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Es prasselte auf die Gerade vor den Starttoren.

Geschützt vor dem strömenden Regen, warteten neunzehn Hovercars mit summenden Magnetodrives in ihren Toren. Die Piloten und Navigatoren saßen startklar in den Cockpits. (Aufgrund technischer Probleme fehlten sechs Schüler beim Rennen.)

Die Starttore der Rennschule ähnelten denen, die bei römischen Wagenrennen verwendet worden waren: In einem breiten, halbkreisförmigen Gebilde befanden sich dreißig bogenförmige Öffnungen, die auf die breite Gerade mündeten. In jedem Torbogen stand ein Wagen, und auf das Signal des Rennleiters hin würden vor ihnen die Stahlgitter aufspringen und die Bahn freimachen.

Klang!

Die Gitter sprangen auf, und die neunzehn Wagen der Schüler der Internationalen Rennschule schössen wie die Pferde beim Melbourne Cup aus ihren Torbögen und begannen das fünfzigste und letzte Rennen der Saison.

Die Nase im strömenden Regen, jagten die Hovercars über den Indopazifischen Ozean, dem Südende der Welt entgegen.

Barnaby Becker übernahm sofort die Führung - dicht gefolgt von Xavier.

Das war ungewöhnlich.

Bei den vorherigen Rennen hatte sich Xavier Barnaby auf den Geraden stets überlegen gezeigt, während er sich jetzt damit begnügte, hinter seinem Stallkameraden herzufahren ... als wäre er ganz froh, nur drei Viertel der Höchstgeschwindigkeit vorlegen zu müssen.

Jason begriff sofort, was das bedeutete.

Xavier schirmte Barnaby ab, gab seinem Stallkameraden Rückendeckung.

Da er selbst keine Punkte mehr brauchte, wollte Xavier sicherstellen, dass Barnaby das Rennen gewann - dass er unter die ersten vier kam und auf diese Weise verhinderte, dass Jason nach New York reiste.

Gleich darauf aber sah Jason sich mit einem viel drängenderen Problem konfrontiert. Denn in diesem Moment - während sie dicht über die regengepeitschten Wogen des Indopazifischen Ozeans dahinjagten - wurde der Argonaut von anderen Fahrern angegriffen.

Joaquin Cortez schoss von rechts heran und zielte unmittelbar auf Jasons Heckflügel! Der Zusammenprall hätte sie beide aus dem Rennen geworfen, doch Cortez - der sich keine Hoffnungen mehr auf einen Platz unter den ersten vier machte - war das anscheinend egal. Jason tauchte unter ihm durch, fuhr einen flachen Bogen, wich dem Zusammenprall aus -

- als ihn Horatio Wong von der anderen Seite rammte und gegen den linken Flügel des Argonaut prallte, worauf er seinen Wagen vor Jason hochzog. Anders als Cortez machte Wong sich noch immer Hoffnung auf einen der ersten vier Plätze und wollte seine Chancen noch nicht gefährden.

»Jason!«, tönte Sallys Stimme aus dem Kopfhörer. »Was zum Teufel geht da vor?«

»Cortez versucht uns mit Kamikazeangriffen aus dem Rennen zu werfen!«

»Was willst du dagegen tun?«

»Uns bleibt nichts anderes übrig, als ihn abzuhängen.«

Als sie sich auf halber Strecke entlang der Südgeraden den beiden Eisbergen näherten - genannt die Schikane -, gab Jason Vollgas und setzte sich vor Cortez und hinter Barnaby (1), Xavier (2), Varishna Krishna (3), Isaiah Washington (4), Ariel (5) und Wong (6) an die siebte Position; allerdings saß ihm Joaquin Cortez dicht im Nacken und suchte nach einer Gelegenheit, ihn auszuschalten. Dann hatten sie die Eisberge erreicht.

Am liebsten hätte Jason das Schauspiel der gewaltigen Eisberge ausgiebig genossen, doch dafür hatte er jetzt keine Zeit. Er steuerte den Argonaut zwischen die weißen Monolithe und folgte dem von Entmagnetisierungslichtern markierten Kurs.

In diesem frühen Stadium des Rennens nahmen alle die Standardroute.

Jason aber wusste genau, dass sich das im Laufe des Rennens, wenn die Lage brenzliger wurde, ändern würde.

Nach drei Runden kam es zu den ersten Ausfällen.

Zunächst ging alles ganz unauffällig vonstatten. Schlechtere Fahrer bauten auf dem engen Überlandkurs einen Unfall oder schieden aufgrund technischer Probleme aus. Barnaby führte weiterhin, gefolgt von Xavier, der ihm in zweiter Position Rückendeckung gab.

Dann kamen Krishna, Washington, Ariel und Wong.

Gefolgt von Jason und Cortez.

Doch je mehr Fahrer ausschieden, desto brenzliger wurde es.

 

 

50. Rennen 

Runde: 35 von 51 

Fahrer im Rennen: 8

  

In der 35. Runde war Jason noch immer Siebter - Zweitletzter.

Allmählich begann er sich Sorgen zu machen.

Bei diesem Rennen kam es vor allem darauf an, Barnaby zu schlagen, doch der fuhr derzeit weit vorn an 1. Position und wurde von Xavier gedeckt, während Jason weit hinten auf dem 7. Platz lag - dabei waren nur noch acht Fahrer im Rennen, und fünf davon lagen zwischen ihm und Barnaby.

Unmittelbar vor Jason fuhr Horatio Wong an 6. und hinter ihm Joaquin Cortez an 8. Position.

Cortez setzte Jason noch immer zu, besonders auf den Eisbergabschnitten des Kurses - er versuchte, den Heckflügel des Argonaut abzurasieren, indem er die Kurven schnitt, ausgesprochen waghalsige Manöver.

Schließlich war Cortez' Entschlossenheit, Jason auszuschalten, auch sein Verderben. Irgendwann nahm Jason zwischen den Eisbergen eine Kurve etwas zu weit, sodass Cortez freie Bahn auf den entblößten Heckflügel hatte. Cortez packte die Gelegenheit beim Schopf, ohne zu merken, dass es keine günstige Gelegenheit war, sondern eine Falle.

Denn auf einmal schwenkte Jason in die andere Richtung, sodass Cortez seitlich den Eisberg rammte.

Ausstieg mit dem Schleudersitz. Explosion.

Cortez' Wagen war Geschichte, und der mexikanische Fahrer und dessen Navigator schwebten an Fallschirmen aufs Wasser nieder. Während Jason ein paar Minuten später seine Runde beendete, war Cortez ausgeschieden.

Jetzt aber fuhr Jason auf dem letzten Platz - während Horatio Wong vor ihm hin- und herwedelte.

Jason hatte drei Runden Zeit, Wong zu überholen.

Runde 37 - nichts zu machen.

Runde 38 - Jason flog die ganze Runde über einen Meter hinter Wongs Heckflügel her, doch sosehr er sich auch bemühte, er kam einfach nicht an ihm vorbei.

Allmählich geriet er in Panik. Ihm lief die Zeit davon.

Erneut preschte er durch Hobart hindurch und begann Runde 39 in dem Bewusstsein, dass dies seine letzte sein könnte.

Als er die Gerade auf dem Indopazifischen Ozean entlang schoss und Wongs hin- und herschwenkenden Heckflügel beäugte, fasste er einen Entschluss.

»Bug«, sagte er. »Entweder wir überholen den Mistkerl in dieser Runde oder wir sind draußen! Dann ist Schluss mit diesem Rennen, Schluss mit dem Kampf um die Teilnahme an der New Yorker Challenge, Schluss mit allem. Ich bin dafür, zwischen den Kollidierenden Eisbergen hindurchzufahren. Was meinst du?«

Der Bug antwortete augenblicklich ... und entschieden.

»Ich fasse das als Ja auf«, sagte Jason.

Die führenden Fahrer, darunter auch Wong, nahmen alle die Standardroute und rasten in den Eisbergabschnitt des Kurses hinein.

Als Wong nach rechts auf die reguläre Route einschwenkte, steuerte Jason unvermittelt nach links zwischen ein paar kleineren Eisbergen hindurch und hielt auf die beiden Kollidierenden Eisberge zu.

Sie waren gigantisch.

Die rauen Meereswogen und der Unterwassermechanismus ließen die beiden riesigen Eisberge immer wieder gegeneinanderschlagen wie zwei überdimensionale Schlagzeugbecken.

Aufgrund der gewaltigen Ausmaße der Eisberge - jeder war über 100 Meter lang - musste man schon höllisch auf die Tube drücken, um da heil hindurchzugelangen. Jason gab Vollgas.

In dem Moment, als die beiden Eisberge den größten Abstand zueinander hatten, jagte der Argonaut mit brüllenden Triebwerken in die schattige Schlucht hinein.

Dann rückten die Eisberge wieder zusammen.

Der Argonaut raste dahin -

Die Schlucht wurde schmaler, die hoch aufragenden weißen Wände rückten näher - Der Bug schrie auf -

Und Jason legte den Argonaut auf die Seite, während die Wände sich fast berührten, dann stießen die beiden Eisberge mit einem ohrenbetäubenden Krachen gerade in dem Moment zusammen, als der kleine Argonaut zwischen ihnen hervorschoss. Hinter ihm stürzten hausgroße Eisbrocken ins Wasser.

»Yippie!«, brüllte Jason, dem das Blut durch die Adern pulsierte, als er wieder auf den regulären Kurs einschwenkte ... drei Wagenlängen vor Wong!

An 6. Position.

Wong machte große Augen. Er konnte es einfach nicht fassen - Jason lag auf einmal vor ihm!

»Okay ...«, sagte Jason, die Augen fokussiert wie ein Laser. »Wird allmählich Zeit, dich aus dem Rennen zu werfen.«

Und das tat er auch.

Egal was Wong auch unternahm, Jason wehrte ihn ab, und als die 39. Runde endete, lag Wong an 7. Position, auf dem letzten Platz.

Und schied aus dem Rennen aus.

 

 

5Q. Rennen 

Runde: 40 von 51 

Fahrer im Rennen: 6

  

 

In Runde 40 sah die Reihenfolge folgendermaßen aus: Erster: Barnaby. Zweiter: Xavier. Dritter: Krishna. Vierte: Ariel.

Fünfter: Isaiah Washington. Sechster: Jason.

Wie bei einem so wichtigen Rennen nicht anders zu erwarten, lag das Feld extrem dicht beieinander - obwohl Jason den letzten Platz einnahm, flog er doch in Sichtweite der anderen Wagen.

Dann fuhren zum Ende der 41. Runde alle in die Boxen.

Jason schwenkte in die Boxengasse ein, wo bereits hektische Betriebsamkeit herrschte. Bei einem so langen Rennen dauerten die Stopps länger, normalerweise 30 bis 50 Sekunden.

Als Jason anhielt, sauste Barnaby bereits wieder auf die Piste - dicht gefolgt von Krishna und Ariel, jedoch erstaunlicherweise nicht von Xavier Xonora. Aus irgendeinem Grund stand Xavier immer noch in der Box.

Jason hatte seine Box erreicht.

Sally machte sich unverzüglich an die Arbeit und übertraf sich wieder einmal selbst.

Sie legte einen hervorragenden Stopp hin, sodass Jason vor Isaiah Washington startete und mit einem Schlag auf der 5. Position landete.

Er beschleunigte rasant -

- um im nächsten Moment gleich wieder heftig auf die Bremse zu treten.

Ein Wagen blockierte den Ausfahrttunnel, der zurück auf die Piste führte.

Xavier Xonoras Speed Razor.

Er stand mitten im Tunnel - als wäre er bei der Ausfahrt aus der Box einfach stehen geblieben. Xavier zuckte hinterhältig mit den Schultern: »Tut mir leid. Nicht meine Schuld.«

Die Sekunden verstrichen.

Jason schäumte. »Dieser Hurensohn verstellt uns die Ausfahrt!« Es war einfach unglaublich. Während Xavier ihn hier festhielt, fuhr Barnaby dem sicheren Sieg entgegen.

Auf einmal tauchte Isaiah Washington in Jasons Rückspiegel auf und wurde immer größer, doch er bremste anscheinend nicht ab: Wenn er das Tempo beibehielt, würde er Jasons Heckflügel rammen -

Um ihm auszuweichen, manövrierte Jason behutsam um Xaviers Wagen herum. In dem Moment, als er sich an Xavier vorbeischieben wollte, sprang der Speed Razor - Überraschung! - jedoch plötzlich an und schoss vor Jason aus dem Tunnel.

Jason blieb nichts anderes übrig, als ihm fluchend hinter-herzujagen, noch immer vor Washington an 5. Position, jedoch weit hinter Barnaby Becker.

Jason preschte durch den strömenden Regen.

Er war jetzt Zweitletzter und vorerst nicht vom Ausschluss bedroht, hatte jedoch den Heckflügel des schwarzen Speed Razor unmittelbar vor sich. Und ihn beschlich das ungute Gefühl, dass Xavier ihm das Überholen nicht leicht machen würde.

Zum Ende der nächsten Runde, der 42., schied Isaiah Washington aus.

Noch fünf Fahrer im Rennen. Neun Runden bis ins Ziel.

Noch ein Ausschluss vor dem Sechs-Runden-Sprint.

Die Reihenfolge sah folgendermaßen aus:

Erster: Barnaby Becker Zweiter: Varishna Krishna.

Dritte: Ariel Piper Vierter: Xavier.

Fünfter: Jason.

Auf einmal war Jason wieder Letzter - nur dass die Lage diesmal besonders brenzlig war: Barnaby lag weit vorn, und unmittelbar vor Jason fuhr Xavier, Barnabys Teamkollege.

So begann die 43. Runde, und Jason schluckte heftig, als ihm der Ernst der Lage klar wurde: Entweder er schaffte es, am besten Fahrer der Rennschule - vielleicht dem besten Fahrer, der je die Rennschule besucht hatte - vorbeizukommen, oder er schied aus.

 

 

50. Rennen 

Runde: 43 von 51 

Fahrer im Rennen: 5

  

Der Speed Razor und der Argonaut.

Die sich beide mächtig ins Zeug legten.

Jason bot gegen den Schwarzen Prinzen alles auf, was er zu bieten hatte, doch sosehr er sich auch bemühte, am Speed Razor kam er nicht vorbei.

Xavier war einfach zu gut.

Er ließ Jason nicht vorbei.

In Runde 43 jagte Jason erneut todesmutig zwischen den Kollidierenden Eisbergen hindurch - genau wie zuvor im Zweikampf mit Wong -, doch zu seinem Entsetzen baute Xavier seinen Vorsprung weiter aus, indem er einfach auf der Standardroute blieb!

Das kann nicht sein!, dachte Jason. Wenn er auf dem Kurs um die Kollidierenden Eisberge herum schneller ist als ich, dann ist kein Kraut gegen ihn gewachsen ...

Den Rest der Runde über wehrte Xavier ihn mühelos ab und ahnte auf dem engen Landabschnitt alle Überholmanöver Jasons voraus.

Runde 44: noch immer kein Glück. Xavier hatte anscheinend seinen Spaß dabei; er blockierte Jason und machte es ihm auf diese Weise unmöglich, Barnaby zu schlagen. Und dann nahmen sie die 45. Runde in Angriff.

Jasons letzte Chance.

Der Speed Razor und der Argonaut preschten die Meeres gerade entlang, rasten im Zickzack durch die Schikane - und auf einmal machte der Bug einen Vorschlag.

»Das ist nicht dein Ernst!«, meinte Sally über Funk.

Und ob, sagte der Bug.

»Aber das ist Wahnsinn, Bug! Sogar nach deinen Maßstäben!«, erwiderte Sally. »Das haut niemals hin!«

Jason aber gefiel der Plan. »Eine hübsche Idee, Bug. In deinem Herzen warst du schon immer ein wahrer Draufgänger. Halt deinen Hut fest, kleiner Bruder, denn jetzt wird's haarig ... «

Sie erreichten den Eisbergabschnitt -

Xavier wich keinen Zentimeter vom Standardkurs ab -

Während Jason auf die Kollidierenden Berge zufuhr -

Und wie zuvor kam Xavier als Erster an der anderen Seite an, obwohl er sich an den regulären Kurs gehalten hatte. Jason aber hatte eine ganze Wagenlänge aufgeholt.

Dann gelangten sie zur zweiten Abzweigung - die zu den anderen beiden Kollidierenden Bergen führte -, und abermals wählte Xavier die sichere Option, Jason jedoch nicht.

Alle, auch Xavier, staunten, als er erneut den Kurs zwischen den Kollidierenden Bergen hindurch wählte -

Und diesmal kam er an der anderen Seite gleich<auf mit Xavier heraus - Gleichzeitig erreichten sie die dritte und letzte Abzweigung ... und wieder wählte Jason den Kurs zwischen den Kollidierenden Bergen hindurch!

Xavier nahm die lange Route -

Jason raste durch die sich unerbittlich verengende Schlucht zwischen den riesigen Eisbergen hindurch -

- und schoss genau in dem Moment am anderen Ende heraus, als sie zusammenprallten, doch diesmal lag er exakt eine Wagenlänge vor Xavier!

Nicht eine, nicht zwei, sondern drei Abkürzungen waren nötig gewesen, um das Unmögliche zu schaffen: Sie hatten Xavier überholt!

Xavier griff an, mobilisierte sein ganzes Können, um ihn wieder zu überholen. Doch jetzt, da er einmal vorn lag, war Jason fest entschlossen, sich die Führung nicht mehr abnehmen zu lassen.

Sie kämpften die ganze Runde über, doch als sie sieben Minuten später die Start-Ziel-Linie erreichten, lag Jason nach wie vor in Führung.

Damit musste als 15. und letzter Fahrer Xavier Xonora ausscheiden.

Jetzt waren nur noch vier Fahrer übrig, die das Rennen auf den verbliebenen sechs Runden unter sich ausmachen würden.

Zunächst aber fuhren sie zum Ende der 48. Runde ein letztes Mal in die Boxen.

Jason wusste, dass dieser Boxenstopp seine letzte Chance war, Barnaby einzuholen - der zu diesem Zeitpunkt 40 Sekunden Vorsprung hatte.

»Sally!«, rief er ins Mikro. »Jetzt bist du gefordert!«

»Ich erwarte euch«, lautete die Antwort.

Jason schlängelte sich durch den Überlandabschnitt des Kurses und sah schließlich Hobart vor sich.

Er jagte in die Stadt hinein und sauste in die Boxengasse -

- wo die übliche Betriebsamkeit herrschte. Mechaniker eilten umher, Boxengreifer hoben und senkten sich, überall leuchteten Lampen.

Drei Fahrer, deren Mechaniker die Wartungsarbeiten bereits zur Hälfte abgeschlossen hatten, waren noch in der Box:

Barnaby.

Krishna.

Ariel.

Und dann, genau in dem Moment, als Jason den Argonaut in die Box lenkte, ertönte von oben auf einmal ein lautes ersterbendes Winseln und mit einem Schlag ...

... erloschen sämtliche Lampen in der Boxengasse!

Die Greifer erstarrten mitten in der Bewegung.

Die Computermonitore wurden schwarz. Alle schauten sich verwirrt um.

Sally, die inzwischen neben dem Argonaut stand, wechselte einen vielsagenden Blick mit Jason.

Sie brauchten es nicht einmal auszusprechen. Stromausfall.

Ein manueller Boxenstopp.

Jason und der Bug sprangen unverzüglich aus dem Cockpit und wechselten die verbrauchten sechs Magnetodrives gegen neue aus, während Sally ebenfalls von Hand Kühlmittel nachfüllte und Druckluftzylinder austauschte.

Die anderen Teams hatten manuelle Boxenstopps anscheinend nicht geübt - jedenfalls nicht alle - und standen einfach nur verwirrt in den Boxen herum.

Barnaby schrie seinen Mechaniker an, bedeutete ihm fluchend, sich zu beeilen.

Krishna gelangte zu dem Schluss, dass er seinem Mechaniker helfen sollte, und sprang ebenfalls aus dem Cockpit.

Ariel tat das Gleiche - und obwohl sie im Unterschied zu Jasons Team manuelle Stopps überhaupt nicht geübt hatte, machte sie ihre Sache von allen anderen drei Fahrern am besten.

Während sie mit einem Akkuschrauber die Magnetodrives anbrachte, rief Ariels Mechanikerin: »Also ehrlich, ich hab keine Ahnung, wie das möglich ist, aber im Computersystem wütet ein übler Virus, der die Firewall zerstört hat! Und plötzlich hat er auf die äußeren Systeme übergegriffen und die Stromversorgung der ganzen Boxengasse zusammenbrechen lassen!«

Die großen Nutznießer des unerwarteten Stromausfalls waren Ariel und Jason.

Obwohl sie als Dritte in die Box gefahren war, schoss Ariel als Erste wieder auf den Kurs hinaus!

Krishna folgte ihr als Zweiter.

Barnaby hatte es am schlimmsten getroffen - vielleicht weil er nicht aus dem Cockpit geklettert war und stattdessen nur seinen Mechaniker beschimpft hatte. Daher kam er als Dritter aus der Box ...

... lediglich eine Wagenlänge vor Jason Chaser.

Alles war wieder offen.

 

 

50. Rennen 

Runde: 50 von 51 

Fahrer im Rennen: 4

  

 

Knapp zwei Runden vor der Zieleinfahrt war Jason dicht an Barnaby Becker dran. Merkwürdigerweise spürte er auf einmal Zuversicht.

Xavier war aus dem Rennen, und Cortez und Wong, die ihn hatten ausschalten wollen, ebenso. Jetzt war Barnaby in Sichtweite.

Zudem kannte Jason Barnabys Schwachpunkt: enge Rechtskurven - und davon gab es jede Menge.

Durch die Schikane hindurch ... hinein in den Eisbergabschnitt.

Jason schloss zu Barnaby auf. Brachte sich hinter ihm in Position.

Die beste Möglichkeit würde sich am Ende der Eisbergpassage bieten, an einer Haarnadelkurve innerhalb eines Tunnels, den man in den letzten Eisberg gegraben hatte.

Sie schlängelten sich zwischen den Eisbergen hindurch, Jason rückte näher und näher an Barnaby heran, türmte sich regelrecht in dessen Rückspiegel auf.

Dann hatten sie den letzten Eisberg erreicht, und sofort wurde Jason aktiv. In der Erwartung, dass Barnaby die Kurve wie gewöhnlich weit außen nehmen würde, lenkte er nach innen ...

... doch Barnaby tat etwas völlig Unerwartetes.

Er nahm die Haarnadelkurve auf der Ideallinie, schnitt Jason ...

... und hielt die Position! Jason war geschockt.

Das hätte nicht passieren dürfen!, schrie es in Jasons Kopf.

Barnaby nahm Haarnadelkurven niemals auf diese Weise -das hatte er auch nicht im letzten Rennen, dem 49., getan.

Vielleicht hat er einfach Glück gehabt, dachte Jason und bereitete sich innerlich darauf vor, Barnaby in einer Haarnadelkurve auf dem Überlandkurs zu überholen.

Doch erneut setzte Barnaby ihn in Erstaunen, indem er auch die folgende Haarnadelkurve perfekt nahm und ihn ein weiteres Mal erfolgreich abwehrte.

»Wie machst du das, Barnaby?«, sagte Jason laut. »Woher weißt du auf einmal ...?«

Er verstummte.

In diesem Moment traf ihn die Erkenntnis mit der Wucht eines Schmiedehammers und brach ihm das Herz. Dido.

Rückblende:

Jason und Dido hatten am Morgen an der Steilküste den Sonnenaufgang betrachtet. Und Jason hatte Dido erzählt, wie er Barnaby am heutigen Tag schlagen wolle:

»Wir haben einen Schwachpunkt in seiner Technik entdeckt. Der Bug hat seine Rennmanöver auf Video analysiert. Barnaby kommt nicht so gut mit engen Rechtskurven zurecht - da patzt er hin und wieder; er fährt sie zu weit außen an, und dann kann man ihn auf der Innenseite überholen. Und diese Strecke ist eng, voller Haarnadelkurven.«

Dann erinnerte er sich an eine andere Begebenheit.

Nämlich an den Tag, an dem er Dido von seinen Albträumen und seiner Angst, den Heckflügel zu verlieren, erzählt hatte. Am nächsten Tag hatte Horatio Wong ihm kaltblütig den Heckflügel abrasiert und hätte ihn und den Bug beinahe umgebracht.

Seine damalige größte Angst war Wirklichkeit geworden.

Der Vorfall hätte Jason um ein Haar zerrüttet und sein Selbstvertrauen ein für alle Male zerstört.

Ach, Dido ... dachte er. Das darf doch nicht wahr sein ...

Die Indizien jedoch sprachen für sich. Jedes Mal, wenn er Dido etwas erzählt hatte, waren seine Gegner am nächsten Tag informiert gewesen.

Dido steckte mit Barnaby und Xavier unter einer Decke.

Jason konzentrierte sich wieder aufs Rennen.

Der Argonaut raste kreischend über die Start-Ziel-Linie und begann die 51. und letzte Runde.

Ariel lag in Führung.

Krishna fuhr an 2. Position.

Dann eine Lücke.

Dann Barnaby an dritter und Jason an vierter Stelle.

Das Rennen Nr. 50 hatte sich in zwei Einzelrennen aufgeteilt: das eine zwischen Ariel und Krishna um den Sieg; das andere zwischen Barnaby und Jason um den 3. Platz. Für Jasons Abschneiden waren Krishna und Ariel nicht von Belang - ganz gleich, wer von ihnen siegte, sein Ranglistenplatz bliebe davon unberührt. Er musste lediglich Barnaby schlagen, um nach New York zu kommen; so gesehen war für ihn der 3. ebenso gut wie der 1. Platz.

In südlicher Richtung die Meeresgerade entlang und ein letztes Mal durch die Schikane hindurch.

Er lag noch immer dicht hinter Barnaby und suchte nach einer Überholmöglichkeit. Wieder hinein in die Eisbergpassage.

Jason erwog, erneut zwischen den drei Kollidierenden Eisbergpaaren hindurchzufahren, wollte sein Glück aber auch nicht überstrapazieren. Stattdessen klebte er an Barnabys Heckflügel - es würde sich schon eine Möglichkeit ergeben.

Auf dem Eisbergkurs aber kam er nicht vorbei. Barnaby wehrte ihn ab, bisweilen nur, indem er schamlos die ganze Piste blockierte.

Nach Norden, zurück nach Tasmanien. Dann auf den Überlandkurs.

Weitere Haarnadelkurven, die Barnaby, ganz im Gegensatz zu seiner bisherigen Fahrweise, plötzlich ausnahmslos perfekt nahm - jetzt aber griff Jason an und setzte Barnaby in jeder Kurve unter Druck, sodass die beiden Wagen fast Seite an Seite fuhren.

Während Jason und Barnaby noch in der Mitte Tasmaniens miteinander kämpften, überquerte Ariel - nachdem sie ein nahezu perfektes Rennen geflogen war - die Ziellinie fünf Sekunden vor Varishna Krishna und wurde Erste.

Barnaby und Jason aber waren noch auf der Piste.

Und da Ariel und Krishna die ersten beiden Plätze belegt hatten, ging es für sie beide jetzt um die Wurst - derjenige, der den anderen besiegte, würde nach New York reisen. Mit jaulenden Triebwerken jagten sie über die prachtvolle Tasmanienbrücke und näherten sich der letzten Ecke des Rennkurses - einer engen Linkskurve, die unter einer Schnellstraßenüberführung hindurchführte -, da lenkte Jason urplötzlich nach innen ...

... und lag plötzlich vor Barnaby!

Als die Ziellinie in Sicht gelangte, war der Argonaut dem Devil's Chariot um eine Nasenlänge voraus.

»Neiiiin!«, schrie Barnaby.

Und dann tat er etwas völlig Unerwartetes.

In seiner Panik rammte Barnaby Jason - sodass beide Wagen auf die Entmagnetisierungslichter gerieten.

Jason kämpfte mit dem Steuer, jedoch vergebens - seine Maganzeige sank erschreckend schnell.

Zu seinem Glück erging es Barnaby nicht anders. Dessen Mags wurden ebenfalls vollständig entladen.

In diesem Moment wurde Jason klar, worauf er zusteuerte nämlich auf einen großen Betonpfeiler, der die Überführung stützte.

Mit einem fürchterlichen Kreischen schrammte der Argonaut am Pfeiler entlang und wurde auf die Seite geschleudert, bis er mit sechzig Grad Seitenneigung am nächsten Betonpfeiler zum Stehen kam.

Dem Devil's Chariot erging es ganz ähnlich, nur dass er mit der rechten Seite nach oben auf der Straße zu liegen kam, die Schnauze nach hinten gerichtet.

Beide Wagen blieben reglos und qualmend unter der Betonbrücke liegen.

»Alles okay?«, rief Jason dem Bug zu, der wie er selbst seitlich im Sicherheitsgurt hing. Der Bug sagte etwas.

Jason war ebenfalls unverletzt, doch die vordere Hälfte des Argonaut lehnte am Pfeiler, sodass er nicht aus dem Cockpit herauskam.

»Bug! Profiregeln! Driver-over-the-Line-Finish! Du musst über die Ziellinie kommen! Hier, nimm!«

Jason löste das mit einem Sender ausgestattete Steuer des Argonaut und reichte es dem Bug. »Lauf! Lauf!«

Der Bug stutzte einen Moment, dann schnallte er sich los, fiel buchstäblich aus dem Cockpit heraus und plumpste auf den Boden. Er rappelte sich augenblicklich wieder hoch, nahm das Steuer entgegen und rannte los. Die Piste entlang.

So schnell ihn seine kurzen Beine trugen, hastete er die letzten 500 Meter des Rennkurses entlang.

Die Zuschauer des letzten Rennens der Saison hatten so etwas noch nicht erlebt.

Der Bug raste zu Fuß die Zielgerade entlang, mit wirbelnden Beinen, das runde, bebrillte Gesicht vor Anstrengung gerötet, mit der Rechten das Lenkrad umklammernd.

Der im Cockpit des Argonaut eingeklemmte Jason konnte nur hilflos zuschauen.

»Lauf, Bug! Lauf!« Wmmmmmm.

In diesem Moment ertönte in Jasons Nähe ein bedrohliches Summen.

Er wandte den Kopf - und sah, wie der ramponierte, zerknautschte Devil's Chariot sich vom Asphalt hob und zu schweben begann. Er wirkte arg ramponiert, funktionierte augenscheinlich aber noch.

Langsam drehte er sich um die eigene Achse, während Barnaby mit grimmiger Entschlossenheit am Steuer kurbelte.

Jason fuhr herum - und sah den Bug die Straße entlanglaufen.

Barnaby gab Gas.

Der Bug lief, so schnell er konnte.

Für hohe Geschwindigkeiten war er nicht ausgestattet: kurze Beine, kleines Bäuchlein, dicke Brille, schwerer Helm. Seine Brille war mittlerweile beschlagen, doch er rannte unbeirrt weiter.

Die Zuschauer waren von den Sitzen gesprungen - doch es herrschte Stille. Verblüffte Stille. Und dann sahen es alle.

Sie sahen, wie Barnaby Beckers ramponierter Devil's Chariot hinter dem Bug die Straße entlang schlingerte ... und die Verfolgung aufnahm.

Er versuchte nicht, den Bug über den Haufen zu fahren. Weit gefehlt. Er wollte ihn auf der Ziellinie schlagen. Nach all den vielen Runden, den Boxenstopps und den Überholmanövern lief nun alles auf einen Zweikampf hinaus. Der eine Fahrer zu Fuß, der andere in der Luft, in einem ramponierten, schrottreifen Wagen.

Wie alle sehen konnten, würden sie trotz ihrer stark divergierenden Geschwindigkeiten die Ziellinie nahezu gleichzeitig erreichen ...

Dann schrie ein Mann in der Zuschauermenge: »Lauf, Bug, lauf!«

Die Stimme Henry Chasers.

Die anderen Zuschauer stimmten in den Ruf mit ein. »LAUF, BUG, LAUF!« »LAUF, BUG, LAUF!«

Die kurzen Beine des Bug wirbelten wie Motorkolben. Der Devil's Chariot wurde schneller. Jason konnte nur hilflos zuschauen.

Der Bug überquerte genau in dem Moment die riesigen weißen Buchstaben - START - ZIEL - unmittelbar vor der Ziellinie, als der Devil's Chariot hinter ihm aufbrüllte, beschleunigte ...

... immer näher und näher kam ...

... der Bug sah die Linie - die eigentliche Ziellinie, ein dickes weißes Band, das sich vor ihm quer über die Straße erstreckte -, und während die Triebwerke des Devil's Chariot in seinen Ohren dröhnten und zu ihm aufschlossen, warf er sich nach vorn ...

 

 

50. Rennen

Runde: 51 von 51 

Fahrer im Rennen: 4

   

Das Bild sollte als das seltsamste Zielfoto aller Zeiten in die Geschichte der Rennschule eingehen.

Es zeigte den mitten im Sprung erstarrten Bug, der über die Ziellinie hechtete, das Steuer des Argonaut in den ausgestreckten Händen -, während der aufgrund seiner Geschwindigkeit unscharfe Devil's Chariot, ebenfalls in der Bewegung erstarrt, drohend im Hintergrund aufragte ... die Nase lediglich zehn Zentimeter vor der Linie. Wegen der kurzen Beine des Bugs hatte das Team Argonaut Barnaby Becker mit weniger als einem Fuß Vorsprung geschlagen.

Später bat Henry Chaser um einen Abzug des Zielfotos. Seither hängt es gerahmt im Wohnzimmer der Familie Chaser.

Als die Auswirkungen des 50. Rennens auf der Tafel aufleuchteten, brach die Hölle los. Jason sprang aus dem abgeschleppten Argonaut heraus und reckte die Fäuste. Sally fing ihn auf und hüpfte vor Freude auf und ab.

Sie kannten den Punktestand.

Das Ergebnis des 50. Rennens hatte die Rangliste der Rennschule dramatisch verändert.

Nun sah sie folgendermaßen aus:

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Die Top 4 hatten ein ganz neues Gesicht.

Barnaby und Isaiah Washington waren beide herausgefallen. An ihre Stelle getreten waren Ariel - die mit den 10 Punkten aus dem letzten Rennen einen Satz vom 6. auf den 3. Platz gemacht hatte - und Jason, der mit den 8 Punkten für den 3. Platz in der Gesamtwertung von der 5. auf die 4. Position vorgerückt war.

Jason und Ariel würden zusammen mit Xavier und Krishna nach New York reisen. Beinahe ebenso erfreulich war, dass Barnaby Becker und Isaiah Washington nirgendwohin reisen würden.

Dann wurde Jason jäh aus seinen Gedanken aufgeschreckt.

Dido kam in die Box gestürmt.

Sie sah Jason und näherte sich mit einem freudigen Lächeln dem Argonaut.

Dido schloss Jason in die Arme ...

... doch er erwiderte ihre Umarmung nicht.

Sie spürte seine Zurückhaltung und wich zurück. »Was hast du, Jason? Du hast es geschafft. Du bist unter den ersten vier. Du hast dein Ticket zum New York Challenger Race in der Tasche.«

Jason schwieg. Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Einen solch schändlichen Vertrauensbruch hatte er noch nicht erlebt.

Eine Weile musterte er Dido stumm - forschte in ihren Augen, ihrem Gesicht... nach etwas, dem er vertrauen, an das er glauben könnte.

Doch er fand nichts.

Der Bug und Sally hatten bemerkt, dass da etwas nicht stimmte, hielten aber weiter Abstand.

»Jason? Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Dido.

»Ich muss dir etwas sagen«, erwiderte Jason. »Etwas sehr Persönliches ... « »Ja«, sagte Dido sanft.

»... und ich hoffe, dass du dich an den Wortlaut hältst, wenn du es Xavier und Barnaby ausrichtest.« Dido erbleichte.

Der Bug fuhr verblüfft herum. Auch Sally McDuff drehte sich zu ihnen um.

Dido stammelte: »Jason ... ich ... was redest du denn da -«

»Ich weiß, was du getan hast, Dido«, sagte Jason. »Du hast ihnen alles weiterzählt, was ich dir anvertraut habe. Du hast ihnen von meinen Ängsten erzählt. Und von meiner Strategie. Zum Beispiel hast du ihnen verraten, dass ich Barnaby in den Haarnadelkurven überholen wollte. Lauter Sachen, die ich sonst niemandem erzählt habe. Wahrscheinlich hast du sie auch über meinen Gesundheitszustand auf dem Laufenden gehalten. Außerdem frage ich mich, ob du mich in Italien mit Absicht halbe Nächte lang wachgehalten hast.«

Dido schwieg.

Sally durchbohrte Dido mit Blicken. Der Bug war so geschockt, dass er den Mund nicht mehr zubekam.

Jason fuhr fort: »Ich wette, sogar die Abfuhr, die du Barnaby im Cafe erteilt hast, war gespielt.«

Dido senkte den Kopf, was auch eine Antwort war.

»Wenn du sie das nächste Mal siehst«, sagte Jason, »dann richte ihnen bitte Folgendes aus: Jason Chaser ist wieder da. Er ist wieder in Topform. Das heißt, wenn wir das nächste Mal alle zusammen auf der Piste sind, werde ich sie einmachen. Und du solltest jetzt besser gehen, Dido.«

Dido schlug die Hände vors Gesicht, wandte sich ab und rannte davon.

Mit eiskaltem Blick sah Jason ihr nach.

Unmittelbar nach dem 50. Rennen wurden Nachforschungen zu den Ursachen des katastrophalen Stromausfalls beim letzten Boxenstopp in der 48. Runde angestellt. Renndirektor Calder leitete die Ermittlungen ...

... und machte alsbald einige sensationelle Entdeckungen.

Ariels Mechanikerin hatte recht gehabt: In der 48. Runde war Ariels Boxengreifer tatsächlich von einem äußerst aggressiven Computervirus angegriffen worden. Aufgrund von Jasons Hinweis hatte Ariel an diesem Morgen jedoch erneut eine verbesserte Firewall installiert, die den bösartigen Virus abwehrte. Allerdings hatte der Virus daraufhin nach einem anderen Opfer gesucht und es in der Stromversorgung gefunden.

Wie ein Python hatte er die Stromversorgung der Rennschule eingeschnürt - und das ganze Versorgungsnetz lahmgelegt!

Der Ursprung des Virus wurde schnell gefunden: Er stammte von Wernold Smythes Rechner in der Materialausgabe.

Bei der Befragung brach Smythe innerhalb von Sekunden ein und gestand, dass kein Geringerer als der Dekan der Schule, Jean-Pierre LeClerq, an der Verschwörung beteiligt gewesen sei, die das Ziel verfolgt habe, Ariels Chancen zu mindern, und bis zu den leeren Mags beim ersten Rennen zurückreichte. Und warum das alles?

Weil sie eine Frau war.

LeClerq beteuerte seine Unschuld, doch sein Gesicht verriet die Wahrheit. Er hatte es tatsächlich getan.

Am Abend berief der Schulvorstand eine Sondersitzung ein, suspendierte LeClerq und kündigte eine weitergehende Untersuchung an. In der Zwischenzeit sollte Rennleiter Calder - ein integrer Mann - den Dekan vertreten.

Ariel und Jason beobachteten die dramatischen Enthüllungen aus der Ferne.

»Danke für den Tipp heute morgen«, sagte Ariel, als LeClerq vom Schulgelände schlich, in seinen Wagen stieg und verärgert davonfuhr.

»Gern geschehen«, sagte Jason. »Jederzeit wieder.«

Am nächsten Abend fand das jährliche Abschlussessen statt.

Es war ein feierliches Ereignis, an dem die Eltern und Freunde der Schüler sowie ein paar Sponsoren teilnahmen und bei dem der stellvertretende Dekan als Gastgeber fungierte.

Am Tisch des Teams Argonaut saßen nicht nur Jasons Eltern, sondern zum ersten Mal auch Sallys ganze Familie, neben ihren Eltern alle acht stolzen Brüder, die aus Schottland angereist und ebenfalls Rennfans waren.

Als Jason sich setzte, bemerkte er Dido, die neben Xavier Platz genommen hatte.

»Ich hab mich umgehört«, flüsterte Sally ihm zu. »Sie ist Xaviers Cousine, gehört selbst aber nicht dem Königshaus an. Ihre Mutter ist die Schwester der Königin von Monesi und lebt in Italien.«

»Wir haben uns in Italien kennengelernt«, sagte Jason. »Kurz vor dem Rennen. Ich hielt es für Glück, Zufall, Schicksal. Aber es war nichts davon. Es war ein groß angelegter Hinterhalt, und ich bin drauf reingefallen.«

Sally zauste ihm das Haar. »Jason, falls es dich beruhigt: Wenn Xavier einen süßen italienischen Loverboy damit beauftragt hätte, mir unsere Renngeheimnisse zu entlocken, hätte ich ihm auch alles verraten.«

»Tatsächlich?«

»Ja, sicher«, sagte sie, »aber erst nachdem ich den jungen Hengst um den Verstand geknutscht hätte!«

Sie lachte ausgelassen und klopfte Jason auf den Rücken. »Und jetzt halt die Klappe, iss und genieß den Abend, mein großer Superstar.«

Nach dem Hauptgang wurden die üblichen Preise überreicht.

Dabei räumte der Speed Razor mächtig ab.

Der bestplatzierte Fahrer der Schulmeisterschaft: Xavier. Dafür bekam er eine große Trophäe.

Die Schulmedaille für den Fahrer des Jahres ging ebenfalls an Xavier.

Die Dozenten wählten Xaviers Teamchef Oliver Koch zum besten Mechaniker - obwohl er denkbar knapp siegte, mit nur zwei Stimmen Vorsprung vor Sally McDuff. Jason bekam keinen einzigen Preis.

Das aber juckte ihn wenig.

Hinter ihm lag ein unglaubliches Jahr, um Preise war es ihm in der ganzen Zeit nie gegangen. Er wollte einen Vertrag bei einem Profiteam bekommen - immerhin war er in Italien bereits bei einem Profiteam mitgefahren.

Sollte er beim New York Challenger Race gewinnen - vielleicht, nur vielleicht -, dann würde er wieder bei einer Profiveranstaltung fahren, denn der Sieger erhielt eine Sondereinladung zum Masters.

Allerdings gab es doch einen Preis, an dem Jason zumindest teilhatte.

Denn ein Preis ging an Xaviers Tisch vorbei - der Preis für den Lehrer des Jahres. Was erstaunlich war, denn viele hatten Xaviers Erfolg Zoroastros überlegenem Unterricht zugeschrieben.

Andererseits erinnerten sich nicht wenige Stimmberechtigte der Rennschule noch an Barnaby Beckers schändliches Verhalten beim Sponsorenturnier - und glaubten wohl insgeheim, dass Zoroastro dabei seine Finger mit im Spiel gehabt hatte.

Weshalb Scott Syracuse als Lehrer des Jahres geehrt wurde.

Der Abend endete schließlich damit, dass die vier Fahrer, die beim New York Challenger Race die Rennschule vertreten würden - nämlich Xavier, Krishna, Ariel und Jason - auf die Bühne gebeten wurden und die stehenden Ovationen ihrer Familien und Freunde entgegennahmen.

178

Eine Woche später saß Jason wieder auf einer grasbestandenen Landzunge und betrachtete den Sonnenaufgang über dem Meer. Sally und der Bug leisteten ihm Gesellschaft.

Auf einmal - Wroomm! - flog ein Polizeihoverkopter vorbei und verdeckte ihnen die Sicht.

Er flog nach links, der spektakulären Skyline von New York City entgegen.

Jason betrachtete die dicht gedrängte Ansammlung hoher Wolkenkratzer, der geschwungenen Hängebrücken und der zahllosen Lichter von Manhattan Island.

Und seine Augen verengten sich.