. Ihr Lager war sehr niedrig und doppelt so breit wie ein gewöhnliches Bett. Es gab keine weiteren Möbel im Raum, nur Teppiche, Wandbehänge und Kissen. Die Fenstervorhänge waren zugezogen, wegen der Sonne. In mein Zimmer zurückgekehrt, ließ ich meinen Schildknappen Alfredo rufen. Er ist mein Cousin mütterlicherseits, und wenn jemand den Beinamen il bruto verdient, dann er. Er hat Kraft wie ein Stier und ein Herz aus Stein. Man braucht nur seine brutale Visage zu sehen und weiß Bescheid. Er ist mir auf seine Art zugetan. Und ich kann ihn gut leiden. Lodovico behauptet, er sei mir nur deshalb sympathisch, weil ich mir im Gespräch mit ihm intelligent vorkäme. Lodovico irrt: ich komme mir nie intelligent vor. Ich lebe in einem Zustand dumpfer Betäubung und verstehe nicht viel vom Leben. Selbst die Tatsache, daß ich lebe, erscheint mir dunkel. Einmal hatte ich Paolo gebeten, es mir zu erklären. Doch er hat nur gelacht.

»Alfredo«, sagte ich, »das mit Isabella erledige ich noch heute.«

Er riß seine kleinen Schweinsäuglein weit auf.

»Heute ist doch erst der zweite Tag. Du hast ihr drei versprochen.«

»Eben. Und wenn sie morgen früh noch am Leben wäre, würde sie sich sagen: Heute ist mein letzter Tag‹, und Angst bekommen trotz ihres Mutes. Das will ich nicht. Ich will nicht, daß sie leidet. Ich will sie unverhofft töten, damit sie gar nicht spürt, daß sie stirbt.«

|96|Alfredo sah mich verdutzt an und wiederholte:

»Du willst nicht, daß sie Angst bekommt. Du willst nicht, daß sie leidet. Du willst, daß sie stirbt, ohne es zu merken. Warum?«

»Frag mich nicht, warum. Such du nach einer Möglichkeit. Ich warte hier mit ihrem Schlüssel.«

Alfredo nickte und verschwand. Er war zufrieden, daß ich auf seine Schlauheit baute. Ich warf mich aufs Bett und versuchte zu schlafen – vergeblich. Bei Anbruch der Dunkelheit kam er zurück.

»Jetzt ist der richtige Moment. Amin ist bei ihr.«

»Wer ist Amin?«

»Der Maultiertreiber der Burg. Ein Riese von Neger. Sie läßt es sich jeden Abend von ihm besorgen.«

Alfredo zeigte mir zwei Stilette mit langer feiner Klinge. Ich schluckte.

»Warum Stilette? Und warum zwei?«

»Eins für mich, eins für dich. Wenn Amin über ihr ist, stoße ich ihm mein Stilett hinters Ohr, und er ist sofort erledigt. Ich zieh ihn dann von Isabella runter, damit du ihr dein Stilett ins Herz stoßen kannst. Das gibt nur eine kleine Wunde und wenig Blut.«

Ich stand auf. Ich zitterte am ganzen Körper. Ich trank einen großen Becher Wein und sagte:

»Los, komm!«

»Erst noch die Schuhe ausziehen«, sagte Alfredo.

Ich betrat Isabellas Zimmer als erster. Meine Hände waren feucht, und mein Herz schlug so heftig, daß ich fürchtete, man könne es hören. Im Halbschatten gewahrte ich den riesenhaften Körper des Schwarzen auf dem Lager, Isabella war nicht zu sehen. Sie lag unter ihm und wimmerte mit Kinderstimme. Ich begriff, sie war so weit weg, daß sie weder meinen Herzschlag noch sonst etwas hören konnte.

Alfredo trat einen Schritt vor, doch ich hielt ihn zurück. Ich wollte, daß die beiden Körper zu meinen Füßen ihre Lust bis zum Ende erlebten.

Wir mußten lange warten. Der Schwarze keuchte wie ein Blasebalg, Schweiß rann ihm den Rücken hinunter. Ich war fasziniert von der Bewegung seiner muskulösen Hinterbacken, die sich mit unglaublicher Kraft und Geschwindigkeit auf und |97|ab bewegten. Die unsichtbare Isabella unter ihm stöhnte immer noch leise und klagend wie ein fieberndes Kind.

Endlich stieß der Schwarze einen rauhen Triumphschrei aus, und auch Isabella schrie mehrmals, immer lauter werdend, mit schriller Stimme. Ich gab Alfredo ein Zeichen. Er beugte sich vor, und alles geschah wie abgesprochen. Isabellas Gesicht zuckte konvulsivisch, ihre Lider flatterten. Das war alles. Der Raum war plötzlich von Schweigen und Bewegungslosigkeit erfüllt. Die beiden Lebenden schauten auf die beiden Toten.

»Die zwei sind glücklich gestorben«, sagte Alfredo mit albernem Grinsen.

Voll Zorn drehte ich mich zu ihm um.

»Schaff diesen Maultiertreiber hier weg. Wirf ihn, wohin du willst, und laß mich allein!«

Der Schwarze war so schwer, daß Alfredo ihn nicht heben konnte, sondern ihn an den Schultern packte und aus dem Zimmer schleifte. Als er weg war, verschloß ich die Tür, kniete am Kopfende von Isabellas Bett nieder und nahm ihre Hand, die noch warm war und leicht in meinen Händen lag. Tränen liefen mir über die Wangen, ich begann zu beten. Doch meine Seele war umdüstert und erstarrt. Wie betäubt vor Kummer, fragte ich mich, zwischen zwei Vaterunsern, warum Isabella so große Schuld hatte, gewesen zu sein, was sie nun einmal war. Als ihre Hand kalt und steif wurde, stand ich auf und ging.