21
Clarkesville, Georgia, Sol III
0115 EDT, 26. September 2014
»Also, Goloswin, wie läuft es?«, fragte Tulo'stenaloor.
Der Posleen-Techniker blickte von seinem Bildschirm auf und kippte seinen Kamm. »Gut läuft es. Wir haben neue … Information erhalten.«
»Ah?«, fragte Tulo'stenaloor. »Aus dem Netz?«
»Ja«, antwortete Goloswin und wies dabei auf den Bildschirm. »Von einem Kessentai, der auf Aradan war. Wie es scheint, hat er sich Zugang zu Kontrollcodes für das Verbindungsnetz der Metall-Threshkreen verschaffen können. Wir sind jetzt ›in ihrem Netz‹, wie die Menschen das nennen würden. Das schließt die Kommunikationswege zwischen dem Häuptling aller Threshkreen in diesem Land und den Metall-Threshkreen ein. Und dann gibt es auch noch andere Threshkreen, die dieses Kommunikationsmedium nutzen; unter anderem auch deine Fatt-Freunde. Ich habe auch ihre Zahl und ihre Verteilung in den gesamten USA; die einzig verfügbare Einheit befindet sich in ihrem Quartier in einem Bereich, den die Menschen ›Pennsylvania‹ nennen. Wir haben darüber hinaus auch Zugang zu der Kommunikation der Indowy auf dem Planeten, auch wenn es nur wenige sind. Die wenigen Darhel sind noch nicht eingeschlossen, aber ich habe jetzt einen Ansatzpunkt und kann mich auch mit ihnen befassen.«
»Ausgezeichnet«, rief Tulo'stenaloor und ließ seinen Kamm flattern. »Der Angriff beginnt morgen um Mittag. Mit dieser Information können wir jetzt wissen, wann die verdammten ›GKA‹ kommen.«
»Wir können einige ihrer Informationen verändern«, sagte Goloswin. »Sie denken lassen, dass Dinge gesagt worden sind, bei denen das gar nicht zutrifft, oder ihnen falsche Kenntnisse vermitteln. Aber das wird schnell entdeckt werden. Oder wir können einfach nur lauschen. Solange ihnen nicht klar ist, dass wir auf Basis dieser Informationen handeln, sollten sie es nie bemerken.«
»Das ist gut«, sagte Tulo'stenaloor. »Ich denke, zunächst werden wir nur lauschen. Sorge dafür, dass Esszwo diese Information bekommt.«
»Das werde ich«, freute sich Goloswin. »Es kommt genau zum richtigen Zeitpunkt!«
»Ja«, sagte Tulo'stenaloor und strich nachdenklich über seinen Kammschmuck. »Genau zum richtigen Zeitpunkt.«
»Balanosol, deine Truppen sind in miserablem Zustand«, erregte sich Orostan. Er blickte finster auf das Oolt des Kessentai, und sein Kamm hob sich verärgert. Die Oolt'os waren halb verhungert, bei einigen von ihnen konnte man die Schulterund Rückenknochen sehen, und ihr Gerät sah so aus, als würde es jeden Augenblick auseinander fallen.
Der Kessentai andererseits war eine beeindruckende Gestalt in einem Harnisch aus Gold und Silber – er trug genug schwere Metalle allein an seinem Harnisch, um damit sein Oolt einen ganzen Monat lang zu ernähren – und sein Tenar war mit der schwersten Plasrnakanone ausgerüstet, die es dafür gab.
»Ich denke«, fuhr der Oolt'ondar fort, »dass du unter Berücksichtigung aller Umstände die Ehre haben sollst, morgen meinen Teil des Angriffs anzuführen.«
Dieses Gespräch fand im Licht des Halbmonds statt, ein Stück nördlich von Clarkesville, wo die Millionen von Posleen sich für den Angriff formierten. Die vorderste Angriffsreihe würde von diesem Ort bis zum Bereitstellungsgelände in den Ruinen von Clayton drei Stunden unterwegs sein. Bis sie Clayton erreichten, mussten sie damit rechnen, Artilleriebeschuss zu bekommen, aber der sollte diesmal nicht lange dauern.
»Also, das glaube ich nicht«, sagte Balanosol und hob trotzig seinerseits den Kamm. »Ich stehe im Rang über der Hälfte dieser jungen Nestlinge, einschließlich deines Sorlan hier. Sollen sie doch die Ehre der vordersten Reihe haben; ich beabsichtige diesen Angriff zu überleben.«
»Wirklich?«, zischte Orostan. »Dann sieh dir mal die Waldgrenze an.«
Der Kessentai drehte den Kopf zur Seite und konnte im schwachen Licht im Wald das Flackern von Metall erkennen.
»Du hast dich bereit erklärt, unsere Befehle zu befolgen«, zischte Orostan leise. »Das war dein Wort. Kein Wimmern beim ersten Befehl, den du bekommst. Du hast unsere Rationen gegessen, unser Wasser getrunken und unsere Luft geatmet – und das den ganzen letzten Monat lang; du schuldest uns Edas. Und der Grund dafür, der Grund, dass wir deinem fuscirto Oolt erlaubt haben, unsere Vorräte zu essen, ist, dass wir dich und anderen Abschaum wie dich gebraucht haben, und zwar für die vorderste Reihe. Und wenn du jetzt glaubst, du könntest hierher gehumpelt kommen und aufsammeln, was Bessere als du hinter sich zurücklassen, dann solltest du dir das noch einmal überlegen. Du kannst entweder zu deiner ›Absprung‹-Position gehen oder ich veranlasse, dass mein Oolt'ondai dich tötet und dich und dein jämmerliches Oolt isst. Siehst du, die Menschen werden dich vielleicht töten. Aber wenn du nicht ausrückst, werde ich dich töten. Und wäre es nur, um deinen Schandfleck aus unserer Rasse zu entfernen.«
Als das jämmerliche Oolt auf der Straße zu der vorgeschriebenen Position vorrückte, schlug Cholosta'an mit dem Kamm. »Das hast du also mit ›politischen Einheiten‹ gemeint.«
»In der Tat«, sagte Orostan und ließ seine mächtigen Zähne sehen. »Es ist besser, seinesgleichen auszumerzen, besser für die Streitmacht, besser für die Rasse. Wenn er überlebt, wird er sich einfach das erste unbrauchbare Territorium schnappen, auf das er vorstößt.«
»Statt einen Anteil an allem zu bekommen«, sagte Cholosta'an. »Aber selbst deine ›politischen Einheiten‹, selbst meine Einheit wird schließlich dem Gap trotzen müssen. Und das wird nicht ohne Verluste abgehen.«
»Oh, wenn wir weit genug hinten sind, bleiben uns Verluste erspart«, wandte Orostan ein. »Aber ich für meine Person bin nicht daran interessiert, über den Pass zu gehen.
Ich bin zu alt, um wie ihr jungen Nestlinge überallhin mit meinem Tenar zu gehen«, fuhr er fort, als der erste Oolt'po'oslena'ar angeschwebt kam und leicht wie eine Feder heruntersank. »Nein, wir nehmen keinen Tenar und ersparen uns das Gap; wir bewegen uns in dem Stil, der uns zukommt.«
Shari gähnte, als sie zum Fenster des Humvee hinaussah. Franklin rückte näher, und sobald sie wieder im Urb waren, würde die tägliche Tretmühle wieder beginnen. Aber nicht für lange Zeit, rief sie sich mit einem Lächeln ins Gedächtnis.
»Du wirst also wirklich dorthin ziehen?«, fragte Wendy. »Was in drei Teufels Namen soll ich denn tun?«
Sie zog an der Lederhose, die sie von den O'Neals mitgenommen hatte, denn sie saß noch nicht richtig. Papa O'Neal war sehr großzügig gewesen und hatte darauf bestanden, die Kinder einzukleiden. Als sie daher die Hose hinten in einem Kleiderschrank entdeckt hatte und ihr anzusehen gewesen war, dass sie ihr gefiel, hatte er darauf bestanden, dass sie sie trug. Und wenn Papa O'Neal auf etwas bestand, hörten die Leute auf ihn. Erst später erfuhr sie, dass die Hose einmal Sharon O'Neal gehört hatte, ehe diese gefallen war. Sie musste zugeben, dass die Dame eine gute Figur gehabt hatte.
»Ich dachte, du wolltest mit Tommy zusammenleben«, antwortete Shari. »Und was deine Frage betrifft, ja, ich denke, ich werde ihn beim Wort nehmen. Er ist ein äußerst netter Mann und sehr sanft, wenn man bedenkt, wie … gefährlich … er ist. Und auf dieser Farm aufzuwachsen wird für die Kinder viel besser sein als das Leben in der Urb.«
»Also, für dich freut es mich, auch wenn ich es für mich bedauere«, sagte Wendy. »Und mit Tommy werden wir abwarten müssen. Er ist gerade zum Staff Sergeant befördert worden, also sollte es für mich möglich sein, in die Unteroffiziersquartiere zu ziehen. Die sind in Fort Knox, und es heißt, sie würden besser bewacht als das Gold. Damit kann ich leben; ich bin es einfach leid, mich mitten in einer Zielscheibe zu befinden.«
»Das ist der Stützpunkt der Zehntausend, nicht wahr?«, fragte Elgars. Sie hatte es sich auf dem Vordersitz auf Muellers Schoß bequem gemacht und schob jetzt vorsichtig sein schnarchendes Gesicht – er war gleich, nachdem er das Fahrzeug bestiegen hatte, eingeschlafen – von sich weg. »Dort würde man mich hinschicken, wenn Colonel Cutprice mich ›zurücknimmt‹?«
»Genau«, sagte Mosovich. »Und ich werde das empfehlen.«
»Danke, Sergeant Major«, sagte sie leise. »Ich wäre wirklich gern wieder bei einer Einheit. Ich habe einfach das Bedürfnis, wieder etwas Vernünftiges zu tun. Vielleicht liegt das daran, dass ich sonst nichts gelernt habe.« Sie sah zum Fenster hinaus, blickte in Richtung Osten und schüttelte den Kopf. »Was in drei Teufels Namen ist das denn? Und wo ist es hergekommen?«
Mosovich sah in die Richtung, in die sie deutete, und nickte. »Ich schätze, das Kommando Ost ist zu dem Schluss gelangt, dass wir ein wenig Unterstützung brauchen.«
Das SheVa-Geschütz war gerade dabei, östlich von Dillard in Stellung zu gehen. Im Norden, parallel zur Fernstraße, konnte man seine tief eingegrabenen Fahrspuren erkennen.
»Das ist ein SheVa-Geschütz«, sagte Mosovich. »Eine Waffe gegen Landers. Beim Korps-Hauptquartier haben wir noch eins, aber das haben sie nicht bemerkt, weil es getarnt war.«
Noch während er das sagte, strömte schäumende braune und grüne Flüssigkeit aus unauffälligen Öffnungen im unteren Bereich des Geschützes. Der Schaum härtete schnell aus und erzeugte einen Hügel, der sich um das Geschützsystem herum aufbaute.
Ein großer Sattelschlepper, der zwei gewaltige Messingkartuschen geladen hatte, fuhr an das hintere Ende des SheVa-Geschützes heran und kippte eine der Kartuschen nach oben, schob sie in eine Öffnung am hinteren Teil des Geschützes.
»Das sieht wie die größte … Patrone … aus, die ich je gesehen habe«, sagte Shari.
»Das ist es auch mehr oder weniger«, schaltete sich der mittlerweile aufgewachte Mueller in das Gespräch. »Die feuern Vollmantelgeschosse, keine Projektile, keine Kugeln mit Treibmittelbeuteln oder dergleichen. Das sind die größten Kartuschen, die man je hergestellt hat, und auch die kompliziertesten; unter anderem wird in dem System ein Plasmaverstärker eingesetzt, was voraussetzt, dass das Treibmittel von Resistoren durchsetzt ist. Sie werden nicht einfach nur mit Kordit oder dergleichen voll gestopft.«
»In einer Stunde wird das aussehen wie ein riesiger grünbrauner Hügel«, erklärte Mosovich. »Wenn dann Landers über den Horizont kommen, fährt es einfach heraus und beginnt mit dem Beschuss; der Schaum fällt relativ leicht ab. Und diese Tarnung mit Schaum geht viel schneller und einfacher, als beispielsweise Tarnnetze zu spannen.«
»Was verfeuert es denn?«, fragte Elgars und blickte immer noch wie gebannt auf die langsam hinter ihnen verschwindende Monstrosität.
»Einen sechzehnzölligen Kern mit nuklearem Innenleben«, sagte Mueller lächelnd. »Für die Posleen ist uns das Beste gerade gut genug …«
»Eigentlich Antimaterie«, erklärte Mosovich. »Das ist viel sauberer als das sauberste Nuke. Für die Lampreys ist das fast ein Overkill; sie werden davon ganz schön zerfetzt. Aber man braucht sie für die K-Deks, die Kommandoschiffe. Die sind größer und haben mehr innere Panzerung. Ich höre, dass es ein ziemlich spektakulärer Anblick ist, wenn sie das Eindämmungssystem eines Landers treffen.«
»Weshalb ist es hier?«, fragte Shari nervös. »Dieses Korps hatte doch schon eines, oder? Ich dachte immer, die wären ziemlich rar.«
»Sind sie auch«, meinte Mosovich nachdenklich.
»Wie gesagt, ich schätze, Kommando Ost ist zu dem Schluss gelangt, dass wir ein wenig Unterstützung brauchen.«
»Das heißt also, dass etwas im Begriff ist schief zu laufen?«, fragte Shari.
»Ich hasse diese Dinger«, sagte Sergeant Buckley. »Da gibt es eine Milliarde Dinge, die schief laufen können.«
Sergeant Joseph Buckley kämpfte fast seit Beginn des Krieges gegen die Posleen. Er war mit der ersten noch im Versuchsstadium befindlichen GKA-Einheit auf Diess gewesen und hatte dort an den Kämpfen teilgenommen. Nach Diess war er als psychologisches Opfer evakuiert worden; wenn man unter einem halben Kilometer Gebäudeschutt feststeckt und einem bei dem Versuch, sich den Weg freizusprengen, die Hand abgerissen wird, man anschließend von einer Nuklearexplosion weggefegt wird und schließlich ein halber Weltraumkreuzer auf einem landet und man sich wieder unter einem halben Kilometer Gebäudeschutt findet, hat man schließlich das Recht, ein wenig durchzudrehen.
Aber in Zeiten der Verzweiflung sind verzweifelte Maßnahmen angesagt, und schließlich kam der Zeitpunkt, wo man selbst Joe Buckley wieder für einsatzfähig hielt. Solange es nicht zu anstrengend war und nichts mit Kampfanzügen zu tun hatte. Nur darauf hatte er bestanden, und zwar mit großem Nachdruck, bis hin zu einem Kriegsgericht, wo er durchgesetzt hatte, dass er unter keinen Umständen einen Anzug anlegen musste. Die Ereignisfolge auf Diess hatte ihm eine permanente Psychose in Bezug auf Kampfanzüge und deren Peripheriegeräte eingetragen. Tatsächlich war er zu dem Schluss gelangt, dass das ganze Problem mit dem Krieg darin bestand, dass man zu sehr auf Hochtechnologie baute und dabei alte Erfahrungsgrundsätze über Bord warf.
»Ich sag's dir«, sagte er und riss dabei die Plastikhülle von dem widerspenstigen M-134. »Was wir hier brauchen, sind …«
»… Wassergekühlte Browning-Maschinengewehre«, sagte Corporal Wright. »Ich weiß, ich weiß.«
»Du glaubst, ich mache Witze«, murrte Buckley, zog die verklemmte Patrone heraus und funkelte sie an. »Bei einem Browning wäre das nie passiert. Das ist das Problem, alle wollen nur mehr Feuerkraft.«
Die Stellung befand sich auf dem zweiten »Rang« des Walls, von dem aus man den Highway 441 überblicken konnte. Clayton lag hinter dem Berg und war daher nicht zu sehen, aber sie hatten vom Black-Mountain-Beobachtungsposten die Warnung erhalten, dass ein Posleen-Schwarm auf der Straße heraufzog. Geschützposition B-146 wieder einsatzfähig zu machen hatte daher Priorität.
Der Wall enthielt zahllose Schieß- und Beobachtungsscharten. Hinter den M-134-Gatlings vorbehaltenen Schießscharten standen reguläre schwere Waffen für den Beschuss von Tenars, außerdem gab es Schießscharten für die Soldaten, die zwar in erster Linie die Gatlings versorgen sollten, aber möglicherweise gelegentlich auch ihre Karabiner benutzen wollten. Aber den meisten Schaden würden natürlich die Gatlings und die von oben auf den Feind herunterprasselnde Artillerie anrichten.
Die Gatlings waren so auf Lafetten montiert und ausgerichtet, dass sie über ein fixiertes Azimut automatisch hin und her wanderten und einen Kugelhagel auf die Posleen hinabregnen ließen. Sie waren mit allen anderen Waffen in der Zone B-14 parallel geschaltet, so dass auf Knopfdruck – einem Knopf, der sich in einem gepanzerten Gefechtsstand befand – alle zwölf Waffen das Feuer eröffnen und je nach Einstellung entweder zweitausend oder viertausend Schuss pro Minute hinausjagen konnten.
So zumindest lautete die Theorie. Das M-134 galt als ziemlich verlässlich, und die M-27-Stativkonstruktion war älter und besser erprobt als Buckley. Aber winzige Konstruktionsänderungen, die notwendig gewesen waren, um beide Systeme in ein ferngesteuertes, ortsgebundenes System einzubinden, hatten zu kleinen Unregelmäßigkeiten geführt, und deshalb waren sechs Soldaten unter Sergeant Buckley dafür eingesetzt, ein einwandfreies mechanisches Funktionieren der Waffen sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass sie während der Gefechte und auch dazwischen »gefüttert« wurden.
Was Buckleys Gruppe betraf, so hatte es den Anschein, als würden sie statt einem Soldaten für zwei Maschinengewehre zwei Soldaten für ein Maschinengewehr benötigen. Die Schuld dafür gab Buckley persönlich und in aller Öffentlichkeit den Einheiten, die sie ersetzt hatten; die Aufgaben in der Verteidigungsfront wechselten zwischen den drei Divisionen des Korps ab, und Buckley war überzeugt, dass die Einheiten der anderen Divisionen die Waffen nie gewartet oder sie möglicherweise sogar aktiv sabotiert hatten.
Die Walleinheit, eine der drei Divisionen des Korps, war vier Wochen lang vierundzwanzig Stunden täglich im Dienst und lebte in ziemlich schäbigen Quartieren innerhalb des Walls; anschließend wurde sie nach hinten versetzt. Dort durchlief sie einen Wartungs- und Supportzyklus, lebte in Kasernen und wurde im Falle eines massiven feindlichen Angriffs in tertiäre Verteidigungsstellungen verlegt, die sich tatsächlich hinter dem Korps-Hauptquartier befanden. Nach vier Wochen in diesem Status wurde die Einheit »nach vorne« in die sekundäre Verteidigungsposition verlegt, was bedeutete, dass sie »auf Abruf« für Kampfeinsätze bereitstehen musste. Bis vor kurzem hatte das in der Praxis bedeutet, dass sie in den Kasernen herumhockten, Pornomagazine lasen und sich prügelten. Aber seit dieser dämliche Pionieroffizier aus dem Hauptquartier aufgetaucht war, bedeutete das zwölf Stunden am Tag Arbeit an den Gräben und Bunkern. Nach zwölf Stunden mit Schaufel, Spaten und Sandsäcken schaffte man es kaum mehr in den Club.
Buckley war felsenfest überzeugt, dass diese Mistkerle in der 103rd seine Maschinengewehre sabotiert hatten. Und jetzt genehmigten sie sich wahrscheinlich im Unteroffiziersclub ein kaltes Bier und lachten hinter seinem Rücken über ihn.
Alle anderen in der Gruppe, und übrigens auch in der Kompanie, legten die Situation insgeheim Buckley zur Last. Jeder, der sich ein Raumschiff auf den Kopf fällen lässt, gelangt in den Ruf, ein Pechvogel zu sein, und dieses Pech hatte sich anscheinend auf alles ausgedehnt, was dieser Buckley in die Finger bekam. Ob das nun ein Humvee war, den man ihm zur Verfügung stellte, oder die Gatlings an der Front oder sogar sein persönlicher Karabiner – es sah so aus, als würde jedem dieser Stücke immer etwas Seltsames, Ungewöhnliches zustoßen.
In diesem Falle war es Gatling B-146, das sich schlicht weigerte, in verlässlicher und regelmäßiger Manier zu feuern.
»Ich sage, es ist ein Kurzschluss«, erklärte Specialist Alejandro und rammte einen Ladestock in Lauf Nummer Vier.
»Nach Kurzschlüssen haben wir es doch schon überprüft«, knurrte Buckley. »Das Ding kriegt so viel Strom, wie es soll und nicht mehr.«
»Ich sage, es ist die Munition«, meinte Wright.
»Wir haben den Kasten ausgetauscht«, sagte Buckley und deutete auf den riesigen Kasten mit 7.62-mmGurten, der unter dem MG befestigt war. »Und dann die Munition durch das 148 laufen lassen; keine Probleme.«
»Ich denke, ein Erdungsfehler von der M-27«, beharrte Alejandro und zog den Ladestock wieder heraus. »Das M-27 macht auch Zicken.«
»Ich denke, das liegt an dir, Sergeant«, sagte Wright und betätigte die Waffe manuell.
»Das waren diese Scheißkerle von der 103rd«, schnauzte Buckley. »Die versauen jede Waffe, die sie in die Hand kriegen. Ich sag's euch, die wollen bloß, dass wir uns blamieren.«
»Na ja, das wäre ja nicht so schwierig«, meinte Wright leise.
»Was war das, Specialist?«, fragte Buckley.
»Nichts, Sergeant«, antwortete Wright. »Jetzt funktioniert es. Testen wir es noch einmal durch.«
»Okay«, sagte Buckley und trat einen Schritt zurück. »Einschalten, Alejandro.«
Der Specialist vergewisserte sich, dass alle Läufe frei waren, zog die Schutzdeckel von den Kontakten und legte die Schalter um. »Wir sind heiß.«
»Entsichern«, sagte Buckley und stöpselte ein Kabel ein. »Waffe ist heiß«, fuhr er dann fort und lud durch.
»Wir haben die Ohrenschützer noch nicht auf«, rief Wright und griff hastig in seine Brusttasche.
»Sind doch bloß ein paar Schuss«, antwortete Buckley. »Los.«
Er schaltete die Waffe auf viertausend Umdrehungen, maximale Leistung, und drückte den Feuerknopf.
Die Kugeln peitschten hinaus und erzeugten ein Geräusch wie von einer Kettensäge, und das Feuer sah aus wie orangeroter Laser; jeder fünfte Schuss war eine Leuchtspur, und sie kamen so dicht hintereinander, dass sie wie ein einziger Strom wirkten.
Buckley nickte, als die Waffe weiterfeuerte, runzelte aber dann die Stirn, als das Feuer mit einem schrillen Kreischen aussetzte. »Scheiße.« Die Patronenhülse, die die letzte Ladehemmung verursacht hatte, steckte unübersehbar im Auswurfmechanismus. »Scheiße, Scheiße, Scheiße«, schimpfte er und griff nach der Hülse.
»Sarge, die Kanone ist heiß«, warnte Wright.
»Scheiß drauf«, sagte Buckley und winkte Alejandro von den Schaltern weg. »Ich will das erledigt haben, ehe …«
Die beiden Specialists sollten nie erfahren, was er erledigt haben wollte, weil das Problem tatsächlich ein Kurzschluss war, aber nicht in der Waffe und auch nicht im Stativ. Das Problem steckte in dem Resistor, der den Stromfluss zum M-27 regelte.
Die Resistorspule transformierte den Stromfluss an alle Waffen, so dass die Stative die richtige Spannung bekamen. Aber bei der B-146 lag ein kleiner Defekt am Resistor vor, und deshalb kam eine höhere Ladung durch.
Diese Ladung hatte auf die Waffe »übergeschlagen«, und da diese von einem Elektromotor angetrieben wurde, lief der mit einer geringfügig höheren Tourenzahl, als seiner Konstruktion entsprach. Da das MG ordentlich geerdet war, hatte das bisher keine größeren Probleme verursacht.
Als Sergeant Buckley freilich nach der Hülse griff, wirkte sich der Strom, der jetzt eine Leitung gefunden hatte, aus. Und Buckley trafen plötzlich 220 Volt Wechselstrom.
Buckley stand einen Augenblick lang zitternd und wie im Boden verwurzelt da, bis sämtliche Sicherungen durchschlugen.
»Verdammt«, sagte Wright. »Das tut sicher weh. Du hättest ihn ja nicht gleich zu rösten brauchen, um zu beweisen, dass du Recht hast, Alejandro.«
»Habe ich auch nicht«, erwiderte der Specialist und zog eine Hiberzine-Spritze aus dem Erste-Hilfe-Kasten. »Ruft die Sanitäter, ich fange inzwischen mit der Herzmassage an. Sagt denen, dass Buckley wieder einmal einen schlechten Tag hat.«
»Herein!«
Lieutenant Sunday betrat das Büro des Kompaniechefs und nahm Haltung an. »Sie wollten mich sprechen, Ma'am?«
»Sie brauchen nicht jedes Mal Männchen zu machen, wenn Sie reinkommen, Sunday«, sagte Slight und lächelte. »Eine leichte Verbeugung genügt.«
»Ja, Ma'am«, sagte er und setzte zu einer Verbeugung an.
»Ach, hören Sie schon auf.« Sie lachte. »Schauen Sie, Lieutenant, ich weiß, es ist Samstag, aber uns geht's ziemlich dick ein. First Sergeant?«
Erst jetzt nahm Tommy First Sergeant Bogdanovich wahr, die in der Ecke wie ein Leopard auf der Couch der Kompaniechefin lag.
Boggles Stirn runzelte sich, und sie beugte sich vor. »Lieutenant, einige Anzüge in der Kompanie zeigen kritischen Unterbestand an Biotik-Gel. Da es sich um eine GalTech-Substanz handelt, darf sie nur an einen qualifizierten Flottenoffizier ausgegeben werden.«
»Ich ernenne Sie hiermit zum Waffenoffizier der Kompanie«, fuhr Slight fort. »Ich möchte, dass Sie zu S-4 hinübergehen und alles Gel mitbringen, das Sie beschaffen können. Ist das klar?«
»Klar, Ma'am«, sagte Sunday und nahm wieder Haltung an. »Darf ich wegtreten?«
»Gehen Sie«, sagte Slight mit undurchdringlicher Miene. »Und kommen Sie mir nicht ohne das Zeug unter die Augen; wir müssen die Anzüge dringend einsatzfähig machen.«
Nachdem der hünenhafte Lieutenant den Raum verlassen hatte, wechselten die beiden Frauen Blicke, und dann fing First Sergeant Bogdanovich, Veteranin zahlloser Schlachten, auf höchst uncharakteristische Weise zu kichern an. »Zwei Stunden.«
»Weniger«, sagte Slight und schüttelte den Kopf. »Der ist ja nicht blöd.«
Lieutenant Sunday marschierte in das Büro des S-4, der sich anschickte aufzustehen.
»Rühren«, sagte der Lieutenant mit einer abwehrenden Handbewegung. »Bleiben Sie.«
»Guten Morgen, Lieutenant«, sagte der Staff Sergeant. »Was kann ich für Sie an diesem schönen … äh … Morgen tun?«
»Die Chefin schickt mich, ich soll Gel holen. Sie hat mich zum ›Waffenoffizier‹ ernannt, ich habe also Freigabe.«
»Äh, Gel, was?«, sagte McConnell und runzelte die Stirn. »Ich denke, das ist so ziemlich ausgegangen, Sir. Die Indowy haben es letzten Monat beim Anpassen der Anzüge verbraucht. Wir haben eine Sendung im Auftrag, aber … Sie wissen ja, wie es um GalTech-Nachschub steht.«
»Verdammt«, sagte Sunday und nickte ernsthaft. »Alles ausgegangen, hm? Es gibt nicht noch irgendwo, Sie wissen schon, einen Kanister oder so? Oder vielleicht eine Kiste, die sich irgendwo unter einem Schreibtisch versteckt hat.«
McConnell sah ihn einen Augenblick lang von der Seite an und nickte dann. »Na ja, im Bataillonshauptquartier könnte vielleicht noch ein Kanister sein«, meinte er.
»Na prima«, sagte Sunday und stemmte die Hände in die Hüften. »Vielleicht sollte ich zum Bataillon hinüberlaufen und mit dem …«
»Bataillonskommandeur sprechen«, antwortete McConnell.
»Wirklich?«, fragte Sunday sichtlich überrascht. »Nicht dem, ich weiß nicht, S-3 oder dem Sergeant Major vielleicht?«
»Nee, Lieutenant«, antwortete McConnell entschieden. »Major O'Neal. Er hat den Kanister Gel. Wenigstens hat man mir das so gesagt.«
»Gut«, sagte Sunday und setzte sich in Richtung Türe in Bewegung. »Jetzt gehe ich zum Bataillonskommandeur, um Gel zu besorgen. Klar? Und, übrigens, Sergeant …«
»Jaa?«, fragte McConnell.
»Sie sollten vielleicht den BK anrufen und ihm sagen, dass ich komme«, meinte Sunday mit einem Raubtiergrinsen. »Aber vielleicht sollten Sie ihm nichts von unserem … Gespräch sagen.« Er beugte sich über den Schreibtisch des Sergeants und lächelte freundlich. »Okay?«
»Okay«, grinste McConnell. »Ganz wie Sie meinen, Lieutenant.«
»Übrigens, Sergeant«, fuhr Sunday fort und richtete sich auf. »Ich fühle mich zu der Bemerkung veranlasst, dass ich den Gepanzerten Kampfanzug ziemlich genau studiert habe. Und wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, dann erzeugen die Anzüge ihre eigenen Unterschicht-Nanniten. Was haben Sie dazu zu sagen?«
»Ich wüsste nicht, was ich dazu sagen sollte, Lieutenant«, erwiderte der Sergeant und lächelte.
»Ich sehe mich auch zu der Bemerkung veranlasst, Sarge, das wenn jemand im Militär seinen Gesprächspartner nur mit seiner Rangbezeichnung anspricht, dann ist das gewöhnlich ein Hinweis darauf, dass der Betreffende für den anderen keinen richtigen Respekt empfindet, ganz gleich, welchen Rang er einnimmt. Was haben Sie dazu zu sagen?«
Der Sergeant lachte. »Gar nichts, Sir.«
»Sie können Tank zu mir sagen, Sergeant McConnell«, sagte Sunday beim Hinausgehen. »Alle meine Freunde tun das.«