Kapitel 8: Ein unbehagliches Bündnis
Aufgrund einer Anzahl von unvorhergesehenen
Unterbrechungen wurde das Ordentreffen, das für diesen Abend
angesetzt war, nie abgehalten. Harry wand sich auf seinem Stuhl und
stocherte mit der Gabel in seinem Abendessen herum, während er sich
vor all den Fragen fürchtete, die die Ordensmitglieder ihm
sicherlich stellen würden. Er wusste, dass einige von ihnen, Remus
und Moody beispielsweise, akzeptieren würde, was sie zu tun hatten.
Andere wie Mrs. Weasley und Kingsley Shacklebolt würden mit
Sicherheit mehr Informationen verlangen, als er geben konnte.
Harry wurde durch die Ankunft von Mr. Weasley und Professor
McGonagall, die das Zimmer mit grimmigen Gesichtern betraten, aus
seinen Gedanken aufgeschreckt. Die Küche des Grimmauldplatzes, das
noch Augenblicke zuvor von fröhlichen Unterhaltungen und dem
grölenden Lachen der Zwillinge erfüllt gewesen war, wurde seltsam
ruhig. Diese bunt zusammengewürfelte Gruppe Überlebender hatte in
letzter Zeit schon zu viel erlebt, um nicht in ständiger Sorge vor
weiteren schlechten Neuigkeiten zu sein.
»Was ist los, Arthur?«, fragte Mrs. Weasley angsterfüllt, während
sie vom Stuhl aufsprang und Mr. Weasley darauf zu schob.
Harry fiel auf, wie erschöpft und alt Mr. Weasley erschien. Seine
Augen waren gerötet und wiesen dunkle Ringe auf und weiße Haare
zierten seine Schläfen. Harry wandte seinen Blick zu Professor
McGonagall, der Hagrid seinen Stuhl überlassen hatte. Auch sie
schien rasch an Alter zugenommen zu haben seit Professor
Dumbledores Tod vor nur einem Monat.
Harrys Kehle verengte sich. Dieser Krieg tötete sie alle. Voldemort
tötete sie alle und musste aufgehalten werden.
»Was ist passiert?«, fragte er. Seine Stimme klang stärker, als er
sich fühlte. Schnell ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen
in dem Versuch, auszumachen, ob jemand fehlte. Die
Gesichtsausdrücke von Mr. Weasley und Professor McGonagall weckten
in ihm die Angst vor einem weiteren Todesfall.
Er spürte, wie unter dem Tisch eine kleine Hand in seine eigene
kroch. Er wandte sich um und sah Ginny, die ihren Vater mit
angstgeweiteten Augen anstarrte. Er verschränkte seine Finger mit
ihren und drückte sie.
»Ich komme gerade von einer Besprechung mit dem Schulsenat.«, sagte
Professor McGonagall. »Sie haben ihre Entscheidung gefällt.«
»Scrimgeour hat alle Abteilungsleiter einberufen, um die Ergebnisse
zusammenzutragen.«, fügte Mr. Weasley hinzu.
»Sie werden Hogwarts nicht wieder öffnen, nicht wahr?«, fragte
Harry wie betäubt, nicht sicher, ob er schockiert oder wütend sein
sollte.
»Nein, das werden sie nicht. Sie haben entschieden, dass sie nicht
für die Sicherheit der Schüler garantieren können. Die Auroren sind
einfach zu ausgebucht.«, erwiderte Professor McGonagall. In ihrer
Stimme schwang ein uncharakteristisches Zittern mit.
»Wie können sie das tun?«, rief Hermine empört. »Wo sollen die
Schüler zur Ausbildung hingehen?«
»Die Senatoren sind der Meinung, dass ohnehin nicht genug Schüler
zurückgekehrt wären. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass
Du-weißt-schon-wer großes Interesse an Hogwarts hegt. Die meisten
glauben, dass er sich bisher nur wegen Dumbledore ferngehalten hat
und dass es jetzt nichts mehr gibt, das ihn stoppen könnte. Die
Eltern werden ihre Kinder nicht solch einer Gefahr aussetzen.«,
erklärte Mr. Weasley und warf seiner Frau einen spitzen Blick
zu.
»Dumbledore hätte gewollt, dasses offen bleibt.«, sagte Hagrid,
während er ein Taschentuch von der Größe einer Bettdecke aus seiner
Tasche zog.
»Das weiß ich, Hagrid, aber der Senat lässt sich nicht umstimmen.«,
antwortete Professor McGonagall brüsk.
»Hat Rufus Scrimgeour sich dafür eingesetzt, dass es geschlossen
wird?«, wollte Harry wissen. Er würde es dem Mann zutrauen, dies
als Vergeltung für Harrys Weigerung, dem Ministerium zu helfen,
ersonnen zu haben. Er würde denken, dass Harry sehr viel
verwundbarer und hilfsbedürftiger wäre außerhalb Hogwarts'
Mauern.
»Nein. Dieser Entschluss kam von den Senatoren.«, widersprach
Professor McGonagall seufzend.
»Er ist kein böser Mann, Harry. Er geht nur einen anderen Weg, als
wir es gern hätten.«, beschwichtigte Tonks. »Er will diesem Krieg
wirklich ein Ende setzen. Er möchte einfach nur derjenige sein, der
die Lorbeeren dafür erntet. Er wird uns nicht im Weg stehen, aber
er wird versuchen, herauszufinden, was wir unternehmen. Er ist es
gewohnt, die Verantwortung zu tragen, und es behagt ihm nicht, sich
wie ein Außenseiter zu fühlen.«
»Scrimgeour ist inzwischen genauso besessen davon, Minister zu
sein, wie Fudge damals. Er unternimmt nicht genug, weil er die
Reaktion der Öffentlichkeit fürchtet.«, sagte Bill wütend. Seit
Greybacks Angriff war er zunehmend verbittert gegen das Ministerium
geworden.
Als eine heftige Diskussion für und wider Scrimgeour als Minister
um den Tisch herum ausbrach, lehnte sich Remus zu Harry
herüber.
»Alles in Ordnung, Harry?«
»Mir geht es gut, Remus. Danke, dass du mit gestern nachgefolgt
bist.«, antwortete Harry, seinen Blick fest auf einen dunklen Fleck
auf dem hölzernen Tisch geheftet.
»Das würde ich jederzeit wieder tun, Harry. Aber ich würde es
vorziehen, wenn ich es nicht mehr müsste.«, erwiderte Remus. »Ich
hoffe aufrichtig, dass du nicht noch einmal wegläufst, ohne es uns
zu sagen.«
Harry antwortete nicht, sondern fuhr fort, den Tisch anzustarren,
während er seinen Finger über die Stelle fahren ließ.
»Harry.«, drängte Remus.
»Ich kann es dir nicht versprechen, Remus.«, flüsterte Harry.
Auf seiner anderen Seite täuschte Ginny erfolglos Desinteresse vor.
Harry war sich sicher, dass sie jedes Wort aufsog, das sie
sprachen. Auch Ron und Hermine schienen ihn genau zu beobachten. Er
fragte sich, warum Mrs. Weasley nicht darauf bestanden hatte, dass
sie den Raum verließen, als die anderen eingetroffen waren. Er
vermutete, dass sie es tun würde, sobald sich das Gesprächsthema
etwas zuwendete, das sie als unangemessen für ihre jungen Ohren
erachtete.
»Harry, du musst den Orden über deine Absichten informieren. Ich
kenne dich gut genug, um zu bemerken, dass du etwas ausheckst. Wir
können dir behilflich sein.«, sagte Remus. In seiner Stimme schwang
ein flehender Unterton mit.
»Ich kann nicht. Remus, du hast mir einmal gesagt, dass alles
darauf ankommt, ob wir auf Dumbledores Urteil vertrauen. Damals
hast du gesagt, dass du es tust. Trifft das immer noch zu?«, fragte
Harry und sah ihm zum ersten Mal in die Augen.
»Das... das tue ich. Aber Dumbledore ist nicht mehr da, Harry.«,
antwortete Remus leise. Seine Stimme war schmerzerfüllt.
»Und er hat mir eine Aufgabe aufgetragen. Er wollte, dass ich sie
erfülle und Stillschweigen darüber bewahre. Dieser Bitte werde ich
nachgehen.«, sagte Harry heftig.
Remus ließ den Kopf hängen. Seine Schultern sackten herab. »Also
gut, Harry. Ich werde dir nicht im Weg stehen. Wie auch immer, wenn
es etwas gibt, womit ich euch behilflich sein kann, zögere bitte
nicht dich an mich zu wenden.«
Harry nickte. »Es gibt tatsächlich etwas. Die Weasleys müssen hier
bleiben. Sie können nicht nach Hause zurückkehren. Du musst dafür
sorgen, dass sie hier Unterkunft finden. Wurmschwanz hat erzählt,
dass er im Fuchsbau gewesen ist und dass er beauftragt worden ist,
ein Auge auf sie zu behalten. Voldemort weiß von ihrer Verbindung
zu mir. Es ist nicht sicher für sie, zurückzukehren.«
Remus' Gesicht verfinsterte sich. »Verstanden. Ich glaube nicht,
dass Molly darüber glücklich sein wird, aber Arthur wird vernünftig
sein. Peter wird nicht noch eine Familie zerstören.«
Harry wollte Remus erzählen, was Wurmschwanz über Ginny gesagt
hatte, aber nicht, solange sie lauschte. Das war ein weiterer
Grund, warum er sie nahe bei sich wissen wollte: Es war der einzige
Weg, ihre Sicherheit zu garantieren.
»Noch etwas?«, wollte Remus wissen.
»Ja.«, sagte Harry gedankenversunken. »Als ich mit den Weasleys zur
Quidditch-Weltmeisterschaft gegangen bin, haben wir in magischen
Zelten gewohnt. Es gab einige, die so klein waren, dass sie wie
Muggel-Zelte aussahen, so dass sie sehr leicht zu transportieren
waren. Meinst du, du könntest eins für mich organisieren? Du kannst
das Geld aus meinem Gringotts-Verlies nehmen.«
»Betrachte es als erledigt.«, sagte Remus.
»Es gibt eine weitere Sache, die ich mit euch besprechen möchte.«,
sagte Professor McGonagall. Sie stand auf und hob die Stimme über
die leisen Unterhaltungen. Das Geschnatter erstarb und alle wandten
sich ihr zu.
»Bitte fahr fort, Minerva.«, sagte Mrs. Weasley.
»Ich habe heute den Eberkopf besucht und mit Aberforth Dumbledore
geredet.«, sagte sie mit einem leichten Zittern in der Stimme.
Harrys Kopf schoss in die Höhe, während sich die Gestalt des großen
Barkeepers aus dem Eberkopf in seinen Geist schob. Er war Professor
Dumbledores exzentrischer Bruder? Harry saß mit offenem Mund da und
wunderte sich, dass er nie diese Verbindung gemacht hatte – die
Ähnlichkeit zwischen den beiden erschien ihm nun so offensichtlich.
Ein unerklärlicher Schwall von Traurigkeit stieg bei dieser
Enthüllung in Harrys Brust auf. Es gab so viel um Professor
Dumbledore, das er nie gewusst hatte und das er nun niemals
erfahren würde.
»Hatte er irgendetwas Ungewöhnliches zu berichten?«, brummte
Moody.
Harrys Augenbrauen hoben sich bis zu seinem Haaransatz. Natürlich!
Auf diese Weise also hatte Dumbledore stets gewusst, was in
Hogsmeade vor sich ging. Sein Bruder hatte ihn über alles Seltsame
auf dem Laufenden gehalten. Harry lächelte traurig, während er ein
Gefühl tiefer Zuneigung für seinen geheimnistuerischen Schulleiter
empfand.
»Er ist fertig damit, Albus' Aufträge zur Ausführung zu geben. Er
hat gesagt, dass Albus bestimmte Instruktionen hinterlassen hat,
die Empfänger einiger seiner Gegenstände betreffend. Ich habe ein
paar Gegenstände bei mir, um sie euch auszuhändigen.«, sagte
Professor McGonagall steif. Sie wedelte mit der Hand, woraufhin
mehrere braune Kästen um sie herum auftauchten.
Harrys Eingeweide gefroren. Dies waren Dumbledores Sachen, seine
wertvollen Besitztümer...
»Harry.«, sagte Professor McGonagall, wobei sie merklich sanfter
klang als noch einen Moment zuvor. »Dieser hier ist für dich.
Aberforth hat besonders darauf beharrt, dass du ihn unverzüglich
erhältst.«
Harry nickte starr und nahm den Kasten stillschweigend entgegen. Er
legte ihn auf den Schoß, allen Blicken ausweichend. Hagrid
schnäuzte sich in sein riesiges Taschentuch und Mrs. Weasley
wischte sich die Augenwinkel. Harrys Herz hämmerte in seiner Brust
und ihm kam die Luft im Zimmer plötzlich erstickend vor.
»Hagrid.«, mahnte Professor McGonagall. Doch weiter kam sie nicht,
da Hagrid in erschütternde Schluchzer ausbrach und murmelte, was
für ein großartiger Mann Dumbledore gewesen war. Hermine sprang von
ihrem Stuhl auf und begann, ihm tröstend den Rücken zu tätscheln.
In dieser allgemeinen Verwirrung schnappte sich Harry leise sein
Paket und glitt unbemerkt aus dem Zimmer.
Harry saß mit gekreuzten Beinen auf seinem Bett, das Kinn in den
Händen, während er die Box anstarrte, die Professor McGonagall ihm
übergeben hatte. Das Paket war verschlossen geblieben, unscheinbar
in seiner braunen Verpackung. Doch Harry kam es vor, als bedeutete
das Öffnen ein letztes Aufwiedersehen. Der Professor war wirklich
nicht mehr da. Er würde nicht mehr wiederkommen. Er wusste, dass es
nichts ändern würde, es nicht zu öffnen. Aber für Harry würde es
Endgültigkeit verleihen.
Er hatte über eine Stunde auf der gleichen Stelle gesessen und war
nicht sicher, ob die anderen unten noch Versammlung abhielten. Er
hatte öffnen wollen, was auch immer Dumbledore ihm hinterlassen
hatte, für den Fall, dass es etwas in Verbindung mit Voldemort oder
den Horkruxen enthielt. Er vertraute auch nicht auf seine eigenen
Gefühle und wollte keine Menschenmenge als Zeugen für einen
weiteren Zusammenbruch. Er wusste, dass er sich beeilen sollte,
bevor jemand hochkam, um nach ihm zu sehen. Doch er konnte sich
nicht dazu durchringen, es hinter sich zu bringen.
Die Tür schwang auf und Ron streckte seinen Kopf herein. »Alles in
Ordnung, Kumpel?«, fragte er behutsam.
»Ja.«, versicherte Harry. »Mir geht es gut. Du kannst
hereinkommen.«
Ron trat ein, gefolgt von Hermine und Ginny.
»Harry!«, sagte Hermine mit einem leichten Stirnrunzeln. »Warum
bist du ohne ein Wort gegangen? Ich habe nicht einmal bemerkt, dass
du fort warst.«
Harry zuckte die Achseln.
»Was hat er dir hinterlassen?«, wollte Ron wissen und deutete auf
das Päckchen.
»Weiß nicht.«, erwiderte Harry und zuckte abermals die
Schultern.
»Du hast nicht einmal nachgeschaut?«, rief Hermine entgeistert. »Es
könnte etwas Wichtiges sein, Harry, etwas, das wir benutzen
können.«
»Ich weiß.«
Hermine begriff offensichtlich den Grund für sein Zögern. Denn ihr
Gesichtsausdruck wurde weicher und sie blickte Harry mit etwas an,
das nach Mitleid aussah. Er wandte seine Augen ab und sie setzte
sich neben Ron aufs Bett.
»Alle sind jetzt gegangen. Sie hatten kein wirkliches Treffen. Ich
kann nicht glauben, dass Hogwarts nicht mehr aufgemacht wird.«,
sagte sie bebend.
Harry zuckte zusammen, als die Kante seines Bettes leicht kippte.
Er blickte auf und sah, wie Ginny sich auf das andere Ende
niedergelassen hatte und ihn nun genau beobachtete. Ihr
Gesichtsausdruck war neutral und dafür war er ihr dankbar.
»Hat Professor McGonagall alles seinen Empfängern übergeben?«,
fragte Harry in einer, wie er hoffte, beiläufigen Stimme.
»Nicht alles.«, erwiderte Ron düster.
Neugierig schaute Harry Ron an und hob fragend die Augenbraue.
»Dumbledore hat etwas für Snape hinterlassen.«, sagte Ron, den
Namen ausspuckend.
Harry ballte die Fäuste. »Nicht überraschend. Er hat dem Bastard
immer vertraut.«
»Es ist aber trotzdem ziemlich erschütternd.«, sagte Hermine
besorgt.
»Warum?«, fragte Harry mit knirschenden Zähnen.
Ginny nahm seine Hand und zog die Finger sanft auseinander. Mehrere
sichelförmige Blutstropfen kamen zum Vorschein, wo seine Nägel sich
in die Handfläche gebohrt hatten. Sie wischte das Blut ab und
umfasste seine Hand mit ihrer eigenen warmen. Sein Magen beruhigte
sich ein wenig.
»Also ... tja, ich weiß, dass du es nicht hören willst, aber hör
mir einfach nur zu.«, sagte Hermine nervös. »Professor Dumbledore
hat Professor felsenfest vertraut. Er beharrte darauf, dass er auf
unserer Seite steht – .«
»Bis er ihn getötet hat!«, schrie Harry, nicht in der Lage, seinen
Zorn zu bändigen.
»Das weiß ich, Harry.«, sagte Hermine. »Dennoch habe ich immer noch
gehofft, dass es eine andere Erklärung dafür gibt, dass sie es
vielleicht aus irgendeinem Grund geplant haben.«
»Du meinst, Dumbledore hat geplant, sich von Snape umbringen zu
lassen?«, wiederholte Ron ungläubig.
»Ich weiß es nicht.«, sagte Hermine. »Ich kann einfach nicht
anders, als mich zu fragen, ob wir etwas übersehen haben. Aber
jetzt, da Dumbledore Snape etwas hinterlassen hat ... vielleicht
wusste er es nicht. Ich wüsste zu gerne, was er ihm zurückgelassen
hat. Es könnte einige Zweifel ausräumen.«
»Es gibt keine Zweifel.«, widersprach Harry. »Snape hat ihn
getötet. Dumbledore hat ihm etwas hinterlassen, weil er ihm
vertraute. Er hat ihn für einen Freund gehalten. Snape ist nicht
anders als Wurmschwanz.«
»Du kannst nicht ernsthaft immer noch glauben, dass Snape auf
unserer Seite steht, Hermine.«, sagte Ron.
»Nein. Ich vermute nicht.«, antwortete Hermine ernüchternd. »Aber
ich wünschte, ich wüsste es mit Sicherheit.«
»Es gibt nichts zu wissen.«, brauste Harry auf. »Er ist ein Mörder,
Hermine. Er hat Dumbledore ermordet und ihm kann dafür nie
verziehen werden.«
»Ich habe mit Fred und George gesprochen.«, warf Ginny plötzlich
ein. »Ich habe sie gefragt, ob sie wissen, wo Mundungus lebt.«
»Und, tun sie es?«, fragte Ron.
»Nein, aber als ich ihnen erzählt habe, dass Harry es wissen muss,
haben sie versprochen, sich danach zu erkundigen. Sie haben gesagt,
dass Dung nie allzu lang an einem Ort zu bleiben scheint.«,
erwiderte Ginny.
»Großartig.«, sagte Harry. Abermals drohte ihn das Gefühl von
Hoffnungslosigkeit zu übermannen.
»Mach dir keine Sorgen, Harry. Überlasse es Fred und George. Wenn
jemand seinen letzten Aufenthaltsort herausfinden kann, dann sie.«,
ermutigte Ginny.
»Das ist immerhin etwas.«, antwortete Harry. »Ich will möglichst
keine Verwicklungen mit dem Ministerium wegen Zauberei von
Minderjährigen. Und es verschafft uns ein wenig Zeit, alles in
Ordnung zu bringen. Wir müssen entscheiden, wohin wir zuerst gehen
sollen. Und Ron und ich haben auch noch unsere Apparierprüfungen
vor uns.«
Ron rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Hermine
schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.
»Warum öffnest du die Box nicht.«, sagte Ginny sanft. »Vielleicht
gibt es uns neue Ideen.«
Harry warf einen Blick auf das gewöhnlich aussehende Päckchen und
seufzte schwer. Es blieb ihm nichts anderes mehr übrig. »Ja
... okay.« Er zog an der Verpackung. Sobald er sein anfängliches
Zögern überwunden hatte, stellte er fest, dass Neugier in ihm
aufstieg. Er beeilte sich, herauszufinden, was sich im Inneren des
Päckchens befand.
Er wickelte den Rest des Packpapiers ab und hob ein unglaublich
altes Steingefäß aus der Box, das er ehrfürchtig auf den
Schreibtisch stellte. In dem Gefäß lagen mehrere eingepackte
Gegenstände.
»Was ist das?«, wollte Ron wissen.
»Das ist Dumbledores Denkarium.«, erklärte Harry leise, während er
die Gegenstände herausnahm.
»Harry, die sind sehr selten.«, sagte Hermine und untersuchte
neugierig die Runen, die den Rand des Denkariums säumten.
»Und teuer.«, fügte Ron hinzu.
»Darin hat er dir die Erinnerungen von Tom gezeigt?«, fragte Ginny.
Sie ließ einen Finger an der Kante entlangfahren. »Sind das da die
Erinnerungen?«
Harry nickte und befreite die letzte der versiegelten Phiolen von
seiner Unwicklung. »Ja. Das hier sind die Erinnerungen, die er mir
in unseren Stunden gezeigt hat. Er war der Meinung, dass das Wissen
von Riddles Vergangenheit der Schlüssel ist, um die Horkruxe zu
finden.«
»Aber sind Dumbledores Erinnerungen nicht mit ihm gestorben?«, warf
Ron ein.
»Nein.«, sagte Harry. Viele der Erinnerungen gehörten anderen
Leuten, die schon lange tot sind. Einer von ihnen war sogar ein
Hauself.« Er packte die letzten zwei Gegenstände aus.
Ginny keuchte auf. »Ist das...?« Ihre Stimme zitterte.
Harry hielt das Tagebuch in der Hand, das einst verheerenden
Schaden in Ginnys jungem Leben angerichtet hatte. Harry blickte ihr
tief in die Augen und versuchte, ihr etwas von seiner Kraft zu
übermitteln. Da er selbst gerade erst mit einigen Schrecken seiner
eigenen Vergangenheit konfrontiert worden war, wusste er genau, wie
sie sich in diesem Augenblick fühlte.
»Ja, das ist es. Ich weiß nicht, wie Dumbledore daran gekommen ist.
Ich habe es Lucius Malfoy wiedergegeben, mit der Socke, die Dobby
befreit hat. Vielleicht hat Malfoy es fallen gelassen oder Dobby
hatte es in Gewahrsam. Ich weiß es nicht. Vielleicht hat Dumbledore
es irgendwie aus Malfoy Manor geholt.«, erwiderte Harry, während er
Ginny scharf beobachtete.
Ginny streckte eine bebende Hand nach dem verwitterten Buch aus.
Harry reichte es ihr mit feierlicher Miene, wohl wissend, dass sie
sich dem stellen musste.
»Nein, Ginny, nicht.« Ron griff nach dem Tagebuch.
Harry packte seine Hand und hielt ihn zurück. »Lass sie, Ron. Das
braucht sie.« Sein Blick blieb auf Ginny fixiert.
Ihre Augen waren dunkel und weit aufgerissen, blieben jedoch frei
von Tränen. Schweigend blätterte sie mehrere Seiten um, bevor sie
zurück zu Harry schaute. »Nur ein Buch.«, stellte sie zitternd
fest.
Harry nickte. »Das ist alles, was davon übrig ist. Nur ein Buch. Du
hast ihn geschlagen, Ginny.«
»Nein, du hast ihn geschlagen.«, widersprach Ginny mit einem
kleinen Lachen. »Ich war bewusstlos.«
»Du hast ihn doch geschlagen. Du hast überlebt. Das hättest du
niemals tun sollen, wenn es nach ihm gegangen wäre. Du hast ein
ganzes Jahr lang gegen ihn gekämpft und du hast es überlebt. Rede
diese Tat niemals klein, Ginny.«, erwiderte Harry vehement.
Ginnys Augen füllten sich mit den Tränen, die sie so lange
zurückgehalten hatte. Doch sie blinzelte sie fort. Harry beugte
sich zu ihr hinüber und küsste sie sanft auf die Stirn. Sie lehnte
sich gegen ihn, ihren Kopf auf seine Schulter gebettet.
»Was ist in dem letzten Päckchen?«, fragte Hermine leise.
Harry öffnete es. Es enthielt Vorlost Gaunts Ring. »Das ist der
andere Horkrux. Der, den Dumbledore zerstört hat.«, sagte
Harry.
»Ooh, kann ich ihn mir ansehen?«
Harry reichte Hermine den Ring. »In der Box ist noch etwas
anderes.«, stellte er fest und zog einen von Dumbledores zierlichen
Silberinstrumenten hervor.
»Wozu ist das gut?«, wollte Ron wissen.
»Keine Ahnung.«, antwortete Harry, während er das Instrument
sorgfältig unter die Lupe nahm. Es bestand aus mehreren
zerbrechlich aussehenden Silberzylindern mit einer Hülse an einem
Ende.
»Gibt es irgendwelche Instruktionen?«, fragte Hermine.
»Nein.«, antwortete Harry knapp, während er um eine Erinnerung am
Rande seines Bewusstseins rang. »Ich habe es aber schon mal
gesehen.«
»Natürlich hast du das. Dumbledores Büro war gerammelt voll von
ihnen und du warst oft genug darin.«, sagte Ron.
»Wann warst du in Dumbledores Büro?«, verlangte Hermine zu
wissen.
»Letztes Weihnachten. In der Nacht, in der Harry geträumt hat, dass
Dad von der Schlange angegriffen wurde.«, antwortete Ron.
»Das ist es!«, rief Harry und schnippte in die Finger.
»Das ist was?«, fragte Ginny.
»Das ist es, wo ich dieses Ding gesehen habe. Es war in dieser
Nacht. Die Nacht, in der ich diese Vision hatte oder was auch immer
es war. Dumbledore hat irgendetwas mit diesem Instrument gemacht.
Grüner Rauch ist da herausgekommen.«, berichtete Harry aufgeregt.
»Der Rauch hat sich zu einer Schlange geformt.«
»Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.« Ron runzelte die
Stirn.
»Naja, du hattest zu der Zeit auch anderes im Kopf, oder
nicht?«
»Aber gibt es keine Notiz oder so, was dir sagt, wie es
funktioniert?«, fragte Hermine.
Harry blickte abermals in die Box, fand sie jedoch leer vor. »Nein.
Nichts.«
»Ich kann Professor McGonagall fragen.«, bot Hermine an. »Sie
könnte wissen, wie man es verwendet.«
»Das ist eine gute Idee.« Harry nickte abwesend. »Das Porträt der
Gründer muss ich ihr auch noch zeigen.«
»Ich denke, sie wird sagen, dass es im Augenblick hier am
sichersten sein wird, wo Hogwarts doch geschlossen bleibt. Ich
glaube nicht, dass sie gerade jetzt viel Vertrauen in das
Ministerium hat.«, sagte Hermine.
»Ich kann nicht behaupten, dass ich es ihr übel nehme.«, erwiderte
Harry.
»Also, wenn Hogwarts nicht wieder öffnet, muss ich meiner Mutter
zumindest nicht sagen, dass ich nicht mehr zurückgehen werde.«,
stellte Ron fest.
Hermine antwortete: »Aber du musst ihr immer noch sagen, dass du
weggehen wirst, Ron. Darüber wird sie nicht besonders erfreut
sein.«
»Ich denke nicht, dass wir es ihr sagen sollten.«, schaltete sich
Ginny ein. »Sie wird damit nie einverstanden sein, sondern vielmehr
versuchen, uns davon abzuhalten. Wir sollten uns einfach
davonstehlen. Harry, hast du nicht gesagt, dass du das
Hauptquartier als eine Basis benutzen willst?«
»Ja, das habe ich zu Lupin gesagt.«, erwiderte dieser, feixend.
»Wie hast du das denn aufgeschnappt, Ginny?«
Ginny lächelte. »Ich bin die Jüngste von sieben, Harry. Wenn ich
nicht gelernt hätte zu lauschen, wüsste ich gar nichts.«
Harry grinste. »Das habe ich bei den Dursleys auch getan. Ich
denke, wir können diese Erinnerungen im Denkarium durchgehen, bevor
es Zeit ist aufzubrechen.«
»Wohin gehen wir zuerst?«, fragte Ron.
»Ich glaube, der beste Ort, um anzufangen, ist dort, wo er
angefangen hat: Im Waisenhaus.«, antwortete Harry.
»Es war ein Muggel-Waisenhaus, nicht wahr?«, erkundigte sich
Hermine.
»Ja.« Harry nickte.
»Kann ich mir Hedwig ausleihen?«, fragte sie. »Ich werde meine Mum
bitten, uns die Namen aller Waisenhäuser zu beschaffen, die es vor
fünfzig Jahren in London gab.«
»Woher sollte sie das wissen?«, wollte Ron wissen.
»Sie kann einfach im Internet nachsuchen.«, antwortete Hermine
achselzuckend.
Rons verwirrter Gesichtsausdruck veränderte sich nie. »Im was?«
»Oh, das ist ein Computer, oder?«, fragte Ginny mit einem breiten
Grinsen. Ihr Enthusiasmus erinnerte Harry stark an Mr. Weasley.
Hermines Wange zuckte bei ihrem Versuch, ein Lachen zurückzuhalten.
»Ja, es ist mit einem Computer verbunden. Macht euch keine Gedanken
darüber. Sie schafft es schon. Sie wird sich freuen, dass ich sie
um Hilfe bitte.«
Harry schaute auf und begegnete fragend ihren Augen.
Hermine zuckte die Achseln. »Sie fühlt sich nur ein bisschen
ausgeschlossen aus meinem Leben. Wie könnte sie auch nicht? Man
kann nichts dagegen machen, Harry. Aber ihr wird es gefallen, um
Hilfe gefragt zu werden.«
Harry seufzte. Er hatte ein schlechtes Gewissen, dass Hermines
Familie auseinanderdriftete. »Also gut. Es ist ein Anfang. Ihr drei
müsst außerdem noch Schildzauber üben, während wir hier sind.«
»Harry, wir haben Schildzauber schon im fünften Jahr in DA
durchgenommen.«, protestierte Ron.
»Wenn uns Widerstand begegnet oder falls Voldemort herausfindet,
was wir tun, seid ihr drei es, die sie verfolgen werden. Mich will
Voldemort lebend.«, sagte Harry fest.
»Ja, damit er dich eigenhändig auseinandernehmen kann.«, murmelte
Ron düster.
»Wurmschwanz hat erzählt, dass er, nachdem er herausgefunden hat,
dass ich ... als er ... da hat er den Todessern befohlen, mich am
Leben zu lassen.«, sagte Harry stockend. »Deshalb ist er das ganze
letzte Jahr nicht hinter mir her gewesen. Er will mich
gefangennehmen und irgendwo unter seiner Kontrolle halten.«
Die anderen keuchten entsetzt auf.
»Das werden wir niemals zulassen, Harry.«, sagte Ginny schaudernd.
Sie rückte näher an Harry heran und schlang ihm die Arme um die
Hüfte.
»Voldemort kennt noch immer nicht die gesamte Prophezeiung. Das
heißt, sofern Snape sie nicht kennt. Dumbledore hat mir gesagt,
dass wir beide die einzigen beiden Personen sind, die den exakten
Wortlaut kennen. Wenn Snape es also nicht kennt, bedeutet das, dass
Voldemort noch immer nicht weiß, dass er derjenige sein muss, der
mich tötet, um zu voller Macht zu kommen.«, erwiderte Harry.
»Aber Snape weiß, dass Dumbledore nach den Horkruxen gesucht hat,
oder?«, fragte Hermine plötzlich.
»Ja. Dumbledore meinte, Snape war derjenige, der ihn in der Nacht,
als er sich die Hand verletzt hat, gerettet hat.«, sagte Harry. Er
fragte sich, worauf Hermine hinauswollte.
»Wenn Snape wirklich die Seiten gewechselt hat – .«
»Hat er.«
»Wenn Snape wirklich die Seiten gewechselt hat.«, wiederholte
Hermine, Harrys Unterbrechungen ignorierend, »hat er Voldemort
verraten, was Dumbledore tat. Voldemort ist kein Narr. Er wird
vermuten, dass Professor Dumbledore diese Information an jemand
anderen weitergegeben hat. Und dass diese Person das Gleiche zu tun
versuchen wird. Er wird die anderen Horkruxe bewachen.«
»Vielleicht.«, gab Harry nickend zu. »Aber nicht zwangsläufig.
Voldemort hätte es selbst niemals jemand anderem erzählt, wenn er
insgeheim damit beschäftigt ist, einen Feind niederzuringen. Die
Todesser sind seine Diener, nicht seine Freunde. Das hat Dumbledore
letztes Jahr immer wieder betont. Er würde solche Art von
Informationen niemals teilen. Deshalb würde er niemals den Gedanken
in Erwägung ziehen, dass jemand anderes es tun würde.«
»Meinst du, dass Malfoy es wissen könnte?«, fragte Ginny.
»Es ist möglich, aber mir wird er es ganz sicher nicht auf die Nase
binden.«, antwortete Harry. Er konnte sich lebhaft das höhnische
Lächeln auf Malfoys Gesicht vorstellen, wenn er ihn zur Rede
stellte.
»Du könntest es Moody überlassen, ihn zu befragen.«, schlug Hermine
vor.
»Hermine, wir werden es niemandem sonst verraten.«, sagte Harry mit
knirschenden Zähnen. Er fuhr sich frustriert mit einer Hand durch
das Haar.
»Ich bin immer noch der Ansicht, dass jemand im Orden wissen
sollte, was wir vorhaben. Aber ich verstehe, wie du darüber
denkst.«, sagte Hermine mit leichtem Stirnrunzeln. »Dennoch glaube
ich, dass Moody uns helfen würde. Ich bezweifle, dass Malfoy von
den Horkruxen weiß. Also könntest du einfach fragen, ob er einem
von ihnen plötzlich aufgetragen hat, etwas ohne Grund zu
bewachen.«
Harry dachte darüber nach. Hermine hatte immer das Bedürfnis, zu
einer Autoritätsperson zu laufen, und sie konnte niemals zugeben,
dass die Autoritäten falsch liegen könnten. Dennoch, ihre Idee
könnte klappen, außer...
»Moody ist zu misstrauisch. Er würde es niemals dabei
belassen.«
»Er hat Dumbledore vertraut und ich denke, er vertraut dir auch.«,
sagte Ginny.
»In Ordnung. Ich werde Moody fragen, ob ich mit Malfoy sprechen
könnte. Das ist genau der Gedanke, den ich in meinem Kopf haben
will, während ich versuche einzuschlafen.«, sagte Harry
sarkastisch.
Ginny zerzauste ihm liebevoll das Haar. »Tja, es ist nicht leicht,
ein Held zu sein.«
Harry blickte sie finster an, was Ginny zum Kichern brachte.
Die Mädchen wünschten ihnen eine gute Nacht und kehrten in ihr
eigenes Zimmer zurück. Harry bruchte längere Zeit, um endlich
einzuschlafen. Und als er schlief, waren seine Träume mit
Werwölfen, verschlossenen Boxen und grünem Rauch gespickt.
Harrys Herz hämmerte in seiner Brust, während er in einem kleinen
Raum an der Haupthalle vom Grimmauldplatz auf und ab tigerte. Zu
seiner Überraschung hatte Moody Harrys Bitte, Malfoy zu befragen,
sofort zugestimmt. Harrys Gesicht musste wohl seine Verblüffung
widergespiegelt haben. Denn der alte Auror gluckste.
»Ich habe schon mitgekriegt, dass du mit Dumbledore an etwas
gearbeitet hast, und ich vermute, du fährst damit fort. Wenn
Dumbledore nicht der Ansicht war, dass ich davon wissen müsste,
soll mir das reichen. Immer wachsam, Potter. Je weniger Leute
wissen, was ihr ausheckt, desto weniger die Gefahr für ein Leck.«,
sagte er. »Ich habe Dumbledore mein Wort gegeben, dass ich es zu
Ende bringen werden. Wenn das bedeutet, dir zu helfen mit, was auch
immer du gerade tust, werde ich genau das tun.«
Damit stampfte er aus dem Zimmer, um Malfoy zu holen. Sein
hölzernes Bein pochte bei jedem Schritt auf den Boden.
Harry rückte in den hinteren Teil des Zimmers und nahm in einer
dunklen Ecke Platz, in der Hoffnung, Malfoys Auseinandersetzung mit
Moody beobachten zu können, bevor er von Harrys Anwesenheit Notiz
nahm. Er bezweifelte, dass Malfoy kooperieren würde. Doch wenn er
Informationen besaß, die ihnen irgendwie behilflich sein könnten,
war Harry fest entschlossen, sie sich zu beschaffen.
Als er Stimmen in der Halle vernahm, duckte er sich und
wartete.
»Nur weil ich gezwungen bin, in diesem nicht gerade behaglichen
Unterschlupf zu fristen, haben Sie noch lange nicht das Recht, ohne
meine Einladung in mein Zimmer zu platzen, Mr. Moody. Der
schickliche Zaubereranstand schreibt die Notwendigkeit vor, eine
Eule zu schicken, um eine Verabredung zu arrangieren. Trotz Ihres
Mangels an Erziehung erwarte ich von Ihnen, diese allgemeingültigen
Höflichkeiten aufrechtzuerhalten.«, höhnte Malfoy, während er das
Zimmer betrat. Er setzte sich auf einen harten Stuhl und legte
seine Füße auf einen Schemel.
Moody folgte dicht hinter ihm, einen amüsierten Ausdruck auf dem
Gesicht. Er ließ sich in einen Sessel nieder, der Malfoys gegenüber
stand, und lehnte sich zu ihm, so dass ihre Nasen sich beinahe
berührten. »Hör zu, Darren. Hör gut zu – .«
»Ich heiße Draco.«, spie Malfoy beleidigt.
Moody fuhr fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben. »Du bist
hier nicht als Gast. Du bist hier, weil du schon tot sein würdest,
wärst du woanders.«
»Und ohne die Informationen, die ich zur Verfügung stellen kann,
würdet ihr euch nicht lange für mich einsetzen.«, erwiderte Malfoy,
obwohl er sichtlich erblasst war.
Harry nahm sich einen Augenblick, um Malfoys Erscheinungsbild
gründlich zu betrachten. Er hatte die dunklen Ringe unter seinen
Augen verloren und seine Haut war nicht länger aschfahl. Dennoch
erschien er noch immer blass und abgehärmt. Er sprach mit all der
Überheblichkeit und Angeberei, die Harry erwartet hatte. Doch unter
dieser Fassade vermutete er eine Brüchigkeit, die in der
Vergangenheit noch nicht bestanden hatte.
»Das Thema haben wir schon durchgekaut und wir haben zugestimmt,
ein Arrangement zu treffen, das für beide Seiten förderlich sein
könnte.«, sagte Moody. Er klang müde, als hätte er dieselbe
Unterhaltung bereits viele Male geführt.
»Das heißt nicht, dass Sie in mein Zimmer platzen können – .«
»Ich habe angeklopft, David.«, erwiderte Moody trocken. »Ich habe
ein paar Fragen an dich.«
»Ich heiße Draco.«, sagte Malfoy mit knirschenden Zähnen, »und wenn
meine Mutter hiervon hört, wird sie nicht erfreut sein.«
Moody deutete zur Tür. »Wenn du deine Mummy bei dir brauchst, dann
geh und hol sie.«
Malfoy streckte empört seine Brust heraus. »Ich werde nicht wie ein
gemeiner Hauself behandelt und ich bin vollkommen imstande, meine
Angelegenheiten selbst zu regeln.«
»Und ich werde nicht wie dein Kindermädchen behandelt. Werd
erwachsen, Dudley.«, brummte Moody. Sein magisches Auge blickte
direkt in Harrys Richtung und zwinkerte ihm zu.
Harry erstickte beinahe daran, sein Lachen zurückzuhalten.
»Ich heiße Draco.«, keifte Malfoy. »Was wollen Sie wissen? Ich habe
nicht den ganzen Morgen Zeit.«
Harry rückte ins Licht und setzte sich neben Moody. »Entschuldige,
dass ich deinen vollen sozialen Zeitplan unterbrechen.«, sagte er.
Er tat es Malfoy nach und legte seine Füße auf den Schemel. Er
verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe übersehen, wie
faszinierend die Porträts in deinem Flügel sind. Ich nehme doch an,
dass die es sind, die dich beschäftigen, da doch keiner der
lebenden Bewohner dieses Hauses tatsächlich mit dir sprechen würde.
Ich werde ihnen einen Besuch abstatten, wenn ich den Bedarf nach
einer anregenden Unterhaltung habe.«
Rapide veränderte sich Malfoys Gesicht von einem verblüfften zu
einem wütenden Ausdruck. »Potter.«, schnarrte er. »Was machst du
denn hier? Ich bleibe nicht, wenn er im Zimmer ist.«
»Er ist derjenige, der ein paar Fragen an dich hat. Und da es sein
Haus ist, liegt die Entscheidung ganz bei ihm, wohin er geht.«,
erwiderte Moody gleichgültig.
»Ich habe dir nichts zu sagen.«, beharrte Malfoy und blickte stur
in eine andere Richtung.
»Also gut.«, sagte Harry und zuckte die Achseln. »Ich glaube, du
weißt, wo du die Haustür findest. Geh sicher, dass du all deine
Habseligkeiten mit dir nimmst. Denn es gibt viele, die nur darauf
warten, dein Zimmer zu beschlagnahmen. Moody, könntest du Narzissa
Malfoy bitten, sich zu mir zu gesellen? Mal schauen, ob sie
kooperativer ist als ihr Sohn. Wir werden ihr denselben Deal
vorschlagen.«
»Halt dich von meiner Mutter fern, Potter.«, schnauzte Malfoy. Zwei
rote Flecken erschienen auf seinen blassen Wangen.
Harry blickte ihn kalt an. »Wenn du nicht kooperierst, Malfoy,
werde ich jemand anderen finden, der es tut.«
Malfoy ballte die Fäuste. Verschiedene Gemütsregungen flackerten
über sein Gesicht. »Was willst du wissen? Ich hätte gedacht, der
teure Auserwählte hätte Besseres zu tun. Wenn du mich so
liebend gern hier raus haben willst, warum folgst du dem Drang
nicht, damit der Rest von uns endlich weiterleben kann?«
»Das reicht.«, knurrte Moody. Er zückte seinen Zauberstab und
richtete ihn auf Malfoy.
»Schon gut, Moody.«, beschwichtigte Harry ruhig. Er wusste, dass
Malfoy dazu neigte zu prahlen, wenn er wütend war. Auf diese
Gewohnheit zählte Harry nun. »Das ist genau das, was ich tun werde,
Malfoy, ob mit oder ohne deine Hilfe. Es interessiert mich genauso
wenig, was mit dir geschieht, wie mein Wohlergehen dich
interessiert. Aber ich denke, es leben andere Personen in diesem
Haus, die uns beiden am Herzen liegen. Meinst du, du bekommst deine
kindischen Ausbrüche für ein paar Augenblicke in den Griff, oder
soll ich deine Mutter fragen gehen?«
Abermals erbleichte Malfoy bei der Erwähnung seiner Mutter. Doch
seine Wut siegte und er höhnte: »Er wird dich in kleine Stücke
reißen und seiner Schlange zum Fraß vorwerfen.«
Harry zwang sich, seine Stimme ruhig zu halten. »Vielleicht, aber
wenn ich ihn nicht mit mir reißen kann, ist dein Leben weniger wert
als Drachenmist.«
Malfoys Wut schien anzuschwellen und für einen Moment war Harry
sicher, dass er seinen Zauberstab ziehen und ihn verhexen würde.
Nach einem Augenblick jedoch schien sein Ärger zu verrauchen und er
sank matt auf seinen Stuhl zurück. »Was willst du wissen?«, fragte
er tonlos.
»Ich will wissen, ob Voldemort.«, Harry ignorierte Malfoys Zischen,
als er den Namen aussprach, »besonderen Bedacht darauf gelegt hat,
bestimmte Orte zu bewachen – in den letzten Jahren. Er hätte
verlangt, dass diese Orte unter Beobachtung stehen, doch er hätte
keinen Grund dafür angegeben. Klingt das vertraut?«
Malfoys Augen wiesen einen Funken Anerkennung auf, obwohl er es zu
verbergen versuchte. »Warum ist das so wichtig?«, wollte er
wissen.
Harry zuckte gleichgültig die Schultern. »Das muss es gar nicht
sein. Betrachte mich einfach als neugierig.«
Ein Teil von Malfoys stolzem Hochmut kehrte zurück, als er
herablassend sagte: »Ich glaube nicht, dass es bedeutsam sein
könnte.«
»Was ist nicht bedeutsam?«, fragte Harry. Seine Augen verengten
sich, die Härchen auf seinen Armen stellten sich plötzlich auf.
»Was immer er bewacht, ist nicht wichtig. Sonst hätte er andere,
wichtigere Leute damit beauftragt. Leute, die von Bedeutung sind.«,
erwiderte Malfoy.
»So wie dich?«, fragte Harry und verdrehte die Augen.
Malfoy schoss das Blut ins Gesicht. »Er hat mir den größten Auftrag
von allen erteilt und ich habe ihn erfüllt.«, sagte er
aufgeblasen.
An Malfoys Rolle an Dumbledores Tod erinnert, spürte Harry seine
Haut vor Empörung brennen. »Das hast du nicht. Snape war es. Am
Ende konntest du es nicht. Du bist kein Mörder, Malfoy. Eines Tages
könntest du sogar noch stolz darauf sein.«
»Was weißt du davon?«, verlangte Malfoy zu wissen. Seine Augen
hatten sich alarmiert geweitet.
»Ich weiß viel. Ich weiß, dass du deinen Zauberstab gesenkt hast,
als Snape und die anderen durch die Tür gestürmt sind. Professor
Dumbledore hat dir eine Chance angeboten und du warst im Begriff,
sie anzunehmen.«, sagte Harry und schauderte, als die Erinnerung an
diese Nacht in ihm aufstieg.
Malfoy verengte seine Augen. »Woher – .«
»Lasst uns zurück zum Thema kommen, Jungs. Was weißt du davon, was
bewacht wird, Draco?«, schaltete sich Moody ein.
»Ich weiß nicht, was oder wo es ist, aber er hat Pettigrew, Crabbe,
Goyle und Simmons aufgetragen, etwas zu tun und ihm Bericht zu
erstatten. Keiner von ihnen ist der hellste oder treueste seiner
Anhänger. Also kann es nicht sehr bedeutsam sein, was auch immer es
ist.«, erwiderte Malfoy achselzuckend.
Harrys Gedanken rasten. Wurmschwanz hatte den Fuchsbau beobachtet,
was natürlich bedeutete, er hatte ihn beobachtet. Das ließ
den Becher und den unbekannten Horkrux übrig. Was konnte die vierte
Person nur bewachen? Todesser zu beauftragen, die nicht besonders
helle waren, war genau Voldemorts Stil. Sie würden keine Fragen
stellen oder tiefer bohren. Und falls die anderen Todesser die
gleiche Einstellung besaßen wie die Malfoys, würden sie nicht
glauben, dass es von Bedeutung war, was auch immer gerade
ausgeführt wurde.
Wurmschwanz war Wurmschwanz. Und wenn Crabbe und Goyle ihren
Sprösslingen auch nur im Entferntesten ähnelten, waren sie nicht
sehr schlau. Harry wusste nichts über Simmons, doch er konnte sich
vorstellen, dass er in dieselbe Kategorie einzuordnen war. Aber
warum vier?
Natürlich! Das Medaillon. Wenn Voldemort nicht wusste, dass R.A.B.
in die Höhle gelangt war und es gestohlen hatte, war ihm sicher
nicht bewusst, dass Harry und Dumbledore sie ebenfalls erreicht
hatten. Dumbledore hatte gesagt, dass Lucius Malfoy seinem Meister
von dem Tagebuch Bericht erstattet hatte, und Harry nahm an, dass
Snape Voldemort von dem Ring erzählt hatte. Doch keiner wusste über
das Medaillon Bescheid. Er hatte noch immer jemanden an der Höhle
aufgestellt. Ihr Auftrag war es, alles Verdächtige oder Besucher
unverzüglich zu melden, so dass Voldemort sich persönlich an den
Ort begeben konnte.
Es war ein Anfang. Wenn sie diese Personen ausfindig machen
konnten, würden sie wissen, dass sie dort richtig waren.
»Bringt es dir etwas, Potter?«, fragte Moody, während er Harry
sorgsam beäugte.
»Vielleicht.«, sagte Harry abwesend. »Wer weiß schon wirklich, was
Voldemort denkt?«
Malfoy stützte seinen Kopf in die Hände und rieb sich müde die
Stirn. »Hör mal, Potter, ich weiß nicht, ob diese
Auserwählten-Sache stimmt oder nur Teil deiner Publicity ist. Und
es interessiert mich auch nicht. Der Name Malfoy ist so alt und
respektiert wie jede andere Reinblüter-Familie heute und wir werden
wie Tiere gejagt. Weder meine Mutter noch ich haben es verdient, so
zu leben. Wenn du versuchst, diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen,
werde ich alles, was in meiner Macht steht, tun, um euch zu helfen.
Es heißt nicht, dass wir Freunde sind, und es heißt auch nicht,
dass ich noch irgend etwas mit dir zu tun haben will, sobald es
vorbei ist. Falls du dann überhaupt noch lebst natürlich.«
»Das klingt fair.«, sagte Harry nickend. »Ich bin mir sicher, dass
ich ebenfalls nichts mit dir zu tun haben will, wenn es vorbei
ist.«
Malfoy den Rücken zukehrend, streifte Harry mit hoch erhobenem Kopf
aus dem Zimmer. Er hatte einen Anhaltspunkt, wo er anfangen
konnte.
Weit entfernt von London, in einem dunklen Steinhaus abseits von
allen anderen, hatte der Dunkle Lord seine Gefolgschaft
zusammengerufen. Er thronte hinter einem massiven Schreibtisch aus
Eichenholz in einem hochlehnigen Sessel. Sein schlangenartiges
Gesicht studierte die maskierten Gestalten, die mit gebeugten
Köpfen in demutvoller Haltung vor ihm standen. Seine langen, dünnen
Finger strichen beinahe zärtlich über seinen Zauberstab, während
sich seine stechenden roten Augen in die Gruppe bohrten.
»Wer von euch kann mir sagen, wohin Potter und der
Blutverräter-Clan gegangen sind?«, zischte Voldemort sanft. Seine
Stimme war ruhig und doch ließ sie ein Schaudern durch die
Todesserreihen fahren.
»Dürfte ich vorschlagen.«, erhob sich eine weiche, ölige Stimme vom
hinteren Teil des Raumes, »dass sie im Hauptquartier des
Phönixordens Zuflucht gesucht haben? Wie ich berichtet habe, hält
sich die gesamte Weasley-Familie darin auf und Potter ist geneigt,
sie zu beschützen.«
»Ja, Severus.«, sagte Voldemort. Seine Augen blitzten in einem
unheimlichen roten Glühen auf. »Du bist mir sehr hilfreich gewesen,
indem du mir die Namen der Ordensmitglieder bereitgestellt hast.
Doch du bist nicht imstande gewesen, mir den Standort des
Hauptquartiers zu sagen.«
Snape beugte sich noch tiefer zum Boden. »Ich bitte untertänigst um
Vergebung, Meister. Doch Ihr seid Euch bewusst, wie der
Fidelius-Zauber arbeitet. Ohne den Geheimniswahrer kann der
Standort nicht enthüllt werden.«
Voldemorts Verärgerung zeigte sich, als sich seine ausgemergelten
Finger fest um seinen Zauberstab krallten. »Und wer ist der
Geheimniswahrer?«, fragte er.
»Wie Ihr wisst, bin ich nicht länger eingeweiht in die Geschehnisse
im Orden, nachdem ich Albus Dumbledore getötet habe.«, antwortete
Snape.
»Ja, wir wissen alle, dass du Dumbledore getötet hast,
Snape.«, höhnte Bellatrix Lestrange, nicht imstande, länger
Schweigen zu bewahren. »Zu gütig von dir, uns daran zu erinnern.
Was er gefragt hat, war, wer ihr neuer Geheimniswahrer ist.«
»Danke, Bella.«, zischte Voldemort gefährlich. »Während ich deine
Loyalität preise, schätze ich in keinster Weise dein
unaufgefordertes Sprechen.«
Bellatrix' Augen weiteten sich hinter ihrer Maske, als sie
realisierte, dass sie ihre Grenzen überschritten hatte. »Natürlich,
Meister.«, sagte sie und beugte den Kopf. »Ich bitte um
Vergebung.«
»Lass es nicht noch einmal geschehen, Bella.«, mahnte er ruhig. Als
sie einen Schritt rückwärts tat, um ihren Platz in der Reihe der
Todesser wieder einzunehmen, hob er den Zauberstab und zischte:
»Crucio.«
Bellatrix stürzte zu Boden, schrie und wand sich in Höllenqualen.
Die anderen Todesser ließen ihre Blicke unbewegt geradeaus
gerichtet. Nach einiger Zeit hob Voldemort den Fluch auf und wandte
sich erneut Snape zu. Bellatrix blieb wimmernd am Boden liegen.
Keiner rührte sich, um ihr aufzuhelfen.
»Du kennst diese Leute besser als der Rest von uns, Severus. Wen
würdest du am ehesten als neuen Geheimniswahrer vermuten?«
Snape fuhr sich mit einem Finger über das Kinn. »Mein Instinkt
würde sagen, entweder Minerva McGonagall oder Alastor Moody. Aber
es gibt immer noch Potter zu berücksichtigen.«, sagte er. Seine
Oberlippe kräuselte sich.
»Was hat Potter damit zu tun?«, wollte Voldemort wissen.
»Wenn das Balg in der Sache ein Wörtchen mitzureden hat, ist er
wahrscheinlich selbst der Geheimniswahrer. Er ist ausgesprochen
arrogant und seine Meinung von ihm selbst ist außergewöhnlich hoch.
Sein närrischer Gryffindor-Charakterzug würde nicht erlauben, dass
irgend jemand anderes in Gefahr schwebt. Deshalb würde er die Rolle
eigenhändig übernehmen.«, erklärte Snape. Er zog eine Grimasse, als
hätte er einen unangenehmen Geschmack im Mund.
Voldemort schüttelte geringschätzig den Kopf. »Der Orden würde nie
erlauben, dass ein Sechzehnjähriger Geheimniswahrer wird.«
»Normalerweise würde ich Euch zustimmen. Alle Regeln scheinen sich
jedoch Potters Lust und Laune zu beugen. Dumbledore selbst hat den
Jungen mit viel zu vielen Informationen betraut.«, sagte Snape und
ballte die Fäuste.
»Dumbledore war ein Narr und seine Zuneigung zu dem Jungen war eine
seiner größten Schwächen. Ich will nicht, dass sich jemand von euch
mit Potter beschäftigt. Überlasst ihn mir. Ich habe bestimmte Pläne
mit dem Jungen. Er muss lernen, was es bedeutet, sich mir zu
widersetzten. Doch er ist keinesfalls eine Bedrohung für unsere
Pläne.«, sagte Voldemort.
Snape schien widersprechen zu wollen, doch er beugte den Kopf und
wich zurück. »Ja, Meister.«
»Hat jemand von euch inkompetenten Dummköpfen herausgefunden, wie
die Blutsverräter es geschafft haben, die Dementoren von der
Hochzeitsfeier zurückzudrängen?«, erkundigte sich Voldemort mit
leiser Stimme.
»Potter und der älteste Weasley, derjenige, den ich als einen der
Meinen gezeichnet habe, haben die Schutzzauber verstärkt, mein
Lord.«, antwortete Fenrir Greyback.
»Ich verstehe.«, zischte Voldemort. »Ich vermute, Fenrir, dass du
der erste sein willst, der sieht, dass dieser Weasley bestraft
wird?«
»Ja, mein Lord. Ich habe ihn gezeichnet und ich bin sicher, er
fühlt jetzt die Frustration darüber, wie das Ministerium unsere Art
behandelt. Er wird reif sein, auf unsere Seite zu treten, sobald
ich einen vollwertigen Werwolf aus ihm gemacht habe.«, sagte
Greyback und grinste wahnsinnig.
»Exzellent. Was ist mit unseren vermissten Malfoys? Sind sie
aufgegriffen worden?«, fuhr Voldemort fort.
Die Todesser wanden sich unbehaglich, doch keiner antwortete.
»Ich habe eine Frage gestellt und ich erwarte eine Antworte.«,
sagte Voldemort, ohne die Stimme zu erheben. Dennoch schwang eine
unmissverständliche Drohung mit.
»Nein, mein Lord. Sie scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben.«,
meldete sich die Stimme einer Frau.
»Wie ist das möglich?«, fragte Voldemort.
Wieder begegnete ihm Schweigen.
»Antwortetet mir.«, bellte er. Grüne Funken sprühten aus seinem
Zauberstab.
»Sie hätten es nicht ohne Hilfe tun können.«, erwiderte Bellatrix,
die noch immer am Boden kauerte. Sie keuchte vor Schmerz, als sie
sich auf die Knie erhob. »Meine Schwester hat keinerlei Kontakte,
die sie gegen Euch unterstützen würden, mein Lord. Eine
Bekanntschaft von Draco muss ihnen Asyl gewähren.«
Snapes Gesicht blieb teilnahmslos.
»Ich will, dass sie gefunden und zu mir gebracht werden, zusammen
mit, wer auch immer ihre Flucht ermöglicht hat. Wer von euch sie
ausfindig macht, wird selbstverständlich meine Gunst und ein
kleines Zeichen meiner Dankbarkeit erhalten.«, sagte Voldemort.
»Was ist mit Wurmschwanz?«, fragte Bellatrix. »Er ist nicht hier.
Vielleicht hat er die Flucht meiner Schwester zugelassen.«
»Wurmschwanz mangelt es an Mut, etwas so Kühnes zu tun. Ich bin mir
seines Aufenthaltsortes bewusst, da ich von jedem eurer Aufträge
weiß. Vergiss es nie, Bella.«, warnte er.
»Ja, Meister.«
»Ihr habt alle Befehle erhalten. Enttäuscht mich nicht wieder. Ich
werde sehr viel weniger gnädig sein, wenn ihr mir das nächste Mal
wieder nichts berichten könnt, als Versagen.«, sagte Voldemort.
Seine kalten, schlangenartigen Augen glitten über sie alle.
»Severus, bitte bleib zurück. Ich muss etwas mit dir
besprechen.«
»Ja, mein Lord.« Snape verbeugte sich steif.
Die verbliebenen Todesser disapparierten so schnell sie konnten,
erpicht, nach der Pfeife ihres Meisters zu tanzen und gleichzeitig
fern seines Zornes zu sein.
»Es muss schon über ein Monat seit Albus Dumbledores Tod vergangen
sein, Severus, und es hat noch keine einzige Andeutung von
Bewegungen gegen einen meiner Horkruxe gegeben. Ich glaube, du
irrst dich darin, dass Dumbledore jemand anderen in seine
Aktivitäten eingeweiht hat.«, sagte Voldemort.
Snape beugte den Kopf und bewegte sich langsam auf den Schreibtisch
zu. »Natürlich könntet Ihr Recht haben, Meister. Ich glaube jedoch,
dass ich den Schulleiter sehr gut kenne, nachdem ich für solch eine
lange Zeit in seinen Diensten gestanden habe. Er hatte immer
Notfallpläne.«
»Dennoch sagtest du, dass du am Ende einiges von seinem Vertrauen
einbüßen musstest. Du sagtest, du hättest das Gefühl, er
verheimliche etwas vor dir.«, erwiderte Voldemort. Seine
scharlachroten Augen waren zu Schlitzen verengt.
»Ja.«, sagte Snape unbehaglich. »Er war nicht der Meinung, dass ich
ausreichend viel unternommen habe, um herauszufinden, was der
Malfoy-Junge im Schilde führte. Ich war nicht imstande zu
enthüllen, was ich wusste. Und ohne Dracos Kooperation waren die
Geschichten, die ich fabriziert habe, erwiesenermaßen falsch. Wie
Ihr wisst, war Dumbledore im Glauben, dass jeder gerettet werden
kann. Er hat gehofft, dass ich dem Jungen eine Chance zum Neuanfang
anbieten könne.«
»Ja. Sein Mitgefühl war einer seiner größten Fehler. Er konnte nie
verstehen, dass es solche wie uns gibt, die niemals gerettet werden
wollen.«, sagte Voldemort. Ein scheußliches Lächeln verzerrte sein
Gesicht.
Snape verzog das Gesicht, als hätte er etwas Schleimiges, Ekliges
geschluckt. »Er hat sich außerdem geweigert, zu enthüllen, was er
mit Potter an ihren gemeinsamen Abenden besprochen hat.«
Voldemort wedelte achtlos mit der Hand. »Du hast gesagt, du hättest
sichergestellt, dass Potter nicht imstande sein wird, im letzten
Jahr Okklumentik zu lernen. Vielleicht hat Dumbledore versucht, den
Jungen persönlich zu lehren, und deine List bemerkt.«
Snape wurde zornig. Ein hässliches, höhnisches Lächeln überquerte
sein fahles Gesicht. »Der Junge ist nicht fähig, die einfachsten
Techniken zu verwenden. Zu sagen, dass er nicht lernen konnte, war
nicht weit entfernt von der Wahrheit.«
»Dennoch lag Dumbledore sehr viel an dem Jungen.«, sagte Voldemort,
offensichtlich belustigt von Snapes nacktem Hass gegen Harry.
»Ja.«, bestätigte Snape mit knirschenden Zähnen. »Ihm lag so viel
an ihm, dass er ihm oft gestattet hat, sich in Angelegenheiten
einzumischen, die kompetenteren Zauberern hätten überlassen werden
sollen. Ich fürchte, dass Potter derjenige sein könnte, den
Dumbledore in das Geheimnis der Horkruxe eingeweiht hat. Das Ego
des Jungen ist mit Sicherheit groß genug, um ihn glauben zu machen,
dass er selbst damit fertig werden würde.«
»Lächerlich. Dumbledore hatte schon immer eine Schwäche für seine
Lieblinge. Doch er würde niemals die Information, die mich
zerstören könnte, mit einem Sechzehnjährigen teilen. Nimm dich in
Acht, Severus, deine Eifersucht kommt zum Vorschein.«, bemerkte
Voldemort amüsiert.
Snape legte seinen Kopf schief. »Wenn ich voller Respekt anmerken
dürfte, mein Lord, habt Ihr einem Sechzehnjährigen eine ähnliche
Aufgabe aufgetragen.«
Voldemorts Lächeln verblasste und seine Augen verengten sich
abermals. »Ich haben dem Malfoy-Jungen die Aufgabe als Bestrafung
seines Vaters zugeteilt. Ich wusste, dass er nicht in der Lage sein
würde, seine Aufgabe zu vollenden, und ich hatte Recht. Du warst
es, Severus, der meinen Feind zerstört hat. Ich habe nie erwartet,
dass der Malfoy-Junge überleben würde. Dumbledore war viel zu
nobel, um jemals jemanden freiwillig einer solchen Gefahr
auszusetzen, den er als Kind betrachtet. Seine Liebe für den
Potter-Jungen hätte es niemals erlaubt.«
Snapes Gesicht verfinsterte sich. »Mein Lord – .«
»Genug! Ich will nichts mehr davon hören, Severus. Ich habe Pläne
für Harry Potter. Ich glaube, dass die Prophezeiung ihn als eine
Bedrohung bezeichnet hat, weil er ein Horkrux ist, nicht weil er
etwas Besonderes ist. Als ich darauf aufmerksam wurde, was passiert
ist, wurde mir alles klar. Ich kann mit Harry Potter fertig werden.
Er ist nicht länger eine Bedrohung für mich. Meine Pläne, das
Ministerium auseinanderzunehmen, können nun beginnen. Es gibt
niemanden, der mich aufhalten kann.«, sagte Voldemort mit glühenden
Augen.
»Ja, Meister.«, erwiderte Snape. Es war kein Geheimnis, dass Snape
der Meinung war, Harrys Ruf werde überbewertet. Doch er musste
ebenfalls wissen, dass es nicht weise war, den Jungen zu
unterschätzen. Er hatte die lästige Angewohnheit, immer zur rechten
Zeit am rechten Ort zu sein.