|35|KAPITEL II

Seine Eminenz Kardinal Cherubi:

 

Zwei Jahre nachdem Gregor XIII. den päpstlichen Thron bestiegen hatte, wurde ich Generalvikar von Seiner Eminenz Kardinal Montalto. Diese Ehre – wenn es denn eine war – sollte nur von kurzer Dauer sein. Ein Jahr später, im Mai 1573, um genau zu sein, enthob mich der Kardinal mit seiner gewohnten Unhöflichkeit meines Amtes.

Da in Rom so unbarmherzige Gerüchte darüber kursierten, weshalb ich in Ungnade fiel, möchte ich hier in aller Herzenseinfalt, die gewissermaßen ein nutrimentum spiritu1 ist, die Gründe darlegen: sie waren dermaßen nichtig, daß später einmal jeder vernünftig denkende Mensch darüber staunen wird. Daß eine Frau – Vittoria Accoramboni – zwar nicht die Ursache, zumindest aber der Anlaß war, wird die Verblüffung noch vergrößern.

Ich wüßte übrigens nicht, daß man mir in diesem Zusammenhang Verbitterung oder Groll nachsagen könnte, denn diese brutale Entlassung, von mir zunächst als schmerzlich empfunden, erwies sich späterhin als ein wahrer Segen.

Sobald nämlich Seine Heiligkeit Gregor XIII. erfuhr, daß mich Seine Eminenz »zu meinen Gondeln zurückgeschickt« hatte – so die abfällige Redensart, die der Kardinal bei dieser Gelegenheit zu verwenden sich nicht scheute –, nahm er mich unter seine Fittiche und den Kardinal beim Wort, indem er mich dem Patriarchen von Venedig empfahl. Dieser empfing mich um so freundlicher, als ich ja tatsächlich Venezianer bin und der Papst außerdem hatte verlauten lassen, er werde mich eines Tages zum Kardinal ernennen.

Eine solche Aussicht erschien dem Patriarchen um so verlockender, als er selbst sich Hoffnung auf den Papstthron machte. Er glaubte, in mir einen Freund zu gewinnen, der ihm eines Tages im Konklave seine Stimme geben würde, wenn |36|Gott der Herr die Seele des liebenswerten Gregor zu sich riefe. Als es jedoch soweit war, fehlte ihm meine Stimme. Leider, aber ich konnte nichts dafür! Und wer wurde statt seiner zum Papst gewählt: etliche erinnern sich noch mit Heulen und Zähneklappern daran …

Heute sehe ich das knappe Jahr, das ich bei Kardinal Montalto verbrachte, als eine Art irdisches Fegefeuer, in dem die göttliche Vorsehung mich armen Sünder läutern wollte. Gewiß, Kardinal Montalto zeichnete sich durch außerordentliche Intelligenz und Energie und die strenge Einfachheit seiner Lebensweise aus, aber der Herr möge mir vergeben, wenn ich denke, ein bißchen weniger Tugend und ein bißchen mehr Liebenswürdigkeit wären für seine Umgebung besser gewesen, auch für die ihm völlig ergebenen Diener, wie il bello muto, seinen Sekretär, oder für einen Mann wie Francesco Peretti, seinen Adoptivsohn, dem er besonders zugetan war.

Man muß freilich zugeben, daß er dem bello muto und Francesco Peretti gegenüber eine gewisse Güte an den Tag legte. Er gab sich einige Mühe, für seinen Sekretär eine Zeichensprache zu erfinden, die es diesem ermöglichte, sich schneller mit seinem Herrn zu verständigen. Und in bezug auf Francesco tat er sein Bestes – oder glaubte es zu tun –, um dessen Glück zu sichern. Allerdings war absolute Unterwerfung unter seine herrischen Launen der Preis, den beide hundertfach zu zahlen hatten für diese Wohltaten.

Gewiß, die Tugend des Kardinals war ohne Fehl und Tadel. Doch es gibt auch ein Übermaß an Vortrefflichkeit. Tutior est locus in terra quam turribus altis: man lebt sicherer auf der Erde als auf hohen Türmen. Wer fällt, fällt dann weniger tief! Ich sage es in aller Bescheidenheit: meine guten Eigenschaften gelten vor Gott vielleicht nur wenig. Deshalb schäme ich mich nicht, zuzugeben: wenn die Ungnade Montaltos mir die Gunst Seiner Heiligkeit eintrug, geschah dies weniger auf Grund meiner eigenen Verdienste als wegen der Feindseligkeit Gregors XIII. gegenüber Seiner Eminenz.

In Rom weiß jeder alles, aber niemand spricht es aus. Da ich kein Römer bin, wären mir die Ursachen dieser Aversion für immer verborgen geblieben, wenn nicht Kardinal di Medici mir eines Tages davon erzählt hätte. Seine illustre, mächtige Familie machte den Kardinal so unantastbar, daß er gelegentlich |37|die Wahrheit sagen konnte, und das sogar im Vatikan.

Dem Kardinal zufolge – ich gebe seine Anspielungen hier im Klartext wieder – liebte Seine Heiligkeit Montalto nicht: ad 1, weil er ihn in Verdacht hatte, seine Nachfolge anzustreben; ad 2, weil Montalto Franziskaner war: der Papst und die Römer hielten diese Mönche für scheinheilig; und ad 3, weil ihm die Ärmlichkeit von Montaltos Lebensführung wie ein versteckter Vorwurf ob seines eigenen Lebensstils vorkam.

Wie dem auch sei, von dem Tag an, da Gregor XIII. den Heiligen Stuhl bestiegen hatte, hielt er Montalto konsequent von seiner Regierung fern. Trotz der großen Fähigkeiten, die sogar seine Feinde dem Kardinal bescheinigten, vertraute er ihm niemals auch nur das kleinste Amt an. Schlimmer noch: er schien Montalto völlig zu ignorieren.

Ich war damals erst kurze Zeit Generalvikar Seiner Eminenz, und ich bemerkte als einer der ersten eine große Veränderung in der Erscheinung des Kardinals. Ob er nun unter der unverdienten Ungnade litt oder ob das übertrieben karge Leben seine kräftige Gesundheit untergraben hatte, kann ich nicht sagen: er klagte nie. Doch mit einem Male schien er unter der Last der Jahre gebeugt, das Feuer seiner schwarzen Augen erlosch zumindest in der Öffentlichkeit, und er bewegte sich nur noch an Krücken fort, als hätten seine kräftigen krummen Beine ihm plötzlich den Dienst versagt. Er sprach wenig, und sowie er den Mund öffnete, wurde er von einem schmerzhaften Husten geschüttelt. Er, den man so quicklebendig kannte, so hochfahrend, so unduldsam gegen andere Meinungen, erfreute jetzt die Kardinäle durch sein demütiges Verhalten.

Die Kardinäle wohlgemerkt, nicht den Papst: die Antipathie Seiner Heiligkeit gegen Montalto blieb unverändert bestehen. Schlimmer noch: die Berater Gregors XIII. konnten ihm nur mit größter Mühe das Zugeständnis abringen, daß der Kardinal mit Rücksicht auf seine Krücken nicht mehr niederzuknien brauchte, wenn er sich dem päpstlichen Thron näherte. Lobte jemand vor dem Papst die unwandelbare Milde, die der arme Behinderte nun im Umgang mit seinesgleichen an den Tag legte, meinte er trocken:

»Ich habe in meinem langen Leben viel gesehen, aber ich habe nie erlebt, daß sich ein Adler in eine Taube verwandelt hätte.«

|38|Und in der Tat: sobald sich der Kardinal in seinen eigenen Palast zurückgezogen hatte – den er nur sehr selten verließ –, habe ich niemals beobachtet, daß er in seinen mächtigen Fängen oder in seinem krummen Schnabel den ihm Nahestehenden oder seinen Dienern auch nur den kleinsten Ölzweig gebracht hätte. Sein Husten hinderte ihn nicht daran, zu schimpfen; seine Krücken hielten ihn nicht davon ab, in seinem Palast immer gerade da aufzutauchen, wo er am wenigsten erwartet wurde. Ich weiß nicht, ob er wirklich so sterbenskrank war, wie er vorgab: sein Mißtrauen und seine Tyrannei waren nicht erlahmt.

Dafür lieferte er einen weiteren Beweis, als er zu wissen bekam, daß Francesco Peretti auf die Hand der schönen Vittoria Accoramboni hoffte. Sobald er das erfuhr, bemühte er sich um genaue Auskünfte über Vittoria und ihre Familie und versicherte sich – ich weiß wie, aber ich weiß nicht durch wen – der Dienste einer Kammerzofe aus dem Palazzo Rusticucci, die, glücklicher Zufall, gleich ihm aus Grottammare in den Marken stammte. Das Mädchen verriet seine Herrin nicht für Geld, sondern weil der Kardinal ihren Eltern helfen konnte, die in Grottammare sehr kärglich vom Fischfang lebten. Seine Eminenz gewann für seine Sache auch den römischen Priester Racasi, der Vittoria und ihrer Mutter die Beichte abnahm.

Die Einzelheiten dieser Ermittlungen erfuhr ich nicht, wohl aber deren Ergebnis, denn der Kardinal konsultierte mich in letzter Minute, weil ich Verwandte in Gubbio hatte, woher die Accorambonis stammten. Ich konnte nur bestätigen, was er schon wußte: Vittoria stand in dem Ruf, schön, gut und tugendhaft zu sein. Ihr Bruder Marcello dagegen war ein Tunichtgut, ihr anderer Bruder ein unfähiger Mensch, ihre Mutter ehrgeizig und versessen auf eine reiche Heirat für die Tochter, die Majolikamanufaktur in Gubbio wurde zum Verkauf feilgeboten, die Familie besaß keinen roten Heller mehr.

»Diese Leute wollen also größere Schritte machen, als mit ihren kurzen Beinen möglich ist«, sagte der Kardinal hart. »Ich wage zu behaupten, sie leben nur noch vom Schuldenmachen. Der Palazzo Rusticucci ist bloß eine leere Eierschale. Das ist nicht die Art von Familie, mit der ich Francesco verschwägert sehen möchte.«

Der arme Francesco Peretti – er ging ungehindert bei seinem |39|Adoptivvater ein und aus – betrat gerade in diesem Augenblick das Zimmer, und als er diese Worte hörte, erstarrte er, als hätte er sein Todesurteil vernommen. Er erbleichte, warf sich dem Kardinal zu Füßen und flehte eindringlich, wenn auch mit stockender Stimme:

»Vater! Mein Vater! Ihr schlagt mich ans Kreuz! Ich kann ohne Vittoria nicht leben! Sie ist eine außergewöhnliche Frau, so tugendhaft wie anmutig. Ich bin gewiß nicht blind, was ihre Verwandtschaft anbelangt. Aber soll Vittoria verdammt werden wegen der Schwächen ihrer Familie, sie, die selbst frei davon ist? Ach, Vater, seid mir gnädig und laßt uns Gerechtigkeit widerfahren. Schaut Euch Vittoria an, hört sie an, bevor Ihr sie aus meinem Leben verbannt!«

Ich muß sagen, daß ich vom Ungestüm und von der Klugheit dieser Rede überrascht war. Wie jedermann in Rom, hielt ich Francesco Peretti für einen liebenswürdigen, naiven jungen Mann ohne großen Ehrgeiz, nicht sehr intelligent und beinahe ein Schwächling. Nun entdeckte ich, daß er, von einem starken Gefühl beseelt, nicht nur Mut aufbrachte – denn es gehörte Mut dazu, dem schrecklichen Montalto die Stirn zu bieten –, sondern auch Verstand an den Tag legte, da er mit seinen Worten an eben die Tugend appellierte, die Seine Eminenz bei anderen und bei sich selbst am meisten schätzte: Gerechtigkeitssinn.

Ich sah wohl, daß der Kardinal selbst überrascht war, zum ersten Mal den Mann in seinem Sohn zu entdecken, den er für ein Kind gehalten hatte. Doch er schwieg zunächst.

Seine Eminenz überlegte, denn er pflegte seine Antworten genau zu bedenken. Er schleppte sich auf seinen Krücken bis ans Fenster, das auf den Hof ging, drehte Francesco den Rücken zu und sagte lange kein Wort. Ich bemerkte, daß durch den Gebrauch der Krücken sein Hals tiefer zwischen die Schultern gezwängt wurde, was ihn noch mehr verunstaltete. Nimmt man hinzu, daß seine schweren, groben Gesichtszüge von der großen Nase und dem fliehenden Kinn buchstäblich nach unten gezogen schienen, wird man mir einräumen, daß Montalto in der Tat wenig Grund hatte, stolz auf sein Äußeres zu sein. Vielleicht war das, wenn man es recht bedenkt, einer der Gründe, weshalb Gregor XIII., der mit seinen über siebzig Jahren noch immer sehr gut aussah, ihn so wenig schätzte.

|40|Es befanden sich jetzt vier Personen im Raum: der Kardinal, mit dem Rücken zu uns am Fenster stehend, Francesco Peretti, der sich aus seiner knienden Haltung erhob und seinen Onkel ansah, als hinge sein Leben von ihm ab; il bello muto, still und reglos wie eine Katze; schließlich ich selbst, sehr gespannt darauf, welche Entscheidung Seine Eminenz treffen würde, und außerstande zu erraten, was dabei die Oberhand gewönne: sein unbeugsamer Charakter oder sein Gerechtigkeitssinn.

Als er sich umdrehte, wandte er sich nicht an Francesco, sondern an den bello muto und sagte mit unzufriedener Miene:

»Rossellino, ich stelle fest, daß auf dem Mittelbeet im Hof an den Geranienstöcken mehrere Blüten schon verwelkt sind. Sagt dem Gärtner, er solle die welken Blüten abschneiden!«

Daraufhin zog il bello muto die Augenbrauen fragend in die Höhe und machte mit der rechten Hand ein Zeichen, das mir unverständlich geblieben wäre, hätte Montalto nicht sehr schroff geantwortet:

»Ja, jetzt gleich! Wenn eine Sache beschlossen ist, darf man sie nicht aufschieben.«

Dann sah er Francesco Peretti an.

»Francesco, geh und hole mir Vittoria!«

»Wie!« fragte Francesco verblüfft. »Sofort?«

»Ja, sofort. Um der Gerechtigkeit willen muß ich Vittoria sehen und anhören.«

Wie alle großen Politiker hatte Montalto Sinn für Theatralik (wozu meiner Ansicht nach auch die Krücken gehörten, denn manchmal hatte ich meine Zweifel, ob er sie wirklich brauchte). Zwar gab er Francesco nach, gleichzeitig aber wollte er seinen Ruf der Unbeugsamkeit aufrechterhalten und bemühte sich deshalb, sein Einlenken hinter diesem Theatercoup zu verstecken, der völlig überflüssig war, denn Seine Eminenz hätte Vittoria ebensogut einen Tag später empfangen können. Aber natürlich, Warten wäre Aufschieben gewesen: schulmeisterlich noch im Nachgeben, erteilte uns der Schulmeister zusätzlich eine Lektion in Moral, woraufhin il bello muto losstürzen mußte, um die welken Blüten abschneiden zu lassen, und Francesco eilig Vittoria holte. Niemandem entging übrigens, daß diese gebieterische Ungeduld etwas Königliches hatte.

Wenn ich damals bei Vittorias Eintritt Seine Eminenz gebeten hätte, mich zurückziehen zu dürfen, da diese Zusammenkunft |41|ja ein Familienproblem betreffe, mit dem ich nichts zu schaffen habe, wäre ich nicht das Opfer seiner brutalen Ungnade geworden. Aber wie man gesehen hat, muß ich heute aus gutem Grunde meiner Neugier dankbar sein, die mich verleitete zu bleiben. Gewiß, die Schönheit Vittorias war in ganz Italien berühmt, doch als Unverheiratete erschien sie zur Messe nur mit Maske und in einem langen, die Figur verhüllenden Cape. Ich hatte sie daher noch nie wirklich gesehen, geschweige denn gehört, und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das junge Mädchen dem Minotaurus die Stirn bieten würde.

So wie der heilige Augustinus hatte auch ich in meiner Jugend einige Stürme zu bestehen, und wie Seiner Heiligkeit Gregor XIII. ist mir aus diesen Stürmen ein Sohn geblieben. Seit ich jedoch den Kardinalspurpur trage, bin ich von solchen Verirrungen frei, und das Alter, dafür sorgt die göttliche Vorsehung, ist mittlerweile ebenfalls ein Garant meiner Tugend. Das heißt allerdings nicht, daß ich mit dem Dichter Terenz ausrufe: Deleo omnes dehinc ex animo mulieres: fortan vertreibe ich alle Frauen aus meinen Gedanken. Ganz im Gegenteil! Da ich mich ihrer nicht mehr bedienen kann, bin ich schon von ihrer Schönheit allein hingerissen. Und da mich bei ihrem Anblick nur noch ästhetische Empfindungen bewegen, bin ich jetzt unvergleichlich kritischer in der Beurteilung ihrer Reize als zu der Zeit, wo noch das aufrührerische Blut mich bedrängte.

Ich bin deshalb oft von einer römischen Dame enttäuscht, deren Schönheit man mir vorher gerühmt hat: ihre Unvollkommenheiten springen mir ins Auge. Nicht so, als Vittoria in Montaltos baufälligem Palast erschien und die alten Mauern zum Leuchten brachte.

Ich hätte nicht geglaubt, daß sie so groß und bei ihrer Größe so graziös sei, was sie durch die Art bewies, wie sie vor dem Armstuhl des Kardinals niederkniete: ihr weiter Reifrock bauschte sich um ihre schlanke Taille, und ihr langes Haar bildete eine wahrhaft königliche Schleppe, während sie mit jenem bescheidenen und zugleich ernsten und stolzen Ausdruck im Gesicht, der mich bei dieser ersten Begegnung so stark berührte, Seiner Eminenz die Hand küßte. Ich sah sie nur im Profil, weshalb ich geräuschlos hinter den Sessel des Kardinals trat, um sie von vorn zu beobachten. Doch ihre Züge waren makellos, von welcher Seite man sie auch betrachten mochte. Als sie Montaltos |42|Ring geküßt hatte und wieder den Kopf hob, wurde ich von dem Licht ihrer großen blauen Augen förmlich geblendet. Ich sage »Licht« und nicht »Glanz«, um zu betonen, daß dieses Licht ebenso von ihrer schönen Seele wie von ihrer Iris ausging.

Ich könnte nicht sagen, ob einige Strahlen dieser Schönheit das dicke Fell Montaltos – oder sollte ich eher von einem Panzer sprechen? – zu durchdringen vermochte, aber als er sich an sie wandte, war sein Blick tatsächlich weniger bohrend, seine Stimme weniger hart.

»Signorina«, sagte er in beinahe höflichem Ton, »setzt Euch bitte.«

Was sie dann tat, nachdem sie ihre goldene Mähne nach vorn genommen hatte, um sie sich über den Schoß zu legen. Diese Geste mußte dem Kardinal mißfallen, denn sie lenkte seine Aufmerksamkeit unabsichtlich auf eine typisch weibliche Zierde, die ihm verdammungswürdig erschien; er runzelte die Brauen und sagte mit seiner üblichen Grobheit:

»Könnt Ihr Euer Haar nicht zum Knoten aufstecken, statt es wie eine Fahne zu entfalten?«

Vittoria schien die Unhöflichkeit dieses Vorschlags nicht bemerkt zu haben und antwortete, ohne mit der Wimper zu zucken, schlicht und einfach:

»Ich habe es versucht, aber die Last am Hinterkopf ist so groß, daß ich das Gleichgewicht verliere.«

»Dann schneidet es ab!« sagte Montalto, und seine schwarzen Augen blitzten wütend.

»Ich möchte gern«, entgegnete Vittoria mit der gleichen unbeirrbaren Sanftmut. »Denn es ist mir hinderlich und lästig. Doch ich kann nicht. Meine Mutter ist entschieden dagegen.«

»Dos est magna parentium virtus«1, sagte Montalto mit beißender Ironie und warf mir einen vielsagenden Blick zu, denn Tarquinias Ruf stand allgemein fest.

Ich wollte schon mit einem halben Lächeln auf Montaltos boshafte Bemerkung antworten, hielt mich aber zurück: mir war, als hätte ich Vittoria erbleichen sehen, und ich fragte mich, ob sie nicht trotz des Latein, mit dem Seine Eminenz seine Bosheit verhüllte, deren Sinn verstanden hatte.

Es folgte ein Schweigen, das niemandem angenehm war, |43|ganz gewiß auch Francesco Peretti nicht. Er stand hinter Vittoria, viel weniger beherrscht als sie, wurde abwechselnd rot und blaß und hielt den Blick seiner farblosen Augen ängstlich auf seinen Onkel gerichtet. Il bello muto ließ seinen erstaunten Blick von seinem Herrn zu Vittoria wandern. Da er selbst weiblichem Charme gegenüber nicht unempfindlich war (wie es heißt, hatte er vor seinem Unfall die wärmsten Gefühle für die Contessa V. gehegt), fragte er sich zweifellos, warum der Kardinal mit Vittoria sofort Streit über ihre erstaunliche Haarpracht gesucht habe. Vielleicht dachte er ebenso wie ich daran, daß Maria Magdalena Unserem Herrn Jesus Christus mit ihrem langen Haar die Füße getrocknet und der Herr mitnichten verlangt hatte, sie solle es abschneiden, sondern diese Huldigung mit seiner gewohnten Sanftmut geduldet hatte.

In diesem Moment hätte niemand auch nur die geringste Spur von Milde auf Montaltos furchterregendem Antlitz entdecken können. Nachdem Seine Eminenz, durch Vittorias Schönheit und Würde überrascht, für kurze Zeit milde gestimmt schien, war sein Gesicht plötzlich wieder bärbeißig geworden. Die Diskussion über Vittorias Haar hatte offenbar erneut seinen latenten Frauenhaß geweckt, der bei keuschen Priestern so häufig anzutreffen ist, daß man sich fragt, ob ihre Keuschheit tatsächlich ein so großes Verdienst ist, wie sie glauben. Wie dem auch sei, Vittorias Sache schien beinahe verloren, ohne überhaupt verhandelt worden zu sein, denn Montalto wandte sich an den bello muto (vielleicht grollte er mir, weil ich auf seine Bemerkung über Tarquinia nicht hatte antworten wollen) und sagte wieder in Latein:

»In vero formosa est. Sed rara est adeo concordia formae atque pudicitiae.«1

Trotz der grenzenlosen Verehrung, die il bello muto für den Kardinal hegte, stimmte er nicht immer mit ihm überein: er hob die Brauen und sah seinen Herrn zweifelnd an, als frage er sich, ob dieses gehässige Zitat begründet sei. Il bello muto hatte einen großen Vorzug gegenüber allen anderen Personen in Montaltos Diensten. Da er seine abweichende Meinung nur mimisch ausdrücken konnte, war es für Seine Eminenz leichter, ihm zu vergeben.

|44|Obwohl von dem Juvenal-Zitat des Kardinals im höchsten Maße schockiert – denn nach meiner Meinung war es weder durch Vittorias Ruf noch durch ihr Betragen gerechtfertigt –, bewahrte ich eine unbeteiligte Miene, denn ich wollte nicht erneut zum Gegenstand von Montaltos Unzufriedenheit werden. Der arme Francesco, der wahrscheinlich aufgesprungen wäre, hätte er Latein verstanden, spürte offenbar die Gefahr. Seine farblosen Augen bewegten sich in ihren Höhlen wie unruhige kleine Tiere und wanderten von einem zum anderen, als flehe er um eine Erklärung für diesen Satz Montaltos und das darauffolgende Schweigen.

Das Schweigen wurde durch Vittoria gebrochen. Sie hob ihren Kopf mit jenem bescheidenen und doch stolzen Ausdruck, der mich von Anfang an so beeindruckt hatte, richtete ihre leuchtenden Augen auf den Kardinal und sagte sanft:

»Reverendissime pater, Juvenalis errat. Mihi concordia est.«1

»Wie?« schrie Montalto verblüfft. »Ihr versteht Latein, Vittoria

»Ja, Euer Eminenz«, sagte sie schlicht und ohne sich hervorzutun, weil sie ihm im gleichen Versmaß geantwortet oder, wie Calvin in seiner »Predigt über das Buch Hiob« brutaler sagte, »ihm das Maul gestopft« hatte.

Der Kardinal schwieg, doch dieses neuerliche Schweigen war von anderer Art. Obwohl Montaltos furchteinflößende Miene undurchdringlich schien, mußte er jetzt wohl einen Rückzieher machen. Es war schwierig für ihn geworden, aus Vittorias langem Haar auf ihren kurzen Verstand zu schließen.

Montaltos Strenge entsprang seinen strikten Prinzipien und nicht irgendeiner Geistesarmut. In Wirklichkeit liebte er schöne Gärten, Skulpturen und Gebäude. Seine weltliche Bildung war genauso umfassend wie seine Gelehrsamkeit in Glaubensdingen. Und was die Frauen anbelangte, war er durchaus empfänglich für ihre Schönheit, auch wenn er in ihrer Weiblichkeit eine Gefahr für das Seelenheil witterte, was die theologische Begründung für seinen Frauenhaß war. Nur hätte er die Frauen gern im Boden verwurzelt gesehen wie bunte, duftende und gottlob stumme Blumen. Es wäre ihm auch lieb gewesen, wenn sie nach wenigen Tagen verwelkt wären: man |45|hätte dann gar nicht erst Zeit, sich an sie zu binden. Ebenso wie il bello muto und ich, war er von Vittorias strahlender Erscheinung zunächst verblüfft. Doch geleitet von seinen Prinzipien, stellte er sich sofort die Unordnung vor, die eine so unvergleichliche Schönheit im Staate verursachen könnte. Schon nahm in ihm die Idee Gestalt an, Vittoria auf immer von seinem Neffen fernzuhalten, als sie ihn überzeugte, ein der Beachtung würdiges menschliches Wesen zu sein: sie konnte Latein und hatte Juvenal gelesen.

Ich berichte hier von der raschen Entwicklung, die ich in der Einstellung des Kardinals zu Vittoria zu erraten glaubte, ohne Montalto wegen seiner anfänglichen Grobheit über Gebühr zu tadeln. Ich bedaure diese Grobheiten, gewiß, doch es gibt viele Präzedenzfälle. Unsere Heilige Mutter Kirche ist nicht immer sehr zartfühlend mit der charmanteren Hälfte der Menschheit umgegangen, und ich möchte hier daran erinnern, daß erst im 9. Jahrhundert nach Christi Geburt die Bischöfe auf dem Konzil zu Mâcon dem gentil sesso1 eine Seele zuerkannt hatten, und das nur mit knapper Mehrheit.

Montalto vergaß die verdächtige Länge von Vittorias Haar und die Schlangen, die der Böse zweifellos darin versteckt hatte, und sah in ihr jetzt nicht nur eine Seele, sondern auch einen Geist und begann ein lateinisches Verhör, ganz offensichtlich zufrieden darüber, daß sie ihn so schnell verstand und ihm so gut antwortete.

»Vittoria, du mußt einen guten Lehrer gehabt haben, da er dich Juvenal lesen ließ?«

»Einen ausgezeichneten, Euer Eminenz, er war gut, fromm und gelehrt. Ein Franziskanermönch.«

Wissend, daß Seine Eminenz selbst aus diesem geistlichen Orden hervorgegangen war, lächelte sie ihn mit einem Hauch von Schalkhaftigkeit und wahrhaft töchterlicher Zuneigung an.

Ich war von diesem Lächeln hingerissen, sowohl ob seiner Subtilität wie ob der darin verborgenen Herzensgüte. Mir wurde blitzartig klar, daß Vittoria dem Kardinal die harten, feindseligen Bemerkungen schon verziehen hatte und nichts weiter verlangte, als daß sie ihn als ihren Vater betrachten dürfe, sie, die selber keinen Vater mehr hatte. Ich beobachtete auch, daß |46|Seine Eminenz den gleichen Eindruck haben mußte, denn seine schrecklichen schwarzen Augen wurden sanft, und er fragte in milderem Ton:

»Und wieso hat dieser Mönch Juvenal so geliebt?«

»Er war ein großer Verächter der Sitten unserer Zeit und bewunderte den lateinischen Dichter, weil dieser die Sitten seines Zeitalters anprangerte.«

»Hat dich dieser Mönch auch mit italienischer Literatur bekannt gemacht?«

»Ja, Euer Eminenz. Er hat mich Dante, Petrarca, Boccaccio und Ariost lesen lassen.«

»Und welchen dieser Dichter schätzt du am meisten?«

»Dante wegen seiner Phantasie, und mehr noch Petrarca wegen seiner Sanftheit.«

»Boccaccio nicht?«

»Nein, Euer Eminenz. Boccaccio mag ich überhaupt nicht.«

Vittoria hatte mit Feuereifer gesprochen, und Montalto fragte lächelnd:

»Was hat er getan, daß du ihn so wenig magst?«

»Mein Lehrer hat mich ›Il Corbaccio‹1 lesen lassen.«

Hier mußten der Kardinal, il bello muto und ich herzlich lachen. Auch Francesco, der nur ein wenig Jurisprudenz gelernt hatte, lächelte, nicht weil er »Il Corbaccio« gelesen hätte, sondern weil er sah, daß die Sonne das Eis zum Schmelzen gebracht hatte und seiner Liebe Wärme und Leben zurückgab.

»Du schätzt also Boccaccios Satire über die Frauen nicht?«

»Nein, Euer Eminenz«, sagte Vittoria, »ich finde sie ungerecht und grausam.«

»Wohlan«, sagte der Kardinal gutmütig, »um dich an deinem Mönch zu rächen, hättest du Ariosts Satire über die geistlichen Orden lesen sollen.«

»Aber die habe ich ja gelesen«, entgegnete Vittoria lebhaft. »Mein Lehrer gab sie mir zum Lesen.«

Montalto schlug die Hände zusammen und lachte. »Na prächtig! Das ist mir ein Mönch mit Sinn für Gerechtigkeit! Er konnte sich über sich selbst lustig machen! Vittoria, da du Petrarca ob seiner Sanftheit magst, rezitiere mir doch bitte dasjenige seiner Sonette, das dich am meisten bewegt.«

|47|»Gern, Euer Eminenz«, antwortete Vittoria.

Leider ist mir entfallen, welches Sonett sie wählte, doch ich erinnere mich, mit was für einer volltönenden und dabei sammetweichen Stimme sie rezitierte. Ich wüßte ihr mit keiner Metapher wie Vogelgesang oder kristallklarer Glockenklang gerecht zu werden. Die Stimme, die Diktion, das Mienenspiel und der Ausdruck ihrer großen blauen Augen machten diese Rezitation zu einem einzigartigen Erlebnis, dessen Zauber ich bis heute spüre, sooft ich daran denke. Montalto, der dem bello muto ein Zeichen gegeben und sich mit dessen Hilfe erhoben hatte, stand da, auf seine Krücken gestützt, betrachtete Vittoria lange und sagte mit so sanfter Stimme, wie ich ihn nie hatte reden hören:

»Wenn du verheiratet bist, Vittoria …«

»Was? Mein Vater!« rief Francesco, trunken vor Glück. Doch Montalto wies ihn mit einer kurzen Handbewegung zurück, als ob er eine Fliege verscheuche, und fuhr fort:

»Wenn du verheiratet bist, Vittoria, würde ich mich freuen, wenn deine häuslichen Pflichten dir die Zeit ließen, einem alten kranken Mann gelegentlich etwas vorzulesen.«

»Oh, mein Vater, ich wäre darüber sehr glücklich!« rief Vittoria und warf sich ihm in einer plötzlichen Aufwallung von Zuneigung und Herzlichkeit zu Füßen.

Und als Vittoria den Palast des Kardinals verließ, hatte sie wahrlich Grund genug zur Zufriedenheit. Sie hätte frei nach Julius Cäsar sagen können: Ich kam, er sah mich, und ich siegte. Ich weiß allerdings nicht, ob sie in ihrem Innersten sehr erfreut war über diesen Sieg, der zumindest bewirkte, daß sie durch eine Heirat mit Francesco ihre Familie und sich selbst vor Not bewahren konnte. Ich hatte beobachtet, daß sie Francesco während der Unterredung nicht ein einziges Mal angesehen hatte.

Sie war wirklich sehr jung. Vielleicht liebte sie zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens die Heirat mehr als den Ehemann.

Das überraschendste an dieser Begegnung aber waren die verblüffenden Worte, die Montalto an ihrem Ende sagte und die indirekt einen so großen, zunächst unheilvollen, in der Folgezeit jedoch segensreichen Einfluß auf mein Leben haben sollten.

Sowie Vittoria das Zimmer verlassen hatte – und ihm mit |48|einem Schlag die Wärme und das Licht entzog, die ihre Anwesenheit verbreitet hatte –, schleppte sich Seine Eminenz auf seinen Krücken bis ans Fenster und sah, mit dem Rücken zu uns, Vittoria nach, die an der Seite Francescos über den Hof ging. Dann wendete er sich mühsam zu uns um – die Drehung seines schweren Körpers auf den Krücken verursachte ihm einige Probleme –, schüttelte mehrmals den Kopf und sagte:

»Wer könnte sie sehen, ohne sie zu lieben? Wer könnte sie hören, ohne sie anzubeten?«

»Gewiß, Euer Eminenz«, sagte ich und verließ unter einem Vorwand das Zimmer, damit der Kardinal nicht gewahr werde, wie sehr seine Bemerkung mich verblüfft und, warum nicht auch das gestehen, höchlichst amüsiert hatte.

Nun wollte es das Unglück – oder das Glück, wie die Folgezeit deutlich erwies –, daß ich am nächsten Tag im Vatikan bei Seiner Heiligkeit zu tun hatte. Ich fand den Papst recht griesgrämig vor, ohne daß er, dessen bin ich sicher, den geringsten Grund dafür gehabt hätte, denn er wurde von allen geliebt, erfreute sich einer ausgezeichneten Gesundheit und führte mit perfekter Nonchalance ein sorgenfreies Leben. Etwa einmal im Monat wurde Gregor XIII. von solcher Melancholie befallen, die von seinem Gefolge um so mehr gefürchtet wurde, als er dabei gelegentlich Entscheidungen traf, die dem Wohl des Staates abträglich waren, die er jedoch, von seiner Verstimmung wieder geheilt, mit der sanften Starrköpfigkeit der Schwachen nicht mehr revidieren wollte.

Ich fand ihn also in dieser Laune vor, und der um ihn versammelte Hofstaat gab sich große Mühe, ihn zu zerstreuen. Ich wollte ihn durch die Erzählung über die Begegnung zwischen Montalto und Vittoria aufheitern. Er hörte mir zunächst mit eher finsterer Miene zu, doch als ich zu dem denkwürdigen Ausspruch am Schluß der Unterredung kam, rief er aus:

»Wie? Wie? Habt Ihr richtig gehört, Cherubi? Hat Montalto das wirklich gesagt? Seid Ihr sicher?«

»Ich traute meinen Ohren nicht, Euer Heiligkeit, doch er hat es gesagt.«

»Was?« schrie Gregor XIII. und mußte, seine Hypochondrie vergessend, so lachen, daß ihm die Tränen kamen. »Montalto hat wirklich gesagt: ›Wer könnte sie sehen, ohne sie zu lieben? |49|Wer könnte sie hören, ohne sie anzubeten?‹ Ach, Cherubi! Wie schön muß das Mädchen sein, um aus diesem fühllosen Stein einen Funken Menschlichkeit zu schlagen!«

Und er legte seine Hände auf seinen kleinen Spitzbauch, lachte Tränen und witzelte den ganzen Tag über den Kardinal.

Am folgenden Morgen schickte mich Montalto »zu meinen Gondeln« zurück.

 

 

Caterina Acquaviva:

 

Obwohl ich nur Kammerzofe und Tochter einfacher Leute bin – mein Vater ist Fischer in Grottammare, und sein einziger Besitz ist sein Boot –, fehlt es mir weder an Manieren noch an Bildung. Ich kann lesen und ein wenig schreiben. Und wem verdanke ich das, wenn nicht der Signora Vittoria Accoramboni, die mich mit unendlicher Geduld unterwiesen hat, so jung sie damals war? Denn sie hatte genau mein Alter – sechzehn Jahre –, als ich in ihre Dienste trat. Übrigens hat mich die Signora Vittoria nie wie eine cameriera behandelt, sondern wie eine Gefährtin und Vertraute, und sie hat sich große Mühe gegeben, mich von meinem bäuerischen Schmutz zu säubern. Meine Mutter macht mir deswegen Vorhaltungen, wenn ich meine Familie in Grottammare besuche:

»Was ist bloß aus dir geworden, Tochter! Eine richtige Signorina! Du brauchst eine Gabel, um in dein Essen zu pieken! Eine Gabel, die du aus Rom mitbringst, in einem kleinen Kästchen, wie ein Schmuckstück! Ma che modi sono questi!1 Eine Gabel, Madonna Santa! Es mag ja noch angehen, daß man eine Gabel nimmt, um den stinkenden Misthaufen zu wenden. Aber um ein schönes appetitliches Stück Meeraal – heute morgen von deinem Vater gefischt und von deiner Mamma gebraten – in deinen Mund zu befördern! Caterina, ich sage dir: du beleidigst deinen Vater! Du beleidigst deine Mutter! Du beleidigst Gott! Eine Gabel, Dio mio! Was für eine teuflische Erfindung! Sind die Finger, die der Herr dir gegeben hat, nicht gut genug für dich, du dumme Gans? Und als wär’s mit dieser verdammten Gabel noch nicht genug, muß ich auch noch hören, daß du lesen und schreiben kannst! Und du bildest dir noch was drauf |50|ein, du Schamlose! Madonna, du bist verloren! Welcher Mann soll dich denn jetzt noch wollen!«

In bezug auf den Ehemann hat die Mamma nicht unrecht. Beim letzten Mal, als ich Vater und Mutter in Grottammare besuchte, hat sich Giovanni mir gegenüber recht kühl verhalten, er, der sonst immer so zudringlich war. Ich schüchtere ihn ein, und er ist böse darüber, daß ich – eine einfache Frau – ihn einschüchtere, da sag ich lieber nichts. Und die einfache Frau wiederum kann, wenn er sie abschmatzt, seinen Geruch nicht ertragen. Wie könnte ich an der Seite eines Mannes leben, der nach Fisch stinkt, wo ich doch im Palazzo Rusticucci mit so vielen glänzenden und parfümierten Edelleuten zusammentreffe, den schönsten von allen will ich gar nicht erwähnen, denn es schmerzt mich, seinen Namen auszusprechen, weil er keinen Blick für mich übrig hat trotz meines hübschen Aussehens.

Gewiß, ich bin nicht so groß und so schön wie Vittoria, aber ich bin auch nicht ohne Reize, so brünett und mit meinen schwarzen Augen und dem matten Teint. Ich möchte sogar behaupten, was Größe, Rundung, Festigkeit und Hautfarbe des Busens angeht, kann keine Frau sich mit mir messen. Ich trage eckige Dekolletés, um meine Brüste zur Geltung zu bringen, was immer Giulietta Accoramboni dagegen sagt; sie beschuldigt mich, schamlos zu sein und die Männer durch Zurschaustellung meiner Haut anlocken zu wollen. Herrje! die soll sich nicht so haben; die mit ihren kümmerlichen spitzen Titten könnte alles zeigen, und keiner würde anbeißen! Bei mir ist es egal, ob man was sehen kann oder nicht! Ich laufe ja nicht mit nacktem Hintern rum, und trotzdem gibt es keinen Mann im Haus, dessen Blicke ich nicht wie eine warme Dusche auf meinen Hüften spüre, wenn ich vor ihm hergehe und mich drehe und wende. Nein, einen gibt es, leider! Es ist der einzige, dem ich gefallen möchte. Die Welt ist schlecht eingerichtet, wie Vater sagt, wenn er ohne Fisch vom Meer heimkommt. Bei meinem Fisch weiß ich nicht, mit welchen Netzen man ihn fangen könnte.

Um auf die Signora zurückzukommen: sie war zu mir so gut, so vertrauensvoll und großzügig, daß mein Herz sich nicht mehr von ihr losreißen kann. Zu sagen, daß ich sie liebe, ist nicht genug. Ich sage es, wie ich es fühle: ich würde mich töten lassen, wenn ihr Leben auf dem Spiel stünde. Ja, die Madonna |51|möge mir diese gottlosen Worte vergeben, ich würde sogar für sie töten. In ihrer Nähe zu leben ist für mich das Paradies. Ich sehe sie, ich höre sie, ich diene ihr. Und sie, diese wunderbare Frau, vergißt ihren Rang und ihre Schönheit und redet mit mir wie mit einer Freundin, wo ich doch nichts weiter bin als ein kleiner Regenwurm zu ihren Füßen!

Als ich Mamma, und nur ihr allein, bei meinem letzten Besuch in Grottammare anvertraut habe, daß Seine Eminenz Kardinal Montalto durch Vermittlung meines Beichtvaters Auskünfte über Vittoria angefordert hat, fuhr sie mich an, nannte mich undankbar und schlecht und hat mich geschlagen. Die arme unwissende Frau, möge Gott ihr vergeben! Um ihretwillen und des Vaters wegen hab ich es getan! Das baufällige kleine Haus am Meer, in dem sie wohnen, hat ihnen der Pfarrer von Grottammare billig vermietet. Und kann man sich vorstellen, daß sich ein Pfarrer dem mächtigen Kardinal widersetzt, dem er seine Pfarrstelle verdankt? Doch wozu überhaupt der ganze Lärm: Vittoria ist so vernünftig und so brav. Was könnte ich anderes denn Gutes über sie sagen?

Nicht, daß Vittoria die Männer nicht mag. Sie liebt sie genauso wie ich. Aber im Gegensatz zu mir ist sie zu stolz, um ihre Tugend zu vergessen. Vor ihrer Hochzeit mit Signor Peretti war ich die einzige, die wußte, wer von den ständigen Gästen des Palazzo Rusticucci ihr gefiel und wer nicht. Aber sie verhielt sich zu allen in gleichem Maße distanziert und würdig, ohne jemand auch nur im geringsten zu bevorzugen. Wie gerne hätte ich ihre Selbstbeherrschung! Doch ich kann den Gegenstand meiner Anbetung nicht sehen, ohne zu erröten, zu erbleichen und zu zittern. Ich bin ein Vulkan, der überall seine Lava ausspuckt, Vittoria dagegen scheint in sich zu ruhen wie ein erloschener Vulkan. Aber man darf sich auch nicht täuschen: es brodelt im Inneren des Kraters.

Ich hüte mich wohl, derartige Eindrücke in meinen Berichten an Seine Eminenz zu erwähnen. Ich nenne nur Fakten, und an denen gibt es nichts auszusetzen. Die Gedanken mag Vittorias Beichtvater erraten und entwirren! Der Mann, der im Herzen einer Frau zu lesen versteht, muß sehr gewitzt sein, wo doch nicht einmal sie selbst es immer kann!

Vor sechs Jahren hat Vittoria notgedrungen Francesco Peretti geheiratet, der, ich weiß es, mitnichten der Mann ihrer |52|Träume ist. Nicht, daß sie wie Tarquinia von einem Fürsten oder Herzog geschwärmt hätte. Nein! Sie hätte sich einen Helden gewünscht. Sie hat zu viele Rittergeschichten im Kopf!

Signor Peretti ist zu feinfühlig und zu rücksichtsvoll, als daß diese Ehe schlecht wäre. Doch wer wollte behaupten, es sei eine gute Ehe? Vittoria träumt immer noch weiter und macht sich nicht klar, daß einer Ehefrau nicht mehr geziemt, was einem jungen Mädchen noch erlaubt war. Was nun Signor Peretti anbelangt: was kann ein Mann wohl empfinden, wenn er nur selten im Schlafzimmer seiner Frau geduldet ist und ihr nach sechs Jahren Ehe noch kein Kind gemacht hat. Aber vielleicht ist das nicht einmal seine Schuld, wer weiß?

Für mein Empfinden ist Signor Peretti zu wenig selbstsicher und versteht es nicht, seine guten Eigenschaften zur Geltung zu bringen. An einem Novemberabend, als er mit seiner Mutter Camilla und mir vom Vespergottesdienst heimkehrte, wurde er in einer engen Gasse von drei Banditen angefallen, die ihn ausrauben wollten. Er zog sogleich seinen Degen und stellte sich ihnen entgegen, verwundete zwei von ihnen und schlug sie in die Flucht, wobei er selbst am Oberarm verletzt wurde. Was aber tat er bei seiner Rückkehr in den Palazzo Rusticucci? Er ließ mich auf mein Medaillon mit der Heiligen Jungfrau schwören, Vittoria von diesem Vorfall kein Sterbenswörtchen zu verraten, denn, so sagte er, er wolle sie nicht beunruhigen. Dabei wäre das die Gelegenheit gewesen, vor der auf Helden versessenen Vittoria endlich mal zu glänzen! Der arme Signor Peretti! Er ist so ungeschickt, daß er mir leid tut. Ich will nichts Schlechtes über die Frauen sagen, denn ich bin selbst eine Frau. Aber man darf das Zartgefühl ihnen gegenüber nicht übertreiben. Und schon gar nicht sich ihnen zu Füßen werfen, um eine Nacht mit ihnen zu erbetteln!

Signor Peretti ist wie seine Mutter Camilla: gütig und zärtlich. Als ich erfuhr, daß Camilla bei uns im Palazzo Rusticucci wohnen wird, wußte ich schon beim Anblick ihres feinen, sanften Gesichts, welche von den beiden Alten auf der anderen herumhacken würde. Dabei ist la Superba nicht etwa gemein zu Camilla, genausowenig wie Vittoria bösartig zu ihrem Mann ist. Ich würde eher sagen, die Perettis sind aus einem Stoff gemacht, der nicht robust genug ist, um den Accorambonis zu widerstehen. Nicht zufällig verdrängen die Mauersegler die Schwalben: |53|ihre Schnäbel sind größer, krummer und härter. Ich will niemanden tadeln. Ich sage nur, wie ich die Dinge mit meinem bißchen Verstand sehe.

Signor Peretti ist immer sehr gütig zu den Meinen gewesen und hat ihnen geholfen, als vor zwei Jahren das Boot meines Vaters an den Felsen Schaden nahm. Er hat sich auch außerordentlich nachsichtig meinem Bruder Domenico gegenüber verhalten. Ich schäme mich sehr, es zu gestehen: Domenico ist ein Bandit. Aber wer wüßte nicht, daß es in diesem unglückseligen Land fast in jeder Familie und sogar in den adligen Familien einen Taugenichts gibt. Zu meinem großen Unglück bilden die Accorambonis da keine Ausnahme.

Um auf Domenico zurückzukommen: er ist zehn Jahre älter als ich und unter meinen acht Geschwistern der einzige Linkshänder. Als Kind wurde er deswegen von meinem Vater windelweich geschlagen, damit er »wie ein Christenmensch« seine rechte Hand benutze. Aber die Schläge konnten nichts ausrichten. Selbst in der Kirche bekreuzigte sich Domenico mit der Linken. Was unseren Pfarrer sehr beunruhigte. Er sah darin eine Arglist des Bösen und gab meiner Mutter, wenn sie zur Beichte kam, zu verstehen, daß Domenico wenig Aussicht auf die ewige Seligkeit hätte, wenn er sich nicht besserte.

Domenico änderte sich nicht, und so nannte man ihn in Grottammare nicht mehr beim Vornamen – der schließlich der eines Heiligen ist –, sondern il mancino (der Linkshänder). Spitznamen sind in Grottammare nichts Ungewöhnliches, aber man sprach il mancino anders aus, als wenn man il zoppo (der Hinkefuß) oder il cieco (der Blinde) gesagt hätte. Jeder wußte, daß Blindsein ein Unglück ist, aber Linkshänder zu sein ist heimtückisch, wie unser Pfarrer sagte.

Da Domenico alles mit der falschen Hand machte, wunderte sich niemand, daß er auf die schiefe Bahn geriet. Mit achtzehn zerstritt er sich mit meinem Vater, lief von zu Hause weg und wurde Bandit. Wenn er abgebrannt oder krank war, kam er zurück und versteckte sich bei uns in Grottammare, wo mein Vater ihn aufnahm, ohne ihn eines Blickes oder Wortes zu würdigen; meine Mutter durfte ihm zu essen geben und ihn pflegen. Alle in Grottammare wußten Bescheid, wenn er da war, doch keinem Polizeioffizier wäre es eingefallen, ihn in seinem Nest hochnehmen zu wollen. Er hätte es mit meinem Vater und meinen |54|vier Brüdern zu tun bekommen und bei länger andauerndem Tumult auch mit den anderen Bootseignern.

Wegen seiner Missetaten war il mancino aus Rom verbannt. Doch manchmal, wenn er in der Nacht kam, gewährte ihm Signor Peretti auf meine inständige Bitte hin Gastfreundschaft und seinen Schutz. Er hat sich in dieser Sache sehr um Domenico verdient gemacht, denn als der Bargello della Corte1 davon erfuhr, hielt er ihm eine Strafpredigt, die er mit folgenden Worten schloß:

»Signor Peretti, Ihr nährt eine Schlange an Eurem Busen, die Euch früher oder später beißen wird.«

»Es liegt in der Natur der Schlange zu beißen«, entgegnete Peretti lächelnd, »was kann sie dafür?«

»Wie Euch beliebt«, sagte der Bargello. »Ich habe Euch jedenfalls gewarnt.«

Trotzdem hat der Bargello wenige Wochen später den Bannfluch aufgehoben. Ich muß gestehen, daß ich mich immer sehr freue, il mancino wiederzusehen, obwohl er Bandit geworden ist. Er ist mir von meinen fünf Brüdern der liebste.

Als kleines Mädchen war ich stolz und überglücklich, wenn ich mit ihm im gleichen Bett schlafen durfte. Sobald die Kerze gelöscht war, streichelte er mir mit sanfter leichter Hand den Bauch und die Brust und drückte kleine Küsse auf meinen Hals. Seine Liebkosungen verursachten mir wohlige Schauer. Als ich jedoch in die Pubertät kam, wollte mich meine Mutter nicht mehr bei meinen Brüdern schlafen lassen, und ich teilte fortan das Bett meiner beiden großen Schwestern, zwei Weibsbilder, die nicht so zärtlich zu mir waren.

Il mancino hat einen dunklen Teint und schwarzes Haar. Von der Figur her ist er eher klein, doch schlank, drahtig und sehr muskulös. Sein Gang ist ein wenig schief, und er läuft auf ganz leisen Sohlen. Er spricht mit sanfter Stimme, und seine Augen sind ebenfalls sanft, vor allem wenn sie auf mich gerichtet sind. Doch wenn er verärgert ist, werden sie plötzlich hart, und dann könnte ich schon auf einen einzigen Blick hin in den Erdboden versinken. Wenn er mich so durchbohrend ansieht, zittere ich nicht nur vor Angst, sondern auch vor Lust. So sind wir Mädchen: total übergeschnappt alle miteinander, keine besser |55|als die andere. Der gesellschaftliche Rang hat dabei nichts zu sagen. Die Signora Vittoria träumt nur von ihren Helden, und ich hab meine bösen Buben im Kopf: meinen Bruder il mancino und jenen anderen, den ich nicht nennen will.

 

 

Marcello Accoramboni:

 

Am 15. Juli 1580 habe ich Recanati niedergestochen: ich hatte gute Gründe dafür, obwohl manch einer sie belanglos finden wird.

Zweieinhalb Monate zuvor hatte ich entschieden, daß Recanati sterben müsse. Aber ich fahndete nicht nach ihm. Ich lauerte ihm nicht auf. Ich hatte mich entschlossen, alles dem Zufall zu überlassen. Und wäre er nicht zufällig und auf so wundersame Weise vor dem 30. Juli in Reichweite meines Dolches geraten, hätte ich auf mein Vorhaben verzichtet.

Ich hatte mir den 30. Juli als äußersten Termin für seine Hinrichtung gesetzt. Nach diesem Datum hätte ich den Schwätzer verschont. Warum gerade den 30. Juli? Aus Spielerei. Da ich Recanati nichts als Worte vorzuwerfen hatte, sollte der Zufall entscheiden, ob er zu leben verdient oder nicht. Kurz und gut, ich wollte ihm eine Chance geben, seine elende Haut zu retten. Aus ebendem Grund ließ ich ihm durch il mancino ausrichten, er solle mir aus dem Weg gehen, wenn er nicht möchte, daß ich ihm seine Worte in die Kehle zurückstopfe. Der Narr, er hat darüber nur gelacht! Das Sprichwort sagt ganz richtig: »Mit Blindheit schlägt das Glück, den es verderben will!« Diesen Satz hätte ich seinerzeit, als ich mit Vittoria bei einem Franziskanermönch studierte, auf lateinisch sagen können. Aber ich habe inzwischen alles Gelernte wieder vergessen. Sie natürlich erinnert sich an alles.

Sie und ich, wir sind so verschieden und doch so ähnlich. Ich bin eine Stunde nach ihr geboren. Der Pfarrer, der uns getauft hat, soll Zwillinge – zumal wenn sie von unterschiedlichem Geschlecht waren – sehr ungern gesehen haben. Er meinte, die enge Berührung eines Jungen mit einem Mädchen im Leib der Mutter sei nicht gut, und sagte Tarquinia voraus, einer von uns beiden würde schwachsinnig sein oder in jungen Jahren sterben. Gestorben ist keiner von uns, und es hält mich |56|auch niemand für einen Idioten. Doch ich dachte lange Zeit und denke noch, daß nur Vittoria wirklich intelligent ist. Die Seele ist noch schlechter unter uns aufgeteilt. Wir haben beide zusammen nur eine. Und die hat Vittoria abbekommen. Ich selbst habe nur Instinkte.

Da ich sehr dunkel bin, Vittoria dagegen überall in Gubbio wegen ihrer goldenen Haarpracht gerühmt wurde – mit der man zweimal wöchentlich in unserer kleinen Stadt einen quasi öffentlichen Kult trieb –, hielt ich mich in meiner Kindheit für häßlich; ich war glücklich, es zu sein und versteckt zu Vittorias Füßen zu leben, bis mir mit den Jahren bewußt wurde, daß mich die Frauen – alle Frauen – mit ihren Blicken förmlich verschlangen. Als ich ins Mannesalter kam, verschlimmerte sich das noch: die Frauen klammerten sich wie mit Fangarmen an mich. Ihre Augen, ihr Lächeln, ihre süßen Worte, alles klebte wie Leim an mir. Das entsetzte mich um so mehr, als zwischen Vittoria und mir trotz der großen Zuneigung, die wir füreinander empfanden, strengste Zurückhaltung herrschte. Wie auf Verabredung hielten wir, die wir vor unserer Geburt einander so nahe gewesen waren, peinlich darauf, körperliche Berührungen zu vermeiden – mehr, als zwischen Bruder und Schwester gemeinhin üblich –, so daß ich mich nicht erinnern kann, Vittoria jemals umarmt oder auch nur mit den Fingerspitzen berührt zu haben.

Es wäre dumm, daraus zu schließen, daß ich den weiblichen Körper hasse. Um es ganz deutlich zu sagen: ich mag es sehr gern, wollüstig in ihn einzudringen, und es tut mir wohl, seine Weichheit mit meinem Gewicht und meinen Muskeln zu erdrücken. Doch das ist diesem unersättlichen Geschlecht nicht genug. Es muß mich auch noch lieben, mir das sagen, an mir kleben. Ich finde diese vereinnahmende Liebe unerträglich. Ich sehe darin eine Beleidigung der distanzierten, edlen, gleichsam überirdischen Liebe, die ich für Vittoria fühle.

Die Sache mit Recanati hat sich folgendermaßen zugetragen: Am 15. Juli mittags sah ich Recanati in der Nähe der römischen Kirche Santa Maria della Corte allein in seiner Kalesche. Er lehnte lässig in seinen Polstern und blickte nach allen Seiten blasiert auf die Passanten, weniger um sie zu sehen als um in seinem ganzen blendenden Luxus gesehen zu werden. Die Kalesche, in der er thronte, war tatsächlich sehr schön, hinreißend |57|verziert und vergoldet; zudem wurde sie von vier herrlichen Füchsen mit wehenden blonden Mähnen gezogen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: ich selbst lungerte in diesem Moment nur müßig in der Sonne herum. Ich hatte gar nicht mehr an ihn gedacht. Aber als ich ihn plötzlich so frech, so selbstsicher und so nahe vor mir sah (die Straße war sehr eng), stieg eine Woge von Haß in mir auf. Unsere Blicke kreuzten sich. In Blitzesschnelle war alles vorüber, so rasch fuhr die Kalesche. Ich warf ihm einen zornigen Blick zu, den der Feigling mit einem spöttischen Lächeln erwiderte, so sehr vertraute er auf die Schnelligkeit seiner Pferde. Die Kalesche fuhr an mir vorbei. Ich zitterte vor Wut, die Hand am Dolch. Es war der 15. Juli. Nur noch zwei Wochen trennten mich von dem Datum, das ich mir selbst als äußerste Frist für meine Vendetta gesetzt hatte. Im ersten Moment wollte ich hinter der Kalesche herlaufen, aber abgesehen davon, daß sie sehr schnell fuhr, wäre dies unter meiner Würde gewesen. Ich ging weiter, mit gesenktem Kopf und weichen Knien, kurzatmig und mit aller Kraft meinen ohnmächtigen Zorn zurückdrängend.

Da kam mir der Zufall – ich wage nicht zu sagen: die göttliche Vorsehung – zu Hilfe. Ein von sechs Arbeitspferden gezogener Wagen, beladen mit behauenen Steinen für den Vatikan, wie ich später erfuhr, schnitt der Kalesche den Weg ab, deren Pferde plötzlich stehenblieben. Es kam weder zu einem Zusammenstoß noch zu sonst irgendeinem Unglück. Und der Zwischenfall hätte nicht länger als eine Minute gedauert, wenn nicht die Kutscher – dieser jähzornige Menschenschlag – angefangen hätten, sich zu beschimpfen. Auf die Beschimpfungen folgten Peitschenhiebe, bis am Ende die beiden Wüteriche von ihren Sitzen sprangen und übereinander herfielen: großer Tumult und ohrenbetäubender Lärm, in dem die Passanten jeweils für einen der beiden Kämpfer Partei ergriffen.

Ich befand mich noch in einiger Entfernung von der Kalesche, und obwohl mein Herz heftig zu schlagen begann, zwang ich mich, langsam zu gehen: es sollte bis zuletzt dem Zufall überlassen bleiben, Recanati in meine Hände zu geben.

Offenbar war alles von Anbeginn an so vorherbestimmt. Der Wagen versperrte der Kalesche die Straße, die beiden Füchse scharrten mit den Vorderhufen und bewegten ungeduldig die Köpfe, ohne auch nur einen Schritt vorwärts zu kommen. Die |58|Passanten umringten die beiden Kutscher, die nur noch Augen für ihren Kampf hatten. Der Weg war frei für mich.

Ohne mich im geringsten zu beeilen, stieg ich auf das Trittbrett. Mit der Linken packte ich Recanati an der Gurgel, mit der Rechten setzte ich die Spitze meines Dolches an sein Herz, ohne ein Wort. Er erkannte mich. Er erbleichte. Seine entsetzten Augen rollten in ihren Höhlen, auf seiner Stirn perlte der Schweiß, er konnte nicht sprechen, schüttelte nur immer wieder verneinend den Kopf.

In diesem Augenblick empfand ich einen großen Ekel vor der Tat, die zu begehen ich im Begriff stand. Nicht weil es sich um einen Mord handelte, sondern weil Recanati feige war. Der Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht, und meine Linke, mit der ich ihn an der Gurgel gepackt hielt, wurde feucht. Ich bin sicher: ich hatte ihm die Kehle nicht so fest zugedrückt, daß er nicht hätte sprechen können. Das Entsetzen allein lähmte ihm die Stimme und machte ihn unter meiner Umklammerung willenlos wie eine ausgestopfte Puppe. Schlimmer noch war der unerträgliche Geruch, den seine Feigheit um ihn verbreitete und der, wie der klebrige Schweiß an meiner Linken, mir eine solche Übelkeit verursachte, daß ich von meinem Vorhaben schon ablassen und diesen Schlappschwanz verschonen wollte. Ich kam mir nicht mehr wie ein Rächer, sondern nur noch wie ein Henker vor. Ich zauderte ein oder zwei Sekunden lang. Doch wie hätte ich in diesem Moment auf meine Blutrache verzichten können, ohne nicht selbst in meinen Augen als Feigling dazustehen? So trieb mich letztlich die Angst zum Handeln, die Angst, meine eigene Selbstachtung zu verlieren.

Ich drückte auf den Dolch und war überrascht, mit welcher Leichtigkeit er in den Körper Recanatis eindrang: wie in einen weichen Teig. Nie hätte ich geglaubt, daß es so leicht sei, einen Menschen zu töten.

Recanati erschauerte, sein Gesicht zuckte konvulsivisch, er schnappte zweimal verzweifelt nach Luft. Das war alles. Mit weit aufgerissenen Augen brach er in seinen Kissen zusammen. Ich zog meinen Dolch aus der Wunde, wischte ihn an seinem Wams ab und steckte ihn wieder in die Scheide. Dann sprang ich vom Trittbrett und blickte mich um. Die beiden Kutscher kämpften immer noch, angefeuert von der schaulustigen |59|Menge, und niemand schien darauf geachtet zu haben, was in der Kalesche passiert war.

Ich entfernte mich gemächlich, ohne mich umzuschauen, und erreichte den Wohnsitz von Margherita Sorghini. Ich empfand nichts, hatte nur Mühe beim Gehen und Atmen, denn es war sehr heiß, und spürte eine dumpfe Verwunderung darüber, wie leicht meine spitze Klinge in Recanatis Herz gedrungen war.

Die Kammerfrau sagte mir, daß die Signora soeben ihr Mittagsbad genommen habe und nun auf der »kleinen Terrasse« ruhe. Sie war übrigens gar nicht so klein, man hatte von hier einen weiten Rundblick über Rom, und in der Mitte der Terrasse befand sich ein großes Zelt in Form eines Baldachins, der nach Belieben an den Seiten durch weiße Leinenvorhänge geschlossen werden konnte, um Schutz vor Wind und Sonnenhitze zu gewähren. Margherita ruhte nackt auf einem breiten weißen Lager. Bei meinem Eintritt richtete sie sich halb auf und warf mir einen fragenden Blick zu, denn sie hatte wohl an meinem Gesichtsausdruck erraten, daß etwas Ungewöhnliches geschehen war.

Ich bedeutete ihr durch ein Zeichen, keine Fragen zu stellen, und als ich den Badezuber mit frischem Wasser erblickte, worin sich Margherita bei dieser Gluthitze abzukühlen pflegte, entkleidete ich mich schnell und tauchte bis zum Hals hinein. Es schien mir, als wüsche mich dieses klare Wasser von meinem Verbrechen rein. Über meinem Kopf sah ich durch das weiße Zeltleinen die Schatten der Mauersegler, die pfeilschnell nach allen Richtungen dahinschossen und spitze Schreie ausstießen. Obwohl ich weder an Gott noch an den Teufel glaube, war ich überzeugt, eine große Sünde begangen zu haben. Und doch, was ich genau in diesem Moment empfand – bizarr vermischt mit dem Wohlbehagen, das mir das frische Wasser und die Schatten der Mauersegler verschafften –, war nicht Reue, sondern nur tiefe Enttäuschung. Die Ermordung Recanatis hatte mir keine Befriedigung gewährt. Dazu hätte Recanati sich seines Todes bewußt werden müssen. Ich hatte eine Kerze ausgeblasen, die Kerze aber wußte nicht, daß sie erloschen war.

Als ich Margheritas Blicke auf mir spürte, runzelte ich die Stirn, so daß sie sogleich die Augen abwendete. Wie alle Frauen – außer Vittoria – hatte auch Margherita etwas von einem Kraken |60|an sich. Doch da sie doppelt so alt ist wie ich und mich zu verlieren fürchtet, ist es mir gelungen, sie zu erziehen. Abgesehen vom Liebesakt, über den ich allein entscheide, würde sie sich nie erlauben, mich zu berühren, zu umschlingen oder mit den tausend kleinen Schmeicheleien zu bedrängen, die die Frauen wie Leimruten zu unserem Fang bereithalten.

Ich stieg aus dem Zuber, schob den Zeltvorhang beiseite, stellte mich in die pralle Sonne und atmete den angenehm bitteren Duft der auf der Brüstung blühenden Geranien ein. Der Fliesenboden unter meinen Füßen war brennend heiß, so daß ich von einem Bein auf das andere treten mußte. Als auch der letzte Tropfen Wasser auf meiner Haut verdunstet war, brannte die Hitze auf meinen Schultern und meinem Nacken so unerträglich, daß ich unter das Zelt zurücktrat. Margherita, die mich offenbar durch den Vorhangspalt gespannt beobachtet hatte, schloß gerade noch rechtzeitig die Augen. Ihr jettschwarzes Haar, ihre blasse Haut, die braunen Aureolen ihrer Brüste und ihr dunkles Schamhaar gefielen mir. Winzige Fältchen zeichneten ihre Lider, ihre Brüste waren schwer, und ihre reife Schönheit schien an dem Punkt angelangt, wo sie zu schwinden beginnt. Ich liebte sie so, wie sie war, in ihrer verblühenden Schönheit. Und auch in der sklavischen Demut, die ich ihr abverlangte, wobei ich freilich den Verdacht hatte, daß sie trotzdem noch Mittel fand, mich zu beherrschen.

Ich stand vor ihrem Lager und betrachtete sie, ohne daß sie gewagt hätte, die Augen zu öffnen. So liebte ich sie: hingegeben, ausgeliefert, gefügig. Wortlos warf ich mich auf sie und nahm sie. Bald spürte ich, daß sie, entgegen den von mir verfügten Regeln, heimlich kleine Beckenbewegungen machte, um ihren Höhepunkt zu erreichen. Doch ich war selbst jenseits aller Worte, wie fortgerissen von meiner durch nichts aufzuhaltenden Lust. Ich ergoß meinen Samen. Sie stieß einen kurzen spitzen Schrei aus, auf den ein Mauersegler über unseren Köpfen zu antworten schien.

Ich ließ mich von ihrem Lager auf die Matte gleiten, die den Fliesenboden des Zeltes bedeckte, denn ich wollte die körperliche Berührung nicht unnötig verlängern. Dabei hatte ich fast Gewissensbisse, weil ich doch wußte, daß Margherita von allen meinen Regeln diese eine besonders widerstrebend akzeptierte. Giulietta behauptet, da ich meine Mutter zu einem Gegenstand |61|des Hasses, meine Schwester zu einem Gegenstand der Anbetung gemacht habe, wisse ich nun nicht, wie ich mich anderen Frauen gegenüber verhalten solle, und hätte in Wirklichkeit Angst vor ihnen. Aber ich weiß nicht, ob ich mich in diesem Punkt auf ihren »gesunden Menschenverstand« verlassen kann. Was hat sie denn für Erfahrungen in der Liebe? Obendrein ist ihr Urteil befangen. Sie liebt mich nämlich. Dieses »sie liebt mich« setze ich in Anführungsstriche. Ich hasse diese klebrigen Worte.

Da Margherita mich beherbergt, mich ernährt und kleidet, tuschelt ganz Rom, ich zöge ihr das Fell über die Ohren. Die Leute würden das auch laut sagen, fürchteten sie nicht meinen Degen. Aber dieses Urteil – schon wieder eins! – hat so wenig mit der Wirklichkeit zu tun, daß es mich kaum berührt. Hätte Recanati nur dies gesagt – nie und nimmer hätte ich mir die Mühe gemacht, ihn zu töten.

Ich verlange nichts von Margherita. Sie überhäuft mich mit Geschenken in der Sorge, ihren jungen Liebhaber an sich zu binden. Doch sie täuscht sich: ich bin ohnehin an sie gebunden. Selbst wenn mir ein hübsches junges Ding die gleichen Vorteile böte, würde ich um nichts auf der Welt meine alte Geliebte gegen sie eintauschen.

Ich sitze auf der Matte, schweißüberströmt, mit dem Rücken an das Lager gelehnt, den Nacken auf ein Kissen gestützt, das Margherita mir sofort untergeschoben hat, und komme langsam wieder zu Atem. Ich drehe mich um und sehe, daß ihre Finger um Daumesbreite mein Haar berühren, und ich spüre ihr brennendes Verlangen, es zu streicheln, was sie mitunter tut, wenn ich sie nehme, denn ich bin dann zu angespannt, um sie daran zu hindern. Ich betrachte ihre Finger mit den schweren Ringen, die ich manchmal an meine Hände stecke. Ich bewundere die Juwelen. Sie würde sie mir schenken, wenn ich sie darum bäte. In diesem Augenblick wird mir bewußt, daß sich das Alter nicht so sehr durch die Gesichtszüge, sondern viel mehr durch die Hände verrät. Margheritas Körper ist zehn Jahre jünger als ihr Gesicht und dieses wiederum zehn Jahre jünger als ihre Hände. Ich beuge meinen Kopf nach rechts und küsse ihre Hand, was ich sofort bereue. Ich habe gespürt, wie sie hinter meinem Rücken ob dieser ungewohnten Huldigung erschauerte.

|62|Ich sage trocken: »Nimm deine Hand da weg!« und fahre im gleichen Atemzug fort: »Ich habe Recanati getötet.«

Margherita zieht ihre Hand zurück, seufzt und sagt mit erstickter Stimme: »Das dachte ich mir schon.«

Doch gehorsam wie immer – wenigstens dem Anschein nach –, stellt sie keine Fragen. Ich denke oft, daß diese Unterwerfung unter meine Regeln für sie nichts weiter als ein Spiel ist, perfekt von ihr beherrscht; genauso würde sie einem Liebhaber Koketterie vorspielen, wenn er das wünscht. Denn obwohl sie das Fragen unterläßt: ihr Schweigen selbst ist eine einzige Frage. Sie weiß genau, daß ich in diesem Moment das dringende Bedürfnis empfinde, mich anzuvertrauen. Wer also wird von meinen Regeln beherrscht? Sie oder ich?

»Willst du wissen, warum, Margherita?«

»Ja.«

Nichts ist korrekter, nichts entspricht meinen Regeln mehr als dieses »ja«. Und wäre da nicht ein unterdrücktes Zittern in ihrer Stimme, könnte ich glauben, sie mokiere sich über mich. Doch nein. Ich wette, sie ist schon dabei, die vielleicht unüberwindlichen Schwierigkeiten abzuschätzen, die dieser Mord für unsere Beziehung mit sich bringen wird.

»Vor zweieinhalb Monaten«, sage ich leise, »erklärte im Salon der Monteverdi irgendein Dummkopf, der nur Binsenweisheiten von sich geben konnte, Vittoria Peretti sei zweifelsfrei die schönste Frau in ganz Italien. Recanati war auch da – du kennst ihn ja, nichts als Äußerlichkeiten, Eitelkeit und Angeberei und kaum Verstand genug, um rechts und links auseinanderzuhalten. Kurz, dieser verrückte Kerl fühlte sich durch das Loblied auf Vittoria gereizt und sagte in seiner typischen blasierten Art: ›In der Tat, Vittoria ist schön, zu schön, so schön, daß sie eines Tages zur Metze werden wird.‹ Er hatte mich nicht gesehen, denn ich war durch eine kleine Palme verdeckt. Ich stürzte mich auf ihn, man trennte uns. Am nächsten Tag ließ ich ihm meine Herausforderung zum Duell überbringen. Er antwortete, er sei von zu altem Adel, um sich mit mir zu schlagen.«

»Wie?« fragt Margherita, »adelig, er?«

»Nicht mehr als ich. Seine Weigerung war reine Feigheit. Und das hat ihn nun das Leben gekostet, seine Feigheit samt seiner dummen Überheblichkeit, die ihn glauben machte, ich |63|würde nicht wagen, ihn zu erdolchen. Als ich es ihm durch il mancino ankündigen ließ, hat er gelacht.«

»Und was wird nun passieren?« fragte Margherita. »Ich weiß nicht. Ist auch unwichtig. Stell mir keine Fragen. Hätte Recanati meine Herausforderung angenommen, hätte ich ihn nur am Arm verwundet. Seine Dummheit verdiente nicht mehr.«

Wir hörten die Terrassentür aufgehen, Margherita zuckte zusammen und fragte:

»Bist du es, Maria?«

»Ja, ich bin’s, Signora. Il mancino möchte zu Signor Marcello. Er sagt, es sei wichtig. Sehr wichtig.«

»Schon!« rief Margherita.

Sie erbleichte, warf mir nur einen einzigen Blick zu und fiel in ihr Schweigen und ihre Unbeweglichkeit zurück. Ich fühlte mich wie losgelöst von meinem eigenen Leben, heiter und gelassen. Ich zog mich an und stieg die Wendeltreppe zum Innenhof hinab, wo il mancino auf und ab ging, wie üblich leicht schief und mit den Augen ständig auf der Lauer.

»Was willst du von mir?«

»Euch raten, Signore, dieses Haus zu verlassen und Euch in den Palazzo Rusticucci zu begeben.«

Wenn il mancino spricht, sieht er einem niemals ins Gesicht, sondern starrt auf den Gürtel, auf die Stelle, wo die Börse befestigt ist, als wöge er sie ab.

»Warum?«

Dieses »warum« ließ den mancino aufseufzen. Er war wortkarg, obwohl er stolz war, sich in gutem Italienisch auszudrücken und nicht in der Mundart der Fischer von Grottammare. Aus seinen langen Auseinandersetzungen mit der Corte hatte er die simple Erkenntnis zurückbehalten, daß Schweigen Gold ist.

»Die Signora Sorghini«, sagte er in seiner höflichen Art, »ist gewiß eine begüterte Witwe, aber sie verfügt nicht über die notwendigen Beziehungen. Ihr Wohnsitz ist folglich nicht unverletzlich, wohingegen der Bargello es sich zweimal überlegen wird, ob er den Palazzo Rusticucci durchsuchen läßt, da Euer Schwager ja der Sohn eines Kardinals ist.«

»Du denkst also, der Bargello könnte Lust bekommen, den Palazzo Rusticucci zu durchsuchen?«

|64|»Gewiß, Signore, wenn Ihr dort seid.«

»Wie das?«

Il mancino betrachtete schweigend meine Börse, und ich begann, sie aufzuknoten. Diese Geste entging ihm nicht und machte ihn plötzlich sehr gesprächig.

»Heute nachmittag«, fuhr er fort, »hat der Bargello Maria-Magdalena, genannt la Sorda1, verhört. Sie ist nicht wirklich taub. Sie tut nur so. Dadurch kann sie ihre Kunden ausnehmen und sie nachträglich mehr bezahlen lassen als den vereinbarten Preis. Sie ist nämlich gewerbsmäßige Dirne«, fügte er verschämt hinzu.

»Mach’s kurz!« unterbrach ich ihn.

»Wir haben genug Zeit«, sagte il mancino. »Der Bargello hat in Eurer Angelegenheit den Gouverneur um Audienz gebeten, Signore, und bei dem warten eine Menge Leute.«

»Mach’s trotzdem kurz! Wenn man bedenkt, daß ich dich immer für wortkarg gehalten habe!«

»Das bin ich auch, Signore, doch mit Eurer gütigen Erlaubnis und in diesem Fall möchte ich doch, daß Ihr für Euer gutes Geld gut bedient werdet. La Sorda wurde vom Bargello wegen ihres Streits mit einem Kunden verhört, als jemand in die Räume der Corte gestürzt kam und dem Bargello mitteilte, er habe mit eigenen Augen den ermordeten Recanati gesehen und kenne den Mörder. Der Bargello schien von dieser Nachricht stark beunruhigt. Er schickte die Sorda weg, und die rannte sofort zum ›Ölberg‹«.

»Dort meditierst du also?«

»Dort trinke ich, Signore. Das ist eine Taverne.«

»Und diese Sorda ist eine von deinen Freundinnen?«

»Ach was, Signore!« rief il mancino entrüstet. »Ich verkehre doch nicht mit solchem Abschaum. Aber die Sorda kennt den großen Respekt, den ich Euch entgegenbringe.«

»Und sie hat dir diese Information gegeben?«

»Sie hat sie mir nicht gegeben, Signore, sie hat sie mir für fünfzig Piaster verkauft.«

»Du bekommst hundert Piaster, mancino, wenn du als Kundschafter bis zum Palazzo Rusticucci vor mir hergehst.«

»Signore«, antwortete il mancino, »vielen Dank für Eure |65|Großzügigkeit. Doch ich habe nichts von Euch verlangt. Ich tat es aus Freundschaft für Euch.«

»Bei mir ist es auch nur Freundschaft für dich.«

Am Portal zum Palazzo Rusticucci war keine Falle für mich aufgestellt, was beweist, daß der Bargello mit dem Gouverneur noch über mein Schicksal beriet. Damit mich jedoch der Wächter nicht sehe und also auf Befragen auch nichts aussagen könne, trat ich durch eine kleine Hinterpforte ein, zu der ich den Schlüssel besaß. Il mancino folgte mir, denn unser Wohnsitz war einer seiner Zufluchtsorte geworden, seitdem Francesco Peretti ihn unter seinen Schutz genommen hatte.

Die erste Person, der wir im Hof begegneten, war die Schwester des mancino, die bei unserem Anblick abwechselnd rot und blaß wurde, sich in die Arme ihres Bruders warf und ihm in ihrem Heimatdialekt, den ich nicht verstehe, eine lange Predigt hielt, wobei sie mir heimlich glühende Blicke zuwarf. Ich drehte meinen Kopf weg und zeigte mein Profil, aber das half nichts. Meine Wange schmerzte förmlich unter ihren Blicken. Caterina Acquaviva ist bestimmt die schlimmste von allen Kraken dieser Welt. Giulietta sagt, sie sei »frisch und lebendig wie ihr Name«, doch vor meinem geistigen Auge sehe ich sie nicht wie eine Quelle, sondern eher wie einen glühenden Backofen. Außerdem mißfällt mir die Art, wie sie ihren Busen zur Schau stellt.

Ich befahl ihr knapp, Vittoria meinen Besuch zu melden, und sie verschwand mit wippendem Hinterteil, wie ich es bei ihr gewohnt bin. Es ist erstaunlich, wie stolz diese Äffin auf ihren kleinen Körper ist. Ich zwang mich, sie nicht mit Blicken zu verfolgen. Sie hätte es gespürt.

Ich erzählte Vittoria alles. Sie errötete, als ich ihr Recanatis Worte wiederholte, doch das blieb ihre einzige Reaktion. Nachdem ich geendet hatte, lief sie, Francesco Bericht zu erstatten, der umgehend seine Pferde satteln ließ, um beim Papst um Audienz zu bitten.

Gregor XIII. hörte Francesco geduldig an. Sosehr er Montalto haßte, so sehr liebte er den Neffen, vielleicht weil diesem ganz offensichtlich alles Geniale abging.

»Seit jeher«, sagte der Papst, »haben sich in diesem Land die Brüder ebenso beleidigt gefühlt wie die Ehemänner, wenn die Ehre ihrer Schwester in Frage gestellt schien. Dieser junge |66|Mann hat also nichts Unverzeihliches begangen. Sagt ihm, er solle beten und bereuen. Ihm wird deswegen nicht vergeben. Doch wenn er keinen weiteren Mord begeht, wird ihn die Corte in Frieden lassen.«

Seine Milde, obwohl in Rom gerühmt, rührte mich nicht: sie hatte nichts vom Geist des Evangeliums. Wenn Gregor XIII. nicht wußte, wie er sich entscheiden sollte, versuchte er sich vorzustellen, was Montalto an seiner Stelle täte. Im vorliegenden Fall war die Sache klar: Montalto hätte mich festgenommen, verurteilt und gehängt. Gregor XIII. tat das Gegenteil mit einem Vergnügen, das ich durchtrieben nennen würde, wenn er nicht Pontifex maximus wäre.