Kapitel 30: Der verschlossene Raum

Harrys Welt wirbelte einen Augenblick um ihn herum, bevor sich eine kühle Ruhe über ihn legte. Er fühlte sich, als treibe er – langsam in einer Blase in die Luft schwebend, willkürlich schwankend, doch aufwärts strebend. Er fühlte innere Ruhe und entfernte sich von allen anderen im Raum. Er konnte sehen, wie Ginny seinen gebrochenen Körper wiegte, weinte und ihn anflehte, aufzuwachen, doch er spürte kein Verlangen, ihrem Wunsch zu folgen. Er war nicht ganz sicher, ob er es überhaupt konnte.
Er konnte den toten Körper von Tom Riddle in der Nähe liegen sehen, die leblosen Augen immer noch geöffnet und leer nach vorn starrend. Die Augen waren nicht länger rot, sondern bräunlich. Harry bemerkte leidenschaftslos, dass Riddles Haar grau geworden war, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er erwartete halb, dass die Gestalt aufspringen oder blinzeln würde oder die Augen sich wieder rot färben würden. Sein Magen tat einen unangenehmen Satz. Harry wandte sich ab.
Er sah, wie Hermine sich um einen bewusstlosen Ron kümmerte, doch sie blickte bei Ginnys schrillem Schrei auf. Er konnte sehen, dass Hermines Lippen sich bewegten, und wusste, dass sie mit ihm redete, doch er konnte ihre Worte nicht hören. Nichts davon interessierte ihn, während er ziellos durch die Luft driftete. Nicht einmal der Anblick des alten Schleiers hoch auf seinem Podest, derselbe Schleier, der so viele seiner Alpträume erfüllt hatte, erregte irgendeine Emotion in ihm.
Er schwebte an Draco vorbei, der auf dem Boden lag – noch immer erstarrt – mit dem Chaos von Eingeweiden, die obszön neben ihm angehäuft waren. Kühl bemerkte Harry, dass Dracos Augen geschlossen waren, beinahe als könnte er nicht ertragen, zu sehen, was mit ihm passiert war, und sich stattdessen für Bewusstlosigkeit entschieden hätte. Harry fand es seltsam, dass derjenige, der tatsächlich gestorben war, offene Augen hatte, während Dracos und die Augen an Harrys eigenem Körper geschlossen waren.
Zumindest glaubte er, dass er noch am Leben war, obwohl er wirklich nicht sicher sein konnte. Er konnte sich nicht dazu bringen, sich dafür zu interessieren. Selbst der Gedanke, dass es vorüber war, drang nicht ganz in sein verwirrtes Gehirn durch. Das einzige, das Harry im Moment auf dem Herzen lag, war dieses angenehme schwebende Gefühl. Es machte ihn schläfrig und er dachte, dass er gerne schlafen würde.
Beinahe sofort, nachdem ihm der Gedanke gekommen war, öffneten seine Augen sich weit und sein Herz begann zu rasen. Einzuschlafen war definitiv eine schlechte Idee. Irgendwie wusste er, dass er wach bleiben musste. Als er wachsamer wurde und anfing, sich ernsthaft umzusehen, verringerte sich sein Herzschlag und der panische Rausch legte sich. Ruhiger bemerkte er, dass seine Blase begonnen hatte, weiter von dem Chaos fortzusegeln, das den Schleier umgab.
Er schwebte über Ron und Hermines Köpfe hinweg und sah zu, wie Hermines Zauberstab zitternd über Rons Brust glitt. Seine Blase trieb aus der Tür in den kreisrunden Raum mit all den Türen. Sie bewegte sich gegen den Uhrzeigersinn, bis sie vor einer der Türen hielt. Die Tür war nicht anders als die anderen, sie hatte keine kennzeichnende Markierung oder Gestalt, doch Harry wusste instinktiv, dass es die verschlossene Tür war. Diejenige, bei der er das Messer, das Sirius ihm geschenkt hatte, ruiniert hatte.
Was hatte Professor Dumbledore ihm gesagt? Dass der Raum zu allen Zeiten verschlossen war und dass er die Macht enthielt, die Harry in solch großer Menge besaß – Liebe. Rätsel ... mehr Rätsel. Dumbledore hatte immer geliebt, in Rätseln zu sprechen. Wie konnte ein Raum Liebe enthalten? Sie war kein berührbarer Gegenstand.
Seine Blase näherte sich der Tür und schwebte direkt hindurch. Er blinzelte und blickte sich ausgiebig um. Zuerst sah er nichts als finstere Leere und fragte sich dunkel, ob er all die Liebe, die er in seinem Herzen empfand, verbraucht hatte, um Voldemort zu vernichten. Nun war nichts mehr übrig, als dunkles graues Nichts. Es war ein ernüchternder Gedanke, doch er konnte sich immer noch nicht dazu bringen, irgendeine Emotion darüber zu empfinden. Es war, als wäre er ein Außenseiter, der nur beobachtete, statt zu leben.
Als er weiterschwebte, wurde ihm allmählich ein flackerndes Licht in einiger Entfernung bewusst. Ohne seine übliche Neugier oder seinen Wissensdurst bemerkte er es mehr, als dass er sich darauf zu bewegte. Allmählich wurde das Flackern der Schatten jedoch interessant, da es das einzige Sichtbare war, und er begann, auf das Licht zuzuschweben.
Als er endlich nahe genug war, sah er, dass es ein einfacher Kamin war, der ein loderndes Feuer enthielt, das zischte und knisterte. Obwohl es sich in der Mitte von Nichts befand, glaubte Harry, dass es die Art von Feuer war, die er an vielen kalten Nächten im Gryffindor-Gemeinschaftsraum gesehen hatte.
Sobald ihm dieser Gedanke gekommen war, tauchte der Gryffindor-Gemeinschaftsraum mit seinen großen, flauschigen Armsesseln und roten und goldenen Farben vor ihm auf. Seine Blase landete auf einem der Sessel vor dem Feuer und er streckte seine langen Beine aus, sodass er die Hitze an seinen plötzlich unbedeckten Zehen spürte. Er vergrub sie in den üppigen, roten Teppich und ließ seinen Kopf auf der Lehne des Sessels ruhen.
Er fragte sich, ob der verschlossene Raum irgendwie durch Gedanken funktionierte, und probierte es aus, indem er sich eine dampfende Tasse Schokolade vorstellte. Sie erschien auf dem Tisch neben ihm in einer goldenen Hogwarts-Tasse. Harry lehnte sich in die Kissen zurück, schaute ins Feuer und fragte sich, was er hier sollte. Es schien ein seltsamer Ort zu sein nach ... nun ja, nach allem, das in dieser Nacht geschehen war. Leidenschaftslos realisierte er, dass er unverletzt war. Er konnte seine Arme voll benutzen und auf seiner Kleidung fand er nicht einmal eine Spur von Blut.
»Ich bin froh zu sehen, dass du es dir bequem gemacht hast, Harry.«, sagte Professor Dumbledore, der in den Raum kam. Sein langer, weißer Bart war am Ende zusammengeknotet und er hielt ihn, als er sich neben Harry niederließ. Er beschwor seine eigene Tasse von heißer Schokolade herauf und streckte seine nackten Zehen zum Feuer.
»Sir!«, keuchte Harry schockiert. Ein Schluck seiner heißen Schokolade tropfte sein Kinn herunter und verbrühte ihn.
Er wischte es hastig ab und blinzelte fassungslos und unfähig, einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen. Dumbledore nippte nur mit funkelnden blauen Augen an seinem eigenen Getränk, bis Harry herausplatzte: »Bin ich tot?«
»Nein, mein Junge, du bist ganz sicher nicht tot, dem Himmel sei Dank. Dein Körper hat eine lange Genesung vor sich, aber ich bin mehr in Sorge um deinen Geist.«, sagte Dumbledore. Das Funkeln in seinen Augen trübte sich, während er Harry über seine Halbmondgläser hinweg ansah.
»Mein Geist?«, fragte Harry verständnislos. Er hatte das Gefühl, mehrere Schritte hinterherzuhinken. Er lehnte sich zurück und versuchte sich zu entspannen. Dumbledore war offensichtlich der Leiter der Unterhaltung. Manche Dinge änderten sich nie.
Dumbledore hob seine Arme und deutete auf die weite Leere des Nichts. »Dieser Raum ... dieser Ort ... ist eine Repräsentation deines Geistes, Harry. Gehe ich richtig in der Annahme, dass du dich ziemlich verlassen fühlst?«
Harry zuckte hilflos mit den Achseln, unsicher, was er sagen sollte und was er sich aus der ganzen Leere machen sollte. Etwas verlegen fokussierte er sich auf ihre unmittelbare Umgebung. »Es sieht für mich aus wie der Gryffindor-Gemeinschaftsraum.«, murmelte er.
»Ja. Ich habe das Feuer entzündet, um deinen Weg zu mir zu erleuchten. Du hast das Bild in deinem Geist erschaffen als einen Ort, an dem du Wärme, vielleicht etwas Sicherheit empfindest.«, sagte Dumbledore nickend. »Ich bin natürlich erfreut, dass Hogwarts dir immer wie ein Zuhause vorgekommen ist.«
»Also ... ist dieser Ort in meinem Geist?«, fragte Harry. Er hatte immer noch das Gefühl, als greife er nach Strohhalmen. Wenn es so war, dann sah es so aus, als wäre sein Geist ziemlich leer – eine Tatsache, die Ron mit Sicherheit hoch amüsierend finden würde.
»Exakt.«, sagte Dumbledore und lächelte anerkennend. »Die einzige Möglichkeit, diese verschlossene Tür im Ministerium zu betreten, ist in deinem Geist. Ich kann mir vorstellen, dass du dich im Augenblick verloren und ziemlich hoffnungslos fühlst und dass du den Drang nach Erklärungen gespürt hast, sodass du nach mir gerufen hast. Ich vermute, ich bin gewohnheitsgemäß derjenige gewesen, der dir Rat angeboten hat, nachdem du ein Trauma durchlebt hast.«
»Also ... sind Sie nicht echt? Ich bilde Sie mir nur ein?«, fragte Harry. Ihm wurde bewusst, dass die erste wirkliche Emotion, die in seiner Brust aufstieg, große Enttäuschung war.
»Oh, ich bin sehr echt, Harry. Was noch wichtiger ist, nicht jeder hätte mich einfach zurückrufen können, so wie du es getan hast. Dein Bedürfnis muss sehr groß sein.«, antwortete Dumbledore.
»Ich bin verwirrt, Sir.«, sagte Harry kopfschüttelnd. Er wusste nicht einmal, wie er hergekommen war, geschweige denn, wie er Dumbledore angesprochen hatte. Irgendetwas musste falsch sein.
»Dessen bin ich mir bewusst.«, sagte Dumbledore mit einem sanften Lächeln. »Lass mich dir eine Erklärung anbieten, sofern ich es kann. Miss Granger dürfte mehr von den Antworten haben, die du suchst. Ich habe nun schon für fast ein Jahr über dich gewacht und ich kann dir nicht sagen, wie stolz ich bin, was du alles erreicht hast.«
»Ich habe ihn getötet.«, sagte Harry. Sollte er darüber stolz sein? Harry war wirklich nicht sicher. Es hatte nur zweier Worte bedurft – Avada Kedavra – dieselben zwei Worte, die den Kurs von Harrys Leben einst entschieden verändert hatten. Er hätte nie gedacht, dass jemals der Tag kommen würde, an dem er jene Worte aussprechen würde. Es schien, als liebte das Schicksal es, so mit ihm zu spielen.
Er schluckte und sehnte sich nach der Rückkehr des tauben Gefühls. Um ehrlich zu sein, war ihm nicht nach Feiern zumute oder danach, um seine Verluste zu weinen, oder irgend etwas anderes als Gleichgültigkeit. Er war in seinem Inneren leer.
»Ja. Du hast getan, was deine Pflicht war, und die Zaubererwelt und all deine Freunde werden es besser haben.«, sagte Dumbledore sanft, während er Harry mit seinen allwissenden Augen beobachtete.
»Sie haben über mich gewacht?«, fragte Harry. Seine Stimme war kaum ein Flüstern.
»Das habe ich. Ich habe gewartet und das völlige Hinüberschreiten aufgeschoben, während ich dich durch dieses letzte Jahr zu führen versucht habe. Nun ist es endlich Zeit für mich, ins Jenseits überzugehen.«, erwiderte Dumbledore. Seine Augen funkelten aufgeregt.
»Sie gehen wieder?«, fragte Harry ausdruckslos. Jene kalte Leidenschaftslosigkeit hatte ihn wieder eingenommen und Harry war froh darüber, wenn es bedeutete, dass er nicht unter einem weiteren Verlust leiden musste.
Dumbledore legte Harry sanft die Hand auf den Unterarm und drückte ihn sachte. »Ich bin schon vor einem Jahr aus eurer Welt geschieden, Harry. Das hat sich nicht geändert. Höchstwahrscheinlich hätte ich jenen Trank überleben können. Ich mag sogar in der Lage gewesen sein, Professor Snape trotz meiner Überraschung zu entfliehen, doch ich wäre dir eine schwache, nutzlose Last gewesen. Es war besser so und ich konnte von größerem Nutzen sein.«
»Größerem Nutzen?«, wiederholte Harry. Seine Neugier gewann die Oberhand über ihn.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass du, nachdem Miss Weasley dir den Schnatz im Todesraum zugeworfen und du den Todesfluch gemurmelt hast, wusstest, dass du deinen eigenen Horkrux erschaffen hast?«, fragte Dumbledore. Seine Augen bohrten sich in Harrys.
»Ja.«, erwiderte Harry achselzuckend. »Das habe ich schon herausgefunden.«
»Miss Granger ist vor einigen Wochen mit ihrer Idee zu mir gekommen und ich fand es großartig, dass sie aus dem Kern der Sache so viel herausgezogen hat. Ich habe sie nur ein wenig angestoßen, da ich den rumänischen Text besser als sie verstanden hatte. Den Schnatz für deinen Horkrux zu benutzen, war jedoch meine Idee. Ich habe Miss Granger erklärt, wie sie ihn verzaubern musste, sodass er direkt in den Schleier fliegt. Ziemlich genial, wenn ich selbst sagen darf.« Dumbledore lächelte.
»Also habe ich einen Teil meiner Seele verloren? Ist das der Grund, warum ich mich so leer fühle?«, wollte Harry wissen. Seine Kehle fühlte sich verengt an.
»Nein.«, erwiderte Dumbledore schnell. »Du hast nichts von deiner eigenen Seele verloren, Harry. Miss Granger hat dich gedrängt, dich auf die Liebe zu konzentrieren, die du für andere empfindest, weil diese Fülle von Liebe, die du in deinem Herzen hältst, deine Seele vor dem Zerbrechen bewahrt. Der Teil von Voldemorts Seele, der wie eine bösartige Wucherung an deiner eigenen haftete, konnte diese große Liebe nicht verstehen. Dieser Teil ist abgetrennt worden, während deine eigene Seele unbeschädigt blieb.«
»Also ... wird die Seele durch Mord geteilt, aber Liebe kann die Seele festigen?«, fragte Harry.
»Exakt.«, erwiderte Dumbledore. »Ich glaube, du wirst feststellen, dass die Dementoren weniger zu dir hingezogen werden, nun da sich nur eine Seele in dir befindet. Die andere – die böse Anwesenheit, die dir aufgezwungen wurde – ist fort.«
Harry schüttelte den Kopf, er fühlte sich sehr verwirrt. Sein Gehirn hatte immer noch Schwierigkeiten, die Ereignisse des Abends vollständig zu begreifen, und ein großes Stück des Puzzles bereitete ihm noch Kopfzerbrechen. »Wie habe ich geschafft, dass der Todesfluch gegen Voldemort wirkt?«, wollte er wissen. »Er war heute definitiv in Hochstimmung. Ich hätte nicht in der Lage sein sollen, es zu schaffen. Er war viel mächtiger als ich.«
»Du unterschätzt wieder deine größte Stärke, Harry, und Toms kompletten Mangel an dieser Eigenschaft.«, erwiderte Dumbledore leise.
»Wieder Liebe?«, fragte Harry, beinahe entnervt.
»Beim Duell gegen Tom hast du jedes Mal, wenn du getroffen hast, den Namen eines von Toms früheren Opfern gemurmelt. Warum hast du das getan?«, fragte Dumbledore.
Harry zuckte die Achseln. Er erinnerte sich an die gewaltige Wut, die er über die Beiläufigkeit, mit der Voldemort tötete, verspürt hatte. »Er hat gedacht, es gäbe keine Folgen – dass sie von keinerlei Wert sind. Wussten Sie, dass ich Bertha Jorkins' Knochen im Wald verstreut gefunden habe, als wäre sie ein Niemand?«
»So wie Voldemort sie höchstwahrscheinlich auch gesehen hat. Aber du hast sie bestattet und dann für sie Vergeltung geübt, um ihn wissen zu lassen, dass sie nicht vergessen ist – dass sie doch von Wert war. Du hast dasselbe für Cedric und Frank Bryce und jede andere Person getan, die du genannt hast. Ihre Seelen haben es verstanden und dich dafür gepriesen.«, sagte Dumbledore gewichtig.
»Wie bitte?« Harry war durch und durch verwirrt.
»Die Stimmen, Harry.«, sagte Dumbledore. »Hast du nicht die Stimmen hinter dem Schleier gehört?«
Harrys Mund öffnete und schloss sich mehrmals, bevor er herausbrachte: »Doch, habe ich ... aber ich habe nicht gedacht, dass irgend jemand anderes es könnte. Snape sagte, diese Stimmen kommen von gefangenen Seelen dahinter.«, sagte er. Er kniff die Augen zusammen, damit sie ihn nicht verrieten.
»Sie sind nicht gefangen.«, entgegnete Dumbledore fest, eine schwache Spur von Ärger in der Stimme. »Der Schleier ist nur ein Torweg ins Jenseits. Allerdings kann nicht jeder die Stimmen hören. Es hat nichts mit magischem Talent zu tun – nur jene in der sterblichen Welt, die reinen Herzens sind, sind in der Lage, sie zu hören.«
»Aber Voldemort hat sie gehört. Sie haben gerade selbst gesagt.«, beharrte Harry.
»Wie bei den meisten magischen Gleichgewichten trifft es auch auf das Gegenteil zu.«, sagte Dumbledore. Er lächelte entschuldigend. »Jene mit einem Herz, das allen Mitleids entbehrt, können die Stimmen ebenfalls hören. Nur sind sie verängstigt und alarmiert von ihnen, wie du es bei Tom gesehen hast. Er konnte die Stimmen hören und hat das Wachsen des Lichts bemerkt und er wusste, dass der Tod gleich neben ihm war. Tod ängstigte Tom mehr als alles andere und am Ende waren es deine verstorbenen geliebten Menschen, die es dir ermöglicht haben, ihn zu besiegen.«
»Also, was passiert jetzt?«, erkundigte Harry sich leise, unsicher, was für eine Antwort er sich erhoffte.
»In Hogwarts tobt noch immer der Kampf, obwohl die Todesser anfangen zu bemerken, dass die Dunklen Male auf ihren Armen verschwinden und dass Voldemort aus ihrem Geist verschwunden ist. Sie haben Angst und sind verwirrt, was sie ziemlich unbedacht gemacht hat. Eine gefährliche Situation, aber ich vermute, der Orden wird es in Kürze in den Griff bekommen haben.«, erwiderte Dumbledore. Er schloss die Augen und runzelte die Stirn, als blicke er woanders hin.
»Und die Verluste?«, fragte Harry. Sein Magen zog sich zusammen.
»Das bleibt noch zu sehen und ist etwas, das du erfahren wirst, wenn dein Körper aufwacht.«, sagte Dumbledore traurig. »Was mich zu meinem nächsten Punkt führt ... du musst deinem Geist Zeit lassen, zu heilen, Harry.«
Harry blinzelte verständnislos und starrte den Schulleiter mit einem verwirrten Blick an. Sein Geist? Sicherlich war sein Körper verletzt, doch Madam Pomfrey hatte es früher niemals Schwierigkeiten bereitet, ihn wieder aufzupäppeln.
Dumbledore seufzte und verschränkte die Finger unter seinem Kinn. »Dein Körper ist gebrochen und deine Genesung wird langsam voranschreiten. Ich schlage vor, du nutzt die erzwungene Einschränkung zur emotionalen Erholung.«
»Mir geht's gut.«, murmelte Harry und rückte von Professor Dumbledore weg.
Dumbledores Augenbrauen hoben sich bis zu seinem Haaransatz und er sagte leise: »Harry ... die Trostlosigkeit deiner Umgebung sagt etwas anderes. Ich schlage vor, du gestattest Mr. Weasley, Miss Granger und vor allem deiner Miss Weasley, dich zu unterstützen. Sie sind deine größte Stärke. Du tust ihnen keinen Gefallen, wenn du sie ausschließt.«
Harry konnte es nicht ertragen, in diese traurigen blauen Augen zu sehen, deshalb richtete er seinen Blick stattdessen auf das Feuer und schwieg. Er versuchte, die Verwirrung, die in ihm aufflackerte, zu verbergen. Er hatte getan, was von ihm erwartet worden war. Was wollte Dumbledore mehr?
»Es ist nicht als Kritik gemeint, sondern nur eine Beobachtung.«, sagte Dumbledore sanft und Harry spürte, wie seine Verärgerung verebbte. »Du bist seit deiner Ankunft in Hogwarts von einer lebensbedrohlichen Situation in die nächste gezwungen worden. Du hast den größten Teil eines Jahres darauf verwendet, dich auf diesen Kampf vorzubereiten und auf das, was du als deinen Untergang erwartet hast. Ich nehme an, es wird einige Zeit in Anspruch nehmen, deinen Geist zu erholen, bevor du dich wieder entspannen und dein Leben bis zum Äußersten ausreizen kannst.«
»Es ist jetzt vorbei.«, murmelte Harry.
»Töten nimmt nicht nur dem Opfer das Leben, sondern es raubt gleichzeitig einen Teil des Tötenden.«, sagte Dumbledore. »Für dich hoffe ich, dass der einzige Teil, der dir genommen ist, der Teil ist, der niemals überhaupt hätte da sein sollen. Du hast dein Schicksal in Bezug auf Tom erfüllt, Harry, aber nicht dein Schicksal in Bezug auf dich. Du bist ein junger Mann mit einer glänzenden und glorreichen Zukunft, die vor dir liegt, wenn du dir das Glück erlaubst, es zu erfahren.«
Harry hatte seinen Kiefer zusammengepresst und starrte weiter ins Feuer, während er versuchte, den Knoten in seiner Kehle zu lösen.
»Du verdienst es. Miss Weasley verdient es und deine Freunde verdienen es. Diese letzte Last ruht auf deinen Schultern, weil sie sich nicht erlauben werden, zu heilen, bis du es tust.«, sagte Dumbledore. Er lächelte sanft.
»Ich werde es versuchen, Sir.«, flüsterte Harry.
»Das ist alles, was ich dir abverlangen kann.«, erwiderte Dumbledore. Das Funkeln kehrte endlich wieder in seine Augen zurück. »Und mit Miss Weasleys Entschlossenheit, Mr. Weasleys Sturheit und Miss Grangers Klugheit bin ich sicher, dass es ausreichen wird.«
Harry spürte, wie ein leichtes Grinsen an seinen Mundwinkeln zupfte. Er hatte mit Sicherheit die besten Freunde, die man erwarten konnte.
»Was ist mit Draco?«, fragte er plötzlich. »Was wird mit ihm passieren? Er ist am Ende wirklich durchgekommen.«
»Mr. Malfoy hat ebenfalls einen langen und schwierigen Weg vor sich und wie bei dir ist auch seine Zukunft unklar.«, erwiderte Dumbledore. »Was dich angeht, ist die Unterstützung von geliebten Menschen ein Schlüsselfaktor. Ich vermute, ein Olivenzweig von Freundschaft würde einen großen Abstand überbrücken.«
Harry wand sich unbehaglich. »Ich werde es versuchen, Sir. Er ist nicht gerade die umgänglichste Person, bei der es mir leicht fällt, freundlich zu sein.«
»Das ist er in der Tat nicht.« Dumbledore gluckste. »Ich denke, das wird ohnehin über deine Fähigkeiten gehen. Wie ich sagte, deine Genesung wird länger andauern, als du erwartest. Ich dachte, vielleicht sollten dein Cousin Dudley und Mr. Malfoy ermutigt werden, ihre Freundschaft fortzuführen, sobald sie in ihr normales Leben zurückgekehrt sind. Sie brauchen beide einen Freund und Vertrauten.«
»Dudley?«, fragte Harry, überrascht blinzelnd. »Oh, sie würden ein schönes Paar abgeben.«
»Ja, mit Sicherheit.«, sagte Dumbledore lächelnd. »Setz Miss Weasley darauf an. Wenn sie weiß, dass du es wünschst, wird sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um es zu realisieren. Es gibt einige in meinem Reich, die das Temperament dieses Mädchens fürchten.«
Harry gluckste liebevoll, als er sich ausmalte, wie der Himmel vor Ginnys Flederwichtfluch zitterte.
»Wo ist ihr Reich, Sir?«, erkundigte er sich neugierig. Sein Magen verkrampfte sich wieder schmerzhaft.
»Im Jenseits, Harry. Da ich dort gewesen bin, hatte ich die Gelegenheit, mit deinen Eltern und Sirius zu sprechen. Sie haben alle über dich gewacht. Sie sind stolz darauf, wie weit du gekommen bist, und auf das Leben, das du dir selbst aufgebaut hast.«, sagte Dumbledore, Harry genau beobachtend. Tief Luft holend fügte er hinzu: »Obwohl sie mir die Ohren lang gezogen haben für einige meiner Entscheidungen, die dich betreffen.«
Harry musste hastig blinzeln, um die Emotionen zu zügeln, die ihn plötzlich überkamen. Seine Mum, sein Dad und Sirius hatten ihm zugesehen. Das erfüllte ihn zugleich mit Stolz und einem gewaltigen Gefühl des Verlusts, und er wusste nicht, was er dazu sagen sollte.
»Vor allem deine Mutter strahlt vor Stolz, wenn sie von dir spricht und davon, was du für ein Mann geworden bist. Dein Vater ist zufrieden mit deiner Wahl der Freunde, und Sirius' Kommentar hatte etwas mit scharfen rotschöpfigen Schnallen zu tun.«, sagte Dumbledore.
Harry gluckste und wischte sich abwesend die Augenwinkel.
»Ich hatte auch die Chance, mit Remus, Tonks und Percy zu sprechen, als sie angekommen waren. Keiner von ihnen bedauerte seine Entscheidung. Du hast ihre Opfer nicht umsonst bleiben lassen. Alle waren sie unter den Stimmen, die du hinter jenem Schleier gehört hast, und alle sind sie gerächt worden.«, fuhr Dumbledore leise fort.
»Also ... was passiert jetzt?«, fragte Harry, gegen den schmerzhaften Knoten in seiner Kehle ankämpfend.
»Du wirst in deinen Körper zurückkehren und die Tür wird sich wieder verschließen. Ich werde weiterreisen und mein großes Abenteuer fortsetzen.«, antwortete Dumbledore mit einem milden Lächeln.
»Müssen Sie jetzt gehen?«, fragte Harry alarmiert. Sein Herz begann wieder schmerzhaft zu pochen. Er wollte nicht, dass Professor Dumbledore ihn so kurz, nachdem er ihn wiedergefunden hatte, verließ. Er war nicht sicher, ob er den Verlust ein zweites Mal ertragen konnte, doch er konnte sich nicht dazu durchringen, es laut auszusprechen.
Es schien auch nicht nötig zu sein, denn Dumbledore blickte ihn mit seinen freundlichen, verstehenden Augen an. »Letztendlich schon, aber ich kann bleiben, bis du dich bereit fühlst, allein zurückzukehren.«, sagte er sanft.
»Was ist, wenn ich mich nie bereit fühle?«, fragte Harry. Er wandte den Blick ab.
»Dann werde ich dir einen leichten Schubs versetzen. Schließlich würde Miss Weasley mich heimsuchen, wenn ich dich lange von ihr fernhalte.« Dumbledore gluckste.
»Das würde sie wohl.«, erwiderte Harry. Gegen seinen Willen stahl sich ein Grinsen auf seine Lippen.
»Sie liebt dich, Harry. Gestatte dir selbst, sie auch zu lieben. Ich möchte sehen, wie du zur Schule zurückkehrst, nicht nur, um deine Ausbildung zu beenden, sondern vor allem, um ein Jahr als normaler Heranreifender zu leben, bevor das wirkliche Leben anbricht. Obwohl ich wohl glaube, dass du genug Nachsitzstunden auf dem Konto hast, würde ich gerne sehen, dass du dir noch einige für Taten verdienst, die Minerva einige zusätzliche graue Haare einbringen.«, sagte Dumbledore. Seine Augen funkelten fröhlich.
»Ich denke, es gibt noch ein paar Besenschränke, die Ginny und ich noch nicht entdeckt haben.«, schlug Harry verschmitzt vor.
»Exzellent.«, erwiderte Dumbledore, bevor er den Kopf hob und zur Seite legte, als lauschte er aufmerksam.
»Sir?«, sagte Harry neugierig.
»Miss Granger und Miss Weasley fragen sich gerade, wohin sie dich bringen und was sie mit Toms Überbleibsel machen sollen.«, erwiderte Dumbledore.
Harry wand den Blick ab. »Hogwarts wird immer noch angegriffen und sowohl das Ministerium, als auch St. Mungos sind unter der Kontrolle der Todesser.«
»So scheint es.«, entgegnete Dumbledore geheimnisvoll. Er wedelte mit der Hand durch die Luft.
»Was haben Sie getan?«, wollte Harry wissen.
»Während es wahr ist, dass Toms Legion St. Mungos in ihrer Gewalt haben, haben eine große Anzahl von Heilern sich zusammengeschlossen und eine Art Abtrünnigen-Krankenhaus aufgemacht. Dasselbe gilt für das Ministerium. Während Kingsley und Alastor die Auroren versammelt und ihren eigenen Widerstand gebildet haben, gibt es einige Ministeriumsbeamte, die dasselbe getan haben.«
Harry setzte sich gerader auf und spürte den ersten Hoffnungsstrahl für die Zaubererbevölkerung.
»Manchmal bedarf es einer großen Tragödie, um die Tapferkeit in einigen Menschen zum Vorschein zu bringen.«, sagte Dumbledore leise. »Ich habe Leticia Warbanks' Geist den Gedanken eingepflanzt, die Mysteriumsabteilung zu inspizieren.«
»Leticia Warbanks?«, fragte Harry.
»Sie ist eine Ministeriumsbeamte von der Abteilung für magische Unfälle und Katastrophen. Sie ist das Zentrum des kleinen Widerstands im Ministerium gewesen. Sie wird wissen, welchen Heilern im St. Mungos zu trauen ist.«, erwiderte Professor Dumbledore.
»Die Zaubererwelt wird eine lange und, ich hoffe, gründliche Periode des Wiederaufbaus durchlaufen. Ich hoffe, Menschen wie Leticia, Alastor, Kingsley und Arthur werden darin eingebunden zu aller Gunsten.«, sagte Professor Dumbledore. »Zu deinem Unglück sehe ich keine Möglichkeit, dass das Interesse der Öffentlichkeit an dir in naher Zukunft abflauen wird.«
»Wir werden alle unsere Rolle spielen müssen, denke ich.«, sagte Harry.
»Eine sehr reife Einstellung.«, lobte Dumbledore strahlend.
Harry hörte ihm in Wirklichkeit nicht sehr genau zu. Ihm war ein neuer Gedanke gekommen.
»Sir, wenn ich mir Sie hier vorgestellt habe, könnte ich jeden heraufbeschwören, den ich sehen will?«, erkundigte er sich, den Atem anhaltend.
Dumbledores Augenbrauen hoben sich und seine stechend blauen Augen blickten über seine Halbmondgläser hinweg. »Diese Frage kann ich nicht beantworten. Nichts ist jemals nach Regeln verlaufen, wenn es um dich geht. Vielleicht solltest du einen Versuch wagen.«
Harry schluckte schwer. Sein erster Gedanke war, mit seinen Eltern zu sprechen, doch er konnte sich nicht ganz dazu durchringen. Er hatte als Kind viele Unterhaltungen mit ihnen geführt, wenn er alleine in seinem Schrank eingesperrt gewesen war, doch er hatte nie wirklich eine Antwort erwartet. Er war nicht sicher, ob er die Enttäuschung verkraften könnte, falls der Versuch scheiterte.
Er bewegte die Lippen, konnte aber keinen Laut herausbringen. Er sah Professor Dumbledore hilflos an.
»Ich wünschte, es gäbe etwas, das ich für dich tun kann, Harry, aber das ist nicht der Fall. Dies ist dein Geist und nur deine Gedanken werden erhört.«, sagte Dumbledore traurig.
Harry schluckte wieder und zwang sein rasendes Herz, sich zu beruhigen. Seine Nasenflügel bebten leicht, bevor er die Augen fest schloss und das Bild seines Paten im Geiste heraufbeschwor. So lange hatte er Sirius' Gesicht und der Klang seines bellenden Lachens aus seinen Gedanken verbannt, da er nicht den Schmerz des Verlustes spüren wollte. Nun rief er jedoch verstreute Erinnerungsfetzen des Menschen, der einem Elternteil am nächsten war, auf.
Harry öffnete langsam die Augen und ihm stockte der Atem, als er einen vertrauten Umriss aus dem grauen Nebel auftauchen sah. Beim Gehen flatterte das schulterlange Haar der Gestalt, während der Bereich um ihn herum zu einem Quidditch-Feld wurde.
»Was zur Hölle geht hier vor sich?«, verlangte Sirius irritiert. »Da unterhalte ich mich gerade mit einer entzückenden Blondine, die außer Sauerstoff sehr wenig zwischen den Ohren hat, und in der nächsten Minute bin ich in der Mitte vom Nirgendwo – allein.«
»Sirius.«, keuchte Harry.
Sirius hielt inne, auf der Stelle erstarrt, und kniff die Augen zusammen. Er legte sich eine Hand an die Stirn, um die Augen abzuschirmen. »Harry?«, flüsterte er entgeistert.
Harry sprang vom Sessel auf und stürzte auf das Feld, wo er sich in Sirius' Arme warf und ihn heftig an sich drückte.
»Harry.«, sagte Sirius. Er schlang seine Arme um Harrys Schultern, zog sich eng an sich und klopfte ihm überschwänglich auf den Rücken. »Was zur... Wo sind wir? Bist du – oh nein.«, sagte Sirius. Er löste sich von Harry und sah ihn entsetzt an.
»Nein, Sirius. Harry weilt noch immer unter den Lebenden und sein Körper ist im Ministerium zurückgeblieben.«, schaltete sich Dumbledore ein, der beruhigend eine Hand auf Sirius' Schulter legte.
Sirius entspannte sich sichtlich und schloss einen Moment lang fest die Augen, bevor er seinen Kopf zurückwarf und ein bellendes Lachen ausstieß.
Harry ließ sein Gesicht in Sirius' Schulter vergraben. Seine Finger weigerten sich, ihren Griff zu lockern. Er stand da, bebend, während er sich an seinen Paten klammerte und sich fragte, wie er sich mit unverletztem Stolz hier herauswinden sollte.
»Warum erschaffst du dir nicht einen Sessel, Sirius?«, bot Dumbledore an, Harry einen Augenblick gebend, sich zu sammeln, bevor er sprechen musste.
Ohne Harry loszulassen, brachte Sirius sie beide zu einer Couch, auf die er sich mit Harry niederließ. Eine weitere Tasse heißer Schokolade erschien auf dem Tisch und Sirius nahm einen zittrigen Schluck.
»Verdammt, Harry, hättest du es nicht wenigstens mit etwas Feuerwhiskey versetzen können? Das ist ein ziemlicher Schock für einen alten Mann gewesen.«, sagte Sirius grinsend. »Also, erzähl mir – was ist geschehen, das diesen Besuch möglich gemacht hat? Ich habe noch nie zuvor von so etwas gehört. Hast du dich wieder zusammenstauchen lassen, Knirps?«
Plötzlich fand Harry seine Stimme wieder und er warf Professor Dumbledore einen anklagenden Blick zu. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, dass sie mich beobachten.«, sagte er krächzend.
»Ich habe ein Auge auf dich gehalten, aber nicht 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.«, entgegnete Sirius und verdrehte die Augen. Sein Blick huschte zwischen Harry und Dumbledore hin und her. »Hat das irgendwas mit Voldemort zu tun?«
»Er ist jetzt ist eurem Reich.«, sagte Harry. Er grub seine Nägel in seine Handfläche.
Sirius wurde bleich. »Du hast es geschafft?«, erkundigte er sich mit angehaltenem Atem.
»Ja.«, bestätigte Harry. Er wand sich unbehaglich.
Sirius sprang auf, schwang seine Fäuste durch die Luft und jubelte vor Freude.
»Sirius, ich denke, Harry ist noch nicht ganz bereit zum Feiern.«, wies Dumbledore ihn zurecht. Er legte Harry sanft die Hand auf die Schulter.
Harry hielt seine Augen fest auf den Boden gerichtet. Er starrte die Drachenhautstiefel an, die Sirius trug, und versuchte, an nichts zu denken.
»Was? Warum nicht?«, fragte Sirius verblüfft. Er hob Harrys Kinn in die Höhe. »Du bist endlich frei. Du wirst nicht länger gejagt. Keine Dursleys mehr oder Wachen oder sonst etwas.«
Harry zwang sich, Sirius' ernsten Blick zu erwiderten, während sein Magen sich unangenehm drehte. »Ich weiß. Es ist nur... Es ist noch nicht wirklich.«, sagte er lahm.
Ein ungläubiger Ausdruck überquerte Sirius' Gesicht. »Harry, denk an all die Partys. Jeder Kerl in England wird dir einen Drink ausgeben wollen und jede Hexe wird – .«
»Ich bin sicher, Harry ist sich dessen völlig bewusst, Sirius. Er bittet nur um etwas Zeit, es zu verarbeiten.«, unterbrach Dumbledore ihn, bevor er die Möglichkeiten aussprechen konnte, die ihm unverhohlen auf der Seele lagen.
»In Ordnung.«, sagte Sirius. Er räusperte sich. »Außerdem scheinst du schon alle Hände voll mit der einen Hexe zu tun haben, die du hast. Ist ein echter Hingucker, dein Mädchen.«
Harrys Mundwinkel zuckte nach oben. »Das werde ich mit Sicherheit weiterleiten.«, sagte er trocken.
»Also, wie lange haben wir?«, fragte Sirius.
»Ich würde sagen, nicht sehr lang.«, antwortete Dumbledore. »Sobald die Heiler Harrys Körper geborgen haben, werden sie ihm höchstwahrscheinlich Zaubertränke einflößen, die diese Verbindung brechen werden. Außerdem hat Harry Freunde und Familie, die im Land der Lebenden auf ihn warten.«
»Er hat Freunde und Familie gleich hier!«, erwiderte Sirius hitzig.
»Würdest du etwa wählen, ihn hier zu behalten, Sirius?«, fragte Dumbledore, den Kopf zur Seite gelegt.
»Was? Nein. Ich will, dass er lebt... Ich will nur etwas Zeit mit ihm. Mir wurde diese Zeit schon zweimal entsagt.«, sagte Sirius. Er räusperte sich.
»Was ist, wenn ich bleiben will?«, erkundigte Harry sich, an Sirius gelehnt. Er hatte ihn gerade erst zurückbekommen. Er wollte nicht daran denken, schon wieder aufbrechen zu müssen. Er wusste nicht, ob sein Herz es noch einmal ertragen konnte.
»Deine Zukunft liegt in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit.«, beharrte Dumbledore. Das Funkeln in seinen Augen war erloschen.
Sirius schüttelte Harry grob. Er sah aus, als wollte er auf etwas einschlagen. »Er hat Recht, Harry. Merlin, es tut gut, dich zu sehen, aber alles, das ich getan habe, habe ich für dich getan – weil ich wollte, dass du lebst. Ich mag vielleicht kindisch sein, aber ich werde dir diese Chance nicht wegnehmen, jetzt da du sie endlich hast.«
Harry öffnete den Mund, um dagegen zu argumentieren. Er war kein Kind mehr und konnte seine eigenen Entscheidungen treffen. Langsam nahm er es Sirius und Dumbledore übel, dass sie ihm vorschreiben wollten, was das Beste für ihn war.
Sirius zerstreute seinen Ärger, als er sanft eine Hand an Harrys Gesicht legte. »Mach dir keine Sorgen um mich. Mir geht's gut. Ich sehe deinen Vater und Remus jeden Tag und wenn deine Mutter uns lässt, durchleben wir noch einmal unsere glorreichen Tagen.«
»Vielleicht gibt es andere, die du sehen möchtest, bevor deine Zeit hier abläuft.«, sagte Dumbledore sachte.
Seinen Griff auf Sirius beibehaltend, für den Fall, dass er sonst verschwinden würde, schloss Harry wieder die Augen und diesmal dachte er an Remus. Er fühlte sich immer noch nicht ganz bereit, seine Eltern zu sehen. Er erinnerte sich daran, wie Remus ihm seinen ersten Patronus beigebracht hatte, und an die entschlossenen Blicke, die er und Tonks ausgetauscht hatten, bevor sie gestorben waren.
Harry öffnete gerade rechtzeitig die Augen, um zu sehen, wie sich ein Klassenraum nicht weit vom Gemeinschaftsraum entfernt bildete. Es war einer der Verteidigungsräume und enthielt eine große Vielfalt von Dunklen Kreaturen. Bevor Harry die beiden Gestalten rufen konnte, die im Klassenraum saßen, kam Sirius ihm zuvor: »Remus, du alter Hund! Harry ist hier.«, sagte Sirius. Er schüttelte Remus die Hand und deutete auf Harry. »Hey, Tonks.«
»Harry.«, rief Remus und holte tief Luft. Er sah so aus, wie Harry ihn in Erinnerung hatte, vielleicht ein bisschen weniger grau. Tonks' Haar war im traditionellem Kaugummi-Pink und sie trug ein rotes T-Shirt, das sich schrecklich mit der Haarfarbe biss.
Harry schloss die Augen und atmete durch die Nase, als Bilder von Remus' Opfer seinen Geist erfüllten. »Warum hast du das nur getan?«, fragte er mit belegter Stimme. Er schüttelte Remus' Hand, bevor er ihn in eine feste Umarmung zog. Dann wandte er sich um und schloss Tonks ebenfalls in die Arme.
»Hey, Kid.«, sagte Tonks strahlend. »Wie fühlst du dich?«
»Ein bisschen benommen.«, gab Harry zu.
»Darauf wette ich.«, erwiderte Tonks grinsend, während sie sich herüberbeugte, um ihm das Haar zu zerraufen. »Du hast es geschafft.«
»Wir haben gesehen, was mit Voldemort geschehen ist, Harry.«, sagte Remus sanft. »Du warst großartig.«
»Ich hätte es ohne eure Hilfe nicht tun können.«, erwiderte Harry. Er starrte wieder auf seine Füße. »Professor Dumbledore hat mir erzählt, dass ihr und einige von Voldemorts anderen Opfern ihn abgelenkt habt und dass Dumbledore und Hermine es sich haben einfallen lassen, dass ich meinen eigenen Horkrux erschaffe.«
Remus antwortete nicht, bis Harry endlich gezwungen war, Remus' ruhigen Blick zu erwidern. »Es ist mir egal, wessen Idee das war – du warst umwerfend.«, sagte er. »Du hast Voldemort nicht nur erwischt, sondern Severus befindet sich jetzt auf dem Weg nach Askaban.«
»Du hast Snivellus gekriegt? Diesen Teil hast du mir nicht erzählt.«, sagte Sirius fast anklagend. »Wie konnte ich das verpassen?«
»Du hast alles verpasst. Wo bist du gewesen?«, schalt Tonks. »Lilys ist ganz außer sich.«
»Er hat ihn großartig erledigt, Tatze.«, sagte Remus strahlend. »Du hättest es sehen sollen. Eigentlich hat Ginny ihm einen ausgewachsenen Flederwichtfluch aufgehalst, als er Harry angreifen wollte, nachdem alles vorbei war.«
»Du hast meine Mum gesehen?«, fragte Harry.
»Er hat ihn danach angegriffen?«, brüllte Sirius.
»Wir waren während des Kampfes bei ihr und deinem Dad. Sie sind beide so stolz auf dich.«, erwiderte Remus, Sirius völlig ignorierend.
Harry nickte, besorgt und etwas angespannt bei diesem Schwall von Informationen.
»Hey! Warum bringst du sie nicht her?«, fragte Sirius, immer noch stirnrunzelnd. »Es wäre wie die Party, die wir schon immer hätten feiern sollen.«
Harry fühlte sich, als hätte sein Herz aufgehört zu schlagen, und wandte den Blick ab. Etwas an dem Gedanken, seinen Eltern gegenüberzutreten, erschreckte ihn, obwohl er es sich schon immer gewünscht hatte. Alle sagten ihm immer, wie stolz sie auf ihn waren. Was war, wenn die Realität es nicht aufwiegen konnte?
»Harry wird sie rufen, wenn er dazu bereit ist, Tatze.«, erwiderte Remus. Seine Augen waren wissend auf Harry gerichtet. Remus hatte Harrys Emotionen schon immer sehr gut lesen können.
»Wofür bereit? Er hat uns doch auch gerufen. Er kann dasselbe für sie tun.«, sagte Sirius, der mit dem Gedanken warm wurde. »Sie werden wütend sein, wenn sie erfahren, dass wir die ganze Zeit ohne sie hier waren.«
Harry blickte weg, während sein Herz wild zu hämmern begann. Er war im Begriff, seine Eltern zum ersten Mal zu treffen, und schon hatte er etwas getan, das sie zornig machen würde. Toll. Er fragte sich, ob seine Mum so schreien konnte wie Mrs. Weasley und wie es sich anfühlen würde, wenn sie ihn anschrie. Und konnte er sie einfach hierher rufen? Er hatte es unbewusst mit Dumbledore getan und seine Erinnerungen benutzt, um Sirius, Remus und Tonks herbeizurufen. Er besaß keine Erinnerungen von seinen Eltern – zumindest keine echten Erinnerungen und er wollte nicht die vom Tod seiner Mutter verwenden.
Remus legte Harry eine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. »Sie werden nicht wütend sein.«, sagte er leise und setzte Harrys hastigen Gedankenstrom ein Ende.
»Vielleicht brauchst du keine besondere Erinnerung, sondern nur die Gefühle, die sie in dir erwecken.«, sagte Dumbledore. Er legte Sirius eine beschwichtigende Hand auf die Schulter.
Harry nickte. Er schloss die Augen und dachte an Godrics Hollow – nicht wie er es gesehen hatte, sondern wie es in seiner Vorstellung gewesen sein sollte, mit Lilien außen im Garten und einer großen Eiche, an deren Zweig eine Schaukel befestigt war und die ein Baumhaus hinter den Blättern verbarg. Sein Vater mähte den Rasen, während seine Mutter Mittagessen für ihn und seine jüngeren Geschwister zubereitete.
»James!«, rief Sirius, was Harry aus seinen Gedanken riss.
Seine Augen flogen weit auf und sahen das kleine Landgut genauso, wie er es sich vorgestellt hatte. Seine Eltern standen auf der Veranda. Sie waren beide sehr jung, nur höchstens einige Jahre älter als Harry, und er fragte sich vage, ob sie im Jenseits in dem Alter ihres Todeszeitpunkts blieben oder nur so herbeigerufen worden waren, wie Harry sie sich ausgemalt hatte.
»Da bist du ja, Tatze, du alter Hund. Wer ist sie diesmal? Du bist seit Wochen nicht mehr bei uns gewesen.«, sagte James Potter und klopfte Sirius auf den Rücken. Selbst seine Stimme klang Harrys sehr ähnlich.
»Wo sind wir, Sirius?«, fragte Lily und legte den Kopf schief. Sie war größer als Harry erwartet hatte, obwohl diese Vermutung vielleicht von Ginnys zierlicher Größe beeinflusst war.
»Süßer Merlin.«, stieß James aus und pfiff durch die Zähne, als er Harry erblickte.
Harry spürte, wie seine Knie nachgaben, und sank mit Dumbledores sanfter Unterstützung auf die Couch.
»Was ist denn, James?«, wollte Lily wissen und lugte ihm über die Schulter. Sie taumelte, als sie Harry sah, und James hielt sie fest.
»Harry, bist du das?«, krächzte James.
»Mein Baby.«, hauchte Lily. Sie schlug sich eine Hand vor den Mund.
Harry starrte mit weiten Augen seine Eltern und Dumbledore an, unsicher, was er tun sollte. Er war erstarrt und konnte weder seinen Geist noch seinen Körper regen.
Lily durchbrach seine Trance. Sie rauschte auf ihn zu, warf die Arme um ihn und drückte ihn heftig an sich, während sie in seine Brust schluchzte. Harry starrte Professor Dumbledore an, der nur milde lächelte.
Harry hatte noch nie gut mit weinenden Mädchen umgehen können und das war irgendwie noch viel schlimmer. Das war seine Mutter! Sein Kopf wusste das, doch mit dieser jungen, attraktiven Frau hier zu sitzen, die kaum älter war als er selbst und sich an ihn klammerte, war beunruhigend.
Einer Sache war er sich definitiv bewusst – sie umarmte noch fester als Mrs. Weasley.
Er warf seinem Vater einen panischen Blick zu, der Lily sanft von ihm löste.
»Komm schon, Lily. Lass ihn zu Atem kommen. Du machst den armen Kerl ganz verlegen.«, sagte er feixend. Seine haselnussbraunen Augen funkelten, während sie über seinen Sohn glitten, und er grinste Harry breit an.
»Ich mache ihn nicht verlegen.«, widersprach Lily und versetzte James empört einen Klaps auf den Arm.
»Oh doch.«, sagte Sirius grinsend. »Unser Harry hier wird ziemlich leicht verlegen. Ich habe es mir damals zum Sport gemacht, ihn zum Erröten zu bringen.«
Harry sah ihn finster an, worauf er nur noch stärker lachte. Lily streckte den Arm aus und strich Harry sanft das Haar von der Narbe. Er ließ sie einen Moment darauf starren, bevor er sich unbehaglich wand.
»Ich habe es geliebt, dir beim Quidditch zuzusehen.«, sagte James strahlend. Sie schienen alle nach den richtigen Worten zu suchen. Was Harry anging, funktionierte Quidditch immer und sofort wärmte er sich mit James auf.
»Ja? Ich habe seit meinem ersten Jahr gespielt.«, sagte er.
»Ich weiß! Ich war so stolz, nicht wahr, Lily? Als du geboren wurdest, habe ich dir diesen kleinen Kleinkind-Anfänger-Besen gekauft. Deine Mutter war wütend und hat darauf bestanden, dass ich dich in frühestens fünf Jahren darauf setze, aber ich wusste, dass du ein Naturtalent sein würdest.«, sagte James.
Lily schüttelte den Kopf, doch sie lächelte immerfort, während sie den Ärmel an Harrys Shirt zurechtzupfte und ihm das Haar aus seinem Kragen zog.
»Ich hatte geplant, unser eigenes Feld in den Wäldern hinter dem Haus in Godrics Hollow zu bauen. Hast du es bemerkt? Da war viel Raum für eine abgetrennte Lichtung und ich dachte, es wäre toll, bei dem Geruch des Meeres in der Luft zu spielen.«, erzählte James und wippte auf seinen Fußballen auf und ab.
»Oh! Ich habe den Wald dort gesehen. Das wäre ein toller Platz für ein Feld gewesen.«, erwiderte Harry, der glücklich den Gedanken überdachte, ein Feld bei seinem eigenen Zuhause zu haben. Er hätte seine Freunde während des Sommers für ein Spiel herüberholen können.
Die Quidditch-Unterhaltung dauerte einige Zeit lang an, während Lily Harry immer wieder durchs Haar strich. Obwohl es ihn zuerst irritiert hatte, entspannte Harry sich schließlich und zuckte bei ihrer Berührung nicht mehr zusammen. In dieser Hinsicht war sie Mrs. Weasley sehr ähnlich.
»Du hättest dieses Feld nie bauen können.«, schnaubte Sirius kopfschüttelnd. »Das Ministerium hat deinen Antrag abgelehnt, weil du so dumm warst, ihnen deine Konstruktionspläne für die Beleuchtung vorzulegen.«
»Naja, was für einen Sinn macht ein Meeresblick, wenn man es in der Nacht gar nicht sehen kann?«, entgegnete James. Er klang beleidigt. »Ich hätte einen Muggel-Abwehr-Zauber selbst ausführen können. Es hätte ihnen keine Schwierigkeiten bereitet.«
»Das wissen wir, Liebling.«, tröstete Lily.
James verschränkte schmollend die Arme über der Brust.
»Ich hätte es genial gefunden.«, sagte Harry, der Mitleid mit seinem Vater hatte. Er konnte sehen, wie viel dieses Feld ihm bedeutete, und wusste, wie es sich anfühlte, enttäuscht zu werden. Etwas an dem Gedanken, dass sein Dad diese riesigen Pläne für ihn und seine zukünftigen Geschwister geschmiedet hatte, erwärmte Harry das Herz. Sein Dad hatte Quidditch mit ihm spielen wollen! Sein eigener Dad.
»Das wäre es geworden, nicht wahr?«, fragte James. Der knabenhafte Eifer kehrte in sein Gesicht zurück. »Ich wünschte, ich hätte es beenden können, bevor ... na ja, ich wünschte, ich hätte es dir hinterlassen können. Dein Freund Ron und du, ihr hättet eine großartige Zeit gehabt.«
»Dann magst du Ron also?«, erkundigte sich Harry mit einem bemüht beiläufigen Tonfall. Irgendwie wollte er sehnlichst, dass James all seine Freunde guthieß.
»Natürlich mag ich Ron.«, sagte James verblüfft. »Du hast die besten Freunde, die ich mir jemals für dich hätte wünschen können, und ich danke Merlin jeden Tag dafür.«
Harry strahlte.
»Wir sind beide glücklich mit den Freunden, die du in deinem ersten Jahr in Hogwarts kennen gelernt hast.«, sagte Lily. Sie hatte sich neben Harry niedergelassen und hielt seine Hand, während sie sprach.
»Ron kommt wieder in Ordnung, oder?«, fragte Harry, als ihm der Fluch in den Sinn kam, der Ron während des Kampfes getroffen hatte.
Lily lächelte traurig. »Das weiß ich nicht.«
»Warum weißt du es nicht?«, wollte Harry wissen. Angst stieg ihm wie eine Blase in der Kehle auf. »Du hast gesagt, ihr habt alles gesehen.«
»Die Zukunft ist niemals präzise, Harry.«, schaltete Dumbledore sich sanft ein. »Sie bewegt und verändert sich beständig. Sie verschiebt sich, je nachdem wie die Geschehnisse sich entfalten. Wir sind nur Beobachter.«
»Es ist wahrscheinlich für mich an der Zeit zurückzugehen.«, flüsterte Harry. Seine Kehle fühlte sich sehr eng an. James, Sirius und Remus waren zu ihrer Diskussion über das Quidditch-Feld zurückgekehrt, doch Lily lauschte noch immer ihrer Unterhaltung, und es fiel ihm schwer, ihrem Blick zu begegnen.
»Und es ist Zeit für mich, weiterzuschreiten.«, sagte Dumbledore. »Willst du dich verabschieden?«
»Ich denke, es wäre einfacher, wenn ich zuerst aufbreche.«, sagte Harry wissend, dass er es nicht ertragen könnte, sie alle einer nach dem anderen verschwinden zu sehen.
Dumbledores Augen verdunkelten sich traurig, aber er nickte verständnisvoll. »Geh mit dem Wissen, dass deine verstorbenen geliebten Menschen alle über dich wachen.«
Lily schniefte und nahm Harrys Hände in ihre. Ihre grünen Augen füllten sich mit Tränen, doch sie blinzelte sie resolut fort. Sie zupfte an einer Strähne seines Haars und lächelte traurig.
»Dein Haar ist so weich gewesen. Ich habe immer damit gespielt, als du ein Baby warst. Ich dachte, es wäre nur Babyhaar, aber es ist immer noch so weich wie damals. Ich habe so viel verpasst – wir haben so viel verpasst.«, sagte sie traurig.
Harry schluckte. Was konnte er dazu schon sagen? Er hatte ihren Worten nichts entgegenzusetzen und war ratlos, wie er sie alle aufheitern konnte. Die Vergangenheit war geschehen und konnte nicht geändert werden. Vielleicht war das der hauptsächliche Grund für seinen Besuch hier. Vielleicht hatte dieser verschlossene Raum im Ministerium – der dem Studium des großen Mysteriums der Liebe diente – ihm zeigen sollen, dass, selbst wenn er eine tragische Vergangenheit durchlebt hatte, die Liebe der Menschen, die ihn berührt hatten, ihn zu seiner strahlenderen Zukunft führten. Vielleicht war das das größte Geschenk der Liebe.
Wissend, was er zu tun hatte, versuchte er zu lächeln und zog Lily fest in seine Arme. »Pass auf die Rumtreiber auf. Ich will sie genau so in Erinnerung behalten.«, sagte er, während sein Sichtfeld verschwamm. James, Remus und Sirius lachten und stießen einander gelegentlich freundschaftlich in die Schulter. So hätte es sein sollen.
»Das werde ich.«, versprach Lily leise und schniefte. »Sei dir immer bewusst, dass wir dich lieben und wir alle so stolz auf dich sind. Du bist zu einem fantastischen jungen Mann herangewachsen und ich kann mir keinen besseren Sohn vorstellen. Ich bin sehr glücklich mit dem Mädchen, das du ausgewählt hast. Sei ein Gentleman und lass sie in deinen Kopf wie in dein Herz. Gebt aufeinander Acht.«
Harry nickte.
»Ich werde dir keine furchtbare Szene machen.«, sagte Lily und lachte durch ihre Tränen hindurch. »Ich werde dich den Macho spielen lassen. Ich liebe dich, Harry.«
Harry blinzelte entgeistert. Er hätte nie gedacht, dass er das von seiner Mutter hören würde. Er konnte spüren, wie seine Augen sich mit Tränen füllten, und versuchte panisch die Kontrolle zu behalten.
»Oh, jetzt habe ich es geschafft.«, sagte Lily. Sie wischte Harry die Augen und zog ihn in eine Umarmung. »Ich werde bei Tonks stehen, so dass du in das Leben zurückkehren kannst, das du dir aufgebaut hast. Es ist ein gutes Leben, Sohn. Lass dich selbst es wirklich leben.«
Bevor Harry antworten konnte, drückte sie ihn ein letztes Mal und ging zu Tonks hinüber. Tonks schlang ihren Arm um sie und legte Lilys Kopf an ihre Schulter.
»Leb wohl, Harry.«, sagte Professor Dumbledore, Harrys Aufmerksamkeit wieder auf den bevorstehenden Abschied lenkend.
Harry nickte und stand auf, wobei er Dumbledores Blick auswich. Er ließ sich leise von dem Schulleiter aus dem Gemeinschaftsraum führen. Er warf einen letzten Blick auf die lachenden Rumtreiber und bemerkte, dass seine Mutter ihn noch immer beobachtete.
Als sie den Eingang erreichten, wo das Porträtloch hätte sein sollen, hielt Professor Dumbledore an. Bevor er darüber nachdenken und sich davon abhalten konnte, warf Harry seine Arme um den Schulleiter und hielt ihn fest. Dumbledore schlang seine Arme um Harrys Schultern und schloss ihn in eine warme Umarmung.
»Du kannst mich stets hier finden, Harry.«, sagte er und legte seine Hand über Harrys Herz, »selbst wenn wir nicht länger unsere kleinen Unterhaltungen führen können.«
Harry nickte, nicht in der Lage zu sprechen.
»Stell dir einfach vor, zurückzugehen und dein Geist wird den Rest übernehmen.«, sagte Dumbledore.
Harry blinzelte und sah nach vorn. Vage bemerkte er, dass das weite Ausmaß von Grau sich leicht aufgehellt hatte. Er konnte Hogwarts und den Fuchsbau in der Ferne dunkel erleuchtet sehen. Er konnte das Krachen der Wellen hören und wusste, dass der private Strand von ihm und Ginny nicht weit entfernt war.
Als er sich umsah und Orte, Gestalten und Ereignisse in seinem Leben entdeckte, trat er nach vorn und schwebte wieder über allem, während sein Körper sich auf die verschlossene Tür zu bewegte. Den Hals herumdrehend sah er, dass er den Gemeinschaftsraum noch immer deutlich sehen konnte, doch er war verlassen – ein paar leere Becher waren der einzige Hinweis, dass er kurz zuvor benutzt worden war.
Harry schloss die Augen, um seine Tränen zurückzuhalten. Es war Zeit zurückzukehren.