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Garnison Newry, Pennsylvania, Sol III

 

1405 EDI, 26. September 2014

 

 

 

Shall we only threaten and be angry for an hour?

When the storm is ended shall we find

how softly but swiftly they have sidled back to power

by the favor and contrivance of their kind?

 

»Mesopotamia«

– Rudyard Kipling, 1917

 

Sollen wir nur eine Stunde lang drohen und zürnen?

Wenn der Sturm vorüber ist, finden wir dann,

wie leise, doch wie schnell sie wieder an die Macht kamen

durch Gunst und Gemauschel von ihresgleichen?

 

»Mesopotamien«

 

 

Mike klickte die nächste E-Mail an, sie kam von Michelle, seiner jüngeren Tochter, und die Nachricht baute sich in seinem Hologramm auf. Michelle war zusammen mit über vier Millionen weiterer Angehöriger von Fleet-Soldaten aus einer Vielzahl von Ländern off-planet evakuiert worden. Als Grund dafür hatte man angegeben, den Angehörigen der Flotte solle damit die Sorge um die Sicherheit ihrer Kinder genommen werden. Da pro »Familie« nur ein Kind angenommen wurde, herrschte jedoch Klarheit darüber, dass damit Erbmasse gesichert werden sollte, falls die Erde unterging. Immer wenn Mike von besonders zynischen Gefühlen heimgesucht wurde, fragte er sich, ob diese Kinder zugleich auch Geiseln waren, um das Wohlverhalten der Flotte sicherzustellen. Praktisch jeder Flottenangehörige hatte wenigstens ein Kind, das von Indowy großgezogen wurde; für die Darhel würde es also ein Leichtes sein – wenn notwendig –, »Unfälle« zu arrangieren.

Michelle schickte ihm einmal pro Woche einen Brief, ob er ihn nun brauchte oder nicht. Im letzten Jahr waren diese Briefe … immer kühler geworden. Nicht, dass sie verärgert gewesen wäre oder böse auf ihn, nur … es war einfach, als ob jedes Gefühl aus den Briefen herausgewaschen worden wäre. Das fing an, ihn so zu stören, dass er schon überlegte, ob er es erwähnen sollte, aber er war schließlich zu dem Schluss gelangt, dass er ja schließlich auf eine Distanz von vierundachtzig Lichtjahren ohnehin nicht viel würde ausrichten können.

Michelle war im Gegensatz zu ihrer blonden Schwester brünett und, um es noch schlimmer zu machen, hatte allem Anschein nach die Nase ihres Vaters geerbt. Abgesehen von der Nase freilich entwickelte sie sich allmählich zu einem geradezu verblüffenden Ebenbild von Sharon O'Neal, auch was die Stimme anging. Manchmal hatte Mike Mühe, nicht zu vergessen, dass er mit seiner Tochter zu tun hatte; Sharon hatte gelegentlich auch so kühl und distanziert gesprochen, wenn es schlecht um die Dinge stand.

»Guten Tag, Vater«, begann sie und nickte ihm dabei zu. »Diese Woche sind vier Dinge interessant …«

Sie trug jetzt überwiegend Indowy-Mode, und das erinnerte ihn stark an eine Mao-Jacke. Wenn man sie so sah und ihre monotone Stimme hörte, war es, als würde man einem schlecht konstruierten Roboter zuhören; sie hätte das Ganze auch schriftlich übermitteln und auf die Weise vielleicht noch mehr Gefühl vermitteln können. Die Indowy waren eine auf geradezu aggressive Art selbstlose Rasse, die das Ideal der Unterordnung des Individuums unter die Gesamtheit zu einer Art Religion erhoben hatte. Wahrscheinlich war es diesem Einfluss zuzuschreiben, dass sie so distanziert, so … fremdartig wirkte.

Jetzt wurde ihm bewusst, dass er überhaupt nicht gehört hatte, was sie sagte, und er ließ den Bericht noch einmal ablaufen. Anmerkungen zu alten Nachrichten von der Erde, ein Bericht über die letzte Schlacht um Irmansul – sein AID hatte ihm einen Lagebericht, der besser als der ihre war, geliefert –, eine Diskussion über eine Beförderung (von einer Art, die ihm nichts sagte) eines Indowy, den er auch im Augenblick nirgendwo unterbringen konnte. Gelegentlich kam ihm in den Sinn, dass er eigentlich als Indowy-Ehrenlord, eher sogar Herzog oder Erzherzog, wirklich mehr Interesse an der Indowy-Gesellschaft an den Tag legen sollte. Andererseits schien sich sein ganzes Denken zurzeit einzig und allein darauf zu konzentrieren, wie man effektiver Posleen töten konnte.

Ihm wurde bewusst, dass er wieder nicht aufgepasst hatte und dass da etwas Wichtiges gewesen war, das ihm entgangen zu sein schien; einen Augenblick lang hatte sie geradezu lebhaft gewirkt, ah …

 

 

»Der vierte und letzte Punkt, den dieses Individuum berichten muss, ist die Aufnahme in die Sohon-Ausbildung der zweiten Stufe. Sohon ist, wie dir bekannt sein dürfte, eine Indowy-Disziplin der technischen Metaphysik. Du bist natürlich für Anzuganpassung ausgebildet, eine spezialisierte Form von Sohon Stufe Zwei. Soweit freilich festgestellt werden kann, ist dieses Individuum der erste Mensch, der für unbegrenztes Sohon Stufe Zwei freigegeben wurde. Es wird angenommen, dass schließlich Sohon der Stufe Vier oder sogar Fünf erreicht werden kann. Es ist zu hoffen, dass dem O'Neal-Clan durch diese und künftige Leistungen positiver Ruf zuwachsen wird. Das sind die vier interessanten Punkte dieser Woche. Ich sehe deiner Antwort entgegen.«

Michelle O'Neal

 

 

Mike ließ diesen Teil der Aufzeichnung noch zweimal ablaufen und schüttelte den Kopf. Er hatte zwar eine allgemeine Vorstellung davon, wovon sie redete, aber mit den Einzelheiten konnte er nichts anfangen. Eines der Probleme, die GalTech ganz im Allgemeinen mit sich brachte, war, dass jeder einzelne Gegenstand, vom AID bis hin zum kompletten Raumschiff, von Indowy-Technikern individuell, also sozusagen in Maßanfertigung, hergestellt werden musste. Menschen, selbst in dieser Technik ein wenig bewanderte Menschen wie O'Neal, bezeichneten das im Allgemeinen als »Beten«, aber das traf das Geschehen nicht ganz korrekt. Da die Indowy buchstäblich seit Jahrtausenden mit Mikro-Manufaktur auf atomarer Ebene befasst waren, setzten sie dabei Schwärme von Nanniten ein, die die Produkte in großen Tanks Atom für Atom aufbauten. Das versetzte sie in die Lage, Materialien herzustellen, die in krassem Widerspruch zu vielen »bekannten Tatsachen« der Materialwissenschaft standen.

Dieser Prozess entzog sich allerdings jeder Steuerung durch auch noch so fortschrittliche Computer. Am besten ließen sich die Nanniten durch eine Art direktes neurales Interface steuern. Ein Indowy-Individuum oder noch häufiger ganze Gruppen von Indowy setzten sich an den Tank und … manipulierten die Nanniten. Das war kein direkter Denkprozess; es lief vielmehr darauf hinaus, dass den Nanniten allgemeine Richtlinien vorgegeben wurden und sie dann … das Gehirn des Individuums als eine Art Teleprozessor nutzten. Wenn es um eine Anzuganpassung ging, dann erforderte dies meist, dass man sich ganz ruhig verhielt, irgendwie meditierte und sich dabei darauf konzentrierte, dass der Anzug sich der Person »anpasste«, für die er bestimmt war; das Übrige besorgten die Nanniten und die »Anzugpersönlichkeit«.

Das Problem mit den meisten Formen von Stufe Zwei und höher lag, so, wie er das begriff, darin, dass die Person oder das Team ein perfektes Bild des herzustellenden Gegenstandes haben musste, bis hinab zum Verständnis der Molekularanordnung aller einzelnen Komponenten. Ein Anzug beispielsweise erforderte einen sechs Monate dauernden Herstellungsprozess, an dem eine Stufe Sechs beteiligt war, ein Großmeister des Sohon, und Dutzende Indowy niedrigerer Stufen, die alle in einer Art Metakonzert über ein perfektes Bild meditierten, ein Bild bis hinab zum letzten Atom. So verwunderte es nicht, dass ein Anzug fast so viel wie eine Fregatte kostete.

Mike musste zugeben, dass der Gedanke, ein Mensch könne Sohon der Klasse Zwei erreichen, ganz besonders eine Elfjährige, selbst wenn es sich um eine Art Wunderkind wie seine Tochter handelte, doch recht verblüffend war.

Er überlegte, wie er eine passende Antwort formulieren sollte. Wenn er sich zu positiv äußerte, zu gefühlsbetont, würde sie das vielleicht als eine Art Tadel an ihrer eigenen Distanziertheit empfinden. Wenn er andererseits zu hölzern formulierte, war leicht möglich, dass das dieselbe Reaktion auslöste. Schließlich gab er es auf und ließ sich ganz von seinem Gefühl leiten.

 

 

Liebe Michelle,

wirklich großartig, von deinen Fortschritten zu hören.

Ich muss sagen, dein Erfolg ist wirklich eine große Ehre für die Familie, und du kannst sehr stolz daraufsein, so, wie auch ich sehr stolz bin. Ich hoffe, ich werde dir eines Tages persönlich gratulieren können, und freue mich auf den Tag, wo wir alle wieder als Familie beisammen sein können.

Dein dich liebender Vater

Dad

 

 

Er schickte seine Antworten immer als Text, tippte sie mit einem alten Textverarbeitungsprogramm und überließ es dem AID, sie entsprechend umzuformatieren und über das Militärnetz weiterzuleiten. Ein Lasertransmitter würde sie entsprechend zuordnen und zu einem Tiefraumsatelliten abstrahlen. Von dort würde die Mitteilung zur Titan-Basis weitergeleitet werden und dann in einer Kommunikationsboje im Jupitersystem warten, bis ein Schiff das System verließ. Jedes Schiff beförderte Post in das System und nach draußen, lieferte sie bei anderen Bojen ab, bis sie schließlich innerhalb von sechs bis zehn Wochen und damit schneller als nahezu jedes Übertragungsmittel, mit Ausnahme schnellster Militärkuriere, Michelles Planeten, Daswan, erreichte. In Anbetracht der Tatsache, dass ein Transportschiff für die Reise über ein Jahr brauchen würde, war das gar nicht so übel.

Mike sah die Mitteilung an und runzelte die Stirn. Da sollte mehr sein, er sollte eigentlich von seinem Bataillon erzählen und was sie geleistet hatten. Aber er wusste, dass Michelle sich inzwischen sehr wenig für das blinde Schlachten interessierte, das auf der Erde herrschte; anscheinend verspürte sie nicht einmal den Wunsch zurückzukehren. Er war im Begriff, seine Tochter zu verlieren, hatte sie wahrscheinlich bereits verloren und wusste nicht, was er dagegen unternehmen sollte oder auch nur, wie er etwas dagegen hätte unternehmen können. Man hatte sie bei den Indowy abgeladen, sie war von den Indowy aufgezogen worden und jetzt im Begriff, eine Indowy zu werden. Und er wusste einfach nicht, was er dagegen tun sollte.

Schließlich gab er es auf und klickte auf SENDEN.

Die nächste Nachricht war von Cally, und auch sie entsprach genau dem, was er erwartete. Callys Mitteilungen waren bei weitem nicht so häufig wie die von Michelle, und die beiden Schwestern entwickelten sich ganz offenkundig in … unterschiedliche Richtungen. Cally hatte auch keinen Zugang zu GalTech und schickte deshalb eine ganz gewöhnliche Textnachricht.

 

 

Hey Daddyo,

diese Woche hatten wir Besuch, ein paar Ladies aus der nahen SubUrb und ein paar Schlangenfresserkumpel von Baldy. Sie hatten ein paar Kinder mit, und die waren echt seltsam. Sie waren noch nie im Freien gewesen, hatten noch nie auf etwas geschossen und haben ständig durchgedreht, ich meine, du brauchst bloß Posties zu erwähnen und dieflippen aus wie Spastis.

Sonst nicht viel Neues. Baldy hat auf dem Berg einen Wilden geschossen, aber das ist keine große Nachricht. Ich meine, ich hab einen Hirsch geschossen und Baldy einen Wilden, wow!

Oh, Baldy hat erwähnt, dass eine von den Ladies, die uns besucht hat, mit ihm gepennt hat. Vielleicht. Warten wir's ab, die Tussi ist nicht übel, und ich denke, es wird ihm gar nichts schaden, wenn er gelegentlich ein bisschen bumst; vielleicht lockert ihn das ein wenig. Aber warten wir's ab. Oh, eines noch, MANN! Super, wie ihr in Rochester Gäule gekillt habt! Wir O'Neals verstehen uns eben auf so was, oder?

:-)

Lass dir's gut gehen und nicht vergessen: HVM ist in!

Cally

 

 

Mike seufzte, klickte auf ANTWORT und wusste nicht mehr weiter. Eigentlich war ihm die Art ja lieber als der Robotertext, aber Cally zu antworten brachte seine eigenen Probleme mit sich. Sollte er darauf hinweisen, dass es vielleicht nicht ganz passend war, ihren Großvater als »Baldy« zu bezeichnen? Und dass es eine Dreizehnjährige eigentlich nichts anging, ob ihr Großvater oft genug bumste? Übrigens würde sie das wohl auch mit vierzig nichts angehen.

Und was dieses Thema betraf – ob sie sexuell aktiv war? Also, Dad würde ihn das wahrscheinlich wissen lassen, aber wenn es der Fall war, konnte Mike dagegen nicht viel unternehmen. Was konnte er denn schon machen? Sich den Typen vorknöpfen und ein Gespräch Mann zu Mann mit ihm führen kam ja wohl nicht in Frage; schließlich war er fünfhundert Meilen entfernt.

Und dann diese blutrünstige Art, die sie sich zugelegt hatte. An Tommy Sunday hatte er das auch festgestellt. Diese Generation, die hier im Krieg aufwuchs, war eine Generation, die förmlich in Blut getaucht war; sie waren auf eine Weise desensibilisiert, die ihm ungesund vorkam.

Vielleicht war das eine ganz logische Reaktion auf die Zustände, aber eine Generation, die … sich so wenig für den Wert des Lebens interessierte – das schien für Menschen ebenso wie für Posleen zu gelten –, würde nach dem Krieg keine positive, wachsende, funktionsfähige Gesellschaft aufbauen können.

Da war ein ganz fundamentaler Funke, ein Hauch von Optimismus, der denen offenbar völlig fehlte. Vielleicht hatte Homer Recht, vielleicht war er einfach für diese Welt nicht kalt und nicht hart genug. Ihm war weiß Gott oft genug danach, einfach die ganze Last hinzuschmeißen, einfach zu sagen: »Holt euch einen anderen«. Aber es gab ja in Wirklichkeit keinen anderen. Keinen, der das Bataillon führen oder auch nur den Funken weitergeben konnte; seine Generation war eine der Letzten, die im »Goldenen Zeitalter« herangewachsen waren. Wenn sie das Ziel nicht im Auge behielten, das Ziel, die Welt wieder zu gewinnen, nicht nur in dem Maße, dass sie überleben konnte, sondern all die Schönheit, die Kunst und die Wissenschaft neu zu gewinnen, dann würde niemand das tun. Die Menschheit würde auf das Niveau absinken, das die Darhel für sie festlegten. Und die Einzigen, die dem Einhalt gebieten konnten, waren diese wilden Kinder des Krieges. Diese Kinder, die ebenso viel Beziehung zu den Grundwerten positiven menschlichen Wachstums und den Menschenrechten hatten wie …

Nun ja, offen gestanden, es gab wahrscheinlich nichts, zu dem sie weniger Beziehung hatten.

Zum Kotzen war das.

 

 

Liebe Cally:

Rochester war … schwierig. Wir hatten Erfolg, aber das Bataillon hat mehr Verluste erlitten, als mir gefiel. Persönlich und auch beruflich bin ich froh, dass wir die Front bis Cayuga zurückdrängen konnten, aber unter Berücksichtigung aller Umstände wäre mir lieber gewesen, wenn das nicht notwendig gewesen wäre.

Es freut mich zu hören, dass du Besuch hattest, ganz besonders weibliche Besucher. Ich weiß, wie schwer es sein muss, nur in Gesellschaft deines Großvaters heranzuwachsen. Ich hoffe, du wirst lernen können, …

 

 

Er hielt inne und löschte den letzten, nicht zu Ende geschriebenen Satz. Wenn er jetzt einen Begriff wie »damenhaft« brachte, dann setzte das voraus, dass die Ladies das waren und dass Cally das sein wollte. Und es setzte voraus, dass »damenhaft« ein nützliches Verhaltensmuster war – wobei es sich denn doch um eine ganz entscheidende Unterstellung handelte. Wenn man ihm die Wahl zwischen einem zurückhaltenden, damenhaften Wesen und einem kleinen Kriegskind gab, würde er in Anbetracht der Umstände jederzeit dem Kriegskind den Vorzug geben. Sollte doch die Welt und die Zukunft zum Teufel gehen, solange nur seine Tochter überlebte.

 

 

… nur in der Gesellschaft deines Großvaters heranzuwachsen.

Übrigens will ich doch hoffen, dass du ihn nicht mit »Baldy« ansprichst. Wenn du das tust, dann muss ich zu euch kommen und dir beweisen, dass ich dir immer noch den Hintern versohlen kann. Und ehe du jetzt sagst, »Und welche Armee hilft dir dabei?«, sollte ich vielleicht darauf hinweisen, dass ich dich garantiert immer noch in etwa drei Sekunden ohne Panzer auf den Rücken lege, und falls du dich dazu entscheiden solltest, mich wie der Sergeant Major der Division zu behandeln, habe ich immer noch meinen Panzer.

:->=

Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass ich nach dem Krieg ins Zivilleben zurückkehren möchte. Auf die Weise kann ich in den paar Jahren, die noch bleiben, bis du aus dem Nest fliehst, »um dich rum« sein. Darauf freue ich mich, und auch, dass Michelle dann wieder zu Hause sein wird. Ich denke oft an dich und hob dich sehr lieb.

Dein Dad.

Der nicht anfängt, eine Glatze zu bekommen.

 

 

Die letzte Mail war von seinem Vater.

 

Mike:

Rochester sah aus wie ein Albtraum. Ich bin froh, dass du das überlebt hast. Und auch froh, dass du das warst und nicht ich. Letzte Woche hatten wir Besuch. Jake Mosovich, den hab ich in Nam gekannt, er hat n paar Traun von der Franklen Urb mitgebracht. Und ein paar Kinder, und sein Kumpel Mueller. Das sin beides Schlangenfresser beim Korps, aber bei der Flotte. Hatten großen Spaß, und ich will eine von den Fraun, Shari heißt se, fragen, ob se hier einziehen will. Ich glaub, für Cally warn se gut, sie hat schon seit Tagen nicht mehr durchgedreht und ich mag sie. Kinder hat sie und die zien auch ein. Und Cally hat dann Kinder um sich rum. Ihr geht's gut, und ich glaub, sie is einverstanden. Deine letzte Mail hab ich gekriegt. Du bis wohl ziemlich fertig. Hoffentlich kannst du ausruhen. Dir würd jetzt Urlaub in Hongkong gut tun, und Chinesenweiber bumsen. Aber ich denke, die Posleen haben dort alle Nutten aufgefressen. Vielleicht solltest du mal eine von den Korps-Nutten ausprobieren. Wenn du denen deine Orden zeigst, machen dies vielleicht sogar umsonst.

Dein letztes Paket gekriegt, habs beiseite gelegt. Tut gut, wenn man in diesen schlechten Zeiten ein wenig Unterstützung kriegt. Und wenn du irgendwas brauchs, dann weiß du, wo du's kriegen kanns.

Pass gut auf dich auf und duck dich, wenn die auf dich schießen.

Dad

 

 

Wie üblich musste er die Epistel seines Vaters zweimal lesen, um sie interpretieren zu können. Sein Dad war weder ungebildet noch unintelligent, aber als Michael O'Neal senior in Rabun County aufgewachsen war, besuchten bloß Weichlinge die achte Klasse. Mikes Vater war in der sechsten Klasse von der Schule abgegangen, um auf den Feldern zu arbeiten, und das hatte er getan, bis er siebzehn geworden war und sich zur Army absetzen konnte.

Und im Gegensatz zu vielen seiner Altersgenossen hatte Papa O'Neal sich nie darum bemüht, seine Orthographie zu verbessern. Er war ziemlich belesen, hatte eine Menge Werke über Militärgeschichte verschlungen, aber all das Lesen schien nie großen Einfluss auf seinen schriftlichen Wortschatz oder seine Grammatikkenntnisse gehabt zu haben.

Aber Major O'Neal hatte daran nichts auszusetzen. In mancher Hinsicht war sein Vater so ziemlich der Einzige, zu dem er ganz offen sein konnte, selbst wenn seine Ratschläge manchmal etwas zu bereitwillig gegeben wurden und auch nicht immer besonders subtil waren.

Er war gerade dabei, eine Antwort etwa des Inhalts zu entwerfen, dass sie tatsächlich ein wenig ausruhen konnten und dass er jetzt schon von zwei Leuten den Rat bekommen hatte, sich jemanden zum Bumsen zu suchen, er diesem Rat bisher aber noch nicht nachgekommen war, als sein AID den Bildschirm freiwischte und ein Hologramm aufbaute.

»Prioritätsmitteilung von General Horner.«

So viel zum Thema Erholungsurlaub.

Mike sah Homers Bild an und seufzte. »Wo?«

Horner klappte den Mund auf, als wollte er zuerst ein wenig herumalbern, aber dann sah er so aus, als ob jemand plötzlich die Luft aus ihm herausgelassen hätte. »Rabun Gap. Es ist … hinüber, Mike.«

Major O'Neal schob das Kinn vor und tippte sein AID an. »Darstellung, Shelly.«

Als er die Karte der Rabun-Lücke sah, waren dort alle Zonen rings um den Pass rot, auch die O'Neal-Farm. Mike sah die Darstellung einen Augenblick lang ungläubig an und stützte dann das Gesicht auf die Hände. »Hat das Korps fünf Minuten standgehalten?«

»Ich weiß nicht, wie gut sie sich unter normalen Umständen gehalten hätten«, antwortete Horner, »aber diese Posleen verhalten sich ganz und gar nicht wie Posleen. Sie haben eine Art gepanzerte fliegende Tanks, die das vorgeschobene SheVa-Geschütz erledigt haben. Anscheinend war es zu dicht beim Gros des Korps geparkt und hat deshalb die zweite und dritte Verteidigungslinie mitgenommen, als es hochging. Um alles noch schlimmer zu machen, benutzen die Gäule ihre Lander für mobile Luftoperationen; sie haben K-Deks eingesetzt, um den Wall zu erledigen, ihn buchstäblich platt zu drücken, und jetzt sieht es so aus, als würden sie sich auf einen weiteren Vorstoß einrichten. Und dann sind sie vorgerückt und haben allem Anschein nach die Straße wieder hergerichtet. Ich bin beeindruckt. Und ich habe Angst. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass die Posleen Kampfpioniere haben. Was kommt jetzt als Nächstes? Artillerie?«

»Shelly, ist diese Information solide?«, fragte Mike mit heiserer Stimme.

»Baue Bild neu auf«, sagte Shelly. »Rot sind Augenzeugenberichte oder Video oder Posleen-Sendungen, blaue Schattierung gibt maximale Schätzung für Ausdehnung.«

Nach dieser Modifizierung war die O'Neal-Farm nur hellviolett; es war also möglich, dass Cally und Papa O'Neal noch am Leben waren.

»Shelly, versuche jemanden in der Farm zu erreichen und halte die Ohren offen, ob du etwas über sie erfährst«, sagte Mike. »Also, was soll ich tun?«

»Die Lücke muss abgedichtet werden …«, sagte Homer.

»Ist doch Blödsinn!«, rief Mike verärgert. Nach all den Jahren des Kämpfens brauchte er nicht einmal eine Sekunde, um den geplanten Einsatz beurteilen zu können. Und das war ein Einsatz, den keiner überleben konnte. »Das ist doch ein Witz, oder?«

»Nein, das ist kein Witz«, erwiderte Horner kühl. »Wir haben noch Banshees, nicht genug, um ein volles Bataillon damit einzufliegen, aber …«

»Aber wir sind kein volles Bataillon«, knurrte Mike. »Verdammt noch mal, Jack, es mag ja sein, dass alle mich für Leonidas halten, aber das heißt noch lange nicht, dass ich so wie er sterben will! Und die verdammten Spartaner sind gestorben, weil man sie eingekreist hat; wir wären bereits zu Beginn der Schlacht eingekreist. Und wie in drei Teufels Namen sollen wir uns denn Zugang zur Lücke verschaffen? Wie, frage ich. Da stehen vierzehn oder fünfzehn Millionen Posleen und warten bloß darauf, dass wir durchziehen? Wo zum Teufel sollen wir denn landen

»Das Gap muss geschlossen werden«, erklärte Horner ungerührt. »Und zwar zweiundsiebzig Stunden lang.«

»Das ist doch einfach unglaublich«, sagte Mike. »Hören Sie denn, was Sie da sagen? Ich habe dreihundertzwanzig einsatzfähige Leute! Wir könnten nicht genug Munition für drei Tage mitnehmen! Und Sie bringen uns unmöglich in drei Tagen dort rein! Nicht mitten durch die Posleen!«

»Ich verlege die Zehntausend, und die werden von der besten Artillerie unterstützt, die ich finden kann«, sagte Horner. »Sie werden Position beziehen und warten, dass die Posleen zu ihnen kommen und sie dann mit Artillerie bepflastern. Wenn Sie mit Ihren Leuten auf dem Pass sind, kommen die Posleen nicht mehr durch; die Zehntausend brauchen sich dann bloß um die zu kümmern, die schon durch sind.«

»Und die in jedem der vielen Lander«, gab Mike zu bedenken. »An die haben Sie doch gedacht? Die fliegen mobile Einsätze, das haben Sie selbst gesagt.«

»SheVa-Geschütze«, sagte Horner. »Eines steht noch im Tal; es hat ein paar technische Probleme, aber das kriegen wir hin. Ich bin nur darauf angewiesen, dass die Lücke gestopft wird. Und das werden Sie für mich übernehmen.«

»Einen Dreck werden wir«, sagte Mike. »Niemand kann das. Ich würde dazu eine ganze Brigade GKA brauchen, und die haben wir nicht, zusätzlich ständige Shuttle-Versorgung mit Munition und Energie.«

»Hören Sie, Major, jede Minute, die wir jetzt streiten, gehen sechzehn- oder siebzehnhundert Posleen durch die Lücke. Ich schicke die Banshees zu Ihnen. Setzen Sie Ihr Bataillon in Bewegung.«

»Hören Sie, General, waschen Sie sich gefälligst die Ohren!«, brüllte Mike. »Wir-Werden-Nicht-Gehen. Die Shuttles schaffen es nicht bis auf den Bodenl Wir würden eine kalte Landezone brauchen! Und Ersatzshuttles für die Versorgung! Und wir würden etwa vier Stunden aushalten! Wir gehen nicht! Ende!«

»Verdammt noch mal, Mike!«, brüllte Horner zurück. »Ich werde nicht die ganze Ostküste verlieren, weil Sie Ihr beschissenes Bataillon nicht verlieren wollen! Sie werden die Lücke einnehmen und halten bis zum letzten Mann, oder, so wahr mir Gott helfe, ich stelle Sie vor ein Kriegsgericht und lasse Sie erschießen, und wenn das das Letzte ist, was ich tue.«

»Sie können mich mal, Jack! Das hätten Sie sich überlegen sollen, ehe Sie zugelassen haben, dass Bernard an der Rabun-Lücke das Kommando bekommt! Sie haben mich in diesen Schlamassel hineingeritten! Sie haben mich in diesen beschissenen Plastahl-Sarg gesteckt, in dem ich jetzt seit neun Jahren stecke, Sie haben mir meine Familie weggenommen, meine Fraul Und das Einzige, was ich noch HABE, ist dieses beschissene Bataillon, und ich werde nicht zulassen, dass Sie das jetzt auch noch in die Pfanne hauen, Sie verdammter DRECKSACK!«

Die Tür flog fast aus den Angeln, als Gunny Pappas hereinkam. »Sir, was zum Teufel ist hier los? Die hören Sie in der hintersten Kaserne

»GUNNY, RAUS HIER!«, brüllte O'Neal. Er packte den schweren hölzernen Schreibtisch, stemmte ihn hoch und schmetterte ihn gegen das Fenster hinter sich. Als er da nicht durchpasste, stieß er einen wilden Schrei aus und schmetterte ihn ein paar Mal hintereinander gegen die Wand, bis das Loch groß genug war. Dann flog der Schreibtisch krachend nach draußen.

Das war ein Wutanfall von Orkanstärke und fast von der gleichen Zerstörungsgewalt. Zwischen O'Neals blinder Wut auf die Realität und der Welt gab es keine Grenze; hätte er jetzt einen Knopf drehen und damit das Universum abschalten können, hätte er das getan. Und weil er das nicht konnte, ließ er seine Wut an seinem Büro und dem Gebäude aus, in dem er sich befand. Binnen weniger Sekunden waren die paar Erinnerungsstücke an den Wänden dem Schreibtisch gefolgt. Er warf alles, was sich in dem Raum befand, durch das Loch und vergrößerte es dann, indem er anfing, auf die Wände einzuschlagen.

Das Hauptquartier war ein einfacher Bretterbau; die Innenwände waren aus Rigips, die Außenwand bestand aus Pressspan mit einer Vinylschicht darüber.

Und obwohl Michael O'Neal nur einen Meter sechzig groß war, konnte er hundertachtzig Kilo stemmen, und jeder seiner Fausthiebe durchschlug alle drei Schichten, als wären sie Papier; keiner der Stützbalken hielt mehr als zwei Schläge aus. Seine Knöchel bluteten bereits, aber das bemerkte er ebenso wenig, wie er bemerkte, dass die Decke anfing einzusacken; der Schmerz fühlte sich in diesem Universum der Wut gut an. Und das Schlimmste daran war, abgesehen davon, dass er seinen Vater und seine Töchter und sein Leben verlieren würde, dass er wusste, dass am Ende das Bataillon doch ausrücken würde. Das Einzige, was neben seiner Wut in seinem Kopf wohnte, war dieser bösartige Mistkerl ganz hinten, dieser kleine denkende Mistkerl, der bereits dabei war, den Einsatz zu planen, während sich noch jede andere Faser seines Wesens dagegen auflehnte, auf so eindeutig dämliche Art Selbstmord zu begehen.

Schließlich war die Wut verraucht und alle Gefühle verflogen. Da war einfach kein Gefühl mehr. Sein Büro hatte jetzt eine neue Tür, eine, die groß genug war, dass ein Wagen durchfahren konnte, und draußen hatte sich ein Kreis interessierter und besorgter Zuschauer versammelt. Er ignorierte sie und stieg über die Überreste seines Wutanfalls zu der Stelle, wo das AID immer noch ein in der Luft schwebendes Bild von Homer zeigte.

»Nukes«, schnarrte O'Neal. »Wir werden gehen. Aber nur, wenn dieser ganze Bereich vorher in Schutt und Asche gelegt wird. Ich werde meinen Stab einen Plan ausarbeiten lassen, und danach werden Sie die Nukes einsetzen. Wenn die Präsidentin sich weigert, dann sagen Sie ihr, dass das ein Befehl eines Offiziers von Fleet ist und sie gemäß Bündnisvertrag verpflichtet ist, militärische Befehle von Offizieren der Fleet zu befolgen. Sie werden unseren Feuerplan befolgen und sich für nuklearen Support bereithalten. Wir bereiten uns jetzt auf den Einsatz vor und werden an Bord der Banshees gehen. Wir werden nach Süden fliegen. Wenn wir die Nukes nicht bekommen, können Sie sich auf den Kopf stellen und mich am Arsch lecken, aber die Rabun-Lücke kriegt uns nicht zu sehen. Und wenn ich an irgendeinem Punkt während des Einsatzes den Eindruck habe, dass wir nicht genügend unterstützt werden, dann trete ich nach eigenem Ermessen den Rückzug an. Rufen Sie mich an, sobald die Nukes freigegeben sind, und zwar nur dann, und ich kann Ihnen nur raten, sich eine komplette Freigabe zu besorgen. Shelly, Verbindung beenden.«

»Yes, Sir«, sagte sie und löschte damit Homers Bild aus.

»Shelly, ich will mit diesem Mistkerl nie wieder direkt sprechen«, schnarrte Mike. »Wenn er die Freigabe für die Nukes schickt, sagst du mir Bescheid.«

Er sah die Gruppe an, die sich versammelt hatte. Die meisten stammten aus der Bravo-Kompanie – offenbar hatte Pappas die Wahrheit gesagt, dass man ihn in der Kaserne hatte hören können –, der Rest waren Offiziere und Unteroffiziersdienstgrade des Bataillons.

»Okay, Boys«, schnarrte er und sah die Gruppe an. »Gehen wir und lassen wir uns umbringen.«

 

 

Seit zuletzt etwas vom Wall zu hören gewesen war, musste beinahe eine halbe Stunde verstrichen sein. Im Tal waren Geräusche zu hören, aber das war das Geräusch von Tausenden von Füßen und gelegentlich das Krachen einer Railgun oder das Zischen einer Plasmakanone, das der schwache Wind die Berge herauftrug.

»Verdammt«, flüsterte Cally, als die ersten Posleen an der Einkerbung auftauchten. »Ich glaube nicht, dass es noch ein Korps gibt, Grandpa.«

»Yeah«, nickte O'Neal. »Aber das ist nicht das Schlimmste«, fuhr er fort und deutete auf die Tenaral, die über den Ostrand der Senke heraufschwebten. »Das da ist schlimmer.«

Cally sah durch die Schießscharte nach Westen und tippte ihn am Arm an. »Nein, das ist noch schlimmer.«

Papa O'Neal zuckte zusammen, als er den Schatten sah, der jetzt über die Farm heraufzog; der Lamprey zog in etwa zwölfhundert Meter Höhe westlich über die Lücke. Während er hinsah, stach ein silberner Strahl ins Tal, und aus der Richtung, in der er die Artilleriebatterien wusste, war eine Sekundärexplosion zu hören.

»Wird das auf uns schießen, wenn wir auf sie feuern?«, fragte Cally nervös, als die erste Mine hochging. »Das gefällt mir gar nicht.«

»Mir auch nicht«, nickte Papa O'Neal. »Okay, Plan B ist in Kraft.«

»Rennen, was die Beine hergeben?«, fragte Cally.

»Yeah«, nickte er. »Zumindest bis zum Bergwerksschacht; der ist auch gegen ein Nuke sicher; dort tauchen wir eine Weile unter, bis die erste Welle vorbei ist, dann gehen wir in die Wälder.«

»Dann los«, sagte Cally, drehte sich um und drückte gegen das Sperrholz im hinteren Teil des Bunkers. Die dünne Wand gab etwas nach, sprang dann zurück und gab eine schwere Stahltür frei, die in die Hügelflanke eingelassen war. Sie schloss auf und trat durch die Tür. »Du kommst doch?«

»Ja, gleich«, sagte Papa O'Neal, »lass die Tür offen, ich muss noch die Minen auf den Timer schalten. Und schalte die Selbstzerstörung scharf; der Teufel soll mich holen, wenn diese Dreckskerle mein Haus kriegen.«

»Bitte beeil dich«, sagte Cally nervös. »Ich hab keine Lust, allein in den Hügeln herumzukrabbeln.«

»Bin gleich da«, murmelte Papa O'Neal. »Lauf schon los.«