KAPITEL 10
Tirman’oc
Die anderen bemerkten am nächsten Morgen erleichtert, dass Rijana und Falkann sich anscheinend wieder versöhnt hatten. Nur Ariac hatte ein düsteres Gesicht aufgesetzt. Selbst Rudrinns und Brodericks Blödeleien konnten ihn nicht aufmuntern.
An diesem Tag erreichten sie die Wälder von Tirman’oc. Alle waren erleichtert, denn Scurrs Blutrote Schatten würden sie dorthin nicht vorfolgen können. Und trotzdem machte sich ein seltsames Gefühl bei ihnen breit, denn eigentlich gehörten sie nicht hierher, es war ein fremdes Reich, unheimlich und faszinierend zugleich. Der Wald schien sich vor Bali’an zu teilen und weiche Waldwege freizulegen.
»Wirst du mich diesmal auch verprügeln, Brogan?«, fragte Rudrinn, um diese merkwürdige Stille zu durchbrechen.
»Das kannst du schon haben, wenn du das möchtest«, knurrte der Zauberer und blickte fasziniert auf die hohen, uralten Bäume. Damals, als die Kinder plötzlich verschwunden waren, hatte er wirklich Angst um sie gehabt, denn eigentlich war es Menschen nicht gestattet, den Wald von Tirman’oc zu betreten. Viele Wanderer waren niemals zurückgekehrt.
»Der Wald hat damals gewusst, dass Rijana und Rudrinn zwei der Sieben sind«, erklärte Bali’an unbeschwert. »Deshalb durften sie auch bis zu unserem Schloss vordringen.«
»Du wusstest es?«, fragte Nelja überrascht.
»Ich habe es von Thalien gehört. Mein Vater hat schon immer mit mir geschimpft, weil ich mich für Menschen interessiere.«
Leise lachend sah die junge Zauberin zu dem Elfen hinüber. Sie mochte Bali’an. Er war so lustig, unbeschwert und geradeheraus wie ein kleines Kind – sehr ungewöhnlich für einen Elf.
Dann ritten sie weiter durch die eigenartige Stille des Waldes. Leichter Nebel lag über den sanften Hügeln und Lichtungen.
»Es ist viel zu kalt für Sommer«, murmelte Brogan und rieb die kalten Hände aneinander.
Plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchte auf einem Hügel ein gigantisches schneeweißes Schloss auf. Alle waren verblüfft. Sie glaubten, niemals etwas Schöneres gesehen zu haben. Zahlreiche Türme und Erker waren zu sehen, die sich an uralte Bäume schmiegten. An der rechten Seite des Schlosses stürzte ein Wasserfall in die Tiefe, überall blühten Blumen, auch wenn sie bei dieser kalten Witterung ein wenig an Pracht eingebüßt hatten.
»So schön hatte ich es nicht in Erinnerung«, flüsterte Rijana, und auch Rudrinn schüttelte den Kopf.
»Es erinnert mich ein wenig an Greedeons Schloss«, meinte Tovion mit gerunzelter Stirn. »Allerdings wirkt seines nur protzig, das hier, das ist unglaublich.«
»Ein König, der lange vor Greedeon geherrscht hat, hat das Schloss von Balmacann nach Tirman’ocs Vorbild gebaut«, erklang plötzlich eine mächtige Stimme, und alle fuhren herum. Aus dem Wald trat Thalien, der König vom Mondfluss, der Herr der Elfen.
Alle, die ihn noch nicht gesehen hatten, erstarrten vor der uralten Weisheit, die der Elf ausstrahlte. Auf seinem von weißblonden langen Haaren umrahmten Gesicht zeichnete sich ein gütiges Lächeln ab. Das Faszinierendste waren jedoch seine Augen. Die schienen jedem Einzelnen bis in die Seele blicken zu können, waren jedoch so gütig und von uraltem Wissen erfüllt, dass man sich seltsam getröstet fühlte.
»Seid willkommen in Tirman’oc, dem Überbleibsel unseres einst riesigen Elfenreiches!« Thalien bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, ihm den Weg hinauf zum Schloss zu folgen.
»Ich fand ja Elli’vin, Bali’an und Tja’ris schon bezaubernd«, flüsterte Saliah Rudrinn zu. »Aber dieser Thalien, der ist …«
»Unfassbar«, vervollständigte Rudrinn den Satz, dann zwickte er sie in die Nase. »Obwohl ich sehr dagegen bin, wenn du einen anderen Mann interessant findest.«
Saliah lachte leise und konnte den Blick gar nicht von dem prächtigen Elfenschloss lösen. Verzaubert trat sie durch ein hohes Tor, welches mit elfischen Runen verziert war und sich auf eine Handbewegung von Thalien hin lautlos öffnete. Der Hof war wunderschön bewachsen, Efeu und Rosenranken schmiegten sich an die uralten Mauern. In der Mitte sprudelte ein Brunnen. Überall blühte es. Die überdachten Gänge rund um das Schloss waren kunstvoll verziert, und Vögel flogen zwitschernd herum. Es war so, als hätten die Elfen ihr Reich niemals verlassen. Beinahe glaubten sie, Elfen in den sich weit nach Norden erstreckenden Gärten wandeln zu sehen.
Ehrfürchtig und schweigend betraten die Freunde das Schloss. Auch in den Räumen wirkte alles hell und luftig. Die wunderschön bemalten Wände zeigten kunstvoll gemalte Landschaften, Drachen und Elfen. Rijana blieb beeindruckt vor einem Bild mit einem grünen Drachen stehen.
»Vor langer, langer Zeit sind die Drachen noch frei über die Berge geflogen«, erzählte Thalien und legte Rijana eine Hand auf die Schulter.
»Warum sind die Drachen ausgestorben?«, fragte sie und fuhr mit den Fingern über das Gemälde.
Thalien seufzte. »Sie lebten in Ursann, aber als Kââr sich dort niederließ, rotteten er und seine Verbündeten die Drachen nach und nach aus.«
»Das ist traurig.«
»Vielleicht werden eines Tages wieder Drachen über die Länder fliegen.« Mit seinem melancholischen, gütigen Lächeln winkte Thalien den Sieben mitzukommen.
Man hätte wohl in diesem ganzen Schloss viele Jahre verbringen können und hätte noch nicht alles gesehen. Jeder einzelne Pfeiler, jede Fliese war so kunstvoll gearbeitet, dass es einem den Atem verschlug. Dann traten sie in eine riesige Halle. Auch hier rankten Efeublätter über die Säulen, und an den Wänden sah man die Zeichnungen von gewaltigen Schlachten.
»Dies sind die wichtigsten Schlachten, vom Anbeginn der Elfen an.« Thalien deutete auf eine mit einem furchteinflößenden, grauhaarigen alten Mann. Selbst auf dem Bild hatte er eine finstere Ausstrahlung. Man sah, wie er von einem jungen Mann, einem Steppenkrieger, getötet wurde, während außen herum eine blutige Schlacht tobte.
Ariac trat fasziniert näher heran.
»War ich das?«, flüsterte er, so als traue er sich das nicht laut auszusprechen.
Thalien kam zu ihm und nickte ihm zu. »Dein Name war Norgonn, und du warst auch damals ein Kind der Steppe.« Er blickte alle nacheinander an. »Damals wart ihr siegreich, und ihr wurdet gute und gerechte Könige der Länder.«
»Ich will aber kein König werden!« Rudrinn verzog das Gesicht.
»Das musst du ja auch nicht. Aber du möchtest doch sicher Scurr und seine Schergen besiegen«, vermutete Thalien und blickte den Piraten durchdringend an.
Rudrinn traute sich nicht zu widersprechen und zog Saliah an sich.
Nun ging Thalien in die Mitte des Raumes. Auf dem Boden sah man kunstvolle Mosaike. Er hob eine Steinplatte an und sprach einige elfische Worte. Ein weiches, schimmerndes Licht strömte hervor, und sie glaubten, leise, überirdische Musik zu vernehmen.
»Hier, in unserem früheren Schloss liegt die Quelle mit dem magischen Feuer. Es ist der kraftvollste Ort aller Länder. Hier liegt der Geburtsort der elfischen Magie.«
Allen Anwesenden stockte der Atem. Instinktiv spürten nicht nur Nelja und Brogan die magische Kraft, die von diesem Ort ausging.
»Stellt euch im Kreis auf«, verlangte Thalien von den Sieben. »Nehmt Ariac in eure Mitte, denn er braucht die Kraft von euch allen, wenn er Scurr wirklich ein für alle Mal besiegen will.«
Nun wurde Ariac ganz seltsam zumute. Sollte es wirklich seine Aufgabe sein? Plötzlich wurde Falkann wieder von seinen Schuldgefühlen gequält. Er wusste, dass sie nur gemeinsam und als Einheit stark sein konnten, dass er beichten musste, dass er aus egoistischen Gründen Ariac hatte verraten wollen.
»Thalien, ich muss …«
»Jetzt nicht.«
Das gütige Lächeln des Elfenkönigs verstärkte seine Schuldgefühle nur noch. »Aber Thalien, ich habe …«
Nicht was wir denken, macht uns zu Verrätern, sondern das, was wir tun. Diese bewegenden Worte hallten in Falkanns Innerem wider.
Falkann keuchte auf, und Saliah, die neben ihm stand, musterte ihn besorgt. »Geht es dir nicht gut?«
»Doch, doch, alles in Ordnung«, behauptete er. Als er in das gütig lächelnde Gesicht Thaliens blickte, beruhigte er sich ganz allmählich.
Zögernd stellten sich die Sieben im Kreis auf und taten, wie Thalien ihnen befohlen hatte. Ariac stand unentschlossen in der Mitte.
»Nun musst du dein Schwert in den Strahl der magischen Quelle halten, Ariac.« Thalien wandte sich nun an alle. »Es kann sein, dass ihr Bilder aus euren früheren Leben seht. Das kann für den einen oder anderen schmerzhaft oder schockierend sein. Aber ihr müsst so lange stehen bleiben, bis die Quelle versiegt ist.«
Die Sieben nickten sich noch einmal zu, dann schlossen sie die Augen. Thalien begann, in der Elfensprache zu singen, und als Ariac sein Schwert in das Licht hielt, breitete sich eine Art magischer Nebel über alle aus.
Brogan und Nelja, die gebannt etwas abseits standen, konnten nichts mehr erkennen.
Tatsächlich zogen Szenen aus früheren Leben an allen vorbei. Sie sahen noch einmal die Menschen, die sie geliebt und die sie verloren hatten. Sie sahen die Länder, wie sie ganz anders ausgesehen hatten. Es waren merkwürdige, erschreckende und doch zugleich vertraute Gefühle, die sie ergriffen. Niemand wusste, wie viel Zeit vergangen war, als Thalien etwas rief, das Licht sich zurückzog und in Ariacs Klinge floss. Er schwankte, torkelte zurück und fiel schließlich auf die Knie.
Rijana dachte nicht weiter nach und umarmte ihn. »Ariac, was hast du denn?« Auch sie hatte die vielen Szenen aus früheren Leben gesehen. Sie hatten diese Erinnerungen verwirrt, aber Ariac wirkte völlig verstört.
Zuerst konnte er nicht sprechen, sondern zitterte am ganzen Körper.
Falkann stand mit angespannter Miene daneben, und Thalien kam zu ihm. Der Elf legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Lass sie, jetzt braucht er sie«, bat er leise.
Falkann senkte den Kopf und ging ganz langsam ans andere Ende des Raums. Noch einmal betrachtete er die längst vergangenen Schlachten, und in seinem Innersten hatte er vor wenigen Augenblicken eine Entscheidung gefällt.
»Ariac, ist alles in Ordnung mit dir?« Besorgt streichelte Rijana ihm über die Wange.
Er schluckte krampfhaft und sagte dann mit Entsetzen in den Augen: »Ich habe noch einmal gesehen, wie du in der letzten Schlacht getötet wurdest. Diesmal werde ich nicht zulassen, dass dir etwas geschieht, das verspreche ich.«
Ohne etwas zu erwidern und auch ohne an Falkann zu denken, nahm sie ihn fest in den Arm. Ariac drückte sein Gesicht an ihre Schulter und bemühte sich, die vielen Eindrücke zu verarbeiten, die in den letzten Augenblicken auf ihn eingeströmt waren. Er glaubte, die zukünftige Schlacht gesehen zu haben. Er hatte mit Scurr auf einem Hügel gekämpft, hatte es aber nur undeutlich wahrnehmen können.
Thalien winkte den anderen mitzukommen. »Lasst die beiden kurz allein. Später muss ich mit Ariac noch einmal die magische Quelle befragen.«
Broderick nahm Falkann, der vor sich hin starrte, am Arm. »Komm, sei nicht eifersüchtig. Rijana wird nicht …«, versuchte er, den Freund zu trösten.
Aber Falkann schüttelte den Kopf. »Schon gut, lass sie.«
Thalien ging mit den anderen in einen Raum, in dem viele steinerne Stühle standen. Aus einem Geheimfach in der Wand holte er einen steinernen Krug und silberne Kelche heraus. »Das ist Elfenwein, den werdet ihr jetzt gebrauchen können.«
Die jungen Leute nickten, die Eindrücke hatten sie doch sehr mitgenommen.
»Ich war einmal ein Mann«, sagte Saliah fassungslos zu Rudrinn. »Daran konnte ich mich nicht einmal erinnern, nachdem ich in Thondras Hallen war.«
Rudrinn verzog das Gesicht, aber auch sein Grinsen wirkte heute nicht so frech wie sonst. »Na, da habe ich in diesem Leben aber Glück.«
»Das war unglaublich«, sagte Tovion fasziniert und erschrocken zugleich. Auch wenn die Erinnerung bereits wieder zu verblassen begann, hatte er all seine Leben vor sich gesehen.
Thalien nickte. »Das waren viele Eindrücke, die auf euch eingeströmt sind. Aber ihr habt all eure Freundschaft und all eure Stärke mit in Ariacs Schwert strömen lassen. Durch eure Verbundenheit habt ihr nun eine echte Chance zu siegen.«
»Aber was sollen denn sieben Leute gegen Scurrs Blutrote Schatten und Massen von Orks ausrichten können?«, fragte Broderick skeptisch.
Thalien schüttelte seinen Kopf. »Nicht sieben Leute, aber sieben starke und mutige Krieger, die ihr Volk und ihre Freunde um sich scharen. Einige Verbündete habt ihr bereits.«
»Aber zu wenige«, brummelte Broderick.
»Das wird sich zeigen. Noch hat Ariac die Steppenleute nicht geholt. Noch konntet ihr die Piraten nicht erreichen. Und falls es zu einer Schlacht kommt, werden sich auch die Elfen beteiligen.«
»Das ehrt Euch sehr.« Brogan verbeugte sich ehrfürchtig vor dem Elfen.
»Und die Zwerge haben ihre Hilfe angeboten«, rief Bali’an, der wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht war.
»Aha, unser junger Freund.« Thalien legte dem kleineren Elfen einen Arm um die Schultern. »Du hast dich bewiesen. Nun bist du ein erwachsener Elfenkrieger, und vielleicht kannst du eines Tages ein Mittler zwischen den Völkern werden.«
Bali’an schien bei jedem Wort von Thalien ein Stück zu wachsen. Er sah aus, als wolle er gleich vor Freude in die Luft springen. Aber dann besann er sich – schließlich war er ja jetzt ein Erwachsener.
»Vielen Dank, Thalien«, strahlte er und verbeugte sich leicht. Er wand sich ein wenig und fragte mit großen Augen: »Darf ich denn jetzt ein eigenes Pferd haben?«
Thaliens Lachen kam aus tiefstem Herzen. »Natürlich darfst du das, natürlich. Behalte die Schimmelstute, die du reitest.«
Daraufhin machte Bali’an dann doch noch einen Freudensprung und rannte aus dem Raum. Der König vom Mondfluss blickte ihm lächelnd hinterher.
 
Irgendwann hob Ariac den Kopf und fuhr sich über die Augen. Er lächelte Rijana zaghaft an. »Entschuldige, ich hoffe, du bekommst jetzt keine Probleme mit Falkann«, sagte er schuldbewusst.
Sie schüttelte den Kopf und streichelte ihm vorsichtig über das Gesicht.
»Er wird es verstehen. Ist wieder alles in Ordnung?«
Zögernd und mit zitternden Beinen erhob Ariac sich.
Die beiden betraten den Raum, in dem die anderen bereits ihren Wein genossen, und nahmen von Thalien ihre Gläser entgegen. Rijana ging zu Falkann und lächelte ihn vorsichtig an.
»Ich hoffe, es hat dir nichts ausgemacht, aber er …«
Falkann schüttelte rasch den Kopf, nahm Rijana an der Hand und sagte mit heiserer Stimme: »Kommst du kurz mit mir?«
Sie stimmte zögernd zu und folgte Falkann aus dem Raum. Wahllos schlug er einen Weg durch das Schloss ein und führte sie auf einen der hohen Türme. Ein kalter Wind wehte hier oben, aber der grandiose Ausblick auf Balmacann entschädigte sie dafür. Westlich und südlich von Tirman’oc erstreckte sich das weite, liebliche Land bis zum Meer. Im Norden konnte man von hier aus sogar das Donnergebirge erkennen und im Osten die endlos erscheinenden Wälder des Elfenreichs.
»Nach unserer ersten Schlacht wurde ich König von Balmacann«, begann Falkann plötzlich mit einer merkwürdig entrückten Stimme und blickte in die Ferne. »Und später, da war ich viele Male der Verräter, der Scurr zum Sieg verholfen hat.«
»Nicht, hör auf, du bist diesmal kein Verräter, also quäl dich nicht.«
Falkann antwortete nicht darauf und blickte weiter nach Norden.
»Du und Ariac, ihr wart, glaube ich zumindest, in all euren Leben ein Paar«, fuhr er heiser fort.
Kurz schloss Rijana die Augen und schluckte die aufsteigenden Tränen herunter. Auch sie hatte es gesehen, die Erinnerung war wie ein Dolch gewesen, der sich in ihre Brust gebohrt hatte.
»Aber diesmal habe ich dich geheiratet, und dazu stehe ich.«
Er schüttelte den Kopf und drehte sich plötzlich ruckartig um. »Es war falsch, und das weißt du. Rijana, ich gebe dich frei. Geh zu ihm, ihr gehört zusammen.«
Wie vom Blitz getroffen zuckte Rijana zurück. »Was? Du kannst doch nicht … Falkann, was soll das? Du musst nicht eifersüchtig sein. Ich bin dir treu, und ich habe dich wirklich gerne, das musst du mir glauben.«
»Das glaube ich dir, und du würdest mich sicherlich auch nicht betrügen, dazu hast du zu viel Ehre in dir. Aber du wärst dein Leben lang unglücklich.«
Rijana schüttelte den Kopf und wollte mit aller Entschiedenheit etwas entgegnen. Doch Falkann legte ihr einen Finger auf die Lippen.
»Ich habe gedacht, ich könnte damit leben, dass du ihn mehr liebst als mich. Aber ich kann es nicht. Ich habe erkannt, dass ihr beiden zusammengehört.«
Mittlerweile liefen Rijana Tränen über die Wangen. Sie umarmte Falkann und stammelte: »Aber du kannst doch nicht … ich will doch nicht …« Sie blickte zu ihm auf. »Ich möchte nicht, dass du traurig bist. Wenn wir Scurr besiegt haben, wird Ariac sicher fortgehen, und dann …«
Er schüttelte den Kopf und wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht. »Das würde nichts ändern, oder würdest du ihn deswegen vergessen?«
Zunächst wollte Rijana versichern, dass sie Ariac vergessen würde, aber dann schüttelte sie betreten den Kopf. Sie wollte Falkann nicht anlügen.
»Ich möchte, dass du glücklich bist, aber das kannst du nur mit ihm. Also geh zu ihm«, sagte Falkann entschieden, auch wenn es ihn dabei fast zerriss.
»Wir können doch nicht einfach unsere Ehe auflösen.«
»Weißt du, im Grunde genommen hätte ich dich wohl gar nicht heiraten dürfen, denn du bist eine Arrowann geworden. Vor den Augen des Steppenvolkes hätte unsere Ehe ohnehin keinen Bestand.«
»Aber ich …« Sie wollte ihm widersprechen, fand aber nicht die richtigen Worte.
Falkann hatte Tränen in den Augen, als er sagte: »Und jetzt geh zu ihm und werde verdammt noch mal glücklich.«
Noch einmal umarmte Rijana ihn fest. »Du bist der beste Mensch, den ich kenne.« Dann ging sie die vielen Stufen hinunter, und es kam ihr so vor, als würde sie sich mit jeder Stufe mehr von Falkann lösen und sich immer mehr auf ihre Zeit mit Ariac freuen. Zwar war sie traurig, weil sie mit Falkann fühlte, aber andererseits war sie unheimlich erleichtert.
Falkann blickte nach Norden, wo sich dunkle Sturmwolken zusammenbrauten. Tief in seinem Herzen wusste er, dass er endlich, seit langer Zeit, einmal das Richtige getan hatte.