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Zeitweilig unzurechnungsfähig
»Es bringt dich bestimmt nicht um«, meint Shayla.
»Vielleicht doch«, entgegne ich.
»Du stellst dich an wie ein Baby. Gegen Ende meines Studiums habe ich das jeden Sommer gemacht, und es war leicht verdientes Geld. Warum versuchst du es nicht einfach? Könnte die Lösung all deiner Probleme sein. Und du hättest nicht nur wieder ein Einkommen - es könnte sich vielleicht sogar eine Festanstellung daraus ergeben.«
»Aber ist das nicht erniedrigend?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber mal angenommen, es wäre so, was wäre auf lange Sicht erniedrigender: ein Zeitarbeitsjob, mit dem du dir ein paar Kröten verdienen kannst, oder nachmittags um drei im Pyjama auf der Couch rumhängen, rumjammern, dass du keinen Job hast, und Wein aus dem Tetrapak trinken?«
»Das ist kein Pyjama. Das ist ein Freizeitanzug.« Ich streiche mir das Hosenbein glatt und rücke den Reißverschluss meines grauen Kapuzenpullis zurecht. »Zugegeben, es ist eine bordeauxrote Flanellhose mit Eisbär-Druck und Eingriff, in der ich hin und wieder auch schon mal schlafe, aber ich gehe damit auch in den Supermarkt und mit den Hunden in den Park.«
»Nur weil du behauptest, es sei kein Schlafanzug, heißt das noch lange nicht, dass es tatsächlich keiner ist.«
»Egal. Und außerdem ist dieser Wein aus der Tüte viel besser, als man denkt. Probier doch auch mal ein Schlückchen.«
»Würde ich ja gerne, aber ich muss morgen früh unterrichten. Da bleibe ich lieber beim Tee, danke.« Shayla hat ihren Doktor gemacht und ist inzwischen Assistenzprofessorin, und trotzdem findet sie noch die Zeit, in einer alternativen Countryband namens Brother Lowdown zu spielen und gelegentlich nachmittags ein Gläschen Wein mit mir zu kippen. Shayla ist in mehr als einer Hinsicht der Hammer.
»Wann habt ihr denn mit Brother Lowdown euren nächsten Gig?«
»Wir spielen am Freitag im Abbey Pub.«
»Cool. Wenn wir’s schaffen, sind wir bei dem Konzert dabei.«
»Benimmst du dich diesmal bitte, wenn du kommst? Die reden da noch immer über dich.«
Was nicht allein meine Schuld ist. An dem fraglichen Tag hatte ich einen kleinen Nervenzusammenbruch wegen einer exorbitant teuren Reparatur an meinem Auto, weshalb ich ein, zwei Pillen eingeworfen und nicht mehr daran gedacht habe, dass ich später noch ausgehen wollte. Aus mir unerfindlichen Gründen waren Brother Lowdown bloß eine halbe Stunde auf der Bühne, sehr zu meinem Missfallen. Eine andere Band aus der Gegend, Butterside Down, spielte nach ihnen. Deren einziger Fehler war, dass sie nicht Brother Lowdown waren. Ich gab ihnen die Schuld an Brother Lowdowns kurzem Konzert. Wie es scheint, sollte man nicht Medikamente gegen Angstzustände und Himbeerwodka mit Soda mischen. Zwei Türsteher komplimentierten mich gewaltsam aus dem Laden, weil ich vor der Bühne gestanden und Schimpftiraden losgelassen hatte à la: »Butterside ist doof! Butterdoof ist doof! Doofiside Down!«
Zumindest wurde es mir so erzählt.
Fünfzehn Stunden später erwachte ich vollständig bekleidet in der Badewanne, ohne irgendeine Erinnerung an den vergangenen Abend und mit einem seltsamen Verlangen nach gebuttertem Toast.
»Ich benehme mich«, versprach ich.
»Übrigens, netter Versuch, das Thema zu wechseln. Fletch hat mich gewarnt, du würdest bestimmt versuchen, dich da rauszuwinden. Du hast mich zum Brainstorming herbestellt, aber von der naheliegendsten Lösung willst du nichts wissen. Ich sage dir, Zeitarbeit ist halb so schlimm.«
»Wie wäre es damit? Wenn - und das ist ein dickes, fettes Wenn, wenn ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werde, aber gleichzeitig einen Zeitarbeitsjob habe, was mache ich denn dann?«
Shayla rührt Honig in ihren Tee und erklärt: »Im Gegensatz zu normalen Arbeitgebern ist es den Zeitarbeitsagenturen nicht nur egal, ob du eine Festanstellung suchst oder nicht, sie rechnen sogar damit. Solltest du zu einem Vorstellungsgespräch müssen, dann sagst du einfach vorher Bescheid und jemand anderer kann deine Schicht übernehmen.« Sie drückt eine Zitronenscheibe über dem Tee aus und rührt noch mal um. »Warum fragst du? Ist das ein Thema? Hattest du in letzter Zeit so viele Vorstellungsgespräche?«
Mit einem tiefen Seufzen kraule ich Maisy die Ohren. Wie immer liegen die Hunde und die Katzen in einem großen Knäuel um mich herum. Um Geld zu sparen, habe ich die Heizung auf knapp sechzehn Grad heruntergedreht, und die frierenden Tierchen werden von meiner Körperwärme magisch angezogen. Als Shayla ankam, habe ich sie hereingebeten, ihr aber gleich geraten, lieber den Mantel anzulassen. »Nicht der kleinste Hoffnungsschimmer in beinahe zwei Monaten. Mittlerweile bewerbe ich mich auf Jobs, bei denen ich gerade mal mein Anfangsgehalt nach dem College verdienen würde.«126
»Oh nein. Warst du bei irgendwelchen Netzwerk-Veranstaltungen?«
»Dutzendfach. Aber die einzigen Leute, mit denen ich genetzwerkt habe, waren auch arbeitslos.«
»Wie viele Bewerbungen hast du verschickt?«
»Aberhunderte. Ich bewerbe mich inzwischen auf jeden Job, der mir unter die Nase kommt.127 Manche Arbeitgeber, mit denen ich gesprochen habe, sagen, sie bekommen solche Unmengen an Bewerbungen, dass sie nicht mal mehr Formbriefabsagen verschicken. Aber wenn du mich fragst, ich glaube, die Arbeitgeber genießen den Umschwung im Wirtschaftsklima. Scheint, als ob sie an allen Rache nehmen können, die damals abgehauen sind, um bei Internetfirmen zu arbeiten. ›Ihre ach-so-tolle Strumpfhosenversandfirma hat sich nicht rentiert? Und jetzt wollen Sie wieder bei uns anfangen? Ha!‹ Die lachen sich ins Fäustchen, dass die Nachfrage inzwischen größer ist als das Angebot.«
»Aber allem Anschein nach machst du doch alles richtig, wo also liegt das Problem?«
»Na ja, einige Faktoren arbeiten auch gegen mich. Erstens machen nämlich Tausende anderer Arbeitsloser auch alles richtig. Außerdem geht es aufs Jahresende zu, da stellt niemand mehr ein, ehe die neuen Budgets im Januar kommen. Und die ganzen Gerüchte über einen möglichen Krieg tragen auch nicht gerade dazu bei, dass sich die Situation am Arbeitsmarkt entspannt. Und für irgendwelche Assistenzjobs habe ich früher zu viel Geld verdient, da bin ich zu teuer für den Markt.«
»Vielleicht ist dein Lebenslauf zu gut? Womöglich solltest du deine Berufserfahrung ein bisschen herunterspielen, nur um einen Fuß in die Tür zu bekommen?«
»Auf die Idee bin ich auch schon gekommen. Hat aber auch nicht geholfen. Nach den besseren Jobs lecken sich ehemals teure, erfahrene Spitzenkräfte alle zehn Finger; die bekommt man inzwischen für einen Apfel und ein Ei. Meine Dienste sind also nicht gefragt.« Ich stärke mich mit einem weiteren großen Schluck Wein. »Und wenn ich mich auf weniger interessante Jobs bewerbe, sind die betreffenden Arbeitgeber felsenfest davon überzeugt, dass ich mich zu Tode langweilen werde. Ich habe ja sogar versucht, eine Teilzeitstelle bei einem Gassigänger-Service zu bekommen mit dem Hintergedanken, durch die Bewegung ein bisschen abzunehmen, aber der Inhaber meinte, wenn ich ihm nicht wenigstens für ein Jahr fest zusagen könnte, habe er kein Interesse. Also sitze ich hier im Pyjama, trinke Billigfusel und bin mit meinem Latein am Ende.«
Shayla kramt in ihrem Rucksack herum und holt eine Visitenkarte heraus. »Das ist die Nummer vom Chef meiner Zeitarbeitsagentur. Er heißt Chuck, und er ist echt nett. Sag ihm, dass du die Nummer von mir hast, dann bringt er dich sicher gleich unter.« Shayla will mir die Karte in die Hand drücken, aber ich zögere, sie überhaupt anzufassen. »Jetzt nimm schon. Sie beißt nicht. Ruf ihn an.« Mit strengem Blick mustert sie mich und fügt hinzu: »Sofort.«
Mit äußerstem Widerwillen nehme ich die Karte entgegen. »Es gab eine Zeit, da mochte ich dich wirklich.«
»Selbstmitleid und Gummibundhosen stehen dir nicht. Ruf da an. Du wirst mir noch danken, wenn du deinen ersten Scheck einlöst.«
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Fletch und ich haben darüber geredet und sind zu dem Schluss gekommen, dass ich es mal mit Zeitarbeit versuchen sollte.128 Im Grunde genommen läuft es darauf hinaus, dass ich entweder einen Zeitarbeitsjob annehmen muss oder uns keine andere Wahl mehr bleibt, als in eine günstigere Wohngegend zu ziehen. Ja, wir haben darüber geredet umzuziehen, aber ich finde, wir soll-ten aus freien Stücken umziehen, und nicht, weil wir dazu gezwungen sind. Unsere Miete reißt jeden Monat ein riesiges Loch in Fletchs Abfindung, und unser straffes Budget sieht keinerlei Schnickschnack wie Weihnachtsgeschenke oder Wein aus Flaschen vor.
Also habe ich mich zusammengerissen und Shaylas Zeitarbeitsagentur angerufen. Und jetzt sitze ich hier und lasse die Aufnahmeprozedur über mich ergehen und muss gleich den Schreibmaschinen-Geschwindigkeitstest machen. Zum ersten Mal seit langem bin ich froh, auf eine popelige kleine Highschool gegangen zu sein, wo wir auf elektrischen Schreibmaschinen Tippen lernten statt auf einem Computer. Gerade bin ich Zeuge gewesen, wie zwei Leute bei dem Test kläglich versagt haben, weil sie nicht wussten, wo das Papier eingeführt wird oder wie der Wagenrücklauf funktioniert. Außerdem sind sie zu diesem Kenntnistest in JEANS angetanzt, wohingegen ich in einem aparten Nadelstreifen-Hosenanzug aufgelaufen bin, passend mit gestärktem weißem Hemdkragen, und mir die Haare zu einer umwerfenden klassischen Banane hochgesteckt habe. Ha! Denen werde ich zeigen, was eine Harke ist.
Ich setze mich vor der Schreibmaschine in Positur, die Hände anschlagbereit über den Tasten. Jill, die Sekretärin der Agentur, steht mit einer Stoppuhr hinter mir. »Okay, Sie tippen jetzt genau sechzig Sekunden lang. Wenn Sie einen Fehler machen, tippen Sie einfach weiter. Und … drei, zwei, eins - los!«, ruft sie.
Ich lege los! Meine Finger flitzen wieselflink über die vertrauten alten Tasten, und in Rekordzeit hämmere ich ganze Absätze in die Maschine. Aus der steigt buchstäblich Rauch auf, und der Motor brummt, während der Kugelkopf in rasanter Folge wiederundwiederundwiederundwieder zuschlägt. Der ganze Schreibtisch wackelt ob meiner heftigen Bemühungen, und jeder Anschlag bringt mich dem Titelgewinn der Miss Schreibmaschine 2002 ein Stückchen näher. Als Jill schließlich »Stopp« ruft, bin ich völlig erschöpft von der Anstrengung, die gesamte Gutenberg-Bibel abgetippt zu haben. Siegesgewiss reiße ich das Blatt heraus und reiche es ihr in Erwartung begeisterter Lobeshymnen. Kritisch beäugt sie mein Werk.
»Und?«, erkundige ich mich erwartungsvoll. Die alte Sekretärin meines Vaters tippte hundertzwanzig Wörter pro Minute. Immer hat er sie angefleht, sie solle ein bisschen langsamer tippen, weil sie pro Monat mindestens eine Schreibmaschine verschliss. 129 So schnell, wie ich eben war, müsste ich mindestens gleichgezogen haben mit diesem Rekord. »Sieht aus, als schafften Sie etwa dreißig Wörter pro Minute«, erklärt Jill.
LÜGEN! Nichts als infame, unhaltbare Lügen! Huldige gefälligst meinen Tippkünsten! »Aber das kann doch gar nicht sein. Ich bin doch nur so durch den Text geflogen
»Ja, aber er wimmelt auch nur so vor Fehlern. Sie hätten besser ein bisschen langsamer gemacht. Wenn man die Tippfehler abzieht, liegen Sie bei etwa dreißig Wörtern pro Minute, und ehrlich gesagt, ist das noch ziemlich großzügig gerechnet. Ich muss Ihnen leider sagen, dass etliche freie Stellen damit für Sie nicht in Frage kommen - die meisten erfordern mindestens fünfundvierzig Wörter die Minute. Aber Sie können gerne jederzeit im Büro vorbeikommen, wenn Sie üben und sich noch etwas verbessern möchten.«
Pfft - eigentlich hätte ich schon Sonderpunkte bekommen müssen, weil ich wusste, was eine IBM Selectric überhaupt ist. Wie dem auch sei. »Und was kommt jetzt?«, erkundige ich mich.
»Jetzt kommen wir zur Überprüfung Ihrer Computerkenntnisse. Wenn Sie also Ihre Aktentasche mitnehmen und mir folgen wollen, dann können wir gleich anfangen.«
Also gut, vielleicht hatte ich beim Schreibmaschinentest nicht gerade brilliert. Und wenn schon. Beim Computerteil kann mir allerdings KEINER was vormachen. Ich bin die amtierende Königin der Tabellen. Sortierung? Wie hätten Sie’s denn gerne? Nach Marke, Modell, Seriennummer? Absteigend oder aufsteigend? Addition? Ein Kinderspiel. Sie möchten eine Formel, um siebenunddreißig Prozent auf den Grundpreis aufzuschlagen, aber nur bei bestimmten Posten der jeweiligen Spalte? Immer her damit. Und, Mann, ich kann mit einer Access-Datenbank Sachen anstellen, da würde das kleine Jesuskind in Tränen ausbrechen. Oder wie wäre es mit einer Webseite? Meine HTML-Kenntnisse sind irre, sage ich Ihnen. Damals bei Midwest IR habe ich mir selbst das Programmieren beigebracht, als ich das Portfolio-Management-Interface entworfen habe. Sie dürfen mich ab sofort Jennifer Lancaster Gates nennen.
Jill fährt den Rechner hoch und öffnet Microsoft Word. Dann drückt sie mir ein reichlich überformatiertes Dokument in die Hand und weist mich an, es genauso im Rechner darzustellen. Igitt, warum denn das? Lieber würde ich sterben, als dass ein grottenhässliches Papier wie das hier unter meinem Briefkopf erscheint. Da sind Tabellen und Diagramme und Spalten eingefügt, und dazu ungefähr fünfzehn verschiedene Schrifttypen und -größen, Einschübe, Fußnoten und Seitenzahlen.
»Also dann, in fünf Minuten bin ich wieder da.« Jill marschiert zurück an den Empfangsschalter. Zaghaft mache ich mich ans Werk, wobei ich mich sehr auf die fröhliche kleine animierte Microsoft-Büroklammer verlasse. Schwer ist diese Aufgabe nicht - bloß mühsam und nervtötend. Sollte mein Chef mir jemals mit so etwas ankommen, würde ich mich mit ihm hinsetzen und sehr ernst mit ihm über grundlegende Geschmacksfragen und das Prinzip des »Weniger ist mehr« reden, statt zuzulassen, dass er ein derart schizophrenes Durcheinander durchgehen lässt.
Eine Nanosekunde später steht Jill schon wieder hinter mir und schaut mir über die Schulter. Schnell druckt sie aus, was ich zusammengebastelt habe, und nimmt meine Arbeit unter die Lupe. »Das ist ja furchtbar! Kaum zu fassen, wie schlecht das ist! Und Sie sind so unglaublich langsam. Ihre Word-Kenntnisse sind nicht der Rede wert. Haben Sie überhaupt schon mal in einem Büro gearbeitet?«
»Ja, das habe ich«, entgegne ich mit zusammengebissenen Zähnen. Ich habe mir gerade die größte Mühe gegeben, und jetzt macht eine Rezeptionistin mich zur Schnecke? Nicht mit mir. »Wobei ich damals allerdings im Geschäftsvorstand war und Mädels wie Sie diese Arbeit für mich gemacht haben.«
074
Ein Glück, dass Shayla Chuck angerufen hat, denn ihre Empfehlung ist der einzige Grund, weshalb ich überhaupt eine Stelle bekommen habe. In der kommenden Woche unterstütze ich den Leiter des Anzeigenverkaufs einer riesengroßen Einrichtungszeitschrift. Also, ist so ein Glück zu fassen? Liebend gerne würde ich fest im Anzeigenverkauf arbeiten. Meine Freundin Kim ist Chefin der Marketingabteilung bei Midwest IR, und die fliegt dauernd irgendwohin, wo es schön ist, um potentielle Kunden in hochpreisige Bars und Restaurants auszuführen. Ich bin spritzig und charmant, und die Kunden stehen auf mich - Anzeigen verkaufen könnte ich mit links. Nicht nur, dass ich superüberzeugend bin, nein, ich stehe auch noch total auf diese Zeitschrift. Ich würde perfekt da reinpassen, und ich werde alles geben, damit der Chef der Marketingabteilung das auch merkt.
Pünktlich um acht Uhr fünfundvierzig stehe ich an der Rezeption, wo mich eine missmutige kettenrauchende Krähe namens Pat in Empfang nimmt. Sie sieht aus wie eine von Marge Simpsons Schwestern, und genauso klingt sie auch. Mir fällt auf, dass sie ihre Zigaretten in einem selbstbestickten Etui an einer Plastikkette um den Hals trägt. »Ich bringe Sie nach hinten, wo Sie arbeiten werden, aber zuerst hängen Sie Ihren Mantel bitte hier drinnen auf.« Womit sie auf einen begehbaren Wandschrank weist, aus dem es riecht wie aus einem abgestandenen Aschenbecher, weshalb ich annehme, dass Pat ihren Mantel dort ebenfalls aufhängt.130
Dann folge ich Pat ans Ende eines langen Korridors, und sie zeigt mir meinen Arbeitsplatz. »Sie vertreten Kathy, bis sie wieder auf dem Damm ist.«
»Dann ist sie also krank, nicht im Urlaub, ja?«, erkundige ich mich, bemüht, ein bisschen Smalltalk zu machen.
»Das geht Sie nicht das Geringste an«, gibt Pat barsch zurück. Also gut, so viel zu Smalltalk. »Sie unterstützen Jerry, den Leiter des Anzeigenverkaufs. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, Anrufe entgegenzunehmen. Hier, ich zeige Ihnen, wie es funktioniert.«
»Das ist ein Lucent PBX mit Audix-Anrufbeantworter, stimmt’s? Die habe ich in meinen alten Jobs auch dauernd benutzt, ich kenne mich also einigermaßen aus damit.«
Meinen Einwurf komplett ignorierend macht sich Pat daran, mir jede einzelne Funktion des Geräts en detail zu erläutern, die Hälfte davon vollkommen falsch. Ich mache mir nicht die Mühe mitzuschreiben, weil ich den Apparat schon hunderttausend Mal bedient habe. Nicht nötig also, einen fehlerhaften Auffrischungskurs mitzuschreiben. »He, Sie sollten sich das aufschreiben.«
»Wie gesagt, ich habe dieses System andauernd benutzt und …«
»SCHREIBEN SIE MIT«, knurrt Pat. »Wenn Sie hier irgendwas vermurksen, geht Jerry mir an die Gurgel.«
»Kein Problem.« Langsam lerne ich, mich nicht mit jedem anzulegen, und gebe kampflos klein bei. Folgsam ziehe ich eine Schreibmappe aus meiner Tasche und fange an, mir Notizen zu machen.
»Wenn das Telefon klingelt und Jerry nicht da ist, dann heben Sie den Hörer ab und halten ihn so an den Mund. Und dann sagen Sie: ›Guten Tag, Jerry Jenkins’ Büro.‹«
Artig schreibe ich auf: Wenn das Telefon klingelt, Hörer an die Futterluke halten und nicht etwa an den Hintern oder eine andere Körperöffnung, und dann sagen: ›Shalom‹.«
»Und dann sagen Sie: ›Tut mir leid, Jerry ist momentan nicht zu sprechen. Möchten Sie vielleicht eine Nachricht hinterlassen?‹ Sollte das der Fall sein, dann erkundigen Sie sich bitte nach dem Namen, dem Anliegen und der Telefonnummer des Anrufers.«
Ich notiere: Sagen, Jerry sei gerade außer Haus zu einer Massage, und hier ist meine Telefonnummer.
»Dann sorgen Sie bitte dafür, dass Jerry die Nachricht bekommt.«
Ich schreibe: Jerry sagen, dass jemand wegen was Wichtigem angerufen hat und dass er ziemlich sauer klang, weshalb ich schnell aufgelegt habe.
»Das wäre eigentlich alles zum Telefon. Dann könnte es sein, dass Jerry Sie bittet, Kopien anzufertigen. Sollte das der Fall sein, das Gerät steht hier.« Womit sie auf einen Kopierer gleich vor Jerrys Bürotür weist.
»Das ist ein ganz gewöhnlicher Xerox-Kopierer, oder? Das Original kommt hier rein, die Kopien kommen hier raus, hier verstellen, wenn man vergrößern will, Papier wird hier nachgelegt, hier wird sortiert und hier geheftet?« Während ich erkläre, zeige ich auf die einzelnen Funktionen.
»Das ist der Kopierer. Wenn Sie eine Kopie machen möchten …«
Langsam klappe ich meine Mappe auf, während sie unbeeindruckt weiterschwadroniert und sämtliche Funktionen des Kopierers, die ich bereits aufgezählt habe, noch einmal erläutert. Jerry sagen, wenn er sein Hinterteil kopieren will, wird die Kopie dann am schärfsten, wenn er das Glas vorher mit Streifenfrei-Glasreiniger abwischt.
Pat erklärt mir noch eine ganze Reihe anderer, absurd einfacher Aufgaben, mit denen ich womöglich betraut werden könnte, und ich kann kaum glauben, dass ich tatsächlich zwölf Dollar die Stunde bekomme für eine Arbeit, die auch ein dressierter Affe erledigen könnte. Nachdem sie ihr mangelhaftes Wissen über mich ausgegossen hat, teilt Pat mir mit, wir seien fertig, und will wieder zurück zur Rezeption gehen.131
»Augenblick. Ist das alles? Mehr nicht? Was soll ich denn machen, wenn ich nicht gerade am Telefon bin oder kopiere?«
»Keine Ahnung. Am besten aussehen, als seien sie beschäftigt. Ach ja, und noch was. Die Toilette ist den Gang runter. Da entlang, dann rechts, dann links und dann wieder rechts.«
»Ja, danke. Habe ich schon beim Reinkommen gesehen.«
»Schreiben Sie sich das lieber auf. Die meisten unserer Aushilfen verlaufen sich auf dem Weg dahin.«
Hält die mich für total blöd? Ich habe mich zwar heute hierherfahren lassen, aber in einem Taxi, nicht im Kleinbus für die Sonderschüler. Hat sie Angst, ich könnte in den Wandschrank pieseln, falls ich das Klo nicht finde? Am liebsten würde ich ihr das Nikotin aus dem Leib schütteln und brüllen: »Ich war mal im Geschäftsvorstand!«, doch das lasse ich lieber sein. Stattdessen notiere ich mir: Wenn die Natur ruft, sag ihr, Jerry kriegt gerade eine Massage, und hier ist meine Nummer.
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Kerzengerade sitze ich an meinem Schreibtisch, um den bestmöglichen ersten Eindruck zu hinterlassen, wenn Jerry ins Büro kommt. Kopf hoch, Schultern zurück, Bauch rein. Ich wirke souverän und professionell. Ich warte.
Und warte. Und warte.
Du lieber Himmel, ist das langweilig. Und so unbequem.
Die Uhr an meinem Rechner kriecht im Schneckentempo voran, und es juckt mich in den Fingern, irgendwas zu tun. Ich kann einfach nicht mehr so tatenlos dasitzen, also erkundige ich mich bei den anderen Assistenten, ob die vielleicht ein bisschen Hilfe brauchen. Leider scheinen die ihre persönlichen Anrufe und das Nägelfeilen ganz gut allein hinzubekommen, danke nein. Entschuldigung, Ladys? Darum seid ihr Sekretärinnen und werdet es auch immer bleiben.
Ich brauche eine Aufgabe, und wenn niemand mir eine geben will, dann muss ich mir eben selbst was einfallen lassen. Ja! Großartige Idee! So wird Jerry, wenn er ins Büro kommt, gleich sehen, was für ein fleißiger Selbstläufer ich bin, und bietet mir bestimmt auf der Stelle einen Platz in seinem Team an. Aber was könnte ich bloß tun?
Mein Blick schweift durch den Raum. Die Kaffeekanne ist voll, der Kopierbereich aufgeräumt, der Gemeinschaftsarbeitsplatz ordentlich. Einzig Kathys Schreibtisch könnte ein bisschen Aufmerksamkeit gebrauchen, denn der ist das reinste Katastrophengebiet.
Also beginne ich die Operation Reiner Tisch mit einer Desinfektionskampagne. Die Tastatur starrt vor Dreck, die möchte ich nicht benutzen, aus Angst, mir irgendeine ansteckende Krankheit einzufangen. Wie es aussieht, muss sie die letzten zehn Jahre jeden Tag ein Sandwich über dem Ding gefuttert haben. Mit Druckluft puste ich sie sauber, und die dreckverkrusteten Wollmäuse fliegen mir nur so um die Ohren. Nur mit Mühe kann ich meinen Würgereflex unterdrücken.
Dann schrubbe ich den Schreibtisch, die Schubladen und Schränke mit der ungeöffneten Flasche Universalreiniger, die ich unter einem Stapel Monate alter Zeitungen in einer Ecke ihres Arbeitsbereichs ausgegraben habe. Das Küchenkrepp wird beim allerersten Abwischen kohlschwarz. Ich wette, sie ist krank, weil sie sich an ihrem Schreibtisch mit Ebola infiziert hat.
Ich stapele die verstreuten Zeitschriften ordentlich auf, zupfe sämtliche verdorrten Blätter von ihrer Grünlilie und mache mich dann daran, die oberste Schreibtischschublade auszumisten. Säuberlich sortiere ich die zweiundsiebzig Salz- und Sojasoßen-Päckchen und teile sie in zwei Häufchen auf.132 Dann ordne ich ihre Akten alphabetisch und reihe ihre Payless-Pipes-Zigarettenschachteln hübsch hintereinander am anderen Ende ihres Schreibtischs auf. Anschließend trete ich einen Schritt zurück und klopfe mir für mein herausragendes Organisationstalent selbst auf die Schulter.133
Nachdem alles erledigt ist, marschiere ich zur Toilette, um mir die Hände zu waschen und den Schweiß von der Stirn zu tupfen. Auf dem Weg zurück zum Büro werde ich von Pat angehalten, der ich glaubhaft versichere, dass ich bestimmt kein Problem dabei habe, meinen Schreibtisch wiederzufinden, wobei ich stumm hinzufüge: »Wenn man bedenkt, dass ICH FRÜHER IM FIRMENVORSTAND WAR.« Wobei sich Kathys Arbeitsplatz durch meine Säuberungsaktion tatsächlich so verändert hat, dass ich zunächst daran vorbeilaufe. Zufrieden mit meiner Arbeit werfe ich einen Blick auf die Uhr, um nachzusehen, wie viel Zeit ich damit totgeschlagen habe. Bestimmt müssen inzwischen etliche Stunden vergangen sein.
Neun Uhr siebenundzwanzig.
Das wird eine lange Woche.
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»Die Aushilfe soll das ablegen.«
»Sag der Aushilfe, sie soll die Kopien für euch machen.«
»Die Aushilfe kann das Zeug per Bote hinschicken.«
»Frag mal, ob die Aushilfe uns einen Tisch reservieren kann.«
»Die Aushilfe hat nichts zu tun - soll die das doch machen.«
Ich heiße Jen, verdammt noch mal. Nicht die Aushilfe. Jen. J-E-N. Drei verfluchte Buchstaben lang und genauso geschrieben, wie es gesprochen wird - es kann doch wohl nicht so schwer sein, sich das zu merken, oder? Und warum reden die alle so langsam und überdeutlich mit mir, als sei ich ein Trottel oder eine Terroristin? Würde sich eine Terroristin Dynamit an ein Kaschmir-Twinset heften? Ich glaube kaum. Ich muss mich wirklich beherrschen, um diesen Leuten nicht gehörig die Meinung zu geigen.
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An meinem dritten Arbeitstag habe ich endlich die Gelegenheit, mit Jerry zu reden. Er spaziert aus seinem Büro und kommt an meinen Schreibtisch.
»Hi. Sie sind die Aushilfe, richtig?« Womit er mir ein Blatt Papier hinhält.
Hurra! Das ist die Gelegenheit, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Ich habe gehört, dass Jerry noch einen Verkäufer sucht, und ich weiß, dass ich einfach der Knaller wäre. Die vergangenen beiden Tage habe ich damit verbracht, alte Verträge zu lesen und mir Stück für Stück zusammenzureimen, wie sie ihre Verkäufe abwickeln. Ich habe mir etliche ihrer PowerPoint-Präsentationen angesehen und schon angefangen, die Verkaufsstrategie so anzupassen, dass sie optimal zu mir passt. Ich habe gehört, wie er am Telefon andere Bewerber befragt hat, und ich habe mir einige gut formulierte Antworten zurechtgelegt. Ich wäre der Hammer in diesem Job, wenn man mich nur ließe. »Ja, Jerry, ich bin Jen Lancaster, und ich bin …«
»Prima. Ich bräuchte eine Kopie hiervon, bitte.«
Autsch.
Wie betäubt tappe ich zum Kopierer, mache eine Kopie und bin noch vor Jerry an seinem Schreibtisch. Mir ist klar, dass ich dazu da bin, ihm solche Arbeiten abzunehmen, aber ginge es nicht schneller, wenn er das selbst erledigen würde? Auf dem Weg zu mir ist er an dem blöden Kopierer vorbeigelaufen, verdammt noch mal. Noch ehe er sitzt, reiche ich ihm die Blätter und versuche, irgendwie seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, um ihn in ein Gespräch zu verwickeln, in dem ich mit meinen Kenntnissen und Erfahrungen punkten kann. Wobei ich allerdings sehr feinfühlig vorgehen muss, denn die Zeitarbeitsagentur hat strikte Regeln bezüglich Aushilfskräften, die versuchen, in dem ihnen zugewiesenen Unternehmen eine Festanstellung an Land zu ziehen.134
»Bitte sehr«, flöte ich und lächele mein breitestes Honigkuchenpferdgrinsen.
»Mhm.« Er greift zum Telefonhörer und wendet sich ab.
Hmpf. Wenn ich diesen Job haben will, muss ich irgendwie beweisen, dass ich nicht unsichtbar bin.
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»Hi, ähm … äh … mh«, stammelt Jerry. Er steht vor mir mit einem Karton voller Miniaturpfefferminzstangen und einem gigantischen Stapel gefalteter Blätter.
»Jen war der Name«, sage ich zuvorkommend. Ja, Sie wissen schon, Jen? Das gut gekleidete, makellos zurechtgemachte Mädel, an dem Sie die letzten fünf Tage ständig vorbeigelaufen sind? Aber ich setze ein strahlendes Lächeln auf im Vertrauen darauf, dass er mich nach meinem Lebenslauf fragen wird, sobald er merkt, wie kompetent ich eigentlich bin. »Was kann ich für Sie tun?«
»Kathy hat mit diesem Projekt begonnen, ehe sie gegangen ist, und jetzt müsste ich Sie bitten, damit weiterzumachen. Wir schi-cken all unseren Anzeigenkunden ein Weihnachtspräsent. Kleben Sie also bitte je eine Pfefferminzstange an eine Karte und stecken Sie die dann in ein eigenes FedEx-Päckchen.«
»Aber die Päckchen noch nicht zukleben, richtig?«, erkundige ich mich. Aha! Mein Auftritt! Hier zeigt sich, wie clever ich bin, weil ich nämlich schon weiß, dass die Kartons nicht zugeklebt werden sollen. Sonst müsste ich sie ja noch mal aufmachen, um das Geschenk reinzustecken. Würden sie bloß die Karten verschicken, müsste ich sie in einen Umschlag stecken, da das viel günstiger wäre. Man staune, wie logisch ich denke! Stellen Sie mich sofort ein!
»Warum sollten Sie die denn nicht zukleben?« Jerry schaut mich verwirrt an.
»Um später die Geschenke dazuzupacken, natürlich.«
Er schüttelt den Kopf. »Es gibt keine anderen Geschenke. Die Pfefferminzstange und die Karte sind das Geschenk.«
»Moment. Das verstehe ich nicht. Warum würde man denn zwanzig Dollar ausgeben, um einen Pennyartikel wie diese Pfefferminzstangen zu verschicken? Das ergibt doch gar keinen Sinn. Das ist doch sicher nicht das Einzige, was Sie Ihren Kunden als Weihnachtspost schicken. Das soll so eine Art Test sein, oder? Es muss noch was anderes geben, weil … weil …«
Jerry wird knallrot im Gesicht. Und obwohl ich früher mal im Geschäftsvorstand war, wird mir klar, dass ich in naher Zukunft sicher keine Zeitschriftenwerbung verkaufen werde.
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Klingelingeling …
»Also, Chuck, Sie meinen, sollten Sie wieder eine offene Aushilfsstelle haben, die meinen Qualifikationen entspricht, dann melden Sie sich bei mir, und ich brauche Sie nicht andauernd anzurufen? Also gut … Okay … Ähm, und was glauben Sie, wann das sein wird? Mhm … Na ja, irgendwann fallen Weihnachten und Ostern bestimmt zusammen, oder? Also, bis dann.«
080
Klingelingeling …
»Ja, ich weiß, dass ich mit der Rate für meinen Studentenkredit im Rückstand bin. … Nein, ich habe nicht vor, zu den Versagern zu gehören, die sich erst ihre Ausbildung bezahlen lassen und sich dann klammheimlich aus dem Staub machen und hoffen, ungeschoren davonzukommen. Dürfen Sie mir überhaupt so was vorwerfen? Sie machen sich gar keine Vorstellung, was ich allein für die Miete hinblättern muss. … Ach, verstehe. … Ja … Und was für Auswirkungen hat das auf meine Kreditwürdigkeit? Oh nein … Okay, wann? Ich denke, ich könnte ein paar meiner Handtaschen versteigern und damit die Rate bezahlen … Ja, danke sehr, mir einen Job zu suchen ist wirklich ein ausgezeichneter Vorschlag - weiß gar nicht, warum ich da noch nicht selbst draufgekommen bin. Wiederhören
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Klingelingeling …
»Das sind da großartige Neuigkeiten! Freut mich unbeschreiblich, das zu hören! Wann soll ich denn anfangen? Toll … Hervorragend … Ich freue mich wirklich darauf, bald wieder zu arbeiten. Ach, das hätte ich jetzt beinahe vergessen. Wir haben uns noch gar nicht über das Grundgehalt unterhalten.… Tatsächlich … Okay … Wissen Sie, vielleicht hätten Sie irgendwann bei einem unserer drei Vorstellungsgespräche diese Anfangsinvestition erwähnen sollen. … Ähm, nein … Mr Jackson, hätte ich augenblicklich fünftausend Dollar zur Verfügung, dann würde ich Sie Ihnen mit Karacho in die Nase stecken, Ihnen und Ihrer Schneeballsystemabzocke.«
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Mir ist SO langweilig. Es geht auf Weihnachten zu, und ich habe mein gesamtes Geld aus den Aushilfsjobs in Geschenke investiert, also kann ich rein gar nichts unternehmen. Ich war noch auf keiner einzigen Weihnachtsfeier, weil wir den Gürtel sehr eng schnallen müssen, um die Miete zu bezahlen.135
Eine Weile habe ich die Sims gespielt, wo es darum geht, das Leben dieser Cyber-Figuren möglichst interessant zu gestalten, und zwar durch freundschaftliche Interaktion mit anderen Sims. Je besser die Interaktion, desto glücklicher und fröhlicher sind sie. Wobei ich eigentlich immer bloß ihre Häuser einrichten will und mich schieflache, wenn sie sich in die Haare kriegen. Ob das irgendwas über meinen Charakter verrät?
In letzter Zeit treibe ich mich häufig auf einer Website namens OddTodd.com herum. Todd Rosenberg, ein Typ aus New York, ebenfalls Opfer einer betriebsbedingten Kündigung, hat einen Flash-Zeichentrickfilm über einen Tag im Leben eines Arbeitslosen eingestellt. Dort schlurft ein in einen blauen Bademantel gewandeter Kerl herum, der den ganzen lieben langen Tag nichts anderes tut, als sich wegen seines Kontostands (null), seiner Altersversorgung (ein Einmachglas voller Pennys) und der Tatsache, dass er nicht genug Geld hat, um in den Stripclub zu gehen, zu grämen. Ersetzt man Stripclub durch Schuhabteilung bei Nordstrom, schon hat man mein Leben! Jedes Mal, wenn mich der Mut verlässt oder ich mir wieder den Kopf wegen unserer Finanzen zerbreche, klicke ich rein und schaue mir den Cartoon an. (Inzwischen habe ich ihn bestimmt schon hundert Mal gesehen.)
Auf Todds Seite sind auch einige Texte veröffentlicht, die er geschrieben hat, und es sieht aus, als hätte dieses Ventil ihm wirklich sehr geholfen, mit dem Frust bei der erfolglosen Jobsuche umzugehen. Vielleicht sollte ich auch so was machen?
Mal ehrlich, warum nicht eine eigene Webseite starten? Ich meine, was habe ich denn sonst zu tun? Ist ja nicht, als hätte ich was Besseres vor. (Müsste ich nicht mit den Hunden spazieren gehen, ich wette, ich bräuchte TAGELANG keine Schuhe anzuziehen.) Jetzt, wo ich ihnen keine Aufträge mehr zuschustern kann, habe ich keinen Ton mehr von meinen Freunden in den diversen PR-Agenturen gehört. Zwar habe ich noch Kontakt zu alten Freundinnen wie Melissa und Shayla, aber langsam bin ich es satt, dass sie mich jedes Mal zum Essen einladen wollen. Ich kann es nicht AUSSTEHEN, bemitleidet zu werden, und wenn das heißt, dass ich weniger aus dem Haus komme, dass soll es eben so sein.
Vielleicht würde ja auch was Gutes dabei herauskommen, wenn ich eine Website starte. Dieses Mädel von SaveKaryn.com hat Hunderte von Dummen gefunden, die ihr Geld geschickt haben, damit sie ihre 20 000 Dollar Kreditkartenschulden abbezahlen konnte. Und ein Buchvertrag über ihre Geschichte ist dabei auch noch dabei rausgesprungen. Bei OddTodd gibt es eine virtuelle Kaffeekasse, und dauernd werfen Leute freiwillig Geld rein. Wobei der natürlich ziemlich coole Cartoons zeichnet, während ich über keinerlei vergleichbare Fähigkeiten verfüge, aber trotzdem, wüsste ich was anzufangen mit meiner Zeit, würde ich mir vielleicht nicht dauernd Sorgen um unsere Finanzen machen. Und wenn ich beschäftigt wäre und meine Hände was zu tun hätten, würde ich vielleicht auch nicht mehr so viel naschen.
Also, ich überleg’s mir.
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Gerade habe ich das Twinkwich erfunden - ein Sandwich, bei dem ich ein Twinkie-Biskuitküchlein mit Sahnecremefüllung wie ein Hotdog-Brötchen um ein Ding-Dong-Schokoladenküchlein mit Schokoglasur und Vanillecremefüllung gewickelt habe. Diese wahnsinnige Fresserei aus tödlicher Langeweile gepaart mit kurzfristigen Panikattacken muss endlich aufhören.
Erster Schritt: Webseite entwerfen.
Zweiter Schritt: (Tief durchatmen.) Umziehen.
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Meine Webseite ist online! Jetzt habe ich ein eigenes kleines Eckchen im Cyberspace. Auf der Startseite ist ein Foto von mir mit einem Zensurbalken über den Augen, auf dem steht ARBEITSLOS, und meinen Nachnamen habe ich nirgendwo genannt, also bin ich quasi inkognito. Dann habe ich unter der Überschrift Diese Firmen sind das Letzte sämtliche Unternehmen aufgezählt, bei denen ich bisher abgeblitzt bin. Immer wenn ich auf meine eigene Webseite klicke, bekomme ich vor Lachen einen AsthmaAnfall. Ich glaube, ich muss den Link an ein paar meiner Freunde mailen, damit die mir sagen, was sie davon halten.
Schon jetzt ist mein Stressniveau merklich gesunken; es war also definitiv eine gute Idee.
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»Schatz, es ist schon beinahe Mittag. In einer Stunde müssen wir beim Makler sein.« Sanft versuche ich Fletch wachzurütteln. In letzter Zeit ist er immer so müde, also lasse ich ihn morgens einfach weiterschlafen, während ich mit den Hunden rausgehe.
Im ganzen letzten Monat hat Fletch nicht die geringste Reaktion auf all seine Bewerbungsschreiben bekommen, und langsam geht ihm das mächtig an die Nieren. Im Oktober war er noch superzuversichtlich, was seine Zukunftsaussichten anging, allerdings hat sein Optimismus in letzter Zeit merklich nachgelassen. Der Skandal um WorldCom hat die gesamte Telekommunikationsbranche schwer erschüttert, weshalb sich jetzt Hunderte von Leuten um eine Handvoll Jobs prügeln. Ich gebe mir alle Mühe, ihn wieder aufzubauen, doch an manchen Tagen ist er so niedergeschlagen, dass nichts mehr hilft.
Ich glaube, die Entscheidung, unseren Mietvertrag nicht zu verlängern, hat ihn schwerer getroffen als mich. Ich meine, ich fand es großartig, hier zu wohnen und mit der Bude angeben zu können, aber er hat die Gegend ausgesucht und die Wohnung aufgetan, und nur durch sein Gehalt konnten wir uns die Hütte überhaupt leisten. Der Entschluss umzuziehen muss ihm vorkommen wie ein Eingeständnis seines Versagens.
»Müde. Sehr müde«, murmelt er in sein Kopfkissen.
»Ich weiß, dass du müde bist, doch wir haben einen Termin. Du musst duschen gehen. Also, auf geht’s.« Und damit ziehe ich ihm energisch die Bettdecke weg.
Störrisch zieht er sich das Laken über den Kopf. »Neeein. Zu müde. Nur noch ein bisschen weiterschlafen.«
Langsam werde ich sauer. Seit vier Stunden bin ich jetzt schon wach, habe nach freien Stellen geschaut, die Hunde ausgeführt, die Wohnung geputzt und Frühstück gemacht. »Liebling, komm schon. Du musst jetzt aufstehen. Du hast heute Morgen schon zehn Mal ein bisschen weitergeschlafen. Wir haben nicht mal mehr einen Monat Zeit, uns eine neue Bleibe zu suchen, und wir müssen pünktlich zu unserem Termin erscheinen, also steh jetzt bitte auf.« Entschlossen reiße ich ihm das Laken weg, aber er igelt sich ein und rollt sich zu einer kleinen Kugel zusammen.
»Pst, müde. Geh weg.«
Manchmal muss man ganz sanft mit Fletch umgehen. Und manchmal braucht er es ein bisschen härter. »BEWEG AUF DER STELLE DEINEN ARSCH AUS DIESEM BETT!«
Das scheint die gewünschte Wirkung zu haben. Hektisch steigt er aus seinem Flanellpyjama und verschwindet im Badezimmer.
Während Fletch duscht, koche ich eine frische Kanne Kaffee für ihn.136 Dann drucke ich einige der vielversprechenderen Immobilienannoncen von der Webseite des Maklers aus, suche meinen Mont-Blanc-Kuli und fange an, den Mietantrag auszufüllen.
Name. Das ist leicht. Geburtsdatum, Sozialversicherungsnummer, derzeitige Anschrift … erledigt. Derzeitige Miete. Ich trage den Dollarbetrag ein und starre eine Weile fassungslos auf die Zahl. Wow, das ist eine Menge Geld. EINE MENGE. Wieso um alles auf der Welt habe ich mich je darauf eingelassen, so viel Geld rauszuschmeißen, um in einem Loft zu wohnen, das mir nicht mal selbst gehört? Mit einer Jahresmiete hätte ich mir einen funkelnagelneuen Lexus mit allen Schikanen leisten können. Irgendwie wirkt es fast surreal, dass Fletch und ich ohne mit der Wimper zu zucken jeden Monat so viel Kohle aus dem Fenster geworfen haben.
Langsam streiche ich mit der Hand über die glatte, kühle Granitarbeitsplatte in meiner Gourmetküche und frage mich, ob es das wert war. Und dann muss ich an Shayla und Chris denken, als sie uns das erste Mal hier besucht haben. Obwohl es Winter war, war es ein sehr milder Abend, weshalb wir auf die Idee kamen, uns auf die Dachterrasse zu setzen. Also haben wir es uns mit bequemen Stühlen und heißen Kaffeegetränken gemütlich gemacht und Sinatra aufgelegt. Gerade, als sie hinaus auf die Terrasse kamen und zum allerersten Mal den Blick über die unglaubliche Skyline schweifen ließen, fing der gute Francis Albert an, »My Kind of Town« zu schmettern. Es war wie eine Szene aus einem Meg-Ryan-Film, und in dem Moment habe ich gedacht, mir platzt das Herz in der Brust vor Stolz.
Bei der Erinnerung daran treten mir die Tränen in die Augen, also fülle ich lieber weiter den Antrag aus. Dauer des Mietverhältnisses. Drei Jahre. Name und Telefonnummer des Vermieters. Auch eine leichte Frage … Pammie Kozul, Telefon Null-Achthundert-Blöde-Kuh. Nein, ich nehme es ihr nicht übel, dass Pammie zweitausend Dollar von unserer Kaution einbehalten hat, weil ich »die wunderschöne Tapete im Badezimmer ruiniert« habe, auch wenn jeder Richter deren Entfernung als finalen Gnadenstoß anerkennen müsste. Aber gegen sie zu prozessieren würde mehr kosten, als wir zurückbekämen, also ist es die Sache einfach nicht wert.137
Und dann komme ich schließlich zu dem Teil mit dem Einkommen.
Au Backe.
Potentielle Vermieter werden sicher erwarten, dass einer von uns einen Job hat, oder? Mist. Was soll ich denn da bitte eintragen? Wären wir noch kreditwürdig, dann könnte ich einfach ehrlich sein, allerdings fürchte ich, den Luxus können wir uns nicht mehr leisten. Die Miete können wir auf jeden Fall bezahlen, weil wir bisher kaum was von Fletchs Abfindung ausgegeben haben, und dazu kommt noch unsere Arbeitslosenunterstützung, aber das können wir wohl kaum hier eintragen. Da wäre es besser, wir geben uns als Drogendealer aus - ist immerhin ein wachsender Markt mit steigender Nachfrage.
Sosehr es mir auch widerstrebt, die Wahrheit so zu strapazieren, was bleibt mir anderes übrig? Nach langem Grübeln gebe ich an, Fletch sei selbständiger Berater. Schließlich hat Chris uns letzte Woche tatsächlich angerufen, da er eine Frage zu seinem Router hatte, und als kleines Dankeschön hat er uns zum Cocktailtrinken eingeladen, was man doch gewissermaßen als Vergütung bezeichnen könnte, oder? Und Fletch hat auch wirklich schon darüber nachgedacht, als Berater zu arbeiten - bloß hat ihn bisher noch niemand engagiert. Also ist es eigentlich gar nicht richtig gelogen, wenn ich im Kästchen Einkommen eine ziemlich hohe Summe angebe - sondern mehr eine Prognose.
Als ich an die Stelle komme, an der ich meine eigene Einkommenssituation darlegen soll, erkläre ich einfach, ich sei Freibe-ruflerin - mit der Betonung auf frei. Ich meine, immerhin verbringe ich eine Menge Zeit damit, auf meiner Webseite meine bissigen Gedanken kundzutun, und ich habe bereits eine kleine Fangemeinde. Irgendwann könnte daraus tatsächlich ein einträgliches Unternehmen werden, auch wenn ich bis dato noch keine Ahnung habe, wie.
Außerdem habe ich mir das Recht erarbeitet, mich als Schriftstellerin zu bezeichnen, denn dieser Mietantrag ist ein großartiges Werk der Fiktion.
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Wir treffen uns mit unserem Immobilienmakler Brandon in dessen Büro, das aussieht wie der Keller eines heruntergekommenen Studentenverbindungshauses. Die Schreibtische sind aus Pressspanplatten und Sägeböcken zusammengebastelt, und die Sofas sind schätzungsweise Baujahr 1962. Ich kann förmlich spüren, wie meine Füße an dem biergetränkten Bodenbelag kleben bleiben, wäre er denn vorhanden. Brandon passt perfekt in diese Umgebung, vom Dreitagebart bis hin zu seinem schmuddeligen University-of-Illinois-T-Shirt. Melissa hat ihn empfohlen, weil sie und ihr Verlobter durch diesen Kerl eine erstklassige Wohnung gefunden haben, allerdings traue ich dem Braten nicht so ganz. Irgendwie würde ich von diesem Kerl eher erwarten, dass er mir K.o.-Tropfen in den Cocktail schüttet, statt eine schnuckelige, aber bezahlbare Bude für mich aufzutun.
Da die Last, das Lügengebäude unseres Antragsformulars aufrechtzuerhalten, allein auf meinen Schultern ruht, übernehme ich das Reden. »Brandon, es ist eine Weile her, seit wir das letzte Mal auf Wohnungssuche waren, und wir haben nicht die geringste Vorstellung, was wir uns mit unserem Budget eigentlich leisten können. Wie jeder wollen wir so viel Wohnung wie möglich für unser Geld, aber es gibt einige Grundbedingungen, die für uns erfüllt sein müssen.«
»Und was genau?« Brandon beugt sich nach vorne und stützt das Kinn auf beide Hände.
»Unabdingbar sind eine Spülmaschine und eine Klimaanlage, sonst reichen wir demnächst die Scheidung ein«, entgegne ich.
»Heiß und fettig ist nichts für sie«, wirft Fletch hilfsbereit ein.
Ich zücke meine getippte Liste. »Drei Zimmer sind Bedingung, wenn nicht sogar vier, und zumindest Bad und eine zusätzliche Gästetoilette. Außerdem muss eine Badewanne drin sein. Ein Whirlpool wäre nicht schlecht, ist aber kein absolutes Muss. Des Weiteren mögen wir freiliegendes Mauerwerk, Oberlichter, Edelstahlgeräte, Granitarbeitsplatten, Elemente aus Glasbausteinen und Holzdielenböden. Was noch?« Schnell blättere ich zur nächsten Seite weiter. »Ach ja, man muss in der Nachbarschaft mit den Hunden spazieren gehen können - wobei der Vermieter natürlich auch die Hundehaltung erlauben muss -, und Terrasse oder Balkon müssen sein, vorzugsweise nach Süden ausgerichtet. Eine Maisonette wäre nicht schlecht, aber ein Stadthaus käme ebenfalls in Frage, eine umgebaute Remise oder ein Loft. Und wenn Sie das Ganze dann auch noch für unter tausend Dollar in einer guten Wohngegend auftreiben könnten, kämen wir ins Geschäft.«
»Nur, damit ich Sie richtig verstehe: Sie möchten sämtliche Annehmlichkeiten, Sicherheit und einen günstigen Preis?«
»Ganz genau!« Vielleicht hatte Melissa ja doch Recht - der Kerl weiß, wovon er redet.
»Kinderspiel. Wie wär’s mit noch ein paar Kriterien?«
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»Na, das war ja wohl ein Reinfall.« Ich bin schrecklich entmutigt. Sämtliche Wohnungen in guten Wohngegenden, die im Bereich unserer Preisvorstellung liegen, sind entweder winzig klein oder völlig heruntergekommen.
»Ich finde, die gleich um die Ecke von der Western Avenue sah doch gar nicht so schlecht aus. Was hast du den gegen die?«, fragt Fletch. »Die hat sogar einen Garten.«
»Ja, aber die war gleich neben einem Laden, der Gasflaschen verkauft und zu Dutzenden im Hinterhof stapelt. Selbst wenn wir nicht eines Tages in die Luft fliegen würden, müssten wir uns den ganzen Tag anhören, wie die Arbeiter die Laster ausladen. Schepper! Schepper! Schepper! Vergiss es.«
»Das Künstlerloft an der Paulina hat mir gut gefallen. Was war denn da das Problem?«
»Was genau würden wir mit einer siebeneinhalb Meter langen abschüssigen Rampe mitten in der Wohnung anstellen? Du weißt ganz genau, wir würden ein paar Bier trinken und versuchen, auf unseren Bürostühlen runterzubrettern, und dann bautz! Handgelenkbruchhausen. Und in Anbetracht der Tatsache, dass wir augenblicklich beide nicht krankenversichert sind, scheint das eher keine so gute Idee. Außerdem war das Badezimmer eklig.«
»Und was ist mit der in der Nähe der Fullerton? Die, die keine Einbauschränke hatte?«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein. DA GAB ES KEINE EINBAUSCHRÄNKE. Wie kann man denn eine Wohnung ausbauen, ohne Schränke einzubauen? Wohin soll man denn da mit seinem Staubsauger? Wo sollen unsere Mäntel wohnen?«
»Ja, war nur ein Scherz. Für mich war diese Schweigen der Lämmer-Falltür in der Speisekammer der springende Punkt.«
»Wo die wohl hinführt? Ich habe mich nicht getraut nachzugucken.«
»Keine Ahnung, aber die Kammer war dunkel, schmutzig und voller Spinnen.«
Ich schüttele mich. »Nein danke. Aber mal ehrlich, was machen wir denn jetzt? Bis Ende des Monats müssen wir hier raus sein, und wir müssen auch noch ein Umzugsunternehmen beauftragen. Aber zuerst sollten wir wohl wissen, wohin wir ziehen.«
»Na ja, es könnte zwar ein bisschen eng werden, aber wenn wir nicht in die Vorstadt ziehen wollen …«
»Gott bewahre.«
»Da stimme ich dir völlig zu. Bei 1000 Dollar ist die Auswahl einfach sehr beschränkt. Stocken wir doch auf 1200 im Monat auf und schauen mal, was Brandon damit für uns in Bucktown findet«, schlägt Fletch vor.
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Nichts.
Zu dem Preis kann Brandon rein gar nichts für uns tun. Und für 1400 auch nicht. Außerdem hat er seit dem letzten Mal, als er uns rumkutschiert hat, seinen Tankdeckel verloren und hat die Tanköffnung mit einer Socke zugestopft. Womit er sein Auto in einen riesigen rollenden Molotow-Cocktail verwandelt hat. Ich hocke auf dem Rücksitz, während Fletch und Brandon besprechen, was als Nächstes zu tun ist. In meinem Benzinrausch höre ich mich zustimmen, mir ein paar Wohnungen etwas weiter ab vom Schuss für 1400 Dollar im Monat anzusehen. Nie im Leben können wir so viel hinblättern, solange nicht wenigstens einer von uns einen Job hat, aber alles ist so schön und klingt so vielversprechend, dass ich mich dabei ertappe, wie ich zusage. Ich atme tief ein und lächele.
Vor einem spektakulär heruntergekommenen und halb verfallenen Backsteinhaus an einem gar nicht angesagten Ende von Chicago halten wir an. »Würg«, sage ich. »Nachbarschaft blöd, Haus blöd. Das nächste, bitte.«
»Jen«, fleht Brandon mich an, »geben Sie der Wohnung doch wenigstens eine Chance. Manche sind drinnen viel schöner, als man es von außen erwarten würde.«
Fletch wirft mir einen mahnenden Blick zu. Ungefähr dreißig Wohnungen haben wir uns jetzt schon angesehen, und immer hatte ich irgendwas auszusetzen. Das Problem ist ganz einfach, dass keins davon der Dot-Com-Palast ist. Am liebsten würde ich in unserer alten Wohnung bleiben, und ich bin stinksauer, dass wir sie uns nicht mehr leisten können.
»Also gut.« Missmutig trotte ich hinter ihnen her und schaufele mit den Schuhen durch den Schnee wie ein Schneepflug. »Aber ich kann euch jetzt schon garantieren, dass es mir nicht gefallen wird.«
Wir gehen die frisch gestrichene Treppe nach oben, und Brandon macht sich am Türschloss zu schaffen. Dann öffnet er die Tür zu einer geräumigen Wohnung mit brandneuem Dielenboden, einer Gourmetküche mit Granitarbeitsplatten, Edelstahlgeräten und Kirschholzschränken. Die Küche ist riesig und modern mit einer zuckersüßen Frühstückstheke. Gegenüber der Küche ist ein Raum mit einem Marmorkamin, reich verziertem Sims und in die Wand eingelassenen, von hinten beleuchteten Bücherregalen. Außerdem wartet das Zimmer mit freigelegten Backsteinmauern auf und ist mindestens dreimal so groß wie unser bisheriges Wohnzimmer. »Ist das dasselbe Haus, das wir von draußen gesehen haben?«, frage ich mich verdutzt und überlege, ob die Benzindünste vielleicht einen Filmriss verursacht haben.
»Aber sicher doch.« Brandon strahlt übers ganze Gesicht. Das ist die positivste Reaktion, die er mir bisher entlocken konnte.
Wir werfen einen Blick in das erste Schlafzimmer, das geräumig ist und hell und über einen begehbaren Kleiderschrank verfügt. Hübsch. Daran schließt sich ein funkelnagelneues Badezimmer an, mit sandfarbenen Kalksteinfliesen und Glasbausteinelementen. Korrigiere, sehr hübsch. »Und Sie sind sich ganz sicher, dass es nur 1600 Dollar kostet und Hundehaltung erlaubt ist?«
Weder Brandon noch Fletch hören, was ich sage. Die beiden sind in dem hinteren Zimmer, dem Hauptbad. Als ich zu ihnen hineingehe und mein Blick auf die südliche Wand fällt, klappt mir die Kinnlade herunter. Ein Drittel des Raums ist mit traumhaft schönem aquamarinblauem Marmor mit feinen glitzernden blau-goldenen Äderchen getäfelt. Mitten vor dieser Wand steht die größte Whirlpoolwanne, die ich je gesehen habe. Drei Stufen führen hinauf, und zwei Leute passen da spielend rein. Das ist keine Wanne - das ist ein Badealtar. Würden wir hier wohnen, ginge mein Traum, in der Wanne liegend fernzusehen, endlich in Erfüllung.
Alle drei stehen wir da und bestaunen mit offenem Mund dieses unglaubliche Badezimmer in all seiner Pracht und Herrlichkeit. So einen Badetempel habe ich bisher nur in Las Vegas gesehen, als ich mal im Luxor in eine Edelspielersuite umgebucht wurde.138
Gleich neben der Wanne ist eine gigantische verglaste Dusche eingebaut, und dahinter hängt ein Doppelwaschbecken mit Kirschholzunterschränken an der Wand, von verstellbaren Strahlern flankiert. Auf der anderen Seite verbirgt eine Kirschholzlamellentür das Klosett.
Auf der gegenüberliegenden Seite führt eine riesige Flügeltür auf einen großzügigen Balkon, und beinahe die gesamte Wand besteht aus bodentiefen Fenstern. Zu meiner Linken ist ein gewaltiger begehbarer Kleiderschrank eingebaut, genial ausgestattet mit verstellbaren Regalböden und Kleiderstangen. Das ist ohne Übertreibung eine der nobelsten Wohnungen, die ich je von innen gesehen habe.
»Und, sehen wir hier gerade Ihre neue Mastersuite?«, fragt Brandon mit einem gigantischen Grinsen im unrasierten Gesicht.
»Nein.«
Sofort brüllen Fletch und Brandon im Chor: »WAS?«
»Ich bin ein sehr schamhafter Mensch, und dieses Badezimmer, auch wenn es noch so traumhaft sein mag, überlässt nichts der Fantasie. Wenn ich morgens aufwache und Fletch in der Dusche stehen sehe, wie er sich gerade den Hintern einseift, lassen wir uns demnächst scheiden. Die nächste, bitte.«
Ich glaube, Brandon fängt gleich an zu weinen.
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»Jen, jetzt geht’s um die Wurst. Wenn wir heute keine neue Wohnung finden, dann müssen wir demnächst in einem Van unten am Fluss übernachten, denn in zehn Tagen läuft unser Mietvertrag aus«, erklärt Fletch streng. Wir haben gerade auf dem Parkplatz vor dem Maklerbüro geparkt, wo wir uns mit Brandon treffen und die nächste Besichtigungsrunde einläuten wollen.
»Chris Farley war ein gequältes Genie, und ich werde nicht zulassen, dass du seine Worte gegen mich verwendest«, gifte ich zurück.
»Wenn du es sagst. Aber wir müssen endlich zu einer Entscheidung kommen. Wir haben uns inzwischen mindestens ein Dutzend verschiedener Wohnungen angeschaut, die alle in Frage gekommen wären, hättest du sie nicht wegen irgendwelcher offenkundig lächerlicher Gründe ausgesiebt.«
»Das stimmt doch gar nicht.«
»Die an der Ashland haben wir nicht genommen, weil die einen Elektroherd hatte. Was juckt dich das? DU KOCHST DOCH NIE.«
»Aber vielleicht würde ich kochen, wenn wir einen Gasherd hätten.« Womit ich eine Tube Lipgloss aus der Handtasche krame und die Lippen nachziehe. Leute? Ich kann das gar nicht oft genug betonen. Wenn es draußen kalt und ungemütlich ist, MÜSST ihr eure Lippen schützen, sonst werden sie rissig und spröde.
»Okay, und was war mit der Wohnung an der Division mit der Dachterrasse?«
»Das Geländer war zu niedrig. Die Hunde hätten runterfallen oder drüberspringen können.« Unbeeindruckt wuschele ich mir durch die Haare. Da ich sie nicht mehr so oft nachfärben lassen kann, wie ich eigentlich möchte, muss ich ein bisschen mehr Volumen reinbringen, damit man die Ansätze nicht so sieht. Und, ja, lieber lasse ich meine Ohren einfrieren und abfallen, ehe ich mir eine Mütze auf den Kopf setze.
»Und dieses Wahnsinnsloft in der Cortez?«
»Der dunkle Holzboden war grottenhässlich.« Gekonnt ziehe ich an der Innenseite meiner Lider einen Strich mit Benefit-Augenaufheller und sehe sofort wieder taufrisch aus.
»Und was war mit der Doppelhaushälfte in der Wabansia?«
»Im Flur hat es durchdringend nach Curry gemüffelt.« Jetzt noch schnell Stirn, Kinn und Nase mit Reispapier abgetupft, und schon bin ich fertig.139
»Du magst Curry. Jedes Mal, wenn wir thailändisch essen gehen, bestellst du Curry.«
»Aber ich will es nicht im Flur riechen! Sonst heißt es in Zukunft immer, wenn wir Besuch bekommen: ›Kocht ihr gerade Curry?‹ Und dann muss ich Nein sagen, und dann tue ich ihnen leid, weil ich in einer Bude hausen muss, die nach Curry müffelt. Ich will keine Wohnung, für die ich bemitleidet werde.«
»Und was hattest du gegen das Stadthaus in der Erie mit dem Garten und den Oberlichtern?«
»Der kleine Supermarkt an der Ecke wirkte irgendwie so dubios. Da standen Leute rum und haben Mangos gegessen und die Kerne einfach auf den Boden geworfen. Igitt.«
»Du brauchst ja nicht da einzukaufen.«
»Egal. Ich habe keine Lust, gleich um die Ecke eines dubiosen Krämerladens zu wohnen.«
Aufgebracht haut Fletch mit der Faust auf das Lenkrad. »Das bringt das Fass jetzt aber zum Überlaufen! Dir wird das Stimmrecht entzogen! Ich weiß ja, dass du nicht aus unserer Wohnung rauswillst, und momentan tust du alles in deiner Macht Stehende, um es noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon ist. Ich will da auch nicht ausziehen, doch uns bleibt keine andere Wahl. Der Boom ist vorbei. War schön, solange es lief, aber jetzt müssen wir uns wie erwachsene Menschen benehmen, uns der neuen Wirtschaftsrealität stellen und die notwendigen Einschnitte vornehmen. Augenblicklich weiß ich nicht mal, ob wir tausendsechshundert Dollar im Monat zusammenkratzen können. Darum kümmere ich mich, nachdem wir ein neues Dach über dem Kopf haben. Also gehen wir jetzt da rein, sehen uns mit Brandon sämtliche Wohnungen an, die er für uns im Angebot hat, und dann suchen wir uns eine aus. Einverstanden?«
Sein kleiner Wutanfall macht mich nachdenklich. Sehr selten erlebt man einen derartigen Gefühlsausbruch bei Fletch, also muss es ihm wirklich ernst sein. Schließlich knurre ich ein leises: »Einverstanden.«
»Besten Dank.« Damit steigen wir aus dem Auto, und Fletch macht seinen Parka zu.
Ich wickle mir den Kaschmirschal eng um den Hals, streife meine Kalbslederhandschuhe über und sage dann: »Aber wenn nachher jemand Mangokerne auf unseren Rasen schmeißt, hebst du sie auf.«
090
Zehn verschiedene Angebote zeigt Brandon uns; eines schlimmer als das andere. Ich bin frustriert und müde und grusele mich bei dem Gedanken, in einer dieser Bruchbuden hausen zu müssen. Gerade, als wir wieder auf den Parkplatz vor dem Maklerbüro fahren, bekommt Brandon einen Anruf. Einen Moment unterhält er sich am Telefon, dann wendet er sich an uns.
»Hey, das war gerade dieser Bill. Der hat eine nette Wohnung in der Superior, die ich euch schon die ganze Zeit zeigen wollte, doch ich hatte keinen Schlüssel. Er ist gerade da, falls ihr euch die Hütte anschauen wollt. Klingt eigentlich, als könnte es passen, zumindest hat die Wohnung alles, was ihr haben wollt. Ich weiß, es ist schon ziemlich spät, aber wollt ihr vielleicht mal vorbeischauen?«
»Immer her damit«, entgegne ich matt.
»Könntest du nicht versuchen, die ganze Sache ein bisschen positiver anzugehen?«
»Wie du willst. Vielleicht liegen da ja auch leere Crack-Ampullen auf der Veranda!«, entgegne ich fröhlich.
Wir fahren in einen Stadtteil im Westen, von dem ich noch nie was gehört habe. Es ist dunkel, und die Straßen sind menschenleer, was in meinen Augen schon mal ein gutes Zeichen ist. Vor der letzten Wohnung, die wir uns angesehen haben, lungerten irgendwelche Schlägertypen in Kapuzenshirts rum, die mir eine Heidenangst eingejagt haben. Die geparkten Autos an der Straße wirken ganz ordentlich, und es wird gebaut, was auch recht vielversprechend wirkt.
An der Tür werden wir von Bill in Empfang genommen, der große weiße Zähne hat, einen teuren Mantel trägt und die Haare zu einer bescheuerten stacheligen Igelfrisur hochgegelt hat. Er ist etwas zu enthusiastisch für meinen Geschmack, und sein Händedruck, bei dem er mir jovial auf die Schulter klopft, ist ein bisschen zu fest.
Bei mir ist es Abneigung auf den ersten Blick.
Bill führt uns durch die Wohnung und erklärt uns, dass ihm ein Versandhandel für Zigarren gehört, er aber auch gerade anfängt, ein bisschen auf dem Immobilienmarkt mitzumischen, und dass er unheimlich stolz ist auf das Ergebnis, und Stadterneuerung und Unternehmergeist und blablabla. … Ja, klar. Wie du meinst. Mich interessieren die Waschmaschine und der Trockner wesentlich mehr als dein Lebenslauf, Kumpel.
Nach der Besichtigung bittet Fletch die beiden Herren, uns einen Augenblick zu entschuldigen. Wir beide gehen nach oben, um uns zu besprechen.
»Es ist alles da, was wir suchen. Alles ist neu, es gibt eine zentrale Klimaanlage und Platz satt. Die nehmen wir«, sagt Fletch.
»Wollen wir uns die Gegend nicht lieber mal bei Tageslicht ansehen, ehe wir uns entscheiden?«, frage ich.
»Bill hat morgen noch fünf weitere Besichtigungstermine. Wenn wir jetzt zögern, schnappt sie uns jemand anderer vor der Nase weg.«
»Na ja, die Wohnung ist ja ganz okay, aber den Vermieter kann ich nicht ausstehen.«
»Er wirkt nett und professionell. Was stört dich denn an ihm?«
»Er hat mir bei der Begrüßung fast die Hand zerquetscht, und er sieht so gut aus wie die Darsteller in einer Reality-Show. Der könnte glatt in Der Bachelor mitspielen. Solche Leute kann ich nicht ab.«
Entnervt verdreht Fletch die Augen und zischt: »Und ich habe geglaubt, aberwitziger könnten deine Ausreden nicht mehr werden.« Etwas lauter ruft er die Treppe hinunter: »Also gut, Jungs, reden wir übers Geschäft.«