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Es dauerte eine Weile, bis wieder einigermaßen Ruhe im Saal einkehrte und auch die Ängstlichsten begriffen, dass ihnen von den schauderhaften Gestalten offenbar keine Gefahr drohte. Das wirkte wie eine wortlose Bestätigung für das, was Templeton und Carson bislang verkündet hatten. Alles war eine Lüge gewesen, selbst die Sache mit den Nightraidern und dem Seelengift!
Dagegen stiegen bei den Mastern und Prinzipalen und den drei Offizieren das Entsetzen und die Angst sprunghaft an. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie geglaubt, es nur mit ein paar Jungen und Mädchen zu tun zu haben, denen ein verrückt gewordener Templeton die Waffenkammer aufgeschlossen hatte. Deshalb hatten sie im Stillen fest darauf vertraut, dass die mehr als zweihundert Mann starke Kompanie Guardians früher oder später schon den Aufstand niederschlagen würde. Diese Hoffnung zerplatzte nun wie eine Seifenblase angesichts dieser Truppe von Mountain Men, die mit modernen Sturmgewehren und reichlich Munition ausgerüstet waren.
Die beiden Clan-Chefs standen am Bogenfenster, das der Bühne am nächsten war. Jedediah und Scalper Skid hatten Dante zu sich gewinkt. Für sie war er und niemand sonst der Anführer der Libertianer. Dass er mehr als einmal betont hatte, dass es solch einen Anführer bei ihnen nicht gab, hatte sie davon nicht abgebracht.
»Das ovale Gebäude dort links ist das Gym und der Kasten dort rechts ist der Schwarze Würfel, richtig?«, vergewisserte sich Jedediah knapp und deutete dabei auf die jeweiligen Anlagen. Vorhin im Dunkel der Nacht hatten sie schon einmal kurz hier am Fenster gestanden, aber da hatten sie nur die vagen Umrisse der Gebäude ausmachen können.
Dante nickte. »Wie ihr seht, stehen sie der Kaserne am nächsten. An den Außenwänden führen Treppen auf die Dächer und die hohen Metallgeländer bieten gute Deckung vor gegnerischem Feuer.«
Scalper Skid grinste. »Ja, ›beste‹ Voraussetzungen, um von dort aus die Kaserne unter Beschuss zu nehmen!«
»Was nicht nötig sein wird, da sich die Kaserne ja im Lockdown befindet«, teilte Dante ihnen mit. »Nicht mal die schmalen Fenster lassen sich öffnen. Die Guardians dort werden schnell aufgeben, wenn wir den Widerstand der Patrouillen und der Posten auf den Wachtürmen gebrochen haben.«
»Schade eigentlich«, sagte Scalper Skid und schnalzte mit der Zunge. »Hätte bestimmt Spaß gemacht, den Burschen von dort oben aus vollen Rohren einzuheizen.«
»Es bleiben noch genug Schwarzmänner, denen wir einheizen können«, sagte Jedediah trocken. »Also sehen wir zu, dass wir unsere Männer rechtzeitig dort auf die Dächer kriegen, bevor es hell wird und die Morgenpatrouillen ins Camp zurückkehren.«
Scalper Skid schlug ihm derb auf die Schulter. »Guter Plan! Da wäre ich selbst nie drauf gekommen!«, spottete er.
Jedediah verzog keine Miene. »Deshalb hab ich’s ja auch vorgeschlagen.«
Die beiden Clan-Chefs schickten jeweils fünf von ihren Männern los, die sie für die Besetzung der beiden Flachdächer eingeteilt hatten. Nekia und Hailey übernahmen es, sie aus der Lichtburg und auf einem Weg, der ihnen Deckung bot, zu den jeweiligen Außentreppen zu führen.
Ihnen folgten achtundzwanzig weitere Mountain Men hinunter ins Erdgeschoss. Fünf von ihnen oblag es, das Gebäude auf der Hinterfront abzusichern. Drei hatten die Aufgabe, sich beim Solarfeld an die Wachen anzuschleichen und sie außer Gefecht zu setzen. Die anderen würden in Vierer-Gruppen ausschwärmen. Sie sollten versuchen, die aus dem Totenwald zurückkehrenden Patrouillen abzufangen, bevor sie vor der Kaserne zusammentreffen und damit eine größere Feuerkraft entwickeln konnten.
Jedediah und Scalper Skid blieben mit dem Rest ihrer Leute im Saal. Sie würden gleich den Angriff auf die Wachtürme anführen, der vom freien Feld ausgehen musste und daher die gefährlichste aller Aktionen darstellte.
Aber dafür brauchten sie Dante, und der wollte sich unbedingt erst einmal anhören, was Templeton ihnen über die wahre Bestimmung der Electoren zu sagen hatte. Den Moment, in dem die Wahrheit ans Licht kam, wollte er auf keinen Fall verpassen. Und Templeton hatte versprochen, ihnen nichts zu verschweigen.