Jubelarien
In klassischen Konzerten
applaudiert
man erst am Ende, in der Oper
hingegen während der Aufführung.
Muss das sein?
Zugegeben: Auch mich stört manchmal das Beifallsgedonner, vor allem am Ende von Stücken, wenn man es gerne noch ein bisschen nachklingen lassen möchte. Andererseits deute ich das Gerede über die angeblich so tollen Regieeinfälle, ohne das kein Pausengespräch und keine Rezension heutzutage mehr auskommt, als Zeichen einer bedauerlichen Dekadenz des Opernbetriebes. Denn dabei wird vergessen, dass bei einer Opernaufführung doch die Sänger im Mittelpunkt stehen sollten. So sieht man das übrigens auch in Neapel oder Mailand. Da dreht sich alles um die Sänger. Als man Toscanini einmal bat, er solle einen Tenor für die Inszenierung freigeben, damit dieser hinten auf der Bühne stehen könne, um dann nach vorne zu kommen, sagte er in gebrochenem Deutsch: »Nein, bei mir steht Tenor vorne, aber singt gut!«
Es sind ja leider auch viele Rezensionen falsch gewichtet. Da erklärt der Kritiker auf zweihundert Zeilen, warum der Regisseur das Stück in eine andere Zeit verlegt hat und was das Bühnenbild bedeutet – und ganz zum Schluss heißt es knapp: »Der sang leis, und der sang laut.« Diese Tendenz kann man beim Schauspieltheater ebenfalls beobachten.
Je weiter man in den Süden kommt, desto mehr feiert das Publikum die Darsteller und die Sänger. Das ist, finde ich, ein Zeichen von Gesundheit. Der deutsche Schauspiel- und Opernbetrieb neigt dazu, Inszenierungen zu intellektualisieren. Ich betrachte es deshalb mit einer gewissen Milde, wenn bei hiesigen Aufführungen die Sänger nach einer Arie bejubelt werden, auch wenn es mich vielleicht persönlich stört. Denn Beifall stellt Gemeinsamkeit her und ist ein gesellschaftliches Ritual. »Wir waren bei dieser Premiere dabei! Uns hat es gefallen!« Das kann nach einer langen Aufführung eine herrlich erlösende Antwort sein. Zum Opernbetrieb gehört eben nicht nur die höhere Kunst, sondern auch, dass Menschen zusammenkommen und Stars feiern. Sofern es diese Stars wert sind, gefeiert zu werden.
Es ist kein Zufall, dass Wagner, der diese Jubelkonventionen ablehnte, sogar den Beifall verboten hat: In Bayreuth darf nicht geklatscht werden, nicht einmal am Schluss. Mittlerweile geschieht es doch; und wie Sänger so sind, messen sie mit einer Stoppuhr nach, wie lange der Beifall dauert, und sind dann bescheiden genug, ihn auf sich zu beziehen.