An einem Abend Mitte März saß Harry wieder einmal mit Ron, Hermine und Ginny in der Bücherei, wo sie ihre Notizen überprüften, welche Teile des Schlosses sie bereits durchsucht hatten. Harry hatte seinen Rucksack mit dem Denkarium mitgebracht und sie hatten sich die Erinnerung von Tom Riddles Besuch in Hogwarts angesehen.
Doch auch diesmal fiel ihnen nichts ein. Als Harry Anstalten machte, das Denkarium wieder in seinem Rucksack zu verstauen, half Ginny ihm, indem sie einige Gegenstände aus dem Weg räumte. Während er das schwere Becken in den magisch vergrößerten Rucksack senkte, hörte er Ginny aufkeuchen.
Er drehte sich zu ihr um. »Was ist?«, fragte er.
Sie starrte auf das kleine Porträt der Gründer, das sie am Grimmauldplatz gefunden hatten.
»Ich glaub es nicht.«, sagte sie. Ihre Augen weiteten sich.
»Was?«, wollte Hermine wissen, die über ihre Schulter auf das Porträt lugte.
»Wir haben Buch um Buch durchgewälzt, um herauszufinden, ob Rowena Ravenclaw mehr als einmal mit einem bestimmten Gegenstand abgebildet wurde, und es war die ganze Zeit direkt vor unserer Nase.«, sagte Ginny. Ihr Gesicht rötete sich.
»Und was?«, fragte Ron verblüfft.
»Schaut! Auf ihrem Kopf – es ist Tantchen Muriels Diadem – oder besser gesagt, das Original.« Ginny deutete darauf.
»Du meinst, der Horkrux ist in Tantchen Muriels Diadem?«, fragte Ron. »Aber es ist nicht einmal echt. Eigentlich ist es wertlos.«
»Nicht Tantchen Muriels, du Dummkopf.«, erwiderte Ginny und schlug ihn gegen den Hinterkopf. »Das Original. Warum könnte es nicht das Diadem sein, das er benutzt hat, wenn es bedeutend genug ist, dass eine Kopie davon angefertigt worden ist?«
»Au.«, machte Ron, während er sich seinen Kopf rieb. »Übergeschnappt bist du. Selbst wenn es wirklich das Diadem ist, wissen wir immer noch nicht, wo wir es finden, oder? Hast du irgendwo im Schloss ein Diadem herumliegen sehen?«
»Ja!«, rief Harry. Er setzte sich ruckartig auf. Sein Herz hämmerte in der Brust, während seine Aufregung wuchs.
»Was?«, fragte Ron verdutzt.
»Du hast es gesehen?«, wollte Hermine wissen.
»Wo?«, fragte Ginny.
»Im Raum der Wünsche, als ich das Zaubertrankbuch des Halbblutprinzen vor Snape versteckt habe. Ich habe es dort versteckt und das Diadem auf den Kopf einer Statue gesetzt, damit ich es wiederfinden konnte.«, berichtete Harry.
»Du hast es berührt?«, fragte Hermine.
»Ja.«, sagte Harry. Er schob seinen Stuhl so schnell zurück, dass er umfiel. Er lief in langen Schritten zur Tür.
»Warte, Harry. Woher weißt du, dass das Diadem ein Horkrux ist, wenn du es berührt hast und nichts passiert ist?«, rief Hermine, hinter ihm herlaufend.
»Das weiß ich nicht.«, erwiderte Harry. »Aber ich werde es herausfinden.«
»Vielleicht hast du es deshalb überhaupt ausgesucht.«, sagte Ron, der einzige, der nicht nach Luft schnappte, um Schritt zu halten. »Vielleicht hast du es schon damals gespürt, ohne es selbst zu merken.«
»Vielleicht.«, sagte Harry knapp. »Ich habe zu der Zeit nicht viel gedacht. Ich habe mich mehr darum gesorgt, was ich gerade Malfoy angetan hatte und was Snape mir dafür antun würde.«
»Oder vielleicht ist es wie bei dem Schrank im Hufflepuff-Museum.«, schlug Ginny vor. »Vielleicht reagiert es nur negativ, wenn die Magie spürt, dass man ihm Schaden zufügen will.«
Als sie am Eingang des Raums der Wünsche anlangten, keuchten sie alle leicht und die Aufregung spiegelte sich in ihren Gesichtern wider. Das könnte es sein.
Harry lief dreimal vor der Wand auf und ab.
Ich muss an den Ort, an dem mein Zaubertrankbuch versteckt ist.
Harry sagte den Satz dreimal auf, doch nichts geschah – die Tür tauchte nicht auf.
»Was ist los?«, fragte Ron.
»Ich weiß es nicht.«, sagte Harry, allmählich frustriert.
»Weißt du noch, worum du gebeten hast, als du es versteckt hast?«, erkundigte Hermine sich stirnrunzelnd. »Versuch denselben Spruch.«
Harry durchkramte seinen Geist, um sich daran zu entsinnen, was er gesagt haben könnte. Er hatte sein Zaubertränkebuch loswerden wollen.
Ich brauche einen Ort, an dem ich mein Buch verstecken kann.
Harry wiederholte den Satz dreimal. Er wusste von dem Aufkeuchen der anderen, dass die Tür erschienen war. Er öffnete die Augen und zog die Tür auf, bevor er hineintrat.
»Verdammte Scheiße.«, stieß Ron hervor, der ruckartig stehen geblieben war bei dem Anblick des massiven stadtgroßen Raums. »Schaut! Hier sind Tonnen von Fred und Georges Zeug versteckt.«
Harry wandte sich um und sah einen Stapel von Weasleys Zauberhaften Zauberscherze-Produkten, die willkürlich in eine Ecke geworfen waren, als wäre der Besitzer in extremer Eile gewesen. Harry konnte sich ausmalen, wie jemand, gejagt von Filch, versucht hatte, die Beweise loszuwerden.
»Harry, wie erwartest du, es hier drin zu finden?«, fragte Ginny ungläubig. »Das ist riesig.«
»Ich weiß.«, erwiderte Harry, während er den Hauptgang hinunterlief. »Ich habe Markierungen benutzt.«
Er konnte Hermine über all die verbotenen Gegenstände die Zunge schnalzen hören.
»Einige dieser Dinge sind gefährlich.«, sagte sie entsetzt.
Harry wandte sich nach rechts, hielt aber abrupt an, als er das Verschwindekabinett erreichte, das Draco Malfoy benutzt hatte, um die Todesser nach Hogwarts zu führen in der Nacht, in der Professor Dumbledore getötet worden war. Seine Tür hing offen und war leicht in den Gang geschwungen, ein Beweis dafür, dass es in nicht allzu ferner Vergangenheit erst benutzt worden war. Professor McGonagall hatte gesagt, dass Professor Flitwick es verschließen solle, so dass es nie wieder benutzt werden konnte.
Harry biss die Zähne zusammen und ging weiter, die anderen dicht auf den Fersen. Die Stille zwischen ihnen hing schwer in der Luft. Sie hatten alle die Bedeutung dieses Kabinetts erkannt. Er hielt nicht an, bis er den Schrank mit der Büste eines hässlichen, alten Zauberers erreicht hatte. Eine Perücke und ein angeschlagenes Diadem thronten auf der Büste.
Bevor er die Büste herunterholte, öffnete Harry den Schrank und langte hinter einen Käfig mit einigen nicht identifizierbaren Resten.
»Iiih. Was ist das?«, fragte Ginny und verzog angewidert das Gesicht.
»Keine Ahnung.«, erwiderte Harry, während er sein altes Zaubertrankbuch herauszog und die Seiten durchblätterte.
»Was willst du damit?«, wollte Hermine wissen. Sie hob ihre Nase in die Luft und brachte deutlich ihr Missfallen zum Ausdruck.
Harry zuckte die Achseln und steckte das Buch in seine Tasche. »Es könnte von Nutzen sein. Nun, da wir wissen, dass es Snape gehört hat.«, sagte er, wobei er den Namen wie einen Fluch ausspie, »es könnte uns einen Hinweis darauf geben, wo wir ihn finden können.«
»Das ist höchst unwahrscheinlich, Harry. Selbst wenn es irgendwo eine Adresse enthält, wird es das Zuhause seiner Kindheit sein, nicht sein jetziger Wohnort.«, erwiderte Hermine.
Sie ignorierend, streckte Harry sich und nahm die Büste vom Schrank herunter. Er stellte sie auf einen wackeligen alten Tisch mit unebenen Beinen. Er machte Anstalten, das Diadem von seinem Kopf zu nehmen, doch Ginny packte ihn am Arm.
»Berühr es nicht!«, rief sie.
Er hob die Schultern. »Ich habe es berührt, um es dort raufzulegen, und nichts ist passiert.«
»Selbst wenn ... du kannst nicht derjenige sein, der es jetzt berührt. Nur für den Fall, dass etwas schief geht.«, sagte sie mit leicht verzogenem Gesicht.
»Sie hat Recht, Kumpel. Du musst derjenige sein, der weitermacht.«, stimmte Ron zu.
Harry wurde störrisch. »Seid nicht lächerlich. Wir müssen es uns ansehen.«, schnappte er.
»Lass mich es machen.«, sagte Ron.
»Nein!«, entgegnete Harry. Er streckte den Arm aus und nahm das Diadem in die Hände. Nichts geschah. Das Metall war kühl und vollkommen verschmutzt.
»Har-ry.«, keifte Hermine und stampfte mit dem Fuß auf. »Was habe ich darüber gesagt, dass du uns vertrauen musst und uns unseren Teil tun lässt und nicht impulsiv handelst? Hast du mir überhaupt zugehört?«
Harry blickte finster drein, wohl wissend, dass sie Recht hatte, und doch nicht fähig, sich zu stoppen. Es würde sie nur wütend machen, zu wissen, dass er nicht die geringste Absicht hatte, zuzulassen, dass einer von ihnen an seiner Stelle verletzt würde. Mit geschlossenen Augen ließ er seine Magie fließen und fühlte das Gewicht des schweren Metalls in seinen Händen. In seinen Ohren klingelte es und Schauer rannen ihm über den Rücken.
»Das ist es.«, sagte er, zugleich nervös und aufgeregt.
Ron zog den Zauberdetektor aus seiner Tasche und setzte ihn auf. »Ach du Scheiße.«, murmelte er. »Es ist voll von Dunkler Magie.«
»Lass mich sehen.«, sagte Hermine. Sie riss den Detektor von Rons Gesicht und untersuchte das Diadem selbst.
»Es sieht genauso aus wie Tantchen Muriels.«, sagte Ron mit einer Grimasse. »Seht ihr, dass diese Muster aussehen wie Spinnen?«
Harry versuchte, es mit seinem Ärmel zu polieren, um nach dem Blitzmal zu suchen. Es erwies sich jedoch als zwecklos, es war zu angeschlagen und würde eine gründliche Reinigung brauchen.
»Also... wenn wir es ohne Probleme halten können ... wie meint ihr, sollen wir es zerstören?«, fragte Ron.
»Ich frage mich – .«, begann Hermine, während sie mit den Fingern auf den Tisch trommelte.
»Was?«, fragten die anderen im Chor.
»Naja, es ist als Kopfdekoration gedachtn ... vielleicht muss es auf den Kopf gesetzt werden.«, sagte sie.
Harry zuckte die Achseln und hob das Diadem zu seinem Kopf. Diesmal hielt Ron ihn auf.
»Nein, Harry. Du musst derjenige sein, der mit Voldemort kämpft – alles hängt davon ab. Du kannst keine Verletzung riskieren. Ich werde es tun.«, sagte er grimmig. »Fred und George haben mich immer dazu gebracht, Tantchen Muriels zu tragen.«
»Ron.«, sagte Hermine und packte ihn am Arm.
Harry fühlte Panik in sich aufsteigen. Er wollte nicht, dass Ron es tat, doch er wusste keinen anderen Ausweg. Er sah seinem Freund in die Augen und nickte.
Mit bebenden Händen hob Ron das Diadem und setzte es auf seinen Kopf. Obwohl sie alle den Atem anhielten, geschah nichts.
»Ich war überzeugt, dass es funktionieren würde.«, sagte Ron zittrig.
Hermine grinste und lehnte sich gegen ihn. »Du siehst erschreckend süß aus mit dem Ding auf dem Kopf.«, sagte sie. »Hast du noch andere Stücke, die ich mir vielleicht ausborgen will?«
Mit finsterem Blick riss Ron sich das Diadem vom Kopf, während Harry und Ginny glucksten.
»Was jetzt?«, fragte Harry und starrte das Diadem in Rons Händen an.
Hermine nahm es Ron ab und blickte einige Augenblicke lang schweigend darauf herab. »Ich vermute...«, sagte sie langsam.
»Was?«,. wollte Harry wissen.
»Vielleicht muss es von einer Frau getragen werden.«, erwiderte sie.
»Was?«, fragte Ron scharf. »Warum glaubst du das?«
»Na ja ... es hat schließlich Rowena Ravenclaw gehört und trotz deines blendenden Aussehens werden Diademe normalerweise von Frauen getragen. Ich denke, Voldemort ist sadistisch genug, denjenigen, der den Horkrux findet, zu zwingen, seine Gefährtin zu opfern.«, sagte Hermine stirnrunzelnd.
Ron und Harry starrten sie beide mit offenem Mund an.
»Na habt ihr eine andere Idee?«, keifte sie. »Ich setz es einfach auf und wir werden sehen, was passiert.«, sagte sie und schluckte schwer.
»Nein, Hermine.«, schaltete Ginny sich ein. Sie hielt Hermines Arm fest. »Wenn etwas schief geht, bist du besser darin, herauszufinden, wie man es wieder gutmacht. Wir brauchen dich dafür. Das weißt du. Meine Magie hat vorher nicht gezählt, vielleicht wird sie auch jetzt nichts auslösen – oder zumindest nicht so stark wie beabsichtigt.«
»Nein.«, entgegnete Harry kopfschüttelnd. Das lief gerade aus dem Ruder.
Ginny funkelte ihn an. »Ihr habt es beide versucht und es hat nicht funktioniert. Hast du irgendwelche anderen Vorschläge?«
Harry öffnete den Mund und wünschte, es würde ihn eine Inspiration treffen, doch irgendwie wusste er, dass sie das Diadem nicht aus diesem Raum entfernen können würden.
»Entweder ich oder Hermine und ich denke, sie ist das größere Risiko.«, sagte Ginny fest. Sie streckte ihr Kinn hervor, doch Harry konnte sie leicht beben sehen. Trotz ihrer gespielten Tapferkeit fürchtete Ginny sich genauso wie jeder andere von ihnen.
Tief Luft holend und Harry ein zittriges Grinsen zuspielend, setzte sie das Diadem auf ihren Kopf. Für einen Augenblick passierte nichts und Harry dachte schon, sie wären wieder am Nullpunkt angelangt. Doch dann begann es zu schimmern, wurde heller und heller, bis der Schein so blendend war, dass er seine Augen abschirmen musste.
Er keuchte auf, als seine Brust sich zusammenzog, als würde er zusammengedrückt. Er hatte den unfehlbaren Eindruck, zu reisen, obwohl es sich nicht wie ein Portschlüssel oder Apparieren anfühlte. Er versuchte, seine Arme zur Balance auszubreiten, stellte jedoch fest, dass er vollkommen unbeweglich war.
Der Raum um sie herum bewegte sich und er fühlte sich an, als wirbelte er außer Kontrolle. Gerade als er glaubte, es nicht mehr aushalten zu können, hörte es auf. In seinem Kopf drehte es sich immer noch, aber sein Sichtfeld klärte sich und überwältigende Kälte überkam ihn.
Harry blinzelte mehrmals und bemerkte, dass sie zu einer Art Eispalast gebracht worden waren. Die Kathedralenfenster mit den schweren Vorhängen, die auch im Raum der Wünsche gewesen waren, befanden sich noch am Platz, doch die Wände und Möbel bestanden komplett aus Eis. Das dichte Gesträuch, das er außerhalb des Eises erkennen konnte, erweckte den Eindruck, dass sie irgendwo im Verbotenen Wald waren, doch er hatte noch nie so etwas gesehen.
Gänsehaut rieselte über seine Haut, während seine Augen wild Ginny und die anderen suchten. Ron und Hermine standen mit dem gleichen fassungslosen Gesichtsausdruck da, der mit Sicherheit auch sein eigenes Gesicht zierte, doch Ginny blieb vollkommen still, den Mund in einem stillen Schrei geöffnet.
»Ginny.«, rief Harry mit heiserer Stimme.
Sie antwortete nicht, doch das Diadem, das sie noch immer trug, schimmerte wieder auf, bevor es sich in eine zischende Schlange verwandelte, die sich um ihren Kopf schlängelte. Sie war schwarz mit einem obszön großen Kopf und toten Augen.
Harry erstarrte, während Ron aufbrüllte und einen Schritt auf sie zu machte.
»Beweg dich nicht.«, zischte Hermine und packte Ron am Arm.
Die Schlange hob den Kopf und schwang ihn von einer Seite auf die andere, als wäre sie angriffsbereit.
Ginnys Augen drehten sich in ihren Kopf und sie fiel zu Boden. Ihr Körper war steif und bebte heftig.
Panik überkam Harry. Er rannte auf sie zu und seine Sucher-Reflexe ließen seine Hand hervorschnellen und die Schlange am Hals packen, bevor sie zubeißen konnte. So sehr er es jedoch versuchte, er konnte sie nicht von Ginnys Kopf entfernen. Er schlang beide Hände um die glatte, weiche Haut, doch die Schlange rührte sich nicht, sondern wand sich noch enger um Ginnys Kopf, die aufstöhnte. Harry konnte kleine Blutrinnsale unter der Schlange hervortropfen sehen.
Schließlich erschlaffte Ginny und ihr Kopf rollte leblos auf die Seite. Ron nahm ihre Hand und versuchte sie zu wecken, doch sie blieb bewusstlos.
»Wo zur Hölle sind wir?«, fragte Ron panisch. »Wir müssen sie hier rausbringen.«
»Ich weiß. Ich glaube, wir sind im Verbotenen Wald, aber ich kann diese Schlange nicht dazu bringen, sie loszulassen. Ich traue mich nicht, einen Fluch anzuwenden, falls ich sie treffe.«, sagte Harry. Seine Zähne klapperten vor Kälte.
»Du kannst sie sowieso nicht verhexen.«, sagte Hermine. »Diese ... Schlange ist immer noch der Horkrux, wie auch immer sie verzaubert ist. Wir wissen nicht, was du Ginny antun könntest, wenn du einen Fluch versuchst.«
»Was machen wir dann?«, fragte Harry. Er zog wieder an der Schlange.
»Harry, du musst dich beruhigen. Es bringt ihr nichts, wenn wir in Panik ausbrechen.«, beschwichtigte Hermine. Ihre Stimme klang selbst ziemlich hysterisch.
Bevor Harry auch nur Luft holen konnte, wurde Ron mehrere Meter in die Luft und durch den Raum geschleudert. Er krachte auf den eisigen Boden und schlitterte in einen Eistisch.
Hermine kreischte und Ron hatte kaum Zeit, seine Hände und Knie zu heben, bevor der unsichtbare Angreifer ihn wieder durch die Luft wirbelte. Er landete mit einem Knall und zerbrach einen Eissockel, auf dem eine Art Skulptur stand. Rons Kopf begann zu bluten und er blinzelte benommen.
»Ron.«, rief Hermine und ihr Atem war sichtbar in der Luft. Sie rannte zu ihm, legte seinen Kopf in ihren Schoß und wischte das Blut weg, während ihr Körper sichtlich zu zittern begann.
»Hermine, beweg dich nicht.«, sagte Harry, doch es war bereits zu spät.
Er blickte sich wild um, wusste jedoch, dass er in der Zwickmühle saß. Wenn er die Schlange losließ, würde sie entweder ihn oder Ginny angreifen. Wenn er es nicht tat, waren sie beide leichtes Ziel für was auch immer mit ihnen in diesem Palast war.
Hermines Schrei ließ ihn gerade rechtzeitig aufblicken, um zu sehen, wie eine hässliche Wunde auf ihrer Wange erschien. Sie zischte vor Schmerz und zog Ron unter eine erhobene Plattform.
Im nächsten Augenblick spürte Harry quälenden Schmerz in beiden Beinen, als irgendetwas sie stach und ihn in die Luft riss. Er war gezwungen, die Schlange loszulassen, doch glücklicherweise zog das, was ihn so schnell bewegte, ihn rechtzeitig außer Reichweite der Schlangenfänge, die vor seinem Gesicht zusammenschnappten.
Harry brüllte, als das Ding ihn auf den Boden fallen ließ. Wie konnte er gegen etwas kämpfen, das er nicht sehen konnte? Er wurde von einem mächtigen Schlag in der Brust getroffen und gleich darauf in die andere Richtung geworfen. Was immer es war, es hatte mehrere Arme.
Seine schmerzenden Rippen ignorierend, hob Harry seinen Zauberstab und zielte in die Richtung, aus der die Angriffe stammten.
»Sectumsempra.«, rief er. Er hoffte, es zumindest sehen zu können, wenn er es zum Bluten bringen konnte.
Eissplitter flogen um ihn herum, als einige andere Sockel zerbrochen wurden. Harry wurde wieder getroffen und schlitterte über den Boden, bis sein Körper schmerzhaft mit der Plattform in Berührung kam, die Ron und Hermine Deckung bot.
Er stöhnte. Seine Rippen schmerzten zu sehr, als dass er sie ignorieren konnte.
»Diffindo.«, knurrte er und rollte sich auf die Seite. Nichts geschah und noch immer hatte er keine Ahnung, wo die Kreatur war.
»Stupor.«, rief Hermine hinter ihm.
Ein hohes Quietschen erfüllte die Kammer, worauf Harry das Gesicht verzog und Hermine ihre Hände über die Ohren schlug. Die Plattform, die Ron und Hermine abschirmte, zersplitterte in tausend Teile. Schreiend schützte Hermine Ron mit ihrem Körper.
»Lass sie in Ruhe.«, rief Harry und feuerte einen weiteren Schneidefluch in die Richtung, in der er die Kreatur vermutete.
Scharfe Scheren klammerten sich um seinen Oberschenkel, worauf er heftig fluchte. Er wurde über den Boden gezogen, während der Druck auf sein Bein sich erhöhte. Er konnte die verschmierte Blutspur auf dem Eis sehen, auf dem er entlang geschleift wurde.
In dem Versuch, sein Bein frei zu reißen, streckte er die Hand aus und griff an die Schere. Er schauderte, als er etwas Hartes und Dünnes und leicht Haariges zu fassen bekam. Die Kreatur schleuderte ihn in die Luft und warf ihn wieder. Er landete benommen unter einem der hohen, gebogenen Fenster. Harry zog sich an den schweren burgunderfarbenen Vorhang hoch, während sein Beim unter ihm protestierte. Sein Gewicht war zu viel für den Vorhang, der von seinem Gerüst herabfiel und um ihn herum landete.
Ihn mit sich ziehend, kroch Harry zurück in die Mitte des Raumes.
»Komm.«, sagte er keuchend. »Komm und hol mich, du verfluchter Wichser.«
»Harry! Was machst du da?«, rief Hermine.
»Schhh.«, zischte er und bedeutete ihr, still zu sein. »Komm schon. Ich bin gleich hier.«
Harry fühlte etwas seinen Arm streifen, bevor sich die grausamen Scheren in seine Schulter bohrten. Er keuchte vor Schmerz, knüllte aber den schweren Vorhang zusammen und warf ihn hoch in die Luft. Er flatterte herunter und landete auf der Kreatur, worauf der unfehlbare Umriss einer sehr großen Spinne erschien.
Ron, noch immer im Delirium, brach völlig in Panik aus. Er trat um sich, während er versuchte zu stehen, doch er glitt immer wieder auf dem Eis aus.
»Spinne. Das ist eine Spinne.«, wiederholte er verzweifelt. »Wir müssen Ginny holen. Sie hier rausbringen. Spinne.«
Hermine versuchte, ihn zu beruhigen, während Harry seine Aufmerksamkeit auf die Spinne richtete.
»Incarcerous.«, bellte Harry.
Das burgunderfarbene Material schlang sich um die ringende Spinne, so dass sie festsaß. Er sah zu, wie der Kampf der Kreatur endlich mit seiner Erschöpfung langsamer wurde.
Grunzend vor Schmerz schleppte Harry seinen missbrauchten Körper über den Boden und kroch zurück zu Ginny, die noch immer regungslos dalag. Frost hatte sich in ihrem Haar festgesetzt und sie zitterte vor Kälte.
Selbst mit klappernden Zähnen schälte Harry sich seine zerrissene und blutige Robe von den Schultern und wickelte sie um sie, so gut er konnte, wobei er Acht gab, dass er außerhalb der Reichweite der Schlange blieb.
Sie beobachtete ihn mit kalten, emotionslosen Augen, zischend und die Luft mit ihrer gespaltenen Zunge schmeckend, obwohl sie keinerlei Anstalten zum Angriff machte. Harry beschwor einen Stock herauf und versuchte wieder, sie von Ginnys Kopf zu lösen, doch die Schlange ließ nicht los.
Harrys Körper schmerzte und sein verletztes Bein pochte, aber die schlimmsten Qualen kamen aus seiner Brust. Wie sollte er die Schlange von Ginny entfernen und was tat sie ihr in der Zwischenzeit an? Er hätte nie zulassen dürfen, dass Ginny ihm half. Er hatte gewusst, dass das passieren würde. Er hatte es gewusst.
Ron und Hermine kamen zu ihm. Ron stützte sich schwer auf Hermine, sein Gesichtausdruck war noch immer benommen und verwirrt.
»Was sollen wir tun?«, fragte Harry und schaute Hermine hoffnungsvoll an. Er fühlte sich wie ein kleines Kind.
Hermines besorgter Blick schweifte über ihre drei Gefährten, alle mitgenommen und in elender Verfassung.
»Als erstes müssen wir diese Schlange von ihrem Kopf kriegen.«, sagte sie. Sie richtete ihren Zauberstab auf Rons Schläfe. »Episky.«
Das Bluten versiegte und die Wunde schloss sich bemerkenswert fest. Ron stöhnte auf und hob seine Hand an den Kopf. »Was hast du gemacht?«, wollte er wissen.
»Nur einen Heilzauber. Ich bin ziemlich gut darin geworden.«, sagte sie leise. Sie wandte sich Harrys Schulter zu, doch er riss sich los.
»Ginny zuerst.«, sagte er.
»Harry, ich denke nicht – .«
»Ginny zuerst.«, beharrte er. Ein hysterisches Gefühl stieg in ihm auf. »Was ist das?«
Er deutete auf die dünnen roten Ströme, die an Ginnys Schläfe erschienen und ihr Gesicht entlangliefen. Einer der Ströme hatte beinahe ihren Hals erreicht.
Hermine keuchte auf und schaute Harry mit weiten, panischen Augen an. »Oh, nein. Ich glaube, die Schlange vergiftet sie.«