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In der Nähe von Balsam Gap,
North Carolina, Sol III
2025 EDT, 27. September 2014
Cheer! An' well never march to victory.
Cheer! An' well never hear the cannon roar!
The Large Birds 'o Prey
They will carry uaway,
An you'll never see your soldiers anymore!
»Birds of Prey«, March
– Rudyard Kipling
Hurra! Und wir marschieren nie zum Sieg!
Hurra! Und wir hören nie die Geschütze donnern!
Die großen Raubvögel [Truppentransporter]
Werden uns forttragen
Und ihr seht eure Soldaten nie wieder!
»Raubvogel-Marsch«
Thomas Redman wälzte sich über einen Baumstamm und fing dann an wieder nach oben zu klettern, dem Grat zu. Er hatte gehört, wie die Posleen auf Scharfschützen reagierten, aber dies war das erste Mal, dass er es am eigenen Leibe erfuhr. Er hatte auch gehört, dass sie nicht reagierten, wenn andere Leute schossen oder wenn Artilleriegranaten auf sie niedergingen. Na ja, Letzteres war ja der Fall, und deshalb konnte er sich eigentlich nicht vorstellen, wie sie ihn entdeckt hatten.
Aber eigentlich war das ja egal. Der Rückstoß des Barrett hatte ihn ein Stück zurückgeworfen, und deshalb war ihr Feuer größtenteils über seinen Kopf hinweggegangen. Ein Splitter hatte ihn im Gesicht getroffen, aber das bedeutete bloß eine weitere Narbe. Keine große Sache.
Er bugsierte sein Gewehr vorsichtig über den Felsrand und stemmte sich ein Stück hoch, um wieder ins Zielgebiet hinuntersehen zu können.
Der eine Soldat war von der Brücke bis zu dem Schutthaufen vorgerückt und hatte sich jetzt aufgesetzt, wandte den Posleen den Rücken zu und tat … irgendwas. Thomas schaltete die Vergrößerung und den Lichtverstärker ein, konnte aber immer noch nicht erkennen, was dort unten geschah. So, wie es aussah, mischte der Mann etwas in seiner Hand.
Sich darüber den Kopf zu zerbrechen lohnte sich eigentlich nicht, und so richtete der Cherokee seine Waffe auf das nächste Ziel. Einer war jetzt weg, blieben noch vierzehn. Pfeif auf die Gottkönige, er würde sie einfach einen nach dem anderen wegputzen.
Kimme und Korn lagen auf dem ersten Ziel, als der Himmel hinter ihm aufleuchtete, als ob der Herrgott persönlich ein Blitzlicht gezündet hätte.
Buckley benutzte sein Messer dazu, ein wenig von der steinharten Tarnfarbe in seine offene Handfläche zu schaben. Er trug das Zeug jetzt seit weiß Gott wann mit sich herum, und es war so eingetrocknet, dass es die Konsistenz von Kohle angenommen hatte. Das war lästig, insbesondere weil er vermutete, dass er nur dann eine Chance hatte, wenn er jeden Quadratzoll seiner Haut damit beschmierte, damit nichts zu sehen war. Wenn da nichts war, was das Licht reflektierte, könnte er es vielleicht schaffen, sich quer über den Pass zu schleichen. Insbesondere dann, wenn er mit dem Manöver dann begann, sobald der nächste Schuss des Scharfschützen fiel. Während die sich auf den Berggrat konzentrierten, konnte er aus seinem Versteck herauskriechen und – hoffentlich –, falls er sich genügend langsam bewegte, vermeiden, dass ihre internen Alarme ausgelöst wurden.
Wenn er es nur schaffte, diese Tarnfarbe mit einem Tropfen Fusel zu mischen, würde er sich damit tarnen und es vielleicht lebend quer über den Pass schaffen können. Das war einen Versuch wert. Natürlich wäre es hilfreich, wenn die Posleen irgendwie abgelenkt wurden, aber etwas anderes fiel ihm nicht ein.
Einen Augenblick lang war das Licht so hell, dass er durch seine Hände sehen konnte, mit Ausnahme der Stelle, wo die Tarnfarbe auf seiner linken Handfläche lag. Er schloss die Augen, aber das brachte nichts, der grelle Schein hatte sich in seine Netzhaut eingebrannt. Er wusste, dass er mindestens fünf oder zehn Minuten praktisch blind sein würde, aber auch das war ohne Belang. Viel wichtiger war, dass dies genauso für die Posleen galt.
Er ließ die Tube mit Farbe und den wenigen Staub, den er in der Hand hielt, fallen und schnappte sich sein Gewehr. Dann krallte er die Hände in den Betonbrocken, stemmte sich in die Höhe und hetzte quer über die freie Stelle zwischen den beiden Schuttbrocken.
Jeden Augenblick rechnete er damit, das Knistern einer Railgun oder den kurzen Rülpser einer Plasmawaffe zu hören, aber keines von beiden kam. Vielmehr verrieten ihm seine Nase und sein Fuß, dass sie mit dem Stück Stahl Kontakt aufgenommen hatten, das aus dem Brocken herausragte.
Buckley unterdrückte einen Aufschrei, ließ sich hinter den Betonbrocken fallen, griff sich an seine blutende Nase und wartete darauf, dass er wieder sehen konnte.
»Allmählich neige ich auch zu Ihrer Ansicht, Pruitt«, knurrte Colonel Mitchell. »In solchen Augenblicken wünsche ich mir ordentliche Panzerung und Waffen für direkten Beschuss.«
»Na ja, eine Waffe für direkten Beschuss haben wir, Sir …«, gab der Kanonier zu bedenken.
»Eine, die nicht jedes Mal, wenn wir sie abgefeuert haben, eine nationale Katastrophe war«, erwiderte der Colonel. Die Milizkundschafter hatten ein paar Minuten gebraucht, um ihre Funkgeräte neu einzustellen, aber es sah so aus, als hätten sie den Vormarsch der Posleen tatsächlich zum Stillstand gebracht. Der Preis dafür war freilich schrecklich gewesen.
Dillsboro und Sylva, auch das, was das SheVa nicht schon zerstört hatte, waren vom Erdboden verschwunden. Der Himmel allein wusste, welchen Schaden die Brücke genommen hatte, jene Brücke, von der Kommando Ost ausdrücklich gewünscht hatte, dass sie stehen blieb. Sie hatten das Nuke so eingestellt, dass der volle »Ground Zero«-Effekt die Brücke nicht einschließen würde, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie noch für Panzer befahrbar war. Jemand wie Major Ryan würde sie erst begutachten müssen, ehe sie sie wieder für schwere Lasten nutzen konnten.
Andererseits …
»Wann auch immer die Jungs von der anderen Seite durchkommen«, meinte Pruitt, »die brauchen dann bloß noch sauber zu machen.«
»Wenn es um Posleen geht, ist Saubermachen ziemlich personalintensiv, Pruitt«, wandte Warrant Indy ein. »Major Anderson wollte nach dem Nuke auch bloß ›sauber machen‹.«
»Dann müssen wir uns eben etwas Besseres einfallen lassen«, ließ sich Captain Chan vernehmen. »Die Aussicht von hier oben ist großartig, aber ich bin jetzt so weit, dass ich weiterkämpfen möchte. Wir müssen uns überlegen, wie wir diese Türme einsetzen können.«
»Vielleicht, nachdem das Reparaturbataillon hier aufgetaucht ist«, sagte Indy. »Falls die je herkommen.«
»Hoffentlich vor den restlichen Posleen«, gab Reeves zu bedenken.
»Welche Posleen?« Mitchell schmunzelte. »Ich bezweifle, dass zwischen hier und Savannah noch vierhundert am Leben sind. Ich persönlich werde jetzt ein kleines Nickerchen machen. Weckt mich auf, wenn etwas passiert.«
Thomas Redman hielt sich die Hand vor die Augen und kniff sie zusammen. Ja, irgendwie konnte er sie erkennen, also war es Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen.
Das Nuke hatte seinem Zielfernrohr den Garaus gemacht. Er wusste nicht, ob das dem EMP oder der Lichtüberladung zuzuschreiben war, jedenfalls flackerte das Ding wie ein kaputter Fernseher. Und das bedeutete, dass er den Rest mit einem gewöhnlichen Klappvisier erledigen musste. Na schön, schließlich war er ja mit so etwas aufgewachsen. Er schaffte das schon. Wenn er überhaupt sehen konnte.
Der Mond kam jetzt allmählich über den Horizont, aber er würde nicht unter die Brücke scheinen. Und die Posleen hatten kein Licht gemacht. Er brauchte also eine Leuchtkugel oder so etwas. Falls er genug sehen konnte, um zu schießen.
Schließlich entschied er sich dafür, es mit einer zu versuchen. Er würde einfach in die allgemeine Richtung schießen, wo die Posleen steckten, um zu sehen, was dann passierte. Schlimmstenfalls wussten sie dann eben, wo er war, und konnten das Feuer erwidern.
Diesmal hörte Buckley den Knall vom Grat, ehe die Posleen das Feuer eröffneten. Ihr Feuer war ebenfalls viel weniger gezielt; so, wie es aussah, feuerten sie ziellos nach allen Richtungen. Er kauerte sich einen Augenblick lang nieder und nutzte dann die Störung, um sich wieder zu bewegen.
Sein Sehvermögen war noch nicht ganz wiederhergestellt; wenn er versuchte, etwas zu sehen, dann verdeckte das Negativbild seiner Hände den größten Teil seines Sichtfelds. Er hatte einmal die Redewendung gehört, »Man kenne etwas wie den eigenen Handrücken«, aber in seinem Fall waren das die Handflächen, die alles überdeckten.
Aber irgendwie konnte er doch sehen, und irgendwie wusste er auch, wohin er ging, also war es auch irgendwie Zeit, sich in Bewegung zu setzen. Er kauerte sich nieder und bewegte sich im Entengang auf das Ende des Granitbrockens zu und hielt dann inne. Wenn er den Kopf jetzt hinausstreckte, würde er wahrscheinlich Posleen vor sich sehen, und zwar weniger als drei Meter entfernt.
Die Frage war wie gewöhnlich, ob er es schnell oder langsam tun sollte. Am Ende entschied er sich für schnell. Er holte eine Handgranate heraus, zog den Splint und atmete durch.
»Sobald der Splint raus ist, ist Mr. Handgranate nicht länger dein Freund«, flüsterte er und beugte sich hinaus.
Thomas Redman zog sich wieder den Hügel hinauf und wischte sich den Mund. Diesmal war ein Plasmaschuss dicht neben ihm angekommen, und ein großer Brocken aus einer Eiche war ihm mitten auf den Mund gekracht.
Aber als er sich über sein Gewehr beugte, ging unter der Brücke eine Granate los. In dem kurzen Lichtschein der Explosion konnte er drei Gestalten in seiner Ziellinie sehen. Er feuerte einen Schuss ab und duckte sich gleich wieder, weil er damit rechnete, dass das Feuer erwidert wurde, aber die Posleen schienen ein anderes Ziel zu haben. Er schob sich wieder vor, stützte sich ab und fing an, nach weiteren Zielen zu suchen.
Buckley wartete, bis das gegnerische Feuer nachließ, schob sich dann um die Betonsäule herum und jagte alle fünf Granaten in seinem AIW-Magazin hinaus, tat es, so schnell er abdrücken konnte. Die Posleen feuerten, ehe er sich zurückziehen konnte, aber in dem Lärm der Railguns – die Plasmawaffen schienen inzwischen alle außer Gefecht gesetzt zu sein – konnte er hören, wie ein Barrett einen Schuss nach dem anderen hinausjagte. Er holte eine weitere Handgranate heraus und warf sie in die allgemeine Richtung des Grabens, während er neu lud. Ein weiterer Feuerstoß, dann sollte es geschafft sein.
Er lud die erste Granate durch und beugte sich um die schützende Betonsäule herum, genau in dem Augenblick, als das HVM sie traf.
Thomas Redman schloss die Augen bei der Explosion, aber es war zu spät, seine Sicht war wieder weg. Doch selbst mit tränenden Augen konnte er blinzelnd erkennen, dass die Posleen ebenfalls weg waren. Er war sich nicht ganz sicher, was da gerade unter der Brücke explodiert war, aber jetzt war der nördliche Bogen auch in sich zusammengebrochen und lag jetzt abgeknickt auf der Westseite. Es sah so aus, als ob das, was dort unten explodiert war, die Säule zerfetzt hätte. Besser gesagt, in zwei Stücke gerissen. Möglicherweise lagen Posleen dort unten, aber das war jetzt ohne Belang; die Straße war so blockiert, dass es eine schwere Pioniereinheit brauchen würde, um sie wieder instand zu setzen.
Von dem letzten Soldaten war keine Spur zu sehen und es kam auch kein Feuer von den Posleen. Deshalb beschloss er, dass dies jetzt der richtige Zeitpunkt war, um seinen Hintern humpelnd dort hinunterzuverfrachten. Er versuchte aufzustehen, aber sein Knie knickte sofort ein. »Das kommt davon, wenn man alt und fett geworden ist und zu nichts mehr taugt«, murmelte er.
Er setzte sich auf einen Baumstamm und schüttelte den Kopf. Sollte doch jemand anderer den Pass nehmen. Er würde einfach hier sitzen bleiben, bis sein Bein wieder die Lust verspürte, sich zu bewegen.