Fürst Paolo Giordano Orsini, Herzog von Bracciano:
Am 28. Juli 1584 überbrachte mir ein berittener Kurier in Bracciano das precetto Gregors XIII., durch das meine Ehe annulliert wurde. Es war abends sieben Uhr, als ich mich mit Vittoria gerade zu Tisch setzen wollte. Ich erbrach das Siegel und überflog mit ungläubigen Augen dieses Monstrum an Ungerechtigkeit und Scheinheiligkeit.
An keiner Stelle war gesagt, daß ich mit Vittorias Beihilfe und zu dem Zwecke, sie heiraten zu können, Peretti hätte töten lassen, doch es wurde überall durch Andeutungen, die schlimmer sind als deutliche Worte, suggeriert, wobei das Ganze mit einem salbungsvollen Predigerstil verbrämt war.
Das precetto, hieß es, sei vom Heiligen Vater und seinen Räten nach reiflicher Überlegung und »einer überaus schmerzlichen Gewissenserforschung« auf den ausdrücklichen Antrag des Kardinals di Medici und des Großherzogs von Toskana hin erlassen worden.
Bebend vor Wut, reichte ich das precetto Vittoria, die mich mit wachsender Unruhe beobachtet hatte, während ich das Schriftstück studierte.
Vittoria überflog das Schreiben und erbleichte, weinte aber nicht. Sie las es dann noch einmal langsam, faltete schließlich das Pergament und gab es mir wortlos zurück.
»Was hältst du davon, Vittoria?«
Sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter und sagte:
»So schmerzlich das precetto für uns ist, es trifft uns nicht so hart, wie es uns treffen sollte: wir leben, und wir lieben uns.«
»Und trotzdem ist es eine Infamie«, sagte ich und zog sie an mich. »Ich hätte den Pöbel gewähren und diesen alten Fuchs in Stücke hauen lassen sollen.«
»Nein, Paolo, nein!« entgegnete sie lebhaft. »Es war gut so, wie du gehandelt hast. Den Papst auf seinem Thron zu töten wäre ein Skandal für die ganze Christenheit gewesen.«
|324|»Aber der nämliche Papst rächt sich nun kleinlich an mir zum Dank, daß ich ihm das Leben gerettet habe.«
Völlig unerwartet fing sie an zu lachen:
»Du hast sein Leben doch erst bedroht, Paolo! Du hast ihn in seinem goldenen Palast zittern lassen. Das verzeiht er dir nicht. Ich verstehe bloß nicht‹, fuhr sie nachdenklich fort, »was Kardinal di Medici und der Großherzog von Toskana mit der Geschichte zu tun haben.«
»Sie verteidigen die Interessen Virginios oder glauben oder geben vor, sie zu verteidigen. Die Medicis sind Bankiers. Sie sehen alles durch ein und dasselbe Prisma, und das ist das Geld.«
Da Vittoria mich erstaunt ansah, fuhr ich fort:
»Sie befürchten, ich könnte mein Testament zu deinen Gunsten ändern. Während ich in der Ferne Krieg führte, haben sie Virginio am Florentiner Hof aufgezogen und zu einem Medici gemacht. Und sie rechneten schon damit, daß bei meinem Tode mein gesamtes Vermögen auf dem Umweg über Virginio an sie fallen würde.«
»Mein Gott!« rief sie. »Kann ein Kardinal so denken?«
»Dieser Kardinal ist in erster Linie ein Medici und erst in zweiter Linie Kardinal. Aber er hat auch noch einen anderen Beweggrund: er verabscheut das schöne Geschlecht. Je hübscher eine Frau ist, um so mehr haßt er sie. Der armen Bianca hat er jeden nur erdenklichen Schimpf angetan.«
»Aber er hat mich doch nie gesehen!« wunderte sich Vittoria.
»Er braucht dich nicht gesehen zu haben, um dich zu verabscheuen. Der Ruf deiner Schönheit reicht aus. Und was noch schlimmer ist: auch deine Liebe zu den Künsten und dein Verstand finden nicht etwa Gnade vor seinen Augen, sondern sind für ihn nur erschwerende Umstände …«
»Ach, Paolo«, sagte sie, umschlang mich mit ihren schönen bloßen Armen und preßte sich an mich, »wenn ich dich nicht hätte, wie klein und verloren wäre ich dann in dieser grausamen Welt!«
Ich schwieg einen Augenblick, voller Liebe und Mitgefühl, aber auch voller quälender Sorge ob der ungewissen Zukunft und meiner nicht verheilenden Wunde am Bein, die mir seit kurzem angst machte. Diese Angst nagte an den Wurzeln meines |325|neuen Glücks, von morgens bis abends Vittoria um mich zu haben und des Nachts ihren zärtlichen warmen Körper an meiner Seite zu spüren.
Für zwei Liebende hat auch die Traurigkeit ihren Zauber. Die Nacht nach dem precetto war trotz – oder vielleicht gerade wegen – des fürchterlichen Schlags voller Melancholie und voller Wonne. Als wollten wir uns beweisen, daß das precetto uns nicht trennen könne, hielten wir einander eng umschlungen. Schlafen oder Wachen – eine einzige nicht enden wollende Umarmung.
Erst bei Sonnenaufgang, als die Vögel wie närrisch in den Bäumen zu zwitschern begannen, erinnerten wir uns wieder an das Fallbeil, das der Papst auf uns hatte niedersausen lassen.
»Mir fällt auf«, sagte Vittoria, »daß Gregor XIII. sich nicht damit begnügt, unsere Verbindung zu annullieren. Er verbietet uns auch, in der Zukunft eine neue Ehe einzugehen. Ist das nicht sonderbar? Warum dieses Übermaß an Vorsicht?«
»Der Papst ist hochbetagt. Er befürchtet, daß sein Nachfolger im Vatikan das precetto aufheben könnte. Er will ihm deshalb im voraus die Hände binden.«
»Was für ein Machiavell! Und welcher Starrsinn! Gibt es denn eine Chance, daß er sich bewegen läßt, zu seinen Lebzeiten noch diese Entscheidung zurückzunehmen?«
»Eine einzige, ziemlich kleine nur«, sagte ich. »Zum ersten Mal ist eine einflußreiche Familie von einem precetto betroffen. Ich werde an die Solidarität der Nobili appellieren. Morgen breche ich nach Rom auf.«
»Ohne mich?«
»Ach, Vittoria, wie könnte ich dich dem Gespött des Pöbels aussetzen! Ich werde ruhiger sein, dich in den Mauern von Bracciano unter der Obhut deines Bruders zu wissen.«
Wie angekündigt, ritt ich am nächsten Tag nach Rom, in Begleitung einer starken Eskorte, womit ich gut beraten war. Denn dasselbe Volk, das mir sonst, wenn ich auf der Straße auftauchte, so begeistert zugejubelt hatte, begegnete mir jetzt beinahe feindselig in seinem tödlichen Groll gegen mich wegen der Niederschlagung der von mir selbst ausgelösten Revolte. Überall nur abgewandte Gesichter, geballte Fäuste, gemurmelte Flüche. Man spuckte hinter uns her und warf sogar einen Stein nach mir, der meinen Reitknecht am Ohr traf, so |326|daß er blutete. Ich hatte meine liebe Not, meine Männer zu beruhigen, die losschlagen wollten. Aber sollte ich Gregor XIII. die Gelegenheit geben zu sagen, meine Anwesenheit in Rom schaffe nichts als Unruhe? Ich beschloß, fortan nur noch in einer Kutsche auszufahren, die nicht mein Wappen und deren Eskorte nicht meine Livree trug.
Kaum war ich abgestiegen – unter Schmerzen, denn meine Wunde tat bei jeder heftigen Bewegung weh –, rief ich meinen Sekretär und diktierte ihm einen Brief, in dem ich in den ehrerbietigsten Worten um eine Audienz beim Heiligen Vater bat. Ich ließ das Schreiben sofort überbringen und erhielt am nächsten Morgen eine höfliche, aber sehr knappe Antwort: der Papst bedauere, mich nicht empfangen zu können. Er sei leidend und müsse das Zimmer hüten.
Da der Papst in dem Ruf stand, sich einer ausgezeichneten Gesundheit zu erfreuen, wußte ich nicht, ob ich dieser Entschuldigung Glauben schenken sollte. Mein Schwager, Kardinal di Medici, hätte mir in diesem Punkt Auskunft geben können, doch seit er das precetto veranlaßt hatte, mochte ich in ihm keinen Freund mehr sehen. Ebenso war es mir wegen der Haltung des Großherzogs von Toskana zu meiner Heirat nicht möglich, den mir sehr verbundenen Botschafter von Florenz aufzusuchen. Und Lodovico hatte ich seit den Enthüllungen des Mönchs, den il mancino mir herbeigeschafft hatte, stillschweigend meine Zuneigung entzogen.
Ich fand mich nun in einer schwierigen Situation: Vittoria war nicht bei mir; meine Wunde schmerzte; der Papst hatte mir die Audienz verweigert; das römische Volk hatte mir einen bösen Empfang bereitet; die Familie meiner ersten Gemahlin war mir feindlich gesinnt; und Lodovico hatte mich verraten. Mir schien, die Welt, in der ich bisher gelebt hatte, brach rund um mich zusammen und ließ mich einsam und allein zurück.
Doch ich bemühte mich alsbald, gegen die Niedergeschlagenheit anzukämpfen, die mich befallen hatte. Ich besaß viele Freunde unter den römischen Adligen, der älteste und getreueste war zweifellos der Marchese Giulio Savelli, dessen Sohn Silla zusammen mit Raimondo in dem Scharmützel, das den Aufstand auslöste, getötet worden war. Ich ließ ihm ein Billett überbringen mit der Bitte, mich zu empfangen, und am gleichen Abend noch erhielt ich von ihm folgenden Brief:
ich liege im Bett und bin außerstande, Dich zu empfangen. Kaum daß ich noch genug Kraft habe, diese Zeilen an Dich zu diktieren. Die Gründe für Deinen Besuch kann ich mir denken. Das precetto, mit dem Deine Ehe aufgelöst wurde, hat mich mit Empörung erfüllt, woraus ich auch niemals ein Hehl gemacht habe. Aber ich muß Dir leider sagen, daß ich im römischen Adel fast der einzige bin, der so denkt. Deine sogenannte Mesalliance wird einhellig mißbilligt, und aus diesem Grunde war man mit dem precetto nicht unzufrieden. Diese Reaktion erklärt sich zweifellos aus dem unter den Unsrigen so weit verbreiteten Adelsdünkel, aber auch schlicht und einfach aus der Eifersucht, weil Deine Gemahlin eine so schöne und vollkommene Frau ist.
Einem großen Kriegsherrn wie Dir brauche ich wohl kaum nahezulegen, äußerst umsichtig zu sein, denn das Kräfteverhältnis hat sich zu Deinen Ungunsten verändert. Wenn Du nämlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt irgend etwas gegen den Heiligen Vater unternehmen wolltest, hättest Du weder Lodovico, der verbannt und verjagt worden ist, noch das Volk, das Dich jetzt ebenso verabscheut, wie es Dich früher geliebt hat, noch die Nobili auf Deiner Seite.
Trage Dein Schicksal in Geduld, carissimo: der Papst ist vierundachtzig und wird trotz seines blendenden Aussehens nicht ewig leben. Als ich ihn zuletzt sah, schien er mir verändert: er sprach weniger geläufig und redete eher weinerlich.
Ich allerdings werde sicherlich noch vor ihm sterben. Der Tod meines Lieblingssohnes Silla war ein schrecklicher Schlag für mich. Mein Gesundheitszustand verschlechtert sich von Tag zu Tag. Doch das ist eigentlich nicht wichtig: ich habe lange genug gelebt. Und mein Leben kommt mir heute so sinnlos vor. Ich bereue vieles, was ich getan, vor allem daß ich Della Paces Kopf gefordert habe. Sein Ende war ungerecht und grausam und hat mir meinen Sohn nicht wiedergegeben.
Ich empfehle mich Deiner Frau Gemahlin. Der Nachfolger Gregors XIII. wird ihr und Dir vielleicht besser gesinnt sein.
Was mich betrifft, so bleibe ich bis zur Stunde meines Todes Dein alter und getreuer Freund.
Marchese Giulio Savelli«
Beim Lesen von Savellis Brief wurde mir klar (trotz aller tröstlichen Zuneigung, die daraus sprach), daß ich meine Hoffnung |328|auf die Solidarität des Adels zu Grabe tragen mußte. Der Papst war wirklich sehr raffiniert zu Werke gegangen. Wäre ich nach dem Aufstand exkommuniziert worden, hätte er alle Nobili gegen sich aufgebracht, weil sie ebenfalls beteiligt gewesen waren und folglich das gleiche Schicksal befürchten mußten. Indem er sich jedoch damit begnügte, durch sein precetto eine Ehe aufzulösen, die besagte Nobili mißbilligten, isolierte er mich von ihnen und konnte mich ungestraft zum Sündenbock machen.
Da ich indes die Gültigkeit des precetto stark anzweifelte, beschloß ich, einen Theologen zu konsultieren. Ich ließ Pater Luigi Palestrino um einen Besuch bei mir bitten. Seine Antwort wurde mir mündlich überbracht: ich solle ihm bei Einbruch der Nacht eine Kutsche ohne Wappen schicken, und nichts von dem, was er mir während unseres Gesprächs sagen würde, dürfe nach außen dringen, andernfalls werde er alles laut und öffentlich dementieren. Diese Vorsicht erschien mir nur natürlich angesichts der herrschenden Tyrannei, und ich akzeptierte seine Bedingungen.
Pater Luigi Palestrino hatte einen so ausgemergelten kleinen Körper, daß man sich fragte, wie sich sein riesiger Kopf überhaupt darauf halten konnte. Dieser Kopf war auch in sich völlig disproportioniert, denn so deutlich die breite, gewölbte Stirn modelliert schien, so bedeutungslos und unauffällig war die untere Gesichtshälfte: eine lächerlich kleine Nase, hohle Wangen, ein Mund, schmal wie ein Strich, ein fliehendes Kinn. Sein Teint war noch bleicher als seine Mönchskutte, oder genauer gesagt: so durchsichtig, daß man sich fragte, ob er wirklich Blut in den Adern habe.
Dagegen war ich von Volumen und Ausdruck seiner Stimme überrascht, als er die Frage an mich richtete – auf meine Aufforderung hin hatte er sich in einen Lehnstuhl gesetzt, den seine zerbrechliche Figur nicht einmal zu einem Viertel ausfüllte, und mit einer raschen Geste den angebotenen Wein abgelehnt –, was ich von ihm erwartete.
Wortlos hielt ich ihm das precetto hin; er nahm es mit einer Eilfertigkeit und Begierigkeit, die mich an ein Eichhörnchen denken ließen, das nach einer Haselnuß schnappt. Und kaum hatte er mit dem Lesen begonnen, schien er auch schon fertig zu sein.
|329|Er schloß die Augen und verharrte so lange stumm, daß ich ungeduldig wurde und schon den Mund aufmachte, um ihn nach seiner Meinung zu fragen. Im selben Moment schlug er die Augen auf – ich kann nicht annehmen, er habe mich den Mund öffnen sehen, bevor er selbst die Augen öffnete –, machte die gleiche schnelle, energische Handbewegung, mit der er meinen Wein abgelehnt hatte, und sagte mit seiner erstaunlich lauten, deutlichen Stimme:
»Wollet mir bitte keine Fragen stellen, Durchlaucht. Sie sind überflüssig, denn ich werde im voraus nicht nur all die beantworten, die Ihr stellen könntet, sondern selbst diejenigen, an die Ihr nicht denkt.«
»Also gut, Pater, dann sprecht, ich höre!«
»Man muß zunächst verstehen, Durchlaucht, daß die Ehe ein Sakrament zwischen den beiden Gatten ist und daß sie, vor allem seit dem Tridentinischen Konzil, von der Kirche als unauflöslich angesehen wird. Einer der beiden Eheleute kann jedoch beim Papst die Annullierung beantragen, wenn er belegen kann, daß sein Einverständnis zum Zeitpunkt der Heirat durch List oder Gewalt erzwungen oder aber die körperliche Vereinigung nicht vollzogen wurde beziehungsweise unfruchtbar geblieben ist. Der letzte Punkt ist gleichwohl sehr umstritten, wie sich im Falle Heinrichs VIII. zeigte, der von Clemens VII. verlangte, seine Ehe mit Katharina von Aragonien aufzulösen, da sie ihm keinen Sohn geschenkt hatte. Allerdings hatte sie ihm sechs Töchter geboren. Sie war also nicht unfruchtbar. Eingedenk der Anfechtbarkeit seines Arguments machte Heinrich VIII. einen anderen Aspekt geltend. Katharina war eine nahe Verwandte von ihm, und diesen an sich nicht sehr überzeugenden Gesichtspunkt – das Verwandtschaftsverhältnis ist kein Grund zur Auflösung der Ehe – hätte Clemens VII. bei einigem guten Willen akzeptieren können, wenn sich dem nicht der Neffe von Katharina, Kaiser Karl V., mit aller Macht entgegengestellt hätte. Er hat nicht gut daran getan, denn ohne seinen Widerstand wäre die Scheidung ausgesprochen und das Schisma verhindert worden, das England vom Vatikan und der übrigen Christenheit trennte. Kleine Ursache, große Wirkung.«
»Das alles ist sehr interessant, Pater, aber es betrifft nicht mein precetto«, sagte ich.
»Indirekt doch, Durchlaucht. Denn diese Vorrede sollte erläutern, |330|daß die Annullierung einer Ehe in der Regel von einem der beiden Gatten verlangt wird und daß es im höchsten Maße verwunderlich ist, wenn ein precetto – wie in Eurem Fall und bei vielen anderen precetti, die unter dem Pontifikat Gregors XIII. verkündet wurden – vom Papst ausgesprochen wird, ohne daß einer der Gatten es beantragt hat.«
»Ihr seid also der Meinung, Pater, diese precetti seien Ermessensmißbrauch?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, daß sie im höchsten Maße befremdlich sind. Und darf ich Euch daran erinnern, Durchlaucht, daß wir vereinbart hatten, Ihr solltet keine Fragen stellen?«
»Entschuldigt, Pater. Ich bin es nicht gewohnt zu gehorchen, doch mit ein wenig gutem Willen gelingt es mir vielleicht, mich zu fügen.«
Die Ironie schien Luigi Palestrino zu entgehen. Denn er fuhr unbeirrt fort:
»Die Ehe ist, wie gesagt, ein Sakrament zwischen den beiden Gatten, also kann keine Macht außerhalb dieser Ehe, nicht einmal das Oberhaupt der Christenheit, auf legitime Art dieses Sakrament aufheben. Es sei denn, besagte Ehe wäre von Umständen begleitet, die sie zum Skandal machen. Und ebendas, Durchlaucht, suggeriert dieses precetto in Eurem Fall. Die Schwäche seiner Argumentation besteht darin, daß es dies in verschleierten Andeutungen suggeriert, ohne es deutlich auszusprechen und ohne Eure Schuld festzustellen, ja sogar ohne den Versuch, sie festzustellen.«
»Mangels Beweisen«, sagte ich. »Vielleicht auch mangels Überzeugung. Gibt es einen Ausweg, Pater?«
»Nein. Ihr könnt nicht beim Papst gegen den Papst Berufung einlegen.«
»Selbst dann nicht, wenn ich meine Unschuld beweise?«
»Selbst dann nicht.«
»Es ist also kein Einspruch möglich?«
»Nach dem Tode Gregors XIII. könnt Ihr bei seinem Nachfolger Berufung einlegen. Dieser wird es vielleicht übertrieben finden, daß Euch Gregor XIII., weil ihm die Annullierung Eurer Ehe nicht genügte, auch noch eine Wiederheirat untersagt hat. Die Versuchung liegt nahe, daß er mit diesem precetto seinem Nachfolger die Hände binden wollte. Dieser könnte |331|daran Anstoß nehmen und Euch deshalb von besagter Klausel entbinden. Ihr könnt auch Vorteil aus dem Interregnum ziehen, das nach dem Tod Gregors XIII. bis zur Wahl eines neuen Papstes eintreten wird.«
»Welchen Vorteil? Und wie denn?«
»Das werde ich Euch erst sagen, wenn es soweit ist, Durchlaucht. Für heute bitte ich, mich beurlauben zu wollen.«
Er erhob sich, und zu meiner großen Verwunderung zeigte sich auf seinen schmalen Lippen ein Lächeln, das schnell wieder verschwand, aber es war unzweifelhaft ein Lächeln gewesen.
»Ihr habt viele Fragen gestellt, Durchlaucht. Und Ihr wart trotz Eures guten Willens ein undisziplinierter Konsultant. Aber das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß Ihr durch den Kampf gegen die Piraten in der Adria selbst ein bißchen zum Piraten geworden seid. Gleichwohl gilt es jetzt nicht mehr, gegen den Feind anzurennen, sondern eine Tugend zu erlernen, die Euch abgeht: Geduld. Wollet Euch nicht beunruhigen, Durchlaucht, Euer Fall ist mitnichten hoffnungslos.«
Er verneigte sich tief und schritt zur Tür.
»Pater, Ihr habt das hier vergessen«, sagte ich und zog eine Börse aus meinem Wams.
Luigi Palestrino kam hüpfend zurück, ergriff die Börse, flink wie ein Eichhörnchen, steckte sie ein, verneigte sich nochmals und verschwand durch die Tür wie weggezaubert. Er war als Theologe so berühmt, daß man von allen Enden der christlichen Welt herbeiströmte, um ihn zu konsultieren. Bei solcher Gelegenheit wurde er zweifellos großzügig beschenkt, was er nicht zur Bedingung machte, aber auch nicht ablehnte, wie ich feststellen konnte. Ich fragte mich, wofür er das Geld verwendete. Sicherlich nicht fürs Essen.
An jenem Abend sah ich zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Rom einen Hoffnungsschimmer. Luigi Palestrino hatte recht: ich war bislang zu sehr darauf aus gewesen, die gegnerische Galeere zu entern, auch im Falle des Vatikans. Nun, da meine Enterhaken verloren waren, mußte ich Abwarten, Verzögern, Intrigieren und all die anderen Listen erlernen, die in Friedenszeiten gebraucht werden.
|332|Domenico Acquaviva (il mancino):
Ich war zu vorgerückter Stunde in meinem Zimmer im »Ölberg« mit der Abrechnung beschäftigt, wir hatten nur noch wenig Kunden und zudem solche von der fügsamen Art, die sich ohne Aufmucken ausnehmen lassen; da teilte mir die Sorda mit, es seien vier bewaffnete Reiter gekommen, ein fünfter bewache im Stall ihre Pferde.
»Wie sind sie bewaffnet?«
»Degen, Dolch und Pistolen am Gürtel.«
»Teufel! Sind es Banditen?«
»Nach ihren Reittieren zu urteilen nicht.«
»Du hast sogar einen Blick in den Pferdestall geworfen? Du hast ja Grips in deinem hübschen Kopf, cocca mia1.«
»Ich habe auch Grips in meinem hübschen Arsch«, sagte sie lachend.
Im allgemeinen schätze ich es nicht, wenn meine Mädchen ordinär reden. Aber dieses eine Mal ließ ich es durchgehen.
»Und was hast du im Pferdestall gemacht?«
»Die schönen Pferde gestreichelt. Ihr Fell war trocken. Sie kommen also nicht von sehr weit her.«
»Dann sind sie aus Rom. Wer bewacht sie?«
»Ein Kalabrier, aber für einen Diener sehr ordentlich gekleidet: ein ledernes Wams.«
»Du hast dich also an ihn rangemacht, um ihm die Zunge zu lösen.«
»Ich konnte überhaupt nichts lösen, weder seine Zunge noch seinen Hosenlatz. Der Sauertopf hat mich zurückgestoßen und gesagt, er sei verheiratet und treu.«
»Und die vier in der Gaststube?«
»Sie wollten keine Mädchen, sondern Wein, und zwar vom besten. Der größte von ihnen, der den Hut tief in die Stirn gezogen hat, verlangt nach dir.«
»Wie ist er angezogen?«
»Wams aus Büffelleder wie ein Kapitän.«
»Und der Hut? Von Wind und Wetter zerbeult? Ausgeblichen? Mit unansehnlichen Federn?«
»Ganz und gar nicht. Glänzender Filzhut und leuchtende Federn.«
|333|»Dann ist er kein Kapitän. Gut, bring ihn her, aber zuvor sollen sich drei meiner Leute mit Radschloßarkebusen im Zwischenstock hinter dem Vorhang postieren. Wie sieht er denn aus, dieser sogenannte Kapitän?«
»Stattlich, mit sehr breiten Schultern. Ein schöner Männermund, groß, energisch. Ich rede von seinem Mund, da ich wegen dem Hut nichts weiter gesehen habe. Er spricht mit sanfter Stimme, aber wie einer, der gewohnt ist, daß ihm die Leute gehorchen.«
»Gib mir ein bißchen Zeit, ehe du ihn zu mir läßt. Und wenn er hier ist, setz dich auf eine Treppenstufe. Alarmiere meine Leute, falls die drei anderen heraufzukommen versuchen. Und schicke die Mädchen, die nicht beschäftigt sind, umgehend zu Bett.«
Wieder allein, verspürte ich Unruhe. Ich schätze so etwas nicht – daß vier bis an die Zähne bewaffnete Männer um ein Uhr morgens bei mir eindringen, selbst wenn ihre Pferde schon von weitem nach Adel riechen. Es gibt Banditen-Barone und sogar Grafen, die genausowenig taugen, Graf Oppedo zum Beispiel. Wenn der wüßte, was ich mit seinem Mönch gemacht habe, würde er mich wohl nicht sonderlich mögen. Ich steckte ein Messer in meinen linken Stiefel, lud eine niedliche Damenpistole und schob sie in den rechten Armausschnitt meines Wamses.
Es klopfte. Beim Aufmachen ging ich hinter der Tür in Deckung, die Hand in meinem Wams.
»Holla, mancino«, sagte eine Stimme, die mir bekannt vorkam, »ist das eine Art, die Leute zu begrüßen?«
Ich riskierte einen Blick, ohne ganz aus der Deckung hervorzukommen. Der Besucher sah mich, lächelte und nahm mit einer lässigen Bewegung den Hut ab.
»Ah, Durchlaucht, Ihr!« rief ich und verbeugte mich bis zur Erde. »Ein Wort von Euch hätte genügt, und ich wäre nach Montegiordano geeilt.«
»Einen Boten zu schicken hätte zu lange gedauert«, sagte der Fürst, »und im Morgengrauen breche ich nach Bracciano auf. Das römische Pflaster brennt mir unter den Füßen. Ich wollte dich aber sehen.«
»Ich stehe zu Eurer Verfügung, Durchlaucht. Wollet gütigst Platz nehmen.«
Beim Hinsetzen verzog er ein wenig das Gesicht.
»Mancino, was ist mit dem Mönch? War Kardinal Montalto bereit, ihn anzuhören?«
»Er war bereit, uns anzuhören, ihn und mich, und ganz geheim.«
»Und wie ging es?«
»Seine Eminenz hat uns mit größter Aufmerksamkeit zugehört. Vor allem dem Mönch.«
»Und was hat der Kardinal gesagt?«
»Den Mönch betreffend, muß man unterscheiden zwischen dem, was der Kardinal gesagt hat, und dem, was er gedacht hat. Was er gesagt hat, war nicht sehr ermutigend.«
»Ich höre.«
»Testis unus, testis nullus.«1
»Du kannst Latein, mancino?«
»Dieses Latein da habe ich anläßlich eines kleinen Mißverständnisses zwischen dem Gerichtshof und mir gelernt.«
»Und deine Aussage betreffend, was meinte da der Kardinal?«
»Nichts. Außer daß er mir Vorhaltungen über meinen ›traurigen Beruf‹ machte. Übrigens hat er ja recht. Wer weiß, ob ich es nicht mit ein bißchen mehr Bildung weiter gebracht hätte. Man erzählt ja auch, der Kardinal habe in seiner Jugend Schweine gehütet.«
»Das erzählt man. Aber noch mal zu dem Mönch.«
»Der Kardinal hat ihn wegen seines Austritts aus dem Orden ins Gebet genommen, und zwar so hart, daß der Mönch vor ihm auf die Knie fiel und in Tränen ausbrach.«
»Wieso glaubst du, der Kardinal habe seine Zeugenaussage ernster genommen, als er zugeben wollte?«
»Sein schrecklich strenges Gesicht konnte nicht ganz die Freude verhehlen, die er beim Zuhören empfand.«
»Woher diese Freude, deiner Meinung nach?«
»Weil durch diese Aussage die Schuld von seiner Nichte genommen wurde.«
Der Fürst hielt die Stirn gesenkt und schwieg lange, dann schien er sich zu schütteln, hob den Kopf und sagte lebhaft und froh:
|335|»Was ist mit der Taverne auf dem Gelände, das ich dir verkauft habe?«
»Sie gehört mir. Die von mir eingeleiteten Wegearbeiten dauerten so lange, daß das Geschäft zurückging und der Besitzer mir die Taverne abgetreten hat. Leider habe ich nicht mehr genügend Mittel, um sie instand zu setzen.«
»Vielleicht weiß ich Abhilfe. Das benachbarte Wäldchen möchte Kardinal Cherubi gern erwerben, denn es würde seinen Park vorteilhaft vergrößern. Ich verkaufe es dir.«
»Ohne sofortige Bezahlung zu verlangen, Durchlaucht?«
»Ohne jede Bezahlung. Wenn es dir gehört, verkaufst du es an Kardinal Cherubi weiter.«
»Es gibt doch bestimmt eine Bedingung bei diesem Geschäft.«
»Eine mündliche und vertrauliche. Er soll dich täglich über den Gesundheitszustand des Papstes auf dem laufenden halten.«
»Eine verblüffende Bedingung, wenn sie von einem niedrigen Schankwirt wie mir kommt.«
»Sie wird den Kardinal nicht verblüffen, wenn sie von einem Nachbarn kommt, der in dem Wäldchen, das er ihm verkauft hat, liebenswürdigerweise das Gestrüpp auslichtet. Cherubi ist ein einfaches Gemüt. Auf seinen Spaziergängen spricht er mit jedermann.«
»Vielleicht braucht er auch Eure Beziehungen zu den Venezianern, wenn der hochbetagte Patriarch von Venedig seinen Geist aufgibt?«
»Vielleicht. Mancino, du bist sehr beschlagen. Woher hast du deine Informationen?«
»Von meinen Mädchen, Durchlaucht. Ich erröte bei diesem Eingeständnis – meine Mädchen werden nicht nur von gemeinen Leuten frequentiert.«
»Mancino, es ist sehr wichtig, daß ich sofort Kenntnis erhalte, wenn das Ende Gregors XIII. bevorsteht. Du weißt, daß der Vatikan solche Dinge manchmal verheimlicht und sogar den Tod eines Papstes erst mit Verzögerung bekanntgibt.«
»Zu gegebener Zeit werde ich selbst nach Bracciano galoppieren und Euch die Nachricht überbringen, Durchlaucht.«
»Abgemacht. Komm morgen früh nach Montegiordano. Ich werde nicht mehr da sein, aber mein Majordomus weiß Bescheid. |336|Er wird für mich die Verkaufsurkunde unterschreiben. Du brauchst mich nicht hinauszubegleiten. Ich kenne den Weg.«
Mit einem knappen Kopfnicken ging er. Ich bemerkte, daß er stark hinkte und nur mit Mühe die Treppe hinabstieg. Ich schloß die Tür hinter ihm und war sicher, daß die Sorda nach seinem Weggang voller Neugier heraufkommen würde.
Ich setzte mich auf den Schemel, von dem sich der Fürst eben erhoben hatte, stopfte mir eine Tonpfeife mit gutem Tabak, schlug Feuer, schmauchte genüßlich, in angenehmen Rauch gehüllt, und machte mir meine Gedanken. Ich wurde so schnell reich, daß der Tag kommen würde, da ich für mein weiteres Fortkommen meinen »traurigen Beruf« an den Nagel hängen müßte. Aber das wird mir leid tun. In gewisser Weise mochte ich meine Mädchen.
Die Sorda trat ein, vor Aufregung zappelnd wie ein Floh. Sie setzte sich auf meinen Schoß, und ich erzählte ihr die ganze Geschichte, aber nichts von der mit dem Weiterverkauf des Grundstücks verbundenen Bedingung. Sie sah mich mit weit aufgerissenen Augen an und bewunderte sehr, wie es mir gelungen war, das Vertrauen und die Protektion eines so großen Fürsten zu gewinnen. Als ich meinen Bericht beendet hatte, fing sie an zu schmusen. Sie hatte den Moment schlecht gewählt, fand ich, denn es war schon sehr spät. Weil es ihr aber von Herzen kam, ließ ich sie gewähren.
Seine Eminenz Kardinal Cherubi:
Ich weiß, daß ich heftig getadelt worden bin – auch von jenen Kardinälen, die am Tage des Aufstandes im Vatikan waren –, weil ich Seiner Heiligkeit vorgeschlagen hatte, Della Pace zu opfern. Dieses Opfer, das wir bringen mußten, um das Leben des Papstes, unser eigenes Leben und den Apostolischen Stuhl zu retten, war an sich gewiß etwas Schreckliches. Aber die meisten Anwesenden, auch Seine Heiligkeit, hatten sich im Grunde ihres Herzens bereits damit abgefunden, als ich die Kühnheit hatte, laut auszusprechen, was alle insgeheim dachten.
Auch der Papst hätte mir – wie alle anderen – nach überstandener Gefahr ein böses Gesicht zeigen können. Er tat |337|nichts dergleichen, sondern wußte mir Dank für meinen Mut und meine Offenheit, wie er mir zu sagen geruhte.
Auf diese Eigenschaften halte ich mir nichts zugute. Ich bin von Natur aus so veranlagt, daß ich freiheraus sage, was ich denke. Deshalb habe ich auch nie verhehlt, daß ich eines Tages Nachfolger des Patriarchen von Venedig zu werden hoffe, wenn der Herr ihn zu sich rufen wird. Ich weiß wohl, daß es im Vatikan nicht üblich ist, seine Wünsche so unschuldig zu erkennen zu geben; im Gegenteil, man verheimlicht sie und läßt sie nur durchblicken, wenn es einem nützlich scheint. Ich gehe anders an die Dinge heran. Da ich in Venedig geboren bin, glaube ich, den Charakter seiner Einwohner zu kennen, und halte mich für prädestiniert, die Kirche in der Serenissima zu vertreten. Warum soll ich meine Ambitionen verschweigen, wenn sie doch legitim sind? Ist es nicht sogar besser, so früh wie möglich zu erklären, auf welchen Posten man prätendiert, sei es auch nur, um den weniger entschlußfreudigen Bewerbern den Wind aus den Segeln zu nehmen?
Will man den bösen Zungen Glauben schenken, bin ich dank meiner Offenheit derjenige Prälat im Vatikan, der die meisten Böcke schießt; zugleich sollen mir meine Tölpeleien den größten Vorteil gebracht haben. Diese Legende scheint mir widersprüchlich. Wenn meine Ungeschicklichkeiten für meine Karriere so nützlich gewesen sind, waren sie dann wirklich so dumm?
Nach dem Aufstand wurde ich zweifellos der Mann, auf dessen Ratschläge der Papst am meisten hörte. Manch einer fand meinen Einfluß exzessiv. Er war tatsächlich groß, doch wie kann man ihn exzessiv nennen, wo er doch immer mit Mäßigung ausgeübt wurde?
Seit jenem schrecklichen Tag, da der Papst um Leben und Thron fürchten mußte, strebte er danach, unbesiegbar zu werden, indem er Schweizer rekrutierte und Kanonen kaufte. Aber je stärker er militärisch wurde, um so schwächer, unentschiedener, haltloser wurde sein Charakter. Er hatte sich niemals großer Tatkraft rühmen können, und das bißchen, was er besaß, schien in den Wirren zerbrochen zu sein. Gleichzeitig überließ er sich seinem Groll.
Sowie sein Thron sich wieder gefestigt hatte, wollte er den Fürsten Orsini exkommunizieren und dessen Ehe durch ein precetto auflösen. Ich war gegen beide Maßnahmen, weil sie |338|zu sehr nach Vergeltung rochen. Ich sagte es dem Heiligen Vater, und er war zunächst darüber verärgert. Nachdem ich ihm klargemacht hatte, daß er den Fürsten Orsini nicht exkommunizieren könne, ohne mit dem gesamten römischen Adel genauso zu verfahren – eine unmögliche und in ihrer Absurdität fast komische Maßnahme –, begnügte er sich mit dem precetto, von dem er nicht mehr ablassen wollte.
Als sein precetto verkündet wurde, empfand der Papst lebhafte Befriedigung. Ebensosehr freute er sich, als er – nicht ohne Grund – den Grafen Oppedo verbannte und als er unter dem Vorwand, leidend zu sein, es ablehnte, den Fürsten Orsini im Vatikan zu empfangen. Danach fiel er in seine Apathie zurück und ließ sich treiben, als hätte er überhaupt kein Ziel mehr im Leben.
Eines Tages traf ich den Botschafter Venedigs, Armando Veniero, wie er mit ziemlich besorgtem Gesicht von einer Audienz bei Gregor XIII. kam; ich nahm ihn freundschaftlich am Arm und fragte ihn nach dem Grund seiner Besorgnis.
»Ich fürchte, daß der Papst Venedig nicht mehr so viel Wohlwollen entgegenbringt wie früher«, sagte er. »Ich hatte ihn darum ersucht, ein Problem vortragen zu dürfen, das die Serenissima stark beschäftigt. Er hat mich für fünf Minuten empfangen und mir kaum zugehört. Man hätte wirklich meinen können, er interessiere sich überhaupt nicht für diese Frage.«
»Armando, beruhige dich!« flüsterte ich ihm ins Ohr, wobei ich ihn in eine Fensternische zog. »Der Papst ist an allem desinteressiert. Er kürzt die Audienzen ab. Er zeigt sich zerstreut. Nicht einmal die wichtigsten Angelegenheiten des Staates oder der Christenheit vermögen seine Aufmerksamkeit zu fesseln.«
»Ah, das ist es also!« rief Armando. »Außerdem habe ich bemerkt, daß er zur Larmoyanz neigt.«
»Gewiß, er hatte schon immer die Fähigkeit zu weinen, aber jetzt kommen ihm die Tränen ungewollt und grundlos.«
»Das ist betrüblich«, sagte Armando, ohne allerdings einen sehr betrübten Eindruck auf mich zu machen. »Ärgerlich ist nur«, fuhr er fort, »daß ich nicht weiß, was ich der Serenissima antworten soll.«
»Worum handelt es sich denn?« fragte ich. »Du weißt, wie sehr ich der Serenissima zugetan bin. Und wie sehr ich hoffe, daß sie mir eines Tages meine Zuneigung erwidert …«
|339|Hier lächelte Armando, der meine Ambitionen genau kannte, mit einer Miene, die sowohl Freundschaft als auch diplomatische Zurückhaltung ausdrückte.
»Venedig möchte mit dem Papst einen Auslieferungsvertrag abschließen«, fuhr er fort. »Die Stadt ist überfüllt mit Römern, die vor Euren strengen Gesetzen zu uns fliehen. Und umgekehrt werdet Ihr sicherlich unter der gleichen Notsituation leiden.«
»Gut«, erwiderte ich, »ich werde darüber mit dem Heiligen Vater sprechen. Sollte es mir nicht gelingen, sein Interesse zu wecken, lasse ich von einem Sekretär ein Schriftstück aufsetzen. Dann bleibt wenigstens ein schriftlicher und datierter Nachweis über deine Demarche. So kann sie unter dem nächsten Pontifikat mit größerem Nachdruck erneuert werden.«
Einige Tage später fand ich den Heiligen Vater in einem seiner üblichen Anfälle von Melancholie, und als ich ihn nach dem Grund zu fragen wagte, sagte er düster:
»Letzte Nacht hat der Blitz in die Engelsburg eingeschlagen, in die Standarte, ganz hoch oben. Das ist ein schlechtes Zeichen, lieber Freund, ein sehr schlechtes Zeichen …«
Mehr wollte er dazu nicht sagen, doch als er sich in seine Gemächer zurückgezogen hatte, flüsterte mir der Erste Kammerherr, der meine Verdutztheit bemerkte, zu:
»Als gebürtiger Venezianer kennen Eure Eminenz nicht den Aberglauben des einfachen römischen Volkes: trifft der Blitz die Standarte der Engelsburg, wird der Papst noch vor Jahresende sterben.«
»Und Seine Heiligkeit nimmt diesen Aberglauben für bare Münze?«
»Es scheint so. Und das ist um so verwunderlicher, als der Blitz schon zweimal eingeschlagen hat, der Heilige Vater sich aber jetzt zum ersten Mal betroffen zeigt.«
Einige Zeit danach traf ich auf einer Treppe des Vatikans zufällig einen Prälaten, dessen Name nicht genannt werden soll; er lächelte und blieb stehen. Ich erwiderte sein Lächeln und blieb ebenfalls stehen. Es sei hier angemerkt, daß ein Treppenabsatz mit Sicherheit im ganzen Vatikan der beste Ort für einen heimlichen Gedankenaustausch ist. Denn wenn man sich geschickt genug plaziert, hat man die Heraufkommenden ebenso im Blick wie die Herabsteigenden und sieht sie in beiden Richtungen |340|schon von weitem kommen, so daß sie einen nicht im Gespräch überraschen können.
»Lieber Freund«, sagte er, »der Ihr den Heiligen Vater tagtäglich seht, habt Ihr keine Veränderung an ihm festgestellt?«
Dieser Satz und das gleichzeitige Stirnrunzeln waren in Wirklichkeit das Angebot zu einem Tauschgeschäft: »Verrate mir, was du weißt, und ich sage dir, was ich erfahren habe.« Ich beschloß, auf das Angebot einzugehen, zumal der besagte Prälat im allgemeinen gut informiert war. Allerdings verschwieg ich die Bemerkung des Papstes über die Standarte auf der Engelsburg, die nur mich persönlich betraf, weil er sie mir gegenüber geäußert hatte. Dagegen berichtete ich von dem wesentlich harmloseren Eindruck, den Armando Veniero aus seiner verkürzten Audienz gewonnen hatte.
Der Prälat lauschte fast gierig und sagte dann mit feinem Lächeln:
»Also ist es wahr. Ohne schon zu behaupten, es gehe mit ihm abwärts, könnte man in Abwandlung des berühmten Wortes sagen, ›der gute Homer schlummert‹. Dabei sieht er immer noch so gut aus. Er ißt gut, er schläft gut.1 Es muß wohl so sein, daß sich der Kräfteverfall in seinem Inneren vollzieht. Ein untrügliches Zeichen: er scheint nicht mehr so darauf bedacht zu sein, sich in der Würde seines Amtes zu behaupten. Wißt Ihr, daß er sich an manchen Abenden in einer Sänfte zu seinem Sohn Giacomo tragen läßt und den Festen dieses Bengels beiwohnt? Oh, da passiert nichts wirklich Anstößiges, abgesehen vielleicht von ein paar Tänzen der nur spärlich bekleideten maurischen Sklavinnen. Aber wenn sich das herumspräche, hätte es verheerende Auswirkungen!«
Nachdem der Prälat auf solche Art das Seinige getan hatte, damit »sich das herumspräche«, verließ er mich mit einem Augenzwinkern, das seine bekümmerten Seufzer Lügen strafte.
Um die Wahrheit zu sagen: ich wurde dem Papst immer unentbehrlicher. Er schickte zu jeder Tageszeit nach mir und sogar nachts, wenn er an Schlaflosigkeit litt. Und sowie er meiner ansichtig wurde, hieß es: »Cherubi, Uns bedrücken düstere Gedanken, heitert Uns auf!«
Das war nicht sehr schwer. Wenn der Papst eine Geschichte |341|mochte, konnte man sie ihm hundertmal erzählen, und er fand daran immer wieder das gleiche Vergnügen. Man mußte allerdings stets die gleichen Wörter verwenden. Bisweilen verlangte er dann sogar, sie zu wiederholen.
»Cherubi, beschreibt Uns eine Mahlzeit bei Montalto!«
»Gut, Allerheiligster Vater. Zunächst einmal: das Speisezimmer war eisekalt, da Seine Eminenz nicht wollte, daß man dort Feuer mache.«
»Warum nicht?« wollte der Papst wissen, der mir diese Frage schon mindestens ein dutzendmal gestellt hatte.
»Man wäre versucht, länger bei Tisch zu verweilen, wenn ›man dort nicht so fröre‹. Die Nonne, die uns bediente …«
»Nein, nein, Cherubi, nicht so schnell. Während des Essens machte Montalto kleine Scherze auf französisch.«
»Richtig, Allerheiligster Vater. Er sagte (hier imitiere ich Montaltos tiefe Stimme): ›N’oubliez pas, Cherubi, que la chère mène à la chair, et qu’après la panse, vient la danse …‹1 «
»Ausgezeichnet! Weiter!«
»Dann das Essen, welches die Nonne uns brachte …«
»Nein, nein!« rief der Heilige Vater. »Cherubi, Ihr habt wohl nicht ausgeschlafen! Ihr vergeßt ja alles! Ihr habt die Nonne noch nicht beschrieben.«
»Ja, Allerheiligster Vater, sie war alt und sagenhaft verhutzelt und mager wie ein Skelett. Und so ausgetrocknet, daß sie beim Laufen knarrte. Es fehlte ihr nur die Sense, um den Gevatter Tod spielen zu können.«
»Ausgezeichnet, ausgezeichnet! Weiter, Cherubi.«
»Eines Tages verkündete sie uns beim Mittagessen mit konsternierter Miene, sie habe vergessen, ihre Vorräte aufzufüllen, und es seien nur noch zwei Eier da. ›Das macht nichts!‹ sagte Montalto. ›Gebt Cherubi das größere, der ist ein starker Esser. Rossellino und ich teilen uns das kleine.‹«
»Ausgezeichnet, Cherubi! Ausgezeichnet!«
Obwohl sein Gedächtnis jetzt manche Lücken aufwies, erinnerte er sich genauestens an Dinge, die Jahre zurücklagen, und vergaß auch seine Ressentiments nicht, die ihn mitunter zu nachgerade boshaften Sticheleien verleiteten.
»Cherubi, entsinnt Ihr Euch an die Worte Montaltos, als er |342|zum ersten Mal Vittoria sah: ›Wer könnte sie sehen, ohne sie zu lieben! Wer könnte sie hören, ohne sie anzubeten!‹«
Und er lachte und fügte bissig hinzu:
»Er dürfte heute wenig erfreut darüber sein, unser guter Heiliger, daß die so sehr geliebte Nichte mit einem Seeräuber im Konkubinat lebt …«
Eines Tages gewährte mir der Papst eine äußerst seltene Gunst, derer nur wenige Prälaten im Vatikan sich rühmen durften: er zeigte mir seine Sammlung. Ganz anders als seine Vorgänger und sein berühmter Nachfolger wendete Gregor XIII. nur wenig Geld für die Verschönerung der Ewigen Stadt auf. Dagegen gab er es mit vollen Händen für seine Pretiosensammlung aus – ein Lebenswerk, für das er einen Saal mit Spiegeln ausgestattet hatte, darin die Kleinodien unendlich viele Male reflektiert wurden. Am Tage war der Saal von hohen Fenstern erhellt, nachts von venezianischen Lüstern mit unzähligen Kerzen. Da die Besichtigung während einer der schlaflosen Nächte des Heiligen Vaters stattfand (in der er mich unverzüglich holen ließ, so wie es ihm zur Gewohnheit geworden war), brauchte der bedauernswerte, ebenfalls hastig aus dem Schlaf gerissene Kammerdiener (der sicher nicht weniger unglücklich war als ich) eine reichliche halbe Stunde, um alle Kerzen auf den Lüstern anzuzünden; dann wartete er, an den Türrahmen gelehnt und im Stehen schlafend, zwei Stunden auf das Ende der Besichtigung.
Wenn ich nicht selbst halb eingeschlafen wäre (denn ich brauche viel Schlaf), hätten mich all diese Wunderwerke geblendet, die der Heilige Vater nacheinander aus den eigenhändig aufgeschlossenen Vitrinen nahm, mit seinen sanften, schön geformten Händen streichelte und mir zeigte, ohne sie mich allerdings berühren zu lassen, so eifersüchtig hütete er sie: Edel- und Halbedelsteine aus aller Welt in großer Zahl, größtenteils aus den beiden Indien, Brasilien, Ceylon oder Sibirien, davon mir einige unbekannt waren (aber ich wagte nicht, nach ihrem Namen zu fragen), und alle zu prachtvollen goldenen Schmuckstücken verarbeitet, deren ziselierte Fassungen von den bekanntesten Meistern stammten. Der Heilige Vater hatte einen Experten zur Schätzung seiner Reichtümer kommen lassen; da er aber die Schätzung für zu niedrig befand, wolle er einen berühmten lombardischen Künstler für eine erneute Schätzung rufen, sagte er.
|343|Während der ganzen Zeit, da er mir seine Kleinodien zeigte, spielte ein abwesendes Lächeln um seine Lippen, sein etwas vager Blick schien sich im Feuer dieser Steine und ihrem Reflex in den Spiegeln zu verlieren. Solange die Besichtigung dauerte (und sie erschien mir sehr lang), wirkte er frisch und munter; aber sowie sie beendet war, überfiel ihn die Müdigkeit. Er ließ sich auf dem Lehnstuhl nieder, den ich ihm hinschob, den Nacken auf der Rückenlehne, die Augen geschlossen. Selbst jetzt wollte er den Saal nicht verlassen, ehe nicht der Diener alle Kerzen gelöscht hätte. Mit schwacher Stimme erklärte er mir, eigenhändig mit den drei Schlüsseln, die er niemals aus der Hand gab, abschließen zu wollen. Als endlich die letzte Kerze erloschen war, erhob er sich und verriegelte, auf meinen Arm gestützt, mit sicherer, keineswegs zitternder Hand die Tür, die offenbar sehr schwer und mit Eisen gepanzert war.
Ich begleitete ihn zurück zu seinen Gemächern, wo er zum Auskleiden erwartet wurde. Als ich ihn seinem Kammerherrn überantwortete, hob er den Kopf, sah mich an und sagte erstaunt:
»Ihr hier, Cherubi? Ist es denn schon Tag?«
Gleichzeitig rollten, Gott weiß warum, große Tränen seine rosigen Wangen herab. Vielleicht war er tief im Innersten darüber betrübt, seine Schätze nicht mitnehmen zu können, wenn ihm die Stunde schlagen würde.
Trotz aller Ermüdungserscheinungen in Verhalten, Gedächtnis und Intelligenz war er bei guter Gesundheit. Und das Animalische in ihm, wenn ich mich in seinem Fall so ausdrücken darf, funktionierte ausgezeichnet, zumal wenn man bedenkt, daß er in sein fünfundachtzigstes Lebensjahr ging.
Dieser Gedanke kam mir auch am 4. April 1585, als sich der Papst Schlag zwölf Uhr zum Palazzo Medici begab, wo ihn der Kardinal zum Mittagsmahl geladen hatte. Ich sehe ihn wieder vor mir, wie er auf dem Petersplatz im Begriff stand, seinen weißen Zelter zu besteigen: kerzengerade und schlank, mit azurblauen Augen, rosigen Wangen, ein Lächeln auf den Lippen. Er trug einen roten Hut und eine weiße Soutane mit Kapuze, deren roter Samt sich am Zaumzeug seiner schönen Stute wiederholte. Zweihundert Hofleute – Offiziere und Würdenträger, alle zu Pferd – standen bereit, ihn als Vor- und Nachhut durch die Straßen Roms zu begleiten. Der Papst, der sich, von |344|seiner Eskorte umgeben, freundschaftlich mit dem Kardinal di Medici unterhielt, den er um Haupteslänge überragte, bot ein solches Bild von Eleganz, Würde und Vornehmheit, daß wir alle sehr beeindruckt waren. Und das vollends, als er seinem Reitknecht, der den weißen Zelter herangeführt hatte, mit einer Hand die Zügel abnahm, mit der anderen bedeutete, beiseite zu treten, den Fuß in den Steigbügel setzte und sich mit bewundernswerter Leichtigkeit und Kraft in den Sattel schwang.
Es hatte am Morgen gefroren – etwas Außergewöhnliches an einem 4. April in Rom –, doch die Sonne hatte mittlerweile Nebel und Frost vertrieben, stand nun im Zenit und wärmte uns auf das angenehmste die Schultern. Obwohl man Sorge getragen hatte, entlang den Straßen, die der Heilige Vater passieren würde, Schweizergarden aufzustellen, schien das einfache Volk mehr Bewunderung als Feindseligkeit für unseren prachtvollen Zug zu empfinden, ohne allerdings richtig zu applaudieren.
Man hat so viele Dummheiten und Sticheleien über den Geiz der Medicis verbreitet und ihnen fortwährend vorgeworfen, sie röchen nach Bankwesen und Handel, daß ich es der Wahrheit schulde, hier festzustellen: der Empfang des Kardinals war in jeder Hinsicht eines großen Kirchenfürsten würdig und verband glänzenden Prunk mit auserlesenstem Geschmack. Obwohl Gregor XIII. nur mäßig aß, war er durchaus ein Feinschmecker und liebte es, lange bei Tisch zu sitzen und heiter mit seinen Tischnachbarn zu plaudern. Nach dem Essen wollte Kardinal di Medici, der ebenfalls sehr wertvolle Kleinodien besaß, dem Papst seine Sammlung zeigen, was dieser mit Freuden annahm; mit liebenswürdigem Lächeln sagte er zu mir: »Kommt, Cherubi, Ihr sagt Uns dann, ob Ihr sie schöner findet als Unsere.«
Die Medici-Sammlung reichte weder von der Quantität noch von der Qualität her an die des Papstes heran – mit Ausnahme eines monumentalen Gewürzständers, bei dem es sich um eine Replik des von Benvenuto Cellini für den französischen König Franz I. ziselierten Gefäßes handelte. Auffallend daran waren zwei sitzende nackte Figuren, eine männliche und eine weibliche, davon die eine den Ozean, die andere die Erde darstellte; beide hatten die Beine ineinander verschlungen, in Anspielung auf die Meeresarme, die weit ins Land hineinreichen. Die Erde, eine Frauengestalt von hinreißender Schönheit und Grazie, hatte die Hand auf ein überaus fein gearbeitetes Tempelchen |345|gelegt, das als Behälter für Pfeffer diente, während der Ozean ein Schiff – den Salzbehälter – in der Hand hielt.
Der Papst ließ nicht ab, dieses wunderschöne Kunstwerk zu betrachten und mit seinen wohlgeformten Händen zu streicheln. Und was ich von Anfang an geahnt hatte, geschah: der Heilige Vater wollte die Menage dem Kardinal di Medici abkaufen, der in diesem Augenblick sicher heftig bereute, sie ihm überhaupt gezeigt zu haben; sein Gesicht verriet tödliche Verlegenheit. Die Menage zu verkaufen schien ihm allzu hart. Und es abzulehnen war nicht ungefährlich, war doch der Papst sehr rachsüchtig.
Aber ein Medici läßt sich nicht überrumpeln: das Zögern des Kardinals währte nicht lange.
»Verkaufen, Allerheiligster Vater«, rief er und hob die Hände, »werde ich Euch das Stück ganz gewiß nicht. Aber es wird mir ein großes Vergnügen sein, es Euch zu schenken, wenn Ihr mir ein wenig Zeit laßt, es von allen Seiten von einem Künstler zeichnen zu lassen, damit ich wenigstens die Erinnerung daran bewahren kann.«
Damit stellte er die Menage in ihre Vitrine zurück, schloß diese ab und geleitete den Papst mit unendlicher Ehrerbietung zurück. Er hatte sich gerade noch rechtzeitig einer kaufmännischen List entsonnen: Zeit gewinnen!
Wieder im Freien, wurden wir durch einen unangenehmen Wetterumschwung überrascht. Dicke schwarze Wolken verdeckten die Sonne, und es war sehr kühl geworden. Ich bemerkte, wie der Heilige Vater, nachdem er aufgesessen war, fröstelte, und als wir auf dem Hof von Sankt Peter angekommen waren und er abgestiegen war, fröstelte er wieder. Er bekam heftiges Fieber und mußte zu Bett; und als alle Mittel des vatikanischen Arztes wirkungslos blieben, wurde Andrea da Milano gerufen, ein Nachfahre von Giovanni da Milano, dem berühmten Professor der nicht minder berühmten medizinischen Akademie von Salerno, mit der keine sonst in Europa rivalisieren kann, höchstens die Akademie von Montpellier – beides Institutionen, die ihre Vormachtstellung, wie ich hörte, dem Umstand verdanken, daß ihnen die aus ihrer Heimat vertriebenen spanischen Taufjuden die jüdische und die arabische Medizin übermittelt hatten.
Andrea da Milano untersuchte den Kranken, maß seinen |346|Puls und sprach beruhigende Worte. Aber da er mich ständig am Lager des Papstes sah – der Heilige Vater bestand hartnäckig darauf –, machte er mir ein Zeichen, ihm ins Vorzimmer zu folgen, wo er sich, mit mir allein, in ganz anderem Ton äußerte.
»Beide Lungenflügel sind angegriffen, Euer Eminenz. Allerdings ist der Heilige Vater außergewöhnlich robust. Sein Herz arbeitet ausgezeichnet, und er wird die Krankheit überwinden können.«
Am folgenden Tag war der Zustand des Papstes unverändert, aber Andrea da Milano zeigte sich im Gespräch unter vier Augen durchaus nicht mehr so zuversichtlich.
»Ich will offen mit Euch reden, Eminenz. Der erlauchte Patient enttäuscht mich: er zeigt keine Widerstandskraft. Er kämpft nicht! Er hilft nicht dem Arzt, er hilft der Krankheit.«
Am nächsten Tag sprach er noch offener:
»Es ist an der Zeit, ihm die Letzte Ölung zu erteilen.«
Daraufhin ließ ich einen der Neffen des Papstes rufen, den Kardinal San Sisto, der sofort herbeieilte und reichlich Tränen vergoß (offenbar hatte er diese Fähigkeit von seinem Onkel geerbt). Und da der Heilige Vater gerade ein wenig schlummerte, wagte ich es, ihn zu verlassen und in meinen Palazzo zurückzukehren, wo ich mir einen Imbiß servieren ließ, bevor ich in meinen Park ging, um Luft zu schöpfen und einen Blick auf das Wäldchen zu werfen, um das ich ihn unlängst vergrößert hatte. Ich sah dort den früheren Besitzer, Domenico Acquaviva, der emsig beim Auslichten war, und trat zu ihm. Sowie mich Acquaviva erblickte, fiel er auf die Knie und küßte meinen Ring.
»Gute Arbeit, Acquaviva!« sagte ich. »Und vielen Dank für deine Freundlichkeit.«
Ein kurzes Schweigen, dann fragte Acquaviva:
»Eminenz, man erzählt sich überall, der Heilige Vater sei schwer krank. Besteht denn keine Hoffnung mehr?«
»Leider nein, mein Sohn!« sagte ich und schüttelte den Kopf.
In diesem Augenblick kam ein Diener gelaufen, um mir kundzutun, Kardinal di Medici warte in meinem Palazzo auf mich. Ich eilte zu ihm und fand ihn, wie er im großen Saal mit großen Schritten – so groß, wie sein kleiner Körper es ihm erlaubte – auf und ab ging.
|347|»Cherubi«, fragte er kurz angebunden und vergaß für diesmal seine höflichen Manieren, »was ist mit dem Papst? Seit drei Tagen habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
Ich breitete die Arme aus und ließ sie zu beiden Seiten meines Körpers herabfallen.
»San Sisto erteilt ihm gerade die Letzte Ölung.«
»Das ist sehr betrüblich!« sagte Medici gespreizt und senkte den Kopf.
Aber gleichzeitig spielte ein leichtes Lächeln um seine Lippen, das sofort verschwand, als er meinen Blick spürte. Zwischen uns herrschte Schweigen, das sich auf unser beider heimliche Belustigung gründete. Medici hatte gewonnen: er würde seine wertvolle Gewürzmenage nun nicht mehr in den Vatikan schaffen müssen.