Kapitel 33
Am Morgen von Addies Geburtstag rutschte die Post mit einem ungewöhnlich lauten Plumps durch den Briefschlitz. Ein wunderschönes Geräusch. Addie erkannte es vom warmen Bett aus. Die Schlafzimmertür stand einen Spalt weit offen, und sie konnte den Haufen Briefe auf dem Boden beinahe sehen. Ihr Herz machte einen kleinen Satz. Sie spürte die Liebe.
Sie war früh aufgewacht und hatte wie immer an ihrem Geburtstag an ihre Mum gedacht. Sie hatte sich den Morgen vor 39 Jahren vorgestellt, an dem ihre Mum erschrocken die Augen aufgeschlagen und trotz ihrer Schlaftrunkenheit schlagartig erkannt hatte, dass heute der Tag war. Draußen war es sicher noch dunkel. Ihre Mum hatte sich zu Hugh umgedreht, um ihn zu wecken, während die Wehen ihr fast den angeschwollenen Bauch zerrissen. Vielleicht hatten die Schmerzen ja auch erst eingesetzt, als sie für Della Frühstück machte oder mit dem Kinderwagen zum Einkaufen ging. Vielleicht war sie ja nach Hause geeilt, um Hugh im Krankenhaus anzurufen, und hatte auf dem Weg noch eine Nachbarin gebeten, während ihrer Abwesenheit auf das Kind aufzupassen.
Da nie jemand Addie die Geschichte erzählt hat, muss sie es sich selbst ausmalen.
»Um welche Uhrzeit bin ich geboren worden? Das muss ich wissen, um mein Horoskop zu erstellen.«
»Gütiger Himmel, Kind. Ich habe keine Ahnung. Wie, um alles in der Welt, soll ich mich daran erinnern?«
Doch Addie hat sich gefragt, wie, um alles in der Welt, es sein kann, dass er es nicht tut.
Vom Bett aus hörte sie Bruno in der Küche hantieren. Nach den Geräuschen zu urteilen, machte er Frühstück für sie. Sie musste sich beherrschen, um nicht aufzuspringen und die Post zu holen. Wenn sie jetzt aufstand, würde sie ihm die Überraschung verderben. Außerdem musste sie pinkeln, doch auch das hatte zu warten. Sie roch bereits den Kaffee, und ein Signalton verkündete, dass die Mikrowelle die Milch aufgewärmt hatte.
»Happy Birthday to you, happy Birthday to you, happy Birthday, liebe Addie, happy Birthday to you …«
Sein Timing war perfekt. Mit dem letzten Ton setzte er das Tablett auf ihren Knien ab. Sie hob den Kopf, während er seinen senkte, und schloss die Augen, um den Kuss zu genießen. Der cremige Duft des dampfenden Kaffees, die Sonne, die durchs Fenster hereinströmte, das Kratzen seiner Bartstoppel an ihrem Kinn, als er sie küsste.
Er hatte die Post mitgebracht. Die Briefe lehnten an der Umrandung des Tabletts. Neugierig fing sie an, sie aufzureißen.
Eine Karte von Hugh: An eine wundervolle Tochter. Vorne war ein junges Mädchen abgebildet, das stolz neben einem Pony stand. Hugh schickt Addie noch immer solche Karten, als habe er nicht bemerkt, dass sie inzwischen erwachsen geworden ist. Für meine liebe Addie, hatte er auf die Innenseite geschrieben. Alles, alles Gute zum Geburtstag. In Liebe, dein alter Vater. Die Feder seines Füllhalters war so dick, dass sich die Tinte in den Schnörkeln der Buchstaben gesammelt hatte. Außerdem schien die Patrone zur Neige zu gehen, denn die Schrift wurde immer blasser. PS, hatte er unten auf die Seite in Buchstaben geschrieben, die so hell waren, dass man sie kaum erkennen konnte. Ich muss neue Tintenpatronen kaufen.
Schmunzelnd legte Addie die Karte aufs Tablett und griff nach dem nächsten Umschlag auf dem Stapel. Eine Karte von Della. Es waren zwei alte Damen in Badeanzügen darauf abgebildet, die in Liegestühlen saßen. Darin befand sich ein Bündel selbstgebastelter Gutscheine. Ein Gutschein für eine Umarmung von Lisa. Ein Gutschein für einmal Fingernägellackieren von Elsa, einer für einmal Hundbürsten von Tess und eine Rückenmassage von Stella.
Bruno saß auf der Bettkante. Addie zeigte ihm die Gutscheine.
Das kleine Päckchen hob sie sich für zuletzt auf. Ein brauner Luftpolsterumschlag, der nicht aussah, als ob er viel enthielt. Addie wog ihn auf der Handfläche. Er fühlte sich leer an. Sie erkannte die Handschrift auf der Vorderseite. Es war die vertraute, gerade Schrift von Maura.
»Mach ihn auf«, sagte Bruno. »Ich bin neugierig.«
Doch Addie legte das Päckchen wieder aufs Tablett, griff zur Kaffeetasse und lehnte sich zurück.
»Mit dem Öffnen von Päckchen lasse ich mir immer Zeit. Wenn man es einmal getan hat, ist die ganze Vorfreude weg.«
»Ich wette, so warst du schon als Kind.«
Addie nickte. »Es hat Della wahnsinnig gemacht.«
Mit einer sparsamen Bewegung stellte sie die Tasse ab und nahm erneut das Päckchen zur Hand. Sie schob den Finger unter die Lasche, riss sie auf, steckte die Hand hinein und förderte ein kleines gefaltetes Blatt Papier und eine unbeschriftete DVD zutage.
»Das wird ja immer kurioser.« Sie strich den Brief glatt.
Bruno wartete ab, während sie las.
»Sie ist in Rom und kommt erst am nächsten Wochenende wieder.«
Sie las laut vor und ahmte dabei für Bruno Mauras geschäftsmäßigen, knappen Tonfall nach.
»Endlich habe ich jemanden gefunden, der es für mich auf eine DVD brennt. Wir haben die technischen Möglichkeiten!«
Sie blickte Bruno an.
»Sie schreibt nicht, was es ist. Oh, mein Gott, hoffentlich driftet sie nicht ab. Sie ist der einzig geistig gesunde Mensch, den ich kenne.«
Sie verstaute Brief und DVD im Umschlag. Erst dann fiel ihr auf, dass Bruno sie abwartend ansah.
»Oh, Bruno! Mit Ausnahme von dir natürlich.«
Die gute alte Maura. Nie vergisst sie Addies Geburtstag. Mehr Helen als Addie zuliebe hat sich dieses Datum für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt. Helens Tod belastet sie bis heute, und die Tragödie ist für sie noch so frisch, als hätte sie sich erst gestern zugetragen. Sie kann die Willkür noch immer nicht fassen. Sechs Jahre lang haben sie jeden Tag die Schulbank miteinander geteilt. Und nun ist Helen tot, und Maura lebt. Damit geht eine gewisse Verantwortung einher. Sie hat Pflichten zu erfüllen. Maura betrachtet sich als Helens Nachlassverwalterin.
Nach Helens Tod wurde ihr Schmuck zwischen den Mädchen aufgeteilt. Maura hat das übernommen. Hugh hatte sie darum gebeten.
»Möchtest du nicht ein paar Stücke selbst behalten?«, hatte sie ihn gefragt. »Als Andenken.« Und er hatte erwidert: »Mein Gott, nein, was sollte ich mit ihrem Schmuck anfangen?« Er war gar nicht auf den Gedanken gekommen, sie darauf anzusprechen, ob sie vielleicht ein Erinnerungsstück haben wollte. Also hat Maura den Schmuck einfach an die beiden Mädchen verteilt.
An einem verregneten Montagnachmittag hat sie sie von der Schule abgeholt. Sie haben den Schmuck auf die Überdecke gekippt, und dann haben sie alles mit neugierigen kleinen Fingern durchwühlt. Die Perlenkette hat Helen zum einundzwanzigsten Geburtstag bekommen. Die Aquamarinohrringe hat ihre Mutter ihr zur Hochzeit geschenkt. Die goldenen Medaillons und Glücksarmbänder waren Schmuckstücke aus ihrer Kindheit. Der Kettenanhänger aus Lapislazuli und das Halsband aus Turmalin waren Geschenke von Hugh im Laufe der Jahre. Addie bekam den Verlobungsring, Della den Ehering.
»Glaubst du, dass Della deshalb verheiratet ist und ich nicht?«
»Oh, Addie! Sei doch nicht so fatalistisch! Was bringt dich auf den Gedanken, dass du nie heiraten wirst?«
Immer voller Zuversicht, das liebt sie an Maura. Sie glaubt an sie und will nur ihr Bestes.
»Eines Tages wirst du einen wundervollen Mann kennenlernen, Addie. Da bin ich absolut sicher. Er lässt sich mit eurer Begegnung nur ein bisschen Zeit.«
Das hat Maura kurz nach ihrer Trennung von David gesagt. Inzwischen ertappt Addie sich immer öfter dabei, dass sie darüber nachdenkt, so als wolle sie die Vorstellung auf ihre Belastbarkeit testen wie ein knarzendes Dielenbrett, bevor man darauftritt.
Maura mit ihren funkelnden schwarzen Augen und ihrem aufmerksamen schmalen Gesicht. Es ist schwierig, sich ihrem Einfluss zu entziehen. Sie besitzt eine Selbstsicherheit, als könne sie Dinge sehen, die anderen verborgen bleiben.
»Es gibt noch viele Fische im Meer«, hat sie verkündet. »Beim nächsten Mal vergiss die Makrelen und schnapp dir den Lachs!«
Natürlich haben die Mädchen Helens Geld geerbt. Das viele Geld, das ihre Eltern ihr in ihren Testamenten hinterlassen hatten. Bei ihrem Tod fiel es an Hugh, doch der war zu stolz, um es anzurühren. Deshalb wurde es für Addie und Della angelegt. Es ermöglichte ihnen irgendwann, sich ein Eigenheim zu leisten.
Es war auch ein wenig Silber da. Genug Besteck für eine Großküche, ein Hochzeitsgeschenk von Helens Eltern. Hugh hat Della gebeten, es mitzunehmen, als sie auszog. Helens Taufbecher stand lange auf einem Regal in Addies Küche. Sie bewahrte Streichholzschachteln darin auf, weil sie nicht wusste, was sie sonst damit anfangen sollte.
Addie fand in den Erbstücken ihrer Mutter keinen Trost. Für sie waren es nur harte Gegenstände, Objekte aus Metall und Glas. Man konnte sie herausholen und betrachten, putzen und polieren, doch sie enthielten nichts von ihrer Mutter, sondern waren so unpersönlich wie Steine.
Deshalb haben die Reliquien von Heiligen für viele Menschen eine so große Bedeutung. Addie versteht, warum sich die Leute darum reißen, sie anzuschauen. Aus dem Fernsehen kennt sie die Bilder, wie Abertausende von Pilgern stundenlang Schlange stehen, nur um die Hand auf eine alte Schatulle mit einem Knochensplitter oder einer toten Haarsträhne darin zu legen.
Addie wünschte, sie hätte eine Reliquie von ihrer Mutter. Einen Zahn, eine Haarlocke, irgendetwas, das wirklich von ihr stammt. Ein Stofffetzen von einem Kleidungsstück vielleicht, das ihre Haut berührt hat oder mit ihrem Schweiß oder ihrem Blut in Kontakt gekommen ist. So einen Gegenstand würde Addie unter ihr Kopfkissen legen. Sie würde nachts mit der Hand danach tasten und sich davon trösten lassen.
Erst am frühen Abend fand sie Zeit, sich die DVD anzusehen. Den Tag hatten sie draußen in Howth Head verbracht und waren gewundene, steile Pfade erst zu einem, dann zu einem anderen Strand hinunterspaziert, während der Hund über die Felsen ins Wasser gerannt war. Auf der Landzunge stand ein Leuchtturm, und die kurvige Straße führte ins Dorf. Nachdem sie am Hafen Fisch gekauft hatten, waren sie auf ein Glas Guinness und eine Tüte Chips in einen Pub gegangen und anschließend langsam zum Auto zurückgekehrt. Zu Hause hatte Addie ein heißes Bad genommen, und nun saß sie auf dem Boden vor dem Fernseher. Da ihr Haar noch nass war, hatte sie sich ein Handtuch um die Schultern gelegt. Bruno stand in der Küche und kochte das Geburtstagsessen. Es roch nach Knoblauch, Anissamen und zerlassener Butter. Sie hörte, wie heiße Flüssigkeit durch ein Sieb gegossen wurde.
Addie richtete die Fernbedienung auf den Fernseher und schaltete auf DVD-Funktion.
Der Bildschirm wurde blau.
Sie drückte auf PLAY.
Ein schwarzer Bildschirm, in dessen Mitte in ordentlichen weißen Druckbuchstaben ein Datum geschrieben war. 8. Januar 1974. Addies vierter Geburtstag.
Das Datum verblasste. Geräusche erklangen, als der Film begann. Eine bewegliche Kamera glitt über Küchenschränke und senkte sich dann, um auf einer Reihe Kindergesichter zu verharren. Ein halbes Dutzend kleiner Mädchen in Festtagskleidchen standen am Küchentisch wie Kegel. Die Kamera ruckte, die Mädchen drehten sich um und schauten mit großen, leuchtenden Augen zum rechten Bildrand.
Ein Staunen im Gesicht, saß Addie im Lichtschein des Fernsehers.
Die Kamera schwenkte nach rechts, und da war sie. Sie stand auf einem Küchenstuhl und beugte sich begeistert über den Tisch. Ihr Haar war zu zwei hoch angesetzten, fedrigen Büscheln zusammengebunden, die ihr zu beiden Seiten aus dem Kopf ragten. Sie hatte die pummeligen Händchen flach auf den Tisch gestützt und hüpfte auf den Beinen auf und nieder wie ein Esel.
Nicht so wild, Addie, rief jemand. Sonst fällst du noch vom Stuhl.
Plötzlich gingen die Lichter aus. Die Gesichter wurden zu Schatten. Augen und Zähne blitzten in der Dunkelheit auf. Schemenhafte Gestalten. Eine Männerstimme begann, laut Happy Birthday zu singen. Die kleinen Mädchen stimmten ein. Die Kamera glitt wackelnd die Reihe entlang, um die singenden kleinen Gesichter festzuhalten. Darüber erhob sich eine Frauenstimme in einem gekünstelten Sopran. Maura, dachte Addie. Das konnte nur Maura sein. Sie war zwar nicht zu sehen, aber zu hören.
Inzwischen hatte die Kamera den leeren Türbogen erreicht. Aus der Dunkelheit erschien ein Kuchen mit vier Kerzen. Zuerst nahm man die Kerzen wahr, im nächsten Moment das körperlose Gesicht, das darüber schwebte. Die flackernden Flammen malten Schatten darauf. Die Augen der Frau funkelten, als sie mitsang.
Die Kamera blieb auf sie gerichtet, als sie vorsichtig weiterging. Sie trat hinter Addie und streckte die Ellbogen seitlich aus, um einen Ring zu formen. Langsam senkte sie den Ring über Addies wippenden Kopf, bis der Kuchen vor ihr auf dem Tisch stand. Dann beugte sie sich vor, näherte das Gesicht dem von Addie und flüsterte ihr eine Aufforderung zu. Addie pustete die Kerzen aus, Jubel ertönte, und dann wurde wieder Licht gemacht.
Addie sah zu, wie ihr vierjähriges Ich stolz den Blick über den Tisch schweifen ließ. Ihre Wangen leuchteten im grellen Schein der Deckenlampe hellrosa. Sie beobachtete, wie die Kamera zitternd den Küchentisch umrundete. Ihre Mutter schnitt inzwischen den Kuchen an und verteilte dicke Scheiben auf dünne Pappteller, die sich unter dem Gewicht bogen. Ihr Haar war lang und hellbraun, und sie hatte es oben auf dem Kopf zu einem lockeren Knoten aufgesteckt. Immer wieder schob sie die Unterlippe vor, um eine störrische Locke wegzupusten, die ihr ständig in die Augen fiel. Sie trug eine viktorianische Bluse mit Stehkragen. Ihr Mund war ein breiter, roter Bogen. Eine Zigarette in der Hand, lehnte sie an den Küchenschränken. Hugh stand neben ihr. Addie brauchte einen Moment, um ihn zu erkennen. Eine kühne Haarlocke war ihm in die Stirn gerutscht, und auch er rauchte eine Zigarette. Während Addie die beiden betrachtete, lehnte ihre Mum kurz den Kopf an Hughs Schulter. Im nächsten Moment endete der Film unvermittelt, der Bildschirm wurde schwarz.
Als Bruno aus der Küche kam, stellte er fest, dass Addie weinte. Sie saß noch immer auf dem Boden vor dem Fernseher. Ihr Rücken war gerade, und sie hatte die Beine übereinandergeschlagen wie ein Yogi. Doch ihre Schultern bebten vor Schluchzen.
Addie hatte noch nie bewegte Bilder von ihrer Mutter gesehen. Nur Fotos, doch eine Filmaufnahme war etwas anderes. Sie ist auf eine Art und Weise real, wie es ein Foto niemals sein kann. Dass ihre Mutter nach all den Jahren wieder zum Leben erweckt worden war, traf Addie wie ein körperlicher Schlag, mit dem sie nicht gerechnet hatte.
Als Bruno eintrat, wurde sie von Schluchzern geschüttelt, und ihr Atem ging zitternd und stoßweise. Mein Gott, sagte er, was hast du? Er lief auf sie zu und kauerte sich, das Geschirrtuch noch in der Hand, neben sie auf den Boden. Um sie beruhigen, rubbelte er ihr mit der Handfläche über den Rücken.
Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und schüttelte den Kopf, als versuche sie, durch die Bewegung den Schock zu vertreiben. Dabei weinte sie so heftig, dass man sie kaum verstehen konnte. Bruno beugte sich vor, um herauszufinden, was sie sagte.
»Ich erinnere mich nicht an sie«, stieß sie hervor, begleitet von bitterlichem Schluchzen. Bruno streichelte ihr den Rücken und begriff immer noch nicht ganz, was geschehen war.
»Ich dachte, ich wüsste noch einiges, doch nachdem ich sie jetzt gesehen habe, ist mir klar, dass das nicht stimmt. Ich muss es erfunden haben.«
Mit geröteten Augen blickte sie Bruno verwirrt an.
»Keine Ahnung, warum ich so durcheinander bin. Wahrscheinlich deshalb, weil sie so anders ist, als ich sie im Gedächtnis habe.«
Sie lachte über sich selbst und wischte sich die Nase am Pulloverärmel ab.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich weiß wirklich nicht, was in mich gefahren ist. Vermutlich liegt es daran, dass ich nicht damit gerechnet habe. Ich war völlig überrascht, das muss es sein.«
»Du brauchst mir nichts zu erklären«, erwiderte Bruno. »Dazu besteht überhaupt kein Grund.«
»Du hast Glück«, meinte sie später zu ihm, nachdem sie den Fisch verspeist und das Geschirr abgeräumt hatten. Inzwischen war Addie über den Schock hinweg, und sie konnten ruhig darüber reden.
»Du hast Glück«, wiederholte sie, »denn du hast ein ganzes Leben voller Erinnerungen an deine Mum.«
»Ja«, erwiderte er. Doch seine Miene war todtraurig. »Manchmal habe ich das Gefühl, dass es sogar zu viele Erinnerungen sind. Insbesondere ihr Ende steht mir noch deutlich vor Augen. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte das Ende vergessen.«