14
Sein Kopf war kahl geschoren, seine Figur die eines Centers im American Football. Die Wülste in seinem Nacken sahen aus wie eine Packung Hotdogs. Er trug eine protzige Wraparound-Sonnenbrille wie ein Baseballprofi. Sein Gang war steif und die Ellbogen abgewinkelt, als hätte er Darmverstopfung oder wähnte sich in einem Western. Er trug einen ausgebeulten Anzug mit billiger Krawatte. Mit anderen Worten: ein Bulle.
Angesichts meiner Familiengeschichte werde ich bei Polizisten immer ein bisschen nervös. Zugegeben, mit der fetten Brieftasche und dem schnuckeligen Stadthaus im Rücken kann ich ihnen inzwischen etwas abgewinnen, aber alte Gewohnheiten legt man nur schwer ab. Besonders angesichts meiner unorthodoxen Unternehmungen in jüngster Zeit war ich ganz und gar nicht erfreut darüber, als dieser Trampel sich in einem Diner neben mich an die Theke setzte und mich schamlos anstarrte.
Im Umkreis des Büros gibt es kein anständiges Diner. Eines heißt The Diner, aber das reitet die Retro-Welle und verlangt zehn Dollar für ein Sandwich. Also ging ich öfter, als ratsam gewesen wäre, in einen Laden namens Luna’s. Das war einer dieser Mutter-Erde-Läden à la Berkeley, wo auf einem Wandgemälde in der Toilette Noam Chomsky und Harriet Tubman Händchen haltend einen Regenbogen runterrutschen, aber die Burger waren gut und billig. Wenn man an der Theke sitzt, sich auf sein Essen und seinen Kaffee konzentriert, den sie einem dauernd gratis nachschenken, dann kommt man sich fast vor wie in einem ganz normalen Diner.
Jedenfalls war es kein Laden, in dem ich damit gerechnet hätte, einen rotgesichtigen Hüter des Gesetzes anzutreffen.
»Michael Ford?«, fragte er.
»Kennen wir uns?«
»Erik Rivera«, sagte er. »Detective des Metropolitan Police Departments, Büro für Sonderermittlungen.«
»Und?«
»Das ist ein Freundschaftsbesuch«, sagte Rivera, was in meinen Ohren klang, als drohte er mir für die Zukunft mit unfreundlichen Auseinandersetzungen. »Wie ist der Apfelauflauf?«
»Gut.«
»Gut.« Wahrscheinlich hatte er das im MPD-Sommerlager unter dem Punkt Kontaktaufnahme gelernt. Das war noch ein bisschen ausbaufähig, aber glücklicherweise kam er gleich zum Thema.
»Ich hatte gehofft, dass Sie mir bei ein paar Fragen in Zusammenhang mit einigen Vorgängen in der Davies Group weiterhelfen könnten«, sagte er.
Vorgängen? Waren wir hier bei Polizeibericht Los Angeles? Ich holte tief Luft und antwortete ihm mit vollkommen monotoner Stimme in meinem besten Anwaltskauderwelsch.
»Leider muss ich Sie davon in Kenntnis setzen, dass wir mit allen unseren Mandanten Vertraulichkeitsvereinbarungen getroffen haben und dass es mir von Rechts wegen untersagt ist, irgendeine Stellungnahme ohne richterliche Vorladung abzugeben. Und selbst dann unterliegt diese Verpflichtung unterschiedlichen Auslegungen der einschlägigen Rechtsprechung. Ich schlage vor, Sie richten Ihre Fragen an den Justitiar der Davies Group. Natürlich lasse ich Ihnen gern die nötigen Kontaktdaten zukommen und werde dafür Sorge tragen, dass die Angelegenheit in einer für alle beteiligten Parteien zufriedenstellenden Art erledigt wird.«
Ich wandte mich wieder meinem Apfelauflauf zu, löffelte einen Batzen Eiskrem darauf und nahm einen Bissen.
»Na gut.« Er richtete sich zu voller Größe auf und markierte den harten Burschen. »Essen Sie ruhig weiter, in der Zwischenzeit erzähle ich Ihnen ein paar Kleinigkeiten. Was würden Sie sagen, wenn die Davies Group systematisch die einflussreichsten Leute in Washington korrumpiert?«
Im Geiste antwortete ich: »Ach, Sie meinen die Fünfhundert?«, oder: »Ohne Scheiß?« Aber ich sagte nichts.
»Und was, wenn ich Ihnen sagen würde, dass Radomir Dragovi´c verdächtigt wird, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben?«
Radomir übertrieb es vielleicht ein bisschen, okay, aber Kriegsverbrechen? Also wirklich, das war einfach bigott. Nicht jedem Serben kann man einen Völkermord anhängen. Allerdings würde das erklären, warum er sich Sorgen wegen seiner Auslieferung machte.
»Und was, wenn ich Ihnen sagen würde, dass Sie an mehreren schweren Straftaten beteiligt waren? Ich glaube, Sie wissen genug über das Leben im Gefängnis und die Bedeutung von Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden, um die richtige Entscheidung zu treffen, Mr. Ford.«
So. Jetzt war ich tatsächlich ein bisschen sauer. Das war eindeutig ein Seitenhieb auf meinen Vater und ein eindeutiger Hinweis darauf, dass der Bursche mich unter die Lupe genommen hatte. Mein erster Impuls war der, ihn von seinem Barhocker zu hauen und ihm mit meiner Kuchengabel die Luftröhre aus dem Rachen zu rupfen, aber eine Reaktion war ja genau das, was er wollte, also hielt ich mich zurück.
»Sie sind nicht aus DC, stimmt’s?«, sagte ich. »Hört sich ganz nach Long Island an.«
Rivera war ein bisschen verunsichert. »Ja«, sagte er. »Bay Shore.«
»Dann sollten Sie sich eins merken«, sagte ich und schaute unter seinen Hocker.
»Und das wäre?«
»Zum Fischen rausfahren und das Bier vergessen, das läuft nicht. Also dann, schönen Tag noch.«
Ich weiß nicht, ob er den Witz kapierte, aber er kapierte die Botschaft.
»Fick dich«, sagte er. »Wir sehen uns noch.«
Er ließ mir seine Karte da. Während ich meinen Nachtisch fertig aß, brauchte ich endlich meine Anspannung nicht mehr zu verstecken. Ich schüttelte meine Hände aus und atmete tief durch. Verdammt, was wollten die Bullen von mir? Karrieremäßig hielt ich mich zwar nicht schlecht, aber ich war immer noch ein Nobody bei Davies. Jedenfalls kein Objekt, das sich dem Büro für Sonderermittlungen aufdrängte.
Vom professionellen Standpunkt aus betrachtet, spielte Rivera sein Spiel bestenfalls plump. Mit Drohungen gleich zu Anfang, selbst mit unausgesprochenen, kommt man nie sehr weit. Wenn er einen Maulwurf aus mir machen wollte, dann hatte er es jetzt schon vermasselt. Wenn die Polizei die Firma beschnüffelte, dann wüssten meine Bosse wahrscheinlich sowieso schon Bescheid. Vor allem bei einer Figur wie Rivera, die so dreist war, sich in der Nähe meines Arbeitsplatzes an mich heranzumachen. Vielleicht ging es darum: einen Keil zwischen mich und meine Bosse zu treiben, um sich als mein einziger Freund zu etablieren. Vielleicht interpretierte ich aber auch zu viel und der Kerl war einfach ein Trottel. Nach allem, was ich über normale Polizeibeamte wusste, lag Letzteres durchaus im Bereich des Möglichen.
Eigentlich hatte er mir nichts Konkretes gesagt. Zehn Minuten Nachforschungen über die Davies Group hätten genügend Anhaltspunkte zutage gefördert, um ein junges Greenhorn wie mich zu bluffen oder ihm vielleicht sogar so viel Angst einzujagen, dass es redete. Scheiße, vielleicht war er gar kein Polizist. Öffentliche Korruption war jedenfalls Sache des FBI. Irgendetwas ergab keinen Sinn. Sicher machte ich mir reichlich Sorgen wegen meiner Bosse, aber nach meinen Beinahezusammenstößen mit Marcus und Annie hütete ich mich davor, meine Privatschnüffeleien zu weit zu treiben. Außerdem tappte ich noch zu sehr im Dunkeln, um auch nur daran denken zu können, die Seiten zu wechseln und gegen Davies vorzugehen. Den Mann konnte man nicht aufhalten, ohne sein Wissen geschah nichts in dieser Stadt. Nur einer Sache war ich mir sicher. Meine Bosse würden früher oder später von Rivera erfahren, ich ging also besser sofort beichten und sammelte ein paar Pluspunkte ein, bevor sie von anderer Seite erfuhren, dass die Bullen mich kontaktiert hatten.
Ich ging zur Kasse. »Ihr Freund hat schon bezahlt«, sagte das Mädchen.
Arschloch. Ich hasste es, wenn ich irgendwem irgendwas schuldete. So bekam man Menschen unter Kontrolle, Stück für Stück.
Seit Kolumbien war es unmöglich gewesen, einen Termin bei Davies und Marcus zu bekommen. Doch als ich in einer E-Mail an Marcus meine Begegnung mit Rivera erwähnte, hatten sie plötzlich Zeit und waren ganz begierig darauf, mich zu sprechen.
Ich saß zwischen den beiden am Konferenztisch in Davies’ Büro und erzählte ihnen die Geschichte.
»Sonst hat er nichts gesagt? Keine Details?«
»Das war alles«, sagte ich. »Hoffentlich habe ich nicht zu viel erzählt.«
»Nein, das war genau richtig. Tut mir leid, dass Sie da reingeraten sind. Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt, ob an der Sache was dran ist.« Davies machte einen gelassenen Eindruck. Er wollte mich in Sicherheit wiegen.
»Ich glaube an unsere Arbeit hier, aber ein paar beruhigende Worte könnten nicht schaden.«
»Mike, Sie sind jetzt lange genug in Washington, um zu wissen, dass hier jeder Dreck am Stecken hat«, sagte er in ernstem Tonfall. »Das Metropolitan Police Department ist die einzige Ausnahme.«
»Tatsächlich?«
Davies lachte und legte sein Pokerface ab. »Natürlich nicht. Für einen Job bei der Polizei braucht man nicht mal einen Highschool-Abschluss. Gauner mit Dienstmarke. Wie oft, Marcus, probiert es die Polizei oder das FBI auf diese Tour?«
»Ein- oder zweimal im Jahr, mindestens«, sagte Marcus.
»Haben Sie sich nicht gewundert, dass er einen relativ untergeordneten Angestellten der Firma auf diese Art und Weise anspricht? Allein in einem Diner, außerhalb jeder dienstlichen Umgebung oder Aufsicht?«
»Doch, habe ich.«
»Es gibt keine Schiedsrichter, Mike. Keiner steht außerhalb des Spielfelds. Das ist eine typische Polizeiattacke auf uns. Wir sind keine Pfadfinder, das wissen Sie, aber wir sind absolut gewissenhaft. Wir überschreiten keine Grenzen. Ich mache das jetzt seit vierzig Jahren, Mike, die Firma hat eine blütenweiße Weste. Nicht ein einziger Verstoß gegen Gesetze. Wir kriegen haufenweise Scheiße ab, aber nichts ist jemals hängen geblieben. Die rechtschaffenen Leute wissen das, die lassen uns in Ruhe. Aber nehmen wir zum Beispiel einen Detective, einen Burschen vom FBI oder einen Inspector General, egal. Er denkt sich, wenn er über eine der einflussreichsten Firmen in Washington ein bisschen Dreck ausbuddelt, irgendwas, was uns oder einem unserer Mandanten unangenehm sein könnte, dann kann er dafür ein paar äußerst nützliche Gefälligkeiten herausschlagen.«
»Die wollen immer das Gleiche«, sagte Marcus. »Wir sollen unsere Beziehungen spielen lassen für eine Gehaltserhöhung oder irgendeinen Spitzenposten. Meistens wollen sie nur, dass wir ihnen einen Job in einer Privatfirma besorgen, zum Beispiel einem Sicherheitsunternehmen, das ihnen fünfmal so viel zahlt wie der Staat.«
»Glücklicherweise«, fügte Henry hinzu, »reicht ein Apfelauflauf nicht aus, um unseren besten Associate zu bestechen.«
Er stand auf und klopfte mir auf die Schulter. »Sie haben sich gut geschlagen, Mike. Wir wissen natürlich, dass es ziemlich hart für Sie ist, von dem Dragovi´c-Walker-Fall abgeschnitten zu sein.«
»Können Sie mich jetzt auf den neuesten Stand bringen?«
»Tja, Mike, unglücklicherweise gehören gerade Zwischenfälle wie diese Rivera-Sache zu den Gründen, warum wir uns abschotten müssen. Herrgott noch mal, Marcus hat Wanzen an seinem Wagen gefunden. Und nicht jeder ist wie Sie und kann den Mund halten. Wir können Ihnen versichern, dass wir das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie werden ja schon bemerkt haben, dass Marcus und ich arbeiten wie Frischlinge im ersten Jahr. Manchmal kommen eben ein paar Dinge zusammen – eine Information gerät zufällig in deine Hände, und es ergibt sich der Deal des Jahrhunderts, dann musst du einfach zuschlagen, ohne Wenn und Aber. Natürlich geht’s der Firma auch so gut, aber wenn sich die Möglichkeit auftut, einen wirklich großen Wurf zu landen, eine Weltklassefirma noch größer zu machen, dann muss man zupacken. Eines Tages können wir es Ihnen erklären. Sie werden es verstehen.«
Ich fragte mich, ob bei diesem Deal abgehörte Telefone, Drohungen und ein Mann namens Subjekt 23 eine Rolle spielten.
»Wir wissen, dass sie immer noch Neunzigstundenwochen abreißen. Mag vielleicht so ausgesehen haben, als hätten wir uns ausgeklinkt, aber wir nehmen das durchaus zur Kenntnis. Warum jetten Sie und Annie nicht mit unserem Firmenvögelchen runter in unsere Villa auf St. Barth? Wann immer Sie wollen, ein Wort genügt. Kleines Häuschen am Wasser, sehr abgeschieden. Einfach mal ausspannen. Sie haben es sich mehr als verdient.«
So viel zum Thema Bestechungen. Apfelauflauf konnte da nicht mithalten.
»Annie und ich würden das wirklich sehr zu schätzen wissen, Henry. Danke.«
Ich verließ den Raum mit dem guten Gefühl, dass auch Profis wie Marcus und Davies manchmal Fehler machten. Sie hatten den Apfelauflauf erwähnt, den ich allerdings nicht erwähnt hatte. Ich wusste jetzt, dass sie mich beschatteten.