32
In der Nähe von Cowee,
North Carolina, Sol III
2337 EDT, 26. September 2014
»Hier rauszufahren wird interessant sein«, sagte Major Mitchell.
»Das dürfen Sie laut sagen, Sir«, sagte Pruitt und ließ sein Sichtgerät kreisen. »Können Sie mir erklären, wie wir das anstellen sollen?«
Das SheVa war am Little Tennessee River entlang bis zur Mündung des Cader Creek gefahren und dann in jenem Tal nordwärts zum Treffpunkt mit der Munitionsgruppe am Cader Fork. Die Ladeteams waren fleißig am Werk, und die Ersatzfahrer ihrer Begleitung unterstützten Warrant Indy bei den Reparaturarbeiten an dem Geschütz.
»Sie meinen, abgesehen davon, dass wir zum Tennessee zurückfahren?«, fragte Mitchell.
»Yes, Sir«, sagte der Kanonier geduldig, als beim Laden eines weiteren Geschosses ein Zittern durch das Geschütz ging. Die Nachricht, dass die Posleen bis Oak Grove vorgerückt waren, hatte sie bereits erreicht; das bedeutete, dass sich jetzt beiderseits der Talmündung Posleen befanden. Vermutlich waren sogar bereits welche in das Tal eingedrungen und rückten gegen sie vor. Aber Major Mitchell hatte die Wölfe in diese Richtung geschickt, um sicherzustellen, dass sie beim Aufladen nicht angegriffen wurden. »Ich denke, bis wir wieder dort sind, werden wir viel zu populär sein, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Major!«, rief Indy. »Wir bekommen Besuch.«
»Scheiße!«, sagte Pruitt und ließ sein Sichtgerät kreisen. »Doch nicht beim Laden! Wo? Peilung!«
»Nein, ich meine, wir haben Besuch«, sagte Indy und lachte dabei nervös, während sie aus der Luke kletterte. »Den Finger vom Abzug, ehe Sie unsere Position verraten.«
Ein untersetzter, muskulöser weiblicher Captain kam hinter ihr durch die Luke. Mitchell lächelte, als er die Flak-Abzeichen an ihrer Uniform sah.
»Whiskey Drei-Fünf, vermute ich«, sagte er und streckte ihr die Hand hin.
»Captain Vickie Chan, Sir«, stellte sich der Captain vor und nahm seine Hand.
»Vielen Dank für Ihre Unterstützung, Captain«, sagte der SheVa-Kommandant. »Ich dachte schon, wir wären erledigt.«
»Captain, ich möchte eine von Ihren Kanonen«, sagte Pruitt und drehte seinen Sitz zu ihr herum. »Die sind klasse. Nicht so große Klasse wie Bun-Bun, aber verdammt gut.«
»Ich schenke Ihnen eine.« Der Captain lachte. »Sie haben ja keine Ahnung, wie es ist, wenn man mit den Dingern schießt.«
»Schlimm?«, fragte Mitchell.
»Das wäre stark untertrieben, Sir«, erwiderte Chan und lächelte. »Sagen wir einfach, dass wir ganz gerne 'ne Weile warten, bis wir unbedingt schießen müssen. Also, wie lautet der Plan?«
»Tut mir Leid, aber so, wie es aussieht, müssen wir da hinauf«, sagte Mitchell und ließ das Bild einer der Außenkameras die Berge hinaufwandern. »Ich habe mir eine Karte angesehen. Und da sieht es sogar noch schlimmer als auf dem Bildschirm aus.«
»Die sind beinahe senkrecht«, meinte die Kommandantin des Wolfsrudels zögernd. »Ich glaube, dass die Wölfe den Hang schaffen, aber da stehen auch noch Bäume, und die schaffen wir nicht. Und ist ein SheVa für diese Art von Steigung nicht ein wenig kopflastig? Ganz zu schweigen davon, dass es wahrscheinlich … ein wenig zu breit ist?«
»Ich denke, das werden wir bald herausfinden«, antwortete Mitchell. »Ich glaube, ich habe einen Kurs ausgearbeitet, mit dem wir es schaffen; durch den Chestnut und den Betty-Pass hinauf und dann den Betty Creek hinunter. Besonderen Spaß wird es nicht machen und auch ganz sicher nicht leicht sein – die Steigung, ganz besonders an der Hinterseite von Panther Knob, wird ein ganz besonderer Albtraum sein – aber immerhin ist das Gelände dort offen genug, dass wir durchkommen, wenigstens zeigt die Karte das so an, und die Steigung ist nirgends höher als dreißig Grad. Bei voller Munitionsladung haben wir sogar einen ziemlich tiefen Schwerpunkt, auch wenn es anders aussieht. Ich denke, wir können es schaffen.«
»Und wenn nicht?«, fragte Captain Chan.
»Na ja, wenn wir umkehren, stoßen wir auf die Posleen«, antwortete Mitchell. »Zumindest ist das sehr wahrscheinlich. Und wenn wir … nach oben gehen, gibt es da auch einige Risiken. Zum einen wissen wir nicht, ob die Posleen nicht mit massierten Kräften am Betty Creek sind. Aber das ist die einzige Route, wo wir nicht sofort überrannt werden. Wenn die Posleen dort sind, aber nicht mit starken Verbänden … na ja …« Er grinste kampflustig.
»Und wie sieht's mit Ihren Nachschubeinheiten aus?«, fragte sie und deutete mit dem Daumen hinter sich. »Und mit uns übrigens auch?«
»Ich habe eine Karte aktualisiert«, sagte er und reichte ihr eine Flash Card. »Haben Sie ein …«
»Ich habe ein Kartenmodul«, sagte sie und lächelte; dann zog sie ihren Kartenleser heraus und schob den Chip hinein. »Wir haben alle modernen Errungenschaften.«
»Sie fahren über Mica City dort hinauf und über den Brushy-Fork-Pass; dort gibt es einige Straßen. Der Karte nach kann die Straße von LKWs befahren werden, und Ihre Panzer …«
»Sind ziemlich schwer.«
»Ja«, nickte er. »Es gibt ein paar Haarnadelkurven. Ich bin nicht sicher, ob Sie es schaffen werden. Das sage ich Ihnen ganz ehrlich. Wenn Sie stecken bleiben sollten, schlage ich vor, dass Sie auf unsere LKWs umsteigen. Aber ich hoffe natürlich, dass Sie sich mit uns auf der anderen Seite treffen werden. Wir können die Hilfe weiß Gott gebrauchen.«
»Wir könnten eine andere Route nehmen«, überlegte Chan und scrollte auf der Karte herum. »Ich glaube wirklich nicht, dass diese Straße für uns geeignet ist.«
»Da bin ich Ihrer Ansicht«, seufzte Mitchell. »Aber ich sehe keinen anderen Weg aus diesem Tal heraus.«
»Ich schon«, grinste Chan. »Wir folgen Ihnen.«
»Äh«, machte der Major und hielt kurz inne. »Wir …«
»Hinterlassen ziemliches Chaos«, fiel Chan ihm ins Wort. »Ich weiß, wir sind Ihnen schließlich hierher gefolgt, haben Sie das vergessen? Aber Sie drücken alles ziemlich platt; da bleiben keine Baumstümpfe stehen, sondern Sie zermahlen sie zu Sägemehl. Holprig, das schon, und für die meisten Fahrzeuge fast unmöglich. Aber ein Abrams hat damit überhaupt kein Problem. Also werden wir einfach hinterherzockeln.«
»Okay«, nickte Mitchell. »Klingt so, als hätten wir einen Plan.«
»Also, Sir, das war ein ziemlich beschissener Plan«, sagte Kitteket verdrießlich. Der Humvee stand am Rand eines Abgrunds, der auf der Karte nicht eingezeichnet war.
Diese Stelle zu erreichen war alles andere als ein Vergnügen gewesen. Sie hatten eine Forststraße benutzt, die seit Jahren nicht mehr gewartet worden war, jedenfalls ganz sicher nicht seit Kriegsbeginn. Die Straße war von Anfang an nicht besonders gut gewesen, und inzwischen waren eine Menge Bäume umgestürzt, und der Regen hatte ganze Stücke weggespült. Aber man konnte sich trotzdem Schlimmeres vorstellen.
»Dort wäre ein guter Punkt zum Anhalten, Specialist«, sagte er und sah dabei erneut auf seine Karte. »Das hier ist sicherlich nicht das, was wir erwartet haben. Oder besser gesagt, das, was dort sein sollte, ist nicht dort.«
»Was auch immer es ist, wir müssen eine Stelle finden, die da ist«, erwiderte Kitteket mürrisch.
»Ah«, er griff in seine Meldetasche und zog ein Röhrchen mit Pillen heraus. »Nehmen Sie eine«, sagte er und hielt ihr das Fläschchen hin.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Provigil«, antwortete er und nahm selbst eine. »Es wird allmählich spät, und wir haben einen langen Tag hinter uns und sind alle müde, nicht wahr?«
»Stimmt«, sagte sie und nahm die Pille.
»Jetzt nicht mehr«, sagte er. »Was denn, Sie haben im Handbuch nie etwas über Provigil gelesen?«
»Nein«, gab sie zu. »Den Namen habe ich gehört, aber ich weiß nicht, was das ist.«
»Es macht einen ›unmüde‹«, sagte er. »Es ist kein Aufputschmittel; sondern so etwas wie das Gegenteil einer Schlaftablette. Man wird nicht schläfrig. Ein bisschen dösig wird man vielleicht davon und man merkt es nicht, aber irgendwann morgen – vorausgesetzt, wir bekommen bis dahin keinen Schlaf, was sehr wahrscheinlich ist – werde ich Aufputschmittel verteilen, und die helfen uns dann auch schneller zu denken. Bis dahin sind wir dann ziemlich fertig. So, dass die Spinnen anfangen, an uns hochzukrabbeln.«
Er sah erneut auf die Karte und runzelte die Stirn. »Wenn wir umkehren und wieder bergab fahren, wäre da eine andere Straße, die am Kamm entlang zum Betty-Pass hinüberführt. Die sollte befahrbar sein.«
»Falls es sie überhaupt gibt«, brummte sie und legte den Rückwärtsgang ein.
»Oh, ihr Kleingläubigen«, sagte er und lehnte sich zurück. »Es könnte viel schlimmer sein, viel schlimmer.«
»Ach, tatsächlich?«, fragte sie sarkastisch.
»Glauben Sie's mir«, sagte Ryan und strich abwesend über das 600-Abzeichen an seiner Brust. »Ich habe das alles schon mitgemacht und habe auch die Narben, die es beweisen.«
»Ihr werdet was?«, fragte Shari. »Seid ihr wahnsinnig?«
»Na ja, ich bin nicht sicher, ob ich jemandem sagen werde, dass wir es getan haben«, antwortete Wendy. »Immer vorausgesetzt, dass wir lebend hier rauskommen. Aber, nein, wahnsinnig sind wir nicht.«
»Das müsst ihr aber sein«, sagte Shari wütend und sah sich in dem Saal um. »Ihr könnt doch diese Bude nicht in die Luft sprengen! Es sind doch überall Überlebende in der Urb!«
»Die haben vier Jahre gebraucht, die Rochester Urb zurückzuerobern«, gab Wendy zu bedenken. »Der Schätzung nach wird es nach zwei Wochen hier unten weniger als zweihundert Überlebende geben, und selbst das halte ich noch für eine großzügige Schätzung; ich würde eher sagen, weniger als zweihundert. Vergleiche das einmal mit den Posleen-Verlusten, wenn die ganze Urb mit ihnen hochgeht; im Augenblick sind wahrscheinlich fünfzig- oder sechzigtausend Posleen in dem Komplex.«
»Du kannst ohnehin nicht die ganze Anlage hochjagen«, widersprach Shari. »Die ist so konstruiert, dass sie sogar eine Atombombenexplosion überlebt.«
»Ja, aber eine von außen, Mädchen«, erwiderte Elgars. »Die Stützen sind nicht so konstruiert, dass sie gegen Beschädigungen von der Seite her sicher sind. Außerdem werden diese bloody bombs Brände entstehen lassen; 'ne ganze Menge sogar. Wenn das die Posleen nicht erledigt, dann werden davon immerhin die Stützen geschwächt werden, und das ganze Ding sackt in sich zusammen.«
Shari sah Elgars nachdenklich von der Seite an. »Was für Bomben? Und woher kommt plötzlich dieser britische Akzent?«
»Weil im Augenblick ein Brite aus ihr spricht«, erklärte Wendy. »Wahrscheinlich einer von ihren Demo-Experten. Und die Bomben sind all die Bottiche hier; jeder Einzelne ist mit Treibstoff-Öl-Bomben aus Ammoniaknitrat gefüllt.«
»Die sehen aus wie … grauer Schlamm«, sagte Shari.
»Keine Sorge, das ist eine Bombe«, belehrte sie Wendy. »Eine, die groß genug ist, um die ganze Urb und sämtliche Posleen darin zur Hölle zu jagen.«
»Und sämtliche menschlichen Überlebenden«, sagte Shari.
»Und sämtliche menschlichen Überlebenden«, nickte Wendy.
»Das ist doch krankhaft«, erregte sich die Ältere.
»Nein, das ist Krieg«, antwortete Wendy kühl. »Du erinnerst dich doch, wo wir herkommen?«
»Ich habe Fredericksburg überlebt«, brauste Shari auf. »Und es wird Leute geben, die das hier überleben werden! Aber nicht, wenn ihr diese Bombe auslöst!«
»Das Wichtige an Fredericksburg war, dass es den Posleen eine blutige Nase verschafft hat!«, konterte Wendy. »Von da an wussten sie, dass wir ihnen den Arsch aufreißen können, und zwar bei jeder Gelegenheit. Und mit dem hier werden wir ihrem Vormarsch den Kopf abschneiden und ihnen darüber hinaus mächtige Verluste zufügen. Und das ist das Opfer wert. Die Toten wert. Im Krieg sterben Menschen. Böse und Gute. Wenn ich der Ansicht wäre, dass die meisten von ihnen überleben würden, nein, dann würden wir die Bombe nicht hochgehen lassen. Aber fast alle von ihnen werden in diesen Tunnels sterben und zu Proviant für die Posleen werden. Und. Das. Werde. Ich. Nicht. Zulassen.«
»Dann wirst du also hier bleiben und dich selbst mit in die Luft jagen?«, fragte Shari bitter.
»Nein, verdammt!«, sagte Wendy. »Ich werde hier verduften, wenn ich das schaffe. Und dich und die Kinder mitnehmen! Und wir stellen die Bombe auf sechs Stunden von jetzt an …«
»Minus vier Minuten, um es genau zu sagen«, erklärte Elgars nach einem Blick auf den Schalter. »Und deshalb würde ich vorschlagen, dass die Damen ihre Diskussion jetzt beenden.«
»Scheiße«, sagte Shari leise. »Okay, okay. Gehen wir.« Sie blickte zur Decke, als könnte sie den Rest der Urb hinter den Wänden sehen, und schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid.«
»Mir tut es Leid, dass ich nicht in Abschnitt A gestorben bin«, sagte Wendy und legte Shari die Hand auf die Schulter. »Das wäre … sauber … gewesen. Aber wir werden den Posleen den Arsch aufreißen, und darauf kannst du dich verlassen.«
»Also, ihr beiden könnt euch meinetwegen noch lange darüber unterhalten«, sagte Elgars und strebte der Tür zu. »Aber ich werde sehen, dass ich hier rauskomme.«
»Einverstanden«, sagte Wendy und folgte ihr. »Einverstanden.«
Shari warf einen letzten Blick auf das Display und drehte sich dann um, um den beiden anderen zu folgen, als die nördliche Tür aufging.
Das Posleen-Normale warf nur einen Blick auf die drei Frauen und trottete dann über den schwankenden Steg auf sie zu, stieß einen gurgelnden Schrei aus und hob seine Railgun.
Wendy drehte sich um, stieß ebenfalls einen Schrei aus und hob ihre MP-5.
»NEIN!«, brüllte Elgars und riss ihr die Maschinenpistole weg. »Dann fliegt die ganze Bude in die Luft!«
»Friss Stickstoff, Arschloch!«, schrie Shari und feuerte einen Strahl der kryogenischen Flüssigkeit auf den Steg und somit auf den Feind.
Das Normale blieb stehen und starrte die Flüssigkeit an, die in einem weiten Bogen auf den Steg niederging. Es wirkte verwirrt und begriff offenbar nicht, weshalb die Thresh den Steg mit weißer Flüssigkeit besprühten. Aber als der Steg dann brüchig wurde und in Stücke ging, feuerte es einen Strom von Railgun-Geschossen ab und fiel dann schreiend in den Ammoniaktank.
»Oh, Scheiße«, sagte Wendy, die sich auf den Boden geworfen hatte, und rappelte sich auf.
Shari lag auf dem Rücken, die Hände gegen den Leib gepresst, das Blut strömte durch das Gitter des Stegs und tropfte auf den Boden hinunter.
Wendy ging auf sie zu und wälzte sie auf den Bauch, so dass man die Austrittswunde des Geschosses sehen konnte.
»Ah«, schrie Shari vor Schmerz. »O Gott! Wendy, ich spüre von der Hüfte abwärts überhaupt nichts mehr.«
»Weil deine Wirbelsäule getroffen ist«, sagte Wendy bedrückt. Sie legte einen Druckverband an und winkte Elgars zu, sie solle herkommen. »Leg da die Hand drauf.«
»Wir müssen weg«, sagte Elgars und drückte auf den Verband.
»Ja«, nickte Wendy. »Werden wir auch, nur noch einen Augenblick.« Sie riss eine Hiberzine-Spritze auf und drückte sie Shari gegen den Hals.
»Was ist das?«
»Hiberzine«, erklärte Wendy. »In dem Zustand kann ich dich wach nicht tragen.«
»Das will ich nicht«, keuchte Shari. »Die Kinder brauchen mich.«
»Nicht mit dem Loch in deinem Rücken«, erwiderte Elgars. »Du tust denen keinen Gefallen, wenn du bei jeder Bewegung schreist.«
»Wir sind beinahe beim Lift«, sagte Wendy verzweifelt. »Wir schaffen dich hinaus; dich an die Oberfläche zu bringen wird gar nicht schwierig sein.«
»Oh Gott«, sagte Shari, deren Lippen blau und kalt wurden. »Ich darf jetzt nicht sterben.«
»Wirst du auch nicht«, versprach Wendy. Sie presste ihr den Hiberzine-Injektor gegen den Hals und sah zu, wie die Frau schlaff wurde. Ihre Farbe verbesserte sich fast im gleichen Augenblick, als die Nanniten Blut in ihr Gehirn beförderten. Augenblicke später war ihr Gesicht gerötet, und die Zunge hing ihr seitlich aus dem Mund.
»Okay, gehen wir«, sagte Elgars.
»Scheiß drauf«, antwortete Wendy. »Wir brauchen eine Sanitätsanlage und eine Trage.« Sie zog das ErsteHilfe-Päckchen heraus und entnahm ihm ein paar Klammern. »Wenn ich sie auch nur ein bisschen zusammenflicken kann, verhindert das Hiberzine, dass sie unterwegs ausblutet.«
»Wir können sie nicht operieren!«, brauste Elgars auf. »Wir haben sechs Stunden, um hier rauszukommen, sonst sind wir alle im Arsch. Wir müssen hier weg.«
»WIR LASSEN SIE NICHT ZURÜCK!«, brüllte Wendy und richtete sich auf und schob ihr Gesicht so nahe an das von Elgars, dass ihre Nasen sich beinahe berührten. »NICHT. HAST DU MICH VERSTANDEN?«
Elgars wich ihrem Blick nicht aus, gab aber eine Sekunde später nach. »Die meisten Anlagen der Klasse Eins sind dort, wo Leute sind. Und falls du keine Abendkurse als Trauma-Internistin gemacht hast, können wir nicht viel für sie tun.«
»Stabilisieren können wir sie«, sagte Wendy und deutete auf die Konsole. »Such eine Sanitätsanlage, wo es nicht von Posleen wimmelt.«
»Das ist unmöglich«, sagte Elgars und schüttelte den Kopf. Aber sie tippte die Anfrage dennoch ein, verlangte den Standort der nächsten Sanitätsanlage für Komplettbetrieb. Eigenartigerweise verlangte das System ihren Benutzemamen und ihr Passwort. Sie gab beide ein und erfuhr, dass sich eine Anlage der Klasse Eins Plus nur drei Quadranten entfernt befand. Die Karte zeigte, dass sie sich in einer Wandnische des Hauptsektors befand.
»Da gibt es eine Anlage praktisch nebenan«, sagte Elgars. »Die Tür, die auf der Karte nicht verzeichnet war, die du dir heruntergeladen hast? Das ist der Zugang zu der Anlage.«
»Na schön, dann haben wir Pech gehabt«, schimpfte Wendy. »Die kriegen wir nicht auf.«
»Lass uns zurückgehen«, sagte Elgars. »Vielleicht fällt mir etwas ein.«
»Was denn?«, wollte Wendy wissen.
»Das weiß ich nicht. Ich werde eben ›Sesam öffne dich‹ sagen oder so etwas.«
»Na schön, hol die Kinder«, sagte Wendy. »Ich werde Shari hinter mir herzerren.«
»Großartig«, sagte Elgars. »Ich soll die Kinder holen.«
»Mir würden sie widersprechen«, erklärte Wendy und hievte sich Shari im Feuerwehrgriff auf die Schultern. »Ich denke, du wirst vor mir dort sein.«
Elgars legte die Handfläche auf den Türscanner, während Wendy Shari durch die Tür in den Tanksaal schleppte. Als sie die Hand auf die Platte legte, öffnete sich die Tür.
»Was hast du gemacht?«, fragte Wendy. Sie schwitzte und keuchte von der Anstrengung; sie hatte schon einen anstrengenden Tag hinter sich.
»Ich habe bloß die Hand auf den Scanner gelegt«, meinte Elgars und zuckte die Achseln. »Ich bin vom Militär; vielleicht ist das Ding so konstruiert, dass es für Militärpersonen öffnet.«
Den Raum, der jetzt offen vor ihnen lag, säumten an beiden Wänden Spinde; bei der Tür auf der anderen Seite schien es sich um eine Luftschleuse zu handeln.
»Du wolltest doch eine Sanitätsanlage, nicht wahr?«, fragte Wendy und schob sich Sharis leblosen Körper zurecht. Sie sah sich um, aber der Saal wirkte eher wie der Zugang zu einem Clean Room, in dem Computerchips hergestellt wurden.
»Ja«, sagte Elgars und führte die Kinder zu der Tür auf der anderen Seite. Auch sie ließ sich auf Berührung öffnen. »Das geht so schon in Ordnung. Die Karte hat einen gewundenen Weg gezeigt; wir müssen sehen, was das bedeutet.«
Die Gruppe drängte sich in die Luftschleuse, und Elgars öffnete – wieder mit Handauflegen – die nächste Tür, hinter der sie violette Dunkelheit empfing.
Das Licht aus der Luftschleuse fiel auf die hintere Wand, und Elgars spürte, wie sie ein geradezu gespenstisches Schaudern überlief. Die Wand war ganz offensichtlich künstlich geschaffen, aber sie wirkte organisch, und die Art und Weise, wie der Tunnel sich nach rechts davonschlängelte, ließ in ihr unangenehme Assoziationen an Eingeweide aufkommen.
Eingeweide von violetter Farbe; das Licht, das von den Wänden abstrahlte, war von tiefem Violett. In der Ferne war ein gurgelndes Geräusch zu hören, nicht so sehr wie von einem Brunnen oder einem dahinplätschernden Bach, sondern eher wie von einem verstimmten Magen, und aus etwas größerer Nähe waren hohe, schrille Pfeiflaute zu hören. Der Geruch war seltsam und fremdartig und von einer beißenden Süße, die dem Rautenhirn sagte, dass sie sich nicht länger in menschlicher Umgebung befanden.
Elgars umfasste ihr Gewehr fester und sah sich in dem violetten Tunnel um. »Das gefällt mir nicht. Das gefällt mir ganz und gar nicht.« Man konnte sie leise keuchen hören.
Wendy schob sich Sharis träge Masse auf der Schulter zurecht und zuckte so gut sie konnte die Achseln. »Mir ist ziemlich egal, ob es dir gefällt oder nicht; hier sollte eine Traumaanlage sein, und die werden wir finden.«
»Wo ist ein Infoterminal?«, fragte Elgars rhetorisch.
»Benötigen Sie Information, Captain Elgars?«, fragte eine einschmeichelnd klingende Stimme aus den Wänden.
Elgars löste die Hände eines der Kinder von ihrer Uniform und sah sich um. »Wer hat da gefragt?«
»Dies ist das AID der Anlage, Captain«, antwortete die Stimme. »Benötigen Sie Hilfe?«
»Wir haben eine Patientin«, antwortete Wendy. »Wir brauchen eine Sanitätsanlage.«
Keine Antwort.
Elgars sah Wendy an und zuckte die Achseln. »Wir haben eine Patientin, wir brauchen eine Sanitätsanlage«, wiederholte sie.
»Folgen Sie dem Kobold«, antwortete das AID. Einer der blau leuchtenden Mikriten erschien und hüpfte in der Luft auf und ab. »Er wird Sie zu der Anlage führen.«
Die Gruppe folgte dem Kobold auf einem gewundenen Weg. Das schrille Pfeifen und Gurgeln in der Ferne schien keine Sekunde lang aufzuhören oder auch nur sich zu verändern, aber das Licht in den Bereichen, die sie passierten, wurde heller und schwächte sich hinter ihnen wieder ab.
Hie und da sahen sie niedrige, meist leere Räume beiderseits des Ganges. In einigen davon gab es Hocker oder Kissen, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Schirmpilzen hatten, und in einem der Räume standen eine niedrige Bank und ein Tisch, die aussahen, als wären sie für Kinder bestimmt. An manchen Stellen schlug die organisch wirkende Wand Falten, bei denen es sich sowohl um Öffnungen in weitere Räume wie auch ganz schlicht um Eigenheiten der Architektur handeln konnte.
Schließlich erreichten sie einen Raum, dessen Decke etwas höher als die der meisten anderen Räume war. In der Mitte war ein kleines Podest zu sehen und darauf ein Gebilde, das wie ein mit einer Glasplatte abgedeckter Altar wirkte.
»Bitte, legen Sie die Patientin in die Kammer«, tönte das AID, während der Kobold flackernd verlosch. Die Oberseite der Kammer schien zu verschwinden, nicht etwa sich zu öffnen oder sich wegzufalten, wie das bei Memoryplastik der Fall gewesen wäre.
»Was wird das mit ihr anstellen?«, fragte Wendy.
»AID, würdest du diese Frage bitte beantworten«, sagte Elgars ungeduldig. »Und zukünftige Fragen jener Person, so weit sie zulässig sind.«
»Die Nano-Kammer wird das Subjekt reparieren«, antwortete das AID. »Die Alternativen sind Reparatur, Reparatur und Verjüngung oder volle Aktualisierung.«
Wendy ließ Shari langsam auf den »Altar« sinken und fröstelte dabei unbehaglich. »Computer, worin besteht eine ›volle Aktualisierung‹?«, fragte sie.
»Die Patientin bekommt eine nanoverstärkte Muskulatur, Schnellheilung und Knochenstruktur«, antwortete das AID ausdruckslos. »In Verbindung mit implantierten Kampffähigkeiten.«
»Oh Scheiße«, sagte Elgars. »Computer, worauf basiert mein Zugang zu dieser Anlage? Ist es, weil ich Offizier beim Militär bin?«
»Nein, Captain«, antwortete das AID. »Sie sind Patientin in Behandlung.«
»Du meine Güte«, sagte Wendy bitter. »Wie lange dauert die Reparatur, Computer?«
»Die Reparatur für entdeckte Schäden nimmt etwa zehn Minuten in Anspruch. Eine volle Aktualisierung wird etwa fünfzehn Minuten dauern.«
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, murmelte Wendy. »SCHEISSE!«
»Es war die ganze Zeit hier«, sagte Elgars bitter.
»Die hätten David Harmon jederzeit reparieren können, wenn sie nur gewollt hätten.«
»Oder die alten Leute verjüngt.«
»›In den Regenerationstanks würde es Monate dauern‹«, zitierte Wendy bitter. »Die Frage ist, ob Shari die Erinnerungen von jemand anderem möchte.«
»Seit den Experimenten an Captain Elgars sind an dem System Verbesserungen vorgenommen worden«, plapperte der Computer fröhlich. »Sekundäre Erinnerungs- und Persönlichkeitsauswirkungen sind stark reduziert worden. Außerdem war es erforderlich, in Captain Elgars wegen des kompletten Verlustes der ursprünglichen Funktion einen vollen Persönlichkeitskern zu implantieren.«
»Sag das noch mal so, dass man es verstehen kann«, herrschte Elgars das AID an.
»Anne Elgars hat nicht mehr existiert; sie war tot«, sagte der Computer. »Infolge umfangreicher Gehirnschäden war es notwendig, sämtliche Funktionen mit Ausnahme derer des Rautenhirns zu löschen und einen kompletten Persönlichkeitskern nachzuladen. Diese Patientin hat keine wesentlichen neurologischen Schäden erlitten.«
»Oh Scheiße«, sagte Elgars leise und setzte sich auf den Boden. »Wer war es?«
»Diese Information ist dieser Anlage nicht zugänglich«, antwortete der Computer. »Einige Persönlichkeitskerne sind von Tchpth zur Erde gebracht worden, andere hat man auf der Erde eingesammelt.«
»Computer«, sagte Wendy. »Volle Aktualisierung.«
»Dieser Befehl muss von Captain Elgars kommen«, sagte der Computer.
»Befolgen«, flüsterte Elgars. »Tu es.« Auf diese Anweisung hin schloss sich der »Altar« und wurde undurchsichtig, so dass man die schwer verletzte Frau jetzt nicht mehr sehen konnte.
»Annie«, sagte Wendy, setzte sich neben sie und legte den Arm um sie. »Nimm es nicht so schwer. Die haben dich gerettet. Alles andere ist unwichtig.«
»Wer auch immer ›ich‹ bin«, sagte Elgars. »Diese Mistkerle. Nicht einmal meinen Ärzten haben die das gesagt. Kein Wunder, dass die mich für verrückt hielten; schließlich bin ich das ja.«
»Natürlich haben sie es deinen Ärzten nicht erklärt«, sagte Wendy mit einem verschmitzten Grinsen. »Da hätten sie ja diese Anlage erklären müssen. Und du bist nicht verrückt, wir alle haben unterschiedliche ›Leute‹, die in uns zugange sind. Wir zeigen nur je nach Anlass die eine oder die andere.«
»Sicher, aber das ist bloß eine Frage der Formulierung«, sagte Elgars. »Ich bin wirklich mehrere Leute. Wie … Frankenstein, aber im Kopf. Zusammengestückelt.«
»So empfinde ich das nicht«, wandte Wendy ein. »Man hat bei dir den Eindruck … als würdest du einige der Persönlichkeiten manifestieren und dann verschwinden sie. Du hast nur noch ganz selten einen Akzent. Und das erklärt wahrscheinlich auch deine Sprachstörung; du konntest dich nicht entscheiden, welcher Akzent wirklich ›du‹ warst. In letzter Zeit wirkst du … vollständiger. Ich denke, am Ende wird das alles gut werden. Du wirst dann wieder … Anne Elgars sein. Aber …« Sie schnaubte. »Aber ›aktualisiert‹.«
»Ich dachte, ich bin von Natur aus stark«, meinte Elgars und ließ einen Muskel spielen. »Dabei sind es bloß die Nanniten.«
»Und dein Fitnesstraining«, korrigierte sie Wendy. »Ich kann mir vorstellen, dass dir das eine … irgendwie eine stärkere Basis verleiht. Und von dem Punkt aus musst du selbst daran arbeiten.«
Wendy sah zu der Gruppe Kinder hinüber und schüttelte den Kopf. »Wir kommen hier raus, Kinder. Alle kommen wir raus.«
»Was ist mit Mami? Wird sie wieder gesund?«, fragte Kelly mit tränenüberströmtem Gesicht. Die Kinder waren ihnen fast stumm gefolgt, nachdem Elgars ihnen streng ins Gewissen geredet hatte.
»Der Computer sagt, dass sie anschließend wieder so gut wie neu sein wird«, sagte Wendy und nahm die Kleine auf den Schoß und drückte sie an sich. »Besser noch, sie wird wahrscheinlich anfangen jünger auszusehen.«
»Kann der Computer das?«, fragte Shannon und schob sich Ambers Tragegestell zurecht. Die Zehnjährige hatte durchgehalten wie ein Soldat, aber jetzt war ihr anzumerken, dass ihre Kräfte schwanden.
»Der Computer sagt das«, meinte Elgars, nahm dem Mädchen das Tragegestell ab und setzte das Baby auf den Boden. »Wir müssen eben sehen. Und weil wir gerade davon sprechen – Computer, bist du schlau genug, um zu wissen, dass gerade eine Invasion der Posleen stattfindet?«
»Ja«, sagte das AID.
»Sind welche in diesem Abschnitt?«
»Negativ; die nächsten sind im Hydroponik-Sektor.«
»Sag mir Bescheid, wenn sich das ändert, ja?«
»Hey, Computer«, sagte Wendy. »Wo sind all die Techniker hin?«
»Erklärung, bitte«, sagte der Computer.
»Na ja«, meinte Wendy nach einem Blick in die Runde. »Ich habe keine Krabben oder Indowy rumlaufen sehen. Und das meiste Zeug hier drinnen ist doch von denen. Wo sind die also hin?«
»Der Primärzugang zu diesem Abschnitt ist separat von der SubUrb«, antwortete das AID und projizierte ein Hologramm in den Raum. »Der Ausgang befindet sich an der Südostflanke des Pendergrass Mountain.«
»Und einen Hinterausgang gibt es«, erregte sich Wendy. »Wenn ich je herausbekomme, wer das eingerichtet und dann geheim gehalten hat, dann reiß ich ihm das Herz heraus und esse es vor seinen Augen.«
»Nun, das wäre vielleicht ein wenig übertrieben«, sagte Elgars. »Wäre es nicht vielleicht sinnvoller, sie einfach nur zu töten?«
»Nein, ich möchte nicht, dass jemand uns noch einmal so in die Pfanne haut«, sagte Wendy. »Herrgott, bin ich sauer.«
»Worüber?«, fragte Shari und setzte sich auf.
Die durchsichtige Abdeckung war wieder so lautlos verschwunden, dass niemand es bemerkt hatte. Mit Ausnahme von Billy, der dasaß und Shari mit großen Augen anstarrte.
»Mo … Mommy?«, krächzte er.
»Billy«, sagte Shari. »Du hast geredet!«
»D …« Der Junge schluckte und räusperte sich dann. »Du … du bist so jung.«
Shari sah so aus, wie sie vielleicht auf der High School ausgesehen haben mochte. Sämtliche Runzeln und Falten waren verschwunden, als hätten sie nie existiert. Sie blickte auf die Bandagen, die immer noch um ihre Kleider gewunden waren, und schüttelte den Kopf.
»Selbst die Blutflecken sind weg«, flüsterte sie.
»Das Loch in deinem Hemd hat es nicht gestopft«, erwiderte Wendy, sah den Riss an und betastete dann die Haut darunter. »Aber da ist nicht einmal eine Narbe. Wie fühlst du dich?«
»Prima«, sagte Shari und blickte verwundert auf ihre Hände. »Gut. Besser, als ich mich seit Jahren gefühlt habe. Stark. Was in aller Welt ist da geschehen?«
»Das ist allem Anschein nach die Anlage, die mich repariert hat«, antwortete Elgars. »Wir waren der Ansicht, du würdest eine volle Aktualisierung vorziehen. Unter anderem schließt das eine Verjüngung ein.«
»Wow«, machte Shari und bestaunte die Glätte ihrer Haut. »Mike wird …« Sie hielt inne und verzog das Gesicht. »Nein, wahrscheinlich nicht.« Einen Augenblick lang konnte man Tränen in ihren Augen sehen.
»Hey, der verträgt einiges«, sagte Wendy. »Wir gehen in den Nordwesten; auf die Weise sollten wir es schaffen, die Posleen zu umgehen. Sobald wir einen sicheren Ort erreicht haben, sehen wir in der Flüchtlingsdatenbank nach.«
»Falls wir hier rauskommen«, meinte Shari nachdenklich.
»Wie wir jetzt wissen, gibt es eine Hintertür«, sagte Elgars trocken. »Auch wieder so eine Kleinigkeit, die die Erbauer dieser Anlage versäumt haben, dem Rest der Urb gegenüber zu erwähnen.«
»Wir können direkt zum Pendergrass Mountain gehen«, nickte Wendy. »Ohne zu warten.«
»Dann lass uns gehen«, sagte Shari, stand auf und zog sich die Bandagen herunter.
Wendy war anzumerken, dass ihr etwas durch den Kopf ging, als sie jetzt den Altar ansah. »AID, wie lange dauert es, bis die ersten Posleen hier auftauchen?«
»Im Hydroponik-Sektor sind Posleen. In Anbetracht der chaotischen Bewegungsweise der Posleen ist es unmöglich, präzise Zeitangaben für ihr Eintreffen in diesem Abschnitt zu generieren.«
»Mhm«, sagte sie. »Meinst du, die Zeit reicht für eine volle Aktualisierung?«
»Hältst du das für eine gute Idee?«, fragte Shari.
»Hörst du Stimmen in deinem Kopf?«, fragte Wendy. Sie nahm Sharis Steyr und warf es ihr hin. »Da, fang.«
Shari fing die Waffe auf und zog den Verschluss ein wenig zurück, um zu sehen, ob eine Patrone im Lauf war. Dann sicherte sie die Waffe und hielt sie mit dem Lauf zu Boden gerichtet – wie Taktik-Teams ihre Waffen zu tragen pflegen. »Was beweist das?«
»Da, schau, wie du es hältst«, sagte Wendy und grinste. »Sag ›Feuer‹.«
»Warum?«, fragte Shari argwöhnisch und blickte auf die Waffe hinunter. Die Art und Weise, wie sie sie hielt, wirkte auf sie seltsam, aber … das Gefühl stimmte.
»Sag es einfach«, drängte Wendy.
»Feuer.«
»Da, siehst du«, sagte Wendy und grinste erneut. »Keine Spur von Akzent. Die haben alle Schwachstellen beseitigt, als sie es an Elgars ausprobiert haben.«
»Ich bin also ein Versuchskaninchen«, meinte Elgars missmutig.
»Also, Computer«, sagte Wendy. »Hab ich Zeit?«
»Unbekannt. Und wenn Posleen die Außentür aufbrechen, habe ich Anweisung, diese Anlage mit extremem Präjudiz zu schließen«, sagte das AID. »Ich werde dann verlangen müssen, dass Sie sich entfernen.«
»Was passiert, wenn ich zu dem Zeitpunkt in der Kammer bin?«, fragte Wendy.
»Das wollen Sie nicht«, erwiderte das AID.
Sie sah die beiden anderen Frauen an. »Das ist wahrscheinlich die einzige Chance auf Verjüngung, die ich je bekomme. Wenn es schon nicht das ewige Leben ist, kommt es ihm doch einigermaßen nahe.«
Shari seufzte. »Dann los.«
»Computer«, sagte Elgars. »Bitte volle Aktualisierung an dieser Patientin.«
»Sehr wohl«, erwiderte das AID und öffnete die Abdeckung. »Legen Sie sich auf die Platte.«
Sie mussten noch kurz warten, weil Elgars den Computer dazu veranlasste, ihnen einen Wegeplan zum Ausgang herunterzuladen, und Shari sich vergewisserte, dass alle Kinder fluchtbereit waren. Bei der Gelegenheit überzeugte sie ihre Schützlinge auch davon, dass sie wirklich Miss Shari war. Nachdem sie die Route überprüft und sich vergewissert hatten, dass es zwischen ihrer augenblicklichen Position und der Oberfläche keine Posleen geben sollte, übernahm sie es, Amber zu tragen, und fing an, ihr die Flasche zu geben.
Etwa zu dem Zeitpunkt öffnete sich die Anlage, und Wendy setzte sich auf.
»Verflixt«, sagte sie. »Das ist so, als ob man Hiberzine genommen hätte. Es ist überhaupt keine Zeit verstrichen.«
»Fühlst du dich irgendwie anders?«, wollte Elgars wissen.
»Stärker«, sagte Wendy. »Es fühlt sich wie … ich weiß nicht, mein Atem fühlt sich irgendwie anders an. Ich komme mir wie aufgeladen vor, besser kann ich es nicht ausdrücken.«
»Also, gehen wir«, sagte Shari und nahm das Kind unter den einen Arm und das Bullpup unter den anderen. »Ich möchte nicht, dass diese Bude hier sich ›mit extremem Präjudiz über uns schließt‹.«
»Wissen wir, wo wir hingehen?«, fragte Wendy.
»Jetzt schon«, sagte Elgars und hob ihr PDA. »Aber … Computer, könnten wir einen Kobold kriegen?«
»Aber sicher«, erwiderte das AID, und einer der Mikriten blitzte vor ihnen auf.
»Bereit zum Abmarsch«, sagte Elgars.
»Okay«, nickte Wendy. »Gehen wir.«
Sie verließen den Saal nach links und bewegten sich auf einem gewundenen Pfad, der sie zweimal durch große membranartige Öffnungen führte, die Wendy an Herzklappen erinnerten, bis sie schließlich einen noch wesentlich größeren Saal als den mit dem Verjüngungsgerät erreichten. In der Mitte des Saals, der schätzungsweise fünfzig Meter durchmaß und fast ebenso hoch war, stießen sie auf etwas, das wie ein purpurfarbener, riesiger Brotlaib wirkte.
»Was ist das?«, fragte Elgars, als der Kobold in der Ferne verschwand.
»Die Transportkapsel«, antwortete das AID, während sich gleichzeitig in der Seite des Gebildes eine rechteckige Tür öffnete. Das Rechteck war waagerecht angeordnet und als Eingang für Menschen zu niedrig. Elgars musste sich ducken, um sich nicht den Kopf anzustoßen.
Das Innere war etwa ebenso unangenehm und unansehnlich wie die Außenseite; es bestand hauptsächlich aus violett-blauem Schaum mit gelegentlichen grünen Flecken, die in dem eigenartigen Licht eher bräunlich wirkten.
»Bitte nehmen Sie Platz«, tönte das AID. »Dieser Transporter verlässt die Station.«
Die Gruppe setzte sich auf den Boden und sah sich um, wartete darauf, dass das Gerät sich in Bewegung setzte. Es gab keine Fenster, sie konnten also nicht sehen, was draußen vor sich ging; praktisch betrachtet handelte es sich um ein kleines, in sich geschlossenes Universum.
»AID?«, fragte Elgars nach einer Weile. »Wann setzen wir uns in Bewegung?«
»Sie befinden sich auf halbem Wege nach Pendergrass Mountain, Captain Elgars.«
»Oh.« Sie sah sich erneut um und zuckte die Achseln.
»Trägheitsdämpfer«, erklärte Wendy. »So etwas wie in Raumfahrzeugen; es ›dämpft‹ die Bewegung.«
»Okay«, meinte Shari und zuckte die Achseln. »Wann kommen wir dann dort an?«
»Jetzt«, sagte Wendy, als sich die Tür in völlige Schwärze öffnete.
»Das ist nicht so gut«, sagte Elgars und trat auf den kaum sichtbaren Boden. Als sie sich umsah, stellte sie fest, dass sie sich in einem Saal befanden, der ziemlich groß war und bei dem es sich offenbar um eine natürliche Kaverne handelte. Aber es gab keinen sichtbaren Eingang, der ins Innere des Berges führte; es war, als wäre der Transporter durch massives Felsgestein gegangen. »Okay, jetzt habe ich Angst.«
»Es ist kurz vor Morgendämmerung«, sagte Shari. »Wir müssen die Kinder schlafen lassen. Und ich könnte auch etwas Ruhe gebrauchen.«
»Hier draußen ist's kalt«, sagte Wendy und zog an ihrem zerfetzten Hemd. »Vielleicht könnten wir in dem Transporter schlafen.«
»Und lassen uns davon plötzlich in die Urb zurücktragen?«, fragte Elgars. »Doch wohl eher nicht.«
»Wir haben Decken«, meinte Shari. »Wir können uns hier hinlegen. Wenn wir uns alle aneinander kuscheln, ist es nicht so schlimm.«
»Okay«, sagte Wendy und sah sich um. »Dort hinten an den Wänden. Ob wir ein Feuer machen können?«
»Das ist wahrscheinlich keine gute Idee«, meinte Elgars. »Das Licht und die Wärme könnten auf uns aufmerksam machen. Wir müssen bloß diese Nacht überstehen; morgen finden wir bestimmt besseres Material.«
»Okay«, sagte Wendy. »Dann wollen wir ein wenig schlafen. Und hoffen, dass es morgen besser wird.«