Somit stand der Schwarze Prinz im Finale, nachdem er nur 25 Runden - insgesamt 12 Minuten Rennzeit - hinter sich gebracht hatte.

Das nächste Rennen zwischen Jason Chaser und Barnaby Becker würde darüber entscheiden, wer im Finale gegen ihn antreten musste.

»Was, schon vorbei?«, meinte Jason verdattert.

Er war gerade in ein Handtuch gewickelt aus der Boxendusche getreten, als ihm Sally McDuff die Neuigkeit überbrachte, Xavier Xonora habe Varishna Krishna bereits geschlagen und sie müssten in zehn Minuten auf dem Startfeld stehen.

Elend.

»Was war denn mit Krishna los?«, fragte er. »Xavier ist gut, aber so gut auch wieder nicht. Krishna ist zu begabt, um sich in nur vierzehn Runden niedermachen zu lassen.« »Anscheinend hat Krishna fehlerhafte Mags bekommen«, sagte Sally. »Der mysteriöse Mag-Dämon hat wieder zugeschlagen. Beeil dich, Champ. Wir sind dran.«

Jason nahm seinen Rennanzug. »Mann, ich hatte kaum Zeit, mich vom letzten Rennen zu erholen.«

Die beiden Hovercars standen auf dem Startfeld, umringt von ihren Mechanikern, Mentoren und Unterstützern.

Jason musterte Barnaby Beckers kastanienbraunen Lockheed. Xavier Xonora, der Sieger des Halbfinales gegen Varishna Krishna, gab Barnaby letzte Tipps, während Zoroastro Jason so durchdringend musterte, als wollte er ihn mit Blicken sezieren. »Achtung, Rennfahrer! Noch fünf Minuten bis zum Start! Alle Crewmitglieder verlassen bitte augenblicklich das Startfeld!«, tönte die Stimme von Rennleiter Calders aus den Stadionlautsprechern .

»Sei auf der Hut«, sagte Sally und klatschte aufmunternd auf Jasons Helm. »Lass den hinterlistigen Mistkerl nicht aus den Augen.« Dann drehte sie sich dem Bug zu und klatschte auch ihm auf den Helm. »Und du pass gut auf deinen Bruder auf, okay?«

Der Bug reckte beide Daumen.

»Hey, Sally«, sagte Jason mit Nachdruck.

»Ja?«

»Wir werden den Burschen in der Box schlagen.« »Da hast du verdammt noch mal recht«, antwortete Sally. Sie wandte sich zum Gehen - als noch jemand an den Argonaut trat und ihr den Weg versperrte. Varishna Krishna.

Der schwarzäugige, gut aussehende Krishna mit der samtigen schokoladenbraunen Haut war ein ausgesprochen höflicher junger Mann mit guten Manieren. Er trug noch immer die durchgeschwitzte Rennmontur, offenbar war er gleich nach seiner Niederlage gegen Xavier hierhergekommen. »Jason, Bug, Sally. Hallo.«

»Krishna?«, meinte Jason verblüfft. »Was machst du denn hier?«

»Ein guter Ratschlag, junger Jason. Wie du wahrscheinlich weißt, hatte ich im letzten Rennen Probleme mit den Magnetodrives. Ich will dir sagen, was passiert ist. Zwei der Mags waren leer, als sie in meinen Wagen eingebaut wurden. Darius, mein Mechaniker, hatte sie vorher alle überprüft, da waren sie noch in Ordnung. Das heißt, sie wurden während des Rennens entladen. Nach dem Rennen haben wir das hier neben dem Vorratsschrank gefunden.«

Krishna hielt einen Kasten von der Größe einer Lunchbox hoch, der Ähnlichkeit mit einem Funkgerät hatte.

Jason ahnte, worum es sich handelte.

Es war ein tragbarer Mikrowellensender. Solche Geräte wurden von Rennteams häufig als Ersatzfunkgerät benutzt und für gewöhnlich möglichst weit von den Magnetodrives entfernt untergebracht - aus dem einfachen Grund, weil sie die Magnetodrives entluden.

»Ich wollte dich nur warnen«, sagte Krishna, während er Barnaby, Xavier und Zoroastro misstrauisch beäugte. »Ich kann nichts beweisen, aber Barnaby kommt aus dem gleichen Stall wie Xavier, und ... also, sagen wir mal, deine Mechanikerin sollte vielleicht ein Auge drauf haben.«

Jason nickte. »Danke, Krishna. Ich ... ich wusste gar nicht, dass dich mein Abschneiden kümmert.«

Trotz der noch unverdauten Niederlage lächelte Krishna und legte Jason die Hand auf die Schulter. »Oh, junger Master Chaser, unterschätz nicht den Eindruck, den du hier schon gemacht hast. Ich weiß, du hast an der Schule einen schweren Stand, aber glaub mir: Einige von uns sehen dir bei deinen Rennen verdammt gern zu. Du hast die wunderbare Angewohnheit, immer bis zum bitteren Ende durchzuhalten. Ich dachte, du solltest allmählich erfahren, dass du hier einen Freund hast.« Damit wandte er sich ab und ging fort.

2. Halbfinale Chaser gegen Becker

Als der Argonaut und der kastanienbraune Devil's Chariot Seite an Seite auf den Beginn des Halbfinales warteten, rief Barnaby Becker Jason zu: »Hey, Chaser. Jetzt geht's dir an den Kragen.«

Jason erwiderte: »Halt's Maul und fahr einfach.«

Und dann rasten sie los - der Beginn eines erbarmungslosen Wettkampfs.

Ein Rennen mit vollem Risiko.

Kurz gesagt, Jason spurtete wie der Teufel. Barnaby aber nahm die Herausforderung an, und die ersten 30 Runden über war es eher ein Messen der Willenskraft als ein Zweierrennen. Beide preschten Seite an Seite dahin, nahmen jede Kurve und jede Gerade gemeinsam und fuhren sogar im selben Moment in die Box.

In den ersten 30 Runden versuchte sich auch keiner an einer Verfolgungsjagd - woraus die Zuschauer richtig schlossen: Das war keine Jagd, sondern ein 100-Runden-Rennen bis zur Ziellinie.

Ab der 30. Runde zeigte Sally McDuff, was sie draufhatte, und schickte den Argonaut vollständig gewartet mit 8-Sekunden-Stopps und sogar einem 7-Sekunden-Stopp - der bislang kürzeste Stopp überhaupt - wieder auf die Piste.

Das Ergebnis war ein stetig wachsender Vorsprung.

Der Argonaut zog dem Devil's Chariot allmählich davon -in der 75. Runde hatte er bereits einen Vorsprung von einer Viertelrunde. Und dem bisherigen Renn verlauf nach zu schließen war dieser Vorsprung uneinholbar.

In der 75. Runde - als Sally gerade beobachtete, wie Jason die Zielgerade entlang preschte - schlich sich hinter ihrem Rücken eine dunkle Gestalt in die Box und legte etwas neben den neuen Satz Mags.

Einen Mikrowellensender.

Sally bekam den Eindringling nicht zu Gesicht. Als sie sich daranmachte, den nächsten Boxenstopp vorzubereiten, war er schon wieder verschwunden.

Ein paar Runden später fuhr der Argonaut in die Box und schoss kurz darauf wieder auf die Piste - wo Jason feststellen musste, dass zwei der neuen Mags leer waren. »Verdammter Mist!«, rief er. »Ausgerechnet jetzt!«

Wutentbrannt musste er erneut in die Box.

Barnaby aber fuhr weiter.

Während der Argonaut in die Box fuhr, zischte der Devil's Chariot vorbei, und binnen 2 Runden wendete sich das Blatt. Während nur noch 19 Runden zu fahren waren, hatte Barnaby Becker nun einen Vorsprung von anderthalb Runden.

Betrüblicherweise erwies sich dieser Vorsprung als zu groß für Jason. Mit verzweifelter Entschlossenheit jagte er Barnaby zwar bis zum Schluss, jedoch ohne Erfolg.

Barnaby hielt die Führung, und nach 100 hart umkämpften Runden schoss er über die Ziellinie und hatte sich somit für das Finale qualifiziert.

Jason blieb nichts anderes übrig, als vor Enttäuschung aufs Steuer zu hämmern und den Argonaut in Richtung Box zu lenken.

Sein Tag war zu Ende.

Er war aus dem Turnier ausgeschieden.

Der Argonaut kehrte in die Box zurück -

- und wurde von einer größeren Menschenmenge empfangen, die sich dort versammelt hatte.

Und es war keine gewöhnliche Ansammlung. Rennfunktionäre und Lehrer standen dort, darunter Stanislaus Calder, der für das Turnier verantwortliche Rennleiter, und Jean-Pierre LeClerq, der extra vom VIP-Zelt herübergekommen war.

Mitten zwischen ihnen Sally McDuff. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte ganz zufrieden drein.

Jason kletterte aus dem Cockpit und blickte sich stirnrunzelnd um. Er nahm den Helm ab. Um die Wahrheit zu sagen, war er nach drei kräftezehrenden Rennen todmüde und freute sich einfach darauf, zu duschen und auszuruhen.

»Sally?«, sagte er. »Was geht hier vor?«

Sally näherte sich ihm. »Behalt den Helm an, mein begabter junger Freund. Wir sind noch immer im Rennen.«

»Was soll das heißen?«

»Die Schiedsrichter schauen sich gerade die Videoaufzeichnung an«, meinte Sally geheimnisvoll. »Komm, sieh selbst.«

Tatsächlich hatten die Rennfunktionäre ihren Blick auf die beiden Monitore gerichtet, die mit den beiden Überwachungskameras an der Decke der Box verbunden waren und die Scott Syracuse aufgestellt hatte, damit Sally und die Jungs ihre Arbeitsweise überprüfen konnten.

Der eine Monitor zeigte in Schwarzweiß die Box des Argonaut: Man sah, wie Sally während Jasons Halbfinale gegen Barnaby die Tarantula bediente. Auf dem Computermonitor des Greifers, der die wichtigsten Daten des Rennverlaufs darstellte, war deutlich zu erkennen, dass gerade die 75. Runde lief und dass 37 Minuten und 30 Sekunden des Rennens verstrichen waren.

Dann bewegte sich Sally an den Rand des Bildschirms und sah auf die Piste hinaus. In diesem Moment schlich sich hinter ihrem Rücken eine dunkle Gestalt in die Box und legte eilig einen tragbaren Mikrowellensender neben den Stapel Magnetodrives.

Als die dunkle Gestalt sich wieder entfernte, blickte sie zufällig nach oben - direkt in die Kamera -, und alle erkannten ihr Gesicht.

Es war Guido Moralez.

Barnaby Beckers Mechaniker.

»Allmächtiger ...«, stöhnte einer der Funktionäre.

Die anderen Anwesenden wechselten bestürzte Blicke.

»Meine Herren!«, übertönte Rennleiter Calder das einsetzende Gemurmel. »In zehn Minuten findet im Briefingraum eine Sondersitzung statt. Bitte teilen Sie Mr. Becker und seinem Mechaniker Mr. Moralez mit, dass ihre Anwesenheit unbedingt erforderlich ist. Sie werden uns ein paar Fragen beantworten müssen.«

Eine halbe Stunde später war die Sitzung beendet.

Auf der Grundlage von Sallys Video, das Moralez dabei zeigte, wie er den Mikrowellensender neben die Magnetodrives des Argonaut legte - sie auf diese Weise entlud und Jason somit zu einem erneuten Boxenstopp zwang -, war Barnaby Becker disqualifiziert und sein Halbfinalsieg annulliert worden.

Rennleiter Calder war in seinem Urteil besonders streng gewesen.

Wenn es nach ihm ginge, so seine Worte, würden Barnaby und Moralez aufgrund ihres schändlichen Verhaltens von der Schule verwiesen. Dank eines Einspruchs ihres Lehrers Zoroastro - der zu bedenken gab, dass ihr Verhalten gänzlich untypisch gewesen sei, ein dummer Streich in der Hitze des Rennens - kamen sie jedoch glimpflich davon und mußten lediglich die Schande der nachträglichen Disqualifikation auf sich nehmen.

Die Durchsage, dass Jason nachträglich der Sieg zuerkannt worden war, wurde von den 250 000 Zuschauern mit begeistertem Applaus aufgenommen.

Jason und der Argonaut standen nun im Finale.

Beim Verlassen des Briefingraums sprach der Rennleiter Jason an: »Mr. Chaser, das Finale beginnt in zwanzig Minuten. Wir sehen uns auf dem Startfeld.«

»Wir werden da sein, Sir«, erwiderte Jason mit einem Kopfnicken.

Auf dem Weg zur Box schloss Sally sich ihm an. Ihr Lächeln war so rätselhaft wie das der Sphinx.

Jason beäugte sie von der Seite. »Warum grinst du so?« Sally hob nur die Brauen.

Jason sagte: »Jetzt, wo ich darüber nachdenke: Bei den anderen Rennen des Turniers hattest du die Überwachungskameras doch nicht angestellt gehabt, oder?«

»Negativ.«

»Aber im Halbfinale schon?«

»Ja. Nachdem Krishna uns gewarnt hatte, hab ich mir gedacht, es wären vielleicht ein paar Vorsichtsmaßnahmen angebracht«, erklärte sie. »Jason, du trittst gegen diese Burschen auf der Piste an - mein Rennen findet in der Box statt. Ich wollte diese Mistkerle unbedingt schlagen. Und das hab ich getan. Das war bislang mein bestes Rennen, weshalb ich nicht bereit war, mir von irgendjemand ungestraft entladene Magnetodrives unterjubeln zu lassen.«

Jason musterte sie im Gehen. Auf ihre Art war Sally McDuff ebenso stolz und entschlossen wie er.

Er nickte ihr zu. »Du hast es wirklich faustdick hinter den Ohren, Sally.«

Von den nächsten zwanzig Minuten bekam er kaum etwas mit.

Die untergehende Sonne tauchte die riesige Rennpiste und die Bucht in ein diffuses orangefarbenes Licht und sorgte dafür, dass die Flutlichtbeleuchtung eingeschaltet wurde.

Die Paarungsliste erzählte die Geschichte eines großen Renntags:

Jetzt lief alles auf ein einziges Rennen und zwei Fahrer hinaus: Xavier Xonora und Jason Chaser.

Und die jeweiligen Voraussetzungen der beiden Fahrer hätten nicht unterschiedlicher sein können.