Marcello Accoramboni:
Mit Verwunderung fragte ich mich, warum sich die Lebensweise im Palazzo Rusticucci völlig änderte und so scharfe Eingangs- und Ausgangskontrollen eingeführt wurden, daß ich plötzlich den Eindruck bekam, unsere friedliche Bleibe habe sich zu einer belagerten Festung gemausert.
Natürlich wirkten sich diese Veränderungen auch auf die Bewohner des Hauses aus: so wie die Türen, waren jetzt die Menschen verschlossen. Überall stieß ich nur auf Schweigen, Anspannung, ängstliche Erwartung. Man hätte meinen können, der Palazzo Rusticucci befinde sich nicht mehr ein paar Schritte vom Petersdom entfernt, sondern mitten in einem unsicheren Wald voller Briganten, die ihn eines Nachts stürmen würden.
Peretti, der offensichtlich diese strengen Maßnahmen angeordnet hatte, kommentierte sie nicht. Er, der sonst so leutselig und gesprächig war, sagte selten ein Wort und sah niemanden an. Vittoria war bleich und stumm. Camilla und Tarquinia hatten zumindest vorübergehend ihre Wortgefechte eingestellt. Flamineo betete, und er verließ sein Zimmer nur zu den Mahlzeiten, an denen er mit niedergeschlagenen Augen teilnahm. Giulietta, von der allein ich unter diesen Umständen eine Antwort auf meine Fragen hätte erwarten können, beteuerte ihre Ahnungslosigkeit. Sie schien gekränkt zu sein, daß niemand sie über diese rätselhaften Veränderungen informiert, geschweige denn ihren Rat eingeholt hatte. Die Diener beobachteten die Herrschaft und verhielten sich ruhig.
An bestimmten Anzeichen merkte ich, daß selbst Tarquinia die Gründe für dieses neue Regime nicht kannte. Sie warf ihrer Tochter fragende Blicke zu, die Vittoria allerdings zu übersehen schien; ihrer immer herrischer werdenden Miene nach zu urteilen, würde sie ihre Neugier nicht länger zügeln können. Und tatsächlich, eines Abends, als sich Vittoria ungefähr eine Stunde nach dem Essen auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte, |99|erhob sich auch die Superba. Wie ihr entschlossener Gesichtsausdruck mir sagte, würde sie nicht zögern, in das Refugium ihrer Tochter einzudringen. Das wollte ich verhindern; ich wartete jedoch, bevor ich dagegen einschritt, ein paar Minuten ab, ob sie wirklich den Kampf eröffnen würde.
Ich erreichte den ersten Stock über die Wendeltreppe, und durch die Galerie zum Hof, der in dieser Nacht von einem herrlichen Mond erleuchtet wurde, schlich ich auf leisen Sohlen zu Vittorias Zimmer mit seinem kleinen Vorraum, wo das Kammermädchen schlafen mußte, wenn Vittoria leidend war.
Der Vorraum war nicht erleuchtet, und ich wollte gerade eintreten, als ich ein Atemgeräusch zu hören glaubte. Ich hielt die Luft an, schlich mich noch leiser zur Tür und spähte hinein. Zuerst konnte ich nichts erkennen, doch als sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah ich Caterina, die an Vittorias Tür hingebungsvoll das Gespräch zwischen Mutter und Tochter belauschte. Woran ich sie erkannte, da sie mir doch den Rücken zukehrte? Ich will es ganz unverblümt sagen: an ihrem Hintern.
Ich näherte mich ihr bis auf Tuchfühlung, ohne daß sie mich hörte – ihre Ohren waren ja woanders. Dann packte ich sie mit der Linken an den Haaren, hielt ihr mit der Rechten den Mund zu und zog sie so in meinen Armen rückwärts bis in die Galerie, wobei sie sich anfangs heftig wehrte, wie eine Katze kratzte und mich sogar in die Hand zu beißen versuchte. Als sie jedoch draußen im Mondschein mein Gesicht erkennen konnte, wurde sie sanft wie ein Lamm, sah mich fügsam an und wäre gern länger in meinen Armen geblieben, wenn ich es geduldet hätte. Aber ich stellte sie brutal auf die Füße, hielt sie auf Armeslänge von mir entfernt, packte sie am Kragen, brachte sie in mein Zimmer, wo ich ihr zu warten befahl, und schloß sie dort ein.
Dann ging ich zurück und trat, ohne anzuklopfen, bei Vittoria ein. Sie saß vor ihrem Frisiertisch, betrachtete sich im Spiegel und bürstete mit müder Hand ihr Haar. Tarquinia stand hinter ihr, offensichtlich hatte ich sie in einer ihrer dramatischen Reden unterbrochen, auf die sie sich so meisterlich versteht. Bei meinem Eintritt verstummte sie mitten im Wort. Ich hörte nur noch »… Wagen«, woraus ich schloß, daß sie sich bei Vittoria darüber beschwerte, wie das »fünfte Rad am Wagen« behandelt zu werden und nicht zu wissen, was vor sich ging. Diesen Vorwurf |100|hatte sie Vittoria seit deren Heirat sehr oft und immer mit den gleichen Worten gemacht.
»Signora«, sagte ich und verneigte mich spöttisch, »in diesem Zimmer sind zwei Personen zuviel: Ihr und ich. Wenn Ihr Euch, wie wir alle, keinen Vers machen könnt auf diese neue Gangart im Palazzo Rusticucci, wendet Euch an den Mann, der dafür verantwortlich ist – Euer Schwiegersohn, Signor Peretti. Vittoria will und kann Eure Fragen offensichtlich nicht beantworten!«
»Sie will nicht«, sagte Tarquinia, lauter werdend, »aber ich bezweifle, daß sie es nicht kann.«
»Gesetzt den Fall, sie könnte es, wie wollt Ihr sie zu einer Antwort zwingen?«
»Sie ist sie mir schuldig«, schrie Tarquinia, »ich bin ihre Mutter!«
»Signora«, sagte ich und verbeugte mich abermals, »Ihr solltet begreifen, daß dieses Theater lächerlich ist. Die Tatsache, daß Ihr Vittorias Mutter seid, gibt Euch noch lange nicht das Recht, Geständnisse zu erpressen und Vittoria am Schlafen zu hindern. Ein Rat, Signora, den Ihr bitte beherzigen wollt: zieht Euch zurück!«
»Wer bist du denn, daß du es wagst, mir Ratschläge zu erteilen?« schrie sie, drehte sich zu mir um und sah mich verächtlich an. »Ein Mörder und Zuhälter!«
»Mutter«, rief Vittoria empört, »reizt Marcello nicht!«
»Ich wiederhole: ein Mörder und Zuhälter!« schrie Tarquinia in höchstem Zorn. »Und meine Tochter, die nichts zu sagen weiß, wenn ich ihr Fragen stelle, findet plötzlich ihre Stimme wieder, um diesen Banditen zu verteidigen.«
»Signora«, sagte ich, »es ist nicht recht, daß Ihr so schnell zu Beschimpfungen kommt. Denn von da ist es nicht weit bis zu Tätlichkeiten. Wenn Ihr Euch nicht umgehend hinwegbegebt, muß der hier anwesende Bandit Euch leider hinauswerfen.«
»Ruchloser! Ihr wagt es, Gewalt gegen Eure Mutter anzuwenden?«
»Ja, sogar mit Vergnügen«, antwortete ich lächelnd.
Tarquinia sah mich mit funkelnden Augen an, doch als sie merkte, daß ich entschlossen war, meine Worte wahr zu machen, raffte sie mit der Hand ihre Röcke und rauschte hinaus. Was mich an der Superba aufbringt, dachte ich abermals, ist |101|nicht nur ihr unausstehlicher Charakter: es ist ihr falsches Theater.
»Vittoria«, sagte ich, »ich laß dich jetzt allein. In Zukunft solltest du deine Tür immer verriegeln, um dir Überfälle durch das ›fünfte Rad am Wagen‹ zu ersparen.«
Normalerweise hätte ihr dieser harmlose Scherz ein Lächeln entlockt. Aber heute war sie nicht aufzuheitern. Ich betrachtete sie im Spiegel. Sie sah müde aus und bürstete ihr Haar ohne die gewohnte Energie. Ihr schönes Gesicht zeigte keinerlei Gemütsbewegung, nicht einmal Traurigkeit.
Halblaut fuhr ich fort: »Vergiß es bitte nie, Vittoria: was immer du willst, das will ich auch …«
Ich weiß nicht, warum ich diesen Satz sprach, der sich in der Folgezeit als so prophetisch erweisen sollte. Ich bin jedoch sicher, daß ich meinem wahren inneren Gefühl gehorchte. Ich habe mich niemals als ein von Vittoria wirklich unabhängiges Wesen betrachtet.
»Danke, Marcello. Danke für alles.«
Bei diesen Worten sahen wir uns im Spiegel an. Da ihr Gesicht von den Kerzen zu beiden Seiten des Spiegels hell beschienen wurde, meins dagegen im Schatten lag, trat unsere so verschiedene Hauttönung weniger zutage, um so deutlicher aber wurde die Ähnlichkeit unserer Gesichtszüge und des Ausdrucks sichtbar. Mein Herz begann zu klopfen. Mir schien, das Geheimnis meines Lebens läge darin beschlossen und ich brauchte es nur noch zu entschlüsseln.
Sie wiederholte: »Ich danke dir, Marcello«, und schloß für einen Moment die Augen. Man hätte meinen können, ein Vorhang senke sich über einem Stück, das in den Kulissen weitergespielt wird. Ich überließ sie ihren Gedanken, ging aus dem Zimmer und schloß leise die Tür hinter mir.
Caterina hatte sich nicht weggerührt von dem Schemel, auf den ich sie gesetzt hatte. Auf den ersten Blick sah ich, daß sie in der Zwischenzeit zwei Knöpfe ihres Leibchens geöffnet hatte, um ihre Brüste in dem rechteckigen Ausschnitt besser zur Schau zu stellen. Was war sie doch für eine Fleischesfalle, dieses Mädchen! Und wie war sie selber darin gefangen! Ganz hingebungsvolles Weibchen, war sie von den Wurzeln ihrer glänzenden Haare bis zu den Waden, die der kurze Rock kaum bedeckte, nichts weiter als Köder, Lockpfeife, Leimrute, Fangnetz …
|102|Bei meinem Eintritt erhob sie sich, vor Angst halb tot, und setzte sofort ihre großen Augen ein, den halbgeöffneten Mund, ihren kurvenreichen Körper, und das alles mit dem Ausdruck geheuchelter Verwirrung, falscher Naivität und ehrlicher Unterwürfigkeit. Hätte sie mir, als sie mir gegenüberstand, außer den schönen Brüsten gleichzeitig ihren hübschen Hintern zeigen können – ich wette, sie hätte es getan. Erstaunlicherweise wirkt sie nicht einmal vulgär, wie sie mir so ihre Reize darbietet.
An ihrer hingebungsvollen Haltung wird mir klar, daß sie auf eine Bestrafung wartet und daß ich selbst sie züchtigen muß, da ich sie nicht bei Peretti anschwärzen kann, der sie sofort vor die Tür setzen würde: das aber will ich um keinen Preis, da Vittoria ihr sehr zugetan ist. So sehr, daß sie ihr das Lesen beigebracht hat.
Ich gehe auf Caterina zu und gebe ihr zwei kräftige Ohrfeigen. Dann packe ich sie an den Schultern, schüttele sie und brülle sie an:
»Wer bezahlt dich dafür, daß du Vittoria nachspionierst?«
Eine rhetorische Frage, denn ich bin überzeugt, Caterina hat nur aus Neugier an der Tür gelauscht, diese Neugier – oder Identifizierung mit der Herrin – findet man häufig bei Kammermädchen.
Ihre Antwort überrascht mich.
»Der Kardinal bezahlt mich doch nicht«, sagt sie und beginnt zu weinen. »Er ist aus Grottammare, und ich habe Angst, meinen Eltern zu schaden, wenn ich ihm nicht gehorche.«
Ich kehre ihr den Rücken, um meine Verblüffung zu verbergen, und gehe zu einem kleinen Tisch, auf dem ein fünfarmiger Leuchter steht; ich schlage Feuer und brenne alle fünf Kerzen an. Neben dem Tisch steht ein niedriger Schemel, dorthin soll Caterina auf mein Geheiß sich setzen. Eigenartigerweise scheint dieses Zeremoniell sie mehr zu beeindrucken als meine Ohrfeigen.
»Antworte! Wie läßt du dem Kardinal deine Berichte zukommen?«
»Indirekt. Ich beichte Pfarrer Racasi.«
»Oft?«
»Einmal in der Woche. Seit dem 19. März zweimal.« Obwohl ich dieses Datum zum ersten Mal höre, zeige ich mich nicht überrascht.
»Erzähl mir genau, was am 19. März passiert ist.«
|103|»Eigentlich nicht viel«, sagt Caterina. »Der Zufall wollte, daß Vittoria an jenem Tag dem Fürsten Orsini begegnet ist, als sie sich vom Kardinal verabschiedete. Sie war davon sehr bewegt.«
»Woher weißt du das?« frage ich. »Hat sie dir ihre Empfindungen anvertraut?«
»Eben nicht«, entgegnet Caterina lebhaft, »kein Wort hat sie gesagt. Normalerweise sagt sie mir alles. Aber ich sehe ja, wie sie seitdem ist.«
»Wie ist sie denn?«
»Sie lebt wie im Traum.«
Wenn schon Vittoria sich in einer solchen Verfassung befindet, kann man sich leicht vorstellen, wie diese Begegnung auf den Fürsten gewirkt haben muß. Alles wird klar, auch der Belagerungszustand, in dem wir im Palazzo Rusticucci leben. Der Kardinal befürchtet offenbar, Orsini werde Vittoria entführen.
Nach kurzem Schweigen fahre ich fort:
»Jetzt hör gut zu, Caterina. Du wirst Pfarrer Racasi in deiner Beichte ab sofort nur noch berichten, was ich dir zu sagen erlaube.«
Sie antwortet ohne Zögern und bewegt sich mit dem ganzen Körper auf mich zu:
»Ich will alles tun, was Ihr wollt, Signor Accoramboni.«
»Erzählst du Pfarrer Racasi von deinen Galanen?« frage ich weiter.
»Natürlich«, gesteht sie und schlägt die Augen nieder, »ich lasse meine Todsünden nicht aus. Ich bin eine gute Katholikin.«
»Fragt dich Pfarrer Racasi nach den Namen?«
»Nein, nie. Er will nur wissen, wie oft ich gesündigt habe.«
»Wie viele Galane hast du?«
»Zwei«, gibt sie leicht verschämt zu (ob echt oder gespielt, wüßte ich nicht zu sagen).
»Ab heute hast du nur noch einen!«
»Welchen der beiden soll ich aufgeben?« fragt sie eifrig.
»Alle beide.«
Sie schaut mich an. Sie ist mit Freuden bereit, mir zu gehorchen, wagt aber ihren Ohren noch nicht zu trauen. Ich bedeute ihr aufzustehen, strecke meine Hand aus und tippe mit dem Zeigefinger auf die beiden offenen Knöpfe ihres Leibchens.
»Möchtest du wissen, wer dein einziger Liebhaber sein wird?«
|104|»Ja«, sagt sie und zittert am ganzen Körper.
»Du wirst es wissen, wenn du beendest, was du in meiner Abwesenheit so hübsch begonnen hast.«
Sie zögert noch, dann aber, nachdem sie den dritten Knopf aufgemacht hat, ohne an mir das kleinste Zeichen von Mißbilligung zu bemerken, entkleidet sie sich weiter, mit natürlicher Anmut und einem Mienenspiel, das weit weniger natürlich ist. Seltsamerweise errötet sie nicht im Gesicht, sondern an Hals und Dekolleté.
Sowie sie völlig nackt ist, nehme ich sie an der Hand und führe sie zu meinem Bett, wo ich sie mit einer Handbewegung zum Sitzen auffordere. Ich bleibe vor ihr stehen und mustere sie. Sie schweigt, denn sie hat immer noch ein wenig Angst vor mir, doch der Blick ihrer großen, glänzenden schwarzen Augen spricht Bände. Was sind die Frauen seltsam! Wie erklärt man sich ihre völlige Unterwerfung unter den Geliebten, die sie Liebe nennen? Diese merkwürdigen Lebewesen ziehen mich an und stoßen mich gleichzeitig ab. Ich weiß nicht warum, doch ich spüre in mir immer eine große Lust, sie zu bestrafen. Manchmal sage ich mir: ›Du bist verrückt, Marcello! Was soll das? Wofür sie bestrafen?‹
In Wirklichkeit verstehe ich selbst nie ganz richtig, was ich tue. Es ist wahr, ich habe beschlossen, mit Caterina zu schlafen, um sie dem Einfluß des Kardinals zu entreißen und sie zu einem Werkzeug für meine Pläne zu machen. Allerdings kenne ich meine Pläne noch nicht – abgesehen von dem, was mir stets das wichtigste war und ist: Vittoria zu schützen.
Doch Caterina ist mehr als nur ein Werkzeug. Der Beweis: in dem Moment, da ich sie vor mir ausgestreckt sehe, empfinde ich sowohl heftige Begierde als auch eine Art Zärtlichkeit. Da ich ihr meine Begierde nicht verheimlichen kann, verberge ich wenigstens die Zärtlichkeit vor ihr, zumindest solange es geht. Ich mißtraue diesen Kraken-Frauen. Caterina hat, seitdem sie nackt ist, die ihr eigene Keckheit zurückgewonnen. Ihr Atem geht schneller und heftiger, und als sie mich mein Wams aufknöpfen sieht, streicht sie mit der Hand von unten nach oben an meinem Beinkleid hinauf. Ihre Finger zittern leicht, als sie mir den Schnürverschluß löst. Doch das hat nichts mehr mit Angst zu tun.
Vier Tage später sitzt Caterina während der Messe in unserer |105|Kapelle auf der letzten Bank hinter mir und flüstert mir ins Ohr, il mancino wolle mich sprechen. Ich schiebe ihr meinen Zimmerschlüssel zu, den ich ständig bei mir trage, damit die Superba ihre Nase nicht in meine Angelegenheiten stecken kann.
»Schließ ihn ein und bring mir den Schlüssel zurück«, sage ich leise. »In einer Viertelstunde bin ich bei ihm.« Als ich das Zimmer betrete, erhebt sich il mancino mit einer Verbeugung. Die respektvolle und doch stolze Art zu grüßen gefällt mir an diesem muskulösen kleinen Mann, der sich kerzengerade hält. Er läßt mich spüren, daß die Wertschätzung, die er mir schuldet, durch seine Selbstachtung gemildert ist. Wie seine Schwester, hat auch er seinen Dialekt abgelegt, er drückt sich in korrektem, sogar elegantem Italienisch aus. Er ist gewandt. Durch seine vollendete Höflichkeit gibt er zu verstehen, daß er seinerseits eine gewisse Rücksichtnahme erwarte. Seit kurzem zeigt er in seinem Verhalten mir gegenüber eine Art höflicher Vertraulichkeit. Ich bin zwar weder Brigant noch Zuhälter, aber er weiß natürlich genau, daß ich mich am hellichten Tag mitten in Rom meines Dolches bedient habe und daß ich von der Großzügigkeit der Signora Sorghini lebe.
»Setz dich bitte, Domenico«, fordere ich ihn auf und erwidere seine Verbeugung. »Möchtest du einen Becher Wein?«
»Vielen Dank, Signore«, sagt er mit einer zweiten Verbeugung, »ich trinke nicht zwischen den Mahlzeiten.«
»Und das bekommt dir offenbar sehr gut.«
»Wenn Ihr gestattet, Signore, möchte ich gleich zur Sache kommen: ich habe Euch etwas zu bestellen, und ich habe zwei nützliche Informationen für Euch. Die Bestellung ist umsonst, dafür hat der Auftraggeber mich schon bezahlt. Die Informationen dagegen«, er schlägt mit vornehmer Schamhaftigkeit die Augen nieder, »werden Euch etwas kosten.«
»Gut, laß zuerst die Bestellung hören.«
»Der Fürst Orsini, Herzog von Bracciano, möchte Euch morgen mittag Schlag zwölf Uhr in einer Kammer im ›Ölberg‹ treffen.«
»Der Fürst Orsini! Im ›Ölberg‹! In der Kammer einer Hure!«
»Gewiß, der Ort ist bescheiden«, räumt il mancino ein, »doch unauffälliger zu betreten als Montegiordano. Und überdies – ich kenne mich dort aus. Viele gute Christen ziehen den |106|Hut tief in die Stirn und vergraben die Nase im Mantel, um in die Taverne zu gelangen. Er wird also unerkannt bleiben.«
»Ich werde da sein. Und jetzt deine Informationen.«
»Es sind zwei«, sagt er. »Die erste kennt Ihr vielleicht schon, Signore, denn wenn sie heute noch nicht öffentlich bekannt ist, wird sie es spätestens morgen sein. In diesem Falle wäre sie kostenlos. Andernfalls schuldet Ihr mir dafür zwanzig Piaster. Ich vertraue auf Euer Wort.«
»Das kannst du auch.«
»Die ehebrecherische Gemahlin des Fürsten wurde ins Jenseits befördert – nach so langem Aufschub, daß man schon glauben mußte, es würde überhaupt nichts mehr geschehen.«
»Wann war das?«
»Vor einer Woche.«
»Die zwanzig Piaster sind dein.«
»Die zweite Information kostet Euch fünfzig Piaster, Signore.«
»Ich höre.«
»Auf Befehl eines Dritten«, sagt il mancino, ohne mit der Wimper zu zucken, »hat meine Schwester Caterina ihren beiden Galanen den Laufpaß gegeben. Der eine heißt Raimondo Orsini. Schade, Signore, daß Ihr versäumt habt, meine Schwester nach seinem Namen zu fragen: Ihr hättet fünfzig Piaster sparen können.«
»Schade«, erwidere ich, »daß Caterina nicht auf die Idee gekommen ist, mir den Namen zu verraten. Sie ist eine zärtliche Schwester und auf den Vorteil ihres Bruders bedacht.«
»Nein, Signore, glaubt das nicht! Caterina ist nicht berechnend. Ihr Horizont geht nicht weiter als bis zu den Spitzen ihrer Brüste …«
Diese Bemerkung hat eine zweifache Wirkung: sie bringt mich zum Lachen, und sie überzeugt mich.
»Was kann mir diese Information nützen?«
»Das müßt Ihr wissen, Signore«, sagt der durchtriebene mancino.
»Deine Meinung, bitte.«
»Bevor meine Schwester Raimondo entließ, konnte der Fürst darauf hoffen, über seine Cousins bis zu Caterina vorzudringen und durch sie Kontakt mit Eurer Frau Schwester aufzunehmen. Diese Möglichkeit besteht jetzt nicht mehr.«
Und ich hatte die richtige Karte ausgespielt, ohne es zu wissen. Denn als ich Caterina die Entlassung ihrer beiden Liebhaber befahl, ahnte ich nicht, daß einer davon ein Orsini war.
Am nächsten Tag begebe ich mich, die »Nase im Mantel vergraben«, zur vereinbarten Zeit in den »Ölberg«. Wegen des großen Gedränges und des Tabakqualms kann ich zunächst kein Gesicht erkennen. Il mancino hat offenbar den schärferen Blick, denn noch bevor ich ihn ausgemacht habe, flüstert er mir ins Ohr: »Folgt mir, Signore!« Als wir die wacklige Holztreppe hinaufsteigen, kommt uns laut schreiend ein halbnacktes Mädchen entgegen, das von einem brüllenden, messerschwingenden Mann verfolgt wird. Il mancino stellt dem Mann ein Bein, entwaffnet ihn blitzschnell, zieht ihn dann am Kragen wieder hoch und drückt ihn gegen die Wand.
»Die kleinen Zwistigkeiten zwischen Liebesleuten werden hier friedlich beigelegt, Signore«, sagt er lächelnd mit hartem Blick. »Geht hinunter, setzt Euch an einen Tisch und bestellt auf meine Rechnung einen Krug Wein. Ich komme gleich.«
Der Mann gehorcht lammfromm, und il mancino erklärt mir:
»Ein Kunde der Sorda. Sie hat ihre eigenen Methoden, die ich nicht billige. Ich bin für Ehrlichkeit – zumindest, wenn es sich machen läßt.«
Auf dem Flur bezeichnet er mir eine Tür.
»Hier. Und gestattet mir einen Hinweis, Signore: seid nicht zu anmaßend. Die Orsinis sind hitzig.«
»Ich auch.«
Ich lockere meinen Degen in der Scheide, klopfe einmal kurz an, trete rasch ein und stoße die Tür weit auf gegen die Wand, falls jemand auf die Idee gekommen sein sollte, sich dahinter zu verstecken. Zwei maskierte Edelleute befinden sich im Zimmer, einer steht, der andere sitzt. Mein stürmischer Eintritt läßt sie auffahren. Ich schließe die Tür, achte aber darauf, ihnen nicht den Rücken zuzukehren. Dann grüße ich knapp und lege meinen Hut auf einem Schemel ab, um die Hände frei zu haben für den Fall, daß die Dinge eine schlechte Wendung nehmen.
»Guten Tag, die Herren. Ich bin Marcello Accoramboni. Wer von Euch ist Fürst Orsini?«
»Ich«, antwortet der, der steht.
|108|Der andere sitzt am Tisch und rührt sich nicht. Er schaut aus dem Fenster und scheint desinteressiert an dem Gespräch.
»Dann bitte ich Euch, ohne Maske mit mir zu sprechen.«
»Ich sehe keine Notwendigkeit, meine Maske abzunehmen«, antwortet er spitz.
»Die Notwendigkeit ergibt sich daraus, daß ich keine Maske trage.«
»Los, carissimo«, sagt der Sitzende, »mach keine Ehrensache daraus. Nimm sie ab, wenn er dich darum bittet.«
»Eine eigentümliche Bitte. Und in was für einem Ton!«
»Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus«, antworte ich.
»Carissimo«, sagt der andere, »nimm die Maske ab, ich bitte dich.«
Kochend vor Wut, gehorcht der erste. Unter der Maske kommt ein Gesicht zum Vorschein, das man für hübsch halten könnte, wäre es nicht so unerträglich geckenhaft. Doch es ist weniger dieser Ausdruck als die Jugend, die mich dabei frappiert. Bei seiner Rückkehr aus Venedig habe ich den Fürsten Orsini deutlich gesehen, und die Person, die jetzt vor mir steht, ist gut und gerne zwanzig Jahre jünger.
»Signore, Ihr habt mich belogen, Ihr seid gar nicht Fürst Orsini.«
»Ich bin Lodovico Orsini, Graf von Oppedo«, entgegnet der Mann fest, »und ich kann nicht dulden, daß der erstbeste hergelaufene Stutzer mich einen Lügner schimpft.«
»Stutzer?« sage ich und ziehe meinen Degen halb aus der Scheide.
»Keinen Streit hier, meine Herren! In dieser Spelunke!« sagt der andere Edelmann.
Er erhebt sich, legt Lodovico seinen starken Arm um die Schultern und drückt ihn kräftig an sich. Diese Geste ist nicht zu mißdeuten: sie ist liebevoll, lähmt aber zugleich meinen Gegner. Ich stecke meine Klinge zurück und warte. Wenn ich mich recht entsinne, ist dieser Lodovico der Bruder von Raimondo, und alle beide sind trotz ihrer hohen Geburt so etwas wie Edelbriganten. Entweder ist dieser Lodovico verteufelt streitsüchtig, oder er trägt mir nach, daß sein Bruder durch mich Caterinas Gunst verloren hat.
»Komm, carissimo«, sagt der Edelmann, »beruhige dich. |109|Signor Accoramboni glaubt sonst, wir hätten ihn in einen Hinterhalt gelockt.«
Und er nimmt seinen Arm und zwingt ihn, sich an den Tisch vorm Fenster zu setzen. Lodovico bleibt da sitzen, gespannt nach vorn gebeugt, die Hände um die Kante des Eichentischs gekrallt, und schleudert mir Blicke zu, als wolle er mich töten, doch ich tue so, als bemerke ich sie nicht.
Der andere Edelmann tritt vor mich hin, nimmt die Maske ab und sagt:
»Ich bin Fürst Orsini.«
Diesmal hat es seine Richtigkeit. Wer ihn auch nur einmal gesehen hat, kann ihn nicht mehr vergessen. Nicht, daß der Fürst sehr groß wäre, er überragt mich nur um Daumesbreite, doch er ist sehr kräftig gebaut, hat breite Schultern und einen gewölbten Brustkorb, und sein Beinkleid modelliert die muskulösen Beine. Er hat ein schönes Gesicht, ausdrucksvolle, regelmäßige Züge, einen genießerischen Mund und große leuchtende Augen sowie rotblonde kurze Locken, wie man sie auf römischen Münzen sehen kann. Sein Gesicht drückt Stolz und Autorität, aber auch Höflichkeit und Feingefühl aus.
Ich bin von ihm eingenommen oder wäre es, hätte er nicht Lodovico als sich selbst ausgegeben: eine List, die ich ihm übelnehme. Wollte der Fürst prüfen, aus was für einem Holz ich geschnitzt bin, ob ich flexibel und unterwürfig genug wäre, seine Wünsche zu erfüllen? In dem Falle dürfte ihn mein Auftreten sicherlich eines Besseren belehrt haben.
Davon merkt man allerdings nichts. Er betrachtet mich wortlos, und je länger er mich mit Blicken mißt, um so mehr scheint er Gründe zu finden, mich zu lieben. Doch mir ist sofort klar: nicht meine Person wirkt so anziehend auf ihn, sondern meine Ähnlichkeit mit Vittoria.
»Signor Accoramboni«, sagt der Fürst mit ausgesuchter Höflichkeit, »verzeiht, daß ich Euch hierherkommen ließ. Wenn es Euch recht ist, möchte ich Euch einen Vorschlag machen.«
»Euer Durchlaucht«, antworte ich mit einer Verbeugung, »mit größtem Interesse und größtem Respekt werde ich die ehrenvollen Vorschläge zur Kenntnis nehmen, die Eure Hoheit mir machen wollen.«
Der Fürst muß sehr viel Selbstbeherrschung haben, denn man sieht ihm kaum an, daß ihm das Wort »ehrenvoll« nicht |110|paßt. Habe ich ihm dadurch nicht klar zu verstehen gegeben, daß er nicht auf mich zählen könnte, falls seine Vorschläge nicht ehrenvoll wären?
Er fährt fort:
»Man hat mir berichtet, daß Ihr lesen und schreiben könnt und Latein gelernt habt, Signor Accoramboni.«
»Latein habe ich schneller vergessen, als ich es gelernt habe, Durchlaucht. Aber mit dem Lesen und Schreiben hat es seine Richtigkeit, obwohl ich kein Schriftgelehrter bin.«
»Ein Schriftgelehrter wäre mir auch gar nicht recht«, sagt der Fürst lächelnd. »So einen hatte ich zum Sekretär. Aber dieser Unglücksrabe hat mich verlassen, um Priester zu werden. Könnte es Euch gefallen, sein Nachfolger zu werden?«
Ich bin einen Moment sprachlos, so sehr überrumpelt mich der von einer so hohen Persönlichkeit mit so viel Wohlwollen mir angetragene Vorschlag.
»Das wäre gewiß eine große Ehre für mich, Durchlaucht«, antworte ich mit einer Verbeugung, »doch ich sehe da Schwierigkeiten.«
»Welche?« fragt der Fürst mit einem leichten Anflug von Ungeduld.
»Als Sekretär Eurer Hoheit hätte ich doch wohl eine Vorrangstellung unter dem Personal Eures Hauses?«
»Selbstverständlich.«
»Zu diesem Personal gehören viele Schwäger und Verwandte von sehr altem Adel, habe ich sagen hören.«
»Das stimmt.«
»Dann sehe ich nicht, wie diese temperamentvollen Edelleute die Anwesenheit eines Mannes akzeptieren könnten, dessen Adel – wie der meine – neu ist und angezweifelt wird.«
Das spreche ich mit Stolz und beißender Ironie aus, eine Hand in die Hüfte gestützt, denn jedermann in Rom weiß, daß ich mir den Adelstitel bei meiner Ankunft in der Ewigen Stadt selbst verliehen hatte.
Meine Antwort löst zwei ganz unterschiedliche Reaktionen aus: Lodovico knurrt wie eine Dogge an der Kette; der Fürst blickt mich freundlich an. Daß ich mich selbst über meinen falschen Adel lustig mache und ihn zugleich von seiner Entourage respektiert sehen will, schmeichelt ihm sehr und flößt ihm Achtung vor mir ein.
|111|»Signor Accoramboni«, sagt er gutgelaunt, »sowie Ihr mein Sekretär seid, wird niemand es wagen, sich über Euch zu mokieren.«
»Nicht einmal Graf Oppedo?« frage ich und schaue Lodovico an.
»Nicht einmal der«, entgegnet der Fürst.
»Der Graf von Oppedo«, sagt Lodovico überheblich, »erdolcht niemanden hinterrücks in einer Kutsche. Er schlägt sich in einem ehrlichen Duell.«
»Das hätte ich auch getan, Herr Graf, wenn Recanati meine Herausforderung angenommen hätte«, antworte ich.
»Hör mal, carissimo«, sagt der Fürst, »du weißt genau, wie die Sache gelaufen ist. Außerdem hatte Signor Accoramboni sehr gute Gründe: eine Angehörige seiner Familie war von Recanati in der Öffentlichkeit beschimpft worden.«
Eine »Angehörige seiner Familie«! Wie genüßlich er diese Worte spricht! Gleichzeitig verwirren sie ihn, und Vittorias Bild schiebt sich, mich überdeckend, vor seine Augen. Heftige Gemütsbewegung ergreift ihn, so daß er die Hände auf dem Rücken verschränkt, zu Boden blickt und in dem kleinen Raum hin und her läuft.
»Also gut«, sagt er endlich und bleibt vor mir stehen, »ist das die einzige Schwierigkeit, die Ihr hierbei seht, Signor Accoramboni?«
»Soweit ich die Zukunft erraten kann, gibt es keine weitere.«
»Ihr nehmt also mein Angebot an?«
»Mit Ehrerbietung und Dankbarkeit«, erwidere ich mit einer Verbeugung.
Lodovico knurrt abermals, wohl nicht wegen dieser untadeligen Worte, sondern wegen des ironischen Tones, in dem ich sie spreche. Der Fürst wirft mir einen raschen, prüfenden Blick zu, den ich vorausgesehen hatte. Als sein durchdringender Blick mich trifft, habe ich die Augen bereits niedergeschlagen und eine Unschuldsmiene wie eine Jungfrau aufgesetzt.
»Was Eure Bezüge anbelangt«, fährt der Fürst fort …
»Halten zu Gnaden, Durchlaucht«, antworte ich und hebe den Kopf, »sprechen wir nicht davon. Ich bin fest entschlossen, nichts anzunehmen. Die Ehre, Eurer Hoheit zu dienen, ist mir Lohn genug.«
Wieder knurrt Lodovico, und der Fürst scheint befangen. |112|Meine Abhängigkeit von ihm würde rein nominell sein, wenn er mir keinen einzigen Piaster zahlt. Doch er ist zu geschickt, um in mich zu dringen.
»Signor Accoramboni braucht das Geld der Orsinis nicht«, zischt Lodovico. »Er hat andere Quellen.«
»So ist es«, entgegne ich ruhig. »Ich bin der Geliebte einer reichen Witwe. Und ich bete jeden Tag zu Gott, er möge mir ihre Gunst erhalten, weil ich nicht zum Briganten werden und wehrlose Reisende in den Bergen ausrauben möchte.«
Bei diesen Worten lacht der Fürst freiheraus. Lodovico, bleich wie ein Leinentuch, öffnet schon den Mund zu einer Antwort, doch der Fürst bringt ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Signor Accoramboni«, nimmt er den Faden wieder auf, »ich erwarte Euch Montag, zehn Uhr, in Montegiordano. Und verzeiht mir, daß ich Euch in diese Spelunke gebeten habe. In Eurem eigenen Interesse wollte ich nicht, daß Ihr beim Betreten meines Palastes gesehen würdet, falls Ihr meinen Vorschlag abgelehnt hättet. Jetzt liegen die Dinge natürlich anders.«
Er spricht mit vollendeter Höflichkeit. Ich nehme meinen Hut vom Schemel auf und verabschiede mich von dem Fürsten mit einer tiefen Verneigung. Dann noch eine Verbeugung – kurz, knapp und zurückhaltend – zu Lodovico hin, der sie mit einem Kopfnicken erwidert.
Ich steige die wackelige Holztreppe hinunter, deren Geländer ich nicht anzufassen wage, weil es so schwarz ist vom Schmutz unzähliger Hände. Ich habe auf dem Schachbrett einen Bauern gesetzt und weiß nicht, was dieser Zug mir einbringen wird. Ich habe mir drei Feinde gemacht: Raimondo Orsini, Lodovico Orsini und – sowie meine Anstellung bei dem Fürsten bekannt würde – auch Kardinal Montalto. Der Freund wiederum, den ich gewonnen habe, hat offenbar die Absicht, mich zu seinem Werkzeug zu machen.
Man wird sehen. Der Fürst gefällt mir ganz gut, doch ich kenne seine Karriere als Söldner in Venedigs Diensten: er ist halb Pirat, halb Kondottiere. In einem so schwachen Staat, unter einem so willensschwachen Papst muß er glauben, daß ihm alles erlaubt sei. Doch darin wird er sich täuschen.
Seit dem 19. März ißt mein Herr nicht mehr, schläft nicht mehr und geht nicht mehr aus. Er verträumt ganze Stunden auf einem Diwan oder irrt ziellos durch den Palast. Er, der sonst so aktiv ist, spielt nicht mehr und reitet kaum noch aus. Hinzu kommt seine Schenkelverletzung, er hinkt jetzt stärker. Und wenn es ihn noch nach meinen Liebkosungen verlangt, schlägt seine Stimmung gleich danach in Melancholie um, was gar nicht seine Art ist.
Natürlich hat mich zunächst die Eifersucht gequält, doch ich habe es geschafft, sie zu unterdrücken. Ich kenne meinen Platz im Herzen meines Herrn, in seinem Haus und in seinem Land genau. Mein Platz in seinem Herzen ist nicht unbedeutend, ohne daß ich freilich die geringste Chance hätte, eines Tages an die erste Stelle aufzurücken. Mein Platz in seinem Haus ist gering, mein Platz in seinem Land gleich Null; wer würde eine kleine maurische Sklavin, für fünfhundert Dukaten an Bord einer venezianischen Galeere gekauft, auch nur beachten?
Seit dem 19. März habe ich mich bemüht, mich Paolo gegenüber in der weiblichen Kunst der Geduld zu üben. Spürte ich, daß er allein sein wollte, zog ich mich unauffällig zurück. Wollte er in meiner Gegenwart schweigen, sagte ich nicht piep. Suchte er ungerechtfertigt Streit mit mir, hielt ich meine Zunge im Zaume – ich, Aziza, die Wespe! Und wenn er anfing, von der Schönheit seiner Liebsten zu schwärmen, konnte er in meinen großen dunklen Augen nichts als Sympathie lesen.
So ist es mir gelungen – obwohl es mir bisweilen schwerfiel –, seine Vertraute zu bleiben und auch das magere Kätzchen, auf dessen Kopf er seine großen Hände legt, wenn er Lust hat, mich in Besitz zu nehmen.
Am Abend des Tages, an dem er im Laufe einer Unterredung, die er mir haarklein erzählte, Marcello Accoramboni zu seinem Sekretär gemacht hatte, hörte ich verblüfft, wie seinem bisher so schweigsamen Munde eine ununterbrochene Folge von Worten entströmte. Er sei quasi am Ziel! sagte er. Er frohlockte!
Ich traute meinen Ohren nicht, als ich den kindischen Unsinn hörte, den der große Kapitän daherredete.
»Aber Paolo«, sagte ich, als seine Beredsamkeit für einen |114|Moment versiegte, »wenn dein Bericht stimmt, hast du Marcello nicht für deine Sache gewonnen, wie du glaubst. Er hat sich von den Edelleuten deines Hauses distanziert: von Raimondo, von Lodovico und sogar von dir. Er hat sich spöttisch zu seinem falschen Adel bekannt und damit gezeigt, wie wenig er von dem euren hält. Und er hat unterstrichen, welche geringe Bedeutung er deinem Reichtum beimißt, wenn er eine Bezahlung rundweg ablehnt. Du bist ihm verpflichtet, nicht er dir. Du kannst nicht auf ihn zählen, wenn du Vittoria entführen und ihr Geliebter werden willst. Ein Mann, der Recanati erstochen hat, weil der ein Wort zuviel über seine Zwillingsschwester gesagt hat, wie sollte er dir dabei helfen, sie zur Ehebrecherin zu machen?«
Die blauen Augen meines Herrn wurden dunkler noch als die Klinge seines Degens, und er schrie außer sich:
»Fort mit dir, du maurische Ausgeburt der Hölle. Verschwinde und tritt mir nie wieder unter die Augen! Oder ich gebe meinem Majordomus Befehl, dich zu verkaufen!«
Sein Zorn machte mich traurig, die Drohung berührte mich wenig. Meine Geduld, meine Ergebenheit und Liebe haben schon seit langem zwischen meinem Herrn und mir ein starkes Band geknüpft, das er nur mit Schmerzen zerreißen könnte. Im übrigen ist Paolo gerecht. Er hat es zwei Tage später bewiesen.
Er ließ mich durch Folletto rufen, der sich, nachdem er mich in das Zimmer des Fürsten geführt hatte, wie üblich in einen Winkel kauerte, um mit gespitzten Ohren und offenen Augen unsere Spiele zu verfolgen. Diese Gewohnheit war an Bord der venezianischen Galeere entstanden, als ich noch nicht Italienisch sprach und mein Herr die Dienste Follettos als Dolmetscher brauchte. Obwohl mein Italienisch jetzt perfekt ist, blieb es in Montegiordano bei dieser Gewohnheit, ohne daß mein Herr darauf achtete, denn Folletto in seiner Ecke ist mäuschenstill. Wohingegen ich mich in seiner Gegenwart etwas geniere. Denn er hat mir gesagt, er empfinde eine Art bittere Freude bei der Vorstellung, an meiner Statt all die Liebkosungen zu verschenken und zu empfangen, die mich stöhnen ließen.
An dem Tag muß er wohl enttäuscht worden sein: wir redeten nur miteinander.
»Aziza, meine Wespe«, sagte mein Herr und sah mich zärtlich an, »in deinem kleinen Kopf sitzt ein großer Verstand. Was Marcello angeht, hattest du hundertmal recht. Gestern abend |115|habe ich einen langen Brief an Vittoria geschrieben, und als ich mit ihrem Bruder allein war, bat ich ihn, ihr den Brief zu überbringen. Er erbleichte, schleuderte den Umschlag auf den Tisch und sagte mit zusammengebissenen Zähnen: ›Durchlaucht, Ihr beleidigt mich. Haltet Ihr mich für einen Mann, der seine Schwester verkuppelt?‹ Seine Augen blitzten, und er zog seinen Degen.«
»Gegen dich! In deinem eigenen Haus! Was hast du da gemacht?«
»Ich habe ebenfalls blankgezogen.«
»Ach, Herr, da hast du dir etwas vergeben. Du, ein Fürst! Und er nicht einmal von Adel!«
»Ja«, gab Paolo zu. »Doch in diesem Moment war er so schön und Vittoria so ähnlich! Wie ich voraussah, dauerte das Duell nur ein oder zwei Minuten; ich verletzte ihn am Arm und rief meinen Bader zum Verbinden. Ich war verblüfft und bewunderte, mit welcher Kühnheit er meinen Degen parierte. Als der Bader gegangen war, nahm ich meinen Brief wieder auf und hielt ihn ihm mit den Worten hin:
›Meine Absichten gegenüber Vittoria sind ehrenhaft, aber zunächst muß ich mich ihrer Gefühle versichern.‹ Marcello war bleich, er hatte mehr Blut verloren, als ich wollte, aber seine schwarzen Augen blickten immer noch so wild. Er sah mich lange an und sagte dann: ›Wenn Eure Absichten wirklich ehrenhaft sind, stehe ich Euch zur Verfügung, vorausgesetzt, Vittoria erwidert Eure Gefühle.‹ Mit diesen Worten ergriff er den Brief und ging.«
Als Paolo seinen Bericht beendet hatte, schwieg ich so lange, daß er schon ungeduldig wurde.
»Na, und was denkst du, meine Wespe?«
»Was ich denke? Daß du Vittoria versprochen hast, sie zur Herzogin zu machen, und daß sie verheiratet ist.«
»Das weiß ich. Was noch?«
»Daß Francesco Peretti der Sohn eines großen Kardinals und Günstling des regierenden Papstes ist. Schließlich denke ich, daß du einen sehr gefährlichen Weg einschlägst, wenn du wirklich vorhast, was ich vermute.«
»Auch das weiß ich«, entgegnete er schroff.
Damit erhob er sich von seinem Lager, nackt wie er war, und fing an, wie ein Tiger im Käfig hin und her zu laufen.
Nach dem 19. März war ich aus mehreren Gründen zwei Wochen lang sehr unglücklich. Zunächst schenkte Vittoria mir nicht mehr wie sonst ihr Vertrauen, was mich sehr beunruhigte, mußte ich doch befürchten, sie habe von den Berichten erfahren, die ich dem Kardinal durch Vermittlung von Pfarrer Racasi zukommen ließ. Da aber meine Berichte seit ebendiesem 19. März inhaltlos geworden waren, beruhigte ich mich allmählich und zog den Schluß, Vittoria hege Gedanken, die man niemandem, nicht einmal einer anderen Frau anvertrauen kann, auch nicht dem Beichtvater. Ich selbst sage Pfarrer Racasi längst nicht alles.
Dann wurde der alte Wächter des Palazzo Rusticucci, der den Wein und die Frauen liebte und bei dem ein hübsches Mädchen alles erreichen konnte, wenn sie sich gewisse kleine Vertraulichkeiten gefallen ließ, durch einen finsteren Sbirren ersetzt, der aufs genaueste die Anweisung befolgte, niemanden hinauszulassen, weder Mann noch Frau, ausgenommen Marcello und il mancino.
Das bedrückte mich um so mehr, als ich nicht einmal meine Liebhaber besuchen konnte – Raimondo Orsini und Silla Savelli, die zu zweit ein Zimmer in der Nähe des Palazzo Rusticucci gemietet hatten, um mich dort zu empfangen, mal der eine, mal der andere, mal beide zusammen: was mir am liebsten ist. Ich schäme mich sehr, das zu gestehen, denn ich fürchte, man könnte deswegen schlecht von mir denken. Aber kann ich was gegen meine Natur? Wenn ich Pfarrer Racasi sage, es sei nicht meine Schuld, daß ich so beschaffen bin, antwortet er mir, der Fehler liege in mir und ich müsse zu Gott beten, daß er mich ändere. Dann bete ich und bete, und nach ein paar Minuten denke ich überhaupt nicht mehr an das, was meine Lippen sprechen, sondern an Raimondo und Silla.
Nach dem 19. März habe ich, wie alle hier, in völliger Zurückgezogenheit gelebt und in bitterer Keuschheit, so daß ich mich fragte, ob ich nicht wie Giulietta meine Formen verlieren und austrocknen würde.
Zwei trübselige lange Wochen verstrichen, da überbrachte mir il mancino eines Abends einen Brief von Raimondo. Darin schlug er mir vor, mich im Palazzo Rusticucci zu besuchen, |117|und er verlangte einen Plan des Hauses, damit er den Weg fände. Ehrlich gesagt, ich wußte zunächst nicht, was ich antworten sollte. Das Unternehmen schien mir sehr riskant. Doch ich war so ausgehungert nach Raimondos Umarmungen, daß ich nicht mehr schlafen konnte und bereit war, ihm zu gehorchen, als mich Marcello beim Lauschen an Vittorias Tür ertappte, mir zwei Ohrfeigen gab, die einen Ochsen hätten zur Strecke bringen können, und mich nahm. Seit ich in Signora Vittorias Diensten stand, hatte ich so oft von ihm geträumt, daß ich nach wenigen Sekunden in seinen Armen den Gipfel des Glücks erreichte. Ich war im siebenten Himmel! Mir wuchsen Flügel!
Ich beichtete Marcello meine Berichte an den Kardinal und zeigte ihm Raimondos Brief.
»Du bist dumm wie der Mond, liebe Caterina«, meinte Marcello. »Es wurde höchste Zeit, daß ich mich um dich kümmere. Glaubst du wirklich, daß Raimondo einen Plan des Palazzo für ein Stelldichein mit dir wollte?«
Er lachte.
»Wenn du einverstanden bist, lasse ich diesen Brief durch deinen Bruder mündlich beantworten.«
Ich stimmte zu. Marcello braucht mich nur anzusehen, und ich sage zu allem ja.
Was er Raimondo ausrichten ließ, ist mir nicht bekannt, doch es muß wenig freundlich gewesen sein, denn mein Bruder brachte mir zwei Tage später ein wütendes »Liebesbriefchen« meines ehemaligen Galans:
»Caterina, Du bist wirklich die nichtswürdigste Dirne, die je auf der Erde herumgelaufen ist: zwei so wohlgeborenen Edelleuten wie Silla und mir den arroganten Stutzer vorzuziehen, der Dir diese Antwort diktiert hat! Aber warte nur: mit seinem Herzblut soll er mir für diese Beleidigung bezahlen. Und Du, wenn ich Dich nach Deiner Klausur auf der Straße treffe, kannst sicher sein, daß ich mit meinem Dolch Spitze aus Deinen Därmen häkle. Gezüchtigt soll werden, womit Du gesündigt hast, Du elende Hure.
Raimondo«
Dieses Billett versetzte mich in Angst und Schrecken, und sowie ich in Marcellos Zimmer schlüpfen konnte, gab ich es |118|ihm zu lesen, noch bevor ich mich auszog. Er schüttelte ernst den Kopf.
»Caterina, hast du von den beiden Geld und Geschenke angenommen?«
»Nein, nie.«
»Dann haben sie kein Recht, dich ›Hure‹ zu nennen. Hingegen trifft der Ausdruck auf die beiden Edelleute zu, die sich von dem Fürsten Orsini aushalten lassen. Und auch auf mich trifft er zu, denn ich lebe von Margherita Sorghinis Großzügigkeit. Es gibt also drei Männer, die ›Huren‹ sind, und ein ehrliches Mädchen, das seinen Lebensunterhalt durch Arbeit verdient und sein hübsches Hinterteil aus Lust verschenkt, nicht für Geld.«
»Signor Marcello«, sagte ich und neigte den Kopf zur Seite, »findet Ihr mein Hinterteil wirklich hübsch?«
»Es ist perfekt«, antwortete Marcello ernst. »Ich bin sicher, man findet in ganz Rom nicht seinesgleichen. Aber jetzt hör mir zu, Caterina, und beruhige dich. Für mein Herzblut besteht durch ihre Dolche überhaupt keine Gefahr. Wie könnten sie wagen, den Sekretär ihres mächtigen Cousins zu töten? Und daß sie jetzt, wo ihr Glied nicht mehr zugelassen ist, mit ihrem Stilett in deinen Bauch eindringen, träumen sie aus lauter Wut. Wenn sie das wirklich tun wollten, hätten sie nicht diesen Brief verfaßt und unterschrieben, der gegen sie verwandt werden kann.«
Marcello meinte noch, das besagte Billett müsse von Silla und nicht von Raimondo stammen, da letzterer des Lesens und Schreibens unkundig sei. Ich war nun beruhigt und wollte das Gespräch beenden. Also begann ich, mich auszuziehen. Vielleicht bin ich ein bißchen dumm – vor allem in den Augen eines so gebildeten Mannes wie Signor Marcello –, aber eine Eigenschaft kann mir niemand bestreiten: ich weiß immer ganz genau, was ich will.
Drei Tage später – ich bürstete gerade die goldene Haarpracht von Signora Vittoria, die vor ihrem Spiegel saß – erschien Marcello auf leisen Sohlen, das Wams nur lose um die Schultern gelegt. Als er das rutschende Wams auffangen wollte, wurde sein linker Arm in einem blutbefleckten Verband sichtbar. Vittoria, die das im Spiegel sah, schrie erschrocken auf; ich konnte meinen Schrei gerade noch unterdrücken.
»Es ist nichts«, sagte Marcello. »Ein kleiner Unfall. Ich habe mich mit dem Fürsten im Fechten geübt.«
|119|»Laß uns allein, Caterina«, befahl Vittoria.
»Nein, nein«, entgegnete Marcello lebhaft, »sie soll bleiben. Ich habe jetzt volles Vertrauen zu ihr. Sie verdient es.«
Dabei wechselten wir einen Blick im Spiegel. Heiße Wellen überliefen mich vom Kopf bis zu den Füßen. Die Madonna weiß, daß ich für die Signora immer nur Verehrung und Dankbarkeit empfunden habe. Doch wie soll ich meine Gefühle für sie beschreiben, jetzt, da ihr Bruder mich zu seiner Geliebten gemacht hat.
Ich stand hinter Vittoria und bemühte mich, beim Kämmen nicht auf ihr Haar zu treten, das an ihrem Schemel herabfloß, sich auf dem Teppich brach und wie eine lange Schleppe, die ich nun aufwickeln mußte, auf dem Boden ausbreitete. Hinter mir stand Marcello, das Wams um die Schultern gehängt. Seine Nähe erhitzte mir Rücken und Lenden und jagte mir kleine Schauer bis in die Zehenspitzen.
Im Spiegel sah ich, wie Marcello mit der Rechten in der Tasche seines Wamses kramte. Er förderte einen gesiegelten Brief zutage, den er auf den Frisiertisch legte, neben eine Schmuckkassette, die Vittoria vor sich hingestellt hatte, um Stück für Stück ihre Ringe herauszunehmen und mit einem Schwämmchen zu säubern.
»Was ist das?« fragte Vittoria mit tonloser Stimme.
»Ein Brief von einem großen Herrn, der in Euch verliebt ist und Euch demütig bittet, ihn zu lesen«, antwortete Marcello.
Vittoria erbleichte; der Ring, den sie gerade putzte, entglitt ihr. Es war ein in Gold gefaßter großer Cabochon mit einem diamantenen V darauf, ein sehr schönes Schmuckstück, das Vittoria, wie ich bemerkte, nie trug. Nach Giuliettas Meinung, weil Signora Tarquinia ihn ihr geschenkt hatte; ich aber meine, weil sie dieses Geschenk einen Tag vor dem Tode ihres Vaters erhalten hatte.
Der Ring mit dem Initial ihres Vornamens drehte sich zweimal, bevor er neben der flachen Schale mit dem Reinigungsschwämmchen liegen blieb. Vittoria umklammerte den Rand des Frisiertischs so fest, daß ihre Finger weiß wurden. Marcello hinter mir verharrte bewegungslos und schweigend. Im Spiegel sah ich sein Gesicht, darunter meines (denn ich bin einen Kopf kleiner als er), darunter das der sitzenden Vittoria. Als Marcello den gesiegelten Brief vor sie hinlegte, hatte ich mit dem Bürsten |120|aufgehört. Ein oder zwei Sekunden später machte ich weiter, damit es nicht den Anschein hätte, als lauere ich darauf, was Vittoria tun würde: den Brief lesen oder nicht. Allerdings bürstete ich jetzt langsamer und so geräuschlos wie möglich, um ihren leicht keuchenden Atem hören zu können. Sie hatte ihre Augen auf den Brief gesenkt und sah ihn an wie ein Vogel die Schlange. Ihr Gesicht war bleich, aber beherrscht. Soweit ich hören konnte, atmete sie normal. Das einzige Zeichen ihrer Gemütsbewegung war wirklich nur die Kraft, mit der sie sich an den Frisiertisch klammerte.
Ich blickte kurz auf Marcellos Spiegelbild. Wie schön er war! Selbst in dieser Situation fiel es mir auf, und ich war hingerissen. Er sah zu Vittoria. Sein Gesicht war undurchdringlich. Doch ich kannte ihn zu gut und wußte, daß ihm genauso beklommen zumute war wie seiner Schwester: seine Unterlippe verzog sich ein wenig, was bei ihm ein Zeichen innerer Erregung war.
Mir kam die Zeit, die Vittoria für ihren Entschluß brauchte, sehr lang vor; als ich allerdings später daran zurückdachte, begriff ich, daß es nur wenige Sekunden gewesen sein können.
Ich will freiheraus sagen, was ich empfand, als die Signora endlich den Brief aufnahm, mit zitternden Händen das Wachssiegel erbrach, den Brief las und noch ein zweites Mal las. Ich empfand Kummer und Enttäuschung. Ich weiß sehr wohl, daß ich eine unverbesserliche Herumtreiberin bin und alle zehn Finger brauche, um meine verflossenen Liebhaber aufzuzählen. Aber ich bin nicht vor dem Altar getraut und daher wenigstens keine Ehebrecherin. Sie hingegen, meine ich, hat schon in diesem Augenblick Signor Peretti betrogen, da sie sehr wohl wußte, was in dem Brief stehen würde.
Beim Lesen machte Vittoria eine ärgerliche Kopfbewegung, weil das Bürsten sie störte; ich hörte auf und verharrte mit erhobener Bürste. Sogar meinen Atem hielt ich an. Ich warf einen Blick in den Spiegel: Marcello hatte sich entfernt, als würde ihn das alles nicht interessieren. Ich sah ihn undeutlich im Halbschatten des Zimmers, denn nur der Frisiertisch war beleuchtet. Dann blickte ich auf Vittoria, die sich bemühte, unbeteiligt zu erscheinen. Und doch überzog sich ihr Gesicht mit einer leichter Röte.
Nachdem sie den Brief zum zweiten Mal gelesen hatte, hielt |121|sie ihn an eine Kerze und brannte ihn an. Mit der anderen Hand nahm sie das Schwämmchen aus der Schale, legte den Brief hinein und sah zu, wie er zu Asche wurde. Im Spiegel sah ich, daß Marcello sich wieder zu uns gesellte, allerdings nicht mehr hinter mir stehenblieb, sondern sich zur Rechten von Vittoria mit der Hüfte an den Frisiertisch lehnte.
»Welche Antwort soll ich dem hohen Herrn überbringen?« fragte er unbeteiligt.
»Es gibt keine Antwort«, sagte Vittoria hochmütig. Die Signora versuchte wohl, beide Partien zu gewinnen. Sie hatte sich das Vergnügen gegönnt, einen Liebesbrief des Mannes zu lesen, den sie liebte. Und nun gönnte sie sich das Vergnügen, die tugendsame Ehefrau zu spielen. Ich bin da weniger kompliziert: wenn ich beschlossen habe, etwas Schlechtes zu tun, stehe ich auch dazu. Ich versuche nicht, mit der einen Hand nach der Sünde zu greifen und mich mit der anderen an der Tugend festzuhalten.
Marcello lachte spöttisch und sagte:
»Also gut, Vittoria, ich wünsche Euch eine gute Nacht und schöne Träume.«
Dabei beugte er sich vor, ohne sie zu berühren oder zu küssen, und stützte sich mit dem rechten Arm auf den Tisch, die Hand zwischen dem Schwämmchen und dem Ring mit dem V. Als er sich wieder aufrichtete, war der Ring verschwunden. Das war so geschickt gemacht, daß ich meinen Augen nicht trauen wollte.
Im Hinausgehen streifte er mich leicht mit der Hand, was bedeutete, er wolle mich nach meinem Dienst bei sich sehen. Ich bebte am ganzen Körper, und eine unbeschreibliche Welle der Wollust überflutete mich. Vielleicht klingt das dumm, was ich da sage, aber ich habe es wirklich so empfunden.
Ich verlor aber nicht den Kopf, und da ich fürchtete, von Vittoria des Diebstahls verdächtigt zu werden, sagte ich:
»Signora, der Signor Marcello hat Euern Ring mit dem diamantenen V genommen.«
»Ja«, entgegnete sie zerstreut, »ich weiß, ich habe es gesehen. Er kann ihn behalten. Das ist eine Manie bei ihm. Schon als kleiner Junge hat er mir meine Puppen stibitzt.«
Und sie fuhr fort:
»Laß mich, Caterina, ich bin müde und muß schlafen.« Ich |122|verbeugte mich und ging. Sie mußte überhaupt nicht schlafen. Sie mußte allein sein, um ihren Gedanken nachhängen zu können. Da war sie nun so eine große Dame, aber ich war glücklicher dran als sie: mein Liebhaber war nur wenige Schritte entfernt und gottlob kein Traumgebilde.
Mich bekümmerte ein Gedanke, den ich sofort beim Betreten von Marcellos Zimmer loswerden mußte.
»Signor Marcello, muß ich die Begebenheit Pfarrer Racasi erzählen?«
»Du erzählst, daß ich Vittoria einen Brief gebracht habe, daß sie ihn verbrannt und gesagt hat: ›Es gibt keine Antwort.‹«
»Sie hat ihn also nicht gelesen?«
»Nein.«
»Verzeiht, Signor Marcello, aber so etwas nennt Pfarrer Racasi eine Unterlassungssünde.«
»Hast du ihm den Namen deines Liebhabers genannt?«
»Nein.«
»Das ist auch eine Unterlassungssünde. Das macht schon zwei.«
Warum es mir leichter schien, zwei solcher Sünden auf dem Gewissen zu haben statt einer, weiß ich nicht.
Marcello Accoramboni:
Ich brauchte zwei Stunden, um mich aus der Umschlingung meines kleinen Kraken zu lösen. Obwohl Caterina nichts anderes als ein Krake ist, gefällt sie mir sehr. Sie würzt das Liebesspiel mit einer naiven Fröhlichkeit, die Margherita abgeht. Es stimmt nicht, daß Caterina »dumm wie der Mond« ist. Unsere italienische Redensart ist dumm: wir halten den Mond für dumm, weil er als Vollmond ein naives rundes Gesicht zeigt. Doch Caterina ist nicht dumm, die vielen Liebesszenen beweisen es, zu denen sie in der schönen Jahreszeit allein durch ihre Anwesenheit ermuntert.
In Wirklichkeit ist das Mädchen ziemlich schlau. Aber wie soll ich es sagen? ihre Schlauheit ist begrenzt. Il mancino hat es sehr richtig beobachtet: ihr Horizont reicht nicht weiter als bis zu den Spitzen ihrer Brüste. In der Zeit ihrer »bitteren Keuschheit« hat sie sich so sehr nach Raimondos Umarmungen gesehnt, |123|daß ihr nicht einen Moment der Gedanke gekommen ist, der Plan des Palazzo, den er verlangte, solle zu Vittorias Entführung dienen.
Seitdem Caterina gegangen ist, haben sich meine Gedanken ernsteren Dingen zugewendet. Meine Kerze habe ich noch nicht gelöscht, ich liege auf dem Bett und drehe den bei Vittoria gestohlenen Ring am kleinen Finger. »Gestohlen« ist ein großes Wort. Ich bin überzeugt, daß sie ihn niemals getragen hat, nicht – wie Giulietta behauptet – weil er ein Geschenk ihrer Mutter ist, sondern viel einfacher: weil er, ein Beweis für Tarquinias angeborenen schlechten Geschmack, von unaussprechlicher Häßlichkeit ist. Der Ring fügt sich aber wegen seines mit Diamanten besetzten V gut in meine Pläne.
Ich muß jetzt nicht über eine mögliche Entscheidung nachdenken. Die ist bereits getroffen. Doch ich versuche, die Gründe zu verstehen, die mich zu dieser Entscheidung bewogen haben. Eine gewaltige Aufgabe! Ich habe es schon oft beobachtet: in einer durch Leidenschaften bestimmten Situation ist es schwierig, zu wissen, was man denkt; schwieriger noch ist es zu wissen, was man fühlt, und am schwierigsten, zu wissen, was man will. Im vorliegenden Fall betrifft dieses Wissen nicht mich, sondern Vittoria, mein anderes Ich.
Dank unserer Wesensgleichheit habe ich auf Grund bestimmter Anzeichen immer gewußt, was in Vittorias Herzen vorgeht. Am 19. März hat Vittoria die uns verbindende Brücke abgebrochen, und nur durch Caterina, die zwar eine Dienerin, jedoch die Hauptzeugin ist, habe ich erfahren, was sie bewegte. Von dem Moment an mußte ich die Beobachtung durch Intuition ersetzen, denn es wurde außerordentlich wichtig für mich, zu wissen, was Vittoria fühlte und was sie wollte, obwohl sie selbst alles daransetzte, um nichts zu sehen und nichts zu wissen.
In dieser Hinsicht hat mir der Auftritt in ihrem Zimmer volle Klarheit verschafft. Als ich »den Brief von einem großen Herrn, der in Euch verliebt ist« vor Vittoria hinlegte – an sich schon eine Beleidigung, zumal wenn sich ein Bruder dafür hergibt –, hätte sie, ohne das geringste Zögern und ohne den gesiegelten Brief auch nur zu berühren, mich mit letzter Verachtung auffordern müssen, das infame Schreiben wieder an mich zu nehmen und an den Absender zurückzubefördern. Nichts |124|dergleichen geschah. Sie zögerte. Dieses Zögern war ihre Art, das eigene Gewissen zu schonen. Aber das Ergebnis beseitigte jeden Zweifel.
Sie hat den Brief geöffnet. Weder Neugier noch Freude an Komplimenten hatten etwas mit diesem Entschluß zu tun. Vittoria, die von aller Welt verehrt wird, steht über solchen kleinlichen Eitelkeiten. Sie hat den Brief geöffnet, weil sie den Fürsten liebt, weil sie sich danach sehnt, ihm anzugehören, und weil sie seinem Ruf nicht widerstehen konnte. In dem Moment, da ihre schönen Hände – und wie sehr zitterten sie dabei! – das Wachssiegel erbrachen und sie zu lesen begann, noch dazu vor zwei Zeugen, hat sie Peretti verraten.
Nach der Lektüre verbrennt sie, was sie mit Verehrung gelesen hat, und sagt hochmütig: »Es gibt keine Antwort!« Was für eine Komödie! Nicht einmal Caterina, deren Blicke sich in jenem Augenblick mit meinen im Spiegel trafen, hat ihr das abgenommen. Nein, Vittoria! es gibt eine Antwort, eine ganz eindeutige Antwort auf diesen Brief: die Tatsache, daß du ihn gelesen hast.
Vielleicht ist diese Antwort für den Fürsten nicht so eindeutig wie für mich. Deswegen werde ich ihm morgen auf die Sprünge helfen. Ich will gleich sagen wie.
Ich übersehe indes nicht, daß wir bis zu dem vermutlichen Ziel durch sehr viel Blut und Dreck werden gehen müssen. Wäre Peretti nicht unglücklicherweise der Sohn eines Kardinals und wäre Fürst Orsini ein Freund Gregors XIII., dann wäre es für den Pontifex maximus ein leichtes, durch ein precetto1 die Ehe von Vittoria mit Peretti unwiderruflich zu annullieren. Wie viele Male hat nicht der regierende Papst – aus anderen als Glaubensgründen – zu diesem tadelnswerten Verfahren gegriffen und fand sich der unglückliche Gegner, den er durch solche Willkür in die Knie zwingen wollte, von einem Tag zum anderen geschieden von seiner legitimen Ehefrau, die an seiner Seite nun im Stande der Todsünde lebte und folglich aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen war? Aber wie gesagt, dieser Ausweg ist unmöglich. Alles, was geschehen soll, wird sich gegen den Papst und gegen Montalto richten müssen. Das heißt: gegen die weltliche und geistliche Macht Roms.
|125|Ein erschreckendes Unterfangen, das aber für mich, während ich im Kerzenlicht Vittorias Ring am kleinen Finger drehte, etwas Berauschendes hatte. Ich, der Taugenichts, der Schnapphahn, der Mörder Recanatis, der Zuhälter der Sorghini, ich fühlte, daß diese winzig kleine Schützenhilfe, die ich bei dem Ereignis geben wollte – einzig und allein mit dem Ziel, Vittoria glücklich werden zu lassen –, den Staat ins Wanken bringen würde.
Am nächsten Tag fand ich mich zur gewohnten Stunde in Montegiordano ein. Der Majordomus führte mich sogleich in die Privatgemächer des Fürsten und erzählte mir im Vertrauen, sein Herr sei sehr zeitig mit kleinem Gefolge in die Römische Campagna ausgeritten. Ich begriff, daß sich Orsini durch diesen Spazierritt über seine Ungeduld, welche Nachrichten ich ihm diesen Morgen bringen würde, hinweghelfen wollte. So kam es, daß er, statt auf mich zu warten, lieber mich warten ließ: eine der kleinen politischen Listen, durch welche die Großen dieser Welt uns weismachen wollen, sie seien wirklich so groß, wie sie behaupten.
Ich trat an ein sonnenbeschienenes Fenster, das auf den großen Hof von Montegiordano ging, wo in erstaunlicher Unordnung jener große Haufe kampierte – Verbannte, Vertriebene, Flüchtlinge aus den päpstlichen Kerkern, von der Corte verfolgte Briganten –, dem Orsini Asyl gewährte und Obdach und Verpflegung gab, um seine Macht gegenüber dem Papst zu untermauern.
Plötzlich wurde das große Tor geöffnet, und der Fürst galoppierte an der Spitze seines Gefolges in den gewölbten Gang, der in den Hof mündete; ohne sein Pferd zu zügeln, sprengte Orsini über den Hof, wobei die Menge in unbeschreiblichem Gedränge nach beiden Seiten vor ihm zurückwich und ihm zujauchzte wie einem in sein Reich heimkehrenden König. Der Fürst saß am Fuße des Turmes ab, von dessen Höhe aus ich ihn beobachtete, und ich hörte, wie er mit seinem schweren, energischen Schritt die Steintreppe zu seinen Gemächern emporhinkte. Ein Page riß eilfertig die Tür vor ihm auf, und er kam auf mich zu in seinem ausgreifenden Gang und mit dieser typischen Schulterbewegung, die immer so wirkte, als wolle er damit sein aggressives Voranstürmen noch beschleunigen. Sein Römerkopf, dessen rotblonde Locken ihm das Aussehen einer |126|lebenden Statue verliehen, war von der Sonne beschienen, die durch das Fenster einfiel, vor dem ich unbeweglich stand. Er heftete seine blauen Augen auf mich und fragte, noch ganz atemlos von seinem Ritt:
»Und?«
Wortlos zog ich Vittorias Ring aus dem Wams und hielt ihn ihm hin. Er nahm ihn erstaunt, drehte ihn hin und her, bis er endlich das diamantene V entdeckte; da erbleichte er so sehr, daß ich fürchtete, er würde in Ohnmacht fallen, und blieb stumm mit halboffenem Mund, nur seine Augen funkelten von dem Glücksgefühl, das ihn durchströmte. Als ich merkte, daß er seine Frage nicht artikulieren konnte, weil ihm die Stimme nicht gehorchte, wiederholte ich, was Vittoria gesagt hatte, wobei ich nur ein Wort ergänzte:
»Durchlaucht, es gibt keine andere Antwort.«