In der Welt der Hovercarrennen gibt es vier Grand Slams, die da sind:
Das Sydney Classic im Februar.
Das London Underground Race im Mai.
Das Italienrennen im August.
Und das New York Masters im Oktober.
Natürlich war der Rennmodus jeweils grundverschieden.
Das Sydney-Rennen war eine typisch australische Veranstaltung - hart, beschwerlich und lang, eine ähnliche Belastungsprobe wie ein fünf Tage währendes Kricketmatch oder das altehrwürdige Bathhurst 1000. Dieses Rundenrennen dauert mindestens 20 Stunden, in denen die Fahrer 156 Runden auf einem Kurs entlang den acht gewaltigen Meeresdämmen an der australischen Ostküste absolvieren müssen, bis sie unter der prachtvollsten Ziellinie der ganzen Welt hindurchfahren: der Sydney Harbour Bridge. Die Australier nennen dieses Event »das Rennen, das ein ganzes Land in Atem hält«. Das London Underground Race ist ein Torrennen - das mörderischste Torrennen weltweit. Es findet in der Dunkelheit der Londoner U-Bahn statt und stellt die taktischen Fähigkeiten der Fahrer auf die Probe, die in sechs Stunden möglichst viele U-Bahn-Stationen abfahren müssen. Bislang hat noch kein Fahrer alle Haltestellen geschafft.
Das New York Masters wiederum ist ein Rennfestival mit insgesamt vier Rennen, die an vier aufeinanderfolgenden Tagen stattfinden, also jeweils ein Rennen pro Tag - ein Supersprint, ein Torrennen, ein kollektives Verfolgungsrennen und zum Abschluss eines der seltensten Rennen überhaupt, eine Langstreckenrennen-Trophäenjagd, bei der die Fahrer von New York City zu den Niagarafällen und wieder zurück geführt werden.
Das Italienrennen ist nicht minder einzigartig.
Es findet alljährlich in der Backofenhitze des Nordhemisphärensommers statt und ist ein unidirektionales Rennen -die Fahrer werden nicht durch einen Rundkurs geschickt, sondern starten in einer Stadt und überqueren, wenn alles gut geht, in einer Stadt am anderen Ende des Landes die Ziellinie.
Das Rennen beginnt in Rom, und zwar im Kolosseum, dann führt die Route nach Norden, am Rückgrat Italiens entlang durch Florenz, Padua und Mailand, schlängelt sich durch die Alpen und beschreibt dann die Westküste entlang und zwischen Sizilien und Sardinien hindurch den weiten Weg nach Süden. Anschließend führt sie unter die Stiefelsohle - wo sich die Fahrer entscheiden können, ob sie den Absatz schneiden wollen -, dann folgt der Endspurt entlang der Ostseite des Landes bis zum großen Finale in Venedig II.
Interessanterweise gibt es beim Italienrennen zwei Boxenbereiche - einen am Leonardo da Vinci Airport, dem in Fiumicino gelegenen Flughafen von Rom, und einen zweiten auf der anderen Seite des Landes in der Nähe von Pescara. Somit ist es das weltweit einzige Rennen, bei dem die Boxencrews gezwungen sind, im Verlauf des Rennens über Land zu reisen. Es ist schon vorgekommen, dass ein Fahrer vor seinem Mechaniker in Pescara eingetroffen ist.
Anders als bei den meisten Rennen, die Jason in der Rennschule bestritten hatte (gemäß den auf der Südhalbkugel geltenden Regeln, dass derjenige als Sieger galt, dessen Wagen als Erster die Ziellinie überquerte), galten beim Italienrennen die älteren Rennsportregeln der Nordhalbkugel.
Nach diesen Regeln gewann derjenige Rennteilnehmer - ob Fahrer oder Navigator -, der als Erster die Ziellinie überquerte, und dabei war es gleichgültig, ob er im Wagen saß oder nicht. Es war tatsächlich schon mehrmals vorgekommen, dass ein Fahrer, dessen Wagen wegen eines Defekts oder Unfalls ausgefallen war, die Ziellinie zu Fuß beziehungsweise, im Falle des Italienrennens, wo die Ziellinie auf dem Meer lag, schwimmend überquert hatte.
Das Italienrennen war eine ausgesprochen europäische Veranstaltung und als solche in ganz Europa beliebt. Alljährlich pilgerten Millionen nach Italien, um bei dem Spektakel dabei zu sein. Gewaltige Menschenmengen saßen auf Hügeln, Klippen und Hovertribünen und säumten die Küste des ganzen Landes.
Alljährlich verwandelt sich Italien für eine Woche im August in den Mittelpunkt Europas und wimmelt von Touristen und Rennfans - die alle Geld ausgeben. Ökonomen schätzen, dass das Italienrennen alljährlich 60 Milliarden Dollar in die italienische Wirtschaft pumpt.
Und Jason Chaser stand im Begriff, sich kopfüber in diese überwältigend neue, aufregende Welt zu stürzen.
Internationale Rennschule
Hobart, Tasmanien
Bevor Jason und Xavier jedoch nach Italien aufbrechen sollten, waren noch fast ein Dutzend Schulrennen zu bestreiten.
Und obwohl die Rennschule sehr stolz war, dass zwei ihrer Schüler zum Grand Slam eingeladen worden waren, machte man Jason und Xavier unmissverständlich klar, dass der Schulbetrieb während ihres Aufenthalts in Italien weiterging.
Das bedeutete, dass sie vor dem Aufbruch möglichst viele Meisterschaftspunkte einheimsen mussten. Für Xavier, der die Rangliste mit 30 Punkten Vorsprung klar anführte, stellte das kaum ein Problem dar.
Jason hatte es da schon schwerer. Als Zweiter beim Turnier zur Saisonmitte hatte er beachtliche 18 Punkte abgesahnt (bei dem Turnier gab es die doppelte Punktezahl) und sich damit auf den 7. Platz der Rangliste katapultiert. Aufgrund des Italienrennens aber würde er der Schule acht Tage fernbleiben und somit drei Rennen versäumen. Und ihm war sehr wohl bewusst, dass er, Italien mal ganz außer Acht gelassen, die Schulsaison als einer der ersten vier abschließen musste, wenn er am New York Challenge Race im Oktober teilnehmen wollte.
Nach seiner Rückkehr vom Italienabenteuer würde er den Rückstand aufholen müssen. Aber was soll's, dachte er, die Sache war es wert - es kam schließlich nicht alle Tage vor, dass ein Neuling wie er bei einem Grand-Slam-Rennen antreten durfte. Verdammt noch mal, er war total aufgeregt.
Eines frühen Morgens, ein paar Tage nach dem Turnier, ging Jason allein auf der grasbewachsenen Landspitze spazieren. Diesen Ort suchte er auf, wenn er allein sein wollte, um nachzudenken und abseits der Hektik des Rennsports durchzuatmen. Diesmal erwartete ihn jemand.
Ariel.
»Hallo.« Jason setzte sich neben sie. »Hallo«, sagte sie.
Jason hatte sie seit dem Turnier nicht mehr gesehen, seit dem Tag, an dem er sie aus dem Rennen geworfen hatte und an dem sie -
»Du bist ein gutes Turnier gefahren, Jason«, meinte sie.
»Fast hätte ich ihn gehabt. Um Haaresbreite.«
»Jason, ich konnte es kaum glauben, dass du so lange mit Xavier mitgehalten hast. Alle konnten es kaum glauben«, sagte Ariel. »Und das nach all den Rennen. Du gibst einfach nicht auf.«
Jason senkte den Kopf und schwieg.
»Weißt du«, fuhr Ariel fort, »ich hab dich am Ende angefeuert. Klar, nachdem du mich geschlagen hattest, bin ich erst mal auf mein Zimmer gegangen und hab ein paar Tränen vergossen. Aber nach einer Weile hab ich den Fernseher eingeschaltet und gesehen, dass du noch im Rennen warst, und dann hab ich mich hinten auf eine Tribüne gesetzt und zugeschaut.« Sie wandte ihm den Kopf zu. »Ich war stolz auf dich.«
»Danke.«
»Außerdem hatte ich das Gefühl, dass ich dich hängen gelassen habe. Wegen der Sache am Abend zuvor, mit Fabian, diesem Arschloch.«
Jason wandte ihr das Gesicht zu. »Ariel -«
»Nein. Sag nichts. Das war dumm von mir. Ich hätte es besser wissen müssen. Er hat mir lauter Dinge gesagt, die ich gern hören wollte, aber er war nur auf das eine aus. Jason, du warst als Einziger in der ganzen Zeit anständig zu mir. Ich hoffe, du verzeihst mir und bist wieder mein Freund.«
Jason schwieg eine Weile.
Dann sagte er: »Du hast mich nicht hängen lassen, Ariel. Deshalb haben wir auch nie aufgehört, Freunde zu sein. Abgesehen natürlich von der Piste.«
Daraufhin umarmte ihn Ariel und drückte ihn fest an sich.
Die nächsten zwölf Rennen verstrichen wie im Flug.
Da er vor der Abreise nach Italien unbedingt Punkte sammeln musste, legte Jason ein gutes Finish nach dem anderen hin: vier dritte Plätze, drei zweite und sogar zwei Siege - obwohl nicht unerwähnt bleiben sollte, dass er beide Siege an Tagen einfuhr, an denen Xavier Xonora beschlossen hatte, auszusetzen, um eine Ruhepause einzulegen. Dieser Umstand gab Jason zu denken.
Ihm war bewusst, dass er Xavier bislang nur ein einziges Mal - nämlich beim 25. Rennen - geschlagen hatte, und das unter außergewöhnlichen Umständen: Nachdem er das extreme Wagnis eingegangen war, auf den letzten Boxenstopp zu verzichten. Jedenfalls katapultierten Jasons Erfolge das Team Argonaut auf der Rangliste nach oben, und als die Zeit zum Aufbruch nach Italien gekommen war, sah sie folgendermaßen aus:
Mit coolen 31 Punkten Abstand zu seinem Verfolger konnte Xavier problemlos drei weitere Rennen aussetzen, ohne seine Führungsposition aufs Spiel zu setzen.
Jason lag auf dem vierten Platz - jedoch mit einem Haufen hochklassiger Fahrer auf den Fersen. Nach drei verpassten Rennen würde er mit Sicherheit aus den Top 4 verschwinden.
Aber diese Schlacht würde er ein andermal ausfechten müssen.
Jetzt war es Zeit für Italien.
Venedig II, Italien
(Montag der Rennwoche)
Ganz Italien vibrierte förmlich vor Erregung, als Jason, der Bug und Sally von Umberto Lombardis Hoveryacht aufs Pier von Venedig II traten.
Es war, als hätte das Rennfieber die ganze Nation gepackt.
Von schwebenden Reklametafeln entlang der Küste blickte einem das Konterfei Alessandro Rombas entgegen - auf den Fotos hielt der Weltmeister entweder eine Dose Cola in der Hand oder saß am Steuer eines Hoversportwagens.
An jedem Lampenpfosten flatterten bunte Fahnen - entweder in den italienischen Nationalfarben oder in denen eines Rennteams. Die Menschen tanzten im Outfit ihres Lieblingsteams auf den Straßen, sangen, tranken und amüsierten sich prächtig.
Die Rennwoche war in Italien eine einwöchige Party. Zeitschriften, Zeitungen und Talkshows kannten nur ein Thema: La Corsa. Das Rennen.
Das Geschäft der Buchmacher brummte. Sie boten Wetten auf alle mögliche Resultate an: auf den Sieger, die ersten drei in der Reihenfolge ihres Abschneidens, andere Ranglistenkombinationen oder auch nur darauf, dass ein bestimmter Fahrer unter die letzten fünf käme.
Der Weltmeister und Lokalmatador Alessandro Romba war in aller Munde. Seine Siege in Sydney und London warfen bei den Ranfans die Frage auf, ob er vielleicht als erster Fahrer überhaupt den Grand Slam vollenden würde - durch Siege in allen vier Grand-Slam-Rennen binnen eines Jahres. Tatsächlich war er dieses Jahr bei einem Grand Slam noch nicht einmal überholt worden. Er trat in zahlreichen Talkshows auf, und die Italiener liebten ihn wie ihren eigenen Sohn.
Auch Fabian, der französische Fahrer, machte in den Medien die Runde. Irgendwann stieß Jason auf eine Sportsendung, in der er interviewt wurde.
Der Interviewer erkundigte sich nach Fabians Eindrücken an der australischen Rennschule.
»Dort gibt es eine Menge Talente«, antwortete Fabian. »Wirklich viele. Und die beiden Studenten, die hierhergekommen sind, sind die besten.«
»Wie steht es mit der Fahrerin, die an der Rennschule studiert?«, fragte der Interviewer. »Es gab eine Menge Wirbel, als sie dort angefangen hat. Was halten Sie von ihr?«
In Fabians Augen trat ein niederträchtiges Funkeln.
»Offen gesagt war sie eine Enttäuschung. Sie wurde schon in der ersten Runde des Turniers ziemlich vernichtend geschlagen. Nennen Sie mich ruhig einen Ewiggestrigen, aber ich persönlich sehe für Frauen keinen Platz beim Hovercarrennen.«
Jason hatte finster auf den Bildschirm gestarrt.
Dann aber wandte sich der gierige, stets nach neuem Futter Ausschau haltende Blick der Medien den beiden jungen Rennfahrern zu, die beim Italienrennen ihr Grand-Slam-Debüt geben würden: Xavier Xonora und Jason Chaser.
Xavier wurde mit der Aufmerksamkeit der Medien spielend fertig. Vielleicht lag es an seiner Erfahrung als Prinz. Vielleicht lag es an der gut geölten PR-Maschine des Lockheed-Martin-Werksteams, das die richtigen Talkshows für ihn auswählte. Oder aber, ging es Jason durch den Kopf, Xavier war der geborene Superstar.
Die Medien (zumal die Promimedien) stellten ihn als den pflichtbewussten Protege dar, als den scharfäugigen Studenten, der seinem Meister Alessandro Romba, der Nummer eins des Lockheed-Martin-Teams, über die Schulter schaute und von ihm lernte. Er behauptete, bescheidene Ziele zu verfolgen -
»Mit einem Platz unter den ersten zehn wäre ich zufrieden« -, und wurde schon bald als rechtmäßiger Nachfolger Rombas und Schwärm des internationalen Rennbetriebs gefeiert.
Jason tat sich schwerer - es erschreckte ihn, sich im Fernsehen, auf den Titelseiten der Zeitschriften und in den Zeitungen zu sehen.
Die Medien schössen sich auf seine Jugend ein. Obwohl er am Mittwoch 15 werden würde, stellten sie ihn als brillanten Emporkömmling dar, als das vierzehnjährige Wunderkind - vor allem aber als Jungen, der sich in die Männerwelt vorwagte.
Er war ein Sonderfall, eine Kuriosität - wie die bärtige Dame im Zirkus -, und das gefiel ihm nicht.
Als die erste Geschichte erschien, in der behauptet wurde, er habe abgehoben, hätte er dem Redakteur am liebsten einen Brief geschrieben. Nach der zwanzigsten Geschichte mit diesem Tenor schäumte er nur noch still vor sich hin.
Er wünschte, Scott Syracuse wäre mitgekommen, doch sein Lehrer war in Australien geblieben - schließlich musste er auch noch die anderen Schüler bei den Schulrennen betreuen. Zumindest hatte er versprochen, dass er versuchen würde, zu dem am Sonntag stattfindenden Rennen nach Italien zu kommen.
Jason hoffte, dass er es schaffen würde.
Obwohl das Italienrennen in Rom begann, hatte das Team Argonaut seine Basis in Venedig II, denn die ganze von Kanälen durchzogene Stadt gehörte Umberto Lombardi.
Jason war im Lombardi Grand Hotel untergebracht, in der drittbesten Suite von ganze Venedig II. Die beste war natürlich Lombardi vorbehalten. Die zweitbeste bekam Pablo Riviera, die Nummer eins von Lombardis Team.
Jedenfalls war Jasons Suite viel größer als die meisten Häuser, die er kannte.
Weitläufig und modern und mit sündhaft teuren Hovermöbeln ausgestattet, bot sie einen Panoramablick aufs Mittelmeer und die imposante Rekonstruktion des Markusplatzes.
Vor ihm lag eine ganze Woche: Heute war Montag.
Um die Poleposition würde am Freitag gekämpft werden, auf einem engen Minikurs entlang der Küste von Italien. Am Freitagabend sollte ein Galadiner stattfinden.
Das Italienrennen war für den Sonntag angesetzt.
Für die meisten Fahrer würde die Woche ausgefüllt sein mit Fahrtests auf dem Kurs, Sponsorenevents und ein paar Galas für geladene Gäste, die von den einzelnen Teams veranstaltet wurden.
Jason bot die Woche Gelegenheit, sich mit den Mitgliedern des Lombardi-Rennteams bekannt zu machen. Zwar würde er mit seinem regulären Team fahren - mit dem Bug und Sally -, konnte aber bei Bedarf auf die gut ausgerüsteten Mechaniker und Ingenieure von Lombardis Engineering and Technical Team - kurz E&T - zurückgreifen.
Am allerwichtigsten aber - und für Jason irgendwie bedauerlich - war der Umstand, dass er zum ersten Mal nicht mit dem Argonaut fahren würde.
Nein, bei diesem Rennen würde er einen nagelneuen Ferrari F-3000 fahren, geschmückt mit schwarz-gelben Streifen, den Farben des Lombardi-Teams.
Verglichen mit dem kleinen Argonaut war der Ferrari F-3000 ein wahres Tier: größer, schneller und gefährlicher. Der Ferrari neuesten Typs hatte in etwa die gleiche Pistolenkugelform wie der Argonaut, war aber schlanker und stromlinienförmiger. Früher hatte Jason davon geträumt, einmal einen F-3000 zu steuern, doch jetzt, da es so weit war, wünschte er sich, auch hier den Argonaut fahren zu dürfen.
Diesen Gedanken aber verdrängte er, als er den massigen F-3000 betrachtete.
Er und sein Team hatten vier Tage Zeit, das Tier zu zähmen.
An den ersten beiden Tagen der Rennwoche - Montag und Dienstag - übte Jason unter den wachsamen Blicken der Hoverkopter und der Teleobjektive der Paparazzi mit
dem neuen F-3000. Vor den Toren des Lombardi-Trainingskurses am Stadtrand von Venedig II erwartete ihn stets ein ganzer Schwärm von Journalisten.
Am Dienstag lernte er Lombardis Nummer eins, Pablo Riviera, kennen und mochte ihn auf Anhieb. Riviera war ein 26jähriger Kolumbianer. Jung und begabt, aber noch nicht ganz in die Klasse der Topfahrer vorgedrungen, geizte er nicht mit Ratschlägen. »Der beste Tipp, den ich dir geben kann«, sagte er, »lautet: Geh früh schlafen. Das Training wird dich schlauchen, aber die Medien machen dich fix und fertig. Glaub mir. Und das Einzige, worauf es ankommt, ist, am Renntag fit zu sein.«
Als Jason und sein Team am Dienstagabend von der Rennstrecke aufbrachen, stellte er fest, dass sich die Zahl der Medienvertreter vor dem Tor verdreifacht hatte.
Die Medienmeute geriet förmlich aus dem Häuschen, als die Hoverlimousine aus dem Tor kam.
Die Journalisten und Kameraleute drängten zum Wagen, zwangen ihn zum Anhalten und bestürmten Jason so heftig mit Fragen wie noch nie.
Auf einmal begriff er, was es damit auf sich hatte.
Ein Stück weiter stand Fabian, der französische Fahrer, und grinste wie die Grinse-Katze in Alice im Wunderland.
Jason und seine Begleiter stiegen aus der Limousine aus.
»Jason!«, schrien die Reporter. »Jason! Sieh mal her!«
»Jason! Wie haben Sie Fabians Einladung aufgenommen?«
Jason runzelte die Stirn. »Einladung? Welche Einladung?«
Fabian trat theatralisch vor. Sein französischer Akzent klang schmierig. »Meine Damen und Herren. Meine Damen und Herren. Ich bitte Sie! Lassen Sie den jungen Jason doch in Ruhe. Das ist alles noch ganz neu für ihn.«
Die Meute wich ein wenig zurück und verstummte.
»Jason«, sagte Fabian in vertraulicherem Ton, als Jason recht war, »mein persönlicher Sponsor, die Circus Maximus Beer Company, veranstaltet morgen Abend bei Sonnenuntergang im wiederaufgebauten Circus Maximus ein Schaurennen. Es handelt sich um ein Mann-gegen-Mann-Rennen zwischen mir und einem Gegner meiner Wahl. Wir nennen es die Fabian-Challenge ... «
Die Medienleute hingen an Fabians Lippen, und Fabian war sich dessen sehr wohl bewusst.
Mit Unschuldsmiene fuhr er fort: »Im Fernsehen wurde soeben mein Statement gesendet, dass ich mich gern mit dem ambitionierten jungen Fahrer messen möchte, über den derzeit so viel berichtet wird. Mit Ihnen. Was meinen Sie dazu, Jason? Möchten Sie gegen mich antreten?«
Alle Mikros schwenkten zu Jason herum.
In diesem Moment kam für Jason der Zeitablauf zum Stillstand.
Später sollte er sich nicht einmal mehr an die Worte erinnern, die ihm über die Lippen kamen - freilich hörte er sie am Nachmittag auf sämtlichen Nachrichtenkanälen.
»Ich bin dabei«, hatte er auf Fabians Herausforderung erwidert.
Den Rest des Nachmittags und den Abend verbrachte er mit Telefonaten, die er mit Lombardi und den E&T-Technikern führte.
Weit davon entfernt, Jason seine Entscheidung übel zu nehmen, war Lombardi von der Idee, dass einer seiner Fahrer an einem Schaurennen gegen Fabian teilnehmen sollte, hellauf begeistert.
»Jason! Ich mag zwar reich sein, aber mein Team ist im großen Maßstab der Rennwelt nur Mittelmaß. Pablo ist gut, aber ebenfalls Mittelmaß. Jedenfalls nicht gut genug, um die Aufmerksamkeit eines Fahrers wie Fabian auf sich zu lenken.
Aber Sie! Ja! Mann, stellen Sie sich nur die Publicity vor, die mir ein solches Rennen einbringen wird!«
Weiter aber ging seine Begeisterung nicht.
Den neuen Ferrari F-3000 wollte er dem Risiko eines Schaurennens nicht aussetzen. Deshalb erlaubte er seinem Team, den Argonaut mit einem nagelneuen Satz Ferrari XP- 7 Magnetodrives und einer superaerodynamischen Heckflosse vom Typ F-3000 auszustatten, damit er mit Fabians Renault mithalten konnte.
Den ganzen Abend über klingelten die Telefone. In Jasons Suite herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Inmitten des ganzen Trubels ging Jason auf sein Zimmer und tätigte einen Anruf.
Circus Maximus
Rom, Italien (Mittwoch der Rennwoche)
Im diffusen orangeroten Licht des italienischen Sonnenuntergangs sah das Stadion dem berühmten römischen Schauplatz von Wagenrennen täuschend ähnlich - eine riesige ovale Rennstrecke, gesäumt von gigantischen Tribünen; alles im pseudorömischen Stil auf einem dem Meer abgewonnenen flachen Landstreifen an der Westküste Italiens erbaut, nicht weit von Rom.
Der einzige Unterschied zwischen diesem Stadion und dem Circus Maximus des Altertums war die Größe.
Jede der beiden Geraden war 12 Kilometer lang - sodass ein durchschnittlicher Hovercar etwa zwei Minuten für eine Runde brauchen würde, eine Minute pro Gerade.
Hinter den oberen Rängen prangten rote Neonschilder mit dem Schriftzug »Circus Maximus Beer Co.«.
Vor einem begeisterten, wogenden, gespannten Publikum von zwei Millionen Zuschauern - die alle Freibier spendiert bekamen - standen auf dem Startfeld zwei vergleichsweise winzige Hovercars.
Fabians purpur und gold lackierter Renault Tricolore-VII, bekannt unter dem Namen Marseiller Falke.
Und daneben: der Argonaut, der mit der nagelneuen weißblau-silbernen Lackierung einen prachtvollen Anblick bot. Dazu kam noch ein weiteres Feature: Der neue Heckflügel war in den Lombardi-Farben Schwarz und Gelb lackiert.
Unmittelbar vor dem Rennen präsentierten sich Jason und Fabian auf der Piste den Fotografen - die Helme in der Hand und flankiert von Bikinimädchen und Vertretern der Bierfirma, standen die Wagenlenker der Moderne neben ihren Gefährten. Im Hintergrund lärmte das Publikum.
Fabian war sichtlich froh über die zusätzliche Aufmerksamkeit, die der junge Chaser auf sein Schaurennen lenkte. Hinzu kam, dass Jason heute, am 6. August, zufällig seinen fünfzehnten Geburtstag feierte - die Medien hatten Fabian als einen Mann geschildert, der einem Jungen das großartigste Geburtstagsgeschenk machte, das man sich nur vorstellen konnte.
Jason, der neben Fabian stand, lächelte in die Kameras und beäugte den Marseiller Falken und dessen berüchtigten Frontflügel.
Die Front des Falken war umstritten. Aus den Außenflügeln sprangen zwei vertikale, an der Vorderseite messerscharfe Flossen hervor, weshalb man auch von »Klingen« sprach. Renault behauptete, die scharfen Kanten hätten lediglich aerodynamische Gründe. Einige Fahrer meinten, Fabian benutze die scharfen Flügel dazu, ihre Wagen im Gedränge zu beschädigen. Einstweilen waren die Flügel von der International Hover Car Racing Association noch zugelassen. Jeder Fahrer aber wusste, dass man sich besser von ihnen fernhielt.
Als die Fotosession beendet war, sprang Fabian in seinen Wagen.
Jason hingegen rannte zur Box und benutzte die Toilette -was das Publikum zum Lachen brachte. Dem jungen Burschen flatterten offenbar die Nerven.
Kurz darauf kam er zurück, den Helm bereits auf dem Kopf, und kletterte zum Bug in den Argonaut. Das Rennen konnte beginnen.
Das Schaurennen war ein wahrer Augenschmaus.
Als der Marseiller Falke und der Argonaut die erste Gerade entlang schossen, begleitete das Publikum sie mit La Ola.
Das Rennen ging über zwanzig Runden, und zunächst übernahm Fabian die Führung - bisweilen streute er zur Freude des Publikums ein paar Tricks ein.
Jason folgte ihm hartnäckig und stellte seine schon sprichwörtliche Entschlossenheit unter Beweis. In einem von Fabians verspielten Momenten überholte er ihn an der Innenseite.
Der überraschte Fabian gab Gas und gewann nach einer Runde die Führung zurück. Das aber war nur der erste von zahlreichen Führungswechseln, während Jason sich allmählich warm fuhr - zur Überraschung der Zuschauer zeigte nun auch er jedes Mal, wenn er die Führung übernahm, ein wenig Luftakrobatik: flache Seitwärtsrutscher oder die Korkenzieherrolle.
Das Publikum applaudierte leidenschaftlich.
Dann aber näherte sich das Rennen dem Ende, und es war Schluss mit den Kunststücken für die Galerie. Als der Argonaut in der zweitletzten Kurve zur Innenseite des Marseiller Falken aufschloss, begann ein erbitterter - und todernster - Spurt zur Ziellinie.
Die Gerade entlang.
Zwei Raketengeschosse.
In die letzte 180-Grad-Kehre hinein - der Argonaut nahm die Ideallinie, Fabian setzte weit außen an und schwenkte dann mit chirurgischer Präzision nach innen, wobei sich der gefährliche Frontflügel der Nase des Argonaut bis auf wenige Zentimeter näherte -, dann schössen die beiden Wagen, gewaltige Staubwolken hinter sich aufwirbelnd, Seite an Seite die Gerade entlang und rasten gemeinsam über die Ziellinie ...
Circus Maximus
Rom, Italien (Mittwoch der Rennwoche)
Der Jubel der Zuschauer sagte alles. Sie wussten, wer der Sieger war. Der Neuling Jason Chaser hatte mit einer halben Wagenlänge die Nase vorn.
Als Jason die Ehrenrunde drehte, reckte er triumphierend die Faust und winkte der Menge zu.
Fabian setzte sich neben den Argonaut und entbot Jason den »Rennfahrergruß«: Er tippte sich mit der Rechten an den Helm. Das entsprach dem Händeschütteln nach einem Tennisturnier - so war es nach einem Zweierrennen Brauch.
Jason erwiderte den Gruß.
Die beiden Wagen drehten eine komplette Runde, während das Publikum stehend applaudierte, dann hielten sie auf der Zielgeraden vor der VIP-Loge.
Fabian stieg aus und schüttelte übertrieben den Kopf, als wollte er sagen: »Ist das denn zu glauben? Wie hat der junge Bursche das nur angestellt?«
Er näherte sich dem Argonaut, als Jason und der Bug gerade aus dem Cockpit kletterten. Fabian wollte Jason die Hand schütteln, doch stattdessen wanderte dessen behandschuhte Hand zum Helm. Er nahm ihn ab -
- und darunter kam der Pilot des Argonaut zum Vorschein, der Fahrer, der Fabian bei diesem wundervoll unterhaltsamen Schaurennen geschlagen hatte, doch es war nicht Jason Chaser.
Mitten im Circus Maximus, bekleidet mit Jason Chasers Ledermontur und mit Jasons Helm in der Hand stand neben dessen kleinem Navigator Ariel Piper.
Von den Fernsehkameras live in alle Welt übertragen, fiel Fabian die Kinnlade herunter.
»Aber ...«, stammelte er. »Wir haben Sie doch vor dem Rennen fotografiert -«
»Sieht so aus, als wäre der Jason Chaser, der kurz vor dem Rennen auf die Toilette gegangen ist, nicht der Jason Chaser, der wieder rauskam«, sagte Ariel. »So, Fabian. Wie war das noch gleich mit Frauen beim Hovercarrennen?«
Das Publikum war sprachlos - doch die Verblüffung war nicht von Dauer.
Dann brüllte es seine begeisterte Zustimmung hinaus.
Ariel strahlte - sie hatte ihre Genugtuung erhalten.
Und weit im Norden, an der leeren Lombardi-Übungsstrecke und unbehelligt von Journalisten, Fotografen und Hoverkoptern kletterte Jason Chaser in seinen Ferrari F- 3000 und übte - übte, übte, übte - in völliger Abgeschiedenheit und Ruhe.
Das schönste Geburtstagsgeschenk, das er je bekommen hatte.
Einzelfahren um die Poleposition
Rom, Italien [Freitag der Rennwoche)
Jasons schwarz-gelber Ferrari F-3000 stellte sich fast auf die Seite, als er in einem weiten Bogen ums Kolosseum raste.
Dann fuhr er in schnellem Zickzack durch die Straßen Roms, wandte sich hinaus aufs offene Land und nahm den letzten Teil des Entscheidungskurses in Angriff - eine höllisch anspruchsvolle Strecke, bekannt als »Rutschbahn«.
Bei diesem s-förmigen Streckenabschnitt handelte es sich im Wesentlichen um einen langen, schmalen Erdgraben, überspannt von zahlreichen mit den Emblemen der Sponsoren geschmückten Torbögen.
Das wesentliche Merkmal der Rutschbahn waren die vier entlang des Kurses errichteten Barrieren. In jeder Barriere gab es eine Öffnung - die so schmal war, dass ein Hoverwagen nur in Seitenlage hindurchpasste. Da die Tore abwechselnd auf der linken und der rechten Seite der Barriere angebracht waren, stellte jedes Hindernis extreme Anforderungen an das fahrerische Können des Piloten.
Es war schon schwer genug, die Rutschbahn beim Einzelfahren um die Poleposition zu bewältigen - beim eigentlichen Italienrennen gab es mehrere Rutschbahnabschnitte, und man musste sie durchfahren, während die anderen Fahrer um einen herumwimmelten. Das Einzelrennen um die Poleposition war ein reines Zeitfahren - der Schnellste würde beim Start des Sonntagsrennens das Feld anführen -, bei dem sich immer nur ein Fahrer auf dem Kurs befand.