Kapitel 23

Der gewinnt niemals«, verkündete Della mit dem Brustton der Überzeugung. »Obama gewinnt.«

Sie saßen an Dellas Küchentisch und waren gerade mit dem Essen fertig. Da am Morgen die Uhren zurückgestellt worden waren, dämmerte es bereits. Es war erst vier.

»Ich wünschte, ich wäre da so sicher wie du«, entgegnete Bruno. »Vielleicht wage ich es einfach nicht zu hoffen.«

»Doch, glaube mir«, antwortete Della, während sie um den Tisch herumging, um das Geschirr einzusammeln. Sie trug eine Baumwollschürze über einem engen schwarzen Kleid. Hohe Absätze und Hochfrisur wie eine Hausfrau in den Fünfzigern. Sie hatte darauf bestanden, Lammkeule mit Bratkartoffeln und allen üblichen Beilagen zu kochen. »Wir dürfen uns nicht lumpen lassen«, hatte sie zu Simon gemeint. »Schließlich ist er Amerikaner.«

Den ganzen Tag war sie schon aufgeregt, weil sie ihn endlich kennenlernen würde, und ihre Gedanken überschlugen sich. Sie wollte wissen, ob er Philip Roth, Annie Proulx und Anne Tyler las und was er von Joyce Carol Oates hielt. Und sie brannte darauf, über die Wahl zu sprechen.

»Obama hat die Geschichte auf seiner Seite«, sagte sie nun. »Nur Hillary tut mir leid. Sie wird es nie schaffen.«

»Was macht dich so sicher?«, erkundigte sich Bruno. »Vielleicht hat sie ja eine Chance. Wenn McCain gewinnt, kann sie es 2012 noch einmal versuchen.«

»Nein«, gab Della in dem ungeduldigen Tonfall einer Lehrerin zurück, die versucht, einem begriffsstutzigen Kind etwas zu erklären. »McCain gewinnt nicht. Obama macht das Rennen. Und Chelsea wird die erste Präsidentin. Darauf gehe ich jede Wette ein. Und dann wird die arme Hillary Ehefrau eines Präsidenten und Mutter einer Präsidentin gewesen sein, ohne je selbst eine zu werden.«

Grinsend wandte sich Bruno an Addie. »Woher weiß sie das alles?«

»Das tut sie nicht.«

»Häufig im Irrtum, niemals voller Zweifel«, merkte Simon in gedehntem Tonfall an.

»Hör nicht auf sie«, meinte Della und nahm eine Zigarette aus dem Päckchen. »Ich bin eine Leseratte. Es geht nur darum, eine Geschichte zu erzählen.«

 

Sie waren ganz anders, als er sie sich vorgestellt hatte, viel lebhafter. Della mit ihrem dunkelroten Lippenstift und ihrem honigblonden Haar und Simon mit seinem ordentlich gebügelten Hemd und der goldgeränderten Brille waren beides Menschen mit klaren Konturen.

Selbst das Haus vermittelte eine klare Aussage. Alles, angefangen von der glänzend schwarzen Tür mit den Buntglasscheiben bis zur im Schachbrettmuster gefliesten Vorhalle, machte Eindruck. Das strahlend weiß gestrichene Holz und die leuchtend gelben Wände. Auf dem Weg in die Küche fielen Bruno die Kunstdrucke im Flur auf. Er hätte sie gerne gründlicher betrachtet, aber Della scheuchte ihn weiter, und ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.

»Vorsicht, Kopf!«, rief sie ihm zu, worauf er sich gerade noch rechtzeitig duckte.

Die Küche befand sich im hinteren Teil des Hauses und war ein großer Raum mit Schiebetüren, die in den Garten führten. Addie hatte den Anbau geplant. Kurz blieb Bruno stehen, sah sich um und ließ ehrfürchtig die Ergebnisse ihrer Bemühungen auf sich wirken. Wie wundervoll musste es sein, dachte er, wenn die eigenen Ideen Wirklichkeit wurden.

Die eine Wand wurde von gerahmten Gemälden der Kinder geziert, die andere von einer laminierten Weltkarte. Aus einigen Ländern ragten Stecknadeln. Bruno bemerkte eine in New York und fragte sich, ob er wohl der Grund dafür war.

Unter der Karte war ein langer Holztisch für das Abendessen gedeckt. Leuchtend rosafarbene Servietten steckten zusammengerollt in den Gläsern. In der Mitte des Tisches stand eine flache Schale mit rosafarbenen und roten Rosen. Für die Butter gab es eigene Tellerchen. Die Butter darauf war mit dem Messer glattgestrichen worden.

Die Kinder hatten Tischkarten gebastelt. Auf der von Bruno prangte die amerikanische Flagge, die von Addie war mit Herzchen verziert. Die vier kicherten, als sie ihr die Karten zeigten, hielten die Hände vor den Mund und wanden sich vor unterdrücktem Gelächter.

»Na wartet«, sagte Addie. »Wenn ihr Teenager seid, werde ich mich blutig rächen.«

Sogar Lola hatte eine Tischkarte. Sie war mit Pfotenabdrücken geschmückt und stand neben einem Puddingschälchen voller Wasser auf dem Boden.

Addie war stolz auf sie, als sie alle einander vorstellte. Die Kinder waren zwar temperamentvoll, aber gut erzogen und konnten sich benehmen. »Schön, dich kennenzulernen, Bruno«, verkündete Elsa sehr förmlich und zog schüchtern die Schultern hoch.

»Ich freue mich auch, dich kennenzulernen, Elsa«, erwiderte Bruno im gleichen Tonfall.

Nachdem sie alle ihre Namen genannt hatten, wollte er feststellen, ob er sie sich auch gemerkt hatte. Sie umringten ihn erwartungsvoll.

»Also, lasst mal schauen«, begann er und zeigte auf die Nächstbeste. »Du bist Tess.«

Sie errötete und schüttelte den Kopf.

»Nein!«, protestierte ihre Schwester. »Ich bin Tess!«

»Verzeih mir, Tess.« Er wandte sich wieder an die erste der Schwestern. »Das bedeutet, dass du Stella sein musst.«

Stella nickte heftig. »Unsere Namen kommen alle aus Büchern«, erklärte sie. »Mein richtiger Name ist Estella aus Große Erwartungen.«

»Wie schön, nach einem so wundervollen Buch benannt zu sein«, sagte Bruno, worauf Stella vor Freude wieder errötete.

»Mein Name stammt aus Frei geboren«, verkündete Elsa. »Elsa, die Löwin.«

Bruno nahm das mit einer kleinen Verbeugung respektvoll zur Kenntnis.

»Lisa ist die Einzige, die ihren Namen nicht aus einem Buch hat«, sprach Stella aufgeregt weiter, »sondern aus The Simpsons.«

»Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass es mit dieser Kultur bergab geht«, murmelte Simon.

Doch Bruno nickte feierlich und machte ein ernstes Gesicht. Nur seine Augen lächelten.

Lisa stand vor ihm. Sie trug eine Badehaube auf dem Kopf, einen Badeanzug über einer Strickstrumpfhose und stemmte die Beine in den Boden. Außerdem hatte sie eine Schwimmbrille über die Stirn geschoben, die so eng saß, dass sich ihre Augenbrauen verzogen. Sie starrte Bruno an und rechnete offenbar damit, dass er etwas sagte.

Bruno holte tief Luft.

»Lisa Simpson«, begann er, »ist eine wichtige Figur der literarischen Moderne. Du solltest dich glücklich schätzen, nach ihr benannt zu sein.«

Lisa sah ihn kurz an, machte kehrt und rannte aus der Küche.

»Wir haben es den Kindern überlassen, sich ihren Namen selbst auszusuchen«, sagte Della und stellte ein Glas Wein vor Bruno hin. »Keine Ahnung, was wir uns dabei gedacht haben.«

»Vier Kinder in fünf Jahren«, erwiderte Simon und schob seine Brille zurück. »Wir haben vermutlich gar nicht gedacht.«

Della verdrehte die Augen zur Decke.

»Achte nicht auf ihn«, meinte sie. »Er übertreibt.«

 

Della stand im Garten und rauchte ihre Zigarette. Durch die offenen Türen konnte sie alle am Tisch sitzen sehen. Simon kehrte ihr den Rücken zu. Er kippelte auf seinem Stuhl. Mein Gott, warum konnte er das nicht bleiben lassen? Addie und Bruno saßen nebeneinander. Er beugte sich vor und sprach mit Simon. Dabei lag seine Hand auf Addies Oberschenkel.

Sie konnte zwar nichts verstehen, aber sein Gesicht beobachten, in dem sich aufrichtige Freude malte. Sie mochte ihn bereits, und zwar sehr. Sie war ja so erleichtert.

Sie zog heftig an ihrer Zigarette und sog den Rauch direkt in die Lunge. Ihr war klar, dass sie ein wenig überdreht war. Sie hatte zu viel geredet. Es war ihr sehr wichtig, dass alles klappte und dass er sie sympathisch fand.

Della wandte sich in Richtung Garten. Sie musste unbedingt kurz allein sein. Sie hob das Gesicht zum Himmel und pustete langsam den Rauch aus. Die Bäume an der rückwärtigen Mauer lagen im Schatten, allmählich dämmerte der Abend herauf. Der Garten war in der Dunkelheit wie ein Lebewesen.

»Stört es dich, wenn ich dir Gesellschaft leiste?«

Als sie sich umdrehte, stand Bruno, eingerahmt vom Lichtschein aus der Küche, in der Tür.

»Ich dachte, ich könnte von dir eine Zigarette schnorren, wenn du nichts dagegen hast.«

»Aber natürlich«, erwiderte sie und hastete zurück zum Haus. »Ich hätte dir eine anbieten sollen. Wie unhöflich von mir. Ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass du rauchen könntest. Rassismus, tut mir leid.«

»Ich habe schon vor Jahren aufgehört«, antwortete Bruno. »Habe schon seit über zehn Jahren keine mehr angerührt.«

Sie nahm bereits zwei Zigaretten aus der Schachtel und wollte ihm gerade eine geben, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne.

»Bist du sicher?« Plötzlich fühlte sie sich verantwortlich für ihn.

»Absolut«, entgegnete er. »Ich bin im Urlaub. Da zählt es nicht.«

In Dellas Kopf machte etwas klick, und sie hätte beinahe missbilligend mit der Zunge geschnalzt. Hoffentlich ist das nicht deine Haltung gegenüber Addie, dachte sie. Sie betätigte das Feuerzeug. Als Bruno sich vorbeugte, um seine Zigarette anzuzünden, betrachtete sie sein Gesicht im Schein der Flamme.

»Ich fühle mich, als würde ich mit Crack dealen.« Sie sah zu, wie er an der Zigarette zog und mit geschlossenen Augen die Wirkung des Nikotins genoss.

»Keine Sorge«, sagte er. »Ich übernehme die volle Verantwortung.«

Hoffentlich tust du das wirklich, dachte sie. Hoffentlich.

Eine Weile standen sie wortlos rauchend da. Gerade begann Della, sich Sorgen zu machen, dass sich ein verlegenes Schweigen daraus entwickeln könnte, als Bruno das Wort ergriff.

»Wusstest du, dass Obama raucht?«, fragte er.

»Willst du mich auf den Arm nehmen?«

»Sie haben es geschafft, es mehr oder weniger geheim zu halten. Keine Fotos. Aber er raucht wirklich. Marlboro Red. Offenbar hat er Michelle versprochen aufzuhören, falls er gewinnt.«

»Ich fasse es nicht. Wie konnte er das geheim halten?«

»Wahrscheinlich raucht er auf dem Klo. Keine Kameras. Sie befürchten, dass es sich herumspricht.«

»Dazu haben sie allen Grund. Dass er schwarz ist, ist schon schlimm genug. Falls allgemein bekannt wird, dass er raucht, kann er die Wahl vergessen.«

»Ich weiß«, meinte Bruno bedauernd. Er hielt die Zigarette ausgestreckt und betrachtete sie, während er ausatmete.

»Ich persönlich«, fuhr er fort, »finde es gut, wenn ein Präsident raucht. Vielleicht macht er erst einmal eine Zigarettenpause, bevor er auf den Knopf drückt.«

»Außerdem«, fügte Della hinzu, »war er, bitte nimm mir das nicht übel, ein bisschen zu tugendhaft für meinen Geschmack. Seit ich weiß, dass er raucht, gefällt er mir viel besser. Jetzt ist er perfekt.«

Sie streckte ihre Zigarette zur Seite, als ginge sie sie nichts an.

Bruno nahm genüsslich einen letzten Zug. Dann bückte er sich und drückte die Zigarette in einer Fuge zwischen den Fliesen auf der Terrasse aus und richtete sich, die zerquetschte Kippe ordentlich zwischen Daumen und Zeigefinger, wieder auf.

Della beobachtete ihn lächelnd.

»Schmeiß sie einfach ins Gebüsch«, sagte sie. Nachdem sie ihre eigene Kippe mit einer eleganten Bewegung weggeworfen hatte, drehte sie sich um und kehrte ins Haus zurück.

 

»Du hast total abgenommen«, meinte sie beim Kaffeekochen zu Addie. »Das ist gemein«, flüsterte sie. »Sicher liegt es am vielen Sex.«

Addie blickte rasch über die Schulter, um festzustellen, ob Bruno das gehört hatte, aber der war mit Simon ins Gespräch vertieft.

»Nun«, sagte sie und drehte sich wieder zu Della um. »Wie findest du ihn?«

Della musterte ihn eine Weile, als sehe sie ihn zum ersten Mal, und wandte sich dann wieder an ihre Schwester. Sie legte den Arm um sie und beugte sich zu ihr hinüber.

»Ich finde ihn toll, Ad, wirklich toll.«

Und das war ihr Ernst. Zum ersten Mal im Leben konnte sie ehrlich diese Feststellung machen.

Wenn man die beiden beobachtete, stand es zweifelsfrei fest: Sie passten ausgezeichnet zusammen. Wie sie sich aneinander freuten, hatte etwas Unschuldiges an sich, das an eine Sandkastenliebe erinnerte. Die Art, wie er sie ansah, verriet, dass er in sie verliebt war. Davon war Della überzeugt. Außerdem strahlte Addie. Della hatte sie noch nie so erlebt. Sie wirkte, als hätte sie den ganzen Tag in der Sonne verbracht.

Es gibt keinen Grund zur Sorge, das musste sich Della immer wieder vor Augen halten. Warum sollte etwas schiefgehen? Ich bin nur nervös, weil sie so glücklich ist. Ich möchte nicht, dass sie wieder enttäuscht wird. Ich bin eine Glucke und grüble zu viel. Aber ganz gleich, wie sehr Della sich auch dagegen wehrte, sie wurde das mulmige Gefühl in der Magengrube einfach nicht los. Irgendetwas sagte ihr, dass die Sache ein schlimmes Ende nehmen würde.

 

Wenn sie das nächste Mal nach draußen gingen, um eine zu rauchen, würde sie ihn darauf ansprechen, beschloss sie.

Inzwischen waren die Kinder oben und zogen ihre Pyjamas an. Simon hatte noch eine Flasche Wein geöffnet. Für gewöhnlich schlug er am Sonntagabend nicht so über die Stränge, aber er verstand sich großartig mit Bruno. Ihr gemeinsames Thema war Bruce Springsteen.

»Nicht du auch noch«, stöhnte Addie.

»Wusstest du nicht, dass ich ein Fan von Bruce bin?«, wunderte sich Simon. »Slane Castle, 1985. Ich war dort und habe sogar ein T-Shirt gekauft.«

Della verdrehte die Augen zur Decke. »Das einzige Konzert, auf dem er jemals war, der Spießer.«

»Ich habe ihn auf einer Hochzeit kennengelernt«, erklärte sie Bruno, als sie ihm draußen eine Zigarette gab. »Ich habe ihm eine halbe Ecstasy-Tablette verabreicht, und es endete mit Sex in einer Besenkammer. Deshalb habe ich ihn irrtümlicherweise für einen wilden Buben gehalten.« Sie lachte auf. »Das war das einzig Wilde, was er je im Leben getan hat, außer mich zu heiraten.«

Sie konnte gerade noch erkennen, dass er grinste.

Sie saßen am Terrassentisch. Die Spitzen ihrer Zigaretten glommen im dunklen Garten. Die Fenster waren große gelbe Quadrate an einer schwarzen Hausmauer.

»Bruno«, sagte Della in eindringlichem Ton. »Ich möchte, dass du behutsam mit ihr umgehst.«

Kurz hielt sie inne, um an ihrer Zigarette zu ziehen und den Rauch auszupusten, bevor sie weitersprach. Obwohl sie wusste, dass sie sich einmischte, konnte sie einfach nicht anders.

»Sie ist sehr empfindsam und hat in letzter Zeit viel mitgemacht. Wie ich annehme, hat sie es dir erzählt.«

Bruno zögerte. Er empfand es als Vertrauensbruch, aus dem Nähkästchen zu plaudern, drehte sich um und blickte durch die Glastüren ins Haus, wo Addie, eines von Dellas Kindern auf dem Schoß, am Tisch saß. Sie zwirbelte am Haar des Mädchens herum. Auch die anderen Kinder hatten sich inzwischen wieder an den Tisch gesetzt. Ihre strahlenden Gesichter waren in gelbes Licht getaucht. Lachen wehte zur offenen Tür heraus.

Bruno fühlte sich, als befänden Della und er sich draußen auf dem Meer, trieben auf einem schwankenden Schiff durch die Dunkelheit und betrachteten die Lichter am Ufer.

Er wandte sich zu ihr um.

»Das mit dem Baby hat sie mir gesagt«, begann er.

Della unterbrach ihn, so sehr brannte ihr das Thema unter den Nägeln.

»Es hat ihr viel abverlangt, weißt du. Sie ist noch immer ein wenig wackelig auf den Beinen.«

»Natürlich ist sie das. Ein Baby zu verlieren …«

Allerdings gelang es Bruno nicht, den Satz zu beenden. Fünfzig Jahre alt, und er konnte nur daran denken, wie wenig er sich im Leben auskannte. Er fühlte sich jung und unerfahren, ein bisschen ein Entdecker, der mitten in einen Stamm hineingeraten ist, von dessen Sitten und Gebräuchen er keine Ahnung hat.

»Ein Baby zu verlieren …«, wiederholte er. Der nicht beendete Satz schwebte zwischen ihnen in der Luft. Einen Moment lang glaubte Bruno, sie könnten es einfach dabei belassen.

Aber Della war keine Freundin von unausgesprochenen Dingen.

Ohne den Blick von ihm abzuwenden, warf sie ihre Zigarette ins Gebüsch.

»Addie ist fast vierzig. In anderthalb Jahren wird sie vierzig.«

Sie schickte sich an, sich zu erheben. Die Bewegung hatte etwas Sachliches an sich. Beim Aufstehen strich sie die Vorderseite ihres Kleides glatt und streckte den Rücken, als müsse sie gähnen.

»Kein Baby zu haben«, fuhr sie fort. Kurz verharrte sie neben dem Tisch und neigte beim Sprechen den Kopf leicht zur Seite. »Für eine Frau in Addies Alter hat es viel mehr Bedeutung, kein Baby zu haben, als eines zu kriegen.«

Mit diesen Worten machte sie kehrt und ging ins Haus. Bruno blieb allein im dunklen Garten zurück.

 

Imelda war eindeutig betrunken.

Das wurde Bruno klar, als sie anfing, am Tisch zu rauchen. Sie zündete sich eine neue Zigarette an, bevor sie die alte zu Ende geraucht hatte. Dass diese im Aschenbecher vor sich hin qualmte, schien sie gar nicht zu bemerken. Wortlos griff Simon danach und drückte sie aus. Della nahm die Weinflasche und schenkte allen nach, obwohl die Gläser noch halb voll waren. Addies Hand schoss nach vorne, um ihr Glas abzudecken, aber Della hatte bereits mit dem Eingießen angefangen. Ein paar Tropfen landeten auf Addies Hand. Sie leckte sie ab.

Dann legte sie die Hand wieder auf Brunos Bein. Sofort breitete er seine darüber.

»Also, Bruno«, fragte Della mit einem drohenden Unterton in der Stimme. »Wie lange bleibst du noch?«

Addie bemühte sich um Ruhe, während sie auf Brunos Antwort wartete. Sie hätte Della umbringen können, doch Bruno war die Höflichkeit in Person.

»Mein Rückflugticket ist auf den 5. November ausgestellt«, erwiderte er. »Das ist der Tag nach der Wahl.«

Addie entging nicht, wie er sich ausgedrückt hatte, und sie klammerte sich wider besseres Wissen an diese kleine Hoffnung.

»Wenn Obama gewinnt«, fuhr er fort, »werde ich im Triumph zurückkehren.«

»Und wenn nicht?«, hakte Simon nach.

Addie war schon gespannt auf die Antwort, aber Della ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Hörst du jetzt endlich auf? Wie oft soll ich dir noch sagen, dass Obama gewinnt? Obama wird gewinnen.«

Addie hätte sie am liebsten erdrosselt.

Doch natürlich hatte Della recht. Es war unvermeidlich, der Lauf der Geschichte. Addie fühlte sich so entsetzlich hilflos, als säße sie auf einem Felsen und sähe zu, wie sich die Flut näherte. Und wenn wieder Ebbe einkehrte, würde sie Bruno mit sich forttragen. Und sie würde wieder ganz am Anfang stehen. Sie hatte schon das Bild vor Augen, wie sie allein mit ihrem kleinen Hund am Strand spazieren ging. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen.

Im nächsten Moment fuhr sie hoch und versuchte festzustellen, wer gerade redete.

Bruno erklärte Simon etwas, das mit seinem Beruf zusammenhing.

»Meine Tätigkeit ist ziemlich speziell«, meinte er. »Ein bisschen so, als ob man versuchen würde, Sandsäcke zu verkaufen, wenn die Überschwemmung vorbei ist. Ich glaube, nach Leuten wie mir herrscht keine sehr große Nachfrage mehr.«

»Das ist der große Vorteil, wenn man Arzt ist«, erwiderte Simon. »Krank werden die Menschen immer.«