|419|KAPITEL XIV

Fürst Paolo Giordano Orsini, Herzog von Bracciano:

 

Es bleibt mir nur noch kurze Zeit zu leben. Ich hoffe, ich werde am Ende meiner Tage Mut beweisen, wenngleich Mut unter diesen Umständen nur eine Eitelkeit mehr ist und an der Sache selbst nichts ändern kann.

Immer habe ich gewußt, daß sich mein Dasein eines Tages vollenden würde, und doch habe ich es nicht wahrhaben wollen. Vielmehr: ich habe es – im wahrsten Sinne des Wortes – nur wider Willen geglaubt. Und als der nahe Tod zur Gewißheit geworden war, dachte ich als erstes: Wie! Das geschieht auch dir? Und so bald schon?

Diese Ungläubigkeit ist leicht zu erklären: wie könnte ein denkendes Wesen begreifen, daß sein Denken aufhören wird?

Gott sei Dank, ich bin weder Philosoph noch Theologe; doch nun, da ich nicht mehr laufen kann, habe ich Zeit zum Nachdenken. Mir scheint, der Mensch bemüht sich mit aller Macht, zu glauben, daß er nach dem Tode weiterlebt. Und doch, wie kann er sich des Paradieses freuen oder in der Hölle leiden, wenn Körper und Geist nicht mehr sind? Angenommen, ich werde verdammt – wie soll ich verbrennen, wenn ich keinen Leib mehr habe? Und wie kann ich wissen, daß ich brenne, wenn mein Schädel leer ist?

Das Nichts hinwiederum ist faßbarer: vor unserer Geburt haben wir nicht existiert, warum sollten wir also nach unserem Tod existieren?

Ich hüte mich wohlweislich, diese Gedanken meinem Kaplan anzuvertrauen. Er ist ein rechtschaffener, ziemlich beschränkter Mensch. Mit über siebzig Jahren wiederholt er nur, was er mit zehn gelernt hat, und da er es seit sechzig Jahren wiederholt, ist er mittlerweile überzeugt, es sei wahr.

Ich möchte ihn nicht verunsichern. Ich möchte auch nicht, daß er mir die Absolution verweigert. Und ich will die Menschen in meiner Umgebung nicht beunruhigen oder belästigen. |420|Vor allem deshalb ist es wichtig, daß ein Sterbender seinen Todeskampf würdig ausficht.

Was das Himmelreich anbelangt, so sind wir im Palazzo Sforza ringsum gut behütet: hinter uns steht ein Kapuzinerkloster, vor uns, auf der Insel gegenüber, ein Franziskanerkloster. Nachdem ich beiden die erwarteten großzügigen Spenden zukommen ließ, haben sie mir versichert, sie würden für meine Heilung oder – falls diese nicht gelänge – für mein Seelenheil beten. Wie könnte ich an der Kraft ihrer Gebete zweifeln?

Der jüdische Arzt hat mir als erster die Wahrheit über meinen Zustand gesagt, eine Wahrheit, die ich seit langem kenne, die ich aber mit Erfolg verdrängt habe. Er war auch der erste, der ehrlich zu wünschen schien, daß ich überlebe; um so enttäuschter war er, daß ich die Amputation ablehne.

Einer solchen Operation habe ich auf der Schiffsbrücke mehr als einmal beigewohnt: es ist eine furchtbare Metzelei, die nur wenige Patienten überleben, und in welchem Zustand! Menschliche Wracks, die ihr ganzes Leben lang unter dem Verlust ihres Beins leiden. An Krücken schleppen sie sich dahin! Soll ich Vittoria den Anblick meines Verfalls zumuten?

Heute morgen habe ich ihr gesagt, daß ich sterben werde. Bisher hatten wir stillschweigend so getan, als hätte es mit meinem Zustand nichts Ernstes auf sich. Wir bemühten uns beide nach Kräften, diesen Mythos aufrechtzuerhalten. Ihr gelang das besser als mir, vielleicht weil sie fester daran glaubte.

Als ich ihr nun die Wahrheit sagte, wurde sie bleich. Sie schwieg, und Tränen flossen über ihre Wangen. Da ich auf dem Bett lag, streckte sie sich neben mir aus und nahm meine Hand in die ihre. So ruhten wir Seite an Seite, wie zwei liegende Figuren auf einem Sarkophag. Im selben Augenblick, da ich dies dachte, sagte sie:

»Wir sehen aus wie zwei liegende Figuren auf einem Sarkophag.«

»Das habe ich auch gerade gedacht.«

»Ich wünschte, es wäre tatsächlich so und ich könnte mit dir von hinnen gehen.«

»Selbst dann wären wir getrennt«, sagte ich. »Wie sollten wir uns ohne Augen sehen? Ohne Hände berühren? Ohne Lippen küssen?«

»Wenigstens unsere Seelen wären vereint‹, erwiderte sie.

|421|Ich schwieg, denn ich wollte den Glauben nicht erschüttern, in dem sie Trost fand. Dann fragte ich:

»Was ist deine schönste Erinnerung, Vittoria, seit du in mein Leben getreten bist?«

»An die Zeit davor habe ich keine guten Erinnerungen«, sagte sie ernst. »Und mit dir ist alles so schön gewesen, daß mir die Wahl schwerfällt.«

Sie schwieg einen Moment, dann drückte sie meine Hand und sagte:

»Vielleicht die Villa Sorghini. Und doch hatte ich schreckliche Gewissensbisse, weil ich zur Ehebrecherin geworden war und weil ich nicht beichten konnte: beim ersten Wort wäre ich eingesperrt worden. Ich weinte jeden Abend. Aber am nächsten Tag, wenn ich an unser Wiedersehen dachte, fiel all dies von mir ab, und ich fühlte mich glücklich und leicht. Es kam mir so vor, als schwebte ich über den Wolken …«

»Auch ich denke oft an die Villa Sorghini. An das weiße Zelt auf der Terrasse! Mitten in Rom und doch der Welt so entrückt! Durch die weißen Vorhänge sah man die Geranien und durch das Sonnendach über uns die Schatten der Mauersegler. Ich habe noch im Ohr, wie sich die spitzen Schreie der Vögel mit unseren Seufzern vermischten.«

Da Vittoria schwieg, drehte ich den Kopf zu ihr und sah sie wieder in Tränen. Ich drückte ihre Hand noch kräftiger und sagte mit veränderter Stimme:

»Vittoria, ich möchte, daß Ihr Euch in Padua niederlaßt, wenn das hier zu Ende ist. Ich habe den Palazzo Cavalli für Euch gemietet.«

»Aber warum Padua?« fragte sie und sah mich mit ihren tränenfeuchten blauen Augen an.

»Der Podestà von Padua ist mein Freund. Er wird Euch beschützen.«

»Droht mir denn Gefahr?«

»Ja. Von den Medicis.«

»Aus welchem Grund?« fragte sie verwundert.

»Was sonst als das Geld kann die Medicis zum Handeln bewegen?«

»Welches Geld? Worin habe ich ihnen denn unrecht getan?«

»Heute nachmittag kommen zwei Rechtsgelehrte aus Padua, um mein Testament aufzusetzen. Darin werde ich meinem |422|Sohn Virginio all meine Güter und Besitzungen vermachen und Euch, Vittoria, eine beträchtliche Summe Geldes, damit Ihr angemessen leben könnt.«

»Wenn mich die Medicis ob dieses Vermächtnisses hassen, dann solltet Ihr es mir nicht aussetzen, Paolo.«

»Vittoria, könnte ich die Herzogin von Bracciano in Armut zurücklassen?« erwiderte ich. »Euer Anteil, wie groß er auch sein mag, beträgt nur ein Zehntel dessen, was ich Virginio hinterlasse. Er wird nicht benachteiligt, was immer die Medicis in ihrer sprichwörtlichen Habgier glauben mögen.«

»Ach, Paolo, vererbt mir nichts!« rief sie. »Ich besitze doch das Kreuz, das mir der Papst geschenkt hat. Ich werde es weiterverkaufen, werde nach Rom in den Palazzo Rusticucci zurückkehren und mich dort mit meiner Mutter und Giulietta unter den Schutz meines Onkels stellen.«

»Liebste, Ihr würdet Papst Sixtus schwer beleidigen, wenn Ihr sein Kreuz verkauftet. Und im übrigen wäre es sehr unklug von Euch, in Abhängigkeit von ihm zu leben. Er liebt Euch, gewiß, doch er regelt seine häuslichen Angelegenheiten ganz so, wie er den Staat regiert – mit eiserner Hand. Habt Ihr in Santa Maria nicht genug unter seiner Tyrannei gelitten? Mein Engel, solch eine Zukunft wünsche ich Euch nicht! Ich möchte, daß Ihr nach Padua geht und mein Testament durch den Podestà in Kraft setzen laßt. Habt Ihr dann meine Erbschaft angetreten, so könnt Ihr frei, unabhängig und geachtet leben. In Rom, unter der Zuchtrute des Papstes, würdet Ihr nie etwas anderes sein als die Witwe von Francesco Peretti, in Padua dagegen seid Ihr die Witwe des Herzogs von Bracciano.«

»Ach, Paolo, verwendet nicht dieses Wort ›Witwe‹, mir graust davor! Und ich bitte Euch, macht Euch nicht Sorgen um mich! Ich verspreche Euch, alles zu tun, was Ihr wollt. Ohne Euch wird das Leben von geringer Bedeutung für mich sein.«

Auf meine dringende Botschaft hin trafen am Nachmittag die Professoren Panizoli und Menochio aus Padua ein. Ich schloß mich mit den beiden Herren – dazu Marcello und der Majordomus – ein und diktierte ihnen meinen letzten Willen, damit sie ihn in die gesetzlich vorgeschriebene Form brächten. Ich vermachte meinem Sohn Virginio all meine Güter und Besitzungen in Bracciano und Montegiordano und meiner Gattin Vittoria, Herzogin von Bracciano, die Summe von einhunderttausend |423|Piastern sowie alle Möbel, Wandbehänge und Teppiche, die ich in den Palazzo Sforza mitgenommen hatte, und schließlich den Schmuck, den ich ihr geschenkt hatte.

Nachdem das Testament aufgesetzt war, unterschrieben es die beiden Professoren, Marcello und der Majordomus als Zeugen. Es wurde außerdem auf meinen Wunsch in der gleichen Schrift wie das erste Exemplar kopiert und von denselben Personen unterzeichnet. Die beiden Professoren sollten ein Exemplar dem Podestà von Padua übergeben. Das zweite händigte ich Marcello aus; bei ihm, Vittorias getreuem Bruder, wußte ich es in Sicherheit.

Als die Juristen mit meinem Dank und einem Salär, das weit über ihre Erwartungen hinausging, abgereist waren, fühlte ich mich erschöpft, denn die Angelegenheit hatte mich viel Kraft gekostet. Dennoch nahm ich mich zusammen und unterhielt mich noch ein paar Minuten mit Marcello.

»Du wirst auf Vittoria gut aufpassen müssen, carissimo«, sagte ich, »vor allem in den ersten Minuten nach meinem Tod. Sie hat den Wunsch geäußert, mir zu folgen.«

»Das habe ich gehört.«

»Du hast an der Tür gelauscht?«

»Ich lausche immer an der Tür, wenn es um Vittoria geht. Wachsamkeit heißt, gut informiert zu sein. Und Ihr, Durchlaucht, glaubt Ihr, mit diesem Testament Vittoria ausreichend zu schützen?«

»Ich sorge für ihre Zukunft.«

»Ihr könntet auf andere Art besser für sie sorgen. Zum Beispiel, indem Ihr Vittoria da mano a mano1 Eure Schmucksammlung übergebt.«

»Die habe ich nicht mehr. Als ich Rom verließ, habe ich sie verpfändet, um meine Schulden bezahlen zu können.«

»Wem, Durchlaucht?«

»Giuseppe Giacobbe.«

»Wer ist Giuseppe Giacobbe?«

»Der Goldschmied; du hast ihn hier zusammen mit dem Arzt gesehen, der die Amputation empfahl.«

»Und dieser Mann ist so reich?«

»Nicht er, aber das Getto.«

|424|»Deshalb dieses unglückselige Testament.«

»Warum ›unglückselig‹?«

»Weil es eine geladene Pistole ist, die Ihr den Medicis in die Hand legt.«

»Es ist eine geladene Pistole, aber ich gebe sie Vittoria in die Hand.«

»Sie wird sich ihrer nicht bedienen können. Sie ist zu gut, zu großzügig. Die Medicis werden als erste schießen.«

»Das werden sie nicht machen! Padua ist eine venezianische Stadt!«

»Ihr habt recht, Durchlaucht, sie werden es nicht machen – sie werden es machen lassen.«

»Von Lodovico?«

»Von wem sonst? Die Medicis werden nichts sagen oder schreiben. Sie werden diesen Schurken nicht einmal empfangen. Sie werden lediglich die Drahtzieher im Hintergrund sein.«

»Gut, dann komm ihnen zuvor! Töte ihn!«

»Daran habe ich schon gedacht, aber das ist nicht so einfach. Er ist Anführer einer Bande! Er ist nie allein, ist immer von seinen Banditen umgeben. Ach, Durchlaucht, wie seid Ihr nur auf die Idee gekommen, Eure Schulden zu bezahlen!«

»Ein Orsini zahlt stets seine Schulden zurück.«

»Nicht, wenn er Lodovico heißt. Durchlaucht, ich weiß nicht, ob Ihr gut daran getan habt, für Vittoria ein Haus in Padua zu mieten. In Rom, unter der Obhut ihres Onkels, wäre sie sicherer. Alle Welt fürchtet seinen spitzen Schnabel und seine scharfen Krallen.«

»In Padua steht sie unter dem Schutz des Podestà.«

»Sie wird dort nicht so sicher sein wie in Rom. Die Venezianer sind Kaufleute wie die Medicis, stets bereit zu Vergleich und gütlicher Einigung …«

»Du säst Zweifel in mein Herz, Marcello. Andererseits, in Rom wäre sie der strengen Vormundschaft von Sixtus V. unterworfen. Was soll ich alles bedenken? Wie soll ich entscheiden? Und wie die Zukunft vorhersehen, wenn mir nur noch so wenig Zeit bleibt?«

 

 

|425|Marcello Accoramboni:

 

Als der jüdische Arzt Ende Mai von hier abreiste, war der Fürst davon überzeugt, daß er nur noch zwei bis drei Wochen leben würde. Es vergingen jedoch vier Monate, ohne daß sich sein Zustand veränderte, will heißen: ohne Besserung, aber auch ohne spürbare Verschlechterung. Der Fürst hatte einen großen Vorrat an Energie, und obgleich er zuzeiten schwer litt, wirkte er, als sei er einer Belagerung durchaus gewachsen und denke nicht daran, sich dem Feind zu ergeben.

Obwohl er fast täglich auf sein nahes Ende anspielte, tat er dies seltsamerweise in versöhnlichem Ton: er nahm dem Tod den Stachel, indem er über ihn sprach. Aus diesem Grund und weil er nicht glauben sollte, ich nähme das ständige Reden über sein nahes Ende ernst, kam ich nicht mehr auf das Thema zu sprechen, über das wir am Tag der Testamentserrichtung unterschiedlicher Meinung gewesen waren.

Ich war mir übrigens selbst nicht mehr sicher. Nach reiflicher Erwägung des Für und Wider schien mir nun die von mir gepriesene römische Lösung sogar nachteiliger als ein Aufenthalt in Padua, gegen den ich mich so entschieden ausgesprochen hatte. Denn auch Rom barg große Risiken, sowohl für Vittoria wie für mich selbst. Für sie: schlimmstenfalls das Kloster, um den Ehebruch zu büßen. Für mich: das Hochgericht wegen der Ermordung Recanatis. Papst Gregor XIII. hatte mich zwar begnadigt, aber es ging das Gerücht, Sixtus überprüfe die »Begnadigungen« seines Vorgängers und bringe tagtäglich Leute an den Galgen, die sich ihrer Verbrechen kaum mehr erinnerten.

Da sich der Gesundheitszustand des Fürsten nicht veränderte, verlief der Sommer besser, als wir erwartet hatten, zumal wir drei warme, sonnige Monate ohne Regen und fast ohne Nebel hatten.

Neben dem kleinen Hafen des Palazzo Sforza hatte der Fürst einen Badestrand anlegen lassen. Viele Wagenladungen Sand waren angeschüttet worden, halb an Land, halb im Wasser. Die Badestelle war von drei Seiten durch einen Bretterzaun abgeschirmt, um neugierige Blicke fernzuhalten. Der Fürst liebte es, sich zu diesem Strand tragen zu lassen, wenn Vittoria, nur mit ihrem goldenen Vlies bekleidet, dort badete. Sie schwamm |426|gut und ganz allein, denn Caterina hielt kaltes Wasser für ungesund und weigerte sich, auch nur die Fußspitze ins Wasser zu tauchen. Ich tummelte mich morgens im See, weil ich glaubte, das Glück des Fürsten zu schmälern, wenn ich mich am Nachmittag zu Vittoria gesellte. Ich leistete ihm aber am Ufer Gesellschaft. Er würfelte mit mir, schaute aber die meiste Zeit auf den See, wo Vittorias schöner weißer Körper mit der langen Schleppe ihres Haares in den Fluten schimmerte. In unserem Rücken, hinter dem Kapuzinerkloster, sank die Sonne immer tiefer, vor uns konnten wir im Nordosten bei sehr klarem Wetter den ewigen Schnee auf dem Monte Baldo sehen, der sich kaum von den weißen Wölkchen hoch oben am Himmel abhob, die so glücklich über ihre Freiheit zu sein schienen. Bei ihrem Anblick verstand ich zum ersten Mal, warum auch der schönste See so melancholisch wirkt: das Wasser ist in ihm gefangen.

An jedem Morgen machten wir in einer der beiden Galeassen eine Spazierfahrt über den See. Obwohl der Fürst liegen mußte und deshalb einen Steuermann hatte, bestimmte er gern selbst den Kurs wie zu den Zeiten, da er auf der Adria Jagd nach Berber-Piraten machte. Auf diese Art verschaffte er sich die Illusion, etwas zu tun. Ich weiß nicht, ob Vittoria diese Kreuzfahrten ebenso liebte wie er, jedenfalls war sie glücklich, daß er dabei auflebte und abgelenkt wurde. Seitdem er nicht mehr laufen konnte, umgab sie ihn mit Zärtlichkeit und mütterlicher Fürsorge, doch war sie stets bedacht, es ihn möglichst wenig merken zu lassen.

Man muß zugeben, daß die Frauen ein seltenes Talent besitzen, einen Mann zu umschlingen, sei es, um ihn zu ersticken, sei es, um ihn zu verhätscheln. Sie haben kleine Haftwurzeln wie der Efeu, damit sie sich an ihm festhalten können. Seitdem ich im Palazzo Sforza bin, läßt Margherita Sorghini mich jeden Tag wissen, wie sehr ich ihr fehle. Auch ich bedaure freilich sehr ihr Fernsein – trotz der angenehmen Stunden mit Caterina.

Ich liebe Margheritas reife Reize. Es gibt in meinen Augen nichts Herrlicheres als eine Schönheit, die verblüht. Für Margherita ist die Liebe zu einer Kunst geworden, zu einer Religion. Die verzehrende Sehnsucht zu gefallen macht sie überaus anziehend. Als ich ihr schrieb, daß ich sie vermißte, ist sie gekommen und hat in Salò ein kleines Haus am Seeufer gemietet. |427|Wenn sich Vittoria und Paolo nach dem Mittagsmahl zur Siesta in ihr Zimmer zurückgezogen haben, lasse ich mein Pferd satteln, reite im Galopp nach Salò und verbringe eine Stunde mit Margherita.

Einmal habe ich sie gefragt:

»Was machst du eigentlich, wenn ich nicht bei dir bin, Liebste?«

»Ich warte auf dich.«

»Glaubst du, ich verdiene so viel Liebe? Schließlich bin ich, wie der Papst, als er noch Kardinal Montalto war, sehr richtig von mir sagte, ein verdächtiges Individuum: ich bin verlogen, egoistisch, faul und hartherzig und beute dich unbarmherzig aus.«

»Du bist nicht hartherzig, und ich liebe dich so, wie du bist.«

»Ich habe dir verboten zu sagen: ich liebe dich.«

»Na gut, dann eben: ich liebe dich nicht«, sagte sie mit ihrem hinreißenden, langsamen Lächeln.

In solchen Momenten kann ich geradezu spüren, wie sich die kleinen Haftwurzeln überall auf meiner Haut festsaugen. Am Anfang hat mich das beunruhigt. Doch jetzt finde ich es gefahrlos. Für mich ist die Liebe eine aus dem Begehren und dem Vergnügen erwachsende Illusion. Der Mann, der das einzige Säugetier ist, das sich zu jeder Tages- und Jahreszeit paaren kann, empfindet dabei eine gewisse Zuneigung für das Weibchen. Eine Zuneigung, die das Weibchen natürlich erwidert, weil es in den meisten Fällen von ihm verteidigt und ernährt wird. Weiter hat es nichts auf sich mit der Liebe.

Aber wenn ich so etwas zu Margherita sage, empört sie sich trotz ihrer Angst, mir zu mißfallen.

»Vielleicht trifft das auf deine Beziehung zu mir zu, aber ganz gewiß nicht auf meine Beziehung zu dir. Ich lie…«

Gerade noch rechtzeitig bricht sie ab und rettet sich mit der von mir so bewunderten Gewandtheit der Frauen auf sicheres Terrain.

»Du zum Beispiel betest Vittoria an.«

Ich zucke mit den Achseln.

»Das ist etwas ganz anderes: Vittoria, das bin ich.«

Dann gebe ich ihr zum Abschied einen flüchtigen Kuß auf den Mund, doch sie besteht darauf, mich bis zum Stall zu begleiten, wo meine Stute auf mich wartet. Ich springe in den |428|Sattel, und sie sendet mir mit den Augen noch einen letzten Kuß nach, wenn sie mir von der Schwelle aus hinterherschaut.

Ich werde froh sein, sie morgen wiederzusehen, und bin froh, sie jetzt zu verlassen. Solch eine Liebe ist ein wenig schwer zu ertragen. Während ich zum Palazzo Sforza zurückreite, sage ich mir einmal mehr, daß die beste Art, mit einer Frau glücklich zu sein, darin besteht, nicht mit ihr zusammenzuleben.

Mit Caterina unter einem Dach zu wohnen ist schon schwierig für mich. Sie hat natürlich herausbekommen, daß Margherita in Salò ist, und macht mir Szenen, gegen die ich völlig machtlos bin. Wenn ich sie schelte, mokiert sie sich. Wenn ich sie züchtige, bemerkt sie nur, il mancino habe sie öfter und härter geschlagen. Sie liebt es, geprügelt zu werden, in Tränen auszubrechen, zu bereuen, sich mir zu Füßen zu werfen, mich mit wogender Brust anzuflehen, sie »zu vergewaltigen und zu töten«. Wie soll man eine Frau im Zaum halten und beherrschen, die alles in Wollust verwandelt, sogar die eigene Bestrafung?

Obwohl Vittoria so große Angst hat, den geliebten Mann zu verlieren, interessiert sie sich noch für andere.

»Warum liebst du niemanden, Marcello?« fragt sie mich.

Und da ich schweige, fährt sie fort: »Warum tust du nichts? Ein Mann muß doch ein Lebensziel haben!«

Auch hierauf antworte ich nicht, doch ich denke: ›Ein Lebensziel? Die Liebe vielleicht? Lachhaft! Gold? Gold macht jeden zum Sklaven, der ihm untertan ist! Ruhm? Ein eitler Wahn! Ach, Vittoria, um nichts in der Welt würde ich es zu dir sagen, doch wer wird in zehn Jahren noch wissen, daß der Fürst in der Schlacht von Lepanto so kühn gekämpft hat? Und wer wird sich in hundert Jahren überhaupt noch an die Schlacht von Lepanto erinnern?‹

Im November verschlimmerte sich alles. Nebel, dichter als je zuvor, breitete sich wieder über den See, wurde aber sogleich durch einen scharfen Ostwind, der hier vinezza genannt wird, auseinandergetrieben. Er brachte Kälte, Regen und Sturm mit sich. Über den eben noch unbewegten, ruhigen See rollten in Sekundenschnelle schaumgekrönte Wellen, die den Bretterzaun um den kleinen Badestrand zerstörten und den Sand mit Schlamm bedeckten. Wir mußten die im Hafen vertäuten Galeassen |429|doppelt sichern, die kleineren Rettungsboote in die Wassergräben bringen und dort Wellenbrecher anlegen, damit die Wogen nicht so heftig gegen die Mauern branden konnten. Mit Baden und Kreuzfahrten war es vorbei. Bald konnten wir uns nicht einmal mehr auf der Terrasse aufhalten, so sehr war man dort dem Spritzwasser ausgesetzt. Obwohl der Hafen nach Osten zu durch einen starken Deich geschützt war, trieb die vinezza die Gischt über dieses Hindernis hinweg bis zu uns. Anfangs hielten wir uns unter den drei Arkaden auf, die die Terrasse abstützen, denn der Fürst wollte das Schauspiel der tobenden Naturgewalten genießen. Aber als es auch nach Tagen noch nicht endete, wurde er seiner müde, zumal er dabei wehmütig der Zeit gedachte, da er noch selbst an Bord seiner Galeasse gegen die jähen Windböen auf dem Adriatischen Meer ankämpfte.

Die Sonne war hinter dichten schwarzen und grauen Wolken verschwunden. Wenn der Sturm sich legte, wurde er von schrägen Regenböen abgelöst. Ringsum war nun alles trist und feucht. Fäulnis allüberall. Das Wasser des Sees, im Sommer so klar, war jetzt trübe und hier und da von gelblichen Schlieren durchzogen. Sein Geruch wurde noch fader, beinahe ekelerregend. Die vinezza fegte von morgens bis abends um das Haus und ließ nachts die ständig geschlossenen Fenster klappern und klirren.

Sowie wir uns ins Haus zurückziehen und Feuer machen mußten, verfiel der Fürst zusehends, da er nun seiner Kreuzfahrten beraubt war und die Freude entbehrte, Vittoria beim Baden zuzuschauen. Seltsamerweise bewahrte er sich seinen Appetit. Er aß und trank wie immer: viel und schnell. Auch während der Siesta war er unverändert aktiv – behauptete jedenfalls Caterina. Doch seine Stimmung hatte sich gewandelt. Er kapselte sich ab, sprach wenig und wirkte oftmals matt und schläfrig. Manchmal trübte sich sein Blick und belebte sich erst wieder, wenn er ihn auf Vittoria richtete.

Nie zuvor hatte er sie so ausdauernd und mit so großer Aufmerksamkeit angesehen. Ihre Schönheit schien für ihn die letzte Bindung an das Leben geworden zu sein. Trotz seiner Schwäche und Abhängigkeit war er nicht selbstsüchtig; er bestand darauf, daß sie ihren täglichen Ausritt ohne ihn wiederaufnahm, denn er fand, das täte ihr gut.

Auf Bitten Vittorias leistete ich während ihres Ausritts dem |430|Fürsten Gesellschaft, zumindest bis das Opium seine Schmerzen linderte und er, den Kopf zur Seite geneigt, einschlief.

Am 12. November, wenn ich mich recht entsinne, fuhr er mit einem lauten Schrei aus dem Schlaf:

»Aziza! Aziza!«

Dann erblickte er mich an seinem Bett, das Bewußtsein kehrte ihm zurück, und mit der heiseren Stimme eines Mannes, der aus einem langen Schweigen auftaucht, fragte er mich:

»Marcello, entsinnst du dich an Aziza?«

»Eure kleine maurische Sklavin, die immer ein Stilett am Gürtel trug? Ich habe sie nie gesehen, doch ich kenne ihre Geschichte.«

»Hast du von ihrem Ende gehört?«

»Nein, Durchlaucht.«

»In der Nacht, da ich Vittoria aus der Engelsburg herausholte und nach Montegiordano brachte, hat sich Aziza ihr Stilett ins Herz gestoßen.«

»Aus Eifersucht?«

»Nein. In einem an mich adressierten Brief erklärte sie, sie scheide nicht aus Haß oder Enttäuschung aus dem Leben, sondern weil sie zu nichts mehr nütze sei. – Wir alle sollten so handeln: gehen, wenn wir zu nichts mehr nütze sind.«

Ich teilte diese Meinung nur allzusehr, doch ich hütete mich, es auszusprechen. Daß der Fürst schon an Selbstmord gedacht hatte, war offensichtlich. Wozu sonst sollte die geladene Pistole auf seinem Nachttisch dienen? Zweifellos hatte er nur deshalb noch nicht von ihr Gebrauch gemacht, weil er genau wußte, welcher Verdacht dann auf Vittoria fallen würde.

Die Augen halb geschlossen, hub er mit leiser Stimme wieder an:

»Ich habe von Aziza geträumt. Eines Nachts befand ich mich allein und gänzlich verloren in einem Wald, aus dem ich nicht mehr herausfand. Mit meinem kranken Bein schleppte ich mich dahin. Ich war sehr durstig und hatte große Angst. Plötzlich tut sich zwischen den Bäumen ein Weg auf, und eine offene Karosse mit vier Pferden fährt auf mich zu. Aziza sitzt darin, allein, in ihrem schönsten Kleid und in all ihrem Schmuck, wie am Tage ihres Todes.

›Komm! Steig ein!‹ sagt sie zu mir. ›Ich bring dich weg!‹

Sie hilft mir auf den Sitz neben ihr, denn wegen meines |431|Beins schaffe ich es nicht allein. Ich spüre ihre Hand auf meinem Arm – sie ist sehr kräftig. Finger wie aus Stahl pressen sich in mein Fleisch. Ist das wirklich die kleine Aziza, die früher in meinen Armen dahinschmolz? frage ich mich.

Doch die Karosse entführt uns mit unvorstellbarer Geschwindigkeit. Vor uns öffnet sich zwischen den Bäumen der Weg, und hinter uns schließt sich der Wald gleich wieder, so daß Umkehr unmöglich ist. Der Mond versteckt sich manchmal hinter den Bäumen, und Licht und Dunkelheit wechseln auf Azizas Gesicht. Sie hat sich mir zugewandt und lächelt. So zärtlich mir ihr Lächeln erscheint, wenn Schatten auf ihrem Gesicht liegt, so bedrohlich wirkt es auf mich, sobald ihr Kopf wieder ins Licht taucht. Indes, das dumpfe Stampfen der Hufe auf dem Waldboden und das Gebimmel der Glocken am Hals der Pferde beruhigen mich.

›Wohin bringst du mich, Aziza?‹

›Sieh den Kutscher an, dann weißt du es.‹

Doch da ist kein Kutscher, und ich höre kein Hufgetrappel und keine Glöckchen mehr. Die Kutsche fährt noch genauso schnell wie bisher. Ich kann nichts sehen. Dichter Nebel hüllt uns ein, und ich errate nur am Plätschern vor uns, daß wir nun über den See gleiten. Nicht das kleinste Lüftchen bläht die Segel, nicht das geringste Rudergeräusch ist zu hören. Ich bin allein auf der Galeasse mit Aziza, die geheimnisvoll lächelt, und wieder frage ich:

›Wohin bringst du mich, Aziza?‹

›Sieh den Steuermann an, dann weißt du es.‹

Ich drehe mich um, aber da ist kein Steuermann. Das Steuerruder pendelt ungehindert hin und her. Ich bemühe mich verzweifelt aufzustehen, um es festzuhalten, doch ich kann mich nicht erheben. Da erwache ich … Gib mir zu trinken, Marcello.«

Er trinkt. Er ist bleich. Nach seiner langen Traumerzählung ist er sichtlich erschöpft. Doch in diesem Moment kehrt Vittoria von ihrem Ritt zurück – strahlend schön, das Haar zerzaust, lebhaften Blicks, mit rosigen Wangen –, und er ermannt sich, lächelt ihr sogar zu und wechselt einige Worte mit ihr. Aber dann bricht er ab:

»Wollt Ihr Euch auf Euer Zimmer zurückziehen und Euch für das Abendessen schönmachen, Liebste? Ich will indessen |432|ein wenig schlafen. Wenn Ihr fertig seid, zögert nicht, mich zu wecken und mir zu zeigen, wie schön Ihr seid.«

Er bringt noch die Kraft auf, ihr zuzulächeln, aber kaum ist sie aus dem Zimmer, verliert er das Bewußtsein. Ich rufe den Majordomus, und zu zweit gelingt es uns, ihn mit einigen Tropfen Weingeist aus seiner Ohnmacht zu erwecken. Als er wieder zu sich gekommen ist, lasse ich ihn in den ersten Stock tragen und auf sein Bett legen. Immerhin hat er noch so viel Kraft, uns zu verbieten, ihn auszukleiden. Der Grund ist klar: er will Vittoria nicht beunruhigen.

Da Regen und Wind aufgehört haben, trete ich durch die Fenstertür, die ich hinter mir zumache, auf die Terrasse hinaus. Ich atme in tiefen Zügen. Es ist wieder neblig, aber die Luft ist lau und ruhig. Normalerweise schätze ich die Gesellschaft des Fürsten sehr, doch auf die Dauer belastet es mich, daß der Tod als Dritter ständig zwischen uns steht. Ich habe immer geglaubt, mein Leben würde kurz sein; ich hänge übrigens auch nicht sehr daran. Aber ich möchte in der mir verbleibenden Zeit frei sein von diesem Gewicht, das jetzt dauernd auf meinem Herzen lastet.

Eine gute halbe Stunde bleibe ich auf der Terrasse. Ich versuche, mich an ein Sonett von Petrarca zu erinnern, das mir Vittoria in unserer Jugend unbedingt beibringen wollte. Es gelingt mir, Bruchstücke des Sonetts aus meinem Gedächtnis hervorzukramen und nach und nach wieder zusammenzusetzen. Beinahe habe ich es geschafft, es fehlt nur noch ein Vers, der mir entfallen ist. Zufrieden mit dem schon Erreichten, grüble ich angestrengt weiter, in der festen Überzeugung, daß die noch fehlenden Worte die schönsten sind.

Kein Hauch, kein Laut. Auch kein Ruderschlag auf dem See, der im Schein der untergehenden Sonne liegt. Hinter mir plötzlich ein gellender Schrei. Ich stürze ins Zimmer. Vittoria, in schönstem Aufputz, hat sich über den Fürsten geworfen und schreit wie eine Wahnsinnige. Ein Blick genügt: er ist tot.

Obwohl mir jede Berührung ein Horror ist, lege ich Vittoria die Hand auf die Schulter. Sie stößt mich heftig zurück. Plötzlich verstummen ihre herzzerreißenden Schreie. Sie richtet sich auf, ihre Augen sind trocken. Sie greift nach der Pistole auf dem Nachttisch und hält sie an ihre Schläfe. Blitzschnell packe ich ihr Handgelenk und reiße den Lauf nach oben. Der Schuß |433|geht los: etwas Stuck von der Zimmerdecke fällt auf die Brust des Fürsten und beschmutzt sein Wams aus schwarzem Samt. Vittoria steht da und starrt mit leeren Augen den weißen Fleck auf dem schwarzen Samt an. Ich entwinde ihr die Pistole. Nach einer Weile lehnt sie ihre Stirn gegen meine Schulter, umarmt mich und beginnt zu weinen. Bei dem Gedanken, was geschehen wäre, wenn ich nicht dagewesen wäre oder eine Sekunde später eingegriffen hätte, befällt mich ein heftiges Zittern. Was wäre ich ohne Vittoria? Ein lebender Toter oder ein toter Lebender?

 

 

Giordano Baldoni,

Majordomus des Fürsten Orsini:

 

Am Tag nach dem Tode meines Herrn sagte mir die Herzogin, sie wäre glücklich, wenn ich keine anderen Pläne hätte, sondern in ihren Diensten bliebe. Ich willigte sofort ein, ohne ihr zu gestehen, daß ich mich eigentlich nach Genua – dort bin ich geboren – hatte zurückziehen wollen, um mich meinen Kindern zu widmen. Aber weil sie so jung, so hilflos, von so vielen Gefahren bedroht war und keine Verwandten hatte, die ihr beistanden, außer ihrem Bruder – ein junger, sehr kühner Mann, gewiß, aber doch ziemlich unerfahren –, beschloß ich, wenigstens so lange bei ihr in Stellung zu bleiben, bis sie unangefochten das ihr vom Fürsten vermachte Erbe würde antreten können.

Da die Herzogin befürchtete, nicht genug Geld für den Unterhalt der Soldaten ihres verstorbenen Mannes zu haben, wollte sie die meisten entlassen. Doch ich bewog sie, wenigstens zwei Dutzend der getreuesten, kampferprobtesten und edelsten zu behalten, denn damit stand und fiel die Würde des Hauses. Ich begann umgehend, unsere Abreise nach Padua zum Palazzo Cavalli vorzubereiten.

Ehrlich gesagt, im Palazzo Sforza mit seiner Zugbrücke, seinen Wassergräben und Türmen wären wir sicherer gewesen als in einem Stadtpalais ohne solche Verteidigungsanlagen. Ob dieser Mangel durch die Nähe zum Podestà und seinen Beamten aufgewogen wurde, war schwer zu sagen. Als ich den Palazzo Cavalli besichtigte, stellte ich fest, daß es ein leichtes sein würde, die Fenster im Erdgeschoß aufzubrechen, und ich beschloß, sie sofort vergittern zu lassen. Doch es ging auf Weihnachten zu, und |434|die guten Leute von Padua begannen bereits, das Fest vorzubereiten, so daß die Sache zunächst aufgeschoben werden mußte.

Wir waren kaum acht Tage in der Stadt, als die Herzogin ein Schreiben von Lodovico Orsini, Graf von Oppedo, erhielt: er wolle sich mit ihr treffen. Signor Marcello war der Auffassung, wir sollten ihn weder vorlassen noch überhaupt einer Antwort würdigen. Nach meiner Meinung befragt, sagte ich, man solle ihm höflich mitteilen, daß uns eine solche Begegnung wenig sinnvoll erscheine. Doch die Herzogin war anderer Ansicht. In seinem Schreiben hatte sich der Graf als Beauftragter des Fürsten Virginio vorgestellt, und sie wollte den neuen Herzog von Bracciano nicht dadurch beleidigen, daß sie sich weigerte, seinen Beauftragten zu empfangen.

Lodovico Orsini, dieser Bandit und Erztaugenichts, verstand sich auf effektvolle Auftritte, das muß man ihm lassen. Seine Figur, seine Gesichtszüge, sein Gang – alles verriet eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fürsten, die jedoch durch seinen verschlagenen Blick sofort wieder zunichte gemacht wurde. Er trug ein elegantes Wams mit gelb abgefütterten Schlitzen und hatte nach Art der römischen Galane einen Zipfel seines Mantels über den linken Arm geschlagen. Hoch erhobenen Hauptes betrat er den großen Saal im Palazzo Cavalli und grüßte die Herzogin mit einer augenscheinlich sehr respektvollen Verneigung. Dann würdigte er ihren verstorbenen Mann in warmen Worten, die darauf abzielten, ihr Wohlwollen zu erringen, was ihm auch wirklich gelang, obwohl seine Worte pure Heuchelei waren, so sehr stand ihre scheinbare Herzlichkeit in krassem Widerspruch zu seinem kalten Blick.

Nachdem er eine halbe Stunde lang wie ein Kätzchen geschnurrt und seine Samtpfötchen gezeigt hatte, ließ er schließlich die Krallen sehen.

»Mein Cousin, der Herzog von Bracciano, hatte ein silbernes Tafelgeschirr in Verwahrung, das mir gehört«, sagte er. »Ich möchte es gern zurückhaben, Signora.«

Die Herzogin sah mich stirnrunzelnd an, und ich erwiderte:

»Es stimmt, Frau Herzogin. Aber dieses Service war das Pfand für einen Schuldschein des Herrn Grafen, den er beim Fürsten nie eingelöst hat.«

»Es liegt ja wohl auf der Hand, daß mit dem Tode des Fürsten diese Schuld hinfällig geworden ist«, antwortete der Graf.

|435|»Das liegt überhaupt nicht auf der Hand«, entgegnete Signor Marcello, der gerade das Zimmer betrat.

Und ohne den Grafen eines Blickes oder Grußes zu würdigen, fuhr er fort:

»Das Gegenteil trifft zu. Da diese Schuld nicht beglichen wurde, sind jetzt die Erben des Fürsten die Gläubiger, also Fürst Virginio und Ihr, Vittoria.«

»Genau!« sagte Lodovico. »Ich bin von Fürst Virginio mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt worden; hier der Brief, der es bestätigt.«

Er händigte der Herzogin den Brief aus. Sie las ihn und übergab ihn ihrem Bruder, der ihn seinerseits – nachdem er ihn zur Kenntnis genommen hatte – an mich weiterreichte. Es handelte sich um ein recht allgemein gehaltenes Schreiben, das in keiner Weise präzisierte, wie weit die Befugnisse des Grafen tatsächlich gingen.

»Hier meine Entscheidung, Graf Lodovico«, brach die Herzogin das Schweigen. »Ich willige ein, Euch das Service herauszugeben, ohne daß Ihr die Schuld beglichen habt. Ich tue dies aus Höflichkeit und in Anbetracht Eurer verwandtschaftlichen Bande mit meinem verstorbenen Gatten.«

»Ihr schuldet dem Grafen nichts, Vittoria«, warf Signor Marcello in scharfem Ton ein.

Seine Worte hatten der Herzogin offensichtlich mißfallen, denn sie sagte in einem Ton, der keine Widerrede duldete:

»Mein Entschluß ist gefaßt.«

»Frau Herzogin«, sagte ich, »wenn Ihr dem Herrn Grafen das silberne Service aushändigt, solltet Ihr Euch eine Empfangsbestätigung geben lassen, damit Ihr gegenüber Fürst Virginio gedeckt seid: die Zahlungsverpflichtung des Herrn Grafen besteht gegenüber Euch und dem Fürsten gemeinschaftlich.«

»Eine Empfangsbestätigung!« schrie der Graf zornrot. »Ich bin Edelmann und kein Händler!«

»Aber diese Forderung ist nur recht und billig«, sprach die Herzogin ruhig. »Wenn Ihr sie nicht erfüllt, wird Euch das Service nicht ausgehändigt.«

»Man merkt deutlich, daß Ihr in einer anderen Welt aufgewachsen seid als ich, Signora«, stieß der Graf zwischen den Zähnen hervor. »Sonst hätte Euch mein Ehrenwort genügt.«

Darauf sagte Signor Marcello ganz ruhig: »Statt daß man |436|Euch für Eure unbedachte Großzügigkeit dankt, Vittoria, werdet Ihr noch geschmäht und beschimpft. Es bedarf nur eines Wortes von Euch, und ich stoße diesem Flegel meine Klinge zwei Zoll tief in den Leib.«

Erst jetzt bemerkte ich, daß Marcello daran gedacht hatte, sich Degen und Dolch umzugürten, ehe er zu uns stieß.

»Du wagst es also, mich zu beschimpfen, elender Schurke!« schrie der Graf. »Und du glaubst es ungestraft tun zu können, weil du sehr wohl weißt, daß du von viel zu geringer Herkunft bist, als daß ich die Klinge mit dir kreuzen würde!«

»Ihr habt recht, das weiß ich«, sagte Marcello verächtlich und zog mit unverschämter Betonung jedes Wort in die Länge. »Statt Euch selbst einer Gefahr auszusetzen, laßt Ihr die Leute lieber in ihrer Kutsche oder von gedungenen Mördern auf der Straße umbringen.«

Die »Kutsche« spielte auf die Ermordung Vitellis an, die »Straße« auf den Mord am ersten Gemahl der Herzogin. Der Graf verfärbte sich, und seinen gerade geäußerten Worten zum Trotz legte er die Hand auf den Griff seines Degens.

»Hier habe ich zu gebieten«, sagte die Herzogin mit lauter Stimme, »und ich befehle, daß dieser Streit sofort aufhört. Verhaltet Euch bitte ruhig, Marcello. Und Ihr, Herr Graf – wenn Ihr wieder ausfällig werdet, lasse ich Euch von meinen Leuten zur Tür geleiten.«

»Signora«, sagte der Graf und machte mit kaum verhehltem Hohn eine übertrieben tiefe Verbeugung, »ich unterwerfe mich voll und ganz Euerm Willen und unterzeichne die Empfangsbestätigung, wenn Ihr darauf beharrt.«

Diese freche Verbeugung und der vorgetäuschte Respekt erzürnten die Herzogin, und sie sagte kalt:

»Bitte, Baldoni, laßt das Service des Herrn Grafen holen.«

Dann nickte sie dem Eindringling kurz zu und wandte sich zum Gehen.

»Signora, bitte beraubt mich nicht so schnell des Vergnügens Eurer charmanten Gesellschaft!« sagte der Graf in einem Ton, dessen Höflichkeit nur mühsam den Spott verbarg. »Als Beauftragter des Fürsten Virginio habe ich noch weitere Forderungen vorzutragen.«

»Also gut, Graf, ich höre«, sagte die Herzogin.

Aber sie zog sich, gefolgt von Signor Marcello, an das andere |437|Ende des Saals zurück und ließ den Grafen allein am Kamin stehen, in dem ein kräftiges Feuer prasselte, denn an diesem Dezembernachmittag war es feucht und kalt. Der Graf tat, als wärme er sich am Feuer die Hände, und drehte ihr den Rücken zu. Er war nur von seinem Sekretär begleitet, seine Eskorte hatte er auf meine Bitte hin am Tor des Palastes zurückgelassen.

Ich verließ den Saal, um den Befehl der Herzogin auszuführen, und traf, als ich außer Sichtweite des Grafen war, einige Vorsichtsmaßnahmen. Da die Eskorte des Grafen bewaffnet war, wie ich bemerkt hatte, veranlaßte ich, daß unsere Soldaten sich ebenfalls bewaffneten und in einem Raum neben dem Saal postierten, in dem die Unterredung stattfand. Anschließend ging ich mit vier kräftigen Dienern in den Saal zurück und wies sie an, einen langen Tisch von der Wand in die Mitte des Raumes zu rücken, um dort das Service aufzubauen – in Wahrheit jedoch, um die eventuellen Gegner wenigstens durch dieses Hindernis voneinander zu trennen. Dann ließ ich von den Dienern das berühmte Geschirr bringen und auf den Tisch stellen. Und soll ich es gestehen? – ich bedauerte heftig, daß die Herzogin dieses Pfand so schnell aus der Hand gab und einem Banditen überließ, der ihr nicht einmal Dank dafür wußte; denn das Service bestand aus fein ziselierten, sehr schönen Einzelteilen und war ein Vermögen wert.

»So ist es recht, Signora«, sagte der Graf.

Ich fand dieses allzu magere Dankeschön für ein so großes Geschenk höchst befremdlich.

»Hier ist die Empfangsbestätigung, Herr Graf«, sagte ich und reichte sie ihm über den Tisch. »Ihr braucht nur noch zu unterschreiben.«

Er nahm sie achtlos entgegen und fuhr fort, als hätte er den Gänsekiel übersehen, den ich ihm ebenfalls hingehalten hatte:

»Fürst Virginio wünscht, daß ich ein Verzeichnis der Schmuckstücke anlege, die sich zum Zeitpunkt seines Todes im Besitz des Fürsten Orsini befanden, Signora.«

»Laßt sie holen, Baldoni«, befahl die Herzogin.

Trotz ihres Gewichts schaffte ich die Kassette eigenhändig herbei und übergab den Schlüssel der Herzogin. Nicht ohne innere Bewegung öffnete sie die Kassette, nahm die von ihrem verstorbenen Gatten stammenden Kleinodien Stück für Stück heraus und reihte sie auf der Marmorplatte des Tisches auf.

|438|»Wie! Ist das alles?« rief der Graf und runzelte die Stirn. »Das ist aber sehr wenig! Ich habe mit eigenen Augen die Kleinodiensammlung meines Cousins gesehen, die neben denen von Papst Gregor XIII. und Kardinal di Medici eine der schönsten in ganz Rom war.«

»Vor seiner Abreise aus Rom«, sagte ich, »hat der Fürst die Sammlung verpfändet, um seine Schulden zu bezahlen. Was Ihr hier seht, sind nur seine persönlichen Schmuckstücke.«

»Der Fürst hat seine Kleinodiensammlung versetzt?« bemerkte der Graf bissig. »Das ist eine Neuigkeit, die ich heute zum ersten Mal höre! Und wer kann das bezeugen?«

»Frau Herzogin«, sagte ich, ohne den Grafen anzusehen, »die Sammlung des Fürsten ist in Anwesenheit des Notars Frasconi aus Rom und zweier Zeugen verpfändet worden. Darüber wurde eine Urkunde ausgefertigt und unterzeichnet, von der der Notar ein Duplikat einbehalten hat.«

»Sie haben es gehört, Signore«, sagte die Herzogin.

»Ich habe es gehört, in der Tat«, erwiderte der Graf. »Doch was ich gehört habe, steht in krassem Gegensatz zu dem, was ich sehe. Zum Beispiel tragt Ihr ein wunderschönes Brustkreuz, das ebenfalls auf diesen Tisch hier gehört, denn Ihr habt es vom Fürsten.«

»Dieses Kreuz ist mein Eigentum«, rief die Herzogin unwillig. »Es ist ein Geschenk meines Onkels, Papst Sixtus’ V.«

»Und der Beweis?«

»Mein Wort! Falls Euch das nicht genügt, der Brief, der dem Geschenk beigefügt war.«

»Außerdem gehören alle Schmuckstücke, die der Fürst zu seinen Lebzeiten seiner Gemahlin geschenkt hat, zu ihrem Erbteil. So hat er es schwarz auf weiß in seinem Testament verfügt«, sagte Marcello.

»Es gibt also ein Testament!« rief der Graf, und diesmal war seine Betroffenheit nicht gespielt.

Aber sie dauerte nur einen Moment, dann trug er wieder die Maske frecher Höflichkeit zur Schau, die die Herzogin von Beginn der Unterredung an so aufbrachte.

»Als Bevollmächtigter des Fürsten Virginio fordere ich Euch auf, Signora, mir dieses Testament zu zeigen«, sagte er.

»Ich sehe dazu keine Veranlassung«, sagte Signor Marcello, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. »Dem Fürsten wird eine |439|Kopie zugesandt, sobald der Podestà das Testament für gültig erklärt hat.«

Aber auch in diesem Punkt war die Herzogin zu Recht oder zu Unrecht – ich glaube, zu Unrecht – anderer Meinung als ihr Bruder. Vermutlich wollte sie die Achtung vor dem Sohn ihres verstorbenen Gatten unter Beweis stellen. Worin sie zu viele Skrupel hatte, wie ich fand, zumal Fürst Virginio deren so wenige besaß, sonst hätte er seine Interessen nicht diesem traurigen Helden anvertraut, der da vor uns bramarbasierte. Auch ich hätte diesem Frechling mit Freuden meine Klinge zwei Zoll tief ins Gedärm gestoßen, wenn meine gute Herrin es mir nur erlaubt hätte.

»Holt das Testament, Baldoni«, bat sie.

Ich verließ den Saal, aber nicht durch die rechte Tür, sondern durch die linke, um den Soldaten im Nebenzimmer zu befehlen, sie sollten mit gezogenem Degen bei uns eindringen, sobald ich in die Hände klatschen würde. Die Adligen unter ihnen waren außer mit dem Degen noch mit kleinen Radschloßarkebusen bewaffnet. Ihre Augen funkelten zornig, als ich ihnen sagte, der Graf sei unverschämt und drohe der Herzogin. Alle diese Untergebenen waren ihr sehr zugetan, und im Notfall konnte sie fest auf sie zählen. Sie bewunderten sie ob ihrer Schönheit und liebten sie ob ihrer Herzensgüte. Ich teilte ihre Gefühle, allerdings mit einem kleinen Unterschied: mit allem gebührenden Respekt wage ich zu behaupten, daß die Herzogin zwei kleine Fehler hatte – sie war naiv und zugleich starrköpfig. Naiv, weil sie mitunter recht unkluge Entscheidungen traf, und starrköpfig, weil sie allen Einwänden zum Trotz daran festhielt.

Dafür lieferte sie mir ein schlagendes Beispiel, als ich mit dem Testament in den Saal zurückkehrte. Ich übergab es ihr und flüsterte ihr beschwörend zu: »Frau Herzogin, lest es selbst vor und hütet Euch, es diesem Manne auszuhändigen.«

Signor Marcello, der diese Empfehlung gehört hatte, pflichtete ihr sogleich bei. Doch vergebens.

»Da der Graf das Testament zu lesen wünscht«, sagte die Herzogin, »gebt es ihm, Baldoni. Wir haben nichts zu verbergen!«

Obwohl voller böser Vorahnungen, konnte ich nicht umhin, dem Grafen über den Tisch hinweg das kostbare Dokument zu |440|reichen. Er nahm es, setzte sich – was schlechterdings unverschämt war, denn die Herzogin hatte ihn nicht dazu aufgefordert – und fing an zu lesen, wobei seine Nase mit jeder Seite länger wurde. Daß dieser Bandit sich die Interessen des Fürsten Virginio so angelegen sein ließ, hätte mich überrascht, wäre mir nicht sehr bald klargeworden, daß er dabei in erster Linie seinen eigenen Vorteil im Auge hatte – sei es, daß er den jungen Fürsten zu irgendwelchen Versprechungen bewogen hatte, sei es, daß er dachte, er könne hier ganz nebenbei seine natürliche Begabung für Diebstahl und Raub ins Spiel bringen. Einen ersten Erfolg hatte er ja schon errungen, als er die Großzügigkeit der Herzogin mißbrauchte, um sich – noch dazu ohne Empfangsbestätigung! – von ihr das Silbergeschirr herausgeben zu lassen, das er im Jahr zuvor für fünfzigtausend Piaster an uns verpfändet hatte.

»Hier ist ein juristischer Terminus, den ich nicht verstehe«, sagte er und stand auf. »Bitte, Signora, laßt mich einen meiner Leute holen, der Kanzlist ist und ihn mir erklären kann.«

Ohne ihre Erlaubnis abzuwarten, schickte er seinen Sekretär aus dem Saal, nachdem er ihm zuvor etwas ins Ohr geflüstert hatte. Ein oder zwei Minuten später erhob sich großes Getöse im Haus. Ein Diener kam hereingestürzt und rief atemlos:

»Frau Herzogin, die Eskorte des Grafen will gewaltsam ins Haus eindringen!«

»Das ist ja erstaunlich!« sagte der Graf mit spöttischer Ruhe. »Ob sie mich am Ende in Gefahr wähnen?«

»Zumindest könntet Ihr jetzt in Gefahr geraten!« rief Marcello und zog seinen Degen.

Da klatschte ich in die Hände und zog ebenfalls blank. Unsere Soldaten drangen in den Saal ein, den bloßen Degen in der Hand, und stellten sich hinter dem Tisch mit dem Service und dem Schmuck in geschlossener Reihe auf. Die mit den Arkebusen postierten sich zwischen den Schmalseiten des Tisches und der Wand. Alles vollzog sich sehr rasch und in völligem Schweigen. Im Gegensatz dazu erschienen wenige Augenblicke später die Leute des Grafen mit viel Tumult, doch erstarrten sie beim Anblick unserer Soldaten, denn sie begriffen, daß sie es hier mit Männern zu tun hatten, die ihr Handwerk verstanden: mit bloßer Großmäuligkeit wäre hier nichts getan.

Der Graf richtete sich zu voller Größe auf und schrie laut:

|441|»Meine Überzeugung steht fest, Signora: das Testament ist falsch! Falsch wie Eure Ehe, die Gregor XIII. annulliert hat! Falsch wie der Titel einer Herzogin, den Ihr Euch anmaßt!«

Damit drehte er sich blitzschnell herum, warf das Testament in die Flammen, kehrte sich uns wieder zu und zückte Dolch und Degen.

»Signori«, wandte er sich an seine Leute, »Geschirr und Schmuck gehören mir. Schafft alles weg!«

»Frau Herzogin, dieser Mann da hat sich vergessen«, sagte einer von unseren Arkebusieren. »Erlaubt Ihr, ihm ein wenig Blei ins Gehirn zu pusten?«

»Nein, Signore!« kam ihre Antwort. »Und Ihr, Graf, laßt das Silbergeschirr wegtragen, da ich einmal schwach genug war, es Euch zu schenken. Den Schmuck aber rührt Ihr nicht an!«

»Hört nicht auf sie, Signori«, lachte der Graf. »Die Frau ist wahnsinnig. Sie schenkt mir mein Service! Sie schenkt mir etwas, das mir gehört! Sie redet irre! Achtet nicht darauf!«

Im gleichen Augenblick streckten zwei Banditen die Hand nach dem Schmuck aus, zogen sie aber sofort blutüberströmt wieder zurück. Mit ihren scharfen Degen bildeten die Unsrigen ein Schutzgatter, hinter dem der Schmuck sicher war vor dem Zugriff der Banditen, die sich daraufhin des Geschirrs bemächtigten und den Rückzug antraten.

»Graf, ich schlage Euch einen Handel vor«, rief jetzt Marcello. »Ihr duelliert Euch mit mir, und wenn Ihr mich tötet, soll auch der Schmuck Euer sein.«

»Ihr werdet Euch nicht schlagen, Marcello«, sagte die Herzogin und hielt seinen Arm fest. »Hier befehle ich allein. Graf, mein Majordomus hat einen Diener zum Bargello geschickt. Ich rate Euch, unseren Palast zu verlassen, bevor er eintrifft.«

»Sofern Ihr nicht das gleiche Schicksal erleiden wollt wie Euer Bruder Raimondo«, fügte einer unserer Edelleute hinzu.

»Für diese Worte sollt Ihr mir büßen!« rief der Graf und sah den Mann drohend an.

»Auf der Stelle, wenn es Euch beliebt«, entgegnete dieser.

Doch der Graf war schon an der Tür, umringt von seinen Banditen und offenbar ein weiteres Mal wenig begierig, sich in einem fairen Kampf mit einem ebenbürtigen Edelmann zu messen.

Sowie der letzte Bandit den Saal verlassen hatte, sprang ich |442|über den Tisch, stürzte zum Kamin und versuchte, mit der Feuerzange das Testament aus den Flammen zu retten. Das gelang mir auch, doch es war zur reichlichen Hälfte verbrannt, vor allem der Teil mit den Unterschriften. Die Herzogin trat heran und sah bestürzt auf die verkohlten Blätter; tröstend bemerkte ich, daß kein Grund zur Verzweiflung bestehe, da ja ein Duplikat existiere. Von den Juristen, die das Testament aufgesetzt hatten, war das Duplikat auf Befehl des Fürsten beim Podestà von Padua hinterlegt worden.

Nachdem der Graf verschwunden war, zogen sich die Herzogin und Signor Marcello in den kleinen Salon zurück und baten mich, ihnen etwas Wein bringen zu lassen. Ihre Unterhaltung war sehr erregt. Ich hörte, wie Signor Marcello der Herzogin heftige Vorwürfe wegen ihres Verhaltens in dieser Angelegenheit machte. Erstens hätte sie diesen Banditen niemals vorlassen dürfen. Und zweitens sei es Wahnsinn gewesen, ihm das Pfand zu schenken, das wir in Händen hielten. Das werde ihn nur zu noch unverschämteren Forderungen ermuntern. »Bei allem, was Ihr über Lodovico wißt, war es falsch, ihn so schonungsvoll zu behandeln. Und auch auf den Fürsten Virginio hättet Ihr keine Rücksicht zu nehmen brauchen, wenn er solch einen Unterhändler schickt, um Euch mehr zu entreißen, als ihm gebührt.« Obwohl, glaube ich, die Herzogin einsah, daß diese Kritik berechtigt war, nahm sie sie nur widerstrebend an und gebot ihrem Bruder zu schweigen.

Gleichwohl beherzigte sie die Ratschläge, die er ihr dann erteilte.

Als der Bargello von Padua mit seinen Sbirren erschien (eine Stunde nachdem ich ihn hatte rufen lassen – eine höchst umsichtige Verzögerung, denn er verspürte keine Lust, dem Grafen und seiner Bande zu begegnen …), brachte die Herzogin nicht nur ihre Klagen gegen Lodovico vor, sondern vertraute ihm auch einen Brief an den Podestà an, in dem sie alle Beschwerden noch einmal schriftlich aufführte. An den Papst schrieb sie einen Brief gleichen Inhalts, den sie umgehend absandte.

Der Podestà sah sich, nachdem er die Klage der Herzogin gelesen hatte, vor einem Dilemma: das Problem schien ihn zu überfordern. Er wußte keine Lösung und beschränkte sich darauf, die Angelegenheit nach Venedig weiterzumelden, das seinerseits einer Entscheidung auswich.

|443|Die Serenissima wußte natürlich, woran sie mit Lodovico war, hatte doch der Papst vom ersten Tag seiner Herrschaft an dessen Auslieferung gefordert. Aber hinter Lodovico stand Fürst Virginio und hinter diesem standen die Medicis und das Großherzogtum Toskana. Die Serenissima wollte vermeiden, sich mit dieser Macht anzulegen, zumal der Fall keines ihrer Lebensinteressen berührte.

Statt Lodovico vorzuladen und ihn mit seiner Bande ohne Verzug aus Padua auszuweisen, begnügte sich die Serenissima damit, ihm durch den Podestà taktvolle Vorhaltungen machen zu lassen, die er höflich anhörte, über die er sich jedoch insgeheim nur mokierte. Der Doge beging den gleichen Fehler wie die Herzogin: er schonte den Banditen. Allerdings konnte man in seinem Fall diesen Fehler nicht mit Naivität entschuldigen.

Zehn Tage später ging in Venedig ein Schreiben des Papstes ein, in dem dieser sich in heftigen Worten darüber beklagte, wie seine Nichte von Lodovico behandelt worden sei. Daraufhin ließen Doge und Senat sich einen Kompromiß einfallen: sie willfahrten dem Papst, indem sie das Testament für gültig erklärten, das der Herzog von Bracciano zugunsten der Herzogin gemacht hatte und von dem sich ein Exemplar in der Hand des Podestà befand. Aber um den Medicis nicht zu mißfallen, wagten sie es immer noch nicht, Lodovico des Landes zu verweisen.

Über alles, was danach geschah, kann ich nicht berichten, denn ich reiste zur Beerdigung meines Vaters nach Rom und war erst nach Weihnachten wieder in Padua.

 

 

Caterina Acquaviva:

 

Ich allein bin schuld an allem, was passiert ist, und sowie ich kann, werde ich ins Kloster gehen, um dort den Rest meiner Tage mit Fasten und Beten zu verbringen, damit Gott mir vergibt. Doch das Fasten und Beten wird nichts daran ändern: tief im Innern werde ich die Reue spüren, die mich Tag und Nacht quält, und ich weiß mit Sicherheit, daß diese Qual erst mit meinem Leben enden wird. Wenn ich an die Frau denke, die ich einmal war – so munter und fröhlich, so versessen auf Männer –, und daß ich jetzt nur noch weine und klage oder, wenn ich nicht |444|weine, von meinen Erinnerungen verfolgt werde, dann sage ich mir: nicht einmal im Feuer der Hölle – das ich tausendfach verdient habe – hätte ich mehr zu leiden.

Aber zunächst muß ich in der Zeit zurückgehen und erklären, wie alles gekommen ist. Man möge mir bitte verzeihen, wenn ich meinen Bericht unterbreche, doch ich kann meinen Tränen nicht wehren, sobald ich an früher denke und wie glücklich ich war – glücklicher, als ich törichtes Mädchen glaubte.

Die Heimtücke des Grafen Lodovico, der das Testament verbrannte und versuchte, den Schmuck des Fürsten mit Waffengewalt an sich zu reißen, hatte die Signora tief getroffen und auch Marcello sehr beunruhigt. Von da an wurde der Palazzo Cavalli ständig bewacht, und wenn die Signora in die Stadt wollte, wurde sie von einem großen, gut bewaffneten Gefolge begleitet, obwohl ihr das gar nicht recht war. Immer wieder kam es deswegen zu Auseinandersetzungen mit ihrem Bruder. Die Signora war zu gut und zu naiv, als daß sie geglaubt hätte, der Bandit würde sie ums Leben bringen, sobald sich eine Gelegenheit böte.

»Mich töten?« sagte sie. »Damit Fürst Virginio um hunderttausend Piaster reicher wird?«

»Und um Eures Schmuckes willen, den Ihr besser nicht tragen solltet!«

»Ich trage ihn nicht aus Eitelkeit.«

So etwas kann nur eine große Dame sagen! Mir würde das niemand abnehmen. Zum Beispiel würde ich vor Stolz platzen, wenn ich das Kreuz von ihrem Onkel, dem Papst, um den Hals trüge, so daß die Füße Christi beinahe meinen Busen berühren. Ich habe es übrigens vor dem Frisiertisch der Signora ausprobiert, als ich einmal allein war.

»Ich trage meinen Schmuck nicht aus Eitelkeit«, wiederholte die Signora, »sondern weil jedes Stück mit einer Erinnerung verbunden ist.«

Das stimmt, aber es sind nicht immer gute Erinnerungen. Das erwähnte Kreuz beispielsweise könnte ihr das Exil in der Einöde von Santa Maria ins Gedächtnis rufen.

Die Auseinandersetzungen wurden noch heftiger, als der Podestà Mitte Dezember das Testament des Fürsten in Kraft setzte.

|445|»Wir haben gewonnen!« rief die Signora. »Lodovico kann nichts mehr gegen mich ausrichten.«

»Juristisch gesehen nicht«, sagte Marcello. »Aber ihm bleiben immer noch Dolch und Arkebuse. Euer Tod würde das Testament gegenstandslos machen.«

»Ach, Marcello, Ihr dramatisiert!« sagte sie. »Mich töten? Mitten in Padua, zwei Schritte vom Podestà entfernt, der mir so wohlgesinnt ist?«

»Er ist Euch wohlgesinnt, aber nicht so sehr, daß er Lodovico aus der Stadt verbannt hätte.«

»Angenommen, der Graf würde mich ermorden«, sagte sie lachend (so absurd erschien ihr die Idee), »dann würde ihn das offensichtliche Interesse, das er an meinem Tod hat, sogleich als den Schuldigen entlarven.«

»Gewiß! Aber es müßte trotzdem bewiesen werden. Und selbst wenn er verurteilt würde, könnte seine Hinrichtung Euch nicht wieder zum Leben erwecken.«

Acht Tage später erhielt die Signora zu ihrer großen Überraschung einen Brief von Lodovico, der sie zu sprechen wünschte. In meiner Gegenwart las sie Marcello das Schreiben laut vor.

Fürst Virginio beschwerte sich, daß sein Vater bei der Abreise aus Rom die besten Pferde der Besitzung mitgenommen hatte. Er forderte die Signora auf, ihm wenigstens einige davon zurückzugeben. Dem Testament zufolge stünden ihr zwar alle Mobilien zu, aber Pferde seien ja wohl nicht unbedingt als Mobilien anzusehen.

»Er nennt mich ›die Signora‹!« rief sie wütend. »Er billigt mir nicht einmal meinen Titel zu! Meine Ehe ist für ihn null und nichtig! Nun gut – er soll gar nichts bekommen! Nicht ein Pferd! Nicht einmal ein Maultier!«

»Es ist tatsächlich nicht sicher, Vittoria, daß Pferde als Mobilien anzusehen sind. Ihr wäret gut beraten, Lodovico wenigstens einige zu überlassen, damit er sie dem Fürsten Virginio zuführen kann.«

»Wie!« rief sie. »Ich höre wohl nicht recht! Das sagt Ihr? Ihr, der Ihr mir geraten habt, ihm das Silbergeschirr zu verweigern?«

»Das war etwas ganz anderes. Das Service gehörte unzweifelhaft Euch. Aber bei den Pferden ist die Sache nicht so eindeutig. Außerdem wäre es unklug, Lodovico mit leeren Händen |446|abziehen zu lassen. Denn dann verliert er vor Virginio sein Gesicht, und das würde er nicht ertragen.«

»Soll er sein Verrätergesicht doch verlieren!« rief sie. »Ihr habt mir oft genug vorgeworfen, daß ich ihn zu glimpflich behandele. Ich beherzige nur Eure Lehren!«

Sie setzte sich wütend hin und schrieb ein Billett an den Grafen, in dem sie sich weigerte, die Pferde herauszugeben, und es auch ablehnte, ihn überhaupt zu empfangen. Marcello sah ihr beim Schreiben über die Schulter. »Unsere erste Begegnung war nicht von der Art, daß ich sie zu wiederholen wünschte«, las er laut mit.

»Vittoria, Ihr könnt ihm unmöglich einen so beleidigenden Brief schicken! Das wäre wie das rote Tuch für einen Stier: er wird wahnsinnig vor Wut. Laßt mich an Eurer Statt in gemäßigterem Ton schreiben.«

»Kommt nicht in Frage! Er hat sich an mich gewandt! Und ich werde ihm antworten.«

Ich gab Marcello in allem recht, doch ich hütete mich, das auszusprechen. Die Signora war schon immer ein kleiner Hitzkopf gewesen, und das hatte sich verschlimmert, seit sie verwitwet war. Sie fing Feuer wie Zunder, und wenn der einmal brennt, ist er nur schwer wieder zu löschen. Der Tod ihres Gatten hatte sie in einer schrecklichen Leere zurückgelassen. Der Fürst fehlte ihr als Ehemann, als Gefährte, als Mensch. Der arme Signor Peretti war herzensgut gewesen, aber mehr auch nicht. Im Zusammenleben mit dem Fürsten dagegen war die Signora richtig aufgeblüht. Seit den Zeiten der Villa Sorghini habe ich sie beobachtet: es war nicht mehr dieselbe Frau! Sie hatte nun etwas Strahlendes an sich. Wenn ich meinen Ohren trauen darf, war der Fürst bis zu seinem letzten Tag im Palazzo Sforza ein Liebhaber gewesen, wie es nur wenige gibt – ich habe manchmal davon geträumt! Auf die Dauer hätte die Signora wohl auch die Dornen an der Rose gespürt; und mit Dornen meine ich den Umstand, daß sie keine Kinder haben konnte. (Und wie waren wir beide – die Signora und ich – so erbarmungslos über den armen Peretti hergezogen!)

Aber warum von einer Zukunft sprechen, die es nicht mehr geben wird? Heute ist es leider so: die Signora verblüht, sie findet sich nicht mehr so schön, sie hat mit dem Leben abgeschlossen. Ihre Laune ist entsprechend. Und meine ebenfalls, |447|seit Marcello mich nicht mehr will. Daher sind die Signora und ich sehr reizbar. Weil sie die Herrin ist, hageln die Schimpfwörter – »dumm«, »frech«, »töricht« – nur so auf mich herab, ab und zu setzt es auch Ohrfeigen. Und es dauert immer länger, bis es zur Versöhnung mit liebevollen Umarmungen und Küßchen kommt. Am schlimmsten aber ist, daß das immer mit Tränen endet, die bei ihr jetzt so locker sitzen, die Ärmste! Aber an wessen Busen soll sie sich ausweinen, wenn nicht an meinem? An der Brust einer Tarquinia oder Giulietta kann man sich nicht gehenlassen. Die beiden haben ihr zum Tode des Fürsten geschrieben und angefragt, ob sie zu ihr nach Padua kommen sollten, aber die Signora hat es rundweg abgelehnt. Und ich gebe ihr recht.

Das mit Marcello ist meine Schuld. Als ich im Palazzo Sforza merkte, daß er täglich während der Siesta zur Sorghini nach Salò ritt, machte ich ihm heftige Szenen. Niemand wird es mir glauben, doch es ist die reine Wahrheit: ich war so außer mir, daß ich den Elenden niedergestochen hätte, wenn ich einen Dolch zur Hand gehabt hätte. In Ermangelung dessen rächte ich mich mit dem Mundwerk, mehr, als ihm lieb war.

»Welche Schande, Signore! Welche Schande! Diese alte Blutsaugerin! Ist Euch bis hierher gefolgt und klebt an Euch fest, um Euch Euer schönes rotes Blut auszusaugen! Und Ihr laßt sie gewähren! Ihr seid nicht sehr wählerisch, das muß ich schon sagen! Diese alte Vettel! Sie könnte Eure Mutter sein! Mit ihren Falten, ihren Krampfadern, ihren Hängebrüsten!«

»Sie ist wunderbar gebaut!« rief er. »Und hier der Lohn, du dumme Gans, für dein respektloses Geschnatter!«

Damit stürzte er sich auf mich, schlug meine Röcke hoch und gab mir kräftig was auf den Hintern. Ich stöhnte – allerdings nicht nur vor Schmerzen – und nestelte heimlich das Band auf, mit dem seine Hose am Wams befestigt war. Alles in allem klappte das gar nicht so schlecht: ich beschimpfte seine Alte, er schlug mich erst und nahm mich dann. Eine Gewohnheit, die durchaus ihre guten Seiten hatte. Aber auf die Dauer wurde er dessen überdrüssig. So sind die Männer! Man glaubt, sie mit einem kleinen Trick an sich zu fesseln, und plötzlich kappen sie die Seile, segeln davon und lassen uns auf dem trocknen sitzen.

Das mit Alfredo hat nur wegen dem Bruch mit Marcello |448|angefangen. Der Taugenichts ist mir in Padua auf der Straße nachgelaufen und hat mich angesprochen – mich, eine Kammerzofe aus vornehmem Hause! Hätte ich mich nicht so gedemütigt und verstoßen gefühlt, dann hätte ich ihn mit ein paar saftigen Maulschellen abblitzen lassen. Zumal er mit seinem groben Gesicht und seinen kleinen Augen wirklich nicht sehr anziehend wirkt. Das Beste an ihm ist seine Kraft. Man sieht es auf den ersten Blick – diese Schultern, dieser Nacken … ein richtiger Stier! Eben jener Typ Mann, den wir am Ende schön finden, weil er uns zu unserem Vergnügen verhilft.

Beim ersten Mal habe ich ihn trotzdem zurückgestoßen, ebenso als er mich das zweite Mal ansprach. Aber da er wohl gespürt hat, daß meine Ablehnung halbherzig war, ist er mir bis zur Kirche der Eremitani nachgegangen und hat sich hinter mir an einer Säule postiert. Weil ich in Padua war, hätte ich vielleicht zum heiligen Antonius beten sollen, mich meine verlorene Liebe wiederfinden zu lassen; aber ich habe lieber zur Heiligen Jungfrau gebetet, die ist selbst eine Frau und kann die Leiden eines Mädchens besser verstehen. Ich habe sie angefleht, Marcellos Herz aus Stein zu erweichen und ihn mir zurückzugeben.

In meinem Rücken spürte ich die ganze Zeit Alfredos Gegenwart und die Hitze, die er ausströmte. Nach meinem Gebet habe ich ihn angehört.

Er hat mir gesagt, wie er heißt und wer er ist. Obwohl er behauptete, bei einem hohen Herrn als Reitknecht zu dienen, sprach er ein sehr schlechtes Italienisch, das mit venezianischem Dialekt gemischt war. Anfangs fand ich ihn lächerlich, aber während er redete, packte er mein linkes Handgelenk und drückte es kräftig. Von diesem Moment an habe ich nicht mehr auf seine Fehler geachtet. Und später – ich kann nicht sagen, wo – habe ich ihn machen lassen, was er (und auch ich) wollte. So also hat sich die Sache mit Alfredo zugetragen. Ich bilde mir nichts darauf ein, und wenn ich noch einmal die Wahl hätte, würde ich mir lieber die Beine abhacken.

Währenddessen ging das Leben im Palazzo Cavalli weiter; die Soldaten bewachten die Signora im Haus und wenn sie ausging. Dafür sorgte der Majordomus Baldoni. Er war der rangälteste Offizier des Fürsten gewesen, alle respektierten ihn und gehorchten ihm aufs Wort.

Nach der Abfuhr, die dem Grafen Lodovico wegen der |449|Pferde erteilt worden war, machten wir uns auf Drohungen und Gewalttaten gefaßt, aber es passierte nichts. Lodovico hatte die Signora sogar mit einem gewissen Respekt gegrüßt, als er ihr in der Stadt begegnete. Selbst Marcello beruhigte sich allmählich. Unterdessen war der Majordomus nach Rom gereist, um seinen Vater zu beerdigen, und nach seiner Abreise ließ die Disziplin nicht nur bei unseren Leuten, sondern auch bei den Soldaten etwas nach. Zumal in Padua festliche Vorweihnachtsstimmung herrschte.

Die Erleichterung im Palazzo Cavalli war groß, als am Morgen des 24. Dezember der Bargello persönlich erschien, um uns mitzuteilen, Graf Lodovico habe Padua in der Frühe mit seiner Bande von Vogelfreien verlassen, um in Venedig an den großen Festlichkeiten teilzunehmen, für die Weihnachten den Vorwand liefert.

»Seid Ihr sicher, Signor Bargello?« fragte Marcello.

»Ja, Ihr könnt beruhigt sein, es ist kein fauler Trick. Ich habe sie verfolgen lassen: sie sind wirklich auf dem Weg nach Venedig. Außerdem habe ich für die Nacht die Wache am Stadttor verdoppelt, damit ich sofort benachrichtigt werde, falls sie zurückkommen. Wenigstens über die Feiertage könnt Ihr unbesorgt sein …«

Nachdem der Bargello gegangen war, verbreitete sich diese Nachricht unter unseren Soldaten, und der älteste von ihnen kam und fragte die Signora, ob unter diesen Bedingungen er und die anderen am Abend den Ball des Podestà besuchen dürften, zu dem sie vor einer Woche eingeladen worden waren. Ihre Freude war groß, als ihnen die Signora entgegen Marcellos Rat die Erlaubnis gab; denn seit sie in Padua waren, hatten sie ein recht strenges Leben führen müssen. Es wurde jedoch vereinbart, sie sollten beizeiten zurück sein, um die Signora zur Frühmesse zu eskortieren. Sie wollte nämlich nicht an der Mitternachtsmesse in der Kirche der Eremitani teilnehmen, wegen des Andrangs dort und weil die Leute vermutlich sehr laut sein würden: seit Einbruch der Dämmerung wurden die Flaschen entkorkt.

Trotz aller Bitten wollte Marcello nicht mit zum Ball des Podestà gehen, sondern an diesem Weihnachtsabend lieber der Signora Gesellschaft leisten. Zunächst war ich sehr froh über seinen Entschluß. Selbst wenn er mich keines Wortes würdigte, hätte ich wenigstens die Freude, ihn sehen zu können. Man |450|hatte Musiker kommen lassen, die auf ihren Instrumenten spielten und Weihnachtslieder sangen. Da Marcello und die Signora eigens neue Kleider angelegt hatten, obwohl sie den Abend nur zu Hause verbrachten, tat ich es ihnen nach. Und Marcello machte mir sogar ein kleines Kompliment über meinen Rock, von dem er offenbar nicht mehr wußte, daß er ihn vor einem Jahr an seiner Schwester gesehen hatte. Ich war hingerissen von seiner Freundlichkeit. Dumm, wie ich bin, sah ich mich im Geiste schon von neuem in seinen Armen, vielleicht sogar noch in derselben Nacht, wenn sich die Signora zum Schlafen in ihr Zimmer zurückgezogen haben würde … Meine Freude war jedoch von kurzer Dauer. Gegen elf Uhr brachte ein Bote ein Billett für Marcello.

»Es ist von Margherita«, sagte er. »Sie konnte nicht zum Ball des Podestà gehen. Sie ist leidend und mußte sich hinlegen, und sie bittet mich vorbeizukommen. Ich weiß nicht, ob ich es tun soll. In dieser Weihnachtsnacht ist mein Platz an Eurer Seite, Vittoria.«

»Doch, Marcello, geht nur hin«, sagte die Signora sofort. »Margherita wird sich gewiß recht verlassen fühlen in der fremden Stadt, noch dazu in diesem Festtrubel. Ich bin ohnehin etwas müde und werde nicht mehr lange aufbleiben.«

Der Elende ließ sich das nicht zweimal sagen! Er gürtete sich mit Degen und Dolch, steckte zwei Pistolen in den Gürtel, nahm zwei bewaffnete Diener als Begleitung mit und ging eilig davon. Er schien es gar nicht erwarten zu können, endlich an das Schmerzenslager zu treten, auf dem ihn die ach so kranke Margherita – diese Blutsaugerin! – geschminkt und aufgetakelt erwartete. Oh, ich hätte sie alle beide erdolcht, wenn mich ein Zauberer auf seinem Mantel sofort zu ihnen getragen hätte! Und das schlimmste war, ich mußte noch gute Miene machen, derweil ich die Signora auskleidete und ihre endlos langen Haare bürstete.

Danach ging ich in mein Zimmer, unterdrückte meine Tränen, die mich noch wütender machten, zog mich aus und streifte mein Nachtkleid über. Mir grauste vor meinem einsamen Bett, weshalb ich noch eine Weile auf und ab ging, die Hände zur Faust geballt, die Zähne zusammengebissen, halblaute Verwünschungen für die Elenden auf den Lippen, die ich in meiner Phantasie eng umschlungen vor mir sah.

|451|Gerade wollte ich die Vorhänge zuziehen, da flog ein Stein gegen die Scheibe, die aber nicht zerbrach. Sicher ein Betrunkener, der sich einen Spaß macht, dachte ich und öffnete das Fenster, um ihn zu schelten. Doch als ich mich hinauslehnte, erkannte ich im hellen Mondlicht Alfredo, der zu mir hochsah und sagte:

»Mach mir auf, Caterina, ich bring dir ein Weihnachtsgeschenk.«

»Dir aufmachen? Wie denn?« fragte ich. »Der Türhüter würde nicht aufmachen, selbst wenn ich ihn anflehte. Das ist strenger Befehl!«

»Aber im Erdgeschoß ist ein kleines Fenster ohne Gitter. Da könnte ich einsteigen, wenn du mir hilfst!«

»Nie im Leben! Was würde die Signora sagen?«

»Sie erfährt es doch nicht! Ich bleibe nur so lange, bis ich dir diesen hübschen Ring gegeben und dich in meine Arme genommen habe.«

»Einen Ring? Wie sieht er denn aus?« wollte ich wissen.

»Er ist aus Gold, mit einem Saphir und kleinen Diamanten. All mein Erspartes steckt darin.«

Der Ring und die freundlichen Worte ließen mich nicht kalt, ganz zu schweigen von den breiten Schultern und dem Stiernacken. Santa Madonna, welch schöne Rache! Ich würde einen anderen Mann in dem nämlichen Bett empfangen, wo bisher Marcello alleiniger Meister war!

So, wie ich war – im Nachtkleid –, stieg ich die Treppe hinunter in eine Spülkammer, die nie benutzt wurde, und öffnete das Fenster, was gar nicht einfach war. Ich mußte zunächst mit beiden Händen den schweren Holzladen ausheben, der das Fenster von innen sicherte. Dann schob ich, was mir sehr schwerfiel, die beiden verrosteten Riegel zurück.

Schließlich machte ich auf, und Alfredo kletterte im Nu aus der mondhellen Nacht in das dunkle Haus.

»Komm«, flüsterte ich, »hier können wir nicht bleiben.«

»Willst du denn dein Geschenk nicht sehen?« sagte er.

»Nein, Alfredo, das sehe ich mir in meinem Zimmer beim Schein der Kerze an.«

»Es glänzt so hell«, lachte er, »daß du keine Kerze brauchst!«

Er tat, als krame er mit der Linken in seiner Tasche, und streckte mich im gleichen Moment mit der Rechten durch einen |452|fürchterlichen Nackenschlag zu Boden. Als ich wieder zu mir kam, hatte ich einen Knebel im Mund; die Hände waren mir hinter dem Rücken mit einem Strick gefesselt, dessen Ende er in der Hand hielt. Ich spürte, wie er mich auf die Füße stellte.

»So, mein Püppchen, das wäre geschafft!« sagte er. »Der Türhüter ist erstochen, das Tor weit geöffnet, meine Freunde sind hier im Haus! Und jetzt beeil dich, du Hure! Ich will den Höhepunkt des Schauspiels im ersten Stock nicht versäumen.«

Er schlug mich mit der flachen Hand auf den Rücken und trieb mich vor sich her die Treppe hinauf, und wenn ich zu schnell lief, zerrte er mich an dem Strick zurück.

Auf den Stufen holten ihn zwei Soldaten ein, einer maskiert, der andere unter einer Kapuze verborgen, beide mit blutigen Dolchen in der Hand.

»Warum läßt du das kleine Luder am Leben?« fragte der Maskierte. »Die anderen haben wir alle erledigt. Du kennst doch den Befehl!«

»Das ist meine kleine Liebste!« sagte Alfredo lachend. »Sie hat mir aufgemacht, dafür darf sie ein bißchen länger leben. Ich heb sie mir zum Nachtisch auf.«

Mit wieherndem Gelächter stürmten die beiden an uns vorbei die Stufen hinauf. An ihrem Benehmen merkte man, daß sie sehr jung waren. Ich weiß nicht, warum sie den Dolch noch in der Hand hatten, denn ihren Worten zufolge hätten sie ihn doch nicht mehr gebraucht. Vielleicht wollten sie mit dem Blut, das von den Klingen tropfte, vor ihren Kameraden prahlen.

Ich taumelte weiter, immer noch wie benommen. Ich spürte keine Furcht. Das alles schien mich überhaupt nichts anzugehen.

Im Vorsaal stießen wir auf eine Gruppe von etwa dreißig Soldaten, die alle in das Zimmer der Signora drängten. Lästerlich fluchend und mich vor sich herstoßend, bahnte Alfredo sich einen Weg durch die Menge, die weniger von seinen Verwünschungen als von meinem Erscheinen beeindruckt war; einige fragten wieder: »Warum läßt du das Luder am Leben?«, andere grapschten brutal nach meiner Brust, und keiner beklagte das Schicksal, das mich erwartete. In ihren Augen war ich schon tot, und der Aufschub, der mir gewährt wurde, erstaunte sie. Sie stanken nach Wein, Schweiß und Leder. Ich konnte erst wieder richtig atmen, als mich Alfredo ganz nach |453|vorn stieß. Dort stand die Signora in ihrem himmelblauen Nachtgewand, von einigen Männern umringt; ihr langes Haar fiel ihr bis zu den Fersen herab. Vor ihr befand sich das Betpult, an dem sie vermutlich beim Nachtgebet überrascht worden war. Sie hielt sich sehr gerade und bewahrte trotz der spärlichen Bekleidung ihre würdevolle Haltung.

Ein hochgewachsener Edelmann, ebenfalls maskiert, stand ihr gegenüber.

»Ich bin untröstlich, Signora«, sagte er mit zischender Stimme, »daß ich Euch beim Beten gestört habe. Doch dank unserem Zutun werdet Ihr von Euerm Betpult geradewegs in den Himmel auffahren.«

Auch diese Verhöhnung brachte die Signora nicht aus der Fassung. Sie ließ ihre Blicke über die Soldaten wandern, die sie umringten. Einige waren auf das Bett gestiegen, um sich nichts entgehen zu lassen.

»Braucht Ihr so viele Männer, um eine wehrlose Frau zu töten?« sagte sie.

Der Edelmann, um eine Antwort verlegen und vielleicht sogar etwas beschämt, erwiderte nichts.

»Wer seid Ihr, Signore?« fuhr die Signora fort. »Worin habe ich Euch unrecht getan?«

»Mein Name sagt Euch nichts, Signora«, antwortete der Edelmann. »Doch da Ihr nicht mehr in der Lage sein werdet, ihn zu wiederholen, will ich ihn Euch nennen: ich bin Graf Paganello. Und Ihr habt nicht mir geschadet, sondern meinem Freund, dem Grafen Lodovico Orsini.«

»Ich habe dem Grafen nicht geschadet«, rief die Signora laut. »Ich habe meine legitimen Rechte gegen ihn verteidigt.«

»Wie dem auch sei – der Worte sind genug gewechselt, Signora«, sagte Paganello. »Jetzt müssen Taten folgen.« Mit einem Satz war er bei der Signora, packte den Kragen ihres Hemdes, das er mit einem kräftigen Ruck bis zum Gürtel zerriß. Beim Anblick ihrer Brüste ließen die Soldaten ein zufriedenes »Oh!« hören, wie im Theater. Als Paganello einen Schritt zurücktrat, um sein Werk besser betrachten zu können, raffte die Signora schnell die Fetzen des Nachtkleids über der Brust zusammen und hielt sie mit beiden Händen fest. Sie sah Paganello zornfunkelnd an und sagte mit fester Stimme, beinahe befehlend:

|454|»Tötet mich, wenn es denn sein muß, doch ich will nicht nackt sterben!«

Ihr Blick und ihr Ton blieben nicht ohne Eindruck auf Paganello, denn anstatt sie weiter zu entkleiden, was zweifellos seinen Wünschen und denen der Soldaten entsprochen hätte, zog er seinen Dolch, als wolle er die Sache nun schnell zu Ende bringen.

Beinahe flehentlich bat die Signora:

»Ich bitte Euch, laßt mich erst beichten.«

»Hier gibt es keinen anderen Beichtvater als mich«, sagte ein Franziskaner, der sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte.

»Pater!« rief die Signora und stürzte voller Hoffnung auf ihn zu.

Der Franziskaner trat in den Kreis und schlug die Kapuze zurück. Es war Graf Lodovico.

»Ihr?« rief die Gräfin entsetzt. »Wohlan, so macht ein Ende!« befahl sie. »Tötet mich, erspart mir Eure Gegenwart und Eure Worte!«

»Unter einer Bedingung kann ich Euer Leben schonen, Signora«, sagte Lodovico.

»Jede Bedingung, die von Euch kommt, kann nur infam sein«, erwiderte die Signora hoheitsvoll. »Ich will sie nicht hören.«

»Ich nenne sie trotzdem: Ihr könnt wählen zwischen dem Tod und mir.«

»Dann wähle ich den Tod.«

Lodovico wandte sich an die Soldaten: »Ihr habt es gehört, Kameraden. Die Signora entscheidet sich freiwillig für den Tod.«

Doch die Soldaten schwiegen. Ich glaube, sie begannen den Mut meiner Herrin zu bewundern. Auch Lodovico spürte wohl, daß das Wortgefecht für ihn keine günstige Wendung nahm. Er näherte sich der Signora und riß ihr Fetzen für Fetzen das Hemd vom Leibe. Sie leistete keinen Widerstand, sah ihn nur verachtungsvoll an. Als sie nackt war, raffte sie ihr langes Haar vor dem Körper zusammen.

Lodovico zog seinen Dolch.

»Hilf mir, Paganello«, sagte er heiser.

Paganello begriff, was von ihm erwartet wurde, und entwand |455|das lange Haar der Signora ihren Händen. Lodovico legte ihr seinen linken Arm um die Taille und preßte sie so fest an sich, daß sie sich nicht mehr rühren konnte. Dann stieß er ihr seinen Dolch kräftig, aber nur bis zur Hälfte unter der linken Brust in den Leib. Während er die Klinge in der Wunde bewegte, fragte er die Signora, ob er ihr »Lust bereite«. Sie hatte die Augen halb geschlossen und stöhnte. Als ihr Stöhnen schwächer wurde, jagte Lodovico ihr den Dolch bis zum Stichblatt in die Brust und schrie:

»Diesmal treffe ich Euch ins Herz, Signora!«

Sie drehte ihm den Kopf zu, öffnete weit die Augen und flüsterte im Sterben:

»Gesù, vi perdono!«1

 

 

Baldassare Tondini, Podestà von Padua:

 

Am 24. Dezember 1585, kurz vor Mitternacht, klopfte ein junges Mädchen in einem blutbefleckten Nachthemd an die Tür des Bargello und sagte, die Herzogin von Bracciano sowie all ihre Diener – mit Ausnahme von zweien, die Marcello Accoramboni, den Bruder der Herzogin, zu Margherita Sorghini geleitet hatten – seien ermordet worden.

Sie selbst heiße Caterina Acquaviva, sei achtundzwanzig Jahre alt und seit zehn Jahren bei der Herzogin in Stellung.

Da sie völlig außer sich war, nur schrie und weinte und ganz wirr redete und zudem den Grafen Lodovico, von dem wir wußten, daß er am selben Morgen mit seiner berüchtigten Bande nach Venedig aufgebrochen war, dieser Morde beschuldigte, glaubte der Bargello zunächst, sie sei geistesgestört. Ihr Hemd allerdings war tatsächlich blutbefleckt, und ihre Handgelenke waren von den Stricken zerschunden, mit denen man sie ihrer Aussage zufolge gefesselt hatte, so daß der Bargello beschloß, sich mit einem Dutzend seiner Sbirren an den Ort des Geschehens zu begeben.

Er fand alles so vor, wie Caterina Acquaviva es beschrieben hatte, und ließ mich unauffällig im Stadthaus benachrichtigen, wo ich jedes Jahr am Weihnachtsabend einen Ball gebe. Ich |456|eilte sofort hin und war entsetzt über dieses dreiste Massaker, welches – nur einen Büchsenschuß von meinem eigenen Haus entfernt! – an einer so hochgestellten Person, die Seine Heiligkeit Papst Sixtus V. als seine Nichte betrachtete, begangen worden war. Noch ehe ich darüber nach Venedig berichtete, befahl ich dem Bargello, die Untersuchung mit größter Eile und ohne Ansehen jedwedes Beteiligten voranzutreiben.

Im zweiten Stock des Palazzo Cavalli identifizierte der Bargello den Leichnam von Alfredo Colombani, Reitknecht im Dienste des Grafen Lodovico. Caterina Acquaviva gab zu Protokoll, er habe sie erst gezwungen, der Ermordung ihrer Herrin beizuwohnen, habe sie anschließend in ihr Zimmer im zweiten Stockwerk gezerrt, ihr die Hände losgebunden, sie nackt ausgezogen und sie vergewaltigen wollen. Dabei habe sie vorsichtig den Dolch, den er à l’italienne auf dem Rücken trug, aus der Scheide gezogen und ihm die Waffe mit aller Kraft unterhalb des linken Schulterblatts in den Rücken gestoßen. Er habe einen fürchterlichen Schrei von sich gegeben und sie zu erwürgen versucht, doch sie habe ihm ihre Finger in die Augen gekrallt und sich unter ihm aufgebäumt, so daß sie sich frei machen und ihn zu Boden werfen konnte; dann habe sie den Dolch aus der Wunde gezogen und ihn »wie eine Furie« mehrmals in seinen Körper gestoßen. Sie habe dies getan, um ihre Herrin zu rächen und weil Alfredo gedroht hatte, sie zu töten, sobald er seine Lust an ihr befriedigt hätte.

Alfredo war im Erdgeschoß durch das Fenster der Spülkammer eingestiegen, so der Bericht des Mädchens, hatte sie überrumpelt und gefesselt, den Türhüter niedergestochen und dann der übrigen Bande das Tor geöffnet.

Warum das besagte Fenster offenstand, wisse sie nicht, noch gelang es dem Bargello, diesen Punkt aufzuklären. Auf die Frage, warum die Banditen nicht auch sie getötet hätten, antwortete sie, Alfredo habe sie, als er sie sah, begehrt und zu seinen Kumpanen geäußert, er »spare sie sich zum Nachtisch auf«. Diese Erklärung schien uns plausibel, denn die Zeugin war ein sehr wohlgestaltes Mädchen, das, wenn auch recht gewöhnlich, in gewissen Kreisen für hübsch gelten mochte.

Eine systematische Durchsuchung des ganzen Palazzo ergab, daß die Banditen allen Schmuck sowohl des verstorbenen Fürsten Orsini wie der Herzogin geraubt hatten, dazu ein herrliches, |457|reich mit Edelsteinen besetztes goldenes Brustkreuz, das Papst Sixtus V. seiner Nichte geschenkt hatte.

Aus verschiedenen Indizien ging hervor, daß der Palazzo Cavalli von einer großen Bande heimgesucht worden war, weshalb wir vermuteten, Graf Lodovico und seine Helfershelfer seien im Verlauf der Nacht zurückgekehrt. Wir überprüften daraufhin alle Stadttore von Padua und stellten zu unserer Überraschung fest, daß zwar die Wache am Tor nach Venedig auf ihrem Posten war, die am Südtor dagegen nach dem Genuß von geschmuggeltem Wein in tiefem Schlaf lag. Als wir die Umgebung dieses Tores und vor allem die Straße nach Stra absuchten, fanden wir am Straßenrand die Abdrücke zahlreicher Hufe, was bewies, daß hier in der Nacht viele Pferde gestanden hatten.

Der Schlaf der Torwächter und die noch frischen Spuren sprachen für sich. Im Morgengrauen ließ der Bargello durch einen Kundschafter, den er eilig nach Stra schickte, ermitteln, daß Lodovico und seine Bande am Vorabend in einer renommierten Herberge in Stra gezecht hatten. Von Stra nach Padua sind es nur einige Meilen, eine Entfernung, die ein gutes Pferd in derselben Nacht zweimal zurücklegen kann.

Dem Bargello und auch mir war klar, daß zwar starke Verdachtsmomente gegen Lodovico sprachen, die Beweise sich aber auf eine einzige Zeugenaussage beschränkten, die er überdies mit Leichtigkeit anfechten könnte: »Wie hätte uns diese Verrückte in Padua sehen können, wo wir doch in Stra gezecht haben?«

Daher beschlossen wir, uns tot zu stellen und das Gerücht zu verbreiten, die Untersuchung sei ergebnislos verlaufen. Wir gingen davon aus, daß Graf Lodovico seine Spitzel in Padua hatte und in den Palazzo Contarini, den er für drei Monate gemietet hatte, zurückkehren würde, sobald er erführe, daß man ihn nicht verdächtigte. Aber dazu mußten wir uns der Verschwiegenheit von Caterina Acquaviva und Marcello Accoramboni versichern. Was erstere anbetrifft, so war der verwitwete Bargello bereit, sie in seinen Dienst zu nehmen und entsprechend zu instruieren. Und letzterer war auf Grund seines Zustands kaum in der Lage, etwas auszuplaudern. Als er den Leichnam seiner Schwester entdeckte, hatte er sich nämlich sein Messer mit aller Kraft ins Herz gestoßen. Doch die Klinge war an seinem dicken Lederwams, das er zum Schutz gegen die Kälte trug, abgerutscht; so hatte er |458|sich nur eine tiefe Schnittwunde zugefügt, die allerdings gefährlich genug war, um ihn im Hause der Signora Sorghini mit heftigem Fieber ans Bett zu fesseln.

Unser Plan hatte glänzenden Erfolg. Zwei Tage später tauchte Graf Lodovico wieder in der Stadt auf, arroganter denn je und mit seinem römischen Adel prahlend, der freilich die Bürger der Repubblica Serenissima weder in Padua noch in Venedig beeindruckte.

Wir ließen den Palazzo Contarini und jede Bewegung des Grafen Tag und Nacht überwachen. So erfuhren wir: primo, er war knapp bei Kasse und zahlte seine Miete nicht; secundo, er hatte mit einem Goldschmied Kontakt gehabt, einem gewissen Giuseppe Giacobbe, der auf der Durchreise in unserer Stadt weilte (er besuchte sie zwei- oder dreimal im Jahr). Noch bevor wir Giacobbe vorladen konnten, hatte er den Bargello bereits von sich aus um eine vertrauliche Unterredung gebeten. Der Bargello benachrichtigte mich, und wir empfingen den Mann nicht in der Corte, sondern gegen zehn Uhr abends im Hause des Bargello. Der Goldschmied erschien mit drei Söhnen und drei Neffen, die ihm großen Respekt entgegenbrachten und während der Unterredung stumm im Vorzimmer auf ihn warteten. Wollte Gott, meine, eigenen Söhne wären so wohlgeraten wie diese Judenkinder!

Giuseppe Giacobbe zeigte mir zunächst seinen von Staatssekretär Kardinal Rusticucci unterzeichneten römischen Geleitbrief. Aus dem christlichen Namen, auf den man ihm dieses Dokument ausgestellt hatte, ersahen wir sofort, daß er – obwohl Jude – die Protektion des jetzigen Papstes genoß. Dieser Eindruck verstärkte sich im folgenden noch mehr. Wie er uns berichtete, hatte ihn das Getto mit der Anfertigung eines sehr wertvollen Brustkreuzes beauftragt, mit dem man dem Heiligen Vater für die Maßnahmen danken wollte, die er zum Wohle der jüdischen Gemeinde in Rom getroffen hatte. Der Papst hatte das Geschenk auch angenommen, allerdings erklärt, er selbst könne es nicht tragen, werde »es aber in seiner Familie belassen«; und tatsächlich habe er ihn, Giuseppe Giacobbe, einige Wochen später gebeten, es seiner Nichte, der Herzogin von Bracciano, im Palazzo Sforza am Gardasee zu überbringen. Nun aber habe ihm Graf Lodovico diesen Morgen zu seiner großen Überraschung besagtes Kreuz als Pfand für ein Darlehen |459|in Höhe von zwanzigtausend Dukaten ausgehändigt. Der Graf wisse offenbar nicht, daß er – Giacobbe – das Schmuckstück angefertigt habe und seine Geschichte kenne.

Damit zog der Goldschmied unter seinem Mantel das Kreuz hervor, das der Bargello und ich bei der Ankunft der Herzogin an ihr bewundert hatten. Er legte es vorsichtig auf den Tisch, und wir betrachteten es eine Weile schweigend. Wer von der Schönheit dieses Kreuzes wie auch von dem unglücklichen Ende jener Frau, die es getragen, unberührt geblieben wäre, müßte wahrlich gefühllos genannt werden. Wir ließen Caterina Acquaviva wecken, um sie zu fragen, ob sie das Kreuz erkenne und bezeugen könne, daß es ihrer Herrin gehört hat. Die Kammerzofe erschien schließlich, noch schlaftrunken und nur spärlich bekleidet. Als sie das Kreuz erblickte, rief sie: »Mein Gott! O mein Gott! Meine arme Herrin!« und fing an zu schluchzen. Der Bargello fand den Beweis hinreichend und schickte sie mit ein paar beruhigenden Worten wieder zu Bett. Der Blick, mit dem seine Augen ihr folgten, als sie aus dem Zimmer ging, ließ darauf schließen, daß er sie nicht nur aus Güte bei sich aufgenommen hatte.

Giacobbe legte uns noch eine von Lodovico Orsini, Graf von Oppedo, unterschriebene Urkunde vor, darin dieser bestätigte, er habe ein ihm gehörendes Brustkreuz (es folgte eine ausführliche Beschreibung) dem Goldschmied Giuseppe Giacobbe als Pfand für ein Darlehen von zwanzigtausend Dukaten überlassen. Giacobbe war bereit, bei meiner schriftlichen Zusicherung, daß ihm bei Zahlungsunfähigkeit des Grafen Lodovico die zwanzigtausend Dukaten von der Stadt Padua erstattet würden, uns das Kreuz und die Urkunde anzuvertrauen. Ich fertigte das Dokument aus, entließ Giacobbe und versprach ihm, wie er verlangte, erst nach seiner Abreise dem Grafen die Schelle um den Hals zu binden. Am nächsten Tag zog Giacobbe im Morgengrauen mit seinen Söhnen und Neffen aus der Stadt.

Nun ließ ich alle Stadttore schließen und lud den Grafen Lodovico vor Gericht. Er erschien mit seiner ganzen Truppe, und als die Sbirren nur ihn allein vorlassen wollten, drangen seine Leute gewaltsam ein und pflanzten sich gleichsam vor unserer Nase auf. Es waren ungefähr vierzig Bewaffnete, die von mir und den anderen Richtern nur durch ein Podium und den langen Tisch, hinter dem wir saßen, getrennt waren.

|460|Ich flüsterte dem Bargello zu, er solle alle verfügbaren Sbirren in dem Raum hinter mir postieren, jedoch sollten sie erst eingreifen, wenn ich zweimal mit dem Hammer klopfe. Allerdings fragte ich mich, was meine braven Leute gegen solche tollkühnen Banditen jemals ausrichten könnten. Ich beschloß daher, den Grafen so lange wie möglich mit Samthandschuhen anzufassen.

Er benahm sich von Anfang an sehr arrogant: es sei gegen die Ehre eines Mannes von seinem Rang, verhört zu werden, und er empfinde es als eine unerträgliche Beleidigung, in einer Sache, mit der er nichts zu schaffen habe, verdächtigt und beinahe wie ein Angeklagter behandelt zu werden.

»Aber Herr Graf, ich habe Euch in dieser Sache nicht als Angeklagten, sondern als Zeugen geladen«, sagte ich milde. »Ich möchte zum Beispiel wissen, was Euer Reitknecht Alfredo Colombani zum Zeitpunkt des Massakers im Palazzo Cavalli zu suchen hatte.«

»Wie mir zu Ohren gekommen ist, hatte er eine Liebschaft mit einer Zofe aus dem Palazzo. Aus diesem Grund ist er auch nicht mit uns nach Venedig gezogen.«

»Habt Ihr die Kammerzofe je gesehen, Herr Graf?«

»Nein.«

»Sie behauptet, an dem bewußten Abend Euch und den Grafen Paganello im Palazzo Cavalli gesehen zu haben.«

»Sie muß verrückt sein!«

»Wohl möglich. Mir wurde berichtet, statt nach Venedig zu reiten, hättet Ihr mit Euern Freunden in jener Nacht in einer Schenke in Stra, unweit von Padua, gezecht.«

»Richtig. Ist das ein Verbrechen?«

»Ganz und gar nicht, Herr Graf. Nach meinen Informationen ist das Brustkreuz der Herzogin von Bracciano bei einem jüdischen Goldschmied gesehen worden. Wißt Ihr etwas darüber?«

»Nein.«

»Das ist sehr bedauerlich, denn der Jude ist geflohen, und wir fahnden nach ihm.«

»Ich wünsche Euch, daß Ihr ihn findet.«

»Vielen Dank, Herr Graf. Das ist alles. Wie Ihr seht, war es ganz harmlos. Ihr seid frei und könnt gehen – mit Euren Freunden.«

»Darf ich auch die Stadt verlassen?«

|461|»Noch nicht, Herr Graf. Die Schließung der Stadttore wurde von Venedig verfügt und kann erst auf seine Anweisung hin wieder aufgehoben werden.«

»Darf ich dann wenigstens einen Boten mit diesem Brief zum Fürsten Virginio Orsini nach Florenz schicken?«

»Gewiß, Herr Graf, unter der Bedingung, daß Ihr mir den Inhalt des Schreibens mitteilt.«

»Bitte!« sagte er geringschätzig.

Er ließ mir durch einen seiner Leute den Brief übergeben. Ich las ihn aufmerksam. Er war so belanglos, daß ich stutzig wurde.

»Herr Graf, schreibt mir den Namen Eures Boten auf dieses Blatt«, sagte ich. »Ich werde Befehl geben, ihn passieren zu lassen.«

Er schrieb den Namen auf und zog ab, und ich schickte umgehend den Bargello mit zwei klaren Befehlen zu den Sbirren: 1. den berittenen Boten passieren zu lassen; 2. ihn eine Meile hinter der Stadt festzunehmen und von Kopf bis Fuß, sein Pferd von der Mähne über den Sattel bis zu den Hufen der Hinterbeine gründlich zu durchsuchen.

Diese Durchsuchung, die der Bargello persönlich vornahm, zeitigte das erhoffte Resultat. Im Wams des Boten fand man den mir bekannten harmlosen Brief, in seinem rechten Stiefel jedoch einen zweiten, kürzeren und sehr viel weniger harmlosen:

 

»An den hochedlen Herrn Virginio Orsini

 

Durchlauchtigster Herr,

ich habe alles so ausgeführt, wie es vereinbart war. Man hat mich einigen Verdächtigungen ausgesetzt, aber ich habe den Podestà überlistet, so daß ich hier jetzt als makelloser Ehrenmann gelte.

Ich habe die Sache persönlich erledigt. Schickt mir Männer und Geld. Ich bin ohne Mittel.

Euer untertäniger Diener und Cousin,

Lodovico Orsini«

 

»Ich habe die Sache persönlich erledigt« – er prahlte noch damit, dieser Elende! Je öfter ich den Brief las, desto mehr empörte mich seine Dummheit und Niedertracht. Wie konnte er so etwas schreiben, obwohl er bereits »Verdächtigungen« ausgesetzt war? Die er übrigens selbst erhärtet hat, als er im Verhör bestätigte, von Alfredos »Liebschaft« mit einer Zofe |462|aus dem Palazzo Cavalli zu wissen. Und dieser Tropf brüstet sich noch, mich überlistet zu haben!

Im Besitz dieses unwiderlegbaren Beweisstücks befahl ich, die Garde zu bewaffnen, den Palazzo Contarini zu umzingeln und unsere Kanone – die einzige, die wir besaßen – auf ihn zu richten. Danach schickte ich einen berittenen Boten mit einer Kopie des verräterischen Schreibens nach Venedig. Am folgenden Tag, gegen sieben Uhr abends, erschien der berühmte Avogador Bragadina mit dem Befehl, alle festzunehmen, tot oder lebendig.

Da die Belagerten nicht kapitulieren wollten, gebrauchten wir unsere Kanone: die Mauern stürzten ein, und Lodovico mußte sich ergeben.

Er tat es auf seine Art, das heißt wie ein auf seine Wirkung bedachter Schauspieler. Allein erschien er auf der Schwelle des Palazzo, braun gekleidet, den Degen an der Seite, den Mantel elegant über den Arm geschlagen.

Er wurde zum Stadthaus geführt, wo man ihm den Degen abnahm, während man noch auf meine Ankunft wartete. Lässig an eine Säule gelehnt, hatte er begonnen, sich mit einer kleinen Schere die Nägel zu pflegen. Ich überraschte ihn in dieser affektierten Haltung: Er steckte die Schere in sein Wams zurück, würdigte mich in Ansehen meines Amtes eines gemessenen Grußes, entschuldigte sich höflich, mir so viele Ungelegenheiten zu bereiten, und bat mich, ihn an einem Ort unterzubringen, der seiner vornehmen Geburt gemäß sei. Im übrigen bekundete er seine Unzufriedenheit mit der Zelle, die ich ihm zuwies, verlangte Schreibzeug und setzte einen langen Brief an die Serenissima mit der Forderung auf, einem Manne wie ihm – der Graf, Fürst und ein Orsini ist – die Schande der öffentlichen Folter zu ersparen. Seinem Verlangen wurde entsprochen: nach Recht und Gesetz wurde er in seiner Zelle mit einer roten Seidenschnur erdrosselt.

Noch in seinen letzten Minuten trug er eine vorgetäuschte Tapferkeit zur Schau. Es war, als trüge er Maske und Kothurne und spiele eine Rolle auf dem Theater. Man hätte ihm gern die Maske heruntergerissen, um zu sehen, was sich dahinter verbarg: vermutlich nur ein kleiner Junge voller Todesangst.

Ein einziges Mal nur verließen ihn seine Sicherheit und sein Hochmut. Ich hatte Marcello Accoramboni gefragt, ob er der |463|Hinrichtung des Mörders seiner Schwester beiwohnen wolle. Zu meiner großen Überraschung war er trotz seines Zustands dazu bereit und erschien, bleich und mitgenommen, von seinen Dienern gestützt, in ebendem Augenblick, da sich Graf Lodovico gnädig-herablassend anschickte, den Befehlen des Henkers Folge zu leisten, und zu diesem sagte:

»Ist es so recht, Signore? Seid Ihr mit mir zufrieden?«

Ich fragte Marcello Accoramboni, ob er dem Verurteilten noch etwas zu sagen habe.

»Ja«, sagte er mit erstickter Stimme.

Er starrte den Grafen mit seinen fiebrigen Augen an und fügte mit leiser, aber deutlich vernehmbarer Stimme hinzu:

»Herr Graf, in meinen Augen seid Ihr der verabscheuungswürdigste kleine Wurm, dem Gott je gestattet hat, über die Erde zu kriechen. Da aber meine Schwester Euch vergeben hat, will auch ich Euch vergeben.«

Der Graf erbleichte und öffnete schon den Mund zu einer Antwort, besann sich dann eines Besseren – vermutlich, um seinen Schlußauftritt nicht durcheinanderzubringen –, drehte sich zum Henker um und sagte mit gewinnendem Lächeln:

»Ich bin bereit, Signore.«

Der Henker legte ihm die rote Kordel um den Hals, und während er sie mit dem Knebel zusammendrehte, murmelte Lodovico: »Jesus, Jesus, Jesus.« Diese Worte hatte er wohl gewählt, um seinen Exitus würdig zu umrahmen, denn sein ganzes Leben lang war er ein sehr schlechter Christ gewesen.

Die Schnur zerriß, doch der Graf hatte bereits das Bewußtsein verloren, so daß er gar nicht merkte, wie ihm eine zweite Schnur um den Hals gelegt wurde. Als der Bargello dem Henker vorwarf, den Knebel zu schnell gedreht zu haben, antwortete dieser:

»Es ist wahr, Signor Bargello, ich wollte schnell fertig werden – sein albernes Getue ging mir auf die Nerven!«

Von dem zahlreichen Gefolge des Grafen Lodovico wurden nur drei Mann verschont, die anderen einunddreißig wurden sämtlich verschiedenen Arten der Folter unterworfen. Das hatten die Richter gegen meinen Willen beschlossen, um den Pöbel zufriedenzustellen.

Fünfzehn der Banditen waren bereits vom Leben zum Tode befördert worden, als der Henker den Bargello aufsuchte und um eine zweitägige Ruhepause bat.

|464|»Eine Ruhepause?« fragte der Bargello. »Warum denn das?«

»Verzeiht, Signor Bargello«, antwortete der Henker mit gesenktem Kopf, »wenn meine Empfindlichkeit Euch mißfällt, aber ich bin des vielen Blutes überdrüssig. Und das Volk ebenfalls. Gestern hat man mich ausgepfiffen.«

Die Richter traten erneut zusammen und beschlossen, die übrigen Verbrecher zu hängen. Während ihrer langwierigen Beratung gelang es einem der Verurteilten, nachzuweisen, daß er an dem Massaker im Palazzo Cavalli gar nicht beteiligt sein konnte, weil er an jenem Abend in Angelegenheiten seines Herrn in Venedig war. Schon unter dem Galgen, die Schlinge um den Hals, erreichte er seine Begnadigung.

Noch ein Wort zu den beiden Überlebenden aus dem Palazzo Cavalli, Marcello Accoramboni und Caterina Acquaviva.

Accoramboni wurde, nachdem er von seiner Wunde genesen war, ein neuer Mensch. Er verzichtete auf seinen Anspruch, als Adliger zu gelten, und legte Degen und Dolch ab. Er heiratete Margherita Sorghini. Als frommer Christ kam er regelmäßig seinen religiösen Pflichten nach. Und was er noch nie getan hatte, tat er jetzt: er arbeitete. Mit Hilfe eines von seiner Gattin ihm gewährten Darlehens gründete er – wie weiland sein Großvater – eine Majolikamanufaktur, und weil es dafür keine Konkurrenz in Padua gab, ging sie sehr gut und machte ihn bald zu einem unserer Honoratioren. Der Mann hat jedoch ein seltsames Wesen, weswegen er nicht so beliebt ist, wie er es nach seinen Qualitäten und seiner Arbeit verdient hätte. Er ist schweigsam, lächelt nie, und seine Augen blicken leer.

Caterina Acquaviva sprach nach ihrer Übersiedlung in das Haus des Bargello anfangs ernsthaft davon, sich in ein Kloster zurückzuziehen, was etwas verwunderlich schien – so, wie sie beschaffen war. Der Bargello hat sie offenbar umzustimmen vermocht, denn sie blieb in seinen Diensten. Böse Zungen sagten voraus, sie würde Schande über ihn bringen. Aber das hat sich nicht bewahrheitet. Sie hielt das Haus des Bargello in Ordnung und war den Kindern, die er ihr machte, eine liebevolle Mutter.

Auf seine Bitte hin wurde dem Heiligen Vater das Brustkreuz, das er seiner Nichte geschenkt hatte, zurückgegeben. Aus seiner Privatschatulle entschädigte er Giuseppe Giacobbe für die zwanzigtausend Dukaten, die dieser dem Grafen darauf |465|geliehen hatte. Einige Leute in Rom murrten, der Papst übertreibe mit seiner Ehrlichkeit, zumal es sich doch nur um einen Juden handle. Andere jedoch – darunter auch ich – gaben Sixtus V. recht. Wenn das Oberhaupt der Christenheit nicht mit gutem Beispiel vorangeht, wer soll es dann tun?

In Venedig und Rom, ja in ganz Italien fand man, ich hätte die Untersuchung in dieser unglückseligen Angelegenheit geschickt und umsichtig geführt. Allerdings wurden in Padua selbst – sogar im Stadtrat! – Stimmen laut, die mich tadelten, weil ich Lodovico nicht verbannt hatte, als er das Testament verbrannte. Doch ich brachte sie sehr schnell damit zum Schweigen, daß ich die Kopie eines Schreibens an die Serenissima verlas, in dem ich am Tag nach jenem Vorfall die Verbannung des Banditen verlangt hatte. Ich verlas auch das Antwortschreiben, in dem Venedig aus triftigen Gründen, die hier nicht genannt werden können, diesen meinen schriftlichen Antrag abgelehnt hatte. Die gleichen Störenfriede äußerten nun Zweifel an Venedigs Politik, doch ich gebot ihnen zu schweigen. Meine Standfestigkeit in diesem Fall wurde allgemein gelobt.

Mein Mandat als höchster Beamter der Stadt läuft in drei Monaten ab, doch vermutlich werde ich ohne Schwierigkeiten wieder zum Podestà gewählt. Ich weiß nicht, ob ich mir dazu gratulieren soll, denn obwohl ich meine Beliebtheit unter meinen Mitbürgern zu schätzen weiß, bin ich der Bürde dieses Amtes mitunter überdrüssig.

Um nochmals auf diese unglückselige Angelegenheit zurückzukommen: sie enthält Lehren, die man als sehr beachtlich ansehen könnte, wenn sie nicht gleichzeitig von beachtlicher Fragwürdigkeit wären.

Das Legat, mit dem Fürst Orsini die Zukunft seiner jungen Witwe sichern wollte, kostete sie das Leben. Graf Lodovico, der Gunst und Geldzuwendungen des Fürsten Virginio erringen wollte, erntete für seine Missetat nur den Tod – welcher ihn sehr bald ereilte, nachdem er eine unschuldige junge Frau umgebracht hatte, die er haßte, weil sie nicht von edler Geburt war. Aber was will das Wort »edel« in bezug auf ein Subjekt von so niederer Gesinnung wie Graf Lodovico schon besagen?

Wenngleich im Falle des Grafen die Justiz »ihres Amtes gewaltet« hat, bleibt doch zu bedauern, daß sie es nicht getan hat im Hinblick auf den Fürsten Virginio, der nachweislich Komplize |466|und Anstifter des Mordes gewesen ist, dessen Ausführung Lodovico in seinem Schreiben vermeldete. Selbst wenn die Serenissima sich zu dem lobenswerten Entschluß durchgerungen hätte, den jungen Fürsten (er war damals erst sechzehn Jahre alt) vor ein venezianisches Gericht zu laden, wäre es dennoch fraglich geblieben, ob sie dazu die Macht gehabt hätte, denn Virginio residierte in einem souveränen Staat und war der Neffe des Großherzogs von Toskana.

Was unmittelbar nach dem Tode der Herzogin geschah, gibt dem aufmerksamen Beobachter nicht weniger Grund zur Verwunderung.

Am Morgen nach dem Massaker im Palazzo Cavalli wurde Vittorias nackter Leichnam in der Kirche der Eremitani ausgestellt. Das Volk strömte herbei, ihn zu bestaunen. Es vergoß Tränen ob Vittorias Jugend und Schönheit und im Gedenken an ihre Güte und Frömmigkeit. Wie Augenzeugen berichten, knirschten manche Leute vor Zorn mit den Zähnen. Alle schrien nach Rache. Der Ansturm war so groß, daß Sbirren herbeigeholt werden mußten, den Menschenstrom zu ordnen, der an der toten Herzogin vorbeizog, denn ein jeder wollte sie betrachten, sie bewundern, sie beweinen, und alle jammerten, Padua habe die schönste Frau Italiens verloren.

Entrüstet über diesen heidnischen Kult, versuchte der Pfarrer der Eremitani gegen elf Uhr, mit einem bestickten schwarzen Tuch die Blöße der Herzogin zu bedecken. Das Volk riß es ihm aus den Händen; es fehlte nicht viel, und man hätte ihn als ruchlosen Schänder beschimpft. Es kam zu einer lebhaften Auseinandersetzung zwischen dem Pfarrer und den Anhängern des neuen Kults; die Sbirren griffen ein und erzwangen einen Kompromiß: die Tote wurde nicht zugedeckt, aber um der Schicklichkeit willen mit ihrem langen Haar verhüllt. Und den Vorbeidefilierenden wurde ausdrücklich verboten, Strähnen ihres Haares heimlich abzuschneiden, wie es bereits geschehen war.

Da sich herumsprach, daß die Herzogin mit ihrem letzten Atemzug dem Mörder vergeben hatte, wurde sie fortan wie eine Heilige verehrt. Der Heiligenkult ersetzte nicht den Kult um ihre Schönheit, sondern verstärkte ihn nur noch. Nachdem eine Frau vor der Toten das Knie gebeugt, sich bekreuzigt und ihr die Füße geküßt hatte, folgten alle anderen diesem Beispiel.

|467|Der arme Pfarrer war verzweifelt, wagte aber nicht, der fanatischen Menge entgegenzutreten; er kam zu mir und flehte mich unter Tränen an, diesem Ärgernis ein Ende zu setzen.

Ich begab mich in die Kirche und stellte fest, daß die Herzogin in der Tat Gegenstand einer halb heidnischen, halb christlichen kultischen Verehrung geworden war.

Auf den ersten Blick hatte ich erfaßt, daß es nicht geraten schien, an dem Leichnam vorbeizuziehen, ohne das Knie zu beugen und seine Füße zu küssen. Einerseits wollte ich mich diesem Ritual nicht unterziehen, andererseits nicht den Volkszorn auf mich lenken, weswegen ich mich hütete, näher heranzutreten. So beschloß ich, die Nacht abzuwarten, um unter dem Vorwand, ihn einbalsamieren zu lassen, den Leichnam zu entfernen.

Ich ließ ihn geziemend bestatten, doch nach wenigen Tagen kam es zu einer neuen Komplikation. Tarquinia Accoramboni, die Mutter des Opfers, bat mich in einem Brief um die Genehmigung, den Leichnam ihrer Tochter nach Rom zu überführen. Trotz meiner Vorsichtsmaßnahmen, diesen Brief geheimzuhalten, sickerten Gerüchte über ihn durch. Die Menschen strömten in Massen vor dem Stadthaus zusammen und bekundeten in heftigen Worten ihre Entschlossenheit, die Grabstätte der Herzogin in Padua zu bewahren.

Ich beruhigte die Menge, zitterte aber bei dem Gedanken, Sixtus V. könnte die Demarche von Signora Accoramboni unterstützen. In diesem Fall hätte ich die Angelegenheit Venedig übertragen müssen und keinen Einfluß mehr auf die Entscheidung gehabt. Zum Glück griff der Papst nicht ein, und dank der Unterstützung von Marcello Accoramboni, der sich nun, da er zum Weiterleben entschlossen war, in unserer Stadt niederlassen wollte, konnte ich den Antrag seiner Mutter ablehnen.

Vittorias letzte Ruhestätte ist also in Padua geblieben, und sowie die ersten Blumen blühen, wird sie von den Einwohnern der Stadt liebevoll geschmückt. Ihre Kinder werden sich vielleicht an Vittorias tragische Geschichte erinnern. Doch ihre Enkel? Und deren Söhne und Töchter? Eines Tages wird das Grab in Vergessenheit geraten, und noch später wird auch der Name dieser schönen Frau auf der Steinplatte, die ihre sterblichen Überreste bedeckt, verwittert sein.