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Prinzipal Whitelock, ein von Ehrgeiz zerfressener und kantiger Mann mit groben Gesichtszügen, übernahm als Stellvertreter des Primas die Ausführung. Auf sein knappes Handzeichen hin richteten sich die Suchscheinwerfer der beiden Wachtürme, die nahe der Kaserne das Westtor flankierten, auf die Plattform – und auf den weiß lackierten Stuhl, den zwei Guardians aus der Halle ins Freie schoben.
Die Luft war frisch, selbst zu dieser Sommerzeit. Aber die Kälte, die Kendira in diesem Moment bis ins Mark drang, hatte damit nichts zu tun. Ihr gefror das Blut in den Adern, weil sie das Mädchen sah, das mit kahl geschorenem Kopf auf dem Stuhl saß.
Dieser hatte die Form eines schnörkellosen Lehnstuhls mit hohem Rückenteil und breiten Armlehnen. Ein daumendickes Metallgestänge ragte über das Ende des Rückenteils hinaus und endete in einer stählernen Haube. Sie glich einer halbierten Blechkugel, deren offene Seite nach unten zeigte. Sechs stachelähnliche Stahlnadeln ragten aus dem Inneren der Metallschale hervor.
An der Rückseite des Cleansing-Stuhls befand sich ein Stahlkasten mit einer Reihe von Schaltern und Leuchtanzeigen. Ein dickes Stromkabel trat in Bodennähe aus dem Schrank hervor, lief über die Plattform zurück in die Halle und endete dort in einer Steckdose.
Auf dem Appellplatz herrschte nun absolute Stille.
»Libertianer!« Whitelock richtete das Wort an den versammelten Konvent.
Kendira war es, als legten sich eiskalte Metallzwingen um ihre Brust. Sie sah, wie Whitelock seine Urteilsverkündigung mit sparsamen Gesten untermalte. Aber das meiste, was er sagte, ging in dem Dröhnen unter, das ihren Kopf erfüllte. Und mit jedem Satzfetzen, der in ihr Bewusstsein drang, wuchs die Angst in ihr.
»… Kenntnis von entarteten Schriften und den Geist zersetzenden Seelengiften …«
»… gemeinsame Sache mit der Mordbande der Nightraider aus der Dunkelwelt …«
»… schändlicher Verrat an unserer Gemeinschaft und der Erhabenen Macht …«
»… ihr Gehirn von allem krankhaften Gedankengut reinigen …«
»… deshalb als Strafe beschlossen die Auslöschung der Verräterin Kendira!«
In dem Moment, als sie ihren Namen hörte, wich der letzte Rest Benommenheit von ihr, und nun sah sie auch das Gesicht unter der glitzernden Stahlhaube.
Es war ihr eigenes!
Sie, Kendira, saß dort oben auf dem Cleansing-Stuhl! Stählerne Klammern, die nicht den geringsten Bewegungsspielraum zuließen, umschlossen ihre Glieder, und ihr kahl rasierter Kopf war mit einem Stahlband fixiert, das ihren Schädel starr unter den sechs hohlen Bohrnadeln der Metallhaube hielt.
Ihr war, als wäre ein unsichtbarer Teil ihres Ichs aus ihrem Körper herausgetreten und beobachtete nun unten vom Appellplatz aus, wie sie bei dieser Erkenntnis die Augen in Todesangst aufriss und sich vergeblich gegen die stählernen Klammern aufzubäumen versuchte.
Sie wurde gerade Zeugin ihrer eigenen Auslöschung!