Kapitel 28: Tödliche Gefahr
Plötzlich schlug Ginny schaudernd ihr Buch zu. Aus
dem Fenster des Gemeinschaftsraumes in den dämmrigen Himmel
starrend, rieb sie sich fröstelnd die Arme. Sie hatte sich eifrig
dem Lernen gewidmet, als ein Gefühl des Unbehagens sie befallen
hatte. Etwas stimmte nicht.
Kopfschüttelnd und sich für ihre Paranoia scheltend, holte sie tief
Luft und versuchte, ihren Herzschlag zu beruhigen. Sie öffnete ihr
Buch wieder und bemühte sich, den Abschnitt über Menschliche
Verwandlung zu lesen, der ihr den ganzen Abend lang Schwierigkeiten
bereitet hatte. Ihre Nerven waren von dem ganzen Wiederholen
strapaziert – ganz zu schweigen von all den anderen Geschehnissen –
und sie war sicher, dass sie überreagierte.
Zusätzlich zu der riesigen Menge an Schulaufgaben, die sie nach
ihrer langen Krankheit nachzuholen hatte, hatte sie Angst um Harry
und seinen bevorstehenden Kampf. Sie nahm ihre Kette in die Hand
und rieb den Stein, während sie ihren Blick zurück auf das Buch
zwang. Nachdem sie denselben Abschnitt dreimal gelesen hatte, ohne
etwas aufgenommen zu haben, gab sie es als vergeblich auf.
Alptraumhafte Bilder von Harrys Kampf suchten ihre Gedanken
heim.
Sie wussten alle, dass der letzte Kampf sich wie eine dicke Masse
von drohenden Wolken näherte, die sich am Horizont aufbrauten. Die
Stimmung fühlte sich an wie vor einem Sturm – alles war still und
gedrückt und alle Lebewesen hatten sich in die Deckung geflüchtet.
Ginny wusste, dass es Harrys Gedanken mehr einnahm, als er
zugegeben hätte, und sie konnte sehen, wie die Gedanken hinter
seinen Augen rasten, während er den besten Weg zu finden versuchte,
den Rest von ihnen in Sicherheit zu behalten.
Dummer, edelmütiger, wundervoller Trottel.
Sie hatte es niemals für möglich gehalten, jemanden so sehr zu
lieben, wie sie ihn liebte. Sie wünschte lediglich, dass er nur
halb so viel Mühe darin aufwenden würde, sich selbst zu retten, wie
er alle anderen zu retten versuchte. Sie fuhr sich mit den Fingern
über die Lippen und rief sich die leidenschaftlichen Küsse in
Erinnerungen, die sie am Abend zuvor geteilt hatten ... beinahe
jeden Abend dieser Woche, um ehrlich zu sein.
Ginny runzelte die Stirn und setzte sich gerade auf, das Herz in
der Brust hämmernd. Ihre Gedanken rasten, während sie die
Geschehnisse der letzten paar Tage rekapitulierte. Warum hatte sie
nicht eher daran gedacht? Es sah ihm so ähnlich, all seine
zusätzliche Zeit – all diese gestohlenen Augenblicke – mit ihr zu
verbringen, bevor er sie verließ, um seine Pflicht zu erfüllen.
Wenn er sie nur nicht zurücklassen würde, um Voldemort allein zu
bekämpfen ... er hatte versprochen, nichts Unüberlegtes zu tun. Er
hatte es versprochen!
Sie schob ihren Stuhl zurück und ließ die Bücher auf dem Tisch
verstreut zurück, während sie zum Fenster rannte. Nachdem sie sich
für diesem Abend von Harry entschuldigt hatte, hatte er
angekündigt, zu Hagrid zu gehen. Tatsächlich hatte er zuerst diesen
Gesichtsausdruck eines enttäuschten kleinen Jungens aufgesetzt, der
ihre Meinung beinahe änderte. Möge Merlin ihr beistehen, wenn sie
jemals das ganze Ausmaß seines Charmes erfassen sollte. Am Ende war
sie jedoch standhaft geblieben und hatte ihm gesagt, dass sie
Schulaufgaben machen musste.
Warum ihre Mum darauf bestand, dass Ginny sich auf die Prüfungen am
Schuljahresende vorbereiten sollte, ging über ihren Verstand.
Üblicherweise veranstaltete das Ministerium die Prüfungen für alle
Schüler, die zu Hause unterrichtet wurden, doch es war nicht so,
als funktionierte das Ministerium noch normal heutzutage.
Versuch aber mal, das ihrer Mum beizubringen. In Wirklichkeit hatte
Ginny tiefere Motive dafür, den Schulstoff ihres sechsten Jahres zu
vervollständigen. Wenn sie ihn erfolgreich bewältigte, würde sie in
derselben Position wie das Trio sein und vielleicht konnten sie
alle zusammen zu ihrem letzten Jahr zurückkehren – nachdem
Voldemort beseitigt war. Ginny klammerte sich an diesen Traum wie
an einen Talisman. Die Alternative war zu herzzerreißend, um sie
auch nur in Erwägung zu ziehen.
Sie schüttelte den Kopf, um die dunklen Gedanken zu verscheuchen,
die sie zu überwältigen drohten, und lugte aus dem Fenster. Sie
konnte ein fahles Licht in Hagrids Hütte brennen sehen. Vielleicht
unterhielt Harry sich noch mit seinem Freund ... oder vielleicht
verabschiedete er sich insgeheim. Ginny gab alle Hoffnung auf, mit
dem Lernen fortzufahren, und entschied, Ron und Hermine suchen zu
gehen und sie mit zu Hagrid zu schleppen. Vielleicht konnten sie
alle zusammen versuchen, Harry zu überzeugen, dass sie Voldemort
gemeinsam gegenübertreten mussten – dass er es nicht allein
durchziehen konnte.
Sie verließ den leeren Gemeinschaftsraum und eilte die Vordertreppe
hinunter. Im dritten Stock durchstreifte sie die verlassenen
Korridore, bis sie einen Besenschrank hinter einer Ritterrüstung
erreichte.
Leicht keuchend schlang sie ihren Arm um ihren Bauch, während sie
nach Luft schnappte. Sie hatte keine Zeit für die Schwächen ihres
Körpers. Die Tür aufreißend und die Augen fest zusammengekniffen,
streckte sie ihren Kopf hinein und zischte: »Kommt raus, ihr
beiden. Ich brauche eure Hilfe.«
»Ginny!«, brüllte Ron. Seine Stimme hallte im Korridor wider.
Ginny zog ihren Kopf aus dem Schrank, schloss die Tür und
verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich habe meine Augen zugemacht und mir ist es wirklich egal, ob
ihr eure Schlüpfer anhabt oder nicht.«, sagte sie verstimmt. »Wir
müssen mit Harry sprechen.«
Wenn nicht Sorgen um Harry an ihren Eingeweiden genagt hätten,
hätte Ginny die Situation komisch gefunden. Sie ignorierte den
kurzen Stich von Schuldgefühlen, sie unterbrochen zu haben. Ron
hätte mit Sicherheit nicht gezögert, sie und Harry aus diesem
Schrank zu zerren, wenn sie darin beschäftigt gewesen wären.
Er hätte Harry wahrscheinlich gleich den Kopf abgerissen.
Im Schrank rumste und knallte es einige Augenblicke lang, bevor die
Tür aufschwang und Ron herausstieg, das Hemd aus der Hose hängend
und die Ohren leuchtend rot. Hermine folgte ihm und versteckte sich
hinter ihrem Freund, während sie ihren Umhang fest umklammerte. Sie
wich Ginnys Blick aus.
»Was willst du, Ginny?«, verlangte Ron. Er baute sich drohend vor
ihr auf.
Keineswegs eingeschüchtert knuffte Ginny ihn hart in die Brust.
»Jetzt spiel dich nicht so auf. Es ist wichtig.«
»Und es konnte nicht warten?«, fragte Ron mit finsterem Blick.
»Ich glaube, Harry plant, Voldemort allein gegenüberzutreten.«,
sagte Ginny und sah Ron vor ihren Augen zusammensinken.
»Was?«, fragte er verständnislos.
»Was hat er gesagt, Ginny?«, erkundigte Hermine sich, die endlich
hinter Ron hervorkam. Besorgnis hatte ihre Verlegenheit
verdrängt.
Ginny bedeutete ihnen ungeduldig, ihr zu folgen, während sie ihnen
erklärte: »Es ist mehr die Art, wie er sich die ganze Woche über
verhalten hat. Es ist mir plötzlich in den Sinn gekommen, dass er
versucht hat, sich zu verabschieden.«, sagte sie, während sich ein
schmerzhafter Knoten in ihrer Kehle bildete. Sie würde sich nicht
wie ein kleines Mädchen benehmen und weinen. Sie war nämlich keines
mehr! Sie musste sich zusammenreißen.
»Er wird alles ruinieren, wenn er ohne uns loszieht.«, sagte
Hermine und beschleunigte ihre Schritte. Rons längere Beine hatten
ihm schon einen kleinen Vorsprung vor den Mädchen verschafft.
»Tja, da er keine Idee hat, was wir planen, ist er ein Risiko,
nicht wahr?«, fragte Ron. »Seit wann hat Harry je getan, was er tun
soll?«
»Er ist zu Hagrid gegangen – wir könnten ihn immer noch abfangen.«,
sagte Ginny. Sie nahm Hermine am Ellenbogen und hielt sie an.
Hermine wandte sich ungeduldig zu Ginny um und blickte sie fragend
an.
»Deine Bluse ist verkehrt herum.«, raunte Ginny ihr mit einem
Feixen zu, bevor sie hinter Ron her eilte. Sie hörte Hermine
aufkeuchen, bevor ein Luftzug sie wissen ließ, dass Hermine einen
Zauber ausgeführt hatte, um ihre Kleidung in Ordnung zu
bringen.
Sie schlüpften ins Freie und eilten den zertrampelten Pfad zu
Hagrids Hütte hinunter. Ron hämmerte gegen die Tür, die
überraschend schnell von einem mürrisch aussehenden Hagrid
aufgerissen wurde.
»Oh. Ihr seid's.«, sagte er. Er wandte sich um und zog sich wieder
zurück.
Ron, Ginny und Hermine folgten ihm. Er setzte sich an seinen
massiven Holztisch vor eine Schüssel von schwarzen Viechern, die er
gerade zerstampfte. Der Geruch in der Hütte war unerträglich und
zwang die drei Teenager beinahe wieder hinaus.
»Verdammte Scheiße, Hagrid!«, brüllte Ron und verzog das Gesicht.
»Was ist das?«
»Hä? Ah, nichts. Nur was für'n Gemüsegarten. Hilft den 'Flanzen
schön und groß zu werden.«, erklärte Hagrid. »Was kannich für euch
tun?«
»Ist Harry hier?«, fragte Ginny und sah sich in der kleinen Hütte
um. Sie wirkte leer.
»Nein. Hab ihn vorhin mit Pansy am Wald reden seh'n. Hab gedacht,
er würde für'n Besuch vorbeischaun, aber das hat er nicht.«,
erwiderte Hagrid traurig. Ginny bemerkte zwei unbenutzte Teetassen
in der Spüle neben einem Teller mit Hagrids Steinkeksen.
»Pansy?«, wiederholte Ron. »Was wollte er von Pansy?«
»Keine Ahnung. Wie ich gesagt hab, er ist nie vorbeigekomm'.«,
erwiderte Hagrid. Er starrte sie alle verwirrt an.
»Wo könnte er nur sein?«, fragte Ginny alarmiert. Ihr Herz hatte
wieder mit dem schmerzhaften Pochen angefangen und ihre Handflächen
begannen zu schwitzen. Sie wusste einfach, dass etwas nicht
stimmte. Sie hielt den Aquamarin an ihrer Kette fest umklammert. Er
fühlte sich warm und tröstlich an.
»Was hat Pansy mit Harry und seinem Kampf gegen Voldemort zu tun?«,
wollte Ron wissen.
»Was?«, fragte Hagrid alarmiert.
»Ich denke nicht, dass die beiden unbedingt etwas miteinander zu
tun haben, Ron.«, sagte Hermine und biss sich auf die Lippe. »Lasst
uns ins Schloss zurückgehen und die Karte holen. Die wird uns
sagen, wo Harry und Pansy sind.«
»War Malfoy bei ihnen?«, fragte Ron. Sein Gesicht färbte sich rot.
»Wenn er Harry etwas angetan hat – .«
»Ron! Lass uns keine voreiligen Schlüsse ziehen. Komm schon.«,
sagte Hermine und zog an seinem Arm.
»Ich komm mit euch. Wenn Harry was passiert is', will ich helfen.«,
sagte Hagrid und folgte ihnen aus der Tür.
Als sie zum Schloss zurückrannten, fanden sie Aberforth Dumbledore
in der Eingangshalle.
»Da seid ihr ja.«, sagte er unwirsch. »Ich habe nach euch
gesucht.«
Er starrte Hermine an, als hätte sie sich absichtlich vor ihm
versteckt.
»Was kann ich für Sie tun, Mr. Dumbledore?«, fragte sie
höflich.
»Hier.«, sagte Aberforth und reichte Hermine das rumänische Buch,
das Harry zu übersetzen versucht hatte.
»Wo haben Sie das her?«, wollte Ginny misstrauisch wissen.
»Harry hat es ihm gegeben, als du krank warst. Ich habe vergessen,
dass es bei Ihnen ist.«, sagte Hermine und starrte Aberforth
an.
»Ich habe es Albus' Porträt gezeigt. Er kann rumänisch lesen, wisst
ihr.«, sagte Aberforth. »Ein Abschnitt hat ihn wirklich
interessiert. Er will euch sehen.«
»Natürlich!«, rief Hermine. »Warum habe ich nicht daran gedacht?
Dumbledore kann viele Sprachen – sogar Meerisch.«
»Hermine – die Karte.«, erinnerte Ron sie ungeduldig. Er stand
bereits auf der Treppe.
»Du und Ginny, ihr holt die Karte. Ich gehe nachsehen, was
Professor Dumbledores Porträt zu sagen hat.«, wies Hermine atemlos
an. »Wir treffen uns vor Professor McGonagalls Büro.«
»Was is mit mir?«, fragte Hagrid. »Was kann ich tun?«
»Kannst du dort nachschauen, wo du Harry und Pansy gesehen hast,
Hagrid? Nachschauen, ob es dort Hinweise auf einen Kampf gibt.«,
schlug Hermine vor.
Es von Hermine laut ausgesprochen zu hören – zu wissen, dass Harry
in echten Schwierigkeiten stecken könnte – ließ Ginny an Ron vorbei
die Treppe hinaufrasen. Sie würde die Karte holen und seinen Namen
irgendwo finden. Es musste eine vernünftige Erklärung geben,
weshalb er Hagrid nicht besucht hatte und was er mit Pansy im Wald
getrieben hatte. Es musste einfach.
Als der Portschlüssel ihn losließ, fiel Harry auf einen kalten
Steinboden. Er vergeudete keine Zeit, um sich zu orientieren,
sondern sprang auf die Füße, ließ Pansys Zauberstab fallen und zog
seinen eigenen. In der Hoffnung, den Portschlüssel umzukehren,
langte er wieder hastig nach Pansys Zauberstab, doch nichts
geschah. Er bemerkte, dass er in einer kleinen, steinernen Höhle
mit einem modrigen Geruch stand, der ihn glauben ließ, dass er sich
unter der Erde befand.
Dann brach die Hölle los.
Ein halbes Dutzend Todesser umkreisten ihn und feuerten
gleichzeitig Flüche los. Hastig erschuf Harry einen Schild, um die
ersten Angriffe abzuwehren, und drei der Todesser wurden von seinen
Lähmflüchen umgeworfen, bevor mehr von ihnen den Raum betraten.
Harrys Schild begann, unter dem schweren Geschütz schwächer zu
werden, und mehrere Flüche brachen hindurch. Er spürte, wie ein
Schlitzfluch tief in seinen Oberarm einschnitt, so dass es bis in
seine Finger brannte. Bevor er eine Chance hatte, einen weiteren
Schild hochzuziehen, wurden seine Beine von einem Knüppelfluch
getroffen, worauf er zu Boden fiel.
Mit knirschenden Zähnen schaffte er es, seinen Zauberstab in der
Hand zu behalten, doch einer der Todesser schoss einen
Ganzkörperklammerfluch ab, der ihn lähmte. Er lag auf dem Boden,
zerschrammt und verwundet, und starrte die bedrohlichen Gesichter
an, die ihn umzingelten. Einige von ihnen waren unmaskiert. Ihre
harten Gesichter zeigten eine Mischung aus Erwartung und Aufregung,
dass sie ihn gefangen hatten. Andere funkelten ihn lediglich an und
grinsten höhnisch, als hätten sie endlich die Gelegenheit bekommen,
einen alten Groll loszuwerden.
Harry schluckte schwer. Er sah keinen Ausweg aus dieser Situation.
Er musste seine Angst in den Griff bekommen und seinen Kopf
behalten. Auf dem Boden, nutzlos und unbeachtet, lagen die
Überreste von Pansys Zauberstab. Er hatte sich in eine
Gummiattrappe von Weasleys Zauberhaften Zauberscherzen
verwandelt.
Verdammt! Pansy hatte ihn gründlich hinters Licht geführt.
»Wie nett von dir, dich zu uns zu gesellen, Potter.«, murmelte eine
schleimige, ölige Stimme aus der Ecke des Raumes.
Die Haare an Harrys Nacken sträubten sich. Er konnte nur seine
Augen bewegen, doch er sah deutlich Snape über einem Kessel stehen,
wo er den Kesselinhalt mit äußerster Sorgfalt umrührte.
»Wir haben dich erwartet...«, sagte er.
Harrys Augen weiteten sich vor Überraschung. Ihn erwartet? Aber er
war Pansy doch nur zufällig begegnet ... oder etwa nicht? Harrys
Gehirn ratterte, während er versuchte, die Geschehnisse des Abends
zu ordnen.
In der Finsternis des Raumes kniff er die Augen zusammen und sah
sich wieder um. Unter einer Stange am Ausgang lag Errol, die
Familieneule der Weasleys. Harry wusste nicht, ob er tot war, da
Errol nach einer langen Reise regelmäßig in Ohnmacht fiel.
»Das ist die unzuverlässigste Kreatur, die ich jemals kennengelernt
habe.«, sagte Snape, der Harrys Blick auf die Eule bemerkt hatte.
»Sie kippt nach jeder noch so einfachen Zustellung immer um. Was
kann man auch schon von diesen niederen Weasleys erwarten, denen du
so zugeneigt scheinst?«
Harry wollte Snape anspucken, doch versteinert wie er war, konnte
er ihn nur anstarren. Seine Augen blitzten vor unterdrückter Wut,
während er verzweifelt versuchte, den Zauber zu lösen. Also war
Errols regelmäßige Abwesenheit nicht nur das Ergebnis seines
Alters. Pansy musste ihn eingesetzt haben, seit sie alle im
Grimmauldplatz gewohnt hatten.
Snape glitt durch den Raum, beugte sich vor und zog Harry den
Zauberstab aus der schlaffen Hand. Er steckte ihn in die Tasche
seines Umhangs und tätschelte ihn herablassend.
»Den wirst du nicht brauchen.«, sagte er. Er richtete seinen
Zauberstab auf Harry, worauf dieser innerlich zusammenzuckte.
»Finite Incantatem.«
Harry spürte, wie der Zauber aufgehoben wurde, und setzte sich
rasch auf, um von Snape weg zur Wand zu krabbeln. Er hielt erst an,
als sein Rücken gegen den Stein stieß.
»Es gibt keine Flucht für dich, Potter.«, höhnte Snape. Er kehrte
zu seinem Kessel zurück, unbekümmert. »Alecto, informiere unseren
Lord, dass sein Gast eingetroffen ist.«
Der Blonde lächelte Harry höhnisch an, bevor er den Raum verließ.
Ein anderer Todesser packte Harry am Kragen und zerrte ihn grob auf
die Füße. Als Harry sich losreißen wollte, schlug der Mann ihm mit
seiner fleischigen Faust ins Gesicht, so dass Harrys Kopf gegen die
Wand krachte und ihn Sterne sehen ließ.
»Du wirst feststellen, dass dein Ruf und unverdienter Ruhm hier
nichts bedeutet. Ich würde dir raten, deinen Mund zu halten und zu
tun, was man dir sagt. Es gibt nichts, was diese feinen Hexen und
Zauberer lieber tun würden, als dir eine Lektion in Sachen Manieren
zu erteilen.«, sagte Snape. Er streichelte seinen Zauberstab,
während er seinen Trank umrührte.
Harry versuchte, die schwarzen Punkte aus seinem Sichtfeld zu
blinzeln, und ließ sich nicht von Snape provozieren. Er konnte Blut
aus einem Schnitt an seiner Lippe heruntertropfen spüren und
konzentrierte sich darauf, das Pochen aus seinem Kopf zu drängen.
Seine linke Hand brannte immer noch und es fiel ihm schwer, die
Faust zu ballen. Sein linkes Bein fühlte sich gequetscht an, doch
sie hielten sein Gewicht. Er war nicht in der besten Verfassung,
Voldemort gegenüberzutreten, aber es könnte schlimmer sein.
Zumindest versuchte er, sich selbst davon zu überzeugen.
»Was ist los? Nichts zu sagen, Potter? Kein frecher Kommentar oder
sarkastische Worte, um dein Ego aufzubessern?«, fragte Snape
höhnisch.
Harry lächelte humorlos. »Das hebe ich mir für die große Show auf.
Ich sehe keinen Grund, es auf den Aufwärmteil zu verschwenden.«
Snape errötete und Harry wurde wieder von einem der Todesser
geschlagen, so dass seine Brille davonflog.
»Ich habe dich gewarnt, deine Zunge zu hüten.«, sagte Snape.
»Fernando, zeig ihm, wie Unverschämtheit hier geahndet wird.«
Ein maskierter Todesser wandte sich zu Harry, hob seinen Zauberstab
und zischte: »Crucio.«
Harry wurde mitten in der Brust getroffen. Feuriger Schmerz
breitete sich in alle seine Nervenenden aus. Er fiel zu Boden, wand
sich und versuchte, einen Schrei zurückzuhalten. Er biss sich auf
seine bereits zerrissene Lippe, worauf der salzige Geschmack von
Blut seinen Mund erfüllte. Der Schmerz baute sich auf, überlud
seine Sinne und verwandelte all seine Knochen in flüssiges Feuer.
Der Schrei löste sich schließlich von seinen Lippen, als wäre er
aus seiner Kehle gerissen worden.
Als der Fluch endlich aufgehoben wurde – nach einer gefühlten
Ewigkeit – lag Harry auf dem Boden, keuchend und mit Blut in den
Mundwinkeln. Ausspuckend hievte er sich auf seine zittrigen Arme
und starrte Snape und den Todesser trotzig an, der ihn gerade so
schmerzhaft verhext hatte. Der Mann packte ihn an den Armen und
drehte sie auf seinen Rücken. Der Stein in dem Strickarmband, das
Ginny ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, bohrte sich schmerzhaft
in sein Handgelenk.
»Ich kann sehen, dass diese Lektion wenig zur Kontrolle deiner
Arroganz beigetragen hat.«, sagte Snape höhnisch. Seine Augenbrauen
hoben sich nachdenklich, während er den Kopf unmerklich zur Tür
drehte. »Vielleicht wird der Dunkle Lord sich als besserer Lehrer
erweisen. Er wird zumindest Vergnügen daran finden, deinen Elan zu
brechen.«
Bevor Harry antworten konnte, fielen die anderen Todesser auf die
Knie und beugten die Köpfe. Die Temperatur im Raum sank, als
Voldemort hereinrauschte, die roten Augen auf Harry gerichtet. Sein
missgestalteter weißer Kopf glühte und seine Augen blitzten
hungrig. Er glitt mehr, als dass er lief, und Harrys Narbe
explodierte vor Schmerz.
Seine Hände waren noch immer fest auf seinen Rücken verdreht, so
dass er seinen Kopf nicht umklammern konnte. Stattdessen warf er
ihn von einer Seite auf die andere, um den Schmerz abzuschütteln.
Harry tat sein Bestes, um seine Furcht nicht zu zeigen, doch sein
Herz pochte so heftig, dass er sicher war, die anderen müssten es
hören.
»Willkommen, Harry. Wie nett von dir, zu uns zu stoßen.«, sagte
Voldemort, während sein Blick leidenschaftslos über Harrys Wunden
schweifte. Langsam hob er einen Finger, um Harrys Brille in sein
Gesicht zurückzuschieben. Harry wich vor seiner Berührung
zurück.
»Ja, es ist mir eine echte Freude.«, stieß er hervor.
»Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich jetzt gerne gehen.«
Voldemort lächelte träge. »Ich denke nicht.«, sagte er und fixierte
ihn mit einem Blick, der sein Blut zum Gefrieren brachte. »Ist der
Trank fertig, Severus?«
»Beinahe, mein Lord.«, antwortete Snape und beugte den Kopf.
»Exzellent.«, zischte Voldemort und dann lächelte er tatsächlich.
Seine Haut war zu fest, um ihn richtig lächeln zu lassen, so dass
seine Zähne aus dem Mund hervortraten. Das Lächeln war so
scheußlich und unangebracht auf Voldemorts schlangengleichem
Gesicht, dass Harry durch den Kopf schoss: Wenn das Böse ein
Gesicht hätte, würde es genauso sein Antlitz sein.
Harry schaute Snape unbehaglich an und fragte sich zum ersten Mal,
was genau der Zaubertränkemeister da zusammenbraute.
»Du hast einige meiner wertvollsen Besitztümer zerstört.«, sagte
Voldemort und hob einen langen, sehnigen Finger zu dem offenen
Schnitt an Harrys Arm. Seine Fingernägel waren lang und
zurechtgeschnitten, und doch wirkten sie verfault und
verfallen.
»Das kann ich nicht ungestraft durchgehen lassen.«, fuhr er fort,
seine Stimme sanft und unheilvoll.
Harry schluckte und beobachtete wachsam, wie der Finger immer näher
an die offene Wunde rückte. Er stieß ein schmerzerfülltes Zischen
hervor und stöhnte leise, als die Fingerspitze leicht gegen den
Rand der Wunde strich.
»Ich dachte, sie wären die Besitztümer der Gründer von Hogwarts.«,
brachte Harry zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Voldemort hielt kurz inne, bevor er seinen Finger tief in den
Schnitt bohrte, so dass Harrys Blut auf seine Hand spritzte. Harry
schrie, warf den Kopf hin und her und versuchte vergeblich, sich
loszureißen. Voldemort hielt den Druck aufrecht, bis Harry schwarze
Punkte an seinem Sichtfeld sah.
»Du bist mir seit deiner Geburt nichts als ein Dorn im Auge
gewesen.«, zischte Voldemort in Harrys Ohr, sein Atem warm und viel
zu nah. »Du bist wie Salz in einer offenen Wunde. Weißt du, wie
sich das anfühlt, Harry?«
Harry schüttelte den Kopf, keuchend und unfähig, sich voll auf
Voldemorts Worte zu konzentrieren. Sein Magen begann zu rumoren und
er glaubte schon, sich übergeben zu müssen.
Endlich entfernte Voldemort seinen Finger aus Harrys Wunde und
wedelte seinen Zauberstab, worauf Harry ein Stechen in der Wunde
spürte. Bald brannte sein gesamter Arm vor Schmerz. Tränen strömten
in Harrys Augen, während er keuchend gegen den Schmerz
ankämpfte.
»Es ist ein grausames Brennen, nicht wahr? Es lenkt dich ab und
hält deine Aufmerksamkeit von allem anderen ab ... von allem
Wichtigeren vielleicht. Das ist, was deine Existenz für mich
geworden ist.«, sagte Voldemort, immer noch in Harrys Ohr
raunend.
Harry biss sich von innen in die Wange. Schweiß tropfte ihm in die
Augen. Sein Rücken war schweißgebadet und seine Beine begannen zu
zittern. Er musste seinen Zauberstab wiederbekommen und es nun
beenden.
»Du wirst deinen Zauberstab nicht brauchen.«, sagte Voldemort und
ließ seinen Finger an seinem Kinn entlangfahren, wobei er Harrys
Blut auf seinem eigenen Gesicht verschmierte. »Ich denke, es ist
Zeit, deine Einmischung zu beenden ... dauerhaft.«
»Worauf wartest du dann noch? Tu es, wenn du kannst.«, höhnte
Harry. »Bisher hattest du noch nicht viel Glück.«
Voldemorts flache Nüstern bebten und seine Augen glühten. Harry
hatte nichts mehr zu verlieren. Wenn er Voldemort genug reizen
konnte, so dass er die Kontrolle verlor und Harry jetzt tötete,
würde er zumindest sterblich werden. Vielleicht könnte dann jemand
anderes ihn umbringen. Harry waren die anderen Optionen
ausgegangen.
»Ach da bist du, Potter.«, erklang eine vertraute, näselnde Stimme
von der Tür her, die ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. »Ich wette,
jetzt tut es dir leid, mich unterschätzt zu haben.«
»Was machen Sie hier, Miss Parkinson?«, fragte Snape. Er trat einen
Schritt auf die Tür zu und stellte sich zwischen Pansy und
Voldemort.
Mit einem trägen Wedeln seines Zauberstab zog Voldemort Harry aus
dem Griff des Todessers und ließ ihn gegen die Wand krachen, wo er
ihn hängen ließ, über dem Boden schwebend, mit ausgebreiteten
Armen, als wäre er im Netz einer gewaltigen Spinne gefangen. Harry
konnte seinen Kopf bewegen, sonst nichts.
»Miss Parkinson, ich danke Ihnen, dass Sie sich zu uns gesellen.«,
sagte Voldemort glatt.
Pansy fuhr sichtlich zusammen und wich vor der missgestalteten
Kreatur zurück, die nun auf sie zuschritt. Ihre dunklen Augen waren
weit aufgerissen, panisch, und Harry war sicher, dass sie Voldemort
nie zuvor leibhaftig gesehen hatte.
»Ich ... ich habe getan, was Ihr verlangt habt. Ich h-hab Potter
hergebracht, genau wie geplant.«, sagte Pansy und schaute
verzweifelt zu Snape. »Ich habe alles getan, das Sie mir gesagt
haben.«
»Sie haben den falschen Zauberstab als Portschlüssel benutzt. Ich
habe ihn hier gesehen, als Potter eingetroffen ist.«, sagte Snape
und deutete lässig auf ihn. »Sie haben es gut gemacht, Miss
Parkinson. Aber warum sind Sie ihm hergefolgt? Das war nicht Teil
des Planes.«
»Nachdem der Portschlüssel Potter mitgenommen hatte, war ich immer
noch im Wald, und ich musste den ganzen Weg zum Tor laufen.«, sagte
Pansy schmollend. »Ich wollte sehen, was mit Potter geschehen
ist.«
Voldemort warf seinen Kopf in den Nacken und lachte. »Sie hat das
Herz eines wahren Reinblüters.«, sagte er und umkreiste sie.
Harrys Herz hämmerte in seiner Brust, während er verzweifelt nach
einem Weg suchte, den Zauber zu brechen, der ihn festhielt. Sein
Rücken schrammte über den Stein, als er darum kämpfte,
freizukommen.
»Wir haben getan, was Ihr von uns verlangt habt. Also ist Draco
jetzt frei, richtig? Ihr werdet ihm Eure Gnade erweisen?«, fragte
Pansy, sichtlich zitternd.
Harry erstarrte, seine Augen weiteten sich. Draco? Draco
hatte damit zu tun? Hatte er letztendlich wirklich entschieden,
dass seine Chancen bei Voldemort besser standen? Galle stieg in ihm
auf über seine eigene Dummheit. Er hatte dem Slytherin-Ekel
tatsächlich Glauben geschenkt.
»Der junge Mr. Malfoy hat die Aufgabe nicht erfüllt, die ich
ihm gestellt habe und ihm allein. Er wird für sein
Versagen büßen müssen.«, sagte Voldemort und legte den Kopf schief.
»Sicherlich können Sie verstehen, dass er mit seiner Ungehorsamkeit
nicht ungestraft davonkommen darf. Es würde ein schlechtes Beispiel
geben.« Voldemort beobachtete Pansy aufmerksam.
»Ich verstehe, dass er bestraft werden muss, und er wird dieses
Schicksal freudig entgegennehmen.«, sagte Pansy, offensichtlich
zuversichtlicher. »Ich will einfach das Versprechen, dass Ihr ihm
gestattet zu leben, um seinen Fehler wieder gutzumachen.«
»Tatsächlich? Und nimmt Mr. Malfoy seine Bestrafung ebenso
bereitwillig hin, wie Sie es zu tun scheinen?«, wollte Voldemort
belustigt wissen. Die Spannung im Raum war greifbar – keiner der
Todesser hatte sich gerührt oder auch nur tief geatmet.
Harry knirschte mit den Zähnen. Er verspürte mit Sicherheit keine
Sympathie oder Mitleid mit Pansy – es war hauptsächlich ihre
Schuld, dass er in diesem Schlamassel steckte – doch er hasste es,
zu sehen, dass mit jemandem so gespielt wurde. Er wusste, dass
Voldemort nicht die geringste Absicht hatte, seinen Teil der
Abmachung einzuhalten. Warum konnte Pansy das nicht erkennen?
»Draco wird alles tun, um wieder in ihre Gunst zu kommen, mein
Lord.«, versicherte Pansy und verneigte sich tief zu Boden.
»Unglücklicherweise sind Mr. Malfoys Untaten viel zu schwerwiegend,
als dass sein Leben verschont werden könnte.«, sagte Voldemort
leicht, als würde ihn die Unterhaltung langweilen.
Es dauerte einen Moment, bevor seine Worte bei Pansy ankamen. Als
es endlich geschehen war, fiel ihr Gesicht zusammen. »Was? A-Aber
... darauf hatten wir uns nicht geeinigt.«, jammerte sie und
schaute verzweifelt in Snapes Richtung.
»Ich fürchte, ich habe mich bei der Angelegenheit umentschieden.«,
sagte Voldemort in einem gespielt versöhnlichen Tonfall.
»Miss Parkinson, bedenken sie ihre Position.«, warnte Snape. Er
packte Pansy an den Schultern und versuchte, sie aus der Höhle zu
führen.
»Ihr habt es versprochen!«, stöhnte Pansy und wandte sich zu Snape
um. »Ich habe alles getan, was mir aufgetragen wurde. Draco würde
frei sein. Ihr habt es versprochen!«
»Reißen Sie sich zusammen.«, zischte Snape.
»Severus, lass sie.«, befahl Voldemort. »Dein Mitgefühl für die
jungen Leute wird dir den Untergang bringen.«
Snape verbeugte sich steif und rückte widerwillig ein paar Schritte
von Pansy weg.
»Ich entschuldige mich dafür, dass wir Ihrer ersten Bitte nicht
stattgeben können, Miss Parkinson. Sie haben jedoch bewundernswert
gehandelt und ich würde Ihnen gerne einen Platz in meiner
Gefolgschaft anbieten.«, sagte Voldemort und neigte leicht den
Kopf. Seine Freude, das Mädchen zu quälen, war offenkundig.
»Ich will nicht ohne Draco leben.«, entgegnete Pansy. Sie vergrub
ihr Gesicht in den Händen und schluchzte. »Ich kann es nicht. Ich
habe das alles nur für ihn getan.«
»Dann soll es so sein.«, sagte Voldemort kalt und wedelte lässig
mit seinem Zauberstab. »Avada Kedavra.«
»Nein.«, keuchte Harry und sah zu, wie das grüne Licht auf Pansy zu
schoss.
Sie hob rasch das Gesicht und ihre Augen weiteten sich vor
Entsetzen, als sie den Fluch auf sich zu fliegen sah, begreifend,
dass sie nun für ihr falsches Vertrauen sterben würde. Der Fluch
traf sie in den Bauch und sie fiel zu Boden.
Snape senkte den Kopf und seine Schultern sackten herab.
»Du bist nicht länger ihr Lehrer, Severus.«, zischte Voldemort.
»Hör auf, ihr Leben retten zu wollen. Du hast zu viel Zeit in der
Gesellschaft des tattrigen alten Narren Dumbledore verbracht. Er
hat dich verdorben – dich verweichlicht.«
»Ja, mein Lord.«, erwiderte Snape und kehrte zu seinem Trank
zurück.
Harry konnte sein Schnauben der Abscheu geradeso zurückhalten. An
Snape war nichts Weiches und auch nur die Andeutung, dass
Dumbledore einen Eindruck auf den schmierigen Ekel hinterlassen
hatte, beleidigte das Andenken des Schulleiters.
»Nun, da Harry mein dauerhafter Gast werden wird, bin ich bereit,
zur nächsten Phase meines Aufstiegs zur ultimativen Macht
fortzuschreiten.«, sagte Voldemort.
Harry hob den Kopf und beäugte Voldemort wachsam.
»Ich nehme an, du bist neugierig auf meine Pläne für deinen
Aufenthalt, Harry.«, sagte er und grinste boshaft.
»Nicht besonders.«, stieß Harry hervor. »Ich habe nicht vor, lange
zu bleiben.«
Voldemort warf seinen Kopf zurück und lachte freudlos. »Immer der
Komödiant. Unglücklicherweise hat dein Schicksal keinen Nutzen für
deinen entzückenden Sinn für Humor.«
»Mein Schicksal?«, fragte Harry, sicher, dass er die Antwort gar
nicht wissen wollte.
Mit einem Wedeln seines Zauberstabs rief Voldemort eine lange
hölzerne Kiste herbei – eine Kiste, die groß genug war, um den
Körper eines nicht völlig ausgewachsenen Mannes zu umfassen.
Oh nein! Nein, nein, nein!
»Ist der Trank bereit, Severus?«, erkundigte Voldemort sich.
»Beinahe, mein Lord.«, antwortete Snape. Seine Augen funkelten, als
er Harrys panischen Blick auffing.
»Warum übernimmst du nicht die Ehre, dem jungen Harry die Zukunft
darzulegen.«, schlug Voldemort vor, sichtlich erfreut mit dem
Fortlauf der Geschehnisse.
»Wenn du auch nur ein wenig aufgepasst hättest in meinem
Unterricht, hättest du längst begreifen müssen, welchen Trank ich
braue.«, sagte Snape mit derselben seidigen Stimme, die er immer im
Unterricht einsetzte. »Da ich mir deiner erbärmlichen
Braufähigkeiten wohl bewusst bin, erlaube mir, es dir zu erklären.
Der Trank der Lebenden Toten ist ein Trank auf UTZ-Niveau
und sein Gegenmittel muss unmittelbar bei der Vollendung des
Brauens hergestellt werden. Das heißt, es müsste genau in diesem
Raum erstellt werden, um dich zu wecken, bevor du einen
Fluchtversuch unternimmst. Was höchst unwahrscheinlich ist, nicht
wahr ... Potter?«
Der Trank der Lebenden Toten! Natürlich. Voldemort konnte
ihn nicht einfach töten, sonst würde er seinen eigenen Horkrux
vernichten. Dieser Trank würde Harry am Leben halten, jedoch
machtlos und aus dem Weg. Es war ein doppelter Gewinn für
Voldemort.
Voldemort lächelte bei Harrys entsetzter Empörung. Mit seinem
Zauberstab befreite er Harry von der Wand und ließ ihn durch den
Raum zu der Kiste schweben. Harrys Bemühungen waren vergeblich. Er
konnte den Zauber nicht brechen. Der Deckel der Kiste hob sich wie
bei einem Sarg und Harry plumpste grob hinein. Seine Atemzüge
wurden mühsamer, während er versuchte, seine Panik in den Griff zu
bekommen. Das konnte nicht wirklich geschehen.
»Während Severus fortfährt, den Trank zu brauen, lausche aufmerksam
meinen Befehlen, Harry. Lausche meinen Plänen, den letzten deiner
Zuflüchte zu zerstören – den letzten deiner Beschützer.«, sagte
Voldemort. Seine Stimme bebte vor erwartungsvoller Freude.
Harry schüttelte den Kopf und versuchte vergeblich, sich zu
erheben.
Voldemort wandte sich zu den versammelten Todessern um.
»Bellatrix.«, zischte er.
»Ja, Meister.«, erwiderte die abscheuliche Stimme.
»Du und Fenrir, ihr nehmt unsere Streitkräfte und stürmt Hogwarts.
Nun da ich den Potter-Jungen habe, ist es Zeit für Albus
Dumbledores letzte Macht, zu fallen und sein Versagen und meinen
Aufstieg zum Ruhm damit endgültig festzusetzen. Ich glaube, die
Auroren, die ihre Posten im Ministerium verlassen haben, halten
sich dort auf. Tötet sie alle. Tötet auch die Ordensmitglieder, die
dort sind, aber bringt Mr. Malfoy zu mir. Tut mit seiner Mutter und
den verbliebenen Parkinson-Frauen, was ihr wollt.«
»Ja, mein Lord.«, erwiderte Bellatrix entzückt.
Harry kämpfte vergeblich gegen die unsichtbaren Fesseln, die ihn
hielten.
»Ich werde zu euch stoßen, sobald ich gesehen habe, wie Mr. Potters
Augen sich zum letzten Mal schließen.«, sagte Voldemort
lächelnd.
Harry sah hilflos zu, wie Bellatrix und die anderen Todesser aus
dem Raum strömten. Als er leer war, wandte Snape sich zu
Voldemort.
»Es ist vollbracht, mein Lord.«
Ron raste in seinen Schlafsaal zurück und fiel neben Harrys Bett
auf die Knie. Er packte den Rucksack darunter und begann, sich
schnell durch Harrys Habseligkeiten zu wühlen. Als er das
vertraute, zerschlissene Pergament gefunden hatte, stürzte er
wieder die Treppe hinunter.
Ginny wartete im Gemeinschaftsraum auf ihn, das Gesicht sorgenvoll
verzogen. Wenn er Harry gefunden hatte, würde Ron ihm die Leviten
lesen, dass er seine Schwester so sehr in Sorge versetzt hatte.
Ginny neigte nicht dazu, überzureagieren – das tat er immer
– obwohl er das niemals vor ihr zugeben würde. Sie so sichtlich
erschüttert zu sehen, ließ die Haare in Rons Nacken zu Berge
stehen. Wenn Ginny das Gefühl hatte, dass Harry in Schwierigkeiten
steckte, dann war er es höchstwahrscheinlich.
Ron hasste es, nicht zu wissen, was vor sich ging – er konnte es
nicht leiden, nicht die Kontrolle zu haben. Wie sollte er Harry für
seine Freunde im Auge behalten, wenn der Plan sich immer wieder
änderte? Er hatte sich selbst geschworen, Harry bis zum Ende zu
begleiten, und er wäre sehr enttäuscht von seinem Freund gewesen,
wenn er Ron in der letzten Minute ausschließen würde. Es sah Harry
aber so ähnlich, sich in aller Stille davonzustehlen, damit er
nicht Abschied nehmen musste.
Im Gemeinschaftsraum war es voll und laut. Charlie war aus Rumänien
zurückgekehrt und belagerte Fleur, Shannon und Iris mit Geschichten
von seinen Drachenabenteuern – beschönigend, wie nur Charlie es
konnte. Die Mädchen erschienen hingerissen von der Geschichte,
während Bill und die Zwillinge mit verschränkten Armen hinter ihnen
standen. Ron konnte an den mürrischen Gesichtern von Fred und
George sehen, dass Charlie ein ernsthafter Streich bevorstand.
Seine Eltern saßen am Feuer. Seine Mum klackerte mit ihren
Stricknadeln, doch er konnte sehen, dass sie beide heimlich
lauschten und über Charlies Geschichten glucksten.
»Ey! Ron!«, rief Charlie durch den Gemeinschaftsraum, als Ron zu
Ginny eilte. »Willst du nicht herkommen und mir Hallo sagen? Dir
wird diese Story gefallen.«
»Er hört sich später deine Drachengeschichten an, Charlie.«,
antwortete Ginny und zog Ron am Arm. »Jetzt gerade muss ich ihm
selbst eine Geschichte erzählen.«
Sie gewährte Charlie oder ihren anderen Brüdern keine Gelegenheit
zur Antwort, sondern zerrte Ron aus dem Porträtloch. Rasch liefen
sie den Korridor hinunter, bis sie zu einem abgetrennten Bogengang
gelangten. Ginny zog Ron hinein.
»Falte sie auseinander. Siehst du ihn?«, verlangte sie.
»Warte doch mal. Gib mir ein bisschen Zeit.«, sagte Ron genervt.
»Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin.«
Sie sahen zu, wie die Karte sich enthüllte, und Ron bemerkte
erschüttert, wie viel weniger Punkte darauf zu sehen waren im
Vergleich zur Schulzeit. Die meisten der Punkte waren in der Großen
Halle versammelt, wo die Auroren wohl eine Art Treffen
abhielten.
Er fuhr mit seinen Fingern über die Karte und suchte systematisch
nach Harrys Namen.
»Da.«, rief Ginny.
»Du hast ihn gefunden?«, fragte Ron. Erleichterung überkam ihn.
»Nicht Harry – Malfoy. Er ist in einem der Klassenräume im Korridor
für Zauberkünste. Mit Dudley. Ich sehe nirgendwo Harry.«, sagte
sie. Sie umklammerte Rons Arm so fest, dass ihm das Blut wich. Doch
er brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass sie ihn
loslassen solle.
»Pansy sehe ich auch nicht.«, stellte er grimmig fest. »Lass uns
mit dem Frettchen reden gehen.«
Ron rannte vor und zog Ginny hinter sich her. Ginny schnappte
keuchend nach Luft, als sie vor der geschlossenen Zauberkünste-Tür
anhielten, und musste sich gegen die Wand lehnen, um Atem zu
schöpfen.
Ron drehte den Türknauf. Die Tür war verschlossen.
»Hey! Lass uns raus!«, jammerte Dudley von innen.
»Pansy, wenn du es bist, verlange ich, dass du sofort die Tür
öffnest und uns rauslässt.«, sagte Malfoy. Er klang zutiefst
verärgert.
»Alohomora.«, sagte Ron, doch die Tür blieb verschlossen.
»Bist du das, Weasel?«, fragte Malfoy. »Denkst du etwa, das haben
wir nicht probiert? Aufschließzauber funktionieren nicht. Ich kann
mir nicht vorstellen, wo Pansy das gelernt hat.«
»Geh zurück, Ron.«, sagte Ginny und schob ihn zur Seite. Ihre Augen
blitzten.
»Was hast du vor?«, wollte Ron wissen, während er sorgsam tat, wie
sie gebeten hatte.
»Geht von der Tür weg, ihr beiden.«, rief Ginny. »Ich versuche
einen Sprengfluch.«
»Es wird nicht funktionieren!«, rief Malfoy. Er klang, als
entfernte er sich von der Tür. Anscheinend hatte er aus Erfahrung
gelernt, Ginnys Temperament nicht zu trauen. »Ich habe es schon
versucht.«
Ron drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, während er hastig
seine Optionen abwog.
»Dobby!«, rief er, als er sich daran erinnerte, wie der Hauself ihm
geholfen hatte, nach ihrem Ausflug nach Little Hangleton ins
Schloss zu kommen.
»Ja, Harry Potters Wheezy.«, sagte der kleine Elf und erschien an
ihrer Seite. Er trug die unpassenden Socken, die Harry ihm zum
letzten Weihnachtsfest geschenkt hatte.
»Dobby, Harrys Cousin ist eingeschlossen. Meinst du, du könntest
ihn rauslassen?«, fragte Ron.
Dobby starrte die Tür misstrauisch an. »Dobby glaubt, dass es dem
großen Harry Potter gefallen würde, wenn sein böser Cousin
eingeschlossen ist.«, sagte er und verschränkte die Arme. »Dobby
gefällt es auch.«
Ron stöhnte und schluckte die Bemerkung hinunter, dass einer von
Dobbys ehemaligen Besitzern ebenfalls in dem Klassenraum
eingesperrt war. »Dobby, zu jeder anderen Zeit würde ich dir
zustimmen und dich wahrscheinlich bitten, Harrys Cousin
einzusperren, aber ich glaube, Harry steckt in
Schwierigkeiten. Ich brauche deine Hilfe. Harry braucht
Hilfe.«
»Dobby wird alles tun, um Harry Potter zu helfen.«, sagte Dobby mit
weiten Augen. Er streckte den Arm aus und zog die Tür leicht auf,
als wäre sie niemals verschlossen gewesen. »Wie kann Dobby Harry
Potter helfen?«
Draco Malfoy und Dudley Dursley traten in den Gang, sich umschauend
und aufgebracht wirkend. Beide waren zerknittert und Dudley
schwitzte stark.
»Du!«, kreischte Dobby und wies mit einem knochigen Finger auf
Malfoy.
Dracos Augen weiteten sich vor Überraschung. »Hast du nicht für
meinen Vater gearbeitet?«, fragte er stirnrunzelnd.
Dobby wandte seinen weiten, argwöhnischen Blick zu Ron. »Draco
Malfoy ist ein böser Junge. Was hat er mit Harry Potter zu tun?«,
wollte er wissen.
»Ich denke, er könnte Informationen haben, Dobby. Informationen,
die Harry helfen könnten.«, erwiderte Ron, befriedigt über Malfoys
mürrischen Gesichtsausdruck.
»Was macht er hier und was meinst du mit Potter helfen? Was ist
los, Weasel und was hat das mit mir zu tun?«, fragte Malfoy,
sichtlich verärgert.
»Wo ist Harry?«, verlangte Ginny. Sie baute sich vor Malfoy auf.
Ihr Haar war wild und ihre Augen funkelten zornig. Ron bemerkte,
wie Malfoy einen beinahe unmerklichen Schritt zurücktrat.
»Woher soll ich das wissen? Ich war schon vor dem Abendessen in
diesem verfluchten Klassenraum eingesperrt. Ich habe keine Ahnung,
wo Potter ist. Pansy ist es, die ich finden muss.«, sagte Malfoy.
Er hatte seine Fassung wiedergewonnen und machte Anstalten, sich an
Ron und Ginny vorbeizudrängen.
Dudley blieb an der Wand stehen, mit verwirrter Miene, während er
der Unterhaltung zu folgen versuchte. Er fummelte an seinem
Zauberstab herum, während sie redeten.
Ron packte Malfoy am Arm. »Du gehst nirgendwohin, bis du mir
verrätst, was ich wissen muss.«
»Nimm deine dreckigen Hände von mir.«, fauchte Malfoy.
»Wir können weder Harry noch Pansy finden, Draco.«, sagte Ginny und
holte tief Luft. Ron wusste aus jahrelanger Erfahrung, dass sie
verzweifelt versuchte, ihr Temperament zu zügeln. Er wusste
ebenfalls, dass Malfoy in großen Schwierigkeiten war, wenn Ginny
den Kampf verlor. Seine Mum bekam immer denselben Gesichtsausdruck,
bevor sie explodierte.
»Hagrid hat gesehen, wie sie am Wald miteinander gesprochen haben,
aber jetzt sind sie beide verschwunden.«, erwiderte Ginny
steif.
»Verschwunden?«, wiederholte Draco verständnislos. »Pansy hat uns
in diesen Raum gesperrt. Sie sagte, sie hätte etwas zu tun, und
wollte nichts weiter verraten.«
»Was hat Pansy damit zu tun, dass Harry Voldemort allein
gegenübertreten will?«, fragte Ron Ginny verblüfft.
»Was? Ihm gegenübertreten? Wenn Pansy wegen Potters Blödheit
verletzt wird, werde ich – Autsch!«, brüllte Malfoy. Er hielt sich
sein Unterbein und hüpfte auf einem Fuß umher.
Dobby, der während des gesamten Austauschs geschwiegen hatte, stand
mit finsterem Blick vor Malfoy, die Arme vor der Brust
verschränkt.
»Er hat mich getreten!«, sagte Draco ungläubig.
»Und Dobby wird den bösen Malfoy-Jungen noch mal treten, wenn er
weiter so über Harry Potter spricht.«, schimpfte Dobby.
»Toll. Noch so einer.«, murmelte Malfoy und rieb sich sein
Bein.
»Was ist, wenn Pansy Harry erwischt hat, wie er sich heimlich
davonstehlen wollte?«, warf Ginny an Ron gewandt ein. Sie
ignorierte Malfoy vollkommen.
»Aber warum hätte sie sie in dem Klassenraum eingeschlossen?«,
fragte Ron und deutete auf Malfoy und Dudley. »Was war es, das sie
zu tun hatte? Das ergibt keinen Sinn!«
In Malfoys Gesicht war deutlich seine Sorge erkennbar. »Ich werde
Iris fragen, ob Pansy ihr etwas gesagt hat.«
Keiner hielt ihn auf, als er davoneilte. Dudley blickte zwischen
Ron und Ginny hin und her, bevor er Malfoy zurück zum
Gemeinschaftsraum folgte.
»Was meinst du, Ron?«, fragte Ginny leise.
Ron fand, sie wirkte sehr jung und verletzlich, und plötzlich
wollte er ihr versichern, dass alles in bester Ordnung war, doch er
konnte die Worte nicht hervorbringen. Das war schlecht.
»Lass uns Hermine suchen gehen und ihr sagen, dass Harry nicht hier
ist.«, sagte er schließlich. Er wusste, dass Hermine nichts
unternehmen konnte, um Harry zu finden, doch wenn jemand eine gute
Idee für den nächsten Schritt haben konnte, dann war es
Hermine.
»Er ist zum Ministerium gegangen.«, flüsterte Ginny. Ihre Augen
füllten sich mit Tränen.
»Das wissen wir nicht.«, sagte Ron bestimmt, während er seinen
eigenen rasenden Herzschlag zu beruhigen versuchte. »Wir müssen mit
Hermine reden.«
Harrys mühevolle Atemzüge erfüllten die beinahe stille Kammer. Das
einzige andere Geräusch, das er hören konnte, war das gleichmäßige
Tropfen von Wasser irgendwo in einiger Entfernung. Er steckt immer
noch in der Kiste und konnte den Unbeweglichkeitszauber nicht
brechen, den Voldemort auf ihn gelegt hatte. Er hatte gehofft, dass
er schwächer werden und ihm die Gelegenheit zur Fluch geben würde,
doch er war so stark wie zu Anfang geblieben.
»Es ist vollbracht, mein Lord.«, hallte Snapes seidige Stimme an
den Steinwänden wider.
Harrys Herz raste und er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach.
Bilder von Muggel-Horrorfilmen über Menschen, die lebendig begraben
wurden, huschten durch seinen Geist, bis er das Gefühl hatte, von
seiner Panik überwältigt zu werden. Wie sollte er hier
rauskommen?
Seine Augen schweiften wild durch den Raum und bewegten sich
schnell über Pansys Leichnam, der immer noch auf dem Boden lag. Der
einzige Ausweg, den er sehen konnte, führte durch die Öffnung
hinter Voldemort, aber sein Zauberstab steckte nach wie vor in
Snapes Tasche.
Sie würden ihn dauerhaft unschädlich machen und in dieser Kiste
lassen.
»Exzellent.«, sagte Voldemort. Seine Augen blitzten. »Der Trank
wirkt sehr schnell. Möchtest du hören, was mit dir passieren
wird?«
»Fahr zur Hölle.«, blaffte Harry. Er spürte Galle in seiner Kehle
aufsteigen.
Voldemorts Grinsen wurde breiter. »Um zur Hölle zu fahren, muss man
sterben – ein Schicksal, das keinem von uns widerfahren wird.
Nachdem Severus dir den Trank verabreicht hat, werden deine
Gliedmaßen steif und schwer werden. Es wird sich anfühlen, als
wären riesige Gewichte daran befestigt worden. Du wirst natürlich
versuchen, gegen die Lähmung anzukämpfen, aber es wird dir nicht
gelingen. Deine inneren Organe werden nacheinander abschalten, bis
schließlich dein Herz langsamer wird. Du solltest genau zu der Zeit
in Bewusstlosigkeit fallen, wenn die erste Welle meines Angriffs
auf Hogwarts beginnt.«
Harry schluckte und biss die Zähne zusammen. »Du scheinst tiefes
Vertrauen in deine Todesser zu haben. Seltsam, wo sie früher doch
nicht besonders erfolgreich gegen den Orden gewesen sind.«, sagte
er.
Voldemorts Grinsen verblasste. »Gib ihm den Trank, Severus.«
»Ja, mein Lord.«, sagte Snape und füllte die dicke schwarze
Flüssigkeit in eine Phiole.
Hermine stieg die Spiraltreppe von Professor McGonagalls Büro
hinab, den Kopf voller Informationen, die der ehemalige Schulleiter
ihr gerade geliefert hatte. Sie fand Ron und Ginny am Treppenende
wartend vor. Beide liefen wie eingesperrte Tiere auf und ab.
Von ihren Gesichtsausdrücken und der Tatsache, dass sie allein hier
waren, wusste Hermine, dass sie Harry nicht gefunden hatten. Das
hatte sie befürchtet. Ginny sah aus, als würde sie gleich in Tränen
ausbrechen, und Ron rang nervös seine Hände.
»Er ist weg, nicht wahr?«, brachte Hermine mit Mühe hervor. Oh,
Harry!
»Er ist nirgends auf der Karte, Hermine.«, sagte Ginny. Ihre Augen
füllten sich mit Tränen. »Pansy auch nicht. Wir haben Draco und
Dudley in einem Klassenraum eingesperrt gefunden. Sie haben gesagt,
dass Pansy sie dort eingeschlossen hat.« Ihre Unterlippe begann zu
beben und Ron schlang ihr beschützerisch einen Arm um die
Schulter.
»Pansy ist auch verschwunden?«, wiederholte Hermine. Neugier rang
ihre Panik nieder.
»Sie ist nicht auf der Karte.«, erwiderte Ron. Seine Augen flehten
sie um eine Antwort.
Hermine wünschte, sie könnte ihm eine liefern.
»Er hätte sie nie mitgenommen.«, sagte sie. Sie knabberte an
ihrer Lippe.
»Was hat Professor Dumbledores Porträt gesagt?«, erkundigte Ginny
sich schniefend. Sie bemühte sich, sich zusammenzureißen.
»Oh!«, rief Hermine. »Meine Vermutungen waren richtig. Der
Tötungsakt teilt die Seele, aber er erschafft nicht immer einen
Horkrux. Üblicherweise wird die Seele des Mörders innerhalb seines
Körpers zerbrochen. Professor Dumbledore sagte, es verändere eine
Person und vielleicht ist das der Grund, dass es nach dem ersten
Mal leichter wird, zu morden. Er sagte, einen Horkrux zu erschaffen
sei anders. Es muss die Absicht da sein und der Gegenstand muss zur
Zeit des Mordes in der Hand gehalten werden.«
»Wie ist Harry dann einer geworden? Hat Voldemort ihn tatsächlich
gehalten?«, fragte Ginny entgeistert.
Hermine schüttelte den Kopf. »Ich vermute, einfach nur eine Hand
auf ihn zu halten, hätte ausgereicht, und ich kann mir sehr gut
vorstellen, dass Voldemort so etwas getan hat, nur um Harrys Mutter
zu quälen.«, sagte Hermine schaudernd. Sie wollte nicht daran
denken, wie furchtbar es für Lily Potter gewesen sein musste zu
sehen, dass dieser Wahnsinnige Hand an das Kind anlegte, für das
sie zu sterben bereit war.
»Um einen Horkrux herzustellen, muss man sich auf den Hass
konzentrieren und der Akt des Mordes teilt die Seele.
Dementsprechend denke ich, dass ein Akt von Liebe einen Gegenstand
abschirmen und zusammenhalten sollte.«, fuhr Hermine fort.
Aufregung blubberte in ihrer Brust. »Ich denke, es könnte
funktionieren.«
»Nicht, wenn es schon zu spät ist.«, rief Ginny heftig.
»Wir müssen ins Ministerium.«, sagte Ron und Hermine konnte sehen,
dass er genauso panisch wie seine Schwester war.
Hermine hatte den Verdacht, dass sie etwas übersehen hatte, doch
die Situation erschien ihr zu dringend, als dass sie sich lange
daran aufhielt. Sie mussten ins Ministerium und Harry davon
abhalten, etwas Dummes zu tun, falls er ohne sie vorgegangen
war.
»In Ordnung, lasst uns gehen.«, sagte sie und umklammerte den
kleinen runden Gegenstand in ihrer Tasche. Es war Professor
Dumbledores Idee gewesen und Hermine fand, es würde perfekt bei
Harry funktionieren – wenn es nicht schon zu spät war.
Als sie die Treppe hinunter zur Vorderhalle stürzten, sahen sie
Draco Malfoy allein an der Tür stehen, panisch aussehend.
»Sie ist nicht hier. Ich kann sie nirgends finden.«, rief er ihnen
entgegen. »Iris sagt, sie habe sie nicht seit dem Abendessen
gesehen.«
»Geh aus dem Weg, Malfoy.«, sagte Ron und stieß den Slytherin zur
Seite.
»Wohin geht ihr?«, wollte Draco wissen. Seine Augen verengten sich.
»Ihr geht ihnen nach, nicht wahr? Ich komme mit.«
»Auf keinen Fall.«, erwiderte Ron hitzig.
»Du?«, fragte Ginny überrascht. »Es wird gefährlich werden,
Malfoy.«
»Ich kann damit umgehen.«, spie Draco. »Während ihr drei Potter
nachgeht, wer wird Pansy retten? Ich komme mit euch, bis ich sie da
rausholen kann. Dann seid ihr auf euch allein gestellt.«
Hermine war überrascht von der Tiefe der Gefühle, die Malfoy
offensichtlich für Parkinson empfand. Das hatte sie nicht erwartet.
Er war nie willens gewesen, sich in irgendeine Gefahr zu stürzen.
Normalerweise überließ er das anderen. Vielleicht war Draco
erwachsener geworden, als sie ihm zugestanden hatte.
»Du wirst nirgendwohin mitkommen. Du wirst es nicht verpfuschen.«,
schnauzte Ron, hitzigköpfig wie eh und je.
»Oh, hört auf. Ihr könnt später entscheiden, wer die Rolle des
Alphamännchens übernimmt. Wir müssen uns beeilen, bevor wir zu spät
sind.«, sagte Ginny. Sie drängte sich an den beiden vorbei, um aus
dem Gebäude zu treten.
Die anderen folgte ihr und sprinteten auf die Hogwartstore zu. Eine
große, drohende Gestalt tauchte vom Rand der Straße auf, als sie
näherkamen. Hermine keuchte auf, während Ron seinen Zauberstab
zog.
»Ey! Ich bin's.«, dröhnte Hagrid. Sein Gesicht kam im Mondlicht zum
Vorschein, als er näherkam. »Im Wald gibt's keine Zeichen für'n
Kampf.«
»Danke, Hagrid.«, sagte Hermine. »Wir gehen Harry nach.«
»Dann komm ich mit euch.«, sagte Hagrid und nickte resolut. Er
schob das Tor auf und sie verließen die Sicherheit des
Hogwarts-Grundstücks.
Sie waren noch nicht weitgekommen, als die unmissverständlichen
Pop-Geräusche des Apparierens die Nachtluft erfüllten. Außerhalb
der Tore erschienen Dutzende von maskierten Todessern, die alle mit
ihren Zauberstäben auf die Schule deuteten.
Hogwarts stand unter Angriff.
»Entspann dich einfach.«, sagte Snape mit funkelnden Augen.
»Abgesehen vom Durst, weil der Trank deine Körperflüssigkeiten
austrocknet, solltest du eigentlich nichts spüren. Ich hoffe, dass
ich ihn korrekt gebraut habe, sonst könnten die Ergebnisse etwas
... schmerzhaft ausfallen.«
Harry kniff den Mund zusammen und kämpfte gegen die unsichtbaren
Fesseln an. Es konnte nicht so enden. Dumbledore, Sirius ... Remus
... alle wären für nichts gestorben. Die Weasleys und seine Freunde
wurden unerwartet attackiert. Er konnte das nicht geschehen
lassen!
Eine markerschütternde Kälte aus purer Furcht übermannte ihn.
Plötzlich traf ihn die Erkenntnis, dass das erste Mal, als sie
einen Horkrux gefunden hatte, Hermine verletzt worden war, dann war
es Ron und schließlich Ginny. Es war, als hätte Voldemort versucht,
sie voneinander zu trennen, weil sie gemeinsam stärker waren. Doch
dieses Mal hatte er Erfolg gehabt. Diesmal war Harry allein.
Snape hob die Phiole und wirbelte die hässliche, dicke, schwarze
Flüssigkeit im Glas herum.
»Mund auf, Mr. Potter.«, sagte er. Er packte Harry grob im Nacken
und zwang seinen Kopf zurück.
Harry weigerte sich, seinen Mund zu öffnen, und Snape schlug ihn
zweimal. Benommen schaffte Harry es, seinen Mund geschlossen zu
halten.
»Du hast eine Neigung für Muggel-Duelle.«, sagte Snape mit
offensichtlicher Bitterkeit über ihre letzte Begegnung. »Wie fühlt
es sich an, am anderen Ende zu stehen? Ich könnte leicht ein paar
deiner Zähne ausschlagen. Du wirst sie ohnehin nicht mehr
brauchen.«
Harrys Gedanken rasten. Er musste dies irgendwie beenden. Ron und
Hermine wunderten sich sicher schon, wo er war, doch wie sollten
sie wissen, wo sie ihn finden konnten? Was war, wenn sie schon
angegriffen und getötet worden waren? Harry konnte den Gedanken
nicht ertragen. Sie mussten unversehrt sein. Ginny! Sie musste am
Leben sein.
Snape führte einen Zauber aus und Harry spürte, wie sein Kiefer
auseinandergezwängt wurde. Er kämpfte dagegen, bis sein ganzer
Körper bebte, doch es hatte keinen Zweck. Sein Mund öffnete sich
und Snape bewegte die Phiole an seine offenen Lippen.
Nein! Nein, nein, nein! Ginny, hilf mir!
Rachsüchtig lächelnd neigte Snape die Phiole zu Harrys Mund, so
dass die dicke Substanz langsam hineinfloss.