Kapitel 3

An der Stallwand hockend, einen Arm über seinen schmerzenden Rippen, öffnete Dominic die Augen. Er neigte den Kopf ein wenig und horchte aufmerksam. Da war noch ein Geräusch außer dem Scharren des Pferdes.

Die leichten Schritte vor dem Stall bedeuteten, dass der Kommende entweder zögerte oder vorhatte, Dominic zu überraschen, solange er in der Falle saß. Vielleicht wollte er das Versprechen des Bäckers und des Schmiedegesellen erfüllen: »Wenn du Clovebury nicht so schnell verlässt, wie du kannst, kommen wir wieder und schmeißen dich eigenhändig aus dem Dorf. Wir dulden keine Diebe bei uns!« Dazu hatte der Bäcker das Gesicht verzogen, weil Dominic ihm ein blaues Auge verpasst hatte – als Vergeltung für den Kinnhaken, den er hatte einstecken müssen. Anschließend waren beide gegangen.

Für einen kurzen Moment hoffte Dominic, dass es Gisela wäre, die da kam. Er fragte sich, was sie von seinem Schatz halten mochte und ob sie begriff, was er ihr damit hatte sagen wollen. Ihm fehlte das Gefühl des Stoffes auf seiner Haut, doch er hatte keine andere Möglichkeit gesehen, ihr zu beweisen, dass sie ihm trauen konnte.

Dennoch könnte die Geste vergebens gewesen sein. Immerhin hatte Gisela ihn nicht vor lauter Freude über das Wiedersehen mit Küssen überhäuft, bei denen ihm die Knie weich wurden. Stattdessen hatte sie vorhin reagiert, als wollte sie ihn niemals wiedersehen – womit eher unwahrscheinlich war, dass sie noch einmal herkäme.

Vor der Stalltür knirschten die Kiesel leise. Dominic nahm die Hand von seinen Rippen, stemmte sich an der Wand ab und richtete sich lautlos halb auf. Schmerz brannte in seiner rechten Seite. Er biss die Zähne zusammen, was sein angeschlagenes Kinn ihm übelnahm. Fast hätte er gestöhnt, doch er konnte es in letzter Sekunde unterdrücken. Dies war nicht der Zeitpunkt, um über körperliche Beschwerden nachzudenken.

Seine Sicht war leicht verschwommen, und er schüttelte den Kopf, während er sich zwang, sich auf denjenigen zu konzentrieren, der da kam. Mit einer Hand griff er nach dem Messer in seinem Stiefel. Seine Finger umschlossen den kühlen Griff, und die dünne scharfe Klinge glänzte, als er sie hervorzog.

Dann richtete er sich zur vollen Größe auf. Falls nötig, könnte er mit tödlicher Sicherheit angreifen. Das hatte er spätestens in dem Augenblick gelernt, als er schweißgebadet und mit blutigem Kettenhemd einem Feind gegenübergestanden und gewusst hatte, dass er nur eine Wahl hatte, wenn er überleben wollte.

Trotzdem widerstrebte ihm die Vorstellung bis heute, ein anderes Leben auszulöschen. Sollte derjenige, der nun kam, allerdings vorhaben, ihn umzubringen, bliebe ihm wieder keine andere Wahl – genau wie auf dem Kreuzzug.

Stroh raschelte.

Jeden Moment würde der Herannahende neben den Heuballen auftauchen.

Vorsichtig bewegte Dominic sich nach vorn, ohne auf seine Schmerzen zu achten, und horchte.

Wartete.

Eine Gestalt, die in einen Umhang gehüllt war, erschien. Sie hielt etwas in der Hand. Eine Waffe? »D…?«

Bevor sein Verstand einsetzte, stürzte er los. Er sprang auf den Eindringling zu, rammte ihn gegen die Stallwand und hob sein Messer mit der Rechten, während er die Linke auf den Hals des Angreifers drückte. Erst jetzt fiel ihm auf, wie zart die Person im Vergleich zu den beiden Männern vorhin war.

Etwas Hartes fiel ihm erst auf den Zeh, bevor es im Stroh landete.

»Dominic!«, hauchte Gisela. Unter der Kapuze ihres Umhangs war ihr Gesicht weiß wie Schnee. Gleichzeitig fühlte Dominic die weiche Rundung ihrer Brüste unter dem Wollumhang, erkannte das goldene Haar und ihren süßen Duft.

»Jesus!« Er nahm den Dolch herunter und trat zurück. »Entschuldige!«

Sie öffnete den Mund, doch es kam kein Laut heraus.

Der Angriff hatte ihn einiges an Kraft gekostet, von der er ohnehin nicht mehr allzu viel besaß. Er rang sich ein reumütiges Lächeln ab. »Wir sollten aufhören, uns unter solch verdrießlichen Umständen zu treffen, Gisela, sonst wird’s irgendwann gefährlich.«

Sie hob eine zitternde Hand an ihre Lippen und starrte entgeistert auf den Dolch. Dann sah sie auf einmal aus, als wäre ihr schlecht, und ihre Finger wanderten zu ihrer rechten Brust.

»Gisela?«, murmelte er.

Sie schien ihn nicht zu hören, sondern starrte weiter auf das Messer, das offenbar eine furchtbare Faszination auf sie ausübte. Das Entsetzen auf ihrem Gesicht …

»Gisela!«

Immer noch wie in Trance presste sie die Hand auf ihren Umhang, als wollte sie eine Wundblutung stillen.

Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken. Nach der Schlacht hatte er Männer in einem ähnlichen Zustand erlebt: vollkommen überwältigt von den Grausamkeiten, die sie bezeugten, zogen sie sich ganz in sich selbst zurück. Und manche schafften es nie wieder, aus dem Nebel herauszufinden.

Aber warum reagierte sie so? Schließlich hatte sie keinerlei Kriegserfahrung.

Er bückte sich, um das Messer in die Scheide zurückzustecken. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, trat er an ihr vorbei und hob den Gegenstand auf, der ins Stroh gefallen war. Es war ein kleiner Tontopf.

Dominic öffnete den Deckel und staunte, als ihm Kräuterduft entgegenschlug. Sie war gekommen, um seine Wunden zu versorgen!

Also war ihr nicht egal, was mit ihm geschah.

Er schloss den Deckel wieder und drehte sich zu Gisela um. Ihre Hand hielt sie noch über ihrer Brust, doch inzwischen war ihr Gesicht weniger bleich und ihr Blick klarer.

Sosehr er sich auch bemühte, es nicht zu tun, er musste zu der Hand auf ihrem Busen sehen. Er erinnerte sich nur zu gut an ihre Brüste, wie sie vom teils offenen Mieder umrahmt waren. Wie weich sie sich angefühlt hatten, so vollkommen, als er sie mit seinen Händen umfing!

Hatte er sie verwundet, als er sie gegen die Wand rammte? Womöglich hatte sie sich übel gestoßen oder er sie sogar versehentlich geschnitten. »Habe ich dich verletzt?«

Sie stieß einen seltsamen Laut aus, bevor sie den Kopf schüttelte und errötend die Hand von ihrer Brust nahm.

Dominic rieb sich übers Kinn, weil er irgendetwas mit seiner Hand anstellen musste, die sich unbedingt an die Stelle legen wollte, die ihre gerade verlassen hatte.

»Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte er, um das unangenehme Schweigen zu brechen.

»W-warum hast du mich mit einem Messer bedroht?«, stammelte sie und legte die Arme um ihren Oberkörper, als fröstelte sie.

»Ich dachte, du seist der Bäcker mit seinem Freund, die dafür sorgen wollen, dass ich Clovebury verlasse.«

Sie sah mitfühlend auf sein gerötetes Kinn. »Hat der Bäcker dich geschlagen?«

»So oft wie ich ihn. Er hat mich ziemlich übel an den Rippen erwischt.« Dominic lachte leise, verzog allerdings sofort das Gesicht vor Schmerz. »Glaub mir, Gisela, hätte ich gewusst, dass du es bist, ich hätte nie meinen Dolch gezogen!«

Ein vorsichtiges Lächeln umspielte ihre Lippen. »Du hast nicht vor, mich von hier wegzubringen?«

Er stutzte. »Was meinst du damit?«

»Ich muss es wissen, Dominic, unbedingt! Du bist nicht gekommen … geschickt worden von …?« Ihre Stimme bebte. »Du bist nicht …«

»Niemand hat mich geschickt, dich zu suchen oder dich gewaltsam von hier wegzubringen, falls du das fragen willst.«

Ein kleiner Hoffnungsschimmer huschte über ihre Züge. »Ist das … die Wahrheit?«

Nun war er verärgert. Ihr Misstrauen schmerzte ihn mehr, als er erwartet hätte, vor allem, nachdem er ihr die Kette überlassen hatte. Andererseits schien sie einen Grund zu haben, selbst an ihm zu zweifeln, dem sie vor langer Zeit mehr als irgendjemandem sonst vertraut, dem sie sogar ihre süße Unschuld geschenkt hatte.

Was war mit ihr geschehen? Was – oder wer – hatte seine fröhliche, lebendige Gisela in eine verängstigte, misstrauische Frau verwandelt, die sich im Schatten versteckte und das Sonnenlicht mied?

Er würde es herausfinden.

»Selbstverständlich ist es die Wahrheit«, antwortete er mit einem angestrengten Lächeln. »Welchen Grund hätte ich, dich zu belügen?«

Der Hoffnungsschimmer wurde ein klein wenig heller. »Versprich es mir, Dominic!«

Bei diesem Satz meldeten sich abermals Erinnerungen. Sie saß in einer Blumenwiese und lächelte traurig. Versprich es mir, Dominic! Versprich, dass du dich im Herzen an mich erinnern wirst, ganz gleich, was dir widerfährt! Ich werde dasselbe mit dir tun, mein Liebster. Ich werde dich niemals vergessen.

Seine Augen brannten. Diesmal war es schwieriger, zu lächeln. Seine Hand schloss sich fester um den Salbentopf und erwärmte den lackierten Ton. »Ich verspreche es«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich bin kein feuerspeiender Drache, Gisela, der gekommen ist, um dich zu vernichten. Ich bin bloß ein Mann aus Fleisch und Blut.« Der dich furchtbar, entsetzlich vermisst hat.

Ihr Ausdruck wurde merklich weicher, und sie atmete erleichtert aus, bevor sie heftig blinzelte. Tränen glänzten in ihren Wimpern. »Gott sei Dank!«

»Gisela …«

Mit einem Seufzer kam sie auf ihn zu. Er sehnte sich danach, sie in die Arme zu schließen, ihr seidiges Haar zu küssen, sie festzuhalten und ihr zuzuflüstern, dass sie sich nie wieder vor Drachen zu fürchten brauchte, denn er würde sie mit Kieseln und Stroh niederschlagen, wenn es sein musste.

Würde sie sich von ihm umarmen lassen? Vielleicht fände sie es dreist, wenn er es einfach versuchte.

Wahrscheinlich gehörte sie jetzt einem anderen Mann.

Ach, was für ein grausamer Gedanke!

Unmittelbar vor ihm zögerte sie. Ihr Duft, der Erinnerungen an Sommerwiesen wachrief, verlockte ihn. Ein Teil von ihm flehte um Abstand, auf dass die Versuchung nachlassen mochte.

Er konnte nicht zurückweichen. Wie vor langer Zeit schon war er aufs Neue …

Gefangen.

Als sie den Kopf hob, fiel ihr das Haar in goldenen Wellen über die Schultern. In ihren Augen erblickte er einen wahren Strudel von Gefühlen. Vorsichtig und zurückhaltend musterte sie ihn. Verglich sie den Mann aus ihrem Gedächtnis mit dem, der nun vor ihr stand?

Ein leiser Laut, nicht ganz ein Schluchzen, drang aus ihrem Mund. In jedem ihrer zittrigen Atemzüge schwang ein Hauch von Freude mit.

Dominic war so gebannt von ihrem Duft, dass er gar nicht mit ihrer Berührung gerechnet hatte. Sachte wie die Blütenblätter eines Gänseblümchens strichen ihre Fingerspitzen über sein Kinn – eine scheue, beinahe ungläubige Erkundung.

»Ach, Dominic!«, flüsterte sie, und Tränen strömten ihr über die Wangen. »Ich kann noch gar nicht glauben, dass du hier bist.«

»Ich bin es.« Er ignorierte den Schmerz und ergriff ihre Hand, die er fester auf sein Gesicht drückte.

»Wie …«, begann sie schluchzend.

»Ich erzähle dir alles«, versprach er, »was immer du wissen willst.« Dann nahm er ihre Hand von seiner Wange und küsste die Innenfläche. »Es tut so gut, dich zu sehen, Gisela!«

»Ja«, sagte sie leise und schaute in ihre Hand, als könnte sie seinen Kuss dort sehen.

Ohne den Blick von ihr abzuwenden, ließ er den Salbentopf ins Stroh fallen und berührte eine Locke ihres Haars. Es war noch genauso erstaunlich seidig, wie er es in Erinnerung hatte. Ein Stöhnen entfuhr ihm, als sie erschauderte, aber nicht zurückwich.

Küss sie!, forderte eine Stimme in seinem Kopf. Wie früher!

Er wollte gerade einen Arm um sie legen, um sie näher an sich zu ziehen, als er Männerstimmen auf dem Tavernenhof hörte. Gisela erschrak, wich zurück und setzte sich hastig die Kapuze auf, bevor sie ängstlich wie ein Reh zur Stalltür sah.

Ein bitterer Geschmack breitete sich in Dominics Mund aus. Er hasste es, welche Veränderung sie durchgemacht hatte!

»Keine Angst!«, versuchte er sie zu beruhigen. »Das sind gewiss nur Bauern, die noch etwas trinken gehen wollen.«

»Oder die beiden Männer kommen zurück.«

Er grinste. »Wenn ja und es kommt zu einer weiteren Auseinandersetzung, werde ich dich beschützen.«

»Du bist verletzt!«, entgegnete sie.

»Ein bisschen, ja, aber ich kann immer noch kämpfen.«

Bei Gott, sie schien drauf und dran, ihn zu schelten! Als wäre er ein unwissendes Kind, das nicht einmal allein seine Unterwäsche anziehen konnte, dachte er mürrisch.

Sie streckte die Hände nach ihm aus. »Deine Wunden müssen versorgt werden. Du kannst nicht kämpfen, wenn du verwundet bist.«

Nicht? Pah!

»Dominic, du kannst nicht hierbleiben! Du musst mit mir nach Hause kommen.«

 

Du musst mit mir nach Hause kommen.

Noch während sie die Worte aussprach, nagte Giselas Angst wieder an ihr. Dominic mit nach Hause zu nehmen würde sie vor eine vollkommen neue Situation stellen, von der sie nicht wusste, wie sie mit ihr umgehen sollte. Allein bei der Vorstellung, dass er mit Ewan in einem Raum wäre, zog sich ihr der Magen unangenehm zusammen. Dennoch gab es momentan keine andere Wahl, es sei denn, sie ließ ihn in diesem Stall zurück, und das war ausgeschlossen.

Dominic sah sie mit einem recht merkwürdigen Ausdruck an – einer Mischung aus Unglaube und Freude. Fast als hätte sie ihm gesagt, sie sollten sich beide nackt ausziehen und kopfüber von den Dachbalken baumeln.

Jedenfalls traute sie ihm zu, sich so etwas auszumalen.

Er räusperte sich. Leise, damit sie draußen nicht zu hören waren, sagte er: »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?«

Nein. Wahrscheinlich war es die dümmste Idee, die sie je gehabt hatte, aber sie lächelte zuversichtlich. »Selbstverständlich.«

Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Wieder waren die Stimmen draußen zu hören. Sie sah zur Stalltür. Ihre Anspannung war so unerträglich, dass sie schreien wollte. Eilig bückte sie sich, um den Salbentopf aufzuheben, bevor sie Dominic bedeutete, dass er ihr folgen sollte. Mit schnellen Schritten ging sie auf die Stalltür zu.

Hinter ihr murmelte er etwas.

Sogleich versteifte sie sich. Sollte er noch einen unsinnigen Einwand äußern …

Neben ihr raschelte Stroh, bevor eine starke Hand sie am Ellbogen packte. Unwillkürlich dachte sie an Ryles unbarmherzigen Griff und fuhr ängstlich zusammen.

Nachdem er einen leisen Fluch ausgestoßen hatte, ließ Dominic sie sofort los. Fragend sah er sie an. Zwar gab er sich sichtlich Mühe, seine Sorge nicht zu sehr zu zeigen, doch ganz verborgen blieb sie ihr nicht. »Teufel auch, Gisela, sobald wir ungestört sind, will ich wissen, warum du so verängstigt bist!«

Dieser Befehlston gefiel ihr nicht, überhaupt nicht. Früher war er bei aller Kühnheit stets so freundlich und rücksichtsvoll gewesen. Andererseits dürfte ihm gerade die neue Härte, die sie an ihm wahrnahm, wesentlich dabei geholfen haben, die Schlachten zu überleben, die er hatte ausfechten müssen. Doch kampferprobter Krieger hin oder her, seine Ausdrucksweise weckte die mütterlich strenge Ader in ihr.

»Wenn wir ungestört sind«, erwiderte sie leise, »wirst du deine Zunge zäumen. Du redest ja wie ein Trunkenbold!« Und sie wollte gewiss nicht Tage damit verbringen, Ewan abzugewöhnen, solche Wörter fortwährend nachzuplappern.

Dominic lüpfte die Brauen.

War das zu fassen? Er besaß doch allen Ernstes die Stirn … beleidigt zu sein?

»Außerdem wirst du«, fuhr sie flüsternd fort, »mich in Gegenwart anderer Anne nennen.«

»So wie der Bäcker vorhin?«, murmelte Dominic. »Warum?«

»Weil ich in diesem Dorf unter dem Namen bekannt bin.«

»Aha.« Er schmunzelte. »Und was ist sonst noch falsch – außer dem Namen?«

»Dominic! Ich verlange lediglich, dass du deine Worte mit etwas mehr Bedacht wählst.«

»Schon gut«, lenkte er grinsend ein. »Ich werde ein sehr braver Ritter sein.«

Er klang wie Ewan. Noch dazu hatte er dasselbe schelmische Funkeln in den Augen. O Gott, war es wirklich klug, ihn in ihr Haus mitzunehmen? Aber was blieb ihr anderes übrig? Nichts. »Wir sollten uns auf den W…«

Draußen brach Gelächter aus.

Sofort wurde Dominic wieder ernst. »Hilf mir hier raus!«, flüsterte er und zeigte auf seinen langen schmutzigen Mantel.

»Was? Wieso …«

»Der Bäcker und der Schmiedegeselle, ebenso wie all ihre Freunde, kennen mich als Bettler. Also sollte ich die Verkleidung lieber hierlassen.« Er reichte ihr sein Messer, wand das Tau auf, mit dem der Mantel zusammengehalten war, und begann, ihn sich abzustreifen. Dabei verzog er das Gesicht vor Schmerz.

»Lass mich das machen!« Ihr Zittern, als sie ihm half, wurde dadurch nicht weniger, dass sie deutlich spürte, wie sein Atem ihre Wollkapuze wärmte. Zudem fühlte sie die Hitze seines Körpers unter dem weiten Gewand, das kurz darauf ins Stroh fiel. Darunter trug Dominic eine schlichte braune Tunika, eine Hose und Stiefel. Ohne den weiten Umhang kam seine muskulöse Gestalt ungleich besser zur Geltung.

Für einen Moment begegneten sich ihre Blicke. Dann nahm er ihr den Dolch wieder ab und trat einen Schritt vor, um sie mit seinem Leib abzuschirmen Der Dolch blitzte im schwachen Licht.

Mit seiner freien Hand bedeutete er ihr, still stehen zu bleiben, während er sich leise der Tür näherte, um hindurchzuspähen. Gisela entging nicht, wie er bei jeder Bewegung die Luft anhielt.

Einen Augenblick später gab er ihr ein Zeichen, ihm zu folgen.

»Die Männer gehen in die Taverne«, flüsterte er. »Wenn sie drinnen sind, können wir uns davonschleichen.« Während er sprach, drehte er den Dolch so, dass die Klinge unter seinem Ärmel verborgen war.

Sie nickte und nahm die Hand, die er ihr reichte.

Allein diese vergleichsweise harmlose Berührung reichte, um Gisela vollständig zu wärmen – wie Sonnenstrahlen, die hinter einer Regenwolke hervorkamen. Dominics Haut war ein wenig rissig, auch wenn die Sanftheit, mit der er ihre Finger umfasste, Erinnerungen an lang zurückliegende zärtliche Momente wachrief. Da war ein Hauch von Erregung und … Zugehörigkeit.

Unsicher sah sie zu Dominic auf, der sie zur Stalltür führte. Falls er bemerkt hatte, was seine Berührung in ihr auslöste, überging er es geschickt, denn er warf ihr nicht einmal einen Blick zu. Stattdessen zog er sie dicht hinter sich, als er mit ihr aus dem Schatten in das helle Sonnenlicht trat.

Schmutz knirschte unter seinen festen großen Schritten, die so gar nicht mehr an das träge Schlurfen des Bettlers erinnerten, den er zuvor gespielt hatte. Zügig ging er mit ihr in die enge Gasse, während grölendes Gelächter aus der Taverne drang. Gisela wagte einen Seitenblick und sah, dass zwei Männer durch die offene Wirtschaftstür gingen.

Hinter ihnen schwang die verwitterte Holztür zu.

Gisela atmete erleichtert auf.

Mit einem leisen Lachen drehte Dominic sich zu ihr um. »Fürwahr ein tiefer Seufzer, Gisela!«

»Wir scheinen nicht verfolgt zu werden.«

»Soweit wir wissen.«

Sie schluckte. »Du meinst …«

»Jedenfalls sollten wir nicht trödeln«, warnte er und beschleunigte seine Schritte. »Vorn an der Straße könnte uns noch jemand auflauern.«

»Dir, meinst du«, korrigierte sie. »Du musst ein gefährlicher Mann sein, Dominic.«

Seine Anspannung war nicht zu übersehen, als er rascher wurde. Vom Marktplatz wehte ihnen der Feuergeruch des Schmiedestands entgegen. »Das hätte ich nicht gedacht«, murmelte er.

»Aber du hattest einen Grund, dich als Bettler zu verkleiden. Hast du Feinde in Clovebury?«

Plötzlich erstarrte er, und gleich darauf drückte er sie mit dem Rücken gegen die Mauer eines Hauses. Sie vermutete schon, dass er etwas Verdächtiges gehört hatte, aber er flüsterte nur: »Darüber reden wir später.« Dann nahm er das Messer aus seinem Ärmel, bevor er vorsichtig um die Ecke sah.

Eine verschlossene Wachsamkeit überschattete seine Züge, während sein Mund ungewöhnlich hart und streng wirkte. Er schien wie eine wildere, härtere Version des Mannes, den Gisela geliebt hatte, und sie fragte sich unwillkürlich, wie gut sie ihn eigentlich kannte – und ob er ihr verraten würde, was sie wissen musste.

Vor Jahren hatten sie sich einmal alles gesagt, obwohl er der Sohn eines reichen Lords und sie bloß eine gewöhnliche Krämerstochter war. Und sie versprachen sich alles Erdenkliche.

Heute jedoch …

Gisela drückte die Finger an den rauhen Stein hinter ihr, während sie sich bemühte, nicht um verlorene Träume zu trauern. Ihrer beider Leben hatte sich viel zu sehr verändert, als dass sie darauf hoffen dürfte, er könnte jemals wieder Teil von ihrem sein. Nein, dieses Wiedersehen war nichts weiter als ein kurzer Sonnenstrahl inmitten der Finsternis.

Was sie einst verband, zählte nichts mehr.

Zweifellos bewarben sich Hunderte schöner, wohlhabender junger Damen um seine Gunst. Als Dominics Vater und seine Stiefmutter ihn vor Jahren zu einer arrangierten Ehe drängen wollten, hatte er geschworen, nie zu heiraten. Wie war er aufgebracht gewesen, als er auf der Wiese hin und her gestampft und jene Verbindung verflucht hatte, die nichts mit Liebe zu tun hatte und nur dem Wohl seines Vaters dienen sollte. Um der Verlobung mit einer kaum Dreizehnjährigen zu entgehen, schloss er sich damals dem Kreuzzug an und verließ England.

Nun war er wieder zurück, älter und welterfahrener. Sicher hatte er seine Einstellung zur Ehe geändert und stand kurz davor, eine Dame zu heiraten, die seinem Rang entsprach und ihm Kinder schenkte.

Der Gedanke schnürte ihr beinahe die Kehle zu. Sie schluckte und blickte zu ihm. Obwohl unübersehbar war, dass seine Verletzungen ihm übel zusetzten, lachte er und schüttelte den Kopf, als eine zerzauste Katze mit einer Maus im Maul an ihm vorbeiflitzte.

»Komm mit!« Wieder nahm er Giselas Hand und führte sie geradewegs auf den belebten Marktplatz zu. Dort stimmten Musiker eine fröhliche Melodie an, und die Zuschauer klatschten mit.

»Dominic, wir laufen in die falsche Richtung!«

»Vertrau mir«, sagte er, »im Moment ist es sicherer, wenn wir uns unter die Menge mischen. Falls uns jemand folgt, können wir ihn hier leichter abschütteln. Und dann zeigst du mir den Weg.«

Wie sie es hasste, wenn man in diesem Ton mit ihr sprach! Ryle hatte stets mit ihr geredet, als besäße sie den Verstand eines Herdrostes, was über die Jahre einen ehernen Trotz in ihr hatte gedeihen lassen. Bloß weil er ihr Ehemann war, hatte er geglaubt, er dürfte ihr in allem und jedem Befehle erteilen.

Aber nein, schalt sie sich im Geiste, Dominic war nicht Ryle! Sie durfte die beiden nicht vergleichen, denn ihre große Liebe könnte niemals wie Ryle sein.

Er blickte sich zu ihr um und runzelte die Stirn. »Was ist? Hast du jemanden gesehen, der uns folgt?«

»Nein, nein, ich bin nur … mir ist das nicht geheuer.«

Bevor er sich wieder wegdrehte, entdeckte sie einen Anflug von Mitgefühl in seinem Blick. »Es ist klug, nicht zu selbstgewiss zu sein«, sagte er so leise, dass sie es kaum hörte. »Wer auf der Hut bleibt, ist sicherer.«

Sicher. Sie hatte vergessen, wie es sich anfühlte, sicher zu sein. Ganz gleich, wie beruhigend sie Dominics Nähe fand, wusste sie doch, dass immer noch Gefahr lauerte – vor ihr, hinter ihr. Auch auf dem Markt, denn der lockte die Leute von weit her herbei, und unter ihnen könnten welche sein, die Ryle kannten. Nein, sie konnte wahrlich nicht wagen, auch nur eine Minute lang nicht auf der Hut zu sein!

Sie näherten sich dem Markt. Am Rand stand der Bärendompteur, der sich mit einigen Männern unterhielt. Kinder krabbelten im Schmutz oder spielten Fangen, während die Markthändler lauthals ihre Waren anpriesen und ihre Stände auffüllten.

Dominic ging voraus an dem Bärenführer vorbei in die schmale Gasse zwischen zwei Standreihen.

Erschrocken stellte Gisela fest, dass sie nicht mehr weit vom Brotstand entfernt waren. Ob der Bäcker inzwischen wieder dort war? Würde er sie erkennen? Warnend drückte sie Dominics Hand, und als er sich zu ihr drehte, nickte sie mit dem Kopf zu einer Lücke zwischen zwei Händlern, durch die sie in die nächste Marktreihe schlüpfen könnten.

Ehe sie jedoch dorthin ausweichen konnte, zog Dominic sie weiter. Er zwang sie, neben ihm zu gehen, allerdings so, dass er zwischen ihr und den Ständen auf der Bäckerseite war, den Arm um ihre Taille gelegt und sie ganz nah an sich haltend. Gleichzeitig beugte er seinen Kopf zu ihr.

Für jeden Außenstehenden sahen sie wie ein verliebtes Paar aus, das beim gemeinsamen Einkauf zärtliche Worte tauschte.

Gisela war verwirrt, umso mehr, als sein Atem über ihre Stirn strich und sein Körper sich sanft an ihrem rieb. Was immer sie sich an emotionalem Panzer zugelegt hatte, drohte zu bröckeln, während sich Verlangen, Reue und Kummer in ihr regten. Wie Garn, das sich von einer Rolle spulte, die über den Tisch zu Boden kullerte, entwirrten sich Gefühle, die fest verschnürt hätten bleiben sollen.

O nein! Auf keinen Fall durfte sie sich Empfindungen gestatten, die sie unvorsichtig machten. Ein einziger Fehler könnte Ewans Sicherheit – sein Leben – gefährden.

Sie machte sich gerade und versuchte, sich Dominics Umarmung zu entwinden.

Doch er legte seinen Arm nur noch fester um sie. »Tu so, als wärst du in mich verliebt, Gisela!«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Heißkalte Schauer liefen ihr über den Rücken. »Dominic …« Wie konnte er sie darum bitten, wo er doch fraglos eine andere Frau liebte, eine Lady vielleicht sogar?

»Denk daran, wie es früher zwischen uns war!«, murmelte er mit einem bedauernden Unterton. »Stell dir einfach vor, wir hätten uns nie Lebewohl gesagt – bitte!«

Sein unverkennbares Bedauern traf sie mitten ins Herz, denn es war wie ein Echo dessen, was sie an jedem einsamen Tag ohne ihn gefühlt hatte. Sie versuchte, zu schlucken, doch ihr Mund war beinahe schmerzhaft trocken, und der Staub auf dem Marktplatz brannte ihr in den Augen.

»Fällt es dir so schwer, so zu tun?«, fragte er neckisch, wenngleich mit einem Anflug von Trauer.

»Diese Art Spiel habe ich längst verlernt«, antwortete sie und streckte eine Hand aus, um eine Locke zurückzustreichen, die sich unter ihrer Kapuze hervorgestohlen hatte. Ein Liebesspiel, das ich nicht mehr spielte, seit ich dich verlor.

»Wie betrüblich für eine Frau, deren Augen so blau wie der Sommerhimmel sind.«

Sie errötete. »Bitte!«

»… und deren Lippen so rosig wie das flüchtige Licht des Sonnenuntergangs sind.«

Erschrocken blickte sie zu ihm auf. »Dominic!«

Er lächelte äußerst galant, bevor er sie auf die Stirn küsste. »Und deren Zähne so weiß wie die Gänseblümchen auf der Wiese sind.«

Gänseblümchen. Nun kämpfte sie mit den Tränen, wandte rasch den Blick ab und sah, wie die umstehenden Bauern sie amüsiert beobachteten, die sie eindeutig für ein verliebtes Paar hielten. Dem musste sie umgehend ein Ende setzen. Gott allein könnte ihr helfen, falls Ryle oder einer seiner Kohorten sie mit Dominic zusammen sah. Ryles Zorn wäre … mörderisch.

Entschlossen schob sie Dominics Arm beiseite und ging weiter. »Das hättest du nicht sagen dürfen!«

»Was denn, magst du etwa nicht umworben werden? Oder entbehren meine Komplimente der angemessenen Fantasie für eine Frau von deiner außergewöhnlichen Schönheit?«

Einige Leute in der Nähe lachten, worauf Gisela feuerrot wurde. Wie beschämend, dass alle ihr Gespräch mit anhörten! Sie ging schneller und stolperte beinahe über ihren Umhang. Mit einem sehr übertriebenen Seufzer, der noch mehr Gelächter hervorrief, eilte Dominic ihr nach.

Mitten im Weg balgten sich drei Hunde um einen Brotkanten, den ein Kind fallen gelassen hatte. Gisela machte einen Bogen um sie herum und fragte sich, ob Dominic sich an die Nachmittage erinnerte, die sie auf der grünen Wiese gelegen hatten, oder an die Gänseblümchenketten, die sie ihm um den Hals gebunden hatte, so dass er aussah, als würden ihn winzige Sonnen umstrahlen.

»Kopf hoch, Gisela!«, murmelte er, als er wieder neben ihr war. »Wir sind fast über den Markt.«

»Ist auch besser so«, sagte sie streng, »sonst kämst du womöglich auf die Idee, deine abwegigen Schmeicheleien fortzusetzen.«

»Mir schien das Gänseblümchenkompliment eigentlich recht gewitzt.«

Sie verdrehte die Augen.

Dominic lachte.

Zum Rand des Marktplatzes hin lichtete sich die Menge spürbar. Von dort eilte Gisela in eine kleine Gasse, die den Platz mit einer Dorfstraße verband. Zur Rechten rumpelte ein Karren an einer Reihe verfallener zweistöckiger Häuser vorbei, in denen unten Läden waren. Beschämt dachte Gisela daran, dass ihre eigene Schneiderei nicht minder verfallen aussah.

»Wo entlang?« Dominic schaute sich in beide Richtungen um.

»Folgt man uns?«

»Nein.«

Sie rang die Hände und sah ihn an. »Bist du ganz sicher?«

»Bin ich.«

Vor lauter Angst zitterte ihre Stimme, und Gisela schluckte, ehe sie die Schultern gerade machte und abermals zu ihm aufblickte. Dabei rutschte ihr die Kapuze etwas weiter aus dem Gesicht, und sie zog sie gleich wieder hoch. »Wenn du auch nur den geringsten Zweifel hegst …«

Er winkte ab und trat näher zu ihr. »Ich sah den Bäcker, wie er mehr Brot auf seinen Tisch häufte und mit einem Kunden zankte. Er war viel zu beschäftigt, um uns zu bemerken. Und der Schmiedegeselle war weder bei ihm noch habe ich ihn sonst irgendwo auf dem Markt entdeckt.« Er grinste. »Vielleicht musste er sich ein bisschen hinlegen.« Die Hände in die Hüften gestemmt, stand Dominic nahe genug, dass sie seine Wärme spüren konnte, die sie aufs Neue verlockte, kostbaren Erinnerungen nachzuhängen.

»Gut«, sagte sie, »dann …«

»Hätte ich noch nach jemand anders Ausschau halten sollen?«, fragte er und betrachtete sie prüfend. Sein Blick wanderte von ihren Augen über ihre Nase zu ihren Lippen und wieder hinauf zu ihren Augen. Wie aufmerksam, geradezu eindringlich er sie musterte! Er versuchte wohl, zu erkennen, was sie so besorgt machte.

»Nun?«, fragte er ruhig.

Ryle, antwortete ihr Herz. Wir müssen ständig vor ihm auf der Hut sein. Immerzu, bei Tag und Nacht, ohne Unterlass! Allerdings war dies kaum der geeignete Moment, um über ihren Ehemann zu reden. Also schüttelte sie den Kopf und zeigte die Straße hinunter. »Folge mir!«

Mit diesen Worten eilte sie an der Ladenreihe vorbei. Hinter sich hörte sie Dominics Schritte. Viele der Geschäfte waren offen, die Fensterläden ausgehängt und als Tische aufgebockt, um die Waren zu präsentieren. Drinnen arbeiteten die Händler, während sie auf Kundschaft warteten.

Beim Gerber sah sie ein Paar braune Lederschuhe, die Ewans Größe haben mussten. Seine anderen waren furchtbar aufgetragen, und bald würden die Zehen durchgewetzt sein. Doch leider konnte sie diese Woche keine neuen Schuhe kaufen.

Der Gedanke an Ewan spornte sie zur Eile an. Sie musste unbedingt wissen, ob er in Sicherheit war. Deshalb beschleunigte Gisela ihre Schritte. Zuletzt hatte sie ihren kleinen Jungen gesehen, als er sie mit großen Augen angestarrt hatte, verwirrt, weil sie so überstürzt wieder gehen musste. Ada hatte hinter ihm gestanden und ihm die Hand auf die Schulter gelegt. Sein Blick hatte ihr beinahe das Herz gebrochen. Noch nie zuvor war sie nach Hause gekommen, um gleich darauf wieder wegzulaufen. Sie sollte ihn heute Abend besonders fest umarmen, um ihn für die Angst zu entschädigen, die ihm ihr Gebaren eingejagt haben musste.

Wie würde Ewan es aufnehmen, Dominic zu sehen, den kühnen Ritter, dem er zum ersten Mal begegnete? Ihr wurde mulmig, denn auf diese Frage folgte die nächste, nämlich wie Dominic es aufnehmen würde, den kleinen Ewan zu sehen. Ob er erkannte …

Ein Ächzen riss sie aus ihren Gedanken, und erschrocken wandte sie sich um. Dominic hielt sich die Seite. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn, und obwohl er sonnengebräunt war, wirkte sein Gesicht schrecklich blass.

Sogleich war sie voller Sorge. »Was ist mit dir?«

»Nichts, nur meine Rippen beschweren sich.« Er grinste angestrengt. »Du läufst so schnell, dass ich schwören möchte, den Wind unter deinen Füßen pfeifen zu hören.«

Wieder einmal schmeichelte er ihr, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschte, dass es ihm schlecht ging. »Es tut mir leid. Ich hielt es für das Beste, wenn wir uns beeilen.«

»Falls es noch weit ist, sollte ich mich einen Moment ausruhen.« Er trat zur Seite und lehnte sich gegen eine Wand, einen Arm um seine Rippen geschlungen.

»Mein Haus ist gleich hinter der nächsten Ecke«, erklärte sie. »Wie kann ich dir helfen? Wäre es leichter für dich, wenn du dich auf mich stützt?«

Er biss die Zähne zusammen. »Nein, es geht schon.«

»Bist du sicher?«

Er richtete sich auf und grinste verwegen. »Bei Gott, ich will gewiss nicht gesehen werden, wie ich mich auf dich stütze, als wäre ich ein Krüppel! Das würde meinen Ruf als starker, rüstiger Liebhaber ruinieren.«

Unweigerlich musste sie lächeln. »Ja, das wäre fürwahr entsetzlich.«

»Genau«, stimmte er ihr zu und legte eine Hand auf sein Herz.

Sein amüsierter Gesichtsausdruck war der gleiche wie bei Ewan – einschließlich der Grübchen. Dennoch wich ihr Lächeln ernster Besorgnis. »Je schneller wir bei mir sind, umso eher können wir uns deiner Verletzungen annehmen.«

Er nickte und bewegte sich vorsichtig von der Mauer weg.

Gisela ging langsamer und blieb neben ihm. Auch wenn er nichts mehr sagte, spürte sie, welche Mühe es ihn kostete, weiterzugehen. Kurz darauf zeigte sie zu ihrem Geschäft, das noch ein ganzes Stück entfernt, aber gut an dem gemalten Schild mit Nadel und Faden zu erkennen war, das über der Tür hing. »Dort ist es.«

Dominic atmete hörbar aus und ließ die Schultern hängen.

Hastig lief sie zu der verwitterten Holztür vor und angelte den Schlüssel aus ihrer Tasche. Ihre Hand zitterte, als sie den gusseisernen Schlüssel ins Loch steckte. Zugleich überkam sie eine finstere Beklommenheit, als wäre sie im Begriff, einen neuen, ungewissen Abschnitt ihres Lebens anzutreten.

Was zweifellos zutraf.

Das Schloss klickte.

Gisela steckte den Schlüssel wieder ein und schob die Tür auf. Dann winkte sie Dominic zu sich. »Komm herein!«