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Geschüttelt, nicht gerührt
Aus der Feder von Miss Jennifer Lancaster
1. Februar 2002
Lieber Rush Limbaugh,
seit zehn Jahren bin ich eine treue, begeisterte
Hörerin Ihrer Radiosendung, und nicht nur das. Sie waren für mich
Grund und Ansporn, Politikwissenschaft zu studieren. Während des
Studiums habe ich Ihre Argumente mit wachsender Begeisterung gegen
meine marxistischen Professoren verwendet! (Mal ehrlich, wer gegen
den Kapitalismus ist, kann einfach noch nie zum Schuheshoppen bei
Nordstrom gewesen sein.) Kurz gesagt, ich bin selten anderer
Meinung als Sie. Allerdings habe ich gehört, dass Sie strikt gegen
die Pläne des Präsidenten sind, die Arbeitslosenunterstützung
auszuweiten. Warum das? Sind Sie der Meinung, sämtliche
Arbeitslosen seien ungewaschene Hippies und vollauf damit
beschäftigt, dem großen Vorsitzenden Mao zuzuarbeiten, weshalb sie
keiner geregelten Erwerbsarbeit nachgehen können? Das stimmt
nämlich ganz und gar nicht.
Mein Unternehmen hat mich Ende September
freigestellt, mit Verweis auf die Terrorangriffe auf die USA: (Was,
nebenbei bemerkt, völliger Schwachsinn ist. Viele Unternehmen haben
den 11. September als bequeme Ausrede benutzt, um gute Mitarbeiter
loszuwerden, ohne wie völlige
Unmenschen dazustehen.) Seit ich »stempeln gehe«, habe ich mich
auf Hunderte von Stellenanzeigen beworben, Dutzende von
Netzwerkveranstaltungen besucht, mich bei jedem einzelnen
Arbeitsvermittlungsportal im Internet angemeldet und Headhuntern so
oft hinterhertelefoniert, dass es schon beinahe an strafrechtlich
relevante Belästigung grenzt. Ich sitze mitnichten zuhause rum,
rauche eine Zigarrenschachtel nach der anderen und warte darauf,
dass »die da oben« mir meine Kohle rüberschieben.
Inzwischen mache ich mir ernsthaft Sorgen, dass
meine Unterstützung auslaufen könnte, ehe ich eine neue Stelle
gefunden habe, und ich gezwungen sein werde, irgendwas Grässliches
zu machen wie beispielsweise zu kellnern. Es fällt mir schwer, mich
mit dem Gedanken anzufreunden, dass ich, statt die
Vorstandsvorsitzenden der fünfhundert umsatzstärksten
börsennotierten Unternehmen der USA zu beraten, sie demnächst nach
ihrem Salatdressingwunsch befragen werde. Das können Sie sicher
nachvollziehen. Und darum glaube ich auch, die zusätzlichen
dreizehn Wochen könnten den entscheidenden Unterschied für meine
berufliche Zukunft ausmachen.
Bitte klären Sie mich also darüber auf, wieso Sie
das für keine gute Idee halten. Ich bin auf Ihren Standpunkt
gespannt.
Besten Dank
Jen Lancaster
PS: Sie sehen toll aus, seit Sie abgenommen haben.
Hey, warum verraten Sie in Ihrer Sendung nicht öfter mal ein paar
Diät-Tipps? Ich wette, das würde die Einschaltquoten bei den
kritischen Achtzehn- bis Fünfundvierzigjährigen dramatisch in die
Höhe treiben.
Ich brauche ein bisschen Zeit, um mich ausgiebig
in Selbstmitleid zu suhlen, also lasse ich mich in meine
Superluxusbettwäsche aus edelster ägyptischer Baumwolle mit
Tulpendruck fallen, streife die Slingbackpumps von Chanel ab und
beginne, Trübsal zu blasen. Während ich die rauen Bohlen meiner
Holzbalkendecke anstarre, gehe ich in Gedanken das vergangene Jahr
durch. Ich versuche mir auszumalen, wie ich meine Entlassung hätte
verhindern können. Hätte ich mich noch mehr reinknien können? Hatte
ich wirklich alles für das Unternehmen gegeben? Ich mustere das
kunstvolle Backstein-Mauerwerk, während ich mich frage, ob ich
vielleicht nicht innovativ genug gewesen bin. Meine Ideen waren
doch durch und durch neu und originell, oder? Mein Blick wandert zu
den glänzenden Bodendielen, während ich weitergrübele. Hatte ich
auch wirklich alle Gelegenheiten genutzt? Und hatte ich mir nicht
immer die allergrößte Mühe gegeben und mein Bestes dazu? Kritisch
betrachte ich die makellosen Lamellen der hellen Holzjalousie,
während ich die zwischenmenschliche Seite des Jobs überdenke. Hätte
ich engeren Kontakt zu meinem Kundenstamm pflegen müssen? Oder mehr
Wert auf Teambildung legen sollen? Oder mich mit Kathleen
besserstellen? Ob meine Art mit Menschen umzugehen je Anlass zur
Klage gegeben hatte? Und wie ich so in der Stille meiner Wohnhöhle
tief in die Abgründe meiner Seele spähe, trifft mich die Erkenntnis
wie ein Schlag …
Ich war ohne Fehl und Tadel. Und meine Entlassung?
Würde denen noch leidtun.
Nachdem ich mich also von jeglicher Verantwortung
freigesprochen und mir die Absolution erteilt habe, beschließe ich,
mich an die Arbeit zu machen. Glücklicherweise habe ich vor einiger
Zeit die Daten meiner Kundenkartei von meinem Organizer auf meinen
Rechner übertragen und daher eine gigantische Liste von Leuten, die
ich alle wegen eventuell offener Stellen anhauen
kann. Mir ist schon wesentlich wohler, als ich mich an den
Schreibtisch setze und anfange zu wählen.
Unglaublich. Die allermeisten meiner Bekannten,
die mich einstellen könnten, hat ein ähnliches Schicksal ereilt.
Die wenigen, die noch fest angestellt sind, warten nur darauf, dass
auch ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Es scheint, als seien die
letzten Wochen wirklich brutal gewesen für alle, die in meiner
Branche arbeiten. Was nun? Ich habe schon Anzeigen in sämtlichen
Arbeitsvermittlungsportalen gepostet, mich auf jede einzelne Stelle
beworben, für die ich auch nur im Entferntesten qualifiziert bin,
und mich bei unzähligen Personalvermittlern empfohlen. Außerdem ist
das Haus so sauber, dass man sich drin spiegeln kann, das Essen ist
für die nächsten drei Tage im Voraus gekocht, ich habe mich
ausführlich mit sämtlichen Familienmitgliedern und all meinen
Freunden unterhalten, jede meiner beiden Katzen hat mehr als genug
Katzenminze und Kinnkraul-Einheiten abbekommen, und sagen wir so,
jegliche Eiscreme in diesem Haushalt ist nur noch eine vage
Erinnerung.
Mir bleibt keine andere Wahl.
Zeit zu renovieren.
Ich bin gerade draußen und gieße die Blumen, als
ich den Schrei höre.
Fletch war bei der Armee, ehe er aufs College
gegangen ist, weshalb ihn nichts so leicht aus der Ruhe bringt; er
ist ein unerschütterlicher Fels in der Brandung, die Ruhe in
Person, und behält selbst im größten Durcheinander immer einen
kühlen Kopf. Ihn kann so schnell nichts erschüttern. Ihn kreischen
zu hören kann eigentlich nur bedeuten, dass er sich schwer verletzt
hat. Eilig stürze ich die Treppe hinunter und erwarte beinahe,
über abgetrennte Körperteile meines Liebsten zu stolpern.
Wie Sie ja bereits wissen, wohne ich in der
coolsten Hütte der Welt, ja? Das gilt allerdings leider nicht für
das Badezimmer. Fletch und ich haben uns schon die Köpfe heiß
geredet, woran es uns am ehesten erinnert - ich finde, es sieht
nach der Nasszelle einer billigen Hotelkette in einer provinziellen
Kleinstadt aus, in Scranton, Pennsylvania vielleicht, so um 1982,
während Fletch behauptet, es habe mehr was vom Versteck eines
Drogenbarons am Set von Miami Vice.
Ich entdecke Fletch im Badezimmer, wo er wie vom
Donner gerührt dasteht und mit heruntergeklappter Kinnlade die
nackte Wand anstarrt. Ups. Ich habe ganz vergessen, ihm das mit der
Tapete zu erzählen. Oder genauer gesagt, dass ich selbige entfernt
habe.
Die Substanz ist eigentlich ganz in Ordnung - weiß
gefliester Boden, hübsche matte Chrom-Armaturen, schlichte
Marmorablagen, etc. -, aber dann diese Tapete, die offensichtlich
von einem psychotischen Borderline-Patienten entworfen wurde.
Wollte man das Muster nachmachen, müsste man als Grundlage eine
Rolle hochglänzender, spiegelnder cremefarbener Tapete nehmen und
dann ein Huhn in schwarze Farbe treten und batmanmäßig über die
Wände laufen lassen. Anschließend müsste man ein paar
Vorschulkinder zu sich nach Hause einladen, die man dazu anhält,
mit Fingerfarbe pinkfarbene und mintgrüne Häkchen auf die Wand zu
malen. Und zu guter Letzt schmiert man es mit einigen taubengrauen
Nike-Abzeichen voll - et voilà! Willkommen in meinem schlimmsten
Albtraum.
»Ich verpasse dem Badezimmer ein Facelifting«,
erkläre ich Fletch.
»Das sehe ich«, entgegnet er. »Was hat dich denn da
geritten?«
»Na ja, mir war irgendwie langweilig. Und da habe
ich mir
überlegt, ein bisschen Veränderung würde uns ganz guttun, aber da
du dich ja standhaft weigerst, die 6500 Dollar für die Couch
rauszurücken, ist im Wohnzimmer einfach Hopfen und Malz
verloren.«
»Lass bitte die Couch aus dem Spiel.«
»Schon gut. Ich habe mich damit abgefunden. Aber
egal, du weißt ja, wie ich diese Tapete verabscheue. Wir konnten
sie beide nicht ausstehen. Ich meine, was ist das für eine
Gastgeberin, die ihren Gästen nahelegt, lieber die Toilette in der
Kneipe gegenüber zu benutzen als das eigene Badezimmer gleich am
anderen Ende des Flurs?«
»Und?«
»Und dann ist mir klar geworden, dass ich es keine
Minute länger mehr aushalte, mir diese widerliche Tapete ansehen zu
müssen. Und als ich in der Dusche stand, habe ich eine lose Ecke
hinter dem Klo gesehen, also habe ich ein kleines bisschen daran
gezogen.«
»Weiter.«
»Und, ähm, eigentlich ist gar nichts passiert. Also
habe ich ein bisschen fester dran gezupft. Und dann habe ich
richtig gezogen und gezerrt, bis ich einen großen Fetzen in der
Hand hatte. Ein unglaublich befreiendes Gefühl! Ich bin aus der
Dusche gestiegen, habe mir ein Handtuch umgewickelt und angefangen,
die Tapete runterzureißen. Eine halbe Stunde später waren die Wände
nackt und kahl.«
»Und jetzt?«
»Jetzt schleife ich die Wände ab und streiche
sie.«
Fletch schnaubt verächtlich. »Du willst
streichen?«
»Aber klar doch! Ich bin doch sozusagen Experte.
Habe ich dir nicht erzählt, dass ich in meinen Tagen bei der
Alpha-Delta-Pi-Studentenverbindung für unser Aufnahmeritual den
Aufenthaltsraum der Vereinigung verschönern und aufmöbeln musste
und ich für den Anstrich zuständig war?«
Ganz sanft stößt er mich mit der Nase darauf. »Jen,
die haben dich aus dieser Verbindung rausgeschmissen.«
»Aber doch nicht wegen der Anstreicherei. Beim
Anstreichen war ich erste Sahne. Rausgeschmissen wurde ich wegen
der Wein-und-Käse-Party bei den Sigma Nys.«
»Sollte ich diese Geschichte kennen?«
»Du weißt doch noch, wie ich die blöde Tussi
gehasst habe, die bei uns für die Neuzugänge zuständig war; die
fiese Stacey?«
»Warum noch mal?«
»Immer hat sie mir die schmutzigsten Arbeiten
aufgehalst, und mich hat sie noch mehr schikaniert als alle
anderen. Sie hat meine Mitanwärterinnen so lange bequatscht, bis
sie ihnen schließlich ausgeredet hatte, mich zur Präsidentin der
Verbindungsanwärterinnen zu wählen, obwohl ich die Sache so was
von in der Tasche hatte. Und sie hat mir mehr Telefondienst
aufgebrummt als allen anderen zusammen, obwohl ich keine Ahnung von
der Arbeit in der Vermittlungszentrale hatte. Als ich als
Kandidatin für die Grand-Prix-Königin der Verbindung nominiert
wurde, kam Stacey damit an, ich könne nicht kandidieren, weil mein
Notendurchschnitt nicht hoch genug sei, obwohl ich von allen die
größte Erfahrung bei Schönheitswettbewerben hatte und eine echte
Chance gehabt hätte zu gewinnen. Dauernd hat sie mich
ausgebootet.«53
»Jen, wenn ich in all den Jahren irgendwas über
dich gelernt habe, dann, dass diese Geschichten immer auch eine
Kehrseite haben. Was hast du zu dieser unschönen Situation
beigetragen?«, erkundigt er sich.
»Na ja …, ich bin mit dem Exfreund ihrer
Mitbewohnerin ausgegangen. Die beiden waren schon seit über einem
Jahr nicht mehr zusammen, also habe ich nicht gegen die Regeln der
Schwesternschaft verstoßen, vor allem, weil ich ihn kennenlern-te,
ehe ich mich für die Aufnahme in die Verbindung beworben hatte.
Stacy und ihre Mitbewohnerin Lisa waren bloß rachsüchtige alte
Klatschweiber. Und Stacey hat zu allen offiziellen Anlässen immer
ein und dasselbe Outfit angehabt - eine hässliche Karohose und so
einen komischen ärmellosen roten Rollkragenpulli, der sich mit
ihren krausen orangeroten Haaren und den Sommersprossen gebissen
hat. Ich meine, zu jeder Party hatte sie das an, und dabei stand es
ihr nicht mal.54 Am Abend der Wein-und-Käse-Party
habe ich zu viel Wein und zu wenig Käse zu mir genommen, und auf
einmal kam ich auf die famose Idee, Stacey einen Scheck für ein
neues Party-Outfit auszustellen.«
»Was das Fass zum Überlaufen brachte.«
»Genau. Was mich echt fertiggemacht hat, war die
Tatsache, dass die Mädels, die mich schließlich rausgeschmissen
haben, am lautesten über den Gag gelacht haben. So ein Haufen
scheinheiliger kleiner Miststücke. Aber egal, wer zuletzt lacht …
Und das war ich, ich bin nämlich in die Pi-Phi-Verbindung
eingetreten, und die Alpha Deltas wurden irgendwann aufgelöst und
vom Campus geworfen. Ha! Geschieht ihnen recht, wenn sie keinen
Spaß verstehen. Egal, worauf wollte ich eigentlich hinaus?«
»Du wolltest auf etwas Bestimmtes hinaus?«
»Na klar! Ich wollte sagen, dass ich ein wirklich
guter Anstreicher bin. Du brauchst mir nur zu sagen, wo dein
Bandschleifer ist, dann fange ich gleich an, die Wände zu
bearbeiten.« Fletch hat nämlich sämtliches Werkzeug vor mir
versteckt, nachdem ich vor ein paar Jahren seinen
Dremel-Mini-Handschleifer kaputt gemacht habe. Aber wer hätte schon
der Versuchung widerstehen können, mit einem Gerät, das aussieht
wie ein Turbo-Bimsstein, seine verhornten Fersen zu
bearbeiten?
»Ich hole ihn nach dem Abendessen aus dem Keller«,
verspricht er.
»Coole Sache. Hey, jetzt, wo du zuhause bist, kann
ich doch mit dem Auto zu Home Depot fahren und ein paar Farbproben
holen. Wie hältst du von Dunkelblau?«
»Alles ist besser als das, was vorher da
war.«
»Einverstanden. Also gut, dann bis später!« Ich
marschiere zur Tür.
»Hey, Jen, warte mal einen Moment. Mir ist da
gerade was eingefallen … Du hast das doch vorher mit unserer
Vermieterin abgesprochen, oder?«
Oh Mist.
Wie es scheint, hat der Herr in der
Farbenabteilung tatsächlich versucht, mir zu helfen, und wollte
nicht bloß an meinen Haaren schnüffeln. Hätte ich auf seinen Rat
gehört und den Tiefgrund gekauft, wäre ich jetzt nicht beim
siebenundzwanzigsten Anstrich mit meiner dunkelblauen
»Sternennacht«-Farbe. Jeden Tag streiche ich die gottverdammten
Wände noch mal über, und trotzdem schimmern an einigen Stellen noch
immer die Gipskartonplatten durch. Können Sie sich auch nur
ansatzweise vorstellen, welche verheerenden Auswirkungen das auf
meine manikürten Fingernägel hat? Zum Glück war das gestrige
Vorstellungsgespräch die reinste Zeitverschwendung, sonst hätte ich
mich in Grund und Boden geschämt, als ich beim Händeschütteln den
riesigen Farbklecks auf meinem Unterarm bemerkte.
Zunächst lief alles wie am Schnürchen - wir lachten
über den Fleck, das Büro war nett, mein Hosenanzug einfach zum
Niederknien 55, und das Produkt schien auch ganz in
Ordnung. Obwohl ich nicht gerade im Dreieck gesprungen bin vor
Begeisterung angesichts der Aussicht, Telefonbuchanzeigen zu
verkaufen, macht unsere Vermieterin was ganz Ähnliches, und die
besitzt teure Im-mobilien
in der ganzen Stadt, also muss es ein ganz lukrativer Job
sein.
Vor dem persönlichen Gespräch hatten wir uns schon
sehr nett am Telefon unterhalten, also war ich ganz entspannt beim
Kennenlernen. Bob, der Personalchef, blätterte eine laminierte
Faltmappe durch und erklärte gleichzeitig die Anforderungen der
freien Stelle. »Sollten Sie keine Fragen mehr zum Verkaufsvorgang
selbst haben, würde ich gerne über die Bezahlung sprechen«, sagte
Bob.
»Klingt gut«, entgegnete ich lächelnd. Den hatte
ich um den kleinen Finger gewickelt, gar keine Frage. Der Job
gehörte mir. Komm schon, dicke Kohle, dicke Kohle, jetzt nur keine
Enttäuschung!
»Das Grundgehalt beträgt 40 000 Dollar«, erklärte
er, während mir das Lächeln verrutschte. »Aber das bekommen sie nur
während der zweiwöchigen Einarbeitungsphase.«
»Und danach wird es mehr«, merkte ich
zuversichtlich an.
Ȁhm, nein, eigentlich nicht. Das Grundgehalt
beträgt weiterhin 40 000 Dollar, aber nach Beendigung des
Einführungskurses bekommen Sie nur einen Teil davon.«
»Was für einen Teil?«
Er zögerte, ehe er antwortete. »16000
Dollar.«
»Das Grundgehalt liegt also eigentlich bei 16000
Dollar.«
»Nein, nein, das Grundgehalt wird mit 40 000 Dollar
beziffert, weil Sie diese Zahl bei einer Gehaltsaufstellung angeben
müssten.«
»Aber man bekommt bloß 16 000 Dollar im Jahr,
sobald man den Einführungskurs absolviert hat?« Ich wollte mich
nicht mit ihm anlegen. Mir wollte das bloß nicht in den Kopf, denn
man konnte doch in Amerika einem College-Absolventen mit
Berufserfahrung bestimmt nicht mickrige 16 000 Dollar im Jahr
bezahlen. Ich musste irgendwas übersehen haben.
»Genau.«
»Und warum sagen Sie dann nicht gleich, dass das
Grundgehalt bei 16 000 Dollar liegt, man aber während der
Einarbeitung mehr bekommt?«
Einen Moment lang saß Bob schweigend da. Wie es
schien, hatte ich uns beide verwirrt. »Hören Sie, so wird der Lohn
eben bei uns berechnet. Niemand bekommt das volle Grundgehalt. Das
wird durch die Kommissionen ausgeglichen.«
»Wenn die Zahl, die Sie als Grundgehalt angeben,
überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was Ihre Angestellten nachher
im Portemonnaie haben, warum geben Sie ihnen dann nicht gleich das
Gefühl, richtig wichtig zu sein, und erzählen ihnen, das
Grundgehalt läge bei 100 000 Dollar?«, schlug ich vor. Ich merkte,
wie Bob die Stirn runzelte und seine Lippen ganz weiß wurden, also
beschloss ich, lieber das Thema zu wechseln. Ȁhm, vielleicht
sollten wir uns über die Kommissionen unterhalten.«
»Ja, genau, Kommissionen«, murmelte Bob, sichtlich
erleichtert, unserer logischen Zwickmühle zu entkommen. »Die Sache
mit den Kommissionen ist die: Die bekommen Sie erst nach Abschluss
der Probezeit.«
»Die wie lange ist?«
»Sechs Monate. Aber nach sechs Monaten sind Ihren
Verdienstmöglichkeiten praktisch keine Grenzen gesetzt.«
Ich biss mir so fest auf die Zunge, dass ich Blut
schmeckte. Ja, das Ausgangsgehalt war ein Witz, aber irgendwas
musste doch an dieser Geschichte dran sein, meine Vermieterin hatte
schließlich richtig viel Geld. Bestimmt gab es fabelhafte
Vergünstigungen, wie beispielsweise ein unbegrenztes Spesenkonto.
»Wie halten Sie es mit der Kostenerstattung, beispielsweise wenn
man Kunden zum Essen ausführt?«
»Unsere Kundenbetreuer bekommen eine
Firmenkreditkarte, mit der sie eventuelle Spesen begleichen können,
allerdings erst nach der sechsmonatigen Probezeit. Vorher
entstehende Kosten werden nicht erstattet.«
»Verstehe.« Ich gab mir wirklich alle Mühe, Ruhe zu
bewahren. »Also gut, sehe ich das richtig: Das Team trifft sich
jeden Tag um acht Uhr früh und um siebzehn Uhr nachmittags. Stellen
Sie einen Parkausweis aus oder erstatten Sie bloß die
Gebühren?«
»Auslagen werden erst nach Abschluss der Probezeit
erstattet.«
»Was so viel heißt, dass ich jeden Tag dreißig
Dollar Parkgebühren bezahlen müsste.« Schnell überschlage ich das
Ganze im Kopf. »Ihnen ist klar, dass ich dann beinahe viertausend
Dollar aus eigener Tasche bezahlen müsste, oder?« Komisch, dass ich
plötzlich ein Ass im Kopfrechnen bin, wenn es mir an die Geldbörse
geht.56
»Sie können … den Betrag von der Steuer absetzen«,
stammelte Bob.
»Und wie sieht es mit Krankenversicherung und
Altersvorsorge aus? Sagen Sie nicht, darauf muss man auch sechs
Monate warten.«
»Leider ja, weil …«
»Bob, was hat Sie eigentlich zu der irrigen Annahme
verleitet, ich würde anbeißen und bei Ihnen anfangen? Was genau war
es, das Sie denken ließ: ›Hey, das Mädel ist dumm wie Brot?‹
Könnten Sie mir bitte verraten, was Sie dazu bewegt hat, einen
ganzen Nachmittag meines Leben zu verschwenden, und das für einen
Job, der geschätzte tausend Dollar im Monat abwirft, oder
zweihundertfünfzig Dollar die Woche, und das vor Steuern und ohne
irgendwelche Vergünstigungen? Bob, das möchte ich wirklich zu gerne
wissen, weil ich den Teil nämlich schleunigst aus meinem Lebenslauf
streichen möchte.«
»Wie schon gesagt, Sie haben die Gelegenheit, nach
Ende der Probezeit richtig gutes Geld zu verdienen.«
»Aber leider, leider kann ich es mir nicht leisten,
die nächsten
sechs Monate in einem Job zu malochen, dessen Bezahlung
unterhalb der nationalen Armutsgrenze liegt. Und ich
verstehe auch nicht, wie sich irgendwer das leisten kann.«
»Sie würden sich wundern, wie viele Leute sich um
diese Stelle reißen«, erwiderte Bob schnippisch.
»Tja, ich jedenfalls nicht. Vielen Dank, dass Sie
sich die Zeit genommen haben, Bob, aber nun müssen Sie mich leider
entschuldigen, ich muss mein Badezimmer streichen.«
Ich weiß noch, wie mein Telefon früher nicht
stillstand vor Wahnsinnsjobangeboten. Und jetzt - nichts
dergleichen.
Klingelingeling …
»Mr Banfield, ich bin mir sicher, dass der Tod eine
Branche mit enormem Wachstumspotential ist.… Mhm, verstehe. … Wie
dem auch sei, ich kann mir einfach nicht vorstellen,
Bestattungsdienstleistungen zu verkaufen. … Nein, mit den ›Leichen‹
hat das nichts zu tun. Ich fürchte, mir fehlt die emotionale
Distanz, mich mit trauernden Menschen auseinanderzusetzen. Trotzdem
vielen Dank für Ihren Anruf und alles Gute für die weitere
Suche.«
Klingelingeling …
»Jack, ich glaube, Sie wollen mich nicht verstehen.
Dann muss ich wohl etwas direkter werden. Vielleicht so? Lieber
senge ich mir mit glühenden Kohlen die Augen aus dem Schädel, als
von Tür zu Tür zu ziehen und Leuten Lebensversicherungen
anzudrehen. … Nein, ich möchte auch keine Unfall- und
Risikolebensversicherung abschließen.… Okay, also, danke für den
Anruf.«
Klingelingeling …
»Ja, Wally, das klingt wirklich nach einer
›verdammt guten‹ Gelegenheit, und es ehrt mich, dass Sie dabei an
mich gedacht haben.… Das Problem ist nur, dass ich nicht vorhabe,
in nächster Zeit nach Tunica, Mississippi zu ziehen.… Ähm, nein,
mir war nicht klar, dass die Casino-Boot-Branche dort unten ein
blühender Wirtschaftszweig ist.… Nein, nein, das stimmt mich auch
nicht um.… Nein, auch nicht, wenn es Freikarten fürs Büffet gratis
dazu gibt.… Ach, Sie sind wirklich ein Schatz. Ich wünsche Ihnen
auch immer ein Ass im Ärmel.«
Heute Morgen sind meine Eltern angekommen, denn
gleich morgen früh starten sie vom Flughafen O’Hare nach
Hawaii. Jetzt sitzen sie auf der Terrasse und genießen den
Sonnenuntergang und die milden frühherbstlichen
Oktobertemperaturen.
»Ich kann es kaum glauben, dass ihr jetzt schon
wieder fliegt«, sage ich.
»Pfft«, entgegnet meine Mutter. »Ich lasse mir doch
nicht von einem Haufen dahergelaufener Spinner den Urlaub
vermiesen.« Ja, klar. Die USA wurden am 11. September nicht zur
Zielscheibe fanatischer, radikalislamischer Fundamentalisten; sie
wurden nur angegriffen, um meiner Mutter die Ferien zu versauen.
Glücklicherweise weigert sie sich hartnäckig, den Terroristen den
Sieg zu überlassen.
»Gestern war ein Foto von dem Hotel, das wir
gebucht haben, auf dem Cover der New York Times. Ein
endloser Sandstrand und ein einziger, einsamer Mensch auf einer
Klappliege«, seufzt Big Daddy zufrieden. Mein Vater hasst
Menschenansammlungen.
»Ich halte diese ganze Reise für keine gute Idee.
Mir ist gar nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihr beide zusammen in
einem Flugzeug sitzt«, wende ich ein.
»Ach, Jennifer, stell dich nicht so an. Uns
passiert schon
nichts«, winkt meine Mutter ab. Verstehen Sie, was ich meine? Es
wird alles gut gehen, weil sie es sagt. Sie lässt sich doch
von irgendwelchen lästigen bewaffneten Nationalgardisten nicht
einreden, Flugreisen seien womöglich gefährlicher als ein
Kindergeburtstag. Noni, Moms exzentrische sizilianische Großmutter,
war genauso. Alles, was sie sagte, war eine Tatsachenfeststellung,
ganz gleich, wie erdrückend die Gegenbeweise auch sein mochten. So
hasste Noni beispielsweise sämtliche künstlichen Aromen und
Zusatzstoffe, weshalb sie einen heftigen Groll gegen General Foods
hegte. Sie erklärte, sie könne den ganzen Laden in Schutt und Asche
legen, wenn sie es nur dreimal sagte. Natürlich sagte sie es immer
bloß zweimal - schließlich wollte sie ihre »besonderen Kräfte«
nicht missbrauchen -, also konnten wir sie nie der Lüge
überführen.57
»Wie dem auch sei, genug von uns geredet«, fährt
sie unbeirrt fort. »Wie steht’s denn mit euch beiden? Als ihr am
Labor Day in Las Vegas wart, habe ich die ganze Zeit auf den Anruf
gewartet. Ich habe auf gepackten Koffern gesessen, weil ich damit
gerechnet habe, ihr beide wolltet durchbrennen und heimlich
heiraten.«
»Fletch?«, frage ich.
Mit einem raschen Blick auf die Uhr antwortet er:
»Achtzehn Minuten.«
Offen gestanden bin ich schockiert, dass sie so
lange durchgehalten hat.
»Jedes Mal, wenn du uns damit nervst, verschieben
wir unsere Verlobung um einen Monat nach hinten. Beim gegenwärtigen
Stand der Dinge erwarten wir die Ehefeierlichkeiten in etwa für den
Herbst 2026.«
»Schon gut, ich dränge euch nicht.« Ja, klar. »Wie
dem auch sei, euer Badezimmer ist wirklich entzückend geworden.
Wann
hast du denn bei deinen verrückten Arbeitszeiten noch die Zeit
dazu gefunden? Sieht aus, als hättest du Tage damit zugebracht, die
Wände abzuschleifen und anzustreichen.«
Fletch will auf die Frage antworten, doch ich fahre
dazwischen. Ich habe ihn ausdrücklich gewarnt, kein Wort über die
Entlassungsgeschichte zu verlieren, weil ich meinen Eltern die
schlechten Neuigkeiten schonend beibringen möchte. Aber nun fürchte
ich, er könnte sich verplappern und verraten, dass ich momentan
mehr als genug Zeit habe. »Letztes Wochenende«, werfe ich
rasch ein. »Ging wirklich schnell. Die Wände waren vorbehandelt,
also kam die Tapete fast von selbst von der Wand. Und dann habe ich
mit Tiefgrund vorgestrichen und musste bloß zweimal
überstreichen.«
Verstohlen betaste ich meine Nase, um
festzustellen, wie viel sie gewachsen ist. Ich kann es nicht
ausstehen, meine Eltern anlügen zu müssen. Aber so toll sie auch
sind, meine Mutter neigt dazu, sich meinetwegen völlig unnötig den
Kopf zu zerbrechen, und ich will nicht, dass sie sich Sorgen macht,
während sie eigentlich an einsamen Sandstränden Cocktails aus
ausgehöhlten Kokosnüssen schlürfen soll.
»Wo wir gerade bei Badezimmern sind, ich glaube,
ich werde deins noch mal schnell aufsuchen«, sagt sie und stellt
ihr Wasserglas auf den Tisch. Dann marschiert sie die Treppe
hinunter.
Ich ergreife sofort die Gelegenheit und wende mich
an meinen Vater. »Also, Dad, die Sache ist die. Ich bin vor zwei
Wochen entlassen worden. Es ist alles bestens, und das Geld reicht
auch. Ich habe jede Menge Vorstellungsgespräche und denke, es
sollte bald was dabei sein. Aber ich will Mom nichts davon sagen,
bis ihr aus dem Urlaub zurück seid.«
Big Daddy trinkt zur Stärkung einen großen Schluck
Johnnie Walker Black on the Rocks und lässt sich das gerade Gesagte
noch mal durch den Kopf gehen. Nach einer kurzen Denkpause
entgegnet er: »Herzlichen Dank. Flugzeuge haben im Allgemeinen
nicht genug Scotch an Bord, um sich so weit betäuben zu können,
dass man das Geplapper dieser Frau ausblenden kann, wenn sie sich
wieder mal wegen irgendwas Sorgen macht. Himmel, sie jammert ja
heute noch wegen etwas, das ich anno 1973 machen sollte …«
»Entschuldige, Big Daddy? Aber hast du gar nichts
dazu zu sagen, dass ich jetzt arbeitslos bin?«
»Doch. Du verdienst nichts. Weißt du noch, was ich
dir immer gesagt habe, als du noch ein kleines Mädchen warst? ›Dem
Narren zerrinnt das Geld zwischen den Fingern.‹ Moderne
Übersetzung? Hör auf, dein ganzes Vermögen bei Bloomingsdale’s zu
verpulvern«, erwidert er. Fletch prustet los, und dann stoßen er
und mein Vater mit ihren Bleikristallwhiskeygläsern an.
Sosehr ich die beiden auch liebe, ich finde es
eigentlich nicht besonders prickelnd, wenn sie sich zusammenrotten.
Fletch und Dad sind sich so ähnlich, dass es schon beinahe
beängstigend ist. Beide haben einen trockenen, sarkastischen Humor.
Beiden merkt man an, dass sie mal beim Militär waren, weil sie
größten Wert auf penibel gestutzte Haare legen (immer etwas zu kurz
für meinen Geschmack), auf geputzt Schuhe (stets auf Hochglanz
poliert, sodass man sich drin spiegeln kann) und ordentlich
gefaltete Stadtpläne und Landkarten … Und versuchen Sie mal, einem
der beiden einen Single Malt aus dem Kung-Fu-Todesgriff zu
entwinden. Der Tag, an dem Fletch mit einer frisch gebrühten Tasse
Kaffee und einer Ausgabe des Consumer Reports aufs Klo geht,
ziehe ich ins Gästezimmer. Und sollte er je Gürtel und
Hosenträger gleichzeitig tragen? Dann ist es aus und vorbei.
Letztes Jahr, als meine Eltern uns zu Thanksgiving besuchten, haben
Fletch und mein Dad sich stundenlang im Arbeitszimmer verschanzt
und darüber debattiert, welcher Internetradiosender den besten Jazz
spielt. Als sie wieder abgereist waren, meinte Fletch: »Ich wusste
gar nicht, dass dein Vater jemanden umgebracht hat.«
»WAS hat er?«, kläffte ich ihn förmlich an. »Du
willst mich
auf den Arm nehmen, oder? Denn ich glaube, hätte mein Vater
JEMANDEN UM DIE ECKE GEBRACHT, dann wüsste ich davon, besonders,
wenn man seine Neigung bedenkt, immer wieder dieselben Geschichten
zu erzählen. Die Story von seiner Mexiko-Invasion habe ich bestimmt
schon vierhundertmal gehört.«58
»Jen, dein Vater war in einen Kampf Mann gegen Mann
verwickelt, als er nach dem Krieg in Korea stationiert war. Eines
Nachts war er an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea auf
Patrouille und wurde aus dem Hinterhalt überfallen. Ihm blieb nur,
zu schießen oder selbst erschossen zu werden. Er hatte keine andere
Wahl.«
»Ich schwöre dir, davon hatte ich nicht die
leiseste Ahnung. Hat ihn das sehr mitgenommen?«
»Nein, er hat ganz sachlich davon erzählt.«
»Das wundert mich nicht. Aber ich kann kaum
glauben, dass er diese Information nicht zu seinem Vorteil genutzt
hat. Stell dir mal vor, ich wäre doch brav wie ein Lämmchen
gewesen, wenn ich das gewusst hätte. ›Du bist in Mathe
durchgefallen, Jennifer? Dann muss ich dich leider umlegen.‹ ›Du
glaubst allen Ernstes, ich lasse dich zu einem
Michael-Jackson-Konzert gehen? Nur über deine Leiche.‹ ›Du
bist eine halbe Stunde zu spät nach Hause gekommen? Hier ist der
Spaten - fang schon mal an, dir dein eigenes Grab zu schaufeln.‹
Millionen vergeudeter Gelegenheiten, mir eine Heidenangst
einzujagen, damit ich nicht auf die schiefe Bahn gerate.«
Wie dem auch sei, Dad und Fletch zu sehen, wie sie
sich gemeinsam über mich lustig machen und glucksen, als sei ich
gar
nicht da, macht mich stinkwütend. Genau in dem Moment erscheint
meine Mutter in der Tür.
»Hey, Mom, hat Dad dir eigentlich mal erzählt, wie
er diesen Typen umgelegt hat?«
Meine Abfindungszahlung und das Urlaubsgeld
schmelzen dahin wie Eis in der Sonne. Das Renovierungsprojekt
verschlingt mehr als gedacht, und meine neue Bewerbungsgarderobe
bekomme ich auch nicht umsonst.59
»Brett und Kim wollen sich im Abado Grill zum
Margaritastrinken treffen, und ich habe kein Geld.« Ich wedele
Fletch mit seinem Portemonnaie vor der Nase herum.
»Narr, ist dir das Geld so schnell durch die Finger
zerronnen?«, fragt Fletch.
»Ich habe es jedenfalls nicht aus dem Fenster
geworfen, solltest du das damit andeuten wollen«, gebe ich spitz
zurück. »Ich habe es in Businesskleidung investiert. Mich
stellt doch keiner ein, wenn ich in Lumpen daherkomme. Außerdem
habe ich der Heilsarmee ein paar Riesenkartons Vorjahresklamotten
gespendet. Jetzt kann ich die Ausgaben von der Steuer absetzen. Und
diesmal habe ich sogar daran gedacht, mir eine Quittung geben zu
lassen!«
»Herzlichen Glückwunsch. Du bist eine wahre
Philanthropin.«
»Haha. Aber mal im Ernst, ich brauche Kohle für die
Cocktails, also her mit dem Zaster«, kommandiere ich mit
ausgestreckter Hand.
Fletch rückt eine Handvoll Scheine heraus, aber das
Ganze ist nicht so egoistisch, wie es sich jetzt anhört. Wir führen
eine ziem-lich
gleichberechtigte Beziehung. Als Fletch letztes Jahr für drei
Monate keine Arbeit hatte und keine Abfindung oder Zahlungen von
seiner Arbeitslosenversicherung bekam, bin ich für alles
aufgekommen. Und zwar nicht bloß für die Miete, die Nebenkosten und
unsere Einkäufe. Ich habe sogar seine Raten fürs Auto übernommen
und die Versicherungen und die eklig klebrige Haarpomade bezahlt,
die er so mag. Ein Vierteljahr lang konnte ich mir keine neuen
Kleider leisten, nicht ausgehen oder im Restaurant essen und musste
mir den Pony selbst nachschneiden. Nie habe ich mich darüber
beklagt; wenn ich jetzt also ein bisschen Geld für Cocktails
brauche, dann ist das nur recht und billig.
Außerdem behauptet Fletch standhaft, er würde nie
im Leben so viel Kohle verdienen, hätte ich ihm nicht immer den
Rücken gestärkt und ihm Mut gemacht, sich um Jobs zu bewerben, an
die er sich ohne mich niemals herangetraut hätte, und ihn dazu
gedrängt, die Bezahlung zu verlangen, die er verdient. Kaum hat er
ein paar Scotchs getrunken, kann er endlos davon schwärmen, wie
sehr sein Leben sich zum Guten gewendet hat, seit er mich kennt
(was ich natürlich immer wieder gerne höre).
Als Kind und Jugendlicher wurde er immer
unterschätzt und für leicht schräg gehalten. So gab es zum Beispiel
in der Nähe seines Elternhauses ein Feld mit Sojabohnen. Während
seine Altersgenossen mit sechs große Bugs-Bunny-Fans waren, quälte
er sich mit der philosophischen Frage herum, warum jemand Bohnen
anpflanzt, die man nicht essen kann. Statt sich darüber zu freuen,
wie klug Fletch war, erklärte sein Vater ihm, es sei dumm, diese
Frage überhaupt zu stellen. (Mal unter uns, wozu zum Teufel sind
Sojabohnen eigentlich gut?)
»Jen, wann meldest du dich endlich
arbeitslos?«
»Nie«, entgegne ich standhaft.
»Und warum nicht?«
»Weil ich kein Schnorrer bin. Ich will dem Staat
nicht auf der Tasche liegen. Herrgott noch mal, ich bin
Republikanerin. Die
würden mich glatt aus der Partei ausschließend, wenn ich von der
Stütze lebe!«
»Hol mal deine letzte Gehaltsabrechnung«, weist er
mich an.
Ich muss lange in meinen Unterlagen kramen, bis ich
sie schließlich finde. »Bitte sehr.« Ich reiche ihm das Blatt und
hocke mich neben ihn auf die Sessellehne.
»Schau dir mal diese Zahlen an. Siehst du diese
Summen?« Ich nicke. »Das ist das Geld, das dir in diesem Jahr in
Form von Steuern vom Gehalt abgezogen wurde. Moment, vielleicht
sollte ich ganz von vorne anfangen. Dir ist klar, dass es in diesem
Land ein Steuersystem gibt, oder?«
»Sei nicht so gemein.« Mit der Handvoll
Dollarscheine gebe ich ihm einen Klaps.
»Also gut, dann weißt du auch, dass dein Geld, wenn
du Steuern bezahlst, an die Bundes- und Landesregierungen verteilt
wird. Mit deinen Steuergeldern wird alles Mögliche finanziert, von
Schulen und Feuerwehren über medizinische Einrichtungen,
Sozialhilfe, die Zinsen unserer Staatsschulden, und so
weiter.«
»Fängst du jetzt gleich an, mir das Kinderlied
vorzusingen, wie aus einer Vorlage ein Gesetz wird?«60
»Hatte ich eigentlich nicht vor.«
»Verrätst du mir dann, warum du mir Nachhilfe in
Staatsbürgerkunde gibst?«
»Weil du sie bitter nötig hast. Ich versuche nur,
dir klarzumachen, dass ein Teil dieses Geldes hier« - er malt mit
dem Finger einen Kreis auf das Blatt - »in die
Arbeitslosenunterstützung wandert.«
»Soll das heißen, es ist gar keine Stütze?«
»Ganz genau. Wenn du Arbeitslosengeld erhältst,
bekommst du bloß was von dem Geld zurück, das DU SELBST für genau
diesen Fall in das System eingezahlt hast. Das ist, als bekäme
man Geld von einer Versicherung. Und was dir besonders gefallen
wird - dein ehemaliger Arbeitgeber muss auch einen Teil des Geldes
bezahlen, auf das du Anspruch hast.«
»Diese miesen Corp.-Com.-Schweine könnten statt
deiner meinen Tequila-Abend sponsern?«
»Exakt.«
Der Mann weiß einfach ALLES! Stürmisch falle ich
Fletch um den Hals und werfe ihn mit der Wucht meiner Umarmung um.
»Könntest du mich bitte ein bisschen weniger lieben? Du klemmst mir
die Luftröhre ab«, röchelt er.
»Keine Chance«, gebe ich zurück und drücke noch ein
bisschen fester zu.
Den Morgen verbringe ich damit, in meinem
begehbaren Kleiderschrank verschiedene Outfits anzuprobieren und
wieder zu verwerfen. Was bitte trägt man denn zum Antrittsbesuch
beim Arbeitsamt? Soll ich mich aufdonnern? Meine Aktentasche
mitnehmen? Was schreibt das Protokoll in einem solchen Fall vor? Um
ehrlich zu sein, habe ich kaum »normale« Straßenkleidung. Jede
Menge elegante Klamotten fürs Büro und schicke, schnuckelige
Fetzen, um sich mit Freunden in Chichi-Bistros zu treffen, aber
lässige Freizeitkleidung? Fehlanzeige. Schließlich entscheide ich
mich für einen langen Rock, ein Twinset und eine dreireihige
Perlenkette. Ein rascher Seitenblick in den großen
Ganzkörperspiegel bestätigt meine Befürchtungen. Ich sehe aus wie
eine der Frauen von Stepford. Ach, was soll’s, besser zu chic als
zu schlampig, oder?
Auf der Arbeitsplatte in der Küche stapeln sich
sämtliche Dokumente, die ich mitbringen soll. 61 Weil ich keine Lust habe, meine
dicke, schwere Aktentasche mit allem Drum und Dran mitzuschleppen,
tausche ich meine kleine Burberry-Clutch gegen einen großen Shopper
von Prada und stopfe den ganzen Kram dorthinein.
Dann fahre ich zum Arbeitsamt und suche - wie es
mir vorkommt, stundenlang - nach einem freien Parkplatz. Bei den
vielen anderen Autos, die ebenfalls wie die Geier den Parkplatz
umrunden, mache ich mir wirklich Sorgen über den Zustand unserer
Wirtschaft. Endlich manövriere ich Fletchs Geländewagen in die am
weitesten vom Eingang entfernte Parklücke.
Dann marschiere ich zu dem Gebäude, drücke die
Glastür auf und werde auf der Stelle von einigen äußerst netten
Herren begrüßt und herzlich in Empfang genommen. Sie führen mich
hinein und bieten mir einen Kaffee an. Wie wunderbar höflich und
kultiviert! Sie wollen alles über mich wissen, und wir plaudern
angeregt über Nationalbewusstsein und Patriotismus. Das ist
wirklich großartig; sicher haben die im Handumdrehen einen neuen
Job für mich. Was habe ich schon für Horrorstorys gehört, wie
schrecklich es sei, sich arbeitslos zu melden, aber die müssen
allesamt schamlos übertrieben haben, denn die Leute hier sind so
was von hilfsbereit. Vielleicht, weil ich heute besonders
hübsch aussehe? Nein, ich wette, es liegt an meiner Tasche.62
Ich plaudere noch eine Weile mit den freundlichen
Herren in den perfekt aufeinander abgestimmten Anzügen über meine
Ziele und Wünsche für die Zukunft. Während sie über Pflicht, Ehre
und Vaterland schwadronieren, geht mir auf, dass die meisten
Beamten eigentlich keine Uniformen tragen. Oder so kurzgeschorene
Haare haben. Oder auf Hochglanz gewienerte Schuhe. ODER PENIBEL
GEFALTETE LANDKARTEN! Und auf einmal ergeben all die Fahnen und die
Bilder von Panzern und U-Booten an den Wänden einen Sinn … Ich
Trottel bin doch tatsächlich in das Rekrutierungsgebäude
der Streitkräfte marschiert, das gleich neben dem
Arbeitsamt untergebracht ist.
Als mündiger, erwachsener Mensch und professionelle
Geschäftsfrau, die ich mich bemühe zu sein, kreische ich entsetzt
auf und verlasse fluchtartig das Gebäude.
Okay, neuer Versuch. Diesmal nehme ich die Tür mit
der Aufschrift »Arbeitsagentur Illinois« und dem entsprechenden
Logo, während mich das Wachpersonal drinnen, das meine waghalsige
Flucht mitbekommen hat, glucksend und kichernd empfängt.
»Na, keine Lust auf die starke Truppe?«, fragt
einer der Wachleute in schäbiger Uniformjacke
klugscheißerisch.
»Der Eingang müsste wirklich viel deutlicher
markiert sein. Ich hätte mich beinahe für den Wehrdienst
verpflichtet, im guten Glauben, Arbeitslosenunterstützung zu
beantragen«, entgegne ich. »Oder vielleicht ist das ja auch
Absicht? Eigentlich eine clevere Idee, so gesehen. Aber egal,
könnten Sie mir sagen, wo ich hingehen muss, um einen Antrag auf
Arbeitslosengeld zu stellen, oder wollen Sie sich erst noch ein
bisschen über mich lustig machen?«
Der Kumpel des Wachmanns sagt: »Da drüben, an dem
Schalter müssen Sie erst mal die Formulare ausfüllen. Für die
Karriere mit Zukunft.« Und damit stupsen sie sich kichernd
gegenseitig an.
»Besten Dank«, erwiderte ich und drehe mich auf dem
Absatz um, wobei ich mit einem kniehohen Ständer kollidiere, der
ein Absperrseil trägt. Unwirsch entwirre ich mich und stapfe zu dem
Tisch, um mir die Unterlagen zu holen, während hinter mir das
Grölen langsam verstummt. Als wäre es nicht schon schlimm genug,
überhaupt hier zu sein!
Schnell fülle ich die unzähligen Formulare aus und
warte dann geduldig, bis ich an der Reihe bin, sie dem Mitarbeiter
am Schalter zur Begutachtung vorlegen zu dürfen. Ein gelangweilter
Mann mit einer lächerlich hohen Stimme wirft einen Blick auf die
Auflistung
meines beruflichen Werdegangs und hält mir das Blatt verächtlich
vor die Nase.
»Das haben Sie noch nicht ausgefüllt. Ausfüllen und
dann wiederkommen«, kommandiert er mit schriller Stimme.
»Aber hier steht doch, man kann stattdessen auch
einen Lebenslauf anheften«, entgegne ich und reiche ihm mein
Päcklein rüber. »Sehen Sie? Und da ist mein Lebenslauf.«
»Tja, der war aber nicht angeheftet«, zischt er.
Moment mal, Freundchen. Geht’s auch ein bisschen leiser? Sonst
fangen die Hunde in der Nachbarschaft gleich an zu jaulen.
Kurz entschlossen greife ich über den Schalter,
schnappe mir seinen Hefter und tackere das Blatt fest. Dann drücke
ich ihm das Formular wieder in die Hand. »Jetzt ist er angeheftet«,
flöte ich und klimpere gewinnend mit den Augen.
Mit verkniffener Miene blättert er empört die
Unterlagen durch auf der Suche nach weiteren Fehlern. Als er keine
findet, knallt er an ein paar Stellen einen Stempel darauf und
bombardiert mich mit einem weiteren Stapel Fragebögen. »Nehmen Sie
die mit, und setzten Sie sich zu den anderen Leuten da drüben, bis
Ihre Gruppe aufgerufen wird«, quietscht er. Und kaum hörbar fügt er
hinzu: »Miss Prada.«
Während ich warte, lasse ich die Atmosphäre auf
mich wirken. Bis auf die Wachleute habe ich hier noch keinen der
Angestellten lächeln sehen. Dieser Laden ist derart deprimierend,
da ist es kein Wunder, dass alle so miesepetrig sind. Die
niedrigen, mit Styroporplatten verkleideten Decken, die von
verrosteten, leckenden Wasserrohren verunstaltet werden, wollen
einem jeden Moment auf den Kopf fallen. Alles ist in
Fabrikhallengrau gehalten - die Wände, die Büroabtrennungen, die
Stühle, die Böden und sogar die blassen Gesichter der Mitarbeiter.
Die wenigen verdorrten Gummibäume hier und da tragen auch nicht
gerade zur Verbesserung des Betriebsklimas bei. Die Fenster sind
schmal und dreckverschmiert und bieten einen atemberaubenden
Ausblick
auf den mit Schlaglöchern übersäten Parkplatz und die
Müllcontainer hinter McDonald’s. Die blendende Nachmittagssonne
wird von den verbeulten, schmutzigen Jalousien und den träge durch
die Luft wirbelnden Staubflocken kaum gefiltert. Die einzigen
Geräusche sind das unablässige Dröhnen angestrengt arbeitender
Drucker und gelegentliches Kindergeschrei. Wie in einem dieser
Cartoons von Dilbert, bloß nicht ganz so putzig.
Um halb zwei wird meine Gruppe zu einem
Informationsgespräch in einen kleinen Warteraum geführt und über
die Feinheiten und Regularien den alle zwei Wochen fälligen Anruf
bei der Behörde betreffend aufgeklärt. Zu zehnt schlurfen wir in
den Raum, und verstohlen gucke ich mir meine arbeitslosen Mitbrüder
und -schwestern an. Wobei mir auffällt, dass ich als Einzige nicht
Flanellhemd und Arbeitsstiefel trage. Die verbissene kleine Frau,
die das Gespräch leitet, mustert mich abschätzig von Kopf bis Fuß,
und als ihr Blick das Schildchen meiner Handtasche streift,
verengen sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen. Irgendwie
beschleicht mich der Verdacht, mich heute mit meiner Garderobe
kolossal vergriffen zu haben. Schließlich reißt sie mir ungeduldig
die Formulare aus der Hand und blättert die Seiten durch, bis sie
zu meiner Einkommensauflistung kommt. Ich schließe scharfsinnig,
dass ihr Schnauben kein freudiges ist, und bemerke, dass sie die
Unterlagen der übrigen Anwesenden nicht prüft. Sie reißt eine Seite
heraus und gibt mir dann das Papierbündel zurück.
Dann setzt sie zu ihrer Einführung an.
Auf Spanisch.
Ich hebe die Hand. »Entschuldigen Sie bitte, aber
habe ich da was falsch verstanden? Sollte ich nicht einer anderen
Gruppe zugeteilt werden? Ich spreche nämlich kein Spanisch.«
Die verbissene kleine Frau verdreht die Augen.
»Nein, da alle anderen hier allerdings spanischsprachig sind,
dachte ich, es wäre für sie einfacher, wenn ich die Einführung in
ihrer Muttersprache
halte«, giftet sie. »Aber wenn es nach Ihrer Nase gehen muss,
bitte schön, ich kann auch Englisch sprechen.« Neun dunkle
unglückliche Augenpaare starren mich empört an. Ach, kommt schon.
Es ist doch keine Zumutung, in einer amerikanischen Behörde zu
erwarten, dass man meine Muttersprache spricht.
Mit ziemlich unverhohlener Abneigung erklärt die
verbiesterte kleine Frau die Formalitäten wie regelmäßige Anrufe
beim Amt. Alle zwei Wochen muss ich Rede und Antwort stehen, ob ich
mich auch tatsächlich um einen Job bemüht habe. Anscheinend bin ich
von Amts wegen verpflichtet, innerhalb dieser zwei Wochen läppische
drei Bewerbungen loszuschicken.63 Am Ende erklärt sie, was wir mit dem
letzten Formular machen sollen. Hektisch blättere ich meine
Unterlagen durch, kann aber das besagte Formblatt nicht finden. Als
sie sich erkundigt, ob es noch Fragen gebe, hebe ich erneut die
Hand. »Ähm, hallo, ich habe dieses Formular nicht …«, setze ich an
zu erklären.
»Und warum nehmen Sie dann hier jemandem den Platz
weg? Sie sollten Ihre Unterlagen vollständig beisammenhaben, ehe
Sie hier reinkommen«, brüllt sie mich wutentbrannt an.
»Wie ich gerade erklären wollte, habe ich dieses
Formular nicht, weil Sie es abgerissen haben.«
»Nein, das habe ich ganz bestimmt nicht …«
»Ma’am, es liegt direkt vor Ihnen.« Und damit zeige
ich auf das Formular, das halb unter einem Stapel ihrer Unterlagen
verborgen liegt, woraufhin sie knallrot anläuft.
»Das war’s, Sie können gehen«, schnauzt sie
aggressiv, schiebt mir das Blatt zu, packt ihren Aktenordner und
stampft wütend aus dem Zimmer.
»Ach, schon in Ordnung«, rufe ich ihr hinterher.
»So was kann ja passieren. Entschuldigung angenommen!«
Die letzte Hürde, die ich nehmen muss, besteht
darin, mich vor eine Reihe uralter Computer zu setzen, an denen ich
vielleicht um 1982 mal Pong gespielt haben könnte, und mich auf der
Seite der behördlichen Jobbörse anzumelden. Eingangs finde ich die
Idee klasse, weil ich hoffe, dort möglicherweise auf Jobangebote zu
stoßen, die nicht auf Seiten wie Monster.com gelistet sind. Aber nach einer
Stunde suchen und nichts als Billiglohnjobs, für die man einen
Schrubber und einen robusten Rücken braucht, winke ich den
zuständigen Mitarbeiter an meinen Platz.
»Hallo, ich hätte da mal eine Frage«, sage
ich.
»Und die wäre?«, fragt der Mitarbeiter.
»Könnten Sie mir bitte sagen, ob ich die
Suchbegriffe richtig verknüpft habe? Jedes Mal, wenn ich meine
Infos eingebe, bekomme ich Hausmeistertätigkeiten und
Fließbandjobs.«
»Und was wollen Sie jetzt wissen?«
»Ich denke, ich suche eine etwas anspruchsvollere
Tätigkeit.«
»Gebäudereinigung kann sehr anspruchsvoll sein.
Schon mal probiert?«
»Ähm, nein, könnte ich jetzt nicht behaupten. Ich
suche eher nach einer Stelle, die mehr meinen Qualifikationen
entspricht, und da finde ich rein gar nichts. Wissen Sie
vielleicht, ob ich lieber andere Suchkriterien angeben sollte, um
die besseren Jobangebote zu finden?«
»Wollen Sie damit sagen, Sie sind sich zu fein für
diese Arbeit? Was, zu vornehm, sich die Hände ein bisschen
schmutzig zu machen? Versaut Ihnen das die Maniküre?«
»Nein, aber ich habe einen College-Abschluss und
…«
»Oooh, einen College-Abschluss … Sie sind also zu
schlau für so eine Arbeit? Sie wollen wohl eine Extrawurst,
was?«
Was zum Teufel ist bloß los mit diesen Leuten?
Warum sind die alle so verdammt unfreundlich? Soweit ich weiß, habe
ich mich nur eines einzigen Vergehens schuldig gemacht: eine teure
Tasche zu tragen, die ich selbst vom Gehalt meines alten, gut
bezahlten Jobs gekauft habe. Die müssen doch meine
Arbeitslosenunterstützung nicht aus eigener Tasche zahlen, also
besteht überhaupt keine Veranlassung, derart barsch zu reagieren,
vor allem weil ich genauso wenig Wert darauf lege, hier zu sein,
wie die, mich hierzuhaben.
Mit meinem gewinnendsten Miss-Amerika-Lächeln
entgegne ich: »Ich will damit nur sagen, dass ich für jeden der
hier aufgeführten Jobs gnadenlos überqualifiziert bin. Und ich
wüsste zu gerne, ob es auch irgendwelche Jobangebote gibt, die
nicht zum Himmel stinken?«
Klingelingeling …
»Mhm … mhm … Ich hätte da nur eine Frage: Gibt es
heutzutage wirklich noch eine Nachfrage für gebundene
Enzyklopädien? Wenn man der Werbung von IBM Glauben schenken darf,
ist doch alles Wissen der Menschheit nur einen Mausklick entfernt
im Internet. Warum also sollte jemand Ihre Bände kaufen? Hallo …
hallo?«
Klingelingeling …
»Ich freue mich ja so, dass Sie anrufen! Seit
Jahren verfolge ich die Aktienentwicklung Ihres Unternehmens! Eine
wirklich solide Anlage - mit pharmazeutischen Erzeugnissen kann man
eigentlich nichts falsch machen.… Natürlich, ich bin früher ständig
in Arztpraxen gewesen, als ich noch für ein
Versicherungsunternehmen gearbeitet habe.… Ach, verstehe. … Nein,
das wusste ich nicht … Ähm, ja, wenn man bedenkt, dass ich mir die
Beine mit Wachs enthaaren lasse, weil ich mich quasi jedes Mal
übergeben muss, wenn ich mich mit dem Rasierer schneide, dann hätte
ich wohl ein Problem damit, einen OP zu betreten, um ihr neuestes
Herzgerät an einem lebenden Patienten vorzuführen. … Okay, dann
danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, und bitte denken Sie
an mich, sollten Sie jemanden für die Vermarktung eines weniger
invasiven Produkts brauchen.«
»Ich bin da«, ruft Fletch, klopft sich den Schnee
von den Schultern, hängt seinen Mantel auf und verstaut die
Computertasche im Wandschrank.
Meine eigene Gesellschaft langweilt mich inzwischen
so sehr, dass ich mich regelrecht auf ihn stürze, sobald er einen
Fuß in die Wohnung setzt, und ihn in einem Anfall verbalen
Brechdurchfalls mit sämtlichen unwichtigen Details des Tages
überschütte. Heute allerdings gebe ich mir allergrößte Mühe, ihn
erst mal in Ruhe hereinkommen und sich ein bisschen entspannen zu
lassen, ehe ich ihn mit meiner geballten Aufmerksamkeit überfalle.
Es läuft bei ihm beruflich nicht so gut, wie es ihm lieb wäre, also
sollte ich wohl zumindest versuchen, ihm ein gemütliches Heim zu
bieten.64
Seit ein paar Tagen konzentriere ich meine ganze
Energie darauf, alte Freunde anzumailen, und es hat richtig Spaß
gemacht, fast vergessene Freundschaften wieder ein bisschen
aufzufrischen. Trotzdem bin ich etwas enttäuscht, dass ich immer
nur ein paar knappe Zeilen als Antwort bekommen habe, obwohl ich
selbst ellenlange, mehrseitige Ergüsse verschickt habe.
»Wie geht’s dir?«, erkundige ich mich. »Du siehst
verfroren aus. Möchtest du einen Becher heiße Schokolade mit dem
leckeren Kakao, den du mir zum Valentinstag geschenkt hast?«
»Ja, bitte. Das war kein besonders guter Tag heute.
Das gesamte Management hat Clark wegen einiger nicht ganz korrekter
Vorgänge, für die er wohl verantwortlich war, ordentlich was auf
die
Mütze gegeben, und er ist natürlich an die Decke gegangen und hat
den ganzen restlichen Morgen rumgebrüllt wie ein Irrer. Und dann
hat es ihm wieder leidgetan und er hat uns zum Essen an seine
Lieblingshotdogbude eingeladen, aber kaum da angekommen, hat er uns
schon wieder angekeift. Wann ist Schreien bis der Arzt kommt
eigentlich zur bevorzugten Kommunikationsmethode für die Ansprache
argloser Netzwerkbetreuer geworden? Ich fühle mich, als hätte mich
jemand durch den Fleischwolf gedreht.«
Ich könnte jedes Mal platzen vor Wut, wenn die Rede
auf das unprofessionelle Verhalten seines Chefs Clark kommt. Nicht
dass Fletch ein Weichei wäre, aber immer, wenn Clark ihn wie ein
ungezogenes Kind behandelt, kommen all die unschönen Erinnerungen
an seine Kindheit und seinen herrischen, dominanten Vater wieder
hoch. Offen gestanden bin ich froh, dass der alte Herr unter der
Erde ist, denn es würde mir ausgesprochen schwerfallen, bei
Familienfeierlichkeiten nett zu ihm zu sein. Er hat Fletch nicht
ein einziges Mal gesagt hat, dass er etwas gut gemacht hat oder
dass er stolz auf ihn ist. Können Sie sich das vorstellen? Nicht
mal, als die Army ihn zur Grundausbildung nach West Point geschickt
hat, weil er einer der besten und intelligentesten Männer seines
gesamten Jahrgangs war. Beim SAT-Einstufungstest bekam er beinahe
1400 Punkte, und doch waren seine Eltern der Meinung, er sei auf
einem Berufskolleg besser aufgehoben als auf einer richtigen Uni.
Jahre habe ich gebraucht, um sein Selbstvertrauen wieder
aufzubauen, auf dem seine Eltern so geringschätzig herumgetrampelt
hatten.
»Was ist denn los?« Ich greife in den
Küchenschrank, hole unsere farblich abgestimmten Becher heraus und
mache Milch im Topf warm.
»Bin mir nicht ganz sicher. In letzter Zeit ist es
wesentlich schlimmer geworden. Ich habe gehört, eine Kollegin aus
der Firma habe eine Beschwerde gegen ihn eingereicht, weil er sich
bei
der Weihnachtsfeier massiv an sie rangemacht haben soll. Könnte
also was damit zu tun haben.«
»Ist er nicht verheiratet?«
»Doch, und Kinder hat er auch.«
»Der ist echt ein fieser Widerling, oder?« Ich
rühre die Milch um, damit sie nicht anbrennt.
»Du sagst es. Aber ich will mir von ihm nicht auch
noch den Abend versauen lassen, also erzähl mir lieber, wie dein
Tag war.«
»Du glaubst nicht, wer sich heute gemeldet hat«,
sage ich geheimnisvoll.
»Soll ich jetzt raten?«
»Nein, ich will dich nicht quälen. Eigentlich haben
sich gleich mehrere Leute gemeldet. Courtney schickt schöne Grüße,
und sie hat sich von KnalliChad getrennt. Da ist wohl endlich der
Groschen gefallen, was? Sie fragt, ob du keine süßen Single-Freunde
hast.«
»Ich führe leider keine Liste, welcher meiner
Freunde süß und Single ist.«
»Schon okay. Bestimmt fällt mir noch jemand ein.
Wie dem auch sei, die große Neuigkeit ist, ich habe mit Camille
geredet. Weißt du noch, das war diese nervige Müslitante von Corp.
Com.? Sie hat kürzlich einen Kerl kennengelernt, der gerade eine
Firma aufzieht, die genau dasselbe macht wie Corp. Com. Und er
sucht noch Leute, und da hat Camille gleich an mich gedacht - sie
hat mir die Kontaktdaten von diesem Typen geschickt. Er heißt Ross
und ist der Unternehmensgründer. Wir haben uns heute Nachmittag
unterhalten, und morgen habe ich ein Vorstellungsgespräch bei
ihm.«
»Ein Start-up-Unternehmen? Ich dachte immer, davon
wolltest du nichts wissen. Zu riskant.« Ich reiche Fletch den
Becher mit dem dampfenden Kakao, den ich mit einem Klecks
Schlagsahne gekrönt und mit Vanillestreuseln dekoriert habe. Er
nippt daran und lächelt. Man kann förmlich
sehen, wie ein Teil der Anspannung von ihm abfällt. »Ja und nein.
Sie sind zwar ein Start-up, aber sie haben gerade mehrere Millionen
an Risikokapital bekommen. Die haben für die nächsten Jahre erst
mal ausgesorgt. Der Gründer wirkt clever und nicht auf den Kopf
gefallen, und er ist der Meinung, meine Erfahrung könnte ein echter
Gewinn für das Unternehmen sein. Also warten wir ab, wie es morgen
läuft.«
»Hervorragend!«, ruft er begeistert und will
abklatschen. Ich versuche, seine ausgestreckte Handfläche zu
treffen, und haue, wie immer, daneben.
»Die weniger gute Nachricht ist, mein Geld ist noch
immer nicht da.«
»Doch nicht im Ernst.«
Zum vierten Mal in vier Monaten ist mein Scheck mit
der Arbeitslosenunterstützung nicht rechtzeitig eingetrudelt. Zum
Glück passiert es mit einer derartigen Regelmäßigkeit, dass ich
mittlerweile ein Profi im Reklamieren bin. Als er das erste Mal
nicht kam, habe ich in den entsprechenden Vorschriften
nachgeschlagen. Nach viel Lesen, Lesen und noch mehr Lesen war mir
noch immer nicht klar, was ich zu tun hatte, also rief ich bei der
Behörde an. Fünfzehn Minuten und ein Dutzend sprachgesteuerte Menüs
später wurde ich endlich mit einem lebendigen Menschen verbunden.
Als ich erklärte, wer ich war und warum ich anrief, zischelte die
verbiesterte kleine Frau am anderen Ende der Leitung: »Ach ja,
Miss Prada, an SIE erinnere ich mich.«
Und in dem Moment war mir klar, ich sollte mich auf
eine LANGE Wartezeit einstellen.
Mein erstes Vorstellungsgespräch mit Ross bei dem
Start-up läuft so gut, dass ich zu einem zweiten Gespräch
eingeladen werde. Das zweite Gespräch läuft sogar noch besser als
das erste, also lädt man mich zu einer dritten Runde ein. Weil Ross
und ich da
schon jedes nur erdenkliche Detail besprochen haben, gehe ich
stark davon aus, dass man mir ein Angebot machen wird, als ich
schließlich zu meinem vierten Interview antanze.
Ich Dummchen.
Stattdessen führt man mich in einen Konferenzraum,
wo mich ein weiteres Gespräch erwartet, diesmal mit Ross und seinem
Überraschungsgast … uaaahhh! Es ist WILL! Ich bin mir ziemlich
sicher, dass meine Kinnlade auf die Tischplatte klappt, als ich ihn
erblicke.
»Was machst du denn hier?«, platze ich
heraus, ehe ich mir diese Bemerkung verkneifen kann. Sofort
versuche ich, hektisch zurückzurudern, und erkläre: »Ich meine,
seit wann arbeitest du denn hier?«
»Ich habe vor ein paar Wochen hier angefangen«,
entgegnet Will mit einem selbstgefälligen Grinsen. »Als ich hörte,
dass du heute zum Vorstellungsgespräch kommst, habe ich darum
gebeten, ähm, ob ich nicht, du weißt schon, als Mäuschen dabei sein
darf.«65
Ross greift nicht ein, als Will mich eine gute
halbe Stunde lang ins Kreuzverhör nimmt. An seinem aufhetzenden
Tonfall wird klar, dass er mir die Schuld für seine Entlassung
gibt, was total unfair ist. Habe ich etwa versucht, meinen
Untergebenen Drogen abzukaufen? Habe ich die Unternehmensziele
vollkommen missachtet, nur damit die Leute mich mögen? Habe ich
meinen Lebenslauf im Kopierer liegen lassen? Nein. Er ist wegen
mangelnder Leistung an die Luft gesetzt worden.
Als wir zum Schluss unseres Inquisitionsgesprächs
kommen, bittet Ross Will, uns einen Augenblick zu entschuldigen,
weshalb ich annehme, dass er mir ein Angebot machen will.
Wieder falsch gedacht.
»Jen, obwohl Ihre Referenzen wirklich beeindruckend
sind,
bin ich mir noch immer nicht hundertprozentig sicher, wie
praxisrelevant Ihre plattformübergreifenden Kenntnisse und
Fähigkeiten sind.« Ähm, Schlüsselwort-Psychogelaber, heißt was
genau? Was zum Geier meint er damit? Ich schaue ihn fragend an. Er
erklärt: »Ehe ich eine Entscheidung fälle, muss ich mich
vergewissern, wie Sie diese Aufgabe angehen würden. Ich würde Sie
gerne noch ein letztes Mal einladen. Bereiten Sie bitte einen
Geschäftsplan vor, mit handfesten Dreißig-, Sechzig- und
Neunzig-Tages-Zielen, ebenso zehn eigene frische Marketingideen.
Außerdem möchte ich eine Liste potentieller Kunden. Um die
PR-Agenturen zwischen Ihnen und dem restlichen Verkaufsteam
aufteilen zu können, muss ich wissen, wer über welche Kontakte
verfügt. Wenn Sie rausgehen, machen Sie doch bitte für Ende der
Woche einen Termin mit Mary Ann aus.« Er dankt mir fürs Kommen und
entschwindet in sein Büro.
Okay, das ist nun wirklich lächerlich. Kaum
zu fassen, wie ich mich für diesen Job zum Hampelmann machen lasse.
Die haben Nerven, mir für ein Vorstellungsgespräch HAUSAUFGABEN
aufzugeben! Wie gerne hätte ich dem Kerl gesagt, er kann mich mal
am Abend besuchen. Aber leider gibt es da draußen überhaupt keine
Jobangebote, und diese Gelegenheit darf ich mir einfach nicht
entgehen lassen. Inzwischen musste ich mir meine Altersvorsorge
auszahlen lassen,66 und mein Sparkonto ist seit Monaten
wie leergefegt. Und weil die Arbeitslosenunterstützung noch immer
nicht gekommen ist, bin ich augenblicklich vollkommen blank.
Nächste Woche trifft sich meine ganze Familie auf Marco Island, und
ich musste das Geld, das eigentlich für unsere Stromrechnung
gedacht war, mopsen, um meine Flugtickets zu bezahlen. Wäre es nach
mir gegangen, ich wäre am liebsten zuhause geblieben, aber meine
Eltern wissen, dass ich momentan nicht allzu beschäftigt bin, und
würde ich ihnen beichten, dass mein
Geld nicht reicht, um mit ihnen übers Wochenende wegzufahren,
würden sie vermutlich vollkommen ausflippen.
Sieht aus, als wartete ein Geschäftsplan darauf,
von mir ausgearbeitet zu werden.
Drei Tage plage ich mich damit ab, diesen Plan
aufzustellen, unterbrochen nur von gelegentlichen Kaffeepausen und
aufmunternden Durchhalteparolen von Fletch. Ich entwerfe die Mutter
aller Dokumente - ein vierundachtzig Seiten starkes Meisterwerk. Es
beginnt mit einem umfassenden Branchenüberblick, dann folgt eine
gründliche Analyse des Marktes sowie der konkurrierenden
Mitanbieter. Der Marketingplan ist das Herzstück meines Papiers;
beinahe dreißig Seiten vollgepackt mit Ideen zu Verkaufsstrategie,
Vermarktung, Werbung und Platzierung. Und als krönendes
Sahnehäubchen zum Schluss ein paar Fingerzeige für weitere
Wachstumschancen, ein detailliert aufgelisteter, skalierbarer Plan,
einschließlich Anforderungen an das Management, juristische
Auflagen und personelle Voraussetzungen. Gut, ich hätte Ross auch
einfach den Geschäftsplan vorlegen können, den ich für meinen alten
Job entworfen und sämtlichen Vertriebsleitern ausgehändigt hatte,
aber irgendwie beschlich mich der leise Verdacht, den könnte Will
bereits vorgelegt haben.
Mit diesem Geschäftsplan im Gepäck ist es ein Ding
der Unmöglichkeit, diesen Job nicht zu bekommen! Mal ehrlich, ich
habe ALLES in dieses Papier gesteckt, was ich habe, und das merkt
man dem Ding auch an.
Will und Ross sowie einige andere Vertriebsleute
sitzen da und lauschen gebannt, als ich en detail erläutere, wie
wir unsere Konkurrenz aufs Korn nehmen könnten. Und als ich den
Marketingteil meines Geschäftsplans vortrage, sehe ich, dass alle
wie
auf Kommando Notizblöcke herausholen und anfangen
mitzuschreiben.
Und zwar alles.
Und zwar so, wie man bei der letzten Wiederholung
des Stoffs für die Klassenarbeit am nächsten Tag mitschreiben
würde, wenn man zuvor den Großteil des Schuljahres geschwänzt
hätte.
Mir wird flau im Magen. Irgendwas stimmt hier
nicht. Eigentlich sollten die alle aufmerksam zuhören und Fragen
stellen, statt wie wild jedes einzelne meiner Worte aufs Papier zu
kritzeln. Ich habe einige Kopien zum Austeilen angefertigt, doch
plötzlich zögere ich, sie auch tatsächlich zu verteilen. Hätte ich
doch bloß meine Kundenkontaktliste nicht gleich rumgereicht.
Der einzige logische Grund, weshalb diese Leute
sich mehr für meine Arbeit als für mich interessieren könnten, wäre
der, dass sie ohnehin nicht vorhaben, mich einzustellen. Aber die
hätten mich doch bestimmt nicht hierherbeordert und mich Männchen
machen lassen, wenn sie nie die Absicht hätten, mich ins Team
aufzunehmen. So hinterhältig und skrupellos ist doch niemand,
oder?
Nach Abschluss meines Vortrags werde ich kurz
angebunden verabschiedet. Niemand gratuliert mir zu meinem genialen
Plan außer denen, die sich beklagen, dass sie keine Kopie bekommen
haben. Niemand nimmt mich beiseite, um mit mir über meine
Gehaltsvorstellung zu sprechen. Niemand tut irgendwas, außer mich
möglichst schnell vor die Tür setzen zu wollen. Als ich beharrlich
nachbohre, wie es denn nun weitergeht, speist Ross mich ab mit
einem: »Wir rufen Sie an und sagen Ihnen Bescheid, wie wir uns
entschieden haben.«
Wissen Sie was? Ich wurde gerade aufs Kreuz gelegt
und vorher nicht mal zum Essen ausgeführt.
Was ich daraus gelernt habe:
• Wenn ein potentieller Arbeitgeber das nächste
Mal einen Geschäftsplan von mir verlangt, marschiere ich einfach
aus dem Büro und spare mir drei Tage Arbeit, oder aber ich liefere
ihm das gewünschte Dokument - und die Rechnung für meine
Beratertätigkeit gleich mit. Denn so oder so stellen die einen
ohnehin nicht ein.
• Stromversorger betrachten Reisen nach Florida
nicht als »medizinische Notwendigkeit« und haben keinerlei Skrupel,
einem das Licht auszuknipsen.
• Gehe nie, niemals mit einer
Prada-Handtasche zum Arbeitsamt.