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Als der Sonntag kam, an dem der Flohmarkt stattfinden sollte, war Pauline bereit, nicht jedoch ihr Chef.
»Pauline, ich kann das einfach nicht billigen. Bitte verzeihen Sie. Ich weiß, Sie tun das nur, um mir zu helfen, aber unter sämtlichen Breitengraden, unter denen ich je gelebt habe, würde man sagen, dass Ihr verrückter Plan zum Scheitern verurteilt ist.«
»So eine Enttäuschung! Für mich waren Sie doch ein Held … Der Mann, der am anderen Ende der Welt Leben rettet, der mitten in einer Windhose, die einer Kuh die Haare vom Kopf reißen würde, an einem Steilhang ratzfatz Drillinge auf die Welt holt, der Kerl, der eine Kugel abkriegt, nur weil er einem Jungen zugewinkt hat, und der zur Tarnung lila Pullover trägt. Und jetzt wollen Sie vor einem harmlosen kleinen Trödelmarkt kneifen?«
»Machen Sie sich etwa schon wieder über mich lustig?«
»Wie können Sie das nur glauben? Wie auch immer, die Würfel sind gefallen. Für Schwarzmalerei ist es jetzt zu spät. Außerdem ist herrliches Wetter. Nun steigen Sie ein, alle anderen sind schon drin.«
»Wie sind Sie an diesen Minibus gekommen?«
»Ich musste mit einem Dutzend Männer schlafen und eine Niere verkaufen.«
»Sie sind ja verrückt. Ich verstehe allmählich, warum der andere Direktor nicht wollte, dass Sie die Heimbewohner mit in den Supermarkt nehmen. Außerdem haben Kühe keine Haare.«
»Süß, sobald Sie gestresst sind, nehmen Sie alles bitterernst. Sie reagieren über. Genauso wie in Situationen, in denen es um Emma geht.«
Thomas gab ihr hastig ein Zeichen, leiser zu sprechen, und runzelte die Brauen.
»Was soll das heißen, ich reagiere über?«
»Sehen Sie sich doch an. Ein echter junger Vater. Nur dass Ihr Baby fast zwanzig ist. Was den Minibus angeht, da habe ich einfach meinen Nachbarn gebeten, mir das Fahrzeug seiner Hilfsorganisation zu leihen. Er fährt das ganze Jahr lang Behinderte durch die Gegend und hatte deshalb sofort Verständnis dafür, dass ich mit unseren Senioren einen Ausflug machen wollte.«
Sie drehte den Schlüssel im Zündschloss. Thomas ging nach hinten zu den Heimbewohnern.
»Sind alle angeschnallt?«, fragte Pauline.
Ein allgemeines »Ja!« hallte durch den Wagen. Es war wirklich wie in einer Jugendfreizeit. Keiner der Heimbewohner hatte sich lange bitten lassen.
»Das erinnert mich an damals, als ich mit meinen Eltern in die Ferien fuhr!«, bemerkte Chantal.
»Mich auch!«, stimmte ihr Francis begeistert zu. »Mademoiselle Choplin, darf ich ›Maman‹ zu Ihnen sagen?«
»Nicht mal im Traum …«
Thomas beugte sich zur Fahrerin vor.
»Was haben Sie ihnen erzählt?«
»Nur das Allernotwendigste. Wir machen einen Ausflug, wir spielen einem jungen Mädchen einen Streich, wir picknicken, und dann fahren wir wieder heim. Haben Sie Bargeld dabei?«
»Natürlich.«
»Ich glaube, dann sollten Sie es jetzt schon verteilen. Eine amüsante Situation, finden Sie nicht? Man kommt sich vor wie in einem Film aus dem Kalten Krieg, mit Spionen, die sich auf ihre Mission vorbereiten. Wir haben sogar einen Oberst. Und Agenten der Kommandozentrale ›Gebiss‹!«
Pauline lachte schallend über ihren Witz. Thomas schüttelte nur den Kopf. Hoffentlich wurde aus dieser Mission kein Selbstmordkommando … Er quetschte sich wieder zwischen den Sitzen durch und setzte sich nach hinten zu seiner Truppe.
Der Minibus entfernte sich vom Heim und fuhr Richtung Stadtgrenze. Chantal sah glücklich lächelnd aus dem Fenster. Selbst Hélène, die nicht zu Freudenausbrüchen neigte, war aufgeregt wie ein kleines Mädchen. Francis ergriff das Wort: »Doc, wie lauten die Anweisungen?«
»Wenn wir auf dem Flohmarkt sind, wird Ihnen Pauline eine junge Frau zeigen, die verschiedene Gegenstände zum Kauf anbietet. Sie gehen alle einzeln hin und kaufen ihr etwas ab. Ziel des Spiels ist es, möglichst viele Gegenstände zu bekommen. Ganz gleich, was. Sie darf nichts übrig behalten. Ist das klar?«
Alle Mitglieder der Gruppe nickten. Chantal hob die Hand, als säße sie in einer Schulklasse und wollte eine Frage stellen.
»Kaufen wir ihr die Sachen ab, oder klauen wir sie? Denn ich habe keinen Cent bei mir …«
»Dazu komme ich jetzt.« Thomas holte ein dickes Bündel Banknoten aus der Tasche seines Blousons.
Jean-Michel stieß einen bewundernden Pfiff aus.
»Alle Achtung, das ist ja ein dicker Batzen Geld …«
»Sind Sie reich?«, fragte Françoise, direkt wie immer.
»Eigentlich nicht, aber ich wurde fünfzehn Jahre lang bezahlt und habe nichts ausgegeben. Daher habe ich etwas auf der hohen Kante.«
»Warum finanzieren gerade Sie diesen Scherz?«, erkundigte sich Francis.
»Um jemandem, den ich sehr liebe, eine Freude zu machen.«
Thomas gab jedem ein kleines Päckchen Banknoten. Francis steckte sie in die Tasche, Jean-Michel hielt jede einzelne gegen das Licht, um sie auf ihre Echtheit hin zu überprüfen, Hélène verstaute sie in ihrer Handtasche, und Chantal behielt sie einfach in der Hand.
»Haben Sie kein Geld für sich zurückbehalten?«, fragte Françoise. »Wollen Sie nicht mit uns kommen?«
Darauf fiel Thomas keine Antwort ein, doch Pauline half ihm aus der Klemme.
»Er muss beim Minibus bleiben. Wir sind für ihn verantwortlich und müssen gut auf ihn aufpassen.«
Jetzt, so relativ früh am Morgen, war wenig Verkehr. Pauline nahm die Ausfahrt und fuhr über die Landstraßen, um ihren Schützlingen ein zusätzliches Vergnügen zu gönnen. Nach der landwirtschaftlich genutzten Ebene führte die Straße am Fuß der Berge an einem riesigen Wald entlang. Jean-Michel war vollkommen fasziniert, als er auf einer Koppel auf der anderen Straßenseite Pferde entdeckte. Er richtete sich auf und presste wie ein Kind die Hände gegen die Fensterscheibe. Hélène schaute zum Himmel auf, als wollte sie sich die Augen verbrennen. Thomas hingegen konzentrierte sich auf die Straße. Erleichtert bemerkte er, dass Pauline diesen Wagen weit vorsichtiger fuhr als ihren eigenen.
Die Dorfmitte, wo die Veranstaltung stattfand, war gesperrt. Pauline parkte den kleinen Bus hinter dem Rathaus und half den Heimbewohnern gemeinsam mit Thomas beim Aussteigen. Das Grüppchen trippelte auf die Kirche zu, vor der die Stände aufgebaut waren.
Kurz bevor sie dort ankamen, schlug Thomas vor, noch eine Pause auf einer Bank einzulegen. Unauffällig holte er noch einmal sämtliche Fotos von Emma aus seinem Rucksack und zeigte sie Pauline.
»Bitte achten Sie darauf, dass unsere Komplizen alles kaufen, ganz gleich, wie abgenutzt es ist. Sie sollen mir ihre Käufe hierherbringen, ich trage sie dann zum Minibus.«
»Sie wollen aus der Ferne zuschauen? Meinen Sie, das geht?«
»Ich bin leider daran gewöhnt, meiner Tochter aus der Ferne zuzuschauen …«
Thomas holte ein Fernglas aus dem Rucksack und zeigte es ihr.
»Damit werde ich sie beobachten.«
»Und Sie behaupten, ich sei verrückt …«
Thomas wandte sich an die Heimbewohner, die schon wieder aufgestanden waren und zur Tat schreiten wollten.
»Ich bin Ihnen für Ihre Hilfe wirklich sehr dankbar. Ich verlasse mich auf Sie. Wenn Sie müde werden, kommen Sie bitte zu mir zurück, zwingen Sie sich zu nichts.«
»Geht’s los?«, fragte Francis.
»Klar zum Absprung, Oberst, und denken Sie daran, das hier ist keine Übung.«
Als er die alten Damen und Herren begierig auf den Trödelmarkt zuhumpeln sah, wusste Thomas nicht, ob er über dieses Bild schmunzeln oder sich vielmehr vor den Folgen fürchten sollte.