Einige Jahre in der Zukunft

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Indopazifische Regionalmeisterschaft 

Golf von Carpentaria, Australien

 

Das Rennen war gerade mal neun Minuten im Gange, als Jason Chaser das Steuerruder verlor. Bei 690 Stundenkilometern.

Dabei traf ihn selbst keine Schuld. Ein verrückter Bursche aus Nordkorea, der einen aus Schrottteilen zusammengebastelten Sumpfrenner flog, hatte bei einer Kehre, die ihn mit unglaublichen 9 G in den Sitz presste, die Kontrolle über seinen Wagen verloren und unmittelbar vor Jason eine spektakuläre Bruchlandung in dem von Krokodilen wimmelnden Sumpf hingelegt, wobei Trümmerteile in alle Richtungen geschleudert wurden - drei davon durchschlugen wie ein Schwärm rot glühender Minimeteoriten Jasons Heckflosse und verwandelten die Steuerflügel in Schrott.

Jason ließ die Handsteuerung los und schaffte es irgendwie, den Argonaut nur mit den pedalgesteuerten Triebwerken abzufangen, während drei andere Topkonkurrenten - Schuumm! Schuumm! Schuumm! - vorbeirasten und in der Ferne hinter gewaltigen Gischtwolken verschwanden.

Der Argonaut wurde langsamer und kam zum Stehen, schwebte etwa einen Meter über einem der vielen tausend Wasserläufe des riesigen Sumpfgebiets am Rande des Golfs von Carpentaria.

Die Stimme des Bugs tönte aus Jasons Kopfhörer. Der Bug war Jasons Navigator, Beifahrer und kleiner Bruder. Er saß mit im Cockpit des Argonaut, nur ein bisschen höher und ein bisschen weiter hinten als Jason.

Während er dem Bug zuhörte, biss Jason sich auf die Lippen.

Dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Kommt gar nicht in Frage, Bug. Ich bin nicht hier angetreten, um nach den ersten zehn Minuten schon wieder auszusteigen. Wir sind immer noch dabei. Berechne du den Kurs, ich erledige den Rest.«

Er gab wieder Gas und warf den Argonaut erneut ins Rennen.

Als Jason und der Bug am Morgen in der Boxengasse eingetroffen waren, war die Anspannung nahezu greifbar gewesen.

Es hatte sich ein erstaunlich großes Publikum versammelt -80 000 umherwimmelnde Zuschauer nahmen gerade ihre Plätze auf der riesigen Schwebehaupttribüne ein, die Ausblick auf den Golf bot.

Im Vergleich zu den Zuschauermassen, die zu den Profiveranstaltungen strömten, war das natürlich nur ein Klacks. Weniger als eine Million Zuschauer galten dort als Flop. Ein Teil der Aufregung kam daher, dass es dieses Jahr fünf Fahrer gab, darunter auch Jason, die um die Regionalmeisterschaft kämpften, und dass der Sieger auch eine der begehrten Einladungen zur Internationalen Rennschule einheimsen würde, die das Tor zum Profirennbetrieb darstellte.

In der Boxengasse aber war die Anspannung am größten.

Alle unterhielten sich gedämpft und zeigten immer wieder auf die beiden distinguierten Herren, die Randolph Hardy, der korpulente Präsident des indopazifischen Regionaldirektoriums der IHCRA, der International Hover Car Racing Association, gerade im VIP-Zelt herumführte.

Halblaute Bemerkungen:

»Mann, das ist LeClerq! Der Dekan der Rennschule ...«

»... der andere sieht aus wie Scott Syracuse, der Typ, der vor ein paar Jahren beinahe bei dem Unfall in New York ums Leben gekommen wäre ...«

»Jemand meinte, sie würden Ausschau nach zusätzlichen Kandidaten für die Rennschule halten.«

»Kann nicht sein.«

Jason musterte die beiden Besucher, die zusammen mit Randolph Hardy durchs VIP- Zelt schlenderten.

Der Ältere war tatsächlich Jean-Pierre LeClerq, der Direktor der Internationalen Rennschule, die weltweit höchstes Ansehen genoss.

Die Schule lag in Tasmanien - auf einer großen Insel im Süden Australiens, die sich vollständig im Besitz der Rennschule befand - und war weniger eine Lehreinrichtung, als dass sie der Qualifizierung diente. Zwar wurde auch Unterricht erteilt, entscheidend aber war das Ranking bei der Schulmeisterschaft. Hatte man nach einem Jahr in der >Schule< einen guten Platz in der Gesamtwertung vorzuweisen, erhielt man einen Vertrag bei einem Profiteam. Kein Wunder, dass fast die Hälfte der Fahrer, die gegenwärtig im Profirennbetrieb mitmischten, zuvor die Rennschule besucht hatten.

LeClerq wirkte geradezu majestätisch mit seinem makellos gekämmten weißen Haarschopf und seinem gebieterischen Auftreten. Sein Anzug sah teuer aus. Jason vermutete, dass er mehr gekostet hatte als sein Rennwagen.

Der Mann an LeClerqs Seite war erheblich jünger, etwa Anfang dreißig. Er wirkte recht stattlich, hatte markante Züge und undurchdringliche schwarze Augen. Außerdem stützte er sich auf einen Gehstock und machte ein Gesicht, als würde er gerade beim Zahnarzt einer Wurzelbehandlung unterzogen.

Jason erkannte ihn auf Anhieb wieder. Zu Hause im Schlafzimmer hatte er ein Sammelkärtchen mit seinem Konterfei.

Der Mann war Scott J. Syracuse, auch »die Sense« genannt, einer der besten Rennfahrer, die je einen Hovercar gesteuert hatten ... bis vor drei Jahren, als beim New York Masters bei einem schrecklichen Unfall seine Neurotransmitter durchbrannten. Die moderne Medizin konnte inzwischen so ziemlich jeden Knochen und sogar ein gebrochenes Rückgrat wieder zusammenflicken, aber wie man das Gehirn wieder in Ordnung brachte, hatte man noch immer nicht herausgefunden. Wenn das Gehirn durchbrannte, war die Rennkarriere beendet, wie die Sense hatte feststellen müssen.

In diesem Moment richtete Syracuse seinen eiskalten Blick auf Jason.

Jason erstarrte schuldbewusst, denn er hatte den Mann angestarrt.

Eine volle Sekunde zu spät wandte er den Blick ab.

Um die Wahrheit zu sagen, machte Syracuse' Blick ihn verlegen. Die Montur aller anderen Fahrer war farblich auf ihren Wagen abgestimmt. Einige hatten sogar die neuen Helme von Shoei. Andere wurden von Boxencrews in den Teamfarben unterstützt. Jason und der Bug hingegen trugen Baumwolloveralls und verstaubte Farmer Stiefel. Als Kopfschutz verwendeten sie Motorradhelme.

Jason schaute finster drein. Er konnte zwar seine Augen verbergen, nicht jedoch seine Kleidung.

Auch seinen Hovercar konnte er vor Syracuse' gelassenem Blick nicht verstecken. Aber der stand auf einem anderen Blatt.

Der Argonaut.

Wagen Nr. 55.

Er war Jasons ganzer Stolz, und wann immer er etwas Zeit erübrigen konnte, bastelte er daran herum. Es war ein alter, umgebauter Ferrari Pro Fl, den er vor vier Jahren auf einem Schrottplatz entdeckt hatte - einer der ersten Hovercars, die aus alten Formel-1- Rennwagen gebaut waren.

Er hatte noch die Patronenform des alten Fl, komplett mit Frontflügel, buckligem Rumpf und breitem Heckruder, verfügte jedoch über zusätzliche Features wie den unmittelbar hinter dem Fahrercockpit befindlichen Navigatorsitz und zwei pfeilförmige Flügel an den Flanken.

Der größte Unterschied zum alten Fl bestand allerdings darin, dass er keine Räder hatte. Die Hovertechnologie - sechs silberglänzende Scheiben an der Wagenunterseite, die als Magnetodrives bezeichnet wurden - machte Räder überflüssig.

Auch wenn er sich gern etwas vormachte, wusste Jason doch, dass es kein richtiger Ferrari Pro Fl war. Original war nur das Chassis. Der Rest war aus Teilen zusammengestoppelt, die Jason aus landwirtschaftlichen Maschinen ausgebaut oder auf dem heimischen Schrottplatz gefunden hatte. Auch die sechs renntauglichen Magnetodrives - hergestellt von GM, Boeing und BMW - waren gebraucht.

Trotz der bunt zusammengewürfelten Innereien war das Äußere des Argonaut wunderschön - er war blau-weiß-silbern lackiert, was die kampfjetartige Form des Rennwagens betonte.

Jason selbst war vierzehn Jahre alt, blond, blauäugig und entschlossen. In der Schule war er gut in Mathe, Geographie und Spieltheorie. Die sandfarbenen Haare waren als Reminiszenz an den ehemaligen englischen Fußballnationalspieler David Beckham zu einem zerzausten Mohikaner-Kamm gestyled.

Mit seinen vierzehn Jahren war er einer der jüngsten Teilnehmer der Regionalmeisterschaft. Die meisten anderen Fahrer auf dieser Rennstufe waren siebzehn oder achtzehn. Jason war bei den Qualifikationswettkämpfen jedoch unter den Top 3 gelandet und deshalb zur Teilnahme ebenso berechtigt wie sie.

Bug, sein Navigator, war sogar erst zwölf. Er war mager und hatte dicke Brillengläser, was viele Leute verunsicherte. Außerdem redete er nicht viel. Eigentlich redete er nur mit Jason und ihrer beider Mutter, und dann auch nur im Flüsterton. Manche Ärzte meinten, der Bug leide an einer schwächeren Form von Autismus - das erkläre seine enorme Schüchternheit und seine Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen ebenso wie sein mathematisches Genie. Der Bug konnte im Kopf 653 mit 354 multiplizieren ... in etwa zwei Sekunden.

Deshalb war er der geborene Navigator für einen Hovercar.

Das Carpenteria-Rennen war ein so genanntes Torrennen.

Das weltweit berühmteste Torrennen war der London Underground Run - ein höllisch kompliziertes Rennen durch die Tunnel des Londoner U-Bahn-Systems -, und das Carpenteria-Rennen beruhte auf dem gleichen Prinzip. Allerdings war die Strecke weit länger und erstreckte sich über ein Gebiet von 600 km Breite und 600 km Länge. Das Rennen fand im weitläufigen Sumpfgebiet am Rande des Golfs von Carpenteria statt, ein labyrinthisches Netzwerk schmaler Wasserwege, welche die etwa zweieinhalb Meter hohen Schilfflächen und die großen Sanddünen an der Golfküste durchschnitten.

An verschiedenen Punkten des Labyrinths aus natürlichen Kanälen waren annähernd 250 brückenartige Torbogen aufgebaut. Wenn ein Wagen durch einen Torbogen fuhr, registrierte ein elektronisches Gerät im Frontflügel den Durchgang.

Pro passiertes Tor gab es Punkte. Die weiter von der Start-Ziel-Linie entfernten Tore brachten mehr, die anderen weniger Punkte. Das am weitesten von der Start-Ziel-Linie entfernte Tor brachte beispielsweise 100 Punkte, das nächstgelegene 10.

Der Trick dabei war: Es gab ein striktes Zeitlimit.

Man hatte drei Stunden Zeit, so viele Tore wie möglich zu durchfahren, anschließend musste man die Start-Ziel-Linie erreichen.

Das war der entscheidende Punkt.

Jede Sekunde Verspätung kostete einen Punkt. Überschritt man das Zeitlimit auch nur um eine Minute, wurden einem volle 60 Punkte abgezogen.

Der Fahrer mit den meisten Punkten gewann.

Somit kam es auf die Taktik an, und die Navigatoren spielten eine Schlüsselrolle.

Kein noch so geschickter und schneller Fahrer konnte in der vorgesehenen Zeit alle Tore durchfahren - somit musste man sich entscheiden, welche Tore man in der vorgegebenen Zeit mitnehmen wollte. Und da Navigationsgeräte auf allen Ebenen der Hovercarrennen streng verboten waren, kam dem Navigator eine ausschlaggebende Bedeutung zu.

In Anbetracht der Boxenstopps - die Magnetodrives überhitzten, Kühlwasser musste ersetzt, die Triebwerke aufgefüllt werden - und all der anderen Unwägbarkeiten eines Rennens war es ein ausgesprochen strategischer Wettkampf.

Der Argonaut raste mit kreischenden Triebwerken durch eine schmale, von zweieinhalb Meter hohen Schilfwänden gesäumte Gasse und wirbelte hinter sich eine Gischtwolke übelriechenden Sumpfwassers auf. 610 km/h ... 620 ... 630 ...

Während die Steuerklappen im zerstörten Heckflügel nutzlos hin- und herflatterten, steuerte Jason die dahinrasende Gewehrkugel seines Hovercars allein mit den Hecktriebwerken - indem er abwechselnd links und rechts die Pedale betätigte.

Der Bug hatten den Kurs gut berechnet. Bei jedem Boxenstopp konnte Jason einen Blick auf die große elektronische Anzeigetafel über der Haupttribüne werfen, auf der der Zwischenstand des Rennens aufgelistet war:

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Der Unfall war schmerzlich.

Er hatte sie eine Menge Zeit gekostet. Jason konnte sich noch so große Mühe geben, aber mit den Füßen steuerte es sich einfach schwerer als mit den Händen. Bei jedem Boxenstopp sah er, dass der Argonaut auf der Anzeigetafel noch weiter hinter die führenden Wagen zurückgefallen war.

Dass ausgerechnet Barnaby Becker führte, ein Schüler der Abschlussklasse von Jasons Heimatschule in Halls Creek, machte alles nur noch schlimmer.

Becker war 18, rothaarig, sommersprossig, großspurig und reich. Sein Vater, Barnaby Becker sen., war ein Großunternehmer, dem halb Halls Creek gehörte.

Mr. Becker hatte seinem Sohn den besten Hovercar geschenkt, den es für Geld zu kaufen gab - einen wundervollen Lockheed-Martin ProRacer 5. Außerdem hatte Jasons Vater früher mal für ihn gearbeitet, woran Barnaby - ein Ekel, wie es im Buche stand - Jason gern erinnerte.

Trotzdem flog Jason bis zum Schluss weiter und zischte auf Bugs überarbeitetem Kurs durch so viele Torbögen hindurch, wie dem beschädigten, aber tapferen Argonaut zuzumuten waren.

Am Ergebnis änderte das nichts.

Als die große Uhr über der Start-Ziel-Linie von 2:59:59 auf 3:00:00 umsprang und die letzten Hovercars an den 80 000 jubelnden Zuschauern vorbei über die Ziellinie schössen, stand der Argonaut, gesteuert von Chaser junior, ganz unten auf der Anzeigetafel.

Jason brachte seinen geliebten Wagen in der Box zum Stehen und ließ den Kopf hängen.

Beim wichtigsten Rennen seines Lebens - vor den Augen von 80 000 Zuschauern, darunter die beiden berühmtesten Zuschauer, in deren Beisein er je ein Rennen fahren würde -war Jason Chaser auf dem allerletzten Platz gelandet.

Mit der Erfindung des Hovercars hatte sich die Welt verändert.

Tatsächlich hatten im Verlauf der menschlichen Geschichte nur wenige andere Erfindungen ähnlich schnell weltweite Verbreitung gefunden.

Gutenbergs Druckpresse, Nobels Dynamit, der Flugapparat der Gebrüder Wright - alles eindrucksvolle Erfindungen, doch verblassten sie im Vergleich mit der globalen Revolution, die Wilfred P. Wilmingtons Hovercar auslöste.

Ein großer Teil des Wirbels beruhte auf dem außergewöhnlichen Entschluss des achtzigjährigen Wilmington, seine erstaunliche neue Technologie jedem, der sich ihrer bedienen wollte, kostenlos zur Verfügung zu stellen.

Er verzichtete darauf, seine Erfindung patentieren zu lassen, und verkaufte sie keinem Großkonzern. Nicht einmal eine vom Präsidenten der Vereinigten Staaten persönlich angeführte Delegation konnte ihn dazu bewegen, ausschließlich die USA in den Genuss der Technologie kommen zu lassen.

Nein. Wilfred P. Wilmington, der exzentrische Freizeiterfinder, der von sich sagte, sein Vermögen reiche bei weitem aus, seinen Lebensabend vergleichsweise komfortabel zu gestalten, tat das gänzlich Unerwartete: Er stellte seine Technologie ohne Gegenleistung der ganzen Welt zur Verfügung.

Die Auswirkungen ließen nicht lange auf sich warten.

Da die Hovertechnologie kein Benzin als Treibstoff benötigte, standen die Öl produzierenden Länder des Mittleren Ostens vor dem Ruin. Das Öl verlor seine Bedeutung, und die Vereinigten Staaten - der weltweit größte Ölverbraucher - kündigten ihre Verträge mit den Förderstaaten. Die Vermögen der Saudis und des Sultans von Brunei lösten sich im Handumdrehen in Luft auf.

Die Autokonzerne begrüßten die neue Technologie und warfen - mit Hilfe der bereits existierenden Fabriken und der Massenproduktion am Fließband - Millionen von Hovercars auf den Markt. Das erste Modell T/H (das >H< stand für >Hover<) von Ford rollte kaum ein Jahr nach Wilmingtons unglaublicher Vorankündigung vom Band. BMW, Renault und Porsche zogen kurz darauf nach.

Ihnen schlossen sich jedoch bald kaum für möglich gehaltene Wettbewerber an, nämlich die Flugzeughersteller. Lockheed-Martin, Airbus und Boeing begannen ebenfalls mit der Produktion familientauglicher Hoverfahrzeuge.

Fernfahrten beanspruchten nun erheblich weniger Zeit -von New York nach L. A. brauchte man mit dem Wagen nur noch neunzig Minuten. Frachtschiffe überquerten die Meere nicht mehr in Tagen, sondern in Stunden.

Die Welt wurde kleiner.

Ursprünglich hatte Professor Wilmington seine Erfindung als »elektromagnetisch betriebenes omnidirektionales Schwebefahrzeug« bezeichnet, doch in der Öffentlichkeit setzte sich bald der wesentlich einfachere Name Hovercar durch.

Die dem Hovercar zugrunde liegende Technologie war erstaunlich simpel und universell anwendbar.

Der Erdkern sendet ständig magnetische Wellen aus. Wilmington entwickelte nun ein Gerät - den »Magnetodrive« -, das abstoßend auf die auswärts gerichtete magnetische Kraft wirkte. Und während die Wissenschaftler noch über Wilmingtons raffinierte Verwendung ferromagnetischer Materialien und Hightech-Supraleiter staunten, erfreute sich die Öffentlichkeit des Forschungsresultats.

Und das Resultat war ein dauerhafter Schwebezustand.

Solange die Welt sich drehte, würden die Hovercars über dem Boden schweben. Damit wurde die größte Angst der Menschen vor der Hovertechnologie - nämlich dass Autos vom Himmel stürzen könnten - zerstreut.

Die Hovertechnologie breitete sich rasant aus.

Schwebelimousinen und Hoverbusse füllten die Städte. Frachter rasten übers Meer. Hoverscooter waren bei Kindern der letzte Schrei. Und natürlich fanden auch die Militärs Verwendung für die neue Technologie.

Das Aufkommen einer neue Fortbewegungstechnologie -ob mit dem Boot, dem Auto oder dem Flugzeug - bringt seit jeher aber auch einen ganz speziellen Menschentypus hervor, und der Hovercar stellte keine Ausnahme von der Regel dar.

Schon bald nach dem Aufkommen dieser neuen Fortbewegungsart trat auch eine neue Art berühmter Persönlichkeit auf den Plan, teils Rennwagenfahrer, teils Jet Pilot, auf jeden Fall aber ein Superstar.

Der Hovercarrennfahrer.

Bei der offiziellen Preisverleihung hätte Jason sich am liebsten übergeben.

Oben auf dem Podium, zwischen dem Präsidenten des Regionaldirektoriums und Jean-Pierre LeClerq, dem Dekan der Rennschule, stand der blasierte Barnaby Becker. Mit einem Kameralächeln überreichte LeClerq Barnaby die Siegestrophäe, eine große Flasche Moet et Chandon und einen Scheck über tausend Dollar.

Jason fiel allerdings auf, dass LeClerqs Begleiter, der Exrennfahrer Scott Syracuse, auf der Bühne fehlte. Syracuse ließ sich überhaupt nicht blicken.

LeClerq schüttelte Barnaby die Hand, dann griff er zum Mikrofon.

»Meine Damen und Herren«, sagte er, »hiermit endet die diesjährige Regionalsaison, und ich habe noch etwas zu verkünden. Mit dem heutigen Sieg hat der junge Becker sich an die Spitze der regionalen Rangliste gesetzt und somit einen weiteren Preis gewonnen: eine Einladung, an der Internationalen Rennschule zu studieren. Master Becker, es wäre uns eine Ehre, wenn wir Sie im nächsten Jahr als Studenten begrüßen dürften.«

LeClerq reichte Barnaby den berühmten Umschlag mit Goldrand, von dem jeder junge Rennfahrer träumte.

Die Zuschauer jubelten.

Barnaby nahm den Umschlag entgegen und bedankte sich bei LeClerq, dann reckte er die Faust, ließ den Korken der Champagnerflasche knallen, und die Party begann. Jason, der von der Boxengasse aus mit offenem Mund zugeschaut hatte, war am Boden zerstört.

Der neben ihm stehende Bug schüttelte den Kopf und flüsterte Jason etwas ins Ohr. Jason lachte schniefend auf. »Danke, Mann. Leider bist du nicht der Dekan der Rennschule.«

Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück zur Box, um den Argonaut auf den Trailer zu laden.

Der Bug folgte ihm schlurfenden Schrittes.

Als sie ihr Ziel erreichten, stellten sie fest, dass jemand auf sie wartete.

Im Boxeneingang stand Scott Syracuse. Er beugte sich hinein und besah sich den beschädigten Heckflügel.

»Ah ... hallo. Kann ich Ihnen helfen?«, sagte Jason.

Syracuse drehte sich um und stützte sich auf den Stock. Er musterte Jason mit kühlem Blick. »Master Chaser, nicht wahr?«

»Ja.«

»Ein passender Namen, wenn man ihn im Lichte der heutigen Ereignisse betrachtet, meinen Sie nicht auch? Scott Syracuse. Ich bin mit Professor LeClerq zusammen hier. Ich unterrichte ebenfalls an der Rennschule.«

»Ich weiß, wer Sie sind, Sir. Ich habe eine Sammelkarte mit Ihrem Foto.« Kaum hatte Jason seinen Satz beendet, kam er sich auch schon blöd vor.

Syracuse ruckte nur mit dem Kinn zum Argonaut. »Ihr Steuerruder ist kaputt.«

»Ja. Hab ein paar Trümmerteile von 'nem Typen abbekommen, der eine 9-G-Kehre fliegen wollte.«

»Und wann ist das passiert?«

»Etwa neun Minuten nach dem Start.«

Syracuse stutzte und drehte sich abrupt um.

»Neun Minuten nach dem Start? Dann sind Sie anschließend also weitergefahren? Nur mit den Triebwerken?«

»Jau.«

»Damit ich Sie richtig verstehe: Neun Minuten nach dem Start ist Ihre Steuerung ausgefallen, aber Sie sind weitergefahren und haben mit den Pedalen gelenkt anstatt mit dem Steuer?«

»Ja, so war's, Sir.«

Syracus nickte bedächtig. »Ich frag mich nur ...«

Dann sah er Jason direkt an. »Ich möchte Sie noch etwas fragen. Sie haben das Rennen anders begonnen als alle anderen - Sie haben die Tore an der Westseite des Kurses angesteuert, während die anderen nach Nordosten gefahren sind. Nach dem Schaden haben Sie Ihren Kurs geändert.«

Syracuse zog eine Karte der Rennstrecke aus der Gesäßtasche. Alle 250 Tore des Kurses waren darauf eingezeichnet.

»Können Sie mir sagen, wie Ihr Plan ursprünglich aussah?«

Jason wechselte einen Blick mit dem Bug. »Was meinst du, Bug?«

Der Bug nickte - obwohl er Syracuse misstrauisch beäugte.

Jason sagte: »Für die Navigation ist mein kleiner Bruder zuständig. Er hat den Kurs ausgearbeitet. Wir nennen ihn den Bug.«

Syracuse reichte dem Bug die Karte, doch der versteckte sich hinter Jason.

Also nahm Jason die Karte entgegen. »Bei Fremden ist er ein bisschen schüchtern.« Jason reichte die Karte an seinen Bruder weiter, der schnell -und sachkundig - den geplanten Kurs darauf einzeichnete. Anschließend gab er die Karte Jason, der sie an Syracuse weiterreichte.

Syracuse musterte die Karte ausgiebig. Dann tat er etwas Eigenartiges. Er nahm eine zweite Karte der Rennstrecke aus der Hosentasche und verglich sie mit der ersten.

Jason konnte erkennen, dass auch die zweite Karte Markierungen aufwies; offenbar hatte schon jemand einen Rennkurs darauf eingezeichnet.

Schließlich blickte Syracuse auf und unterzog Jason und den Bug einer sehr, sehr eingehenden Musterung.

Er hielt ihre Karte mit dem Kursverlauf hoch.

»Darf ich die behalten?«

»Klar«, antwortete Jason achselzuckend. Scott Syracuse schürzte die Lippen. »Jason Chaser, Hovercarrennfahrer. Klingt gut. Lebt wohl, ihr beiden.«

Jason und der Bug kamen gegen sieben Uhr abends in Halls Creek an; den Argonaut hatten sie auf dem Trailer des eingestaubten alten Toyota Hoverkombi festgezurrt. Halls Creek war ein kleines Wüstenstädtchen im Norden Westaustraliens. Es lag mitten im Nirgendwo, wie Jason gern sagte.

Bei ihrer Ankunft brannten die Lichter im Farmhaus, und das Essen stand schon auf dem Tisch.

»Ach, meine Jungs! Meine Jungs!«, rief Martha Chaser, die ihnen zur Begrüßung entgegengelaufen war. »Jason! Wir haben alles im Fernsehen gesehen, auch den leichtsinnigen Burschen, der unmittelbar vor euch eine Bruchlandung hingelegt hat. Ist mit euch alles in Ordnung?«

Sie schloss den Bug in die Arme und drückte ihn an ihre breite, von einer Schürze bedeckte Brust.

Der Bug verschwand nahezu in ihrer Umarmung. Anscheinend fühlte er sich ausgesprochen wohl dabei.

»Alles in Ordnung«, meinte Jason und setzte sich an den Tisch. »Der Bug hatte nur unter der Demütigung zu leiden, im Beisein von Jean-Pierre LeClerq als Letzter ins Ziel gekommen zu sein.«

»Wer ist denn das?«

»Egal, Mum.«

In diesem Moment trat Henry Chaser, ihr Vater, in die Küche, der Overall eingestaubt von der Feldarbeit.

»Hallo, ihr beiden! Die Rennfahrer sind wieder da! War ein gutes Rennen, Jungs. Schade nur, dass der Bursche euren Flügel zerdeppert hat.«

»Der verdammte Idiot hat unsere Steuerung ruiniert«, schimpfte Jason, während er Kartoffelbrei in sich hineinschlang. »War halt zur falschen Zeit am falschen Ort.«

»Ach was«, erwiderte Henry lächelnd. »Nein, nein, nein, nein. An deinem Wagen ist die Steuerung ausgefallen, Jason. Du warst zur falschen Zeit am falschen Ort.«

»Ach, Henry, lass sie doch in Ruhe ...« Martha verdrehte die Augen. Ihr Mann war ein Fan der Hovercarrennen. Er schaute sie sich im Fernsehen an, analysierte den Rennverlauf und wusste immer alles besser. Er war es gewesen, der die Jungs im Alter von fünf und drei Jahren mit Gokarts vertraut gemacht hatte.

Jason sprang auf den Köder an. »Bestimmt nicht, Dad! Ich habe keinen Fehler gemacht. Das war einfach nur Pech ...«

»Nein, das stimmt nicht«, erwiderte Henry. »Es war ein Rennen. Ich glaube, das war eine nützliche Lektion für euch beide. Bei einem Rennen kommt es nicht nur darauf an, die Topfavoriten zu schlagen - man muss auch denen ausweichen, die weniger talentiert sind als man selbst.

Bei einem Rennen geht es nicht immer gerecht zu, Jason. Manchmal macht man alles richtig und gewinnt trotzdem nicht. Mann, ich erinnere mich an ein Sydney Classic, als der Erste ganze zwei Runden Vorsprung hatte und dann von einem Nachzügler gerammt wurde, der gerade aus der Boxengasse kam. Damit war das Rennen für ihn gelaufen ... «

Die Türklingel läutete.

Henry Chaser stand auf, ohne seinen Redefluss zu unterbrechen. »... Der Typ war eigentlich uneinholbar, ist aber trotzdem von diesem Stümper gestoppt worden. Herrgott noch mal, wie hieß er noch gleich? War ein wirklich toller Fahrer. Ein junger Bursche. Vor ein paar Jahren hat's ihn erwischt. Äh, das war, das war ... «

Er öffnete die Tür. Auf einmal erinnerte er sich wieder. Er drehte sich um. »... Syracuse! Der war's. Scott Syracuse.«

Er wandte sich dem Besucher zu.

Im Eingang stand Scott Syracuse. Hochgewachsen und im Anzug.

Henry Chaser hätte beinahe seine Zunge verschluckt.

»Oh. Du meine Güte«, stammelte Henry. »Sie sind ... Sie sind ... «

»Guten Abend, Sir. Ich bin Scott Syracuse. Ich habe heute beim Rennen Ihren Sohn kennengelernt.« »Ah ... j-ja«, sagte Henry Chaser.

Jason erhob sich. »Mr. Syracuse? Was machen Sie denn hier?«

Syracuse blieb im Eingang stehen. »Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, Master Chaser. Ihnen und Ihrem Bruder.«

»Ja ...«

»Ihr heutiger Auftritt hat mir gefallen, Master Chaser. Sie haben mit den Füßen und mit dem Herzen gesteuert. Ich glaube, in Anbetracht Ihrer Begabung könnte, eine entsprechende Ausbildung vorausgesetzt, etwas ganz Besonderes aus Ihnen werden. Übrigens habe ich den Rennplan Ihres kleinen Bruders mit einem professionellen Kursplaner am Computer durchgerechnet. Sein Kurs wies eine Übereinstimmung von 97 Prozent auf. Nahezu optimal. Dabei wurden Sie erst zwei Minuten vor Rennbeginn über die Position der Tore informiert. Ihr kleiner Bruder hat den Kurs binnen zwei Minuten im Kopf berechnet. Eine beeindruckende Leistung.

Kurz gesagt, ich glaube, Sie beide sind ein gutes Team. Außer Ihnen ist mir heute niemand besonders aufgefallen. Und da ich nun mal an der tasmanischen Rennschule unterrichte ... «

Jasons Herzschlag beschleunigte sich. »Ja?«

»Master Chaser«, sagte Syracuse. »Möchten Sie und Ihr Bruder unter meiner Aufsicht an der Internationalen Rennschule studieren?«

Jason machte große Augen.

Er wirbelte zu seiner Mutter herum. Ihr standen Tränen in den Augen.

Er sah seinen Dad an. Die Miene des Bugs war undurchdringlich. Langsam schob er den Stuhl zurück und trat zu Jason, stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Jason lächelte.

»Was hat er gesagt?«, fragte Syracuse.

Jason antwortete: »Er hat gemeint, Ihr Renncomputer müsse defekt sein. Sein Kurs sei optimal gewesen. Und dann hat er gefragt: >Wann geht es los?<«