10

 

 

 

Zwei Stunden später hatte das Schmerzen der sterilisierten Kratzwunden nachgelassen, und er hatte es endgültig aufgegeben, nach einer Möglichkeit der Reparatur des entstandenen Schadens zu suchen.

Nun, da er sich wieder beruhigt hatte, erkannte er erst, daß er sich in mancher Hinsicht wie ein Narr benommen hatte. Sie hatte viele Bemühungen unternommen, um ihm ein ganzes Dutzend Chancen zu geben, sein Anliegen vorzutragen. Sie hatte alles getan, was ihr Kodex erlaubte, wahrscheinlich sogar noch mehr. Dieses Kleid hatte sie sorgfältig für ihn ausgesucht, sie war nicht so plump, um ihm zufällig einen Schenkel zu entblößen. Nach ihren Standards hatte sie sehr wahrscheinlich schon in entwürdigender Weise lasziv gehandelt. Und er hatte sie kalt und brutal brüskiert und verletzt.

Und nach dieser Affäre beim Evangelistentreffen hätte jeder sensible Mann das Geschehene entweder vergessen oder eine kleine Romanze begonnen. In der Theorie, das wußte er, benötigten die Leute hier weitgespannte romantische Szenen, um all ihre Wunschträume zu befriedigen, was fast in direkter Proportion zur Tristheit und Eintönigkeit ihres Alltags stand. Und es lag ganz gewiß nichts Romantisches in der Drohung, ihr den Hintern zu versohlen, oder in der Einladung zum Essen oder in überhaupt allem, was ein Mann hätte versuchen können.

Doch all das hätte man wahrscheinlich wieder einrenken können. Doch dann hatte er ihr die geistige Einstellung eines erwachsenen Marsianers unterstellt und ihr etwas gezeigt, das hierzulande noch nicht einmal die Prostituierten akzeptieren würden.

Er zupfte das Pflaster von seiner Schulter und warf es in den Papierkorb. Er hätte es so oder so wechseln müssen, aber nun war er endgültig fertig damit. Auf der Erde mußte man entweder mit den Wölfen heulen, oder man heulte überhaupt nicht!

Er war dumm genug gewesen, alle Hoffnungen auf eine Rückkehr aufzugeben. Er wäre vielleicht sogar bereit gewesen, der Unzahl umherstreunender, hungriger Bälger noch weitere hinzuzufügen. Das war sein wirklicher Fehler gewesen.

Es klopfte an der Tür, und er rief seine Erlaubnis zum Eintreten hinüber. Früher oder später würde Pete sowieso sehen, was vorgefallen war – weshalb es also nicht gleich hinter sich bringen?

 

 

Aber es war nicht Pete. Mort betrat den Raum und verschloß sofort die Tür wieder sorgfältig. Seine Schweinsäuglein sahen sich neugierig in den beiden Räumen um.

„’n Abend, Doktor. Hübsches Plätzchen hier. Wirklich hübsch. Früher einmal, bevor mich Sue geschnappt hat, habe ich mir vorgestellt, auch mal so zu wohnen. Aber Sue ist nicht der Typ, um mit einem Mann gemeinsam etwas aufzubauen. Wirklich, echt hübsch. Man sollte nicht meinen, daß ein gebildeter Mann, noch dazu ein rechtschaffener, die Schwester eines armen Mannes so behandeln könnte, wie Sie das getan haben. Wenn Sie …“

„Haben Sie sie gesehen?“ fragte Boyd.

„Na klar. Wohin hätte sie denn sonst gehen sollen, wenn nicht zu ihrem Bruder, wenn ein Mann ihr eine solche Gemeinheit antut? Wenn Sie mich gefragt hätten, ich hätte Ihnen ein paar Weibsbilder herschaffen können, und zwar schnell genug, die auch ein paar unnatürliche Dinge mit Ihnen durchgezogen hätten, mit Drogen oder so etwas. Aber nein, Sie mußten meine Schwester mißbrauchen.“

„Sie kann Sie niemals hergeschickt haben“, sagte Boyd geradeheraus.

Mort dachte darüber nach, die Augen gedankenverloren auf die Truhe unter der Koje gerichtet. „Nein, nein. Kann nicht behaupten, daß sie das getan hätte. Liegt überhaupt nicht in Ellens Art. Aber es gibt einige Dinge, die ein Bruder nicht ungestraft durchgehen lassen kann.“

Boyd zog eine Grimasse und erhob sich.

„Also gut, Mort“, sagte er kalt. „Lassen Sie die Floskeln und sagen Sie mir, weshalb Sie gekommen sind. Sie wollten Verhütungspflaster von mir kaufen, tun Sie also nicht so, als ob deren Gebrauch Sie schockieren würde. Was wollen Sie wirklich?“

„Doktor, Sie fangen an, mir zu gefallen“, versicherte Mort ihm. Er ließ sich auf die Koje fallen. „Na schön, kommen wir zur Sache. Sicher, es ist mir vollkommen egal, was Sie tun, solange Sie das Mädchen nicht verletzen. Ich kann nicht sagen, daß ich diese Hormondinge billige, denn ich glaube, ein Mann hat eine Pflicht zu erfüllen. Aber Ihre Gebräuche sind anders als unsere, und sie kann sich anderweitig um ein Baby kümmern – wenn sie nichts davon weiß. Aber sie weiß es. Und das bedeutet Ärger. Ellen ist ein wirklich religiöses Mädchen. Stellen Sie sich einmal vor, was sie sagt, wenn sie das nächste Mal zur Beichte geht.“

Daran hatte Boyd noch gar nicht gedacht, doch nun trafen ihn die Gedanken an mögliche Konsequenzen wie ein Schlag.

„Das ist es“, fuhr Mort fort. „Sie wird zur Beichte gehen müssen. Und das wird ihr weh tun. Oh, dieses Evangelismuszeug, das spielt keine so große Rolle. Viele Mädchen warten nicht bis zur Hochzeit, und die Priester sind daran gewöhnt. Aber man wird ihr verbieten, noch einmal hinzugehen. Und wegen dem, was ihr zugestoßen ist, wird man ihr in letzter Instanz verbieten, in den nächsten Jahren zu heiraten. Das wird sie am allermeisten schmerzen. Aber das ist noch nicht alles. Sie wird ihnen den Namen des Mannes verraten müssen, der es getan hat.“

Was Mort da sagte, konnte durchaus der Wahrheit entsprechen. Sie würden ihr schon ganz schön hart zusetzen, doch sie würden noch viel mehr bemüht sein, ihn zu bekommen, denn bei aller Haarspalterei konnten sie ihr ja nun wirklich keine Verletzung ihres geliebten elften Gebotes vorwerfen.

Er griff nach seiner Robe. „Schon gut, Mort. Ich werde zu ihrem Priester gehen und ihm die ganze Angelegenheit beichten. Wenn er mich zuerst bekommt, wird es vielleicht nicht so schwer für sie.“

Mort grunzte ablehnend. „Sie bekommen mindestens zehn Jahre in einem der unterirdischen Kraftwerke – und davon bleiben Sie vielleicht fünf am Leben. Gut, gut. Dann wären Sie ein Held. Aber vielleicht weiß ich einen Weg, um es sowohl für Sie als auch für Ellen leichter zu machen. Aber meine Zeit ist wertvoll. Ich appelliere an Ihre Ehre als Gentleman, nachher alles mit mir abzuklären. Nun aber – können Sie beschwören, irgend etwas mit meiner Schwester gehabt zu haben?“

Boyd dachte darüber nach. Er hatte keinen Zweifel daran, daß er mit Ellen geschlafen hatte, doch er konnte nicht beweisen, ob es nicht doch das Mädchen gewesen war, das offensichtlich jeden Mann gewollt hatte, den sie hätte bekommen können. Sie war nahe genug gewesen.

„Sehen Sie? Und sie kann es auch nicht beschwören. Sie hatte Sie nicht in den Armen, als das Licht ausging, oder doch? Oh, schauen Sie nicht so überrascht drein; ich weiß über diese Dinge Bescheid. Hielt sie Sie fest oder nicht?“

„Nein“, gestand Boyd. Er kam sich abscheulich vor, darüber zu diskutieren, aber wenn er dem Mädchen helfen konnte, wollte er es gerne auf sich nehmen. „Nein, ich wollte gerade aufstehen, als die Lichter ausgingen. Ich dachte, wir würden gehen.“

„Ah. Das übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Ich werde ihr sagen, daß ich ein langes Gespräch mit Ihnen hatte. Sie standen auf. Mal sehen. Ja. Sie wußten, Sie hatten dieses Ding im Nacken und wollten sie daher nicht berühren. Sie wird Sie noch immer dafür hassen, daß Sie es überhaupt benutzen, doch auf diese Weise wird sie vielleicht glauben, Sie seien ein Gentleman und so weiter. Sie standen rasch auf und gingen hinaus. Aber dieses kleine Flittchen Marian mit ihrem mordsmäßigen Vorbau – ich kenne sie, ich habe meine Schwester zu ihr geschickt, als sie zum erstenmal ein solches Treffen besuchen wollte –, diese Marian hat Sie erwischt. So könnte es sich abgespielt haben, und ich wette, Ellen wird es glauben. Also hat Ellen jemand anders erwischt. Und Sie waren zu verlegen, um ihr alles zu gestehen. Oh, ich glaube, ich kann alles wieder geradebiegen. Ich werde eben ein wenig grober mit ihr sprechen, nicht so sanftmütig wie beim vorigen Mal. Alles, was sie zu beichten hat, wird sein, zu diesem Treffen gegangen zu sein, vielleicht noch nicht einmal das. Wie hört sich das an?“

Es hörte sich absolut verkommen an – aber mit großer Wahrscheinlichkeit könnte es klappen.

„Jetzt müßten wir noch einen Weg finden, um es ihr zu beweisen“, meinte er nachdenklich. „Mort, wie gut kennen Sie diese Marian? Könnten Sie ein Treffen arrangieren, bei dem Ellen uns sehen könnte?“

Mort schlug mit einer Hand kräftig auf Boyds Rücken. „Alle Wetter, Doktor, Sie haben das Zeug zu einem Intriganten. Sicher – klar, so eine Chance wird sie sich nicht entgehen lassen. Einen richtigen, lebenden Marsianer! Ich werde sie vor das Tor des Instituts, wo Sie arbeiten, bestellen. Und nun – was springt für mich heraus?“

„Wenn Sie noch sicherstellen können, daß Ellen nicht ihren Job an den Nagel hängt, dann gilt das Geschäft“, antwortete er. In wenigen Wochen schon würde sie eine außerordentlich geschickte Labortechnikerin geworden sein, so daß ihr die Arbeitssuche keine Probleme mehr bereiten würde, nicht einmal auf der Erde. Er wollte nicht, daß sie ständig wieder in die schützenden Arme Morts zurückkehren mußte.

Mort verließ ihn mit den kleinen Pflastern und Instruktionen, wie sie anzuwenden waren und wie viele man zur maximalen Dosierung verwenden konnte, wobei letzteres aber kaum einen praktischen Wert hatte. Boyd blieb mit seinem Gewissen zurück.

Die Erde war ein herrlicher Ort. In einem Jahr oder so würde er, wenn er so weitermachte, nicht nur Morts volles Vertrauen und dessen Zustimmung gewonnen haben, nein, in diesem Zeitraum konnte er zu einem zweiten Mort werden.

Ellen erschien am nächsten Morgen wie üblich zur Arbeit. Ihr Gesicht war geschwollen, und sie zeigte deutliche Anzeichen von Mangel an Schlaf, doch sie war kalt und beherrscht. Die Kratzer in seinem Gesicht erklärte er als Überbleibsel einer Straßenkeilerei, in die er unschuldig verwickelt worden war, was niemand bezweifelte. Nur Ben betrachtete sie näher, während sie arbeiteten.

Im Laufe dieses Tages griff er einmal, ganz in seine Arbeit vertieft, zu ihrem Schreibtisch hinüber, um sich etwas zu holen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie angeekelt zurückfuhr. Sie behielt einen gezwungenen freundlichen Gesichtsausdruck bei, und auch ihre Stimme klang sanft, doch ihre Augen waren kalt wie Eis.

„Bitte berühren Sie mich nicht, Dr. Jensen.“

„Tut mir leid“, antwortete er, bemüht, auch seine Stimme unbeteiligt klingen zu lassen. „Ich werde mich bemühen, daran zu denken.“

Er dachte daran. Er hätte es auch nur schwerlich wieder vergessen können. Im Verlauf des langen Tages bildete sich eine Spannung heran, so daß seine Arbeit schließlich fast nutzlos wurde. Doch sie schien davon nicht betroffen zu sein. Sie arbeitete weiterhin mit kalter, unbeteiligter Präzision. Einmal, als sie eine hochkomplizierte Messung auf dem Schirm fehlerlos beendet hatte, schüttelte er den Kopf. Sie schien diese Geste richtig zu interpretieren.

„In unseren Slums lernen die Leute der unteren Klasse, unter allen Umständen zu arbeiten, Dr. Jensen“, sagte sie tonlos. „Ich hoffe, Sie halten mich noch immer für kompetent.“

Er hätte sich besser gefühlt, wenn sie vollkommen abweisend gewesen wäre und ihn überhaupt nicht angeschaut hätte. Das wären die Anzeichen eines Ärgers gewesen, den er hätte verstehen können. Doch diese kalte Kontrolle ließ ihn erschauern. Er wollte sich gerade wieder seinen Aufgaben zuwenden, als er merkte, daß es Zeit war, nach Hause zu gehen. Er deckte sein Mikroskop zu und begann, seinen Labormantel aufzuknöpfen.

Ellen kam näher, ohne ihn zu berühren. „Ich möchte Ihnen etwas sagen. Bitte gehen Sie noch nicht gleich.“

Sie wartete, bis sie beide allein in dem Labor waren. Während dieser Zeit saß sie vollkommen stumm auf dem Labortisch neben ihm. Als die Tür sich hinter dem letzten Arbeiter geschlossen hatte, wandte sie sich ihm zu.

„Mort sagte mir, er habe mit Ihnen gesprochen“, sagte sie leise. „Das tut mir leid. Ich muß hysterisch gewesen sein, mich ihm anzuvertrauen. Es tut mir auch leid, daß ich versucht habe, Sie zu töten. Nein, bitte sagen Sie nichts. Ich wollte Ihnen nur eines sagen: Ich werde Ihr Benehmen nicht offenbaren. Mort hat Sie angelogen, fürchte ich. Man muß nicht beichten, wenn an einem selbst gesündigt wurde, sondern nur dann, wenn man selbst gesündigt hat.“ Sie erhob sich gewandt und ging dem Ausgang zu. „Vielen Dank, daß Sie gewartet haben, Dr. Jensen. Gute Nacht.“

Er folgte ihr langsam. Erst als er die äußere Tür erreicht hatte, fiel ihm seine Abmachung mit Mort wieder ein; Marian würde ihn erwarten. Doch es war schon zu spät, einen anderen Ausgang zu benutzen. Das Mädchen stieß einen kehligen Ruf aus und kam besitzergreifend auf ihn zu. Wenn Ellen es bemerkte, so ließ sie es sich nicht anmerken. Sie sah nicht zurück.

Marian war ein Mädchen, das auch unter den besten Umständen ein Problem hätte sein können, und Boyd war überdies überhaupt nicht in der Stimmung, sich mit ihrer aggressiven Art abzugeben. Das schien allerdings keine Rolle zu spielen. Sie benahm sich so, als sei er einfach ein wenig schüchtern, weshalb sie selbst die Initiative zu übernehmen hätte. Ihr belangloses Geschnatter schien niemals enden zu wollen. Er fühlte sich schuldig wegen dieser Sache. Das Seltsame war nur, sie schien offensichtlich in dem Glauben zu handeln, daß Boyd an ihr Gefallen gefunden und Mort daher als Vermittler gesandt hätte. Doch wenn sie auch eine Freundin Morts war, so hatte sie dennoch nichts Dirnenhaftes an sich. Am Ende gab er nach. Er hatte schon genug Ärger verursacht, und er wollte nun nicht auch noch Marian verletzen, schon gar nicht wegen einer so unbedeutenden Angelegenheit. Wie er schnell herausfand, hatten nicht alle Mädchen auf der Erde Ellens Moralvorstellungen. Einmal in seinem Apartment angekommen, schlüpfte sie sehr schnell aus ihrem Kleid und enthüllte ihm ihre nicht unerheblichen Reize.

Sie schien hinterher ein wenig enttäuscht von Boyd und den marsianischen Männern zu sein, obwohl er sein Bestes getan hatte. Doch sie war verständnisvoll und verbarg ihre Enttäuschung, sie küßte ihn in der freundschaftlichsten Weise, als sie am Morgen ging. Doch zu seiner großen Erleichterung machte sie kein weiteres Rendezvous mit ihm aus.

Nur Pete schien glücklich über dieses Abenteuer zu sein. Er hatte schon begonnen, sich über Boyds Gesundheitszustand Sorgen zu machen, doch nun war er wieder sichtlich beruhigt.

 

 

Irgendwie ging das Leben weiter. Boyd beendete den Bericht über die Hefezellen mit negativen Resultaten und beteiligte sich an den anderen Laborprojekten. Wie er herausfand, war er recht gut im raschen Identifizieren von Gen-Schablonen, und mit Hilfe seiner Bücher bemühte er sich nach Kräften, diese Fähigkeit noch zu verbessern.

Schließlich wurde die Monotonie unterbrochen. Ein Minenschiff hatte eine seltsame neue Art von blauem Seetang auf einer Insel gefunden, und die Besatzung war außerstande, die Proben ordentlich zu transportieren und zu behandeln. Boyds Mikroskop bot die einzige Möglichkeit einer sorgfältigen Untersuchung direkt am Fundort, daher wurden er und Ben, zusammen mit einem Team Biologen, zu der Insel geflogen.

Es war Boyds erster Flug, denn die dünne Atmosphäre des Mars erlaubte keinen Luftverkehr. Es war gleichzeitig eine große Überraschung für ihn, denn er hatte nicht geglaubt, daß die Technologie der Erde in der Lage wäre, so etwas zu bauen. Sowohl das Flugzeug selbst als auch der Motor schienen handgearbeitet zu sein, dennoch war der Flugkörper überaus perfekt; man war fast versucht, wider besseres Wissen an eine maschinelle Herstellung zu glauben. Wie er erfuhr, waren etwa hundert solcher Flugzeuge für die Kirche und die Regierung im Einsatz.

Sie flogen in geringer Höhe über den Hafen hinweg, und er sah die zerschmolzenen Ruinen Manhattans. Er war überrascht angesichts des regen Schiffsverkehrs, der noch immer auf dem Hudson herrschte. Zudem gab es viele Hausboote, die sich an den Ufern des Flusses, bis hin zum fernen Meer erstreckten. Und hier waren auch die Algenfarmen, fruchtbar gemacht durch die Minerale, die von den großen unterseeischen Kraftwerken hochgepumpt wurden. Ben deutete auf die Fermentierungströge, in denen Hefe die Algenabfälle zu Alkohol vergor; offensichtlich lag hier teilweise der Grund für den Gestank, der wie eine Glocke über der ganzen Stadt hing.

Das erste, was ihm auf der Insel auffiel, war das Schiff. Es war mindestens hundertzwanzig Meter lang und aus Aluminiumerzen und Fiberglas erbaut. Obwohl es über einen Alkoholmotor verfügte, hatte es auch eine beachtliche Anzahl von Segeln, die an vier schlanken Masten befestigt waren. Das Deck war übersät mit Ausrüstungen, um die begehrten Manganknollen vom Grund des Ozeans hochzupumpen. Es lief aus, sobald das Flugzeug ankam, und die Segel wurden vom Wind aufgebläht. Die Schönheit dieses grazilen Gebildes übertraf alles, was Boyd bisher gesehen hatte.

Der Seetang war am Absterben, aber nach den Untersuchungen zu urteilen, war er ohnehin nicht von großem Wert. Die Biologen stuften ihn als Produkt einer wohlbekannten Spore ein, die zu schwach war, um von Interesse zu sein. Mit Hilfe des kleinen Generators des Flugzeugs fertigte Boyd Routinefilme von der Genstruktur an, machte sich aber nicht die Mühe, sie zu analysieren.

„Solche Sachen kommen immer häufiger vor“, sagte einer der Biologen beim Rückflug. „Und wir müssen jedem einzelnen Fall nachgehen und sehen, ob wir es mit einer wertvollen oder gefährlichen neuen Spezies zu tun haben. Diese Dinge entwickeln sich eben auch weiter. Wir haben noch immer nicht alle Resultate über rezessive Mutationen, die als Strahlenfolge bei der Bombardierung entstanden sind, ausgewertet. Wahrscheinlich werden wir noch mehrere Jahrhunderte lang wachsam sein müssen.“

Die Nützlichkeit von Boyds Mikroskop war der Obrigkeit nicht verborgen geblieben. Im Verlauf der nächsten Woche wurde es einer eingehenden Untersuchung unterzogen, um festzustellen, ob man vielleicht ähnliche Geräte selbst herstellen konnte. Zu Boyds Erleichterung wies es keinerlei Schäden auf, als er es zurückbekam. Selbst wenn man es duplizieren konnte, würde er in den nächsten Jahren kaum die Chance haben, ein neues zu bekommen.

Er mußte noch zwei Tage arbeiten, danach folgte eine längere Unterbrechung. Es war etwas eingetreten, das die Laboratorien der großen Kathedrale von St. Bonaforte in die Dringlichkeitsstufe hob, und alle hochbegabten Zytologen wurden dorthin beordert. Auch Boyd und Ben waren auf der Liste.

Ellen hatte seine gesamte Ausrüstung verpackt und beschriftet, als er kam und die Einberufung durchlas. Sie mußte zurückbleiben und wurde vielleicht vorübergehend vom Dienst suspendiert. Sofort suchte er nach einer Möglichkeit, sie anderweitig zu beschäftigen, doch sie stoppte ihn sofort.

„Dr. Morrow bat mich, ihm während Ihrer Abwesenheit zu helfen, Dr. Jensen.“

Morrow war ein recht junger, attraktiver Mann, der von allen geliebt und geschätzt wurde – ganz besonders von Frauen. Doch das ging Boyd nichts an und löste das Problem ausgezeichnet. Vielleicht freute sie sich über die Versetzung.