Caterina Acquaviva:
In der Engelsburg wurden wir nicht mißhandelt, und wir waren auch nicht schlecht untergebracht. Wir bewohnten zwei ausreichend große, miteinander verbundene Zimmer, deren einziger Nachteil die vergitterten kleinen Fenster waren. Unsere Mahlzeiten wurden uns abwechselnd von einer alten Nonne oder von einem jungen Nönnchen gebracht, das vielleicht zwanzig war. Die Alte senkte beim Betreten unserer Zimmer sofort die Lider, die sie erst im Hinausgehen wieder aufschlug, und nie erwiderte sie unseren Gruß.
Am Anfang hielten wir sie für taub. Doch als ich einmal die Haarbürste auf den Fliesenestrich fallen ließ und sie bei diesem Geräusch zusammenfuhr, begriffen wir, daß ihre Taubheit vorgetäuscht war. Sicher fürchtete sie, unsere Sünden könnten durch Augen und Ohren in ihren Körper eindringen. Es fehlte nur, daß sie sich auch noch die Nase verstopft hätte.
Das junge Nönnchen war recht hübsch, sprach wenig, lächelte aber gern und amüsierte sich über die geringsten Kleinigkeiten. Es wunderte mich, daß ein Mädchen noch so fröhlich sein konnte, nachdem es das Gelübde abgelegt hatte, nie einen Mann an sich heranzulassen. Sie schien mich sympathisch zu finden, weswegen ich sie immer bis zur Tür brachte und ihr dabei ein paar harmlose Fragen stellte, die sie in aller Unschuld beantwortete. So erfuhr ich, daß wir weniger und schlechteres Essen bekommen würden, hätte nicht Seine Eminenz Kardinal Montalto dem Kerkermeister Geld zukommen lassen. Als ich das der Signora berichtete, rief sie: »Also ist er mir immer noch zugetan!« und fing an zu weinen. Es waren gute Tränen, die ihr wohltaten.
Gerade an dem Abend, da der Aufruhr begann, versorgte uns das Nönnchen. Ich hörte Geschrei und Pferdegetrappel und fragte, während ich sie zur Tür begleitete, nach dem Grund. Sie konnte oder wollte ihn mir nicht nennen, schien allerdings sehr erschrocken und zitterte sogar. Sie empfahl mir, die Nase nicht |298|aus dem Fenster zu stecken, was ich indes nach ihrem Weggang sofort tat. Der Mond schien hell, ich sah aber nur viele Reiter am anderen Ufer des Tiber entlanggaloppieren. Der Lärm kam offenbar eher vom Vatikan herüber, und unsere Fenster gingen auf den Fluß.
Es war so laut, daß an Schlaf nicht zu denken war, und die Signora wollte sich nicht einmal ausziehen. Woran sie gut tat, wie sich später herausstellen sollte. Seit Beginn ihrer Einkerkerung war sie vor allem deshalb unglücklich, weil die alte Nonne ihr die Bücher – die mitzunehmen Della Pace ihr erlaubt hatte, als er uns verhaften kam – sofort weggenommen hatte. Die Signora schrieb auf lateinisch ein Rückgabegesuch an den Heiligen Vater, das jedoch nicht beantwortet wurde. Als ich mich darüber wunderte, sagte sie lächelnd: »Wer weiß, vielleicht kann der Heilige Vater kein Latein.«
Sie sprach wenig und nahm nie den Namen des Fürsten in den Mund, der für sie nicht mehr zu existieren schien. Aber sie erwähnte wiederholt mit liebevollen Worten Signor Peretti, den sie nun, nach seinem Tod, viel mehr als zu seinen Lebzeiten zu schätzen schien.
Da sie ständig ihre Bücher zurückforderte, liehen ihr die Nonnen schließlich das Neue Testament. Sie las es mit so viel Eifer, daß sie es nach wenigen Tagen beinahe auswendig kannte und ganze Passagen daraus aufsagte. Allerdings machte sie über die Evangelien mitunter auch Bemerkungen, die mich in Erstaunen setzten. So schaut sie eines Tages von ihrer Lektüre auf und sagt:
»Ich weiß gar nicht, warum der heilige Matthäus sich soviel Mühe gemacht hat, die lange Ahnenreihe des Joseph aufzuzählen. Wozu soll das gut sein, wenn doch Joseph nicht Jesu Vater war? Der heilige Matthäus hätte die Ahnenreihe von Maria aufstellen sollen.«
»Er hat es nicht getan, Signora, weil Maria nur eine Frau war«, erwidere ich.
»Vermutlich hast du recht«, meint sie und sieht mich ob meiner Antwort erstaunt an.
Plötzlich fängt sie an zu lachen.
»Caterina, du redest wie eine Ketzerin! Wie kannst du sagen, Maria sei nur eine Frau gewesen, wo sie doch die Gottesmutter ist.«
Ich blicke sie an. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. |299|Erst lobt sie mich, dann lacht sie mich aus! Über wen mokiert sie sich? Über mich oder über den heiligen Matthäus? Sie ist die Ketzerin! Oder sie rächt sich am heiligen Matthäus, weil sie sich darüber ärgert, daß die Nonnen ihr die Bücher weggenommen haben. Aber klagen – nein, das tut sie nicht. Wirklich, ich bewundere ihren Mut. Ich selbst bin nicht so stark. Tagsüber nehme ich mich zusammen, um ihr keinen Kummer zu bereiten. Abends im Bett aber weine ich mich so richtig aus. Ich denke an meine Familie in Grottammare und an das, was der Pfarrer von der Kanzel herab über mich sagen mag. Ich denke auch an meine Liebhaber und lasse sie in Gedanken Revue passieren. Das tut mir zunächst gut. Aber hinterher fühle ich mich um so elender und verlassener auf meinem Strohsack. Ja, ich schlafe auf einem Strohsack – welche Schande! Die Signora hat wenigstens ein Bett.
Als uns der nette Della Pace ins Gefängnis begleitete, fand er eine Möglichkeit, seinen Schnurrbart meinem Ohr zu nähern und mir zuzuflüstern: »Schlaft ruhig. Man wird Euch keinen Prozeß machen. Man hat nichts gegen Euch.« Das habe ich der Signora wiederholt, doch sie blieb besorgt und sagte mit einem Achselzucken:
»Ja, aber es wird Jahre dauern. Wenigstens bis zum Tode des Papstes. Und der erfreut sich eiserner Gesundheit.«
In der folgenden Nacht habe ich auf meinem Strohsack inbrünstig gebetet, der Herr möge den Heiligen Vater so schnell wie möglich zu sich nehmen. Danach hatte ich Gewissensbisse, denn ich weiß nicht, ob es gut katholisch ist, für den Tod des Papstes zu beten.
Ich mußte auch an Della Pace denken und wie angenehm ich das Kitzeln seines Schnurrbarts an meinem Ohr empfunden hatte. Wenn wenigstens er mich in der Engelsburg aufsuchen könnte, um mich zu verhören, allein in einem kleinen Zimmer! Doch auch dieser Hoffnungsschimmer wurde zunichte gemacht, als ich von dem Nönnchen erfuhr, der Kommandant der Burg sei nicht er, sondern ein Gouverneur.
An Marcello, diesen Taugenichts, verbiete ich mir jeden Gedanken. Ich wünsche ihm viel Spaß mit seiner Alten in Amalfi!
Anfangs machte ich mir große Sorgen um seine Sicherheit, aber die Signora hat mich beruhigt: der Vizekönig von Neapel hasse den Papst und werde ihm Marcello niemals ausliefern.
|300|Nun noch einmal zurück zu dem Abend, an dem uns der Lärm um den Vatikan so stutzig machte. Daß es sich um einen Aufstand handelte, haben wir erst richtig begriffen, als es mit den Musketensalven losging. Zumal kurz darauf großes Durcheinander in der Engelsburg herrschte, immer wieder Getrappel treppauf, treppab und dumpfes Rollen über uns.
Der Gouverneur, der uns noch nie eines Besuches gewürdigt hatte, erschien ganz überraschend bei uns: ein dicker Mann mit hervortretenden Augen und falschem, feierlichem Gehabe wie ein Notar.
Er grüßt sehr höflich und sagt:
»Signora, ich bin gekommen, um Euch zu beruhigen. Die Engelsburg ist erwiesenermaßen sicher und solide gebaut. Für Euch besteht überhaupt keine Gefahr.«
»Aufrichtigen Dank, signor governatore«, erwidert die Signora mit höflichem Lächeln, »aber ich hatte überhaupt keine Angst.«
Der Gouverneur ist offensichtlich etwas verwirrt über diese Antwort und auch über die Zurückhaltung der Signora, die sich mit keinem Wort nach dem Lärm innerhalb und außerhalb unserer Mauern erkundigt.
»Signora«, sagt er, bevor er sich wieder zurückzieht, »es wird eine lange Nacht werden. Wenn Ihr möchtet, lasse ich Euch sogleich eine kleine Erfrischung bringen.«
Die Signora will schon ablehnen, aber ich bedeute ihr durch Zeichen hinter dem Rücken des Gouverneurs, das Angebot anzunehmen.
»Herzlichen Dank, signor governatore«, sagt sie, »ich nehme gern einen Kräutertee.«
Der Gouverneur verneigt sich erneut, macht kehrt und schreitet zur Tür, so als ob auch die Steinplatten unter seinen Schuhen von der Wichtigkeit seiner Person beeindruckt werden müßten.
Wie ich gehofft hatte, war es das Nönnchen, das uns den Tee brachte. Sie war bleich, und ihre Hände zitterten. Beim Hinausbegleiten fragte ich sie, was es mit diesem Rollen über uns auf sich habe.
»Unsere Kanonen werden an eine andere Stelle gebracht.«
»Wer sind denn die Belagerer?« frage ich.
»Das kann ich Euch nicht sagen. Doch bestimmt sind es böse Menschen.«
|301|»Verzeiht, Schwester, aber Ihr zittert ja. Fürchtet Ihr um Euer Leben?«
»Nein«, sagt sie tonlos, »ich fürchte die Gewalttätigkeit der Soldaten, falls die Burg gestürmt wird.«
Beinahe will ich schon sagen: »Ach was, das ist gar nicht so schlimm!«, halte aber dann doch meine Zunge im Zaum. Sie ist ein nettes Mädchen, und ich will sie nicht schockieren. Es geht schon eigenartig zu in der Welt: was dem einen fehlt, macht dem anderen angst!
Eine halbe Stunde später kommt sie zurück und sagt:
»Signora, auf Befehl des governatore soll ich Euch packen helfen. Ihr müßt Euern Wohnsitz wechseln. Dort, wohin man Euch bringt, werdet Ihr sicherer sein.«
Die Signora stellt keine Fragen, und ich auch nicht, obwohl sie mir auf der Zunge brennen. Ich kann mir schon denken, daß das arme Mädchen unseren Bestimmungsort nicht kennt.
In einer Viertelstunde sind wir fertig und steigen die Treppe hinunter: die Signora, ich und ein Sbirre, der unsere irdischen Besitztümer hinabträgt. Der Gouverneur läßt sich nicht sehen.
Wir gehen durch eine Pforte hinaus, die innen von einigen Sbirren bewacht wird. Draußen erschallt ohrenbetäubender Lärm, doch ich habe keine Zeit, etwas zu erspähen, denn kaum zwei Schritte von der Pforte entfernt wartet eine Karosse, leuchtend rot und vergoldet, soviel ich im Mondschein erkennen kann. Das Wappen auf dem Schlag ist nicht zu sehen, da ein Offizier mit gezogenem Hut ihn weit aufhält. Rechts und links verstellen Reiter uns die Sicht.
Der Sbirre übergibt einem Soldaten das Gepäck und zieht sich zurück, besser gesagt: er macht sich heimlich aus dem Staub und knallt die Pforte der Engelsburg hinter sich zu. Die Männer der Eskorte lachen, aber der Offizier bringt sie mit einer Geste zum Schweigen.
Die Karosse ist mit rotem Samt ausgeschlagen und mit vergoldeten Posamenten verziert – das Ganze wäre eines Kardinals würdig. Ich vermute, man will uns in irgendeiner Festung eines Prälaten – wie Santa Maria beispielsweise – in Sicherheit bringen. Aber ich wage nicht zu fragen, da die Signora in königlicher Haltung schweigt, ebenso der schwarz maskierte Offizier uns gegenüber.
Die Karosse rollt sehr schnell. Ich kann nicht sehen, durch |302|welche Straßen wir fahren, denn die roten Samtvorhänge an den Fenstern sind zugezogen, und sie zu lüpfen, wage ich nicht, so sehr beeindruckt mich der Offizier mit seiner schwarzen Maske.
Zu meiner großen Überraschung rollt die Karosse nur kurze Zeit, dann wird sie langsamer, fährt im Schritt, wendet und hält schließlich an. Als der Offizier abspringt und uns den Schlag öffnet, kann ich undeutlich – der Mond ist gerade von dichten Wolken verhangen – einen großen Hof voller Menschen wahrnehmen. Der Offizier geht uns bis zum zweiten Stock voran, wo er uns in einen mit prächtigen Wandbehängen und Teppichen geschmückten kleinen Salon eintreten läßt. Dann nimmt er die Maske ab. Sein Gesicht ist mir gänzlich unbekannt; aus dem Augenwinkel bemerke ich, daß auch die Signora ihn nicht kennt, so daß ich mich frage, warum er so geheimnisvoll getan hat. Auf jeden Fall ist er für einen Kerkermeister überaus höflich, denn er verneigt sich vor der Signora fast bis zur Erde und sagt mit größtem Respekt:
»Der kleine Salon und die beiden anschließenden Zimmer stehen zu Eurer Verfügung, Signora. Ich hoffe, Ihr werdet Euch wohl fühlen. Mir wurde befohlen, alles für Eure Bequemlichkeit ins Werk zu setzen.«
Die Signora ist über diese Aufmerksamkeit, das goldene Gefängnis und die prächtige Karosse, die uns hergebracht hat, sichtlich überrascht. Als sich der Offizier rückwärtsgehend zurückzieht – sein Hut fegt fast den Boden –, fragt sie lebhaft:
»Signore, ich bin hier noch nie gewesen. Könnt Ihr uns sagen, wo wir uns befinden?«
»In Montegiordano, Signora«, antwortet er und zieht erstaunt die Brauen hoch.
Da die Signora nichts erwidert, macht er eine weitere tiefe Verbeugung und geht.
»Mein Gott!« ruft die Signora und faßt sich mit beiden Händen an den Hals.
Sie ist so bleich, daß ich eine Ohnmacht befürchte und zu ihr hinstürze, um sie aufzufangen; aber sie befreit sich energisch aus meinen Armen und beginnt, mit großen Schritten hin und her zu laufen, beide Fäuste in wahnsinnigem Zorn an die Wange gepreßt. Ich gehe ihr aus dem Weg, halte den Mund und mache mich in einer Ecke des Zimmers ganz klein. Ich kenne sie zu gut, um zu glauben, ich könnte sie mit Worten besänftigen. |303|Eher noch ließe sich mit der Stimme der Donner oder mit den Händen der Blitz aufhalten.
Die Signora ist inzwischen nicht mehr bleich, sondern rot im Gesicht. Von Zeit zu Zeit nimmt sie die Hände von den Wangen und greift sich an die Kehle, als müsse sie vor Wut ersticken. Gut zehn Minuten läuft sie so hin und her, und alles, was sie zu sagen vermag, ist: »Welche Schande! Welche Infamie!« Seltsam, sogar mit diesem verzerrten Gesicht und den zusammengezogenen Brauen ist sie noch schön.
Endlich setzt sie sich, vermutlich durch die Erregung erschöpft, aber sie sitzt kerzengerade, die Lippen und die Kiefer krampfhaft zusammengepreßt, die Arme vor der Brust verschränkt. Ich bleibe still in meinem Eckchen, denn ich verstehe sehr wohl, was in ihr vorgeht, und bin beunruhigt darüber, wie sie die Sache aufnimmt.
Jemand klopft an die Tür, und da die Signora nicht reagiert, wird noch ein zweites Mal geklopft. Sie gibt mir ein Zeichen aufzumachen.
Es ist Fürst Orsini. Ich trete zur Seite, um ihn vorbeizulassen, und er stürmt mit großen Schritten in den Salon, der durch seine Anwesenheit plötzlich viel kleiner wirkt. Wahrhaftig, er ist ein sehr schöner Mann: groß, breitschultrig, mit dem Kopf einer römischen Statue. Aber vor allem gefällt mir seine entschiedene, strahlende Siegermiene. Dieser Ausdruck erlischt leider mit einem Schlag, als er das finstere Gesicht der Signora sieht. Er bleibt stehen, mustert sie ungläubig und scheint keines Wortes mächtig.
»Könnt Ihr mir erklären, Signore, wieso und warum ich in Euerm Hause bin?« fragt sie in schneidendem Ton.
Der Fürst erbleicht, als habe die Signora ihn geschlagen. Als er endlich spricht, ist seine Stimme wie erstickt, wird allmählich aber wieder fester.
»Signora, auf diesen Empfang, den ich nicht zu verdienen glaube, war ich nicht gefaßt. Ich habe Berge versetzt, Euch aus der Engelsburg zu befreien! Ich habe mich gegen meinen Herrn erhoben, eine Revolte angezettelt und mein Herzogtum, meinen Besitz und mein Leben für Euch aufs Spiel gesetzt! Und leider auch das Leben anderer! Vieler anderer! In dieser Nacht sind Ströme von Blut für Euch vergossen worden. Und Ihr verlangt eine Erklärung?«
|304|»Ja, Signore«, sagt die Signora eisig.
»Also gut«, sagt der Fürst, dessen Verwunderung langsam dem Zorn weicht, »da Ihr eine Erklärung fordert, hier ist sie: Eure Befreiung ist der Preis, den der Papst zahlen mußte, um seinen Thron zu retten.«
»Und wer hat Euch erlaubt, mich gegen einen Thron einzutauschen? Habe ich in diesen Kuhhandel eingewilligt? Habt Ihr mich gefragt?«
»Euch gefragt? Wenn es um Eure Befreiung geht?«
»Meine Befreiung! Ihr wagt, meine Anwesenheit hier Befreiung zu nennen? Wo doch Montegiordano der schlimmste – wohlgemerkt: der schlimmste – Kerker für mich ist, da er mich ehrlos macht.«
»Montegiordano macht Euch ehrlos?« schreit der Fürst, aufs äußerste erzürnt. »Nennt Ihr es Ehrlosigkeit, meine Frau zu werden?«
»Oh«, ruft sie, erhebt sich und sieht ihn mit blitzenden Augen an, »das also ist es! Ihr tauscht mich wie eine Ware ein, und die Ware muß es zufrieden sein, auf Lebenszeit Euer Eigentum zu werden. Aber wenn all die Intrigen und das viele Blut nur diesem Ziel gedient haben, werde ich niemals die Frau eines Edelmanns sein, der sein Wort so feige gebrochen hat wie Ihr!«
»Vittoria!« Der Fürst ist bleich vor Zorn und Bestürzung. »Was sagt Ihr da? Wollt Ihr mich verhöhnen? Ich soll mein Wort gebrochen, feige gehandelt haben? Dafür schuldet Ihr mir Beweise, sofort!«
»Beweise?« sagt die Signora spöttisch. »Vielleicht ein Duell! Wählt die schnellste Lösung: tötet mich! Und wenn Euch dazu der Mut fehlt, folgt Eurer natürlichen Neigung, mietet einen Mörder. Oder wenn Ihr noch ein Fünkchen Menschlichkeit in Euch habt und mein Leben schonen wollt, so gewährt mir eine letzte Gnade: bringt mich auf der Stelle in die Engelsburg zurück!«
»In die Engelsburg zurück?« fragt der Fürst fassungslos.
»Ihr habt mich befreit, also bin ich frei – nicht wahr? Und da ich frei bin, sage ich Euch aus freiem Entschluß: ich will keine Minute länger bei Euch bleiben.«
»Was Ihr da sagt, Vittoria, ist völlig unsinnig!«
»Im Gegenteil, es ist sehr vernünftig. Ich wiederhole noch einmal: jede Minute hier bei Euch entehrt mich und macht |305|mich vor aller Augen zu Eurer Mätresse und zur Komplizin des Mörders meines Mannes.«
»Was sagt Ihr da?« ruft der Fürst empört. »Ich bin weder direkt noch indirekt der Mörder Francesco Perettis. Wie konntet Ihr auch nur eine Minute glauben, ich hätte meinen Schwur von Santa Maria gebrochen, niemals nach seinem Leben zu trachten?«
»Wie soll ich Euch glauben?« fragt die Signora.
Aber ich sehe deutlich, wie sehr die Vehemenz des Fürsten sie erschüttert hat. Leise fährt sie fort:
»Wer anders als Ihr hatte Interesse an seinem Tod?«
»Ich erlaube Euch nicht, an meinem Wort zu zweifeln, Vittoria«, sagt er nachdrücklich. »Ich beteure und wiederhole: weder direkt noch indirekt habe ich etwas mit dem Mord zu tun! Ich schwöre es Euch bei meinem Seelenheil.«
Der feierliche Schwur beeindruckt die Signora, und sie weiß nichts zu entgegnen. Für kurze Zeit. Als sie von neuem zu sprechen anhebt, ist die anfängliche Heftigkeit der Verzweiflung gewichen.
»Ob Ihr nun schuldig seid oder nicht, Signore, das ändert leider nichts. Niemand, der von meinem Aufenthalt hier erfährt, wird mehr an Eure oder meine Unschuld glauben. Meine Anwesenheit hier verdammt uns beide, Euch als den Mörder von Francesco, mich als die Ehebrecherin und Eure Komplizin. Mein Entschluß bleibt deshalb unumstößlich: ich verlange, daß Ihr mich sofort nach der Engelsburg zurückbringt.«
»Noch einmal: das ist Wahnsinn! Versteht Ihr denn nicht, daß Eure freiwillige Rückkehr ins Gefängnis dem Eingeständnis Eurer Schuld gleichkommt? Hört mich an«, fährt er mit verhaltenem Zorn fort, »ich sehe, daß ich Euch nicht überzeugt habe und daß Ihr bei Eurem unsinnigen Entschluß bleiben wollt. Also gut, gewährt mir wenigstens die Frist einer Nacht. Ich flehe Euch an: überlegt es Euch gut. Denkt nach, ehe Ihr Euch freiwillig für den Rest Eurer Tage in den Kerker Eures schlimmsten Feindes begebt. Eine Nacht, mehr verlange ich nicht! Eine Nacht zum Nachdenken!«
Nach diesen Worten macht er abrupt kehrt und geht. Er ist blind vor Zorn, so daß er beim Verlassen des Zimmers mit der linken Schulter gegen den Türrahmen stößt – und ich bin sicher, er hat es nicht einmal gemerkt.
|306|Die Signora setzt sich wieder an ihren Platz: tränenlos, starr und unbewegt, die Arme über der Brust verschränkt.
Das verblüfft mich. Ich habe etwas anderes erwartet: daß sie sich gehenläßt und in Schluchzen ausbricht. Doch nein, sie weint nicht, preßt die Lippen fest aufeinander und sitzt stocksteif da. Und das scheint mir plötzlich nichts Gutes für unsere Zukunft zu verheißen.
»Mit Verlaub, Signora, wollt Ihr wirklich ins Gefängnis zurück?« frage ich.
»Ja.«
»Bis an Euer Lebensende?«
»Ja.«
»Selbst jetzt noch, wo Ihr wißt, daß der Fürst den Signor Peretti nicht getötet hat?«
»Ich weiß nicht, ob ich ihm glauben darf.«
»Oh, doch, Ihr glaubt ihm, Signora!«
»Warum fragst du, wenn du besser weißt als ich, was ich denke?«
»Weil nichts Euch hindern kann, den Fürsten zu heiraten, wenn er Signor Peretti nicht getötet hat!«
»Wirklich?«
»Meiner Meinung nach wäre das vernünftiger, als ins Gefängnis zurückzukehren.«
»Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt.«
»Verzeihung, Signora, aber vielleicht darf ich meine bescheidene Meinung äußern, weil ich ja auch ins Gefängnis zurück muß, wenn Ihr zurückgeht.«
»Niemand zwingt dich, mir dorthin zu folgen.«
»Ich folge Euch, weil ich Euch liebe und weil ich keine andere Wahl habe.«
»Wieso keine andere Wahl?«
»Signora, seht Ihr mich vielleicht ohne Euch im Palazzo Rusticucci, unter der Fuchtel von Giulietta? Oder noch schlimmer: in Grottammare – nach allem, was der Pfarrer über mich von der Kanzel herab gewettert hat?«
»Wenn ich dich so höre, müßte ich den Fürsten allein schon dir zuliebe heiraten.«
»Und auch, weil Ihr ihn liebt.«
Sie schnellt wie eine Feder in die Höhe, kommt auf mich zu und sieht mich wütend an. Aber diesmal gebe ich nicht nach. Ich |307|rühre mich nicht von der Stelle und weiche nicht um Daumesbreite. Auch ich habe ein Wörtchen zu sagen! Und ich will es ihr sagen. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
»Nein, ich liebe ihn eben nicht, du dumme Gans!« sagt sie. »Das heißt, ich liebe ihn nicht mehr.«
»Signora, das könnt Ihr vielleicht ihm weismachen, denn er ist ein Mann, aber nicht mir, die ich eine Frau bin. Ich weiß genau, daß Ihr Euch ihm, statt ihn zu schmähen, viel lieber in die Arme geworfen hättet.«
»Du elende Törin, wie kannst du wagen, so dummes Zeug zu schwatzen?«
»Das ist nicht dümmer, als ins Gefängnis zurückzugehen, wenn man Euch da gerade erst herausgeholt hat.«
»Deine Frechheit geht zu weit! Du wagst, deine Herrin eine Idiotin zu nennen?«
»Das habe ich niemals getan. Ich sage nur, daß meine Herrin zuviel Rücksicht auf das Gerede der Leute nimmt.«
»Was du nicht sagst!«
»Verzeihung, Signora, aber es ist die reine Wahrheit. Ihr wollt nicht entehrt werden, sagt Ihr, und wollt ins Gefängnis zurückkehren, damit die Leute Euch nicht für eine Ehebrecherin und Komplizin des Mörders halten. Doch was ist das für eine Ehre, die Ihr dauernd im Munde führt? Sie mißt sich nicht daran, was Ihr getan habt, sondern an dem, was die Leute von Euch denken. Und ich sage Euch, Ihr seid viel zu schön, als daß die Leute Euch nicht mit Wonne verleumden würden! Ob Ihr den Fürsten heiratet oder Euch wieder in die Fänge des Papstes begebt – sie werden Euch in jedem Fall für schuldig halten. Der Unterschied ist nur, daß Euch in der Engelsburg Schimpf und Schande erwarten. Verlaßt Euch darauf. Aber eine Fürstin Orsini wird keiner mehr zu verleumden wagen: das ist die Wahrheit.«
»Affé di Dio! Du redest wie der Fürst! Du wiederholst alles, was er gesagt hat! Sogar was er nicht gesagt, sondern nur gedacht hat! Du kannst einfach keine Hosen sehen, ohne den Mann darin zu lieben! Du himmelst den Fürsten an und gibst ihm in allem recht! Gegen mich!«
»Wie das, Signora? Gegen Euch? Ich gebe ihm recht, weil er recht hat.«
»Gut, du schlaues Kind«, sagt sie, richtet sich hoch auf und sieht mich mit flammenden Augen an. »Geh zum Fürsten und |308|sag ihm, daß ich deine Frechheit und dein Geschwätz satt habe und dich nicht mehr sehen will. Scher dich weg! Soll er selber dich in seine Dienste nehmen, wenn er will. Und dich zu seiner Hure machen, wenn er dazu Lust hat.«
Indem sie dies sagt, verpaßt die Signora mir zwei schallende Ohrfeigen. Sie hat so stark zugeschlagen, daß ich schwanke. Tränen treten mir in die Augen, doch ich blicke ihr trotzdem fest ins Gesicht und sage:
»Ach, Signora, welche Schande! Ihr habt mich geschlagen! Mich, die ich Euch schon so lange und so hingebungsvoll diene! Mich, die ich jetzt Eure einzige Freundin bin, die Euch notfalls bis in die Hölle folgen würde!«
Hier übertreibe ich ein wenig. Und die Signora könnte mit Leichtigkeit erwidern, daß angesichts meiner geringen Neigung, mit ihr in die Engelsburg zurückzukehren, das mit der Hölle um so weniger ernst zu nehmen sei … Madonna mia! Was für Dummheiten sagt man doch manchmal, wenn man sich streitet! Aber ich bin wirklich ganz außer mir, im höchsten Maße verzweifelt und gedemütigt! Es ist das erste Mal, daß die Signora mich so geschlagen hat. Und die Ohrfeigen des mancino? könnte man fragen. Aber das ist etwas anderes: il mancino ist mein großer Bruder.
Die Signora ist vielleicht nicht sehr stolz auf das, was sie getan hat, aber zu hochmütig für ein Wort des Bedauerns; deshalb kehre ich mich von ihr ab, suche aus dem Gepäck, das der Soldat des Fürsten in einer Zimmerecke abgelegt hat, mein Bündel heraus und wende mich zur Tür.
»Wo willst du jetzt hin, du Närrin?«
»Dem Fürsten sagen, Ihr wollt mich nicht mehr sehen, Ihr habt meine Frechheit und mein Geschwätz satt, er kann mich in seine Dienste nehmen und zu seiner Hure machen, wenn er Lust hat.«
»Caterina!«
»Habt Ihr mir nicht befohlen, ihm das zu sagen, Signora, und mit zwei Ohrfeigen noch nachgeholfen?«
»Verdammte kleine Hexe, du machst mich noch mal wahnsinnig!«
Doch an ihrem Gesicht sehe ich, daß sie zwischen Zorn und Lachen hin und her gerissen ist.
Mir bleibt keine Zeit, abzuwarten, wofür sie sich entscheidet, |309|denn sie stürzt sich plötzlich auf mich, schlingt die Arme um mich, preßt mich zum Ersticken an sich und drückt kleine Küsse auf meine Stirn. Und ich, ich umarme sie ebenfalls, verberge mein Gesicht an ihrem Hals, küsse sie auf die Wangen und weine. Dumm, wie ich bin, weine ich Freudentränen!
Marcello Accoramboni:
Bei der Nachricht, Vittoria sei durch den römischen Aufstand gegen den Papst befreit worden, lieh ich mir von Margherita Sorghini ihre schnellsten Pferde und ritt mit zwei Dienern, bis an die Zähne bewaffnet wie ich selbst, so schnell nach Rom, wie wir es unseren Reittieren zumuten konnten.
Obwohl Della Paces Bericht mich vom Verdacht des Mordes an meinem Schwager entlastete, hütete ich mich wohl, so ohne weiteres nach Rom heimzukehren. Ich schickte einen meiner Diener als Kundschafter vor. Er kam freudestrahlend zurück: in der Stadt herrsche noch Anarchie. »Ein wahres Glück, Signore, kein Zollposten besetzt!« Und die einzigen Sbirren, die er zu Gesicht bekommen habe, verfaulten als Kadaver auf der Straße. Niemand habe sie begraben, eine Schande! »Und dennoch, Signore, ein wohlgefälliger Anblick für jeden, der Bekanntschaft mit ihnen gemacht hat …«
Das Schwierigste war, in Montegiordano eingelassen zu werden. Erst nach meinem heftigen Wutausbruch holte die Wache schließlich den Majordomus, der mich trotz meines staubbedeckten Gesichts erkannte. Mein Herz machte Freudensprünge, als ich erfuhr, Vittoria halte sich in diesen Mauern auf; da es jedoch sehr spät war, beschloß ich, sie erst am nächsten Morgen zu besuchen.
Meine Diener mußten noch die Pferde striegeln und tränken, während ich als der Herr das Privileg genoß, mich sofort in das mir vom Majordomus angewiesene Zimmer zurückziehen zu können. Ich setzte mich aufs Bett und zog einen Stiefel aus, den zweiten auszuziehen, schaffte ich nicht mehr: der Schlaf übermannte mich.
Das erste, was ich am Morgen beim Erwachen sah, war mein Fuß, der immer noch in dem Stiefel steckte. Und das zweite – was mich sehr beunruhigte – war ein Mönch, der an meinem |310|Kopfende saß, die Kapuze über die Augen gezogen, neben sich eine fast niedergebrannte Kerze. Bin ich tot? fragte ich mich.
»Verzeiht, daß ich in Euer Zimmer eingedrungen bin, Signore«, sagte der Mönch. »Der Majordomus hat es mir auf mein Drängen hin gestattet, weil ich unbedingt mit Euch sprechen muß.«
Er schlug die Kapuze zurück, so daß ich sein Gesicht erkennen konnte. Meine Lider zuckten, ich wurde hellwach: es war il mancino.
»Domenico«, lachte ich, »wozu dieser Habitus? Willst du die Taverne gegen das Kloster eintauschen?«
»Zur Reue bin ich noch zu jung«, sagte il mancino. »Mit Eurer Erlaubnis, Signore, werde ich die Kutte ablegen. Ich ersticke fast darunter an diesem schönen Morgen.«
Er schälte sich aus der Kutte und kam in Hemd und Hose zum Vorschein, so wie ich ihn seit jeher kannte: klein, drahtig, kerzengerade, mit wachen Augen und flinker Zunge.
»Ich wollte ungesehen zum Fürsten gelangen«, fuhr er fort.
»Warum das?« wollte ich wissen. »Der Fürst steht im Zenit seiner Macht! Was fürchtest du also?«
»Das unvermeidliche Zurückströmen der Brandung! Der Erfolg des Fürsten ist alles andere als gesichert. Was er getan hat, wird er nicht noch einmal tun können. Er hat sich zu viele Feinde gemacht – vom Papst ganz abgesehen. Er hat die Vendetta des Adels genutzt, um Eure Schwester zu befreien, und er hat das Volk niedermetzeln lassen, nachdem er es für seine Zwecke mißbraucht hatte. Wenn er erneut vom Heiligen Vater gedemütigt würde, könnte er weder auf den Adel noch auf das Volk zählen.«
»Domenico, du verschwendest deine Zeit damit, dein Nuttengeschwader zu leiten. Du solltest den Staat regieren!«
»Einen Staat regieren ist sehr viel leichter, Signore«, meinte il mancino ernst. »Man braucht dazu nur ein paar eindeutige Prinzipien. Erstens: niemals halbe Sachen machen! Wenn ich der Fürst gewesen wäre und die Waffen gegen meinen Herrn erhoben hätte, dann hätte ich ihn auch entmachtet und getötet. Doch entschuldigt, Signore, ich vergeude Eure Zeit und meine eigene«, fuhr er mit seiner umständlichen Höflichkeit fort. »In Wirklichkeit bin ich gekommen, um Euch ein Licht aufzustecken.«
|311|In seinem eleganten, vornehmen Italienisch, das mich bei einem Mann, der weder lesen noch schreiben (dafür aber offenbar gut zuhören) kann, immer wieder in Erstaunen versetzt, gab mir nun il mancino einen anschaulichen Bericht über alle Ereignisse von der Ermordung Perettis bis zum Aufstand.
»Kurz und gut«, schloß er, »der Anstifter dieses Mordes wollte dem Fürsten, Eurer Frau Schwester und Euch schaden. Und genau das hat auch Della Pace vermutet, ohne es allerdings beweisen zu können. Aber ich, ich verfüge Gott sei Dank über andere Möglichkeiten als er! Ich hatte beobachtet, daß der Mönch, der mir das Billett an Signor Peretti überbrachte, ein kräftiger Zecher war und nach dem schönen Geschlecht schielte, woraus ich schloß, daß man ihn in den Schenken suchen müsse. Sein Gesicht hatte ich ja wegen der Kapuze nicht sehen können, aber mir waren seine große Magerkeit und eine lange Narbe am linken Daumen aufgefallen. Also sandte ich mein Geschwader aus, wie Ihr es zu nennen beliebtet, und eins meiner Mädchen machte ihn schließlich ausfindig, köderte ihn auf bekannte Weise und lockte ihn zu mir in die Taverne. Ich schloß ihn im Keller ein, setzte ihm den Dolch an die Kehle und brachte ihn so zum Reden: Peretti wurde auf Befehl Lodovicos und ohne Wissen des Fürsten ermordet. Aber darüber scheint Ihr gar nicht sonderlich erstaunt zu sein?«
»Ich habe das vermutet. Aber es ist wunderbar, dank dir jetzt den Beweis für diese üblen Machenschaften in Händen zu halten.«
»Übel – sehr übel sogar, Signore! Und man soll eben nie übertreiben. Das ist das zweite Prinzip meiner Regierung. In den meisten Fällen schlagen solche Ränkespiele nämlich auf ihre Urheber zurück. Das nenne ich das Gesetz der zurückströmenden Brandung.«
»Und was hast du mit diesem Mönch gemacht?«
»Ich verwahrte ihn hinter Schloß und Riegel und begab mich auf die Suche nach Della Pace, um ihm diesen feinen Zeugen auszuliefern. Leider war inzwischen durch den Tod von Raimondo und Silla die Revolte ausgebrochen, und Della Pace hatte sich gerade noch rechtzeitig in den Vatikan flüchten können. Danach sah ich von ihm nur noch einen blutüberströmten Kopf, den der Pöbel mit Füßen bearbeitete. Ehrlich, ich habe ihn beweint!«
»Was? Du hast einen Bargello beweint?«
|312|»Ja, Signore. Er war offenherzig, loyal, seinem Herrn ergeben und viel zu anständig. Das hat ihn zugrunde gerichtet. Glaubt mir, Signore, ein anständiger Bargello kann in einem korrupten Staat nicht lange bestehen.«
»Deinen Mönch kannst du immer noch Della Paces Nachfolger ausliefern.«
»Ach, Signore! Vergebung, doch Ihr habt wirklich keine Ahnung von Politik: der Papst hat doch gerade jetzt überhaupt kein Interesse daran, daß die Unschuld des Fürsten ans Licht kommt. Mein Zeuge hätte nicht einmal Zeit, den Mund aufzumachen. Er würde in einem Sack und der Sack im Tiber landen. Und ich würde verbannt werden. Ihr wißt genau, daß ich in Rom nur geduldet bin. Nein, der einzige, mit dem ich jetzt über die Auslieferung meines Zeugen verhandeln kann, ist der Fürst – natürlich unter der Bedingung, daß er den Mann mit Bedacht verwendet.«
»Das heißt?«
»Einzig zu dem Zweck, Seine Eminenz Kardinal Montalto davon zu überzeugen, daß er mit der Ermordung Perettis nichts zu tun hat.«
»Warum Montalto?«
»Weil er der Onkel der Signora und beim Tod des jetzigen Papstes möglicherweise ein papabile1 ist.«
»Du setzt mich in Erstaunen! Wer hat dir denn weisgemacht, er könnte die Tiara erringen?«
»Das ist eine Frage des Gleichgewichts: die Kardinäle werden nach dem Tode Gregors XIII. einen tugendhaften Papst wählen wollen. Das Gesetz der Brandung! Wollen wir wetten, Signore?«
»Das verhüte Gott! Du bist zu gerissen für mich! Was willst du im Austausch für deinen Gefangenen?«
»Östlich von Rom besitzt der Fürst ein großes Gelände. Da hindurch führt eine kleine Straße, die ihm ebenfalls gehört. Auf dem Gelände steht nichts weiter als eine Schenke, die dort illegal hingebaut wurde. Ich möchte nun, daß mir der Fürst dieses Gelände für eine bescheidene Summe überläßt.«
»Um Eigentümer der Schenke dort zu werden?«
»Aber nein, Signore! Unsere Gesetze sind viel komplizierter. |313|Ich kann Eigentümer des Geländes werden, ohne Besitzer der Schenke zu sein, die dort steht, wenn auch unberechtigterweise. Dagegen kann ich – als Eigentümer des Geländes – die Straße zu der Schenke sperren, dadurch das Geschäft ruinieren und den Pächter zum Verkauf zwingen.«
»Für eine bescheidene Summe, wie?«
»Das versteht sich von selbst.«
»Vermutlich ist das dein drittes Prinzip, Domenico: statt komplizierter Intrigen lieber einen einfachen, legalen Trick wählen, der nichts kostet. Was erwartest du von mir?«
»Daß Ihr mich beim Fürsten einführt.«
»Ist gemacht.«
Nachdem il mancino gegangen war, begab ich mich unverzüglich zu Vittoria. Ich klopfte an die Tür und hörte, wie Caterinas Pantoffeln beim Klang meiner Stimme eifrig über die Steinplatten klapperten. Sie öffnete mir, ganz außer Atem, einen Leuchter in der Hand, und umarmte mich ohne jede Scham vor den Augen ihrer Herrin. Ich stieß sie heftig zurück, der Leuchter fiel zu Boden, die Kerze erlosch. Und dieser kleine Krake hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich mir wieder an den Hals zu werfen und mich in der Dunkelheit zu umschlingen. Dieser zweite Angriff irritierte mich noch mehr, aber die weichen Formen des weiblichen Körpers haben so viel Macht über mich, daß ich einige Sekunden brauchte, bis ich mich wieder gefaßt hatte. Ich machte mich von Caterina frei, schlug Feuer und zündete die Kerze wieder an.
Vittoria hatte sich aufgestützt, ihr Haar war in lange Flechten geordnet, damit sie es im Schlaf bequem habe. Sie sah mich mit ihren blauen Augen fragend an. Fast ein Jahr lang hatte ich sie nicht gesehen. Und seltsam: obwohl mir ihr Gesicht so vertraut war, schien es mir einen neuen, reiferen und traurigeren Ausdruck zu zeigen; gewiß eine Folge ihrer langen Gefangenschaft in der Engelsburg und der ungerechten Anschuldigungen, die auf ihr lasteten, und auch der Zweifel, die sie ob der Beteiligung des Fürsten an Perettis Ermordung hegte.
Ich setzte mich auf ihr Bett und platzte mit meinen Neuigkeiten über den Zeugen heraus, den il mancino gefangen hatte. Sie lauschte mit weit aufgerissenen Augen, und kaum hatte ich geendet, sprang sie, halbnackt, wie sie war, aus dem Bett und lief wie eine Wahnsinnige zur Tür.
|314|»Wohin wollt Ihr?« rief ich.
»Zum Fürsten.«
»Ihr wißt nicht einmal, wo sein Zimmer ist!«
»So zeigt es mir!«
»Zu dieser Stunde?«
Doch sie hörte mich gar nicht, sie war schon in der Galerie. Ich griff noch schnell den Leuchter, um sie zu geleiten, und rannte ihr mit großen Schritten nach; Caterina heftete sich an unsere Fersen.
Nie werde ich den Ausdruck in den Augen des Fürsten vergessen, als plötzlich Vittoria mit fliegenden Zöpfen in seinem Zimmer erschien. Ein Kind, an dessen Bett endlich die geliebte Mutter erschien, nachdem es schon alle Hoffnung aufgegeben hat, hätte sich nicht inniger und naiver freuen können. Der Fürst wollte sich erheben, doch sie ließ ihm keine Zeit dazu. Sie fiel an seinem Bett auf die Knie, nahm seinen Kopf in beide Hände und bedeckte ihn mit Küssen.
»Ach, Paolo«, sagte sie leise und atemlos, »verzeiht mir! Verzeiht mir! Ich war so ungerecht zu Euch. Ich werde Eure Frau, sobald Ihr es wollt.«
Seine Eminenz Kardinal di Medici:
Als ich die betrübliche Nachricht erhielt, Fürst Orsini habe in der Burg von Bracciano (wo meine Schwester unter den bekannten Umständen zu Tode kam) Vittoria Peretti geheiratet, bat ich unverzüglich Gregor XIII. um eine Audienz für meinen Bruder Francesco, Großherzog von Toskana, und mich selbst. Ich bat mündlich darum, denn als Staatssekretär des Heiligen Vaters habe ich das Privileg, ihn täglich zu sehen. Das Schwierigste war nicht, besagte Audienz zu erwirken, sondern Francesco zu überreden, mich zu begleiten.
Was Francesco in Florenz zurückhielt, waren ganz gewiß nicht die Staatsangelegenheiten – mit denen beschäftigte er sich nämlich sowenig wie möglich –, sondern seine chemischen Experimente und Bianca. Auf dem Thron des Großherzogtums saß leider nicht ein pflichtbewußter Fürst, sondern ein verliebter Chemiker.
Ich weiß sehr wohl, daß Jahre später, als Francesco und Bianca |315|in ihrer Villa in Poggio nach einem Essen ganz plötzlich starben, meine schlimmsten Feinde mich zu einem neuen Kain abstempeln wollten und das abscheuliche Gerücht verbreiteten, ich hätte die beiden vergiftet. Diese Verleumdung, die ich spanisch – oder besser: jesuitisch (die beiden Adjektive stehen bekanntlich in einem gewissen Zusammenhang) – nennen möchte, stützte sich auf die Tatsache, daß ich, da Francesco keinen Sohn hinterlassen hatte, den Kardinalspurpur ablegen und Nachfolger meines Bruders als Großherzog werden mußte. Ich begnügte mich damit, auf diese infame Beschuldigung mit Schweigen und Verachtung zu reagieren.
Ich erwähne sie hier nur deshalb, um sie schnell und gründlich zu widerlegen, gehe nun aber weit in der Zeit zurück, nämlich genau bis zu unserer Reise nach Rom; ich mußte mir sehr viel Mühe geben, um Francesco dazu zu überreden, wohl wissend, daß Bianca nachts den Entschluß wieder zunichte machte, den ich tagsüber in die schwache Seele meines älteren Bruders geträufelt hatte.
Bianca haßte mich, und obwohl mein geistlicher Stand mir verbot, ihr gegenüber ähnliche, so wenig dem Evangelium gemäße Gefühle zu hegen, liebte auch ich sie mitnichten. Ich hatte gleich nach dem Tode unseres Vaters deutlich meinen Unwillen gezeigt, daß Francesco sie als regierende Mätresse an den Hof holte (und damit seine Gattin, die Großherzogin Johanna von Österreich, tödlich beleidigte), statt sich auf heimliche kleine Liebschaften mit Mädchen zu beschränken, die wegen ihrer niedrigen Geburt und ihres geringen Verstandes ungefährlich gewesen wären. Meine Besorgnis verdoppelte sich, als die Großherzogin starb und ich Francesco eiligst mehrere vorteilhafte Partien vorschlug, die ihm außer dem Prestige einer Fürstenlinie noch beträchtliche Apanagen und eine wertvolle Verbindung gebracht hätten, er aber unter tausend Vorwänden all meine Vorschläge ablehnte. Ohne mein Wissen heiratete er heimlich Bianca. Allerdings fürchtete er meinen Zorn so sehr, daß er seine Heirat erst Monate später öffentlich machte. Ich empfand unbeschreiblichen Unwillen und Schmerz, als ich sah, wie sich mein Bruder in dieser Fleischesfalle fangen ließ und seine Pflichten als Fürst in so unwürdiger Weise vernachlässigte.
Bianca kämpfte so hartnäckig gegen unsere Reise nach Rom, weil sie ahnte, worum es ging, und nicht wollte, daß |316|Francesco Schritte gegen Vittoria Accoramboni und ihre Heirat mit dem Fürsten Orsini unternahm.
Den Fürsten hatte sie nur ein einziges Mal, Vittoria noch nie gesehen, aber wie hätte sie nicht angerührt sein sollen durch die Ähnlichkeit von ihrer beider Aufstieg. Gewiß, Vittoria und Bianca waren nicht von gemeiner Herkunft, doch der Rang ihrer Familien – obzwar ehrenwert – reichte bei weitem nicht aus für eine Vermählung mit einem Herzog oder Großherzog, die anzustreben beide Frauen kühn genug waren. Sie waren belesen, hatten Geist und Kunstverstand, aber wer hätte glauben wollen, daß ihnen um dieser Talente willen die erlauchten Fürsten den Ehering an den Finger steckten? Wahr ist, daß beide sich ihrer Sinnlichkeit rühmen konnten, und die Fürsten erlagen, die Lehren des 1. Buches Mosis vergessend, dem Zauber der äußeren Erscheinung dieser Frauen.
Leider teilen sie diese Schwäche mit ganz Italien, vielleicht sogar mit der ganzen Welt. Ich gestehe offen: mich packt der Zorn, wenn ich in Rom oder Florenz sehe, daß verständige und gebildete Männer Frauen wie Bianca und Vittoria zu Idolen erheben und ihnen wegen ihrer Schönheit Ehrungen zuteil werden lassen, die nur Gott allein gebühren. Es ist nicht zu sagen, wie verderblich und gefährlich dieser heidnische Kult in einem Staate wirkt.
Um auf die Reise nach Rom zurückzukommen: ich obsiegte schließlich, Francesco reiste mit mir und ließ Bianca in Tränen aufgelöst, besorgt und voll Groll in Florenz zurück. Nur unwillig bequemte sie sich im Augenblick unserer Abreise, das Knie vor mir zu beugen und meinen Ring zu küssen. Ich hob sie gütig auf. Doch welch wütenden Blick schleuderte sie wie einen Blitz nach mir! Sie hätte mich getötet, wenn sie gekonnt hätte! Vermutlich ist es purer Hohn, wenn unsere guten Italiener die Frauen als das »liebenswürdige Geschlecht« bezeichnen.
Es versteht sich von selbst, daß ich während dieser gemeinsamen Reise alle sich bietenden Möglichkeiten nutzte, meinem Bruder eine gehörige Predigt zum Thema Vittoria und Paolo zu halten. Aber ich konnte seine schwache Seele nur halb überzeugen und erreichte nichts weiter, als daß Francesco versprach, meine Worte an den Heiligen Vater zu billigen, sei es auch nur durch seine Anwesenheit und sein Schweigen.
|317|Der Heilige Vater empfing uns, ohne daß wir warten mußten. Nachdem mein Bruder und ich seinen Pantoffel geküßt hatten und er uns den Segen erteilt hatte, wandte er uns sein Gesicht zu, darin sich der Ernst seines Zustands wie auch eine heimliche Zufriedenheit spiegelten.
»Also, inniggeliebte Söhne, was wollt Ihr von Uns«, fragte er rundheraus. »Wir hören.«
Ich beglückwünschte ihn zunächst zu seinem guten Aussehen, seiner blühenden Gesundheit, seiner ewigen Jugend – ein günstiges Zeichen des Himmels und des deutlichen Segens des Allerhöchsten. Er hörte meine Worte mit einer so wohlgefälligen Miene der Befriedigung an, daß man an ein Kätzchen denken mußte, welches gerade ein Schälchen Milch schleckt. Danach aber erinnerte er mich in aller Bescheidenheit daran, daß auch er – obwohl Papst – sterblich sei. Ein Wort, das ihm nur widerstrebend über die Lippen kam und von dem er nicht wirklich zu glauben schien, daß es auch für ihn gelten könnte.
Diese Vorrede dauerte eine gute Viertelstunde, und ich kürzte sie auch nicht ab, wohl wissend, wie wichtig für Gregor XIII. die Beteuerungen waren, er werde lange, wenn nicht gar ewig leben. In dieser Hinsicht versetzte er wirklich alle Welt in Erstaunen. Mit mehr als achtzig Jahren hatte er ein glattes Gesicht wie ein Säugling, sanft gerundete rosige Wangen, und zwischen faltenlosen Lidern leuchteten vergißmeinnichtblaue Augen, die seinem Blick eine Unschuld verliehen, der zu trauen niemandem geraten sein sollte. Zudem war er ein Genießer und Egoist, der gern jeder Mühe auswich, den Luxus und seine Annehmlichkeiten schätzte, auf Kleinodien versessen war, die Künste liebte, allerdings wenig Neigung zur Verschönerung seiner Stadt zeigte; der autoritär war, aber wenig bedacht auf das Wohl des Staates und der Christenheit; der Nahestehenden liebenswürdig und heiter begegnete, aber tief im Inneren Rachegefühle hegen konnte. Seine Untertanen tyrannisierte er aufs äußerste, nicht auf Grund seines Temperaments, sondern aus der Situation heraus, aus Angst und Launenhaftigkeit.
Am Ende meiner schmeichlerischen Rede hielt ich mit dem Ausdruck grenzenloser Ergebenheit inne, und erst als Seine Heiligkeit mich zum zweiten Mal fragte, was ich von ihm erwarte, kam ich zum Thema.
»Allerheiligster Vater«, begann ich, »der Großherzog von |318|Toskana und ich haben mit tiefer Betrübnis die Vermählung unseres geliebten Schwagers und Cousins Paolo Giordano Orsini mit der Witwe Peretti zur Kenntnis genommen. Die rätselhaften Umstände, unter denen der arme Peretti dahingeschieden ist, machen unserer Meinung nach diese Verbindung zu einem Skandal im Staat, in der Kirche und in der ganzen Christenheit.«
»Das ist leider wahr, geliebte Söhne«, seufzte Seine Heiligkeit, »doch was sollen Wir tun? Die Untersuchung durch den unglücklichen Della Pace« (hier rollten zwei Tränen – wirklich nur zwei – über die rosigen Wangen des Papstes, und ich bewunderte ein weiteres Mal, wie er in jeder Situation sofort die richtige Gemütsbewegung parat hatte) »hat keinen Hinweis auf einen Ehebruch Vittorias oder ihre Beteiligung an der Ermordung ihres Gatten ergeben, auch nicht auf eine Verantwortlichkeit des Fürsten Orsini für dieses feige Attentat. Man kann jedoch nicht umhin, gewisse Mutmaßungen anzustellen, kraft der lateinischen Lebensweisheit: Fecit cui prodest.1 Aber Mutmaßungen sind noch kein Beweis.«
»Allerheiligster Vater«, sagte ich unterwürfig (denn ich wußte, wie wenig Gregor XIII. Widerspruch schätzte, sofern er nicht indirekt Wasser auf seine Mühlen leitete), »die nachfolgende Ehe des Fürsten mit dem Gegenstand seiner Begierde hat diese Vermutung gleichwohl beträchtlich untermauert.«
»Gewiß«, erwiderte Seine Heiligkeit, »es spricht sehr viel für diese Vermutung, sehr viel …«
»Und das um so mehr, Allerheiligster Vater, als sich der Fürst vor seiner Ehe mit Waffengewalt gegen den obersten Herrn der Christenheit erhoben hatte! Liegt es nicht auf der Hand, daß jemand, der sich von seiner Leidenschaft zu diesem scheußlichen Verbrechen gegen den Papst hinreißen ließ, vorher genausogut die Ermordung des Dritten Kammerherrn Eurer Heiligkeit angezettelt haben könnte? Wer zu dem einen fähig ist, ist es auch zu dem anderen!«
»Gut überlegt, geliebter Sohn«, sagte Gregor XIII., »der Verdacht ist in der Tat sehr stark … Er würde viele überzeugen, vielleicht sogar Uns.«
»Eure Mäßigung ehrt Euch, Allerheiligster Vater, und wenn |319|Eure Heiligkeit gestatten, erlaube ich mir zu sagen, ich bewundere Eure des Evangeliums würdige Milde, mit der Ihr, nachdem der Thron des heiligen Petrus wieder fest stand, die Euch durch den Aufstand angetane tödliche Beleidigung zu verzeihen gewillt wart, habt Ihr doch nicht einmal deren Anführer, wie es in Eurer Macht gestanden hätte, durch Exkommunizierung bestraft.«
Bei diesen Worten überlief Francesco ein Frösteln, und er warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, doch ich tat, als bemerkte ich nichts. Er hatte für Paolo Giordano immer sehr viel Freundschaft empfunden.
»Indem Wir ihm vergaben«, erwiderte der Papst und blickte zu Boden, »haben Wir nur Unsere Christenpflicht getan. Außerdem«, und hier sah er mich mit einem komplizenhaften Blick an, »war die Sache nicht so einfach. Hätten Wir den von Euch Genannten exkommuniziert, hätten Wir gleichzeitig auch den Grafen Oppedo, den Marchese Savelli und den ganzen römischen Adel exkommunizieren müssen. Denn sie waren ja alle in die Revolte verwickelt. Gewiß, der von Euch Erwähnte war ihr Anführer, aber er hatte es nicht auf Unsere Abdankung und Unseren Tod abgesehen. Er hat mit Uns verhandelt. Und als er bekommen hatte, was er wollte, hat er den Pöbel niedergeschlagen.«
»Und was wollte er, Allerheiligster Vater?« fragte ich unwillig. »Eine Frau! Die Frau, die Ihr hinter Schloß und Riegel gebracht hattet, um seine Heirat mit ihr zu verhindern! Er hat sie also unter ausdrücklicher Verletzung Eures Willens geheiratet! Eine Mesalliance, die vom gesamten römischen Adel mißbilligt wird!«
»Jedenfalls darf man das vermuten«, sagte Francesco plötzlich, »denn wir sind erst seit gestern abend in Rom und haben noch mit niemandem gesprochen.«
Bei diesem Einwurf, für den ich meinem Bruder keinen Dank wußte, lächelte der Papst unmerklich, weil er ahnte, daß mir Francesco in dieser Angelegenheit nur widerwillig folgte, zumal es sich um eine Mesalliance handelte, für die er selbst ein Beispiel gegeben hatte. Ich beschloß sofort, nicht weiter auf diesem Punkt zu insistieren, aus Angst, die Kluft zwischen Francesco und mir noch zu vergrößern.
»Allerheiligster Vater«, fuhr ich fort, »es gibt noch andere, |320|schwerwiegendere Gründe gegen diese unsinnige Heirat. Aus der Ehe meiner Schwester Isabella mit dem Fürsten Orsini ist, wie Ihr wißt, ein Sohn hervorgegangen: Fürst Virginio. Bis heute verstand es sich von selbst, daß Virginio nach dem Tode seines Vaters dessen gesamtes Vermögen erben würde. Nun aber, auf Grund der blinden Leidenschaft von Paolo Giordano für diese Intrigantin, steht zu befürchten, daß er zu deren Gunsten ein neues Testament macht, was die Interessen unseres Neffen ernstlich gefährden würde.«
Der Papst schwieg einen Augenblick, sein Blick ging von Francesco zu mir und von mir wieder zu Francesco. »Stimmt der Großherzog den vom Kardinal dargelegten Überlegungen zu?« fragte er ernst.
»In diesem Punkt bin ich mit meinem Bruder voll einverstanden«, sagte Francesco und ließ auf die Art durchblicken, daß er zum Thema Mesalliance eine andere Auffassung hatte.
Diese Nuance entging dem Papst nicht, der abermals ein Lächeln andeutete. Seine Laune wurde übrigens im Verlauf der Audienz immer besser. Mit glänzenden Augen, rosigem Teint und genießerischem Mund schien er jeden einzelnen Moment auszukosten.
»Geliebte Söhne«, sagte er, »welche Mittel schlagt Ihr gegen die von Euch so eindringlich geschilderten Übel vor?«
»Damit das Verbrechen nicht demjenigen nütze, der es begangen hat‹, sagte ich mit allem Nachdruck, »und damit einem unschuldigen Sohn kein Schaden aus den Konsequenzen dieser skandalösen Verbindung erwachse, erlaube ich mir mit allem Respekt, Eurer Heiligkeit ein precetto zur Annullierung dieser unglückseligen Heirat nahezulegen.«
»Ist der Großherzog einverstanden?« fragte der Papst.
»Ja, Allerheiligster Vater«, antwortete Francesco mit mehr Festigkeit, als ich erwartet hatte.
Er liebte Virginio sehr, und da er selbst keinen Sohn hatte, behandelte er ihn wie sein eigenes Kind.
Der Papst richtete sich auf seinem Thron auf und sah uns mit freudeglänzenden Augen an.
»Euer gemeinsames Ersuchen ist also folgendes: Ihr verlangt ein precetto, das die Ehe des Fürsten Orsini mit der Witwe Peretti für ungültig erklärt. Ist es das?«
»Ja, Allerheiligster Vater.«
|321|»Sind der Kardinal di Medici und der Großherzog von Toskana bereit, Uns ein schriftliches Ersuchen um ein precetto einzureichen?«
»Ja, Allerheiligster Vater«, sagte ich.
»Ja, Allerheiligster Vater«, sagte Francesco mit einer kleinen Verzögerung.
In den Augen des Papstes leuchtete einen Moment lang der Triumph auf. Wie ein kurzer Blitz. Dann senkte er wieder die Lider.
»In Euerm Ersuchen, geliebte Söhne, sollten Eure Befürchtungen bezüglich der materiellen Interessen des Fürsten Virginio nicht zur Sprache kommen, denn sie sind rein hypothetisch, und ein Urteil darf sich in seiner Begründung nicht auf Hypothesen stützen. Die Mesalliance, wenn es denn eine ist«, er warf einen schnellen Blick auf Francesco, »sollte auch nicht in den Vordergrund gestellt werden. Denn das ist ein zu weltlicher und mithin anfechtbarer Beweggrund. Es sollten nur die skandalösen Seiten dieser Ehe, zumindest sofern sie Euch bekannt sind, in Betracht gezogen werden.«
»Allerheiligster Vater«, bemerkte ich, »bei der Abfassung dieses Ersuchens werde ich Eure wertvollen Empfehlungen getreulich und respektvoll zu beherzigen wissen.«
»Trotzdem dürft Ihr, geliebte Söhne, keinen sicheren Erfolg erwarten«, fuhr der Papst lebhaft fort. »Es gibt auf diesem Weg viele Dornen und wenig Rosen. Wie Ihr wißt, hat man Uns ob der früher von Uns in Eheangelegenheiten erlassenen precetti heftige Vorwürfe gemacht. Es hat viel Geschrei gegeben, vor allem seitens der Theologen, dieser unglückseligen Schwätzer, die da glauben, Gottes Willen besser zu kennen als Wir. Wir möchten nicht erneut diese scharfe Kritik herausfordern, zumal es sich um den Anführer des Aufstandes handelt, so daß böse Zungen behaupten könnten, Wir hegten persönliche Rachegelüste …«
Bei diesen Worten schlug er die Augen nieder, hob sie aber sofort wieder, um in heiterster Stimmung zu seinen frommen Witzchen überzugehen, für die er berühmt war.
»Wir werden sehen. Man muß Geduld haben. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Und nichts in Rom läßt sich an einem Tag regeln, vor allem nicht im Vatikan … Gehet hin in Frieden, geliebte Söhne.«
|322|Er segnete uns, und wir verließen ihn, rückwärts gehend, wie es das Zeremoniell vorschreibt. Weder Francesco noch ich sagten ein Wort, solange wir in diesem riesigen Palast waren, in dem selbst die Mauern Ohren haben, wie es heißt.
Ich ließ den Großherzog von Toskana in meiner Kutsche Platz nehmen, bevor ich mich neben ihn setzte und dem Offizier, der meine Eskorte befehligte, Anweisung gab, zu meinem Palast zurückzufahren. Ich präzisierte nicht, zu welchem, er wußte ohnehin Bescheid.
Ich besitze in Rom zwei Paläste, von denen ich aus Sparsamkeit nur den kleineren bewohne und den größeren sehr teuer vermiete. Darüber lachen die anderen Kardinäle heimlich: »Medici«, so sagen sie, »ist Sohn und Enkel von Bankiers. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamme.« Das stimmt. Aber ich bin auf diese Weise nicht gezwungen, meine Stimme im Konklave an Philipp Il. von Spanien zu verkaufen, um leben zu können!
Ich zog die Vorhänge der Kutsche zu, und nachdem wir so vor neugierigen Blicken geschützt waren, wandte sich Francesco an mich:
»Wie denkt Ihr darüber? Wird der Papst das precetto aussprechen? Er schien mir sehr zu zögern.«
»Ach, Francesco!« lachte ich, »Ihr habt zwar die Chemie der Materie gründlich studiert, die der Seele aber ist Euch fremd. Wenn der Heilige Vater überhaupt gezögert hat, dann vor unserem Besuch. Jetzt aber ist er heilfroh. Wenn Ihr mir dieses Bild gestattet, möchte ich behaupten, wir haben ihm den Kopf von Paolo Giordano auf einem silbernen Tablett überreicht, ohne daß der Papst sich die Hände schmutzig machen muß, um ihn abzuschneiden. Von nun an kann er sich vor der Heiligen Kongregation darauf berufen, das precetto auf unser Ersuchen hin verkündet zu haben. Und zum Beweis kann er auch noch unseren schriftlichen Antrag vorzeigen …«
»Was ich in dieser Sache getan habe«, sagte Francesco nach kurzem Schweigen, »habe ich für Virginio getan. Aber es bekümmert mich sehr! Armer Orsini! Er hat eine ganze Revolution vom Zaune gebrochen, um diese Frau aus dem Kerker zu befreien und zu seiner Gattin zu machen. Und nach Verkündigung des precetto wird sie nur mehr seine Metze sein.«