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Wen will behaupten, die Romantik sei tot?
An: SweetMelissa
Von: jen_lancaster@hotmail.com
Datum: 27. August 2002
Betreff: Hier kommt die Braut …
 
Melissa,
damit Du was zu lachen hast, hier ein kleine Liste aller Leute, die ich in den vergangenen vierundzwanzig Stunden angebrüllt habe.
• Fletch
• Die bekloppte Mutter im Walsh Park, die dachte, es sei eine ganz tolle Idee, ihr Krabbelkind mit in den eingezäunten Hundeauslauf zu nehmen, und dann ausgeflippt ist, als die Hunde (okay, Maisy) das Kind angesprungen haben. DAS IST EINE HUNDEFREILAUFFLÄCHE - WAS GLAUBT DIE DENN, WAS DIE HUNDE DA MACHEN SOLLEN? ROMMÉ SPIELEN?
• Fletch
• Die Leute an der Rezeption des Mandalay Bay. Die haben doch allen Ernstes versucht, mir zu verklickern, die Flitterwochensuite sei nur mit Unterbrechungen zu haben, und wir müssten jeden Tag die Zimmer tauschen, ob das in Ordnung ginge? (Übrigens, wenn man oft genug »Unmöglich, lassen Sie sich was einfallen« wiederholt, bekommt man immer seinen Willen.)
• Fletch
• Unsere Vermieterin. Es ist mir egal, wie viel es kostet, eine zentrale Klimaanlage zu ersetzen. Wir blättern jeden Monat Tausende von Dollar hin, und zwar genau aus dem Grund, dass wir uns NICHT um Reparaturkosten kümmern müssen. Auch hier kann ich nur sagen: In unserer Wohnung herrschen 32°C, LASSEN SIE SICH WAS EINFALLEN.
• Meine Mutter. Ich werde GANZ BESTIMMT nicht am Tag vor unserer Abfahrt zu Eurem Hotel am O’Hare-Flughafen fahren, nur damit Du mein Hochzeitskleid sehen/kritisieren kannst, weil ich zufälligerweise damit beschäftigt bin, DIE REISE ZU MEINER HOCHZEIT VORZUBEREITEN.
• Fletch
• Den Tierarzt. Habe ich dem BÜNDELWEISE HUNDERTDOL-LARSCHEINE bezahlt, damit er die gesamte medizinische Betreuung der Hunde übernimmt, nur um nachher rauszufinden, dass er vergessen hat, Maisy gegen Zwingerhusten zu impfen, weshalb der Chicago Club Canine sich zunächst weigerte, sie ohne gültigen Impfschutz aufzunehmen?
Wie dem auch sei, wir sehen uns bald, vorausgesetzt, ich lande nicht vorher im Knast.
Jen
047
»Maisy, wir sitzen in der Tinte.«
Als die unverbesserliche Optimistin, die sie nun mal ist, antwortet Maisy darauf mit einem Ganzkörperwedeln, wobei sie ihr getupftes Hinterteil so heftig schwenkt, dass sie umkippt. Völlig unbeeindruckt steht sie wieder auf und knabbert herzhaft an meinen Zehen herum. Igitt. Keine Ahnung, wie sie die auch nur angucken kann, geschweige denn sie ablecken. Mein katastrophaler Erstversuch einer Eigenpediküre hat mir zwei eiternde eingewachsene Zehennägel und, bis die verheilt sind, ein leichtes Hinken beschert. Jetzt bin ich also nicht nur arbeitslos, sondern habe auch noch einen Klumpfuß. Toll.
»Maisy, ich meine es ernst. Wir sitzen bis zum Hals in der Tinte. Was sollen wir denn jetzt bloß machen?«
Maisys Vorschlag ist, erst mal meine aufgeschürften Knie abzulecken. Ach ja, die Freuden des Beinerasierens. Beim Versuch, sie eigenhändig mit Wachs zu enthaaren - wobei ich genauso vorgegangen bin, wie meine Kosmetikerin Petra es immer macht, wohlgemerkt -, waren die Schmerzen schier unerträglich. Am liebsten hätte ich mir selbst eine gescheuert, mir derart wehzutun, und ich schwöre, ich habe dabei mehr Hautfetzen abgerissen als Haare entfernt. Das Wachs, das die bei Molto Bene benutzen, muss irgendwie anders sein als der Billigkram aus der Drogerie. Hunde zu halten hat sich als wesentlich teurer herausgestellt denn gedacht, und wir haben inzwischen schon rund zweihundert Dollar für Tierarztrechnungen hingeblättert und mehrere hundert weitere für Futter und Zubehör. Weshalb ich mich dazu gezwungen sah, sämtliche nicht lebensnotwendigen kosmetischen Behandlungen vorerst auszusetzen. Bis auf Weiteres ist nur noch Schneiden und Färben beim Profi drin. Wenn ich sehe, wie die Kundinnen bei Molto Bene zwischen den einzelnen Behandlungen in flauschigen Bademänteln und Pediküre-Flipflops herumlaufen, spüre ich ein richtiges Ziehen in der Brust.76
Wir haben einen echten finanziellen Engpass, seit das Justizministerium eine Untersuchung eingeleitet hat zur Durchleuchtung der Buchführungspraktiken von Fletchs Arbeitgeber. Seine ehemals fünfstelligen monatlichen Provisionen sind im Laufe der vergangenen Monate wie Eis in der Sonne dahingeschmolzen. Wie es scheint, will niemand mit einem Unternehmen Geschäf-te machen, das man allabendlich im Fernsehen sieht, weil sein Chef vor Gericht aussagen muss. Wen wundert’s. Er meint, sollte sich unsere Finanzlage nicht grundlegend ändern, ehe meine Arbeitslosenunterstützung ausläuft, werden wir unsere Wohnung womöglich nicht halten können. Als er mir das sagte, bin ich ins Schlafzimmer gelaufen und habe mir die Bettdecke über den Kopf gezogen. Der Gedanke daran, irgendwo anders wohnen zu müssen, geht mir durch Mark und Bein. Allein bei der Vorstellung, in irgend so eine billige Zweizimmerklitsche in einem der vollkommen unangesagten Vororte ziehen zu müssen, würde ich am liebsten einen Eimer Chlorbleiche trinken.
Ich MUSS hierbleiben. Muss ich einfach. Um ganz ehrlich zu sein, beziehe ich einen viel zu großen Teil meines Selbstbewusstseins aus der Tatsache, dass ich in diesem Schmuckstück wohne. Früher habe ich mich über meine Arbeit definiert, jetzt bleibt mir nur noch die Wohnung. Sie allein macht es erträglich, dass ich mir nicht mehr die neuesten Sahnestückchen von Prada leisten kann. Ich kann damit leben, zu miesen Bewerbungsgesprächen gehen und um Stellen betteln zu müssen, bei denen man nur halb so viel verdient wie ich früher bekommen habe, solange mich abends mein traumhaftes Penthouse erwartet. Sobald ich in die Whirlpoolwanne steige, lösen sich sämtliche Unannehmlichkeiten des Tages einfach in Wohlgefallen auf und werden den Abfluss hinuntergespült. Und wenn ich auf meine Terrasse trete und den Blick über die Stadt schweifen lasse, habe ich das Gefühl, dass alles möglich ist. Diese Wohnung ist mein Anker; sie hilft mir, nicht den Verstand zu verlieren. Ohne diesen sicheren Hafen bin ich bloß noch so ein unbedeutender Niemand aus Indiana mit einem wertlosen Abschluss von einem staatlichen College.
Ehe ich entlassen wurde, haben wir mit dem Gedanken gespielt, die Wohnung zu kaufen. Jetzt besteht durchaus die Möglichkeit, dass wir uns nicht mal mehr die Miete leisten können. Das will mir einfach nicht in den Kopf, aber wie schon Scarlett O’Hara sagte: Verschieben wir es doch auf morgen, wenn ich den Gedanken ertragen kann.
Stattdessen suhle ich mich erst mal in einer ausgewachsenen Depression, denn heute ist El Cinco de Mayo, der 5. Mai, mexikanischer Nationalfeiertag, und ich sitze hier in Illinois fest. Zum ersten Mal seit Jahren bin ich nicht in Las Vegas, um mit ein bisschen Glücksspiel und Entspannung aufzutanken und meiner Sonnenbräune eine erste Starthilfe zu geben. Wie um Himmels willen soll ich dieses frische Limonengrün tragen, wenn ich nicht tief bronzebraun bin? Mit Selbstbräuner sehe ich höchstens aus wie ein gegrilltes Streifenhörnchen. Klar, ein paar Sonnenstrahlen habe ich dieses Frühjahr bei meinen Hundespaziergängen abbekommen, aber das ist nicht dasselbe. Wenn ich in den Spiegel gucke, denke ich immer: Hallo, Hui Buh, schön, dich zu sehen. Könnte ich in Las Vegas am Pool rumgammeln, wäre ich vermutlich schon so braun wie ein Brathähnchen. Doch leider hat Fletch mir einen Strich durch sämtliche Reisepläne gemacht, indem er mich taktvoll auf das Marco Island/Stromversorger-Debakel hinwies.
Alle Probleme würden sich in Wohlgefallen auflösen, könnte ich bloß endlich einen ordentlichen Job auftun. Aber es scheint ein Ding der Unmöglichkeit, ohne eigenes Auto eine Stelle im Außendienst zu bekommen. Eine supercoole Reisegesellschaft war drauf und dran, mir ein Angebot zu machen, bis ich nebenbei erwähnte, über keinen fahrbaren Untersatz zu verfügen. Bei Corp. Com. und Midwest IR Co. bekam ich für die meisten Meetings Flugtickets, und die wenigen Termine, zu denen ich nicht fliegen musste, waren bloß eine kleine Taxifahrt entfernt. Davor hatte ich einen Firmenwagen, weshalb ich also in den letzten fünf Jahren keinen eigenen Wagen gebraucht habe.
Ein neues Auto zu kaufen steht angesichts unserer finanziellen Schieflage vollkommen außer Frage. Vorher hatte ich vorgehabt, den Cadillac meiner Eltern zu kaufen. Als der Caddy noch funkelnagelneu war, liebte mein Vater ihn so heiß und innig, dass er ernsthaft überlegte, den Wagen neben dem Familiengrab auf dem Friedhof beisetzen zu lassen. »Mal ehrlich«, meinte er, »deine Mutter ist ja ganz nett, aber Ingenieurskunst wie diese findet man nur einmal im Leben.« Trotzdem erklärte er sich irgendwann bereit, mir den Wagen zu verkaufen, und zwar nachdem Mom irgendwann angefangen hatte, damit herumzukurven. Im Handumdrehen hatte sie sein makellos aufgeräumtes, auf Hochglanz poliertes Baby in einen rollenden Müllcontainer verwandelt. Auf dem Rücksitz stapelten sich aufgerissene Säcke mit Blumenerde, drum herum lagen überall Cappuccino-Pappbecher von der Tankstelle, Hundehaare, Schuhe, Regenschirme und Therapie-Fachzeitschriften. 77
In dem Augenblick, als ich mich in die handschuhweichen vanillegelben Lederpolster sinken ließ und entzückt den goldenen Glanz der Kosmetikspiegel in den Sonnenblenden bestaunte, hatte ich mich auch schon Hals über Kopf in den Wagen verliebt. Als ich eine kleine Spritztour damit unternahm, ertappte ich mich dabei, wie ich - Miss Sicherheit-geht-vor - mit hundertfünfundvierzig Stundenkilometern über die Schnellstraße fegte, die Fenster aufgestellt, während Courtney Love irgendwas von amethystfarbenen Himmeln johlte. Dann erhaschte ich einen Blick auf mein Spiegelbild in einem vorbeifahrenden LKW, und ich muss schon sagen, ich sah genauso schlank, reich und zum Anbeißen süß aus, wie ich mich fühlte. Der Caddy ist nicht bloß ein Auto, er ist ein fliegender Teppich!
Und dann stellte ich mir vor, wie cool es wäre, im Supermarkt in der Schlange vor der Kasse zu stehen und ganz beiläufig mit dem Autoschlüssel herumzuklimpern. Der Plebs würde das Cadillac-Logo sehen und gleich wissen, dass er sich in der Gegenwart wahrer Größe befand. Woraufhin natürlich alle darauf insis-tieren würden, mich vorzulassen und mir den Platz einzuräumen, der mir von Rechts wegen zustand. Allein beim Gedanke an den smaragdgrünen Lack, die Sitzheizung in den tausendfach verstellbaren Sitzen und den Zwölffach-CD-Wechsler bekomme ich butterweiche Knie (trotz der multiplen Schürfwunden). Ich trauere um das Auto, das ich mir nun nicht mehr leisten kann.
»Maisy, das ist wirklich ZU BLÖD: Ich bekomme keinen Cadillac, keine kosmetische Grundversorgung, keinen Urlaub in Las Vegas, keine knackige Sonnenbräune und keinen Job. Mein Leben hört sich an wie ein schlechter Country-Song.« Ich atme vernehmlich aus. Maisy schnappt nach dem Luftstrom, den ich auspuste. »Wenn sich nicht bald was ändert, müssen wir in einen Pappkarton ziehen.«
Die Aussicht auf jede Menge frische Luft und ein Leben unter freiem Himmel versetzt Maisy in wahre Begeisterungsstürme. Sie wackelt, dreht und windet sich und kneift spielerisch in meine verhornten Fersen. Warum zum Teufel ist dieser Hund bloß immer so verdammt gut gelaunt? Und hoffnungsfroh? Dauernd hat sie dieses breite Pitbull-Lachen im Gesicht, grinst wie ein durchgeknalltes Honigkuchenpferd und rollt dabei vor Freude die Zungenspitze auf. Kurzfristig müde geleckt, hechelt sie jetzt zufrieden vor sich hin. Begreift die denn den Ernst der Lage nicht? Wir brauchen Geld und ein Auto, und das wird uns niemand einfach so schenken.
Oder … oder … vielleicht doch?
Die Erleuchtung trifft mich so heftig und unvorbereitet, dass es einen Moment dauert, bis ich das ganze Ausmaß meiner Idee begreife, so genial wie sie ist.
OH MEIN GOTT, ICH BIN EIN GENIE!
Jetzt weiß ich, wie wir alles wieder hinbiegen können!
Ich werde HEIRATEN!
Wenn man heiratet, wird man mit Geld und Geschenken nur so überhäuft, stimmt’s? Faltbare Hochzeitsgeschenke würden uns helfen, aus den Schulden rauszukommen, und vielleicht kommt sogar genug zusammen, dass wir uns ein Auto leisten können. Nein, noch besser, wenn wir nur im kleinen Kreis heiraten, könnten meine Eltern uns anstelle einer feudalen Hochzeitsfeier einfach den Caddy schenken. Ein riesengroßer Ballsaal voller Gratulanten wäre zwar ganz nett, aber kein Muss, vor allem weil ich ja nicht mehr verpflichtet bin, sämtliche Geschäftspartner einzuladen. Also könnte eine intime kleine Feier doch genau das Richtige sein, oder? Und wenn ich mich von der Idee verabschieden muss, im feinsten Restaurant am Platz Hummerschwänze zu futtern, um an einen anständigen Job zu kommen, dann ist mir der Caddy näher als das Krustentier!
Moment, gerade kommt mir noch ein Geistesblitz! Ruft das Guinnessbuch der Rekorde an, Leute, denn womöglich bin ich der klügste Mensch der Welt! Was, wenn wir in LAS VEGAS heiraten? Da meine Hochzeit der Höhepunkt eines lebenslang gehegten Traums für sie wäre, würde meine Mutter bestimmt nicht geizen und sämtliche notwendigen Kosmetikbehandlungen spendieren, damit ich an meinem Hochzeitstag auch wirklich strahle. Und, oooh … Flitterwochen in Las Vegas wären doch wirklich ein Traum!
Aber wann? Meine geplagten Poren können nicht mehr lange bis zur nächsten Gesichtsbehandlung warten, also muss es ziemlich schnell gehen.78 Sicher kämen mehr Gäste - und mit ihnen mehr Geschenke -, würden wir uns an einem verlängerten Wochenende trauen lassen. Der Memorial Day ist zu kurzfristig, das kann man vergessen. Hm, wenn wir am Labor Day heiraten, hätten wir praktisch den ganzen Sommer, um die Feier zu planen. Und da es selbst für Hochzeitspaare, die aus einer spontanen Laune heraus in Las Vegas heiraten, ein unvergesslicher Tag bleibt, müsste sich doch mit vier Monaten Vorbereitungszeit eine Riesensause auf die Beine stellen lassen! Und überhaupt nicht kitschig! Das ist die beste Idee ALLER ZEITEN!
Ein schrecklicher Gedanke lässt meinen Freudenzug abrupt entgleisen. Was wird denn dann aus meinem langersehnten und wohlverdienten Tiffany-Klunker mit Prinzess-Schliff? Betrübt schaue ich auf meinen selbstmanikürten, nackten linken Ringfinger. Nie im Leben würde es Fletch sich unter den gegenwärtigen widrigen Umständen bis zum Ende des Sommers leisten können, mir meinen heißgeliebten hochkarätigen Ring zu kaufen. Wir kommen ja ohnehin nur mit Ach und Krach über die Runden. Ob ich auch ohne ihn leben könnte? Ich habe immer schon ein Faible für kostspieligen Schmuck gehabt, so wie andere Mädels für Brad Pitt. Vergesst den gemeißelten Waschbrettbauch und das markante männliche Kinn. Ich brauche Platin und Baguetteschliff zum Glücklichsein. Ganz ringlos wäre ich ohnehin nicht. Ich hatte schließlich noch den kleinen Diamanten aus Nannys Verlobungsring, den ich mir eigentlich zu einem Anhänger umarbeiten lassen wollte. Ob ich mich wohl damit anfreunden könnte, einen Verlobungsring zu tragen, mit dem ich mich nicht rund um die Uhr von einem Bodyguard bewachen lassen muss? Ich weiß nicht so recht.
Ich gerate ins Grübeln, während ich den Blick über die Stadt schweifen lasse, die sich da von meinem herrlichen Aussichtspunkt vor mir ausbreitet. Die Sonne geht gerade unter und spiegelt sich auf den Gebäuden in hundert Farbnuancen, in Gold, Rosa und Blau. Während ich zum tausendsten Mal verzückt diesen großartigen Anblick regelrecht aufsauge, komme ich zu dem Schluss, wenn ein kleinerer Ring bedeutet, dass ich den Dot-Com-Palast behalten kann, dann … ja. Ja, dann könnte ich mich damit zufriedengeben.
Womit wohl alles gesagt wäre, was bedeutet … Heiliger Strohsack, ich werde heiraten!
Ausgelassen johle und hopse ich auf der Terrasse herum, weshalb Maisy, die derartige Gefühlsausbrüche meinerseits überhaupt nicht gewohnt ist, fiepend um mich herumtanzt, während ich es von den Häuserdächern brülle.79
»Hey, Bucktown, ich heirate! Und behalte meine Wohnung! Und bekomme einen Cadillac! Dann kann ich mir einen neuen Job suchen und verdiene wieder richtig Kohle! Dicke, fette Kohle! Und bald bin ich wieder reich und kann zu Neimann Marcus gehen und die Schuhe mit den handgemalten Kirschen auf dem Holzabsatz kaufen, bei denen ich geheult habe, als meine Kreditkarte nicht angenommen wurde! Juhu!!«
Ich komme immer mehr in Fahrt, während Maisy völlig außer Rand und Band an mir hochspringt und sich in der Luft halb um die eigene Achse dreht. »Pediküre! Dann kann ich es mir endlich wieder leisten, zur Pediküre zu gehen! Nie mehr rumhumpeln! Und wir feiern eine große Party, und ich werde atemberaubend schön aussehen und ein umwerfendes Kleid tragen und alle meine liebsten Leute an meinem absoluten Lieblingsort wiedersehen und vielleicht auch ein bisschen spielen! Vielleicht gewinne ich ja sogar den Jackpot! Und die Leute bringen Geschenke für mich mit! Viele, viele wunderschöne Geschenke! Ob man wohl Kosmetika auf eine Hochzeitsliste setzen kann? Oooh, oder vielleicht die Kirschpumps? Wie dem auch sei, es ist ganz egal, ICH HEIRATE NÄMLICH!!! Hurra!«
Völlig außer Puste muss ich mich irgendwann hinsetzen, um wieder zu Atem zu kommen. Ich überlege, wem ich es wohl als Erstes erzählen soll. Es liegt auf der Hand, dass ich auf jeden Fall mit meinen Eltern und ihrem Scheckbuch reden muss, aber Shayla würde es unbedingt als Erste wissen wollen. Und was ist mit Carol? Mir hat sie damals als Allererste von ihrer Verlobung erzählt. Gibt es da eine Art Quid-pro-quo-Protokoll, das es zu befolgen gilt?
Ob ich es meinem Bruder sagen soll? Nein, der petzt es gleich meinen Eltern und verdirbt die ganze Überraschung; der ist so ein Fiesling. Aber Melissa? Ob die böse auf mich ist, wenn sie es nicht als Allererste von mir hört? Sie ist meine beste Freundin hier in der Gegend, aber eigentlich ist Andy mein bester Freund, bloß wohnt der in Indiana, und wir sehen uns kaum. Michael und Amy sind unsere engsten verheirateten Freunde, doch mit Brett sind wir auch sehr gut befreundet, und mit Chris genauso, auch wenn er nicht mehr mit Shayla zusammen ist und …
Oh, Moment. Vielleicht sollte ich es zuerst Fletch erzählen.
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Maisy und ich humpeln beschwerlich die Wendeltreppe der Dachterrasse hinunter. Sie muss sich eben, als sie ihr Freudentänzchen aufgeführt hat, irgendwie vertreten haben, und nun hat sie eine wehe Pfote. Hoffentlich ist das gleich wieder gut. Wenn nicht, muss ich mit ihr zum Nottierarzt fahren. Ausnahmsweise muss ich mir in diesem Fall keine Sorgen um die eventuellen Kosten machen, denn angesichts der anfänglich horrenden Tierarztrechnungen haben Maisy und Loki nun eine Tierkrankenversicherung. Ist das nicht ironisch? Meine Hunde sind krankenversichert, ich nicht.
»Wo bist du?« Eigentlich sollte er in der Küche sein und eine Salsa für unsere kleine El-Cinco-de-Mayo-Party anrühren, aber er ist nicht da. Jetzt, wo wir heiraten werden, gibt es jede Menge Anrufe zu erledigen, Hochzeitszeitschriften zu kaufen, Menüs zu planen, etc. Am liebsten würde ich gleich auf der Stelle damit anfangen, doch vorher sollte ich mich vielleicht noch vergewissern, dass er wirklich mein Verlobter ist, ehe ich eine Hochzeitskapelle buche.
Aus dem Badezimmer höre ich ein gedämpftes: »Ich sitze auf dem Topf. Was ist denn los?«
»Komm sofort her!«
»Ich habe zu tun.«
»Wie lange brauchst du denn noch?«
»Keine Ahnung. Ich glaube, die Enchiladas von gestern Abend waren schlecht. Lass mir noch ein paar Minuten Zeit, ja?«
Aha, die Enchiladas waren also schuld und nicht etwa die zwölf Flaschen Corona, die er zum Essen getrunken hat? Also gut. Jetzt ist nicht die Zeit herumzukritteln, es ist die Zeit, geduldig abzuwarten.
Und zu warten.
Fünf endlose Minuten später kann ich mich nicht mehr beherrschen und hämmere gegen die Tür. »Beeil dich!« Geduld ist nicht gerade meine Stärke.
»Warum gehst du nicht einfach in das andere Badezimmer, wenn es so dringend ist?«
»Ich muss ja gar nicht.«
»Dann hör auf zu drängeln. Ich bin gleich fertig.«
»Warum dauert das denn so lange? Was machst du bloß da drin?«
»Euklidische Geometrie. VERSCHWINDE.«
Obwohl ich es kaum aushalten kann, überlege ich mir, dass man einen Heiratsantrag wohl lieber nicht durch eine geschlossene Badezimmertür brüllen sollte, also lungere ich eine gefühlte Ewigkeit draußen im Flur herum. Wobei es eigentlich bloß weitere zwei Minuten dauert. Dann kommt er aus dem Bad, gefolgt von einer duftigen Wolke Lufterfrischer, in der Hand die aktuelle Ausgabe des Crain’s Chicago Business Magazine. Unverzüglich stürze ich mich auf ihn.
»Was hast du bloß?«, erkundigt er sich entnervt.
»Ich muss mit dir reden. Komm her, und setz dich zu mir«, sage ich und weise auf die Couch.
Er wird ziemlich blass um die Nase, denn eine solche Ankündigung verheißt normalerweise nichts Gutes. Noch nie in der Geschichte der Menschheit folgte auf den Satz Ich muss mit dir reden etwas, das der so angesprochene Mann gerne hört, wie »Lass uns einen flotten Dreier mit meiner rattenscharfen Freundin machen« oder »Ich kaufe dir den 1969er Camaro. Wäre schwarz okay?«. Verständlich, dass Fletch ein bisschen nervös ist.
Man kann förmlich sehen, wie die kleinen Rädchen in seinem Hirn arbeiten, während er seinen imaginären Terminkalender nach kürzlich begangenen Verfehlungen durchwühlt. Manchmal glaube ich fast, ich bin zu streng mit ihm. Andererseits sagt er immer, ich sei die ganze Aufregung wert, und er hat freiwillig zugestimmt, die zehn Jen-bote zu befolgen, also kann er nicht behaupten, er habe nicht gewusst, worauf er sich einlässt.
Die zehn Jen-bote
Eins: Ich hasse Kochen. Sollte ich daher irgendwann dazu gezwungen sein, eine Mahlzeit zuzubereiten, gehe davon aus, das dies nur unter lautstarkem Protest, wüsten Schimpfworten und so widerwillig wie irgend möglich vonstattengeht. (Die Empfehlung unseres Chefkochs: Wutausbrüche nach Art des Hauses.)
Zwei: Es ist für mich unzumutbar, etwas Schwereres als meine Handtasche zu tragen. Sollte ich irgendwas zu schleppen haben, werde ich stets versuchen, es dir aufzuhalsen.
Drei: Ich bin keine gute Zuhörerin, auch wenn es den gegenteiligen Anschein haben mag. Gut, womöglich nicke ich und murmele so was wie »mhm, mhm«, aber für gewöhnlich denke ich dann gerade darüber nach, wie ich das Gespräch wieder auf mich lenken könnte.
Vier: Es dreht sich immer alles um mich.
Fünf: Ich maule. Oft und viel. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn ich Hunger habe, müde bin oder mir heiß ist. Gnade dir Gott, sollten diese drei Zustände je zusammentreffen.
Sechs: Zu gesellschaftlichen Anlässen komme ich mit angemessen schicker Verspätung. Die einzige Ausnahme von dieser Regel sind meine Brunchverabredungen mit Melissa. Deine Aufgabe besteht darin, mich zu dem betreffenden Restaurant zu chauffieren, während ich dich die ganze Zeit ankreische, weil du so rumtrödelst bzw. die Verkehrszeichen beachtest. Wenn es dazu beiträgt, dass ich pünktlich ankomme, könnte ich unter Umständen von dir erwarten, über den Bürgersteig zu fahren. Sieben: Wo wir gerade bei Freundinnen sind - viele meiner Freundinnen sind attraktiver oder schlanker als ich. Es ist dir untersagt, das zur Kenntnis zu nehmen.
Acht: Es wird Gelegenheiten geben, bei denen du für meinen Geschmack zu laut atmest. Gleiches gilt fürs Kauen. Neun: Männersocken sehen für mich alle gleich aus. Solltest du also Wert darauf legen, passende Socken zu tragen, solltest du noch mal unauffällig unter dein Hosenbein linsen, ehe du bei Geschäftsterminen die Beine überschlägst.
Zehn: Ich liebe es, die Wohnung umzuräumen. Darum musst du es lieben, Bücherregale zu verschieben.
»Hör auf, so unglücklich aus der Wäsche zu gucken. Ich verspreche dir, es ist was Gutes«, versuche ich ihn zu beruhigen. Misstrauisch setzt er sich zu mir, während ich ihm meinen Vorschlag unterbreite. Mit derselben ruhigen, überzeugenden Stimme, mit der ich früher in den guten alten Zeiten Waren und Dienstleistungen im Wert von gut zehn Millionen Dollar an den Mann gebracht habe, führe ich ihm die Vorteile meines Plans vor Augen und zerstreue eventuelle Bedenken, noch ehe sie aufkommen können.80 Je länger ich rede, desto heftiger wird sein Nicken und zustimmendes Brummen. Wie sich herausstellt, ist er sehr empfänglich für meine Pläne, einschließlich Kochgeschirr und Cadillac.
Aber obwohl er mir in allem zustimmt, ist ein gewisses Widerstreben nicht zu übersehen.
»Fletch, bitte mach nur mit, wenn du dir vollkommen, ohne jeden Zweifel, hundertprozentig sicher bist, dass du es auch wirklich willst. Sag nicht bloß Ja, weil ich eine gute Verkäuferin bin. Sag Ja, weil es das Richtige für uns ist«, bitte ich ihn inständig.
»Ich will es ja. Du hast ja eindrucksvoll sämtliche Gründe dargelegt, warum das wirtschaftlich gesehen eine geniale Idee ist.« In seiner Stimme schwingt etwas Unausgesprochenes mit.
»Liebling, ich merke doch gleich, wenn du mir was verschweigst. Raus damit, was beschäftigt dich? Wenn es dir alles zu schnell geht, dann musst du ehrlich zu mir sein.«
»Nein, nein, darum geht es nicht. Alles in allem finde ich eine Hochzeit in Las Vegas wirklich eine klasse Idee.«
»Fletch, man hört doch das Zögern in deiner Stimme. Was ist denn los? Bist du enttäuscht, weil wir nicht hier in der Stadt heiraten? Oder liegt es am Timing? Ich dachte, jetzt, wo ich nicht arbeite und so wenig Aussicht auf ein gutes Angebot habe, wäre es die perfekte Gelegenheit, diesen Sommer zu heiraten. Aber wenn du dir nicht sicher bist, dann vergessen wie es einfach fürs Erste.« Fletch sagt keinen Ton. »Oder liegt es daran, wie ich aussehe? Heiliger Himmel, sag mir bitte nicht, dass es daran liegt, dass ich ein paar Pfund zugenommen habe.« Ein paar Pfund? Beinahe zwanzig. Ich passe höchstens noch in die Hälfte meiner Klamotten.
»Jen, du siehst blendend aus. Und ich bin ganz aus dem Häuschen und wünschte, wir hätten schon vor Jahren geheiratet.«
»Du findest also nicht, dass ich zu fett bin für eine Braut?«
»Jetzt wird es aber wirklich lächerlich.«
»Und wo bitte liegt dann das Problem?«
»Was die Romantik angeht, stinkt das doch zum Himmel. Die Sache kommt mir vor wie ein Geschäftsabschluss, nicht wie ein Heiratsantrag. Als sollte ich dir gleich die Hand geben, statt dich zu küssen.«
»Wie meinst du das?«
»Ich zerbreche mir schon seit Ewigkeiten den Kopf, wie ich dir einen Heiratsantrag machen könnte. Aber bei keinem dieser zahlreichen Szenarien wurde ich von dir beim Verlassen des Badezimmers nach einer durch verdorbenes mexikanisches Essen bedingten längeren Sitzung aus dem Hinterhalt überfallen.«
»Oh. Habe ich dir die Schau gestohlen?«
»Nein. Nicht so richtig. Ach, eigentlich schon. Im Grunde genommen hätte ich dir den Antrag machen müssen.«
Verflucht, ich hatte ganz vergessen, dass er vielleicht auch ein Wörtchen in dieser ganzen Heiratsgeschichte mitreden wollte. Und es ist mir auch nicht in den Sinn gekommen, er könne irgendwelche diesbezüglichen Erwartungen hegen. Den Rest der Show muss ich unbedingt ihm überlassen, ich kann es nämlich nicht ertragen, ihn so enttäuscht zu sehen. Also mache ich einen Vorschlag. »Warum machst du mir nicht einen richtigen Heiratsantrag, sobald Nannys Diamant eingefasst ist?«
Schlagartig hellt sich seine Miene auf. »Gute Idee! Das mache ich. Aber ich sage dir nicht, wann, weil es eine Überraschung sein soll. Wie wäre es, wenn ich mir morgen freinehme und wir uns beim Juwelier ein paar Fassungen anschauen?«
»Klingt prima.« Wir strahlen uns an. Gerade, als er sich vorbeugen will, um mich zu küssen, springt Maisy hoch und schlabbert ihm einmal beherzt mit der Zunge übers Gesicht. Sie ist zwar klein, aber wild entschlossen, weshalb es das Einfachste ist, sie gewähren zu lassen und abzuwarten, bis sie sich wieder beruhigt hat. Zum Glück ist sie nicht besonders ausdauernd, und er kann sich schnell wieder mir zuwenden, wobei er sich mit einem Hemdzipfel das Gesicht trocken wischt.
»Wir ziehen das also wirklich durch, hm?«
»Solange meine Eltern bei der Finanzierung mitziehen und wir am Labor-Day-Wochenende ein schönes Plätzchen für die Feier bekommen, dann, ja, denke schon.«
Wir besiegeln die Sache mit einem hundefreien Küsschen. Als ich von der Couch aufstehen will, hält er mich zurück.
»Darf ich dich mal was fragen?«
Er will mich was fragen? ACH DU LIEBER HIMMEL! Er will mir jetzt gleich einen Antrag machen! Ich wette, das hatte er schon die ganze Zeit geplant! Ergibt ja auch irgendwie Sinn, schließlich kommt heute Abend Besuch zum Essen, und dabei laden wir sonst sonntags nie Leute zu uns ein … Ich glaube, unser kleines Grillfest sollte eigentlich eine Überraschungsverlobungsfeier sein. Juhu! Er will mich fragen, ob ich seine Frau werden will!
Ja, ich weiß, dass wir uns eigentlich gerade einig geworden sind, dass wir heiraten wollen, aber ich hatte für heute keinen großen romantischen Heiratsantrag erwartet. Kein Wunder, dass er gerade ein bisschen zappelig geworden ist. ER wollte um meine Hand anhalten, und ich bin ihm zuvorgekommen! Was für ein unglaublicher Zufall, dass wir beide an einem Tag denselben Gedanken hatten! Das nenne ich gleiche Wellenlänge. Wir sind SO WAS VON füreinander geschaffen.
Das Herz klopft mir bis zum Hals und meine Hände zittern, als ich ihm liebevoll in die Augen schaue und flüstere: »Fletcher, du kannst mich alles fragen.«
Er hält kurz inne und scheint nachzudenken. Och, wie süß. Er muss erst seinen ganzen Mut zusammennehmen für den wichtigsten Moment seines Lebens. Schweigend sehen wir uns an. Okay, ich bin so weit!!
»Was ist eigentlich mit Maisys Pfote los?«
049
Courtney, Brett, Kim und Biola sind zu unserem kleinen El-Cinco-de-Mayo-Fest gekommen, und die große Neuigkeit hat alle in besonders ausgelassene Feierlaune versetzt. Wir trinken Margaritas und verschlingen zentnerweise Guacamole, während Fletch sich um die Rippchen kümmert, die auf dem Grill brutzeln.
»Fletch, wann hast du gewusst, dass Jen die Richtige ist?«, will Biola wissen.
Fletch schließt den Deckel des Grills und setzt sich zu uns. Dann macht er sich eine Dose Miller High Life auf und antwortet: »Schon vor Jahren.« Er nippt an seinem Bier und denkt kurz nach. »Genauer gesagt, war es an unserem ersten Valentinstag, da waren wir gerade erst drei Monate zusammen. Wir sind in das schickste Restaurant in unserem kleinen verschnarchten College-Städtchen gegangen, und da haben wir das beste Abendessen meines Lebens gegessen. Jen hat alles ausgesucht - den Wein, den Aperitif, die Vorspeisen, einfach alles. Ihr gesundes Selbstbewusstsein und die gelassene Art haben mich so beeindruckt, dass ich irgendwann dachte, sie ist viel zu gut für mich.«
Ich lache. »Was aber nicht lange angehalten hat, oder?«
»Nach dem Abendessen sind wir zu ihr nach Hause gegangen. Als wir in ihre Wohnung kamen, haben ihre Katzen sich irgendwie merkwürdig verhalten. Normalerweise schlafen sie ungefähr dreiundzwanzig Stunden am Tag, sie also hellwach und munter anzutreffen, war ziemlich ungewöhnlich. Beide starrten wie gebannt auf einen schwarzen Fleck an der Wand. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass der Fleck eine kleine Fledermaus war.«
»Wie ist denn eine Fledermaus in deine Wohnung gekommen?«, fragt Brett mich, ohne den Blick von Courtney zu wenden. Hm, vielleicht sollte ich mich mal als Kupplerin versuchen. Ich finde, die beiden würden ein süßes Pärchen abgeben, vor allem nachdem Court endlich den KnalliChad abgeschossen hat.
»Ich habe in einem unglaublich gruseligen Haus gewohnt, aber es war das einzige Wohnheim, in dem Haustiere erlaubt waren. Der quietschende alte Kaminabzug hatte sich wohl irgendwie geöffnet, und die Fledermaus war reingeflattert.« Kein Scherz - der Schuppen war die reinste Bruchbude. Einmal konnte ich sogar ein Kamerateam der Lokalnachrichten dazu überreden, einen Beitrag über meine Wohnung zu drehen, weil es so kalt war wie in einem Eisfach. Mein Vermieter bekam beinahe einen Herzinfarkt, als er sein Haus im Fernsehen sah, aber was soll ich sagen? Wenn man auch auf den fünfundzwanzigsten Telefonanruf in Folge mit Klagen über die defekte Heizung nicht reagiert, darf man sich nicht wundern, wenn die Mieter die Sache selbst in die Hand nehmen.
»Ja, und Jen ist völlig ausgeflippt«, erzählt Fletch. »VÖLLIG. Sie ist rumgerannt wie eine Irre und hat gekreischt, ihre Katzen würden Tollwut bekommen. Also habe ich ihr geholfen, die beiden genauestens zu untersuchen, und als wir uns vergewissert hatten, dass sie nicht den kleinsten Kratzer abbekommen hatten, haben wir sie in ihre Transportboxen gesteckt. Aber Jen hat noch immer Panik geschoben, und das nur wegen eines Far Side-Cartoons. Da kommt nämlich eine ganz zerzauste Fledermaus abends mit dem Aktenköfferchen unter dem Arm nach Hause und erzählt seiner Frau: »Ich habe den ganzen Tag einer blöden Tussi in den Haaren gehangen.« Damals hatte sie noch ganz lange Haare, und sie war felsenfest davon überzeugt, die Fledermaus würde sich jeden Augenblick kopfüber hineinstürzen. Dauernd hat sie irgendwas von langhaarigen Tussis gequiekt, und dann hat sie sich einen Weidenkorb auf den Kopf gesetzt und die Öffnung am Hals mit einem Schal abgedichtet, den sie sich ein dutzend Mal um den Hals geschlungen hat. Und da wurde mir schlagartig klar, dass die weltgewandte junge Frau aus dem Restaurant bloß eine Show war und jetzt die echte Jen vor mir stand, und die hatte einen Mülleimer auf dem Kopf. Und in dem Moment wusste ich, würde ich sie heiraten, wäre Langeweile von da ab ein Fremdwort für mich.«
»Und wie habt ihr die Fledermaus aus der Wohnung bekommen?«, hakt Kim nach.
»Ich habe meinen Verbindungskollegen Tim angerufen. Der ist dann mit einem Lacrosse-Schläger und einer Schiedsrichtermaske rübergekommen. Damit haben wir beide es dann irgendwie geschafft, sie einzufangen, und haben sie dann draußen wieder unbeschadet freigelassen«, berichtet Fletch.
Enttäuscht meint Courtney: »Das ist so ziemlich das Unromantischste, was ich je gehört habe.«
»Findest du? Dann warte erst mal ab, bis du hörst, wie Jen mir den Antrag gemacht hat.«
050
Dann erzählte ich meinen Eltern, dass wir heiraten wollten, wobei ich es sorgfältig vermied zu verraten, dass sie nicht die Ersten waren, die es erfuhren.81 Überraschenderweise reagierte meine Mutter ganz vernünftig, weder weinte sie, noch plapperte sie wie ein Wasserfall, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Eigentlich hatte ich gedacht, sie würde ganz sentimental und gefühlsduselig werden. Aber vielleicht war der Gedanke an die vielen Schecks, die sie dafür würde ausstellen müssen, eine zu ernüchternde Vorstellung. Meine Eltern kamen zu dem Schluss, wenn mein Dad sich bereit erklären würde, uns das Auto zu schenken, dann wäre er vom Haken und bräuchte die Hochzeitsfeier nicht zu bezahlen. (Wenn es nach ihm ginge, würde die Hochzeit im Garten hinter dem Haus stattfinden, Hotdogs auf der einen Seite des Pools, Hamburger auf der anderen, und versucht bitte, nicht in Nixons Tretminen auf dem Rasen zu tappen.)
Ich brauche nicht mal zweieinhalb Wochen, um alles zu planen und beinahe alles Notwendige zu buchen und festzumachen. Bewaffnet mit der MasterCard meiner Mutter und dem Verspre-chen, »nicht allzu sehr über die Stränge zu schlagen«, machte ich mich daran, in Las Vegas einen schönen Ort zum Heiraten auszusuchen. Eigentlich hätte ich es zum Schießen gefunden, mich von einem Elvis trauen zu lassen, aber da weigerte Fletch sich rundweg, also schaute ich mir die Hochzeitskapellen verschiedener Hotels an. Schließlich entschied ich mich für das Mandalay Bay, weil es so stilvoll und intim ist. Im Venetian gibt es zwar eine entzückende Hochzeitslocation auf der Ponte al di Piazza, aber ich wollte nicht von einem Haufen wildfremder Leute angestarrt werden, während ich mein Ehegelübde sprach. Sie wollen eine Show sehen? Kaufen Sie sich ein Ticket.
Die Kapelle des Mandalay Bay ist in einem Gebäude außerhalb des eigentlichen Hotels untergebracht, woraus ich schloss, die Wahrscheinlichkeit dürfte hier deutlich geringer sein, dass irgendwelche verirrten Touristen auf der Suche nach dem Büfett hereingeschneit kommen. Womit gleichzeitig die Gefahr minimiert wird, dass ich ständig den Kopf verdrehen muss wie Linda Blair in Der Exorzist, um nichtsahnende Hotelgäste anzubrüllen: »Entschuldigen Sie bitte, aber ich lege hier gerade vor Gott und den Menschen ein feierliches Versprechen ab, also könnten Sie sich gefälligst freundlicherweise zum Teufel scheren.«82
Wir haben uns dafür entschieden, keine traditionelle Hochzeitsfeier auszurichten. Es ist nämlich so: Vor gar nicht allzu langer Zeit haben unsere Freunde Michael und Amy die absolut spektakulärste Wahnsinnshochzeitsfeier aller Zeiten gefeiert. Schon allein die Dekoration war atemberaubend. Das Ganze fand im Chicago Cultural Center statt. Früher war in diesem Gebäude die öffentliche Bibliothek von Chicago untergebracht, und der Hauptsaal hat eine Gewölbedecke wie eine alte Kirche. Überall sind Mosaike, doch statt religiöser Bilder zeigen diese allesamt literarische Motive. Der Raum hat beeindruckende, drei Stockwer-ke hohe Fenster und bietet einen überwältigenden Ausblick auf die ganze Michigan Avenue, und auch ohne ein einziges kleines Blütenarrangement ist das einer der schönsten Orte, an denen ich je gewesen bin. Fügt man nun Blumenschmuck, Kristallgläser und Tischdecken im Wert von mehreren tausend Dollar sowie einen ganzen Raum voller Menschen in festlicher Abendkleidung hinzu, erinnert die ganze Szenerie an einen Einrichtungsband von Martha Stewart. Dann nehme man als Sahnehäubchen noch einen weit über zehn Meter langen Dessert-Tisch mit mindestens hundert verschiedenen Leckereien,83 freundliche livrierte Kellner, eine erstklassige Bar mit kostenlosen Drinks, und schon hat man meine Traumhochzeit. Während ihrer Ansprache erzählte die reizende Braut Amy eine anrührende Geschichte darüber, wie sie mit Ende dreißig den Glauben an die große Liebe schon aufgegeben hatte. Aber nur einmal verwählt, und schon hatten Michael und sie sich gefunden, und der Rest ist Geschichte. Und ausgerechnet in dem Moment stieg auf dem Navy-Pier-Rummelplatz ein Feuerwerk in den Himmel und versprühte in dem riesigen Fenster genau hinter ihnen einen knallbunten Funkenregen. Da blieb im ganzen Saal kein Auge trocken.
Weil ich von vorneherein davon ausging, mit der perfektesten aller möglichen Hochzeiten unter keinen Umständen mithalten zu können, überlegte ich mir, sollte meine einfach eine richtig Gute-Laune-Veranstaltung werden. Also buchte ich den Rum Jungle für unseren Empfang, einen Club mit brasilianischer Deko im Mandalay Bay, mit Feuer- und Wasserwänden, deckenhoch gestapelten Rumflaschen und Käfigen mit knackigen Go-go-Tänzern.84 Da im Rum Jungle ausschließlich Latin Techno gespielt wird, brauche ich nicht extra einen DJ zu buchen und muss ihn auch nachher nicht unter Androhung der Todesstrafe davon abhalten, YMCA und den Ententanz aufzulegen. Wir sagen den Leuten, der Dresscode ist Strandresort-Schick, und ich habe meinem Vater eigens ein wirklich allerliebstes Hawaiihemd gekauft. Auf die üblichen Mätzchen verzichten wir, wie uns beispielsweise gegenseitig mit Kuchen zu füttern. Außerdem weigere ich mich, den Brautstrauß zu werfen, weil ich es für eine seelisch grausame und unnötige Strafe halte, sämtliche Singlefrauen zusammenzutreiben und öffentlich zur Schau zu stellen.
Da ich mich sicher irgendwann in ein tyrannisches, unausstehliches Brautmonster à la Godzilla verwandeln werde, habe ich mich entschlossen, keine Brautjungfern auszusuchen. Kürzlich ist mir nämlich aufgegangen, dass es schön und gut sein mag, mit Mitte zwanzig Brautjungfer zu sein, aber wenn man erst mal über dreißig ist, wird daraus weniger eine Ehre als eine lästige Pflicht. Außerdem hat Carol drei Kinder, Shayla macht gerade ihren Abschluss, und Melissa hat eben erst einen neuen Job angefangen, nachdem sie mehrere Monate lang arbeitslos war. Ich mag die Mädels alle viel zu gerne, um ihnen diese völlig unnötige emotionale und finanzielle Last aufzubürden. Und so muss ich auch keinen albernen Junggesellinnenabschied mitmachen. Lieber ein paar Geschenke weniger, als mit einer Klopapierkrone auf dem Kopf herumzulaufen.
Ich muss gestehen, dass ich bei den Vorbereitungen ein bisschen geschummelt habe. Mir war klar, dass ich während der Planungsphase nicht die erforderlichen zwei bis drei Stunden täglich würde aufbringen können, damit Maisy und Loki ausreichend ausgelastet, beschäftigt und glücklich sind, also habe ich sie von acht Uhr morgens bis nachmittags um fünf zur Hundetagesstätte gebracht. Auch wenn wir uns das kaum leisten können, es war jeden Dollar wert, so viel ungestörte Arbeitszeit zur Verfügung zu haben. Darüber hinaus spielen sie in der HuTa so ausgiebig mit den anderen Hunden, dass sie immer ganz vergnügt und müde nach Hause kommen. Und wie jeder weiß, ist ein müder Hund ein Hund, der nicht den Schrank durchwühlt, die geliebten Chanel-Slingback-Pumps findet und BEIDE MIT STUMPF UND STIEL AUFFRISST.85 Inzwischen gehen sie nur noch zwei bis drei Mal die Woche in die HuTa, weil die Planung größtenteils abgeschlossen ist.
Nun bleibt mir nur noch, ein Kleid auszusuchen, und mal ehrlich, so gerne, wie ich einkaufen gehen, kann das doch wohl so schwer nicht sein, oder?
051
Hasse blöde Brautkleider.
Hasse blöde Brautmodeläden.
Hasse blöde Brautmodenverkäuferinnen.
Hasse blöde Brautmodenladenbesitzer.
Hasse blöde Brautzeitschriften wie Modern Bride, Bride’s Magazine und Chicago Bride.
Hasse blöde kleine Verkäuferinnen bei Escada, Saks und Neiman, die meine Taille beäugt, abfällig mit der Zunge geschnalzt und dann abgewunken haben: »Nein, tut uns leid, nichts über Größe 42. Aber viel Glück bei der Suche.«
Hasse mich blödes dickes Weib, das nicht in schicke Designerkleider passt.
Hasse blöde Hochzeiten.
052
Offensichtlich zahlt es sich aus, mitten in Bloomingdale’s einen Nervenzusammenbruch zu bekommen.
Während meine Lieblingsverkäuferin ein Glas Wasser für mich holte, kramte eine ausnehmend elegant gekleidete, etwas füllige Society-Dame in ihrer Handtasche herum, bis sie eine Visitenkarte von Dress Doctor fand. Jetzt lasse ich mir mein Hochzeitskleid also von einer Schneiderin maßanfertigen, und diese ganzen ma-gersüchtigen Flittchen auf der Michigan Avenue und der Oak Street, die mir das Gefühl gegeben haben, ich sei das Michelin-Männchen höchstpersönlich, können mir mal den dicksten Teil meines Hinterns küssen.
Heute Nachmittag habe ich den ersten Termin bei Soheila von Dress Doctor. Ihre Assistentin öffnet mir die Tür und führt mich in den Verkaufsraum. Der Laden gleicht mehr einem Büro; drinnen ist es ruhig, intim und aufgeräumt. Während ich warte, nehme ich die aufwendigen Näharbeiten an einem der ausgestellten Kleider unter die Lupe und stelle fest, dass alles makellos gefertigt ist.
Soheila kommt durch eine rückwärtige Tür in den Verkaufsraum und begrüßt mich herzlich. Wie es scheint, bin ich in guten Händen. Ich zeige ihr die Bilder der Kleider, die mir gefallen, und wir besprechen, worauf es mir besonders ankommt. Trägerlose Kleider streichen wir gleich von der Liste, denn da sich in letzter Zeit noch etwas mehr Fett an meinen ohnehin schon breiten Schulter gesammelt hat, würde ich darin eher aussehen wie ein Footballspieler und weniger wie eine Märchenprinzessin.86 Klassische Schnitte finde ich am schönsten, und alles mit Rüschen und Strass ist mir ein Gräuel. Außerdem sind meine Knöchel erstaunlich wohlgeformt, weshalb ich die gerne zeigen würde, vor allem, weil ich vorhabe, wirklich umwerfende Schuhe zu tragen.
Beim Blättern in ihren Musterbüchern stellt Soheila mir eine ganze Reihe von »Mögen Sie lieber dies oder das«-Fragen, was mich ein bisschen an den Besuch beim Augenarzt erinnert. Aber innerhalb weniger Minuten zeigt sie mir ein Kleid in einer älteren Ausgabe der Vogue, das einfach alles vereint, was mir gefällt. Es ist retro und glamourös, ohne durch übermäßigen Spitzenbesatz oder Stickereien schwer zu wirken. Seine Vollkommenheit liegt in seiner Schlichtheit. Bewundernd streift mein Blick über das wunderhübsche Kleid mit A-Linien-Schnitt, etwa wadenlang, mit kurzer Tüll-Tournüre und weit ausgeschnittenem gerafftem Kragen, und ich verliebe mich auf der Stelle.
»Das ist es, Soheila«, sage ich und tippe auf die Seite.
»Ja. Sind Sie sich ganz sicher? Ich habe noch viele Bücher, die wir uns alle anschauen können, bis Sie ganz bestimmt wissen, ob Sie tatsächlich das perfekte Kleid gefunden haben«, entgegnet Soheila freundlich.
»Nein, das ist es. Ich bin mir ganz sicher. Es ist bloß …« Ich verstumme etwas ratlos.
»Bloß was? Jennifer, ist das auch wirklich Ihre erste Wahl? Bitte überstürzen Sie diese Entscheidung nicht. Ich habe genug Zeit, Ihnen das Kleid zu nähen, das Sie wirklich haben wollen.«
»Nein, das ist es. Ich will es. Ich finde das Kleid wunderbar. Bloß mit der Farbe bin ich mir nicht so ganz sicher.«
»Wenn Ihnen das strahlende Schneeweiß zu grell ist, können wir auch Elfenbein oder Eierschale nehmen.«
»Nein, die Farben sind für mich auch nicht das Richtige«, gebe ich zurück. Soheila holt ein Stoffmusterbuch, das sie mir in den Schoß legt.
»Was stellen Sie sich denn vor? Das hier ist eine herrliche Dupionseide in Ecru. Der schwere Stoff würde hervorragend zur Schnittführung des Kleides passen. Oder vielleicht wäre Ihnen etwas Leichteres mit einem ganz zarten Hauch eines Pastelltons lieber?«, fragte sie und hält mir ein babyrosa Taftstückchen hin.
»Ja, ganz hübsch, aber …«
»Jennifer, das ist ein einmaliges Ereignis in Ihrem Leben. Sagen Sie mir, was Sie sehen, wenn Sie sich Ihre Traumhochzeit vorstellen.«
Also schließe ich die Augen und versuche, mir den großen Tag bildlich vorzustellen. Fletch, glücklich und gutaussehend in seinem weißen Smoking, wirbelt mich anmutig über den Parkettboden. 87 Mit den kurz geschorenen Haaren und der angesagten Hornbrille erinnert er mich irgendwie an einen Astronauten aus den sechziger Jahren. Mein ganzer Look ist der von Jaqueline Lee Bouvier Kennedy aus der Camelot-Ära, und ich trage die Haare zu einem zuckersüßen dicken Dutt mit Gardenien hochgesteckt. Geschminkt bin ich mit ausdrucksvollem schwarzem Eyeliner, märchenhaft langen falschen Wimpern für perfekte Rehaugen und zartrosa Lippenstift. Nein, lieber nicht. Mit hellem Lippenstift sehe ich immer aus, als hätte ich gerade puderzuckerbestäubte Donuts gegessen.88 Wir sehen aus wie Barbie und Ken um 1962. An seinem Arm schwebe ich über die Tanzfläche und drehe mich in einem - JETZT HAB ICH’S!
»Schwarz! Das ist es! Ich sehe mich in einem schwarzen Kleid.« Ich verstumme und warte auf ihre Reaktion. Noch nie habe ich gehört, dass jemand zu seiner Hochzeit Schwarz trägt, vor allem nicht bei der ersten Hochzeit.
Soheila starrt eine Weile ins Leere und beginnt dann, langsam zu nicken. »Ein schwarzes Hochzeitskleid. Ja. Ja, ich denke, das ist eine gute Idee. Das wird ein Blickfang, aber ganz unkonventionell.«
»Ganz genau!«
»Dann sollte ich jetzt Ihre Maße nehmen«, sagt sie.
053
Als sie von dem schwarzen Kleid hört, liegt meine Mutter mir augenblicklich in den Ohren, es mir doch noch mal zu überlegen. »Aber du würdest in Weiß bestimmt ganz zauberhaft aussehen. Ich habe mir immer vorgestellt, wie du in einem schneeweißen trägerlosen Brautkleid mit langer Schleppe und perlenbestickter Korsage heiratest.« Ich bin zuhause bei meinen Eltern, um Hochzeitseinladungen zu adressieren und den Cadillac abzuholen. Bei unseren Telefonaten in den letzten Wochen habe ich jedes Mal unauffällig das Thema gewechselt, sobald die Rede auf mein Brautkleid kam. Mit voller Absicht habe ich ihr bis heute nicht im Detail erzählt, wie das Kleid aussehen wird, denn jetzt ist es endgültig zu spät für irgendwelche Änderungen. Wie erwartet ist sie von meiner Wahl nicht sonderlich begeistert.
»Nichts von dem, was du da gerade beschrieben hast, würde mir gefallen oder besonders gut stehen«, gebe ich zu bedenken. Mit den Füßen stoße ich mich vom Beckenrand ab und paddele meine Luftmatratze geradewegs in den Sonnenfleck, der auf dem Wasser im tiefen Teil des Beckens tanzt. Es sind nur noch zwei Monate bis zur Hochzeit, also habe ich Lichtschutzfaktor null aufgetragen und röste in der Sonne wie ein Hähnchen am Spieß. Schlank werde ich an meinem Hochzeitstag zwar nicht sein, aber das mache ich durch meine knackige Bräune wieder wett.
»Und wenn du dir für die Trauung das Kleid in Weiß anfertigen lässt und das schwarze anschließend zur Feier trägst?«, schlägt sie vor, während sie neben mir her schwimmt.
»Wie oft müssen wir das jetzt noch durchkauen? Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich das schwarze Kleid trage. Ich möchte was Unkonventionelles«, erkläre ich. Bis auf die Wahl des Kleides hat meine Mutter sich bisher erfreulicherweise aus allen die Hochzeit betreffenden Entscheidungen herausgehalten. Nur bei den Einladungen hat sie einen Vorschlag eingebracht. Ich fand nämlich, irgendwas Glitzerndes, was so richtig nach Las Vegas aussieht, würde am besten passen, doch sowohl Mom als auch der Schreibwarenhändler waren anderer Meinung. Ihre Argumente haben mich letztendlich überzeugt, weshalb ich mich dann für schwere cremefarbene Karten entschieden habe, die sich wie kleine Flügeltüren öffnen lassen, hinter denen dann geprägtes Pergamentpapier über einem gemalten Buchsbaum zum Vorschein kommt. Die Einladung wird mit einer grünen Tüllschleife zusammengebunden und steckt in einem grünen Umschlag mit Pergamentfutter. Wirklich sehr edel.89
»Aber ich würde auch beide Kleider bezahlen.«
»Was wirklich sehr großzügig von dir ist«, entgegne ich. »Aber auch rausgeworfenes Geld wäre. Mit den tausend Dollar würde ich lieber die Bar eine Stunde länger geöffnet lassen oder jedem Gast einen Geschenkkorb mitgeben. Denk dran, du hast selbst gesagt, bei einer Hochzeit sind die Gäste genauso wichtig wie das Brautpaar.«
»Jennifer, um das Geld brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Wir können die Feier verlängern und trotzdem ein zweites Kleid kaufen, wenn du das möchtest.«
Ich gucke sie über den Rand meiner Luftmatratze an. »Wer sind Sie und was haben Sie mit meiner Mutter gemacht?«, kommandiere ich streng. In ihrer Kindheit war ihre Familie immer knapp bei Kasse, weshalb meine Mutter ein äußerst sparsamer Mensch ist. Die Frau würde lieber sterben, als irgendwas zum regulären Ladenpreis zu kaufen.
»Ich will doch bloß, dass deine Hochzeit genau so wird, wie du es dir vorstellst«, empört sie sich. »Was ist denn daran so verkehrt?«
»Nichts, Mom. Das ist lieb gemeint, und ich bin dir sehr dankbar für das nette Angebot, aber sich mittendrin auch noch umziehen zu müssen, wäre nichts als Stress für mich, also kommt das nicht in die Tüte.«
»Und wenn du dieses Grün trägst, das du so magst? Oder Rosa vielleicht? Warum muss es denn ausgerechnet Schwarz sein?«, stochert sie weiter.
»Weil ich Schwarz mag und es mir steht. Und außerdem kann ich ganz unbeschwert essen, trinken und feiern, ohne Angst zu haben, dass jemand mir seinen tropischen Cocktail aufs Kleid schüttet. Das Kleid ist schön und praktisch, also werde ich mich darin auf jeden Fall wohlfühlen. Außerdem wollte ich immer schon ein richtig schickes schwarzes Cocktailkleid, und dieses Kleid kann ich auch später noch tragen.«
Sie schnaubt. »Ja, zu einer Beerdigung vielleicht.«
»Mom, lass es gut sein. Du hast dich von einer Verkäuferin beschwatzen lassen, ein Hochzeitskleid zu kaufen, das dir nicht gefallen hat. Du hast gesagt, du wirst jedes Mal wieder wütend, wenn du die Hochzeitsfotos siehst. Seit vierzig Jahren hegst du einen abgrundtiefen Hass gegen diesen Brautmodenladen. Das wird mir nicht passieren. Ich habe mich für das schwarze Kleid entschieden, und dabei bleibt es.«
»Ich will doch bloß, dass du glücklich bist«, verteidigt sie sich und schrammt dabei hart an der Grenze zur mütterlichen Märtyrerin vorbei.
»Das bin ich ja auch, also noch mal danke. Ohne euch wäre das alles nie im Leben möglich gewesen. Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen - ich habe dir noch gar nichts von den Schuhen erzählt, die ich mir gekauft habe.«
»Hast du die offenen Sandaletten genommen, die ich dir vorgeschlagen hatte?«
»Nein, die Absätze waren mir zu hoch, und die Riemchen haben ganz fies in den Knöchel eingeschnitten. Ich habe mir ein paar wirklich süße Pumps von Enzo gekauft, mit einem Absatz, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Hinten fehlt ein kleines Stückchen, aber man kann trotzdem gut darauf laufen und meine Beine sehen darin einfach toll aus.«
»Schwarz?«
»Ähm … nein.«
»Du hast dir keine schwarzen Schuhe gekauft? Was willst du denn sonst zu einem schwarzen Kleid tragen?«
»Na ja, sie waren runtergesetzt, was dich doch eigentlich freuen sollte. Was sie Farbe angeht, sie sind … na ja, ehrlich gesagt, sie haben ein Leopardenmuster und …« Meine Mutter taucht plötzlich unter. »Mom? Mom? Mutter, wo bist du? Mom! MOM! Es sind doch bloß Schuhe. HÖR SOFORT AUF, DICH ZU ER-TRÄNKEN!«
054
»Tut es dir nicht leid, dass wir niemanden aus deiner Familie zur Hochzeit eingeladen haben?«, frage ich Fletch.
»Jen, was habe ich dir gesagt, Gesprächsattacken aus dem Hinterhalt betreffend, sobald ich einen Fuß über die Schwelle setze?« Fletch verstaut seine Aktentasche im Garderobenschrank und kommt in die Küche.
»Tut mir leid. Vergessen. Egal, bist du traurig, dass keiner aus deiner Sippe zur Feier kommt?«
Fletch holt ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank und setzt sich zu mir ins Wohnzimmer, wo ich gerade über der Gästeliste brüte. »Nein, kein Stück. All meine Freunde kommen, und die sind für mich mehr Familie, als es meine Schwester oder meine Mutter je waren. Würden die zur Hochzeit antanzen, bräuchte jede einen eigenen Tisch, bei den vielen Macken, die sie mitbringen.«
»Ich weiß, ich wollte nur ganz sicher sein, dass es für dich in Ordnung ist. Wenn’s sein muss, rufe ich deine Mutter an und entschuldige mich.« Seiner Mutter bei unserem letzten Gespräch ins Gesicht zu sagen, dass es Jahre gedauert hat, all die Schäden, die sie bei Fletch angerichtet hatte, wiedergutzumachen, war vielleicht nicht die diplomatischste aller möglichen Vorgehensweisen gewesen. (Und mit der Erwähnung der Tatsache, seine Schwester habe kein Probleme, die sich nicht mit ein bisschen Haldol90 beheben ließen, habe ich mich auch nicht unbedingt beliebt gemacht.)
»Wenn du das machst, blase ich die Hochzeit ab. Denk doch mal darüber nach, Jen. Meine Mutter hat ihr ganzes Leben lang untätig zugesehen, wie mein Vater mich systematisch niedergemacht und mir eingeimpft hat, ich sei ein Nichtsnutz und werde es nie zu irgendwas bringen.« Fletch steht auf und läuft aufgebracht auf und ab. Immer, wenn wir über dieses Thema reden, regt er sich auf.
»Lange war mir nicht klar, dass sie mit ihrer Untätigkeit genauso schlimm war wie mein Vater mit all seinen Beschimpfungen. Und obwohl ich beim Militär gelernt habe, wie viel Potential in mir steckt, warst du der erste Mensch, der wirklich an mich geglaubt hat. Du hast mich davon überzeugt, dass ich alles erreichen kann und nichts unmöglich ist. Hätte ich dich nicht kennengelernt, hätte ich eine Ausbildung in einem Telekommunikationsunternehmen gemacht und einen Zehndollarjob in irgendeiner kleinen miesen Leitstelle mitten im Nirgendwo von Indiana angenommen.«
»Ach, ich bitte dich. Du bist immerhin der zweitklügste Mensch, den ich kenne.91 Du hättest es auch ohne mich geschafft.« Ganz ehrlich? Der Kerl kann Algorithmen ausrechnen. IM KOPF!
»Nein, ohne dich an meiner Seite hätte ich das alles nie geschafft. Und da hat meine Mutter nichts Besseres zu tun, als zu sagen: ›Du findest was Besseres‹, als ich ihr erzähle, dass wir heiraten wollen. Und das, nachdem du so nett zu ihr warst? Auf keinen Fall. Das war unverschämt. Unverzeihlich. Hättest du mir nicht den Hörer aus der Hand gerissen und ihr diese ganzen Sachen an den Kopf geworfen, ich hätte es selbst getan.«
»Du hast also nichts dagegen, wenn ich ihre Namen auf der Gästeliste dick und fett durchstreiche? Ich benutze einen Marker, es wäre also endgültig.«
»Streich sie ruhig raus. Das sind Giftnattern, und ich bin heilfroh, dass ich sie endlich los bin.«
Ich lege die Gästeliste beiseite und setze mich ihm gegenüber auf die Ottomane. »Wie war dein Tag?«
»Besser als gewöhnlich. Clark war nicht im Büro. Er hat mit keinem Wort erwähnt, wo er war, aber Ernesto hat erzählt, die Anzeige gegen ihn wegen sexueller Belästigung käme jetzt doch noch vor Gericht.«
»Cool. Kann er dafür ins Gefängnis wandern?«
»Nein, Jen, das ist ein zivilrechtlicher Prozess, kein strafrechtlicher.«
»Und was ist da der Unterschied?«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Nicht unbedingt.« Schonungslose Offenheit ist der Grundpfeiler unserer Beziehung.
»Und wie ist es bei dir gelaufen?«
»Hervorragend. Halt dich fest - ich habe den Job als Gassigängerin nicht bekommen, für den Marta vom Hundepark mich empfohlen hat. Der Hundebesitzer meinte, meine Referenzen in allen Ehren, aber er suche jemand mit etwas mehr ›Verantwortungsbewusstsein‹. Und als ich dann bei diesem Medienunternehmen angerufen habe, erklären die mir doch, sie wollten eine andere Richtung einschlagen. Ich habe versucht, sie in die Ecke zu drängen, und habe gefragt: ›Und welche Richtung wäre das?‹, aber da ist das Mädel richtig zickig geworden und hat nur gezischt: ›Jedenfalls nicht Ihre.‹«
»He, das tut mir leid. Ich weiß, wie viel Mühe du dir gibst.«
»Na ja, wir können bloß hoffen, dass wir jede Menge Kohle zur Hochzeit geschenkt bekommen, es sieht nämlich nicht danach aus, als würde ich in naher Zukunft wieder einen Job bekommen.«
055
Ich bin zur wöchentlichen Anprobe bei Dress Doctor. Soheila hat mein ganzes Hochzeitskleid quasi zur Probe einmal aus Musselin geschneidert, damit es nachher auch wirklich wie angegossen passt. Sitzt es erst einmal perfekt, zerschneidet sie den billigen Stoff, um ihn dann als Schnittmuster für die schwere Dupionseide zu benutzen, die wir für das eigentliche Kleid ausgesucht haben.
Draußen sind es ungefähr zweiunddreißig Grad, weshalb ich nur zu gerne aus meiner leicht klebrigen Straßenkleidung steige. Dann bleibe ich einen Moment in Unterwäsche in der Umkleide stehen, um mich ein bisschen abzukühlen. Etwas erfrischt ziehe ich mir schließlich den normalen BH aus und meine spezielle stützende Hochzeitunterbekleidung an. Als ich das letzte Mal hier war, hat Soheila auf meine Brüste gewiesen, kurzentschlossen nach meinen BH-Trägern gegriffen und ganz trocken erklärt: »Die hier? Sollten da oben sein«, womit sie dann alles umstandslos himmelwärts zerrte. In dem neuen BH, den ich mir auf ihr Geheiß zulegen musste, sehe ich aus wie eine vollbusige Galionsfigur, und theoretisch könnte ich mein Kinn auf meinem eigenen Vorbau abstützen. Aber bisher hat Soheila noch mit allem Recht gehabt, weshalb ich ihr blind vertraue. Wenn sie sagt, ich muss einen stahlversteiften BH tragen, dann soll es so sein. Sie reicht mir das Kleid aus gebleichtem Musselin, und ich schlüpfe hinein.
Als ich aus der Kabine komme, nimmt Soheila noch ein paar letzte Änderungen vor, ehe sie mich vor den dreiteiligen Spiegel führt. Ehrfürchtig besteige ich das Podest und mustere mein Spiegelbild, und mein zerzauster Pferdeschwanz und die verschmierte Wimpertusche sind plötzlich völlig nebensächlich.
Atemlos japse ich: »Ich sehe ja aus wie eine echte Braut!«
Solheila lächelt still vor sich hin. »Sie sind ja auch eine echte Braut, meine Liebe.«
»Ich meine, ich wusste, dass es perfekt sitzen würde, aber ich hätte nie damit gerechnet, dass der Musselin so hübsch aussieht. Eigentlich eine Schande, es wieder kaputt zu schneiden.«
»Warten Sie ab, das fertige Kleid wird Sie umhauen. In Schwarz verschlägt es Ihnen glatt den Atem.«
»Wenn es auch nur halb so schön ist wie das hier, dann ganz bestimmt.« Ich bewundere mich noch ein bisschen, drehe mich im Kreis und bestaune das Kleid aus jedem erdenklichen Blickwinkel. Ich bücke und strecke mich und halte einen imaginären Brautstrauß in den Händen, dann probiere ich diesen behinderten Schritt-zusammen-Schritt-zusammen-Gang, von dem ich geschworen habe, dass es auf meiner Hochzeit so was ganz sicher nicht geben wird. »Soheila, tun Sie mir bitte einen Gefallen?«
»Aber gerne.«
»Versprechen Sie mir, sollte meine Mutter noch mal anrufen, dann sagen Sie ihr bitte nicht, wie hübsch das Kleid in Weiß ausgesehen hat.«
056
In einer Woche ist meine Hochzeit, und streng genommen bin ich noch immer nicht verlobt. Fletch wird doch wohl nicht vergessen haben, meinen Diamanten fassen zu lassen, oder? In letzter Zeit steckt er eigentlich ständig bis zum Hals in Arbeit, weil sein reizender Boss auf die geniale Idee gekommen ist, Fletch an drei Tagen die Woche nach Milwaukee zu schicken. Obwohl er pro Strecke zwei Stunden braucht, erwartet Clark von Fletch, dass er morgens pünktlich zur normalen Bürozeit anfängt, weshalb er an diesen Tagen von sechs Uhr in der Frühe bis acht Uhr abends unterwegs ist.92
Zum Glück hat Fletch jetzt erst mal zweieinhalb Wochen Urlaub und kann sich in dieser Zeit hoffentlich ein bisschen erho-len. Eben war er ganz komisch und aufgekratzt und hat mich richtig ausgequetscht, wo ich hinwolle und wann ich wiederkomme und so. Woraufhin ich ihm erklärt habe, dass ich heute Nachmittag einen Termin beim Friseur zum Haarefärben habe und zum Abendessen wieder zuhause bin und er sich gefälligst wieder abregen soll. Normalweise ist er ja ein unerschütterlicher Fels in der Brandung, weshalb nicht nur ich ganz kribbelig werde, wenn er sich aufregt, sondern die Hunde und die Katzen gleich mit. Tucker hat Fletch immer wieder angestubst, während Loki winselnd um ihn herumgelaufen ist.
Ich stehe gerade am Fuß des letzten Treppenabsatzes vor meiner Wohnung, als Maisys Kopf im Türrahmen auftaucht. Sie hat irgendwas Rosafarbenes in Schnauzennähe, und mir bleibt fast das Herz stehen, weil ich befürchte, dass es nur eine meiner Kate-Spade-Sandalen sein kann. In letzter Zeit ist Fletch manchmal so verpeilt, wenn er aus dem Haus geht, dass er vergisst, die Schranktür zuzumachen. Und während ich nebenan seelenruhig schlafe, richtet Maisy ein Lederwarenmassaker an. Bisher habe ich drei Taschen, einen Koffer und vier Paare meiner teuersten Schuhe eingebüßt sowie, obwohl die nicht aus Leder war, meine Gucci-Sonnenbrille. Daraufhin haben wir ein Anti-Kau-Spray mit Extrakten aus Apfelbitterstoffen gekauft, was Maisy allerdings recht wenig beeindruckt hat: Sie hat die ganze Flasche mit dem Zeugs einfach aufgefressen.93
Wie ein geölter Kugelblitz flitze ich die fünf Stufen hinauf und stürze in die Wohnung. »Oh nein, Maisy, was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?«, jammere ich und packe sie am Halsband, um den Schaden zu begutachten. Aber Maisy hat keinen Schuh in der Schnauze. Nein, sie hat mit einer Karoschleife ein Blatt rosa Papier um den Hals gebunden, auf dem in ungelenker Blockschrift zu lesen steht: LiEbe MammA, Biete heiRAte mEinEn PapPA …
»Fletch? Fletch, wo bist du? Was ist denn hier los?«, rufe ich. Woraufhin Loki hereingetrottet kommt, der ebenfalls ein Schild um den Hals trägt. Ich bücke mich und lese: … WiR wOllEn nähmlich keInE hUreNKindER mEhr SeiN.
Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, was hier gerade passiert.
Wie süß ist das denn? Da ist mein langersehnter Antrag! Jetzt bin ich verlobt! Juhu! Bloß scheint mein Verlobter gerade unauffindbar zu sein.
Und der dazugehörige Ring genauso.
Wo ist der Ring?
Wieder nehme ich Maisy ins Visier, und mir fällt auf, dass ihre Schleife ganz nass und durchgekaut ist. Lieber Gott, bitte, sag mir nicht, dass ich jetzt zwölf bis vierzehn Stunden warten muss, ehe ich meinen Verlobungsring zu sehen bekomme. Ist ja schon schlimm genug, mit ansehen zu müssen, wie Teile meiner Lieblingsaccessoirs aus ihrem Hintern geschossen kommen. Müssen wir sie jetzt die ganze Zeit beäugen und in ihren Häufchen herumstochern, bis wir die Sache offiziell machen können?
»Fletch, WO STECKST DU?« Ich höre ein verräterisches Rauschen, und gleich darauf kommt Fletch mit schuldbewusster Miene aus dem Badezimmer.
»Du bist früh dran. Es war nicht geplant, dass ich im Bad bin, wenn du nach Hause kommst.«
»Rory hat mir nur ein paar einzelne Highlights gesetzt, das dauert nicht so lange.«
»Du hast die Zettel gesehen?«
»Habe ich, und die Antwort lautet Ja.«
»Das hatte ich mir irgendwie schon gedacht, wo wir doch in zwei Tagen nach Las Vegas fliegen und so.« Dann fällt Fletch wohl auf, dass ich nicht wie eigentlich erwartet einen Freudentanz aufführe und in Jubel ausbreche. »Jen, freust du dich denn gar nicht? Du hast gesagt, du wünschst dir eine Überraschung, und da ist sie. Warum also das lange Gesicht?«
Mein Kinn fängt an zu zittern. »Ich war ja auch glücklich, bis ich gemerkt habe, dass Maisy den Ring gefressen hat.«
»Nein, hat sie nicht.«
»Hat sie wohl - guck doch!« Und damit zeige ich ihm das ausgefranste Schleifenband.
»Nein, hat sie nicht«, widerspricht er mir sanft und zieht mich zu sich heran. »Sie hat deinen Ring nicht gefressen. Sie hat es versucht, aber sie ist nicht drangekommen. Siehst du?« Und damit zieht er ein kleines Samtbeutelchen aus der Tasche und schüttelt es, bis der Inhalt herausfällt. Ein Ring aus Weiß- und Gelbgold mit dem wunderschönen runden Diamanten meiner Nanny in einer Chanel-Fassung in der Mitte funkelt in seiner Handfläche. Ich schnappe ihn mir ohne weitere Umstände. Nicht, was ich erwartet hatte, aber genau mein Stil.
»Wieso hast du gewusst, was mir gefällt, obwohl ich immer nur über dicke, klotzige quadratische Klunker und Baguetteschliff geredet habe? Hat eine meiner Freundinnen dir geholfen?«
»Nein, den habe ich ganz alleine ausgesucht. Ich habe mir Hunderte von Fassungen angesehen, doch bei der hier musste ich gleich an dich denken, also habe ich sie genommen. So, möchtest du jetzt vielleicht ein Glas Champagner, damit wir ordentlich anstoßen können?«
»Wir haben keinen. Ich glaube, wir haben bloß noch die eine klebrige alte Baileys-Flasche im Kühlschrank, die schon seit Weihnachten da drin steht.«
»Jen, wir haben Champagner.« Er zieht eine Flasche Moët & Chandon aus einem Sektkübel im Gefrierschrank.
»Und auch noch meine Lieblingsmarke!«, rufe ich begeistert.
Diamanten und Champagner? Ich sollte öfter heiraten.
057
Nach einer langen, stressigen heißen Woche sind wir endlich in Las Vegas angekommen. Meine Eltern, Fletch und ich waren im selben Flieger, auch wenn wir nicht alle nebeneinander gesessen haben. Glücklicherweise hat die einfühlsame Angestellte unserer Fluglinie, die unser Gespräch beim Check-in zufällig mit anhörte, das irre Flackern in den Augen meiner Mutter gesehen und uns daraufhin an entgegengesetzten Enden des Flugzeugs platziert.94
Es ist nämlich so: Am Abend zuvor hat meine Mutter sich plötzlich von einer diplomierten Psychotherapeutin mit Master-Abschluss und vielfältigen Hobbys und Interessen in einen furchteinflößenden, irren, durchgeknallten japanischen Anime-Charakter namens Momzilla verwandelt. Als sie sich dann mit Beginn der Taxifahrt zum Flughafen an meine Fersen heftete und jedes einzelne Detail meiner sorgfältig geplanten Hochzeitsfeier skeptisch hinterfragte, ging mir auf, dass ich ein Problem hatte.
»Mom, was ist denn nur los mit dir? Warum bist du so gestresst?«, fragte ich.
»Es gibt bloß so viele Kleinigkeiten, an die wir noch denken müssen«, entgegnete sie, während ihr Fuß mit etwa hundert Beats pro Minute hektisch auf dem Boden herumtappte und sie meine Hand mit eisernem Griff umklammert hielt.
»An die habe ich schon alle gedacht. Was glaubst du, was ich den ganzen Sommer über mit deiner Kreditkarte getrieben habe? Die gesamte Woche ist bis ins allerkleinste Detail durchorganisiert. Ich habe dir doch gesagt, dass du dich um nichts zu kümmern brauchst. Es läuft alles wie am Schnürchen, glaub mir, also lehn dich einfach zurück und genieße es. Es ist alles arrangiert.«
»Und was ist mit den Blumen? Die hast du doch noch gar nicht gesehen! Woher willst du wissen, ob die nachher bei der Feier auch wirklich hübsch aussehen?«, sorgte sie sich.
»Mom, deine rührende Umsicht in allen Ehren, aber die ist vollkommen unnötig. Die Floristin sagte mir, sie macht jede Woche Arrangements für den Rum Jungle, und wir haben in aller Ausführlichkeit besprochen, was ich mir vorstelle. Ich denke mir, die ganzen Orchideen, Strelitzien, Gardenien und Ingwerblüten werden sicher ganz wunderbar aussehen und duften.«
»Wenn wir ankommen, müssen wir uns als Allererstes anschauen, wo der Sektempfang stattfinden soll. Damit ich mich vergewissern kann, dass sie uns eine schöne Ecke zugewiesen haben. Ich meine, stell dir vor, wir sollen vor dem offenen Kamin stehen. Wir würden uns vorkommen, als wären wir in einer ölverschmierten Autowerkstatt. Außerdem müssen wir uns um die Tischkarten kümmern.«
»Auch darüber, Mom, habe ich mich lang und breit mit dem Hoteldirektor unterhalten. Es ist alles organisiert, und es wird ganz prima. Und ich habe dir bestimmt schon ein dutzend Mal gesagt, dass Tischkarten und Gogo-Tänzer in Hängekäfigen EINFACH NICHT ZUSAMMENPASSEN. Ich möchte, dass alles ganz informell und zwanglos wird. Tischkarten wären vollkommen kontraproduktiv, was das »Zum Teufel mit den Traditionen«-Motto meiner Hochzeit angeht.
»Aber was, wenn der Service miserabel ist? Das würden meine Schwestern mir bis ans Ende meiner Tage nachtragen.« Meine Mutter ist eins von acht Kindern, und ihre Sippe verbindet eine innige Hassliebe. Normalerweise hält meine Mutter nicht viel von allzu engen Familienbanden, aber ein Großereignis wie diese Hochzeit bringt natürlich alle zusammen.
»Zunächst einmal sind wir hier in Las Vegas, und da gibt es so was wie miesen Service gar nicht. Und zweitens habe ich sogar mit den Kellnern gesprochen, die bei der Feier bedienen werden, und die wirkten allesamt sehr diensteifrig und beflissen. Würdest du jetzt also bitte aufhören, dir meinen Kopf zu zerbrechen.«
»Und dein Kleid? Hast du es auch ganz bestimmt eingepackt ? Wie willst du das denn noch am Hochzeitstag aufbügeln lassen?«95
»Mom, wir fliegen nach Las Vegas. Da bekommt man ALLES, okay? Da könnte ich den Concierge anrufen und eine Crackpfeife und einen dreizehnjährigen Strichjungen verlangen und bekäme beides binnen einer Stunde aufs Zimmer gebracht. Mein Kleid aufbügeln zu lassen sollte also kein größeres Problem darstellen.«
»SOLL DAS HEISSEN, DU NIMMST DROGEN?«
»Mom, das war eine Übertreibung um der Veranschaulichung willen. Du solltest dich DRINGEND entspannen.«
»Und was ist mit Haaren und Make-up?«
»Hast du überhaupt auch nur einen Blick auf den Programmablauf geworfen, den ich dir gegeben habe? Unser Friseur- und Kosmetiktermin ist um zwölf Uhr am Hochzeitstag. Den habe ich schon vor zwei Monaten bei Robert Cromeans gebucht. Das ist einer der bestens Salons im ganzen Land.« Meine Mutter hatte die Hände zu Fäusten geballt, und Schweißperlen glitzerten auf ihrer Oberlippe. »Bei der Anmeldung habe ich ihnen ganz genau gesagt, wann die Hochzeit stattfindet, und dementsprechend haben wir die Termine so gelegt, dass genug Zeit für alles ist. Denk dran, bei denen lassen sich jeden Tag Bräute für ihre Hochzeit zurechtmachen, also sollten sie ihr Handwerk eigentlich verstehen.«
Aber auch diese Nachricht konnte ihr Nervenflattern augenscheinlich nicht besänftigen. Also plapperte ich weiter auf sie ein. »Mom, bitte, bitte, bitte beruhige dich. Sonst machst du mich auch noch nervös.«
»Aber es gibt so vieles, das wir nicht vergessen dürfen.«
»Ja, ich WEISS. Und ich habe mich schon UM ALLES GEKÜMMERT. Wie ich die Sache sehe, bleibt dir nur eine Wahl. Du kannst in die Vergangenheit reisen und dich mit mir zusammen um die Planung kümmern oder du kannst dich ganz einfach auf mich und mein Organisationstalent verlassen.« In diesem Moment traten wir an den Check-in-Schalter unserer Airline. Zwinkernd hob die Dame hinter dem Schalter die Hand, an der ebenfalls ein Verlobungsring blitzte. Wir tauschten einen kurzen, verständnisvollen Blick aus - auf Anhieb erkannte sie meinen ehrenhaften Kampf um das schwarze Kleid, während mir gleich klar wurde, welch hohen Verluste sie in der Schlacht um den Lachs hatte hinnehmen müssen. Ohne ein einziges Wort wies sie uns meilenweit voneinander entfernte Sitzplätze zu.
Das Gute an der Sache war, dass ich mir ausnahmsweise keine Sorgen darum machte, Kidnapper könnten das Flugzeug in ihre Gewalt bringen. Sollte Al Qaida es wagen, unseren Flugplan durcheinanderzubringen, so war ich überzeugt, Momzilla würde die potentiellen Entführer zerquetschen wie lästige Insekten.
Fletch und ich sitzen gleich hinter der Bordküche, und eine freundliche Stewardess versorgt uns den ganzen Flug über mit kostenlosen Bloody Marys. Sie stellt sogar den Getränketrolley auf dem Gang vor uns ab, damit meine Mutter nicht zu uns durchkommt. Als wir schließlich auf dem Rollfeld aufsetzen, hat meine mütterlich bedingte Anspannung sich erfreulicherweise in Luft aufgelöst.96
An der Gepäckausgabe treffen wir vier uns wieder. Mein Vater ist mittlerweile ein einziges Nervenbündel, was man von ihm eigentlich so gar nicht kennt. In Korea hat er früher Landminen entschärft, wozu er seiner unerschütterlichen Ruhe wegen prädestiniert war. Da sie sich aber nicht an mich kletten und mir damit den Verstand rauben konnte, hatte Momzilla ihre geballte Aufmerksamkeit auf Big Daddy gerichtet. Dreieinhalb Stunden lang hatten sie über die zwanzig Pfund Schokoladenmünzen dis-kutiert, die wir eigens als kleine Aufmerksamkeit für die Gäste geordert hatten.97 Dad konnte nicht verstehen, warum er nicht einen Blick auf die Münzen werfen durfte, und Momzilla konnte nicht verstehen, warum ein Mann mit lähmender Arthritis in den Schultern nicht einfach die Münzen schleppen und die Klappe halten konnte. Momzilla hätte sie ja auch selbst getragen, aber sie hatte ja darauf bestanden, mein Hochzeitskleid zu transportieren.
Die ganze unterschwellige Anspannung geht Fletch richtig an die Nieren, und meine wunderbare Ruhe verflüchtigt sich ebenfalls schlagartig. Mir bleibt nichts anderes übrig, als den Braut-Joker zu ziehen und ultimativ Friedensverhandlungen zu verlangen. Unter einem brüchigen Waffenstillstand marschieren wir zu der wartenden Limousine. Wir werden herzlich vom Fahrer begrüßt, der sofort unser Gepäck übernimmt, auch wenn meine Mutter sich strikt weigert, ihm die Münzen auszuhändigen.
»Wie geht’s uns denn heute?«, fragt er.
»Wenn ich noch einmal das Wort ›Schokomünzen‹ höre, vergesse ich mich«, brummt mein Dad entnervt.
»Gleich werde ich handgreiflich.« Mom stiert Dad vorwurfsvoll an.
»Ich bin nicht mal annähernd so betrunken, wie ich sein müsste«, entgegnet Fletch.
»Uns geht’s bestens, danke«, sage ich und bedenke alle mit finsteren Blicken. Der Fahrer verstaut unsere Koffer und Taschen im Kofferraum, während wir in die Limousine steigen. Kaum haben wir alle Platz genommen, fängt Mom an, an unserem Menü herumzukritteln, Fletch jammert rum, er brauche dringend einen Martini, und Dad beklagt sich, weil Mr Nixon, die arme Socke, ganz allein in der Hundepension sitzt.
Und ich? Mit reicht‘s.
»Leute? REISST EUCH ENDLICH ZUSAMMEN. Wir sind jetzt hier, okay? Bald werden wir fünfzig unserer besten Freunde und liebsten Verwandten sehen, und wir werden uns gefälligst AMÜSIEREN. Und warum? Weil alles bis ins kleinste Detail durchgeplant und von mir liebevoll organisiert wurde, sodass nichts dem Zufall überlassen wurde«, keife ich. Ich komme richtig in Fahrt und wettere gleich weiter: »Diese Hochzeit wird einfach PERFEKT, und deshalb will ich jetzt kein Wort mehr hören über Schokolade oder Menüfolgen oder Blumen oder sonst irgendwas. Das Gemecker und das Gejammer hören jetzt auf der Stelle auf. Und dann setzen wir alle ein breites, strahlendes Lächeln auf und benehmen uns wie eine normale, glückliche Familie, UND WENN ES DAS LETZTE IST, WAS WIR TUN. Es kann überhaupt nichts schiefgehen, weil ich mich um alles gekümmert und an sämtliche Eventualitäten gedacht habe. Also bitte ich alle Anwesenden, haltet ein und schweigt. Es wird toll.« Alle bitten verschreckt flüsternd um Verzeihung, und ich lehne mich mit einem triumphalen Grinsen im Gesicht zurück.
»Wohin?«, erkundigt sich der Chauffeur, der gerade auf dem Fahrersitz Platz nimmt.
»Ins Mandalay Bay, bitte«, entgegne ich.
»Wird bestimmt ein ziemlich wildes Wochenende im Mandalay«, meint er, als wir auf die Paradise Road einbiegen.
»Ach, tatsächlich«, erwidere ich großmütig. Sonst nervt es mich immer, wenn der Fahrer mir ein Gespräch aufdrängen will, insbesondere, wenn ich in Begleitung unterwegs bin. Aber ich versuche meiner Familie zu beweisen, wie umgänglich und nett ich bin. »Und warum das?«, frage ich mit geheucheltem Interesse.
»In dem Hotel steppt dieses Wochenende der Bär.«
»Wegen des Feiertags und des langen Wochenendes, meinen Sie?«
»Auch, aber vor allem wegen der Stripper und Pornostars.«
Verdatterte Stille macht sich auf den hinteren Sitzen breit.
»Sie wissen aber schon, dass dieses Wochenende die Erotik-Messe in Ihrem Hotel stattfindet, oder?«
058
Die nächsten drei Tage bringt mein Vater damit zu, sich vor meiner Mutter zu verstecken. Und da die zufälligerweise nichts Besseres zu tun hat, als an mir zu kleben wie eine Klette, ist auch Fletch wie vom Erdboden verschluckt. Gelegentlich erhaschen Mom und ich in einem der Restaurants oder Bars des Hotels einen flüchtigen Blick auf die beiden Abtrünnigen, die mit ebenfalls früher angereisten Freunden die Sau rauslassen. Ich bin froh, dass die beiden sich so gut amüsieren. Die Panikzustände meiner Mutter haben bisher ungeahnte Höhen erreicht, und wir zanken uns ununterbrochen wegen allem und jedem. (»Bis Treasure Island zu laufen würde mindestens eine Stunde dauern, selbst wenn wir einen Teil der Strecke mit der Einschienenbahn fahren.« »Nein, bestimmt nicht.« »DOCH, BESTIMMT.« »Warum benutzt du keine Sonnencreme?« »Weil ich richtig knackig braun werden will.« »Davon bekommt man Hautkrebs.« »Bestimmt sterbe ich vorher an einem Herzinfarkt.« »Meinst du wirklich, es ist gut, so viel Geld an den Spielautomaten zu verschleudern?« »Das waren fünf Dollar in Fünfcentstücken!«) Zum Glück ist mein Bruder gestern Abend angekommen, und obwohl er eigentlich ein Stinkstiefel ist, trägt seine Anwesenheit dazu bei, die Atmosphäre etwas zu entspannen. Er und Mom sind gerade irgendwo unterwegs. Ich weiß nicht, was sie machen, und will es auch nicht wissen, denn endlich bin ich ganz allein und genieße die herrliche, köstliche Einsamkeit.
Weil wir unser Geld zusammenhalten müssen und noch keine Geschenke bekommen haben, kann ich meine kostbare Freizeit nicht dazu nutzen, das zu tun, was ich sonst immer in Las Vegas mache. Da also sowohl Shoppen als auch Spielen gestrichen sind, tue ich was für meine Bräune. Mir gefällt es hier ganz prima, denn der Außenbereich des Mandalay Bay sucht seinesgleichen. Überall in der prächtigen, üppig grünen Parklandschaft verstreut laden Schwimmbecken und Whirlpools zum Baden ein, obwohl ich persönlich den riesigen Natursandstrand am Wellenbad am tollsten finde.
Aber heute hat es mir irgendwie den Spaß verdorben. Es scheint nämlich, als sei ich die Einzige am Pool, die nicht im Abspann von Analpiraten II genannt wird, und ich fühle mich reichlich unwohl. Eigentlich will ich gar nicht hinschauen, aber ich kann einfach nicht anders. Mal ehrlich, noch nie in meinem ganzen Leben habe ich so viel Silikon auf einem Haufen gesehen! Das schlummernde Mädel rechts neben mir scheint unter ihren winzigen Augenklappen von einem Bikinioberteil hautfarbene Wassermelonen zu verstecken, und die Frau zu meiner Linken trägt nichts als Däumelines Unterwäsche - zwei mit Zahnseide befestigte Fingerhütchen. Vorhin hat sich ein Herr, der in seiner Badehose wohl eine übergroße Zucchini schmuggelte, gleich nebenan auf meiner Augenhöhe mit Pornosternchen Däumeline über ihren neuesten Film unterhalten. Ich hatte Angst, mir mit einer falschen Bewegung womöglich ein Auge auszustechen, weshalb ich nicht so genau mitbekommen habe, worüber die beiden eigentlich redeten, doch ich glaube, es ging dabei um einen »Rimjob«.98
Angesichts dieser völligen Reizüberflutung schließe ich die Augen und mache sie erst wieder auf, als ein großer Schatten mich streift. Ich gucke hoch, und mein Blick fällt statt auf eine flauschige Schäfchenwolke auf einen haarigen, dicken, aber irgendwie tröstlich vertrauten Bauch.
»Hey, Schweinchen Dick!«, ruft mein Bruder fröhlich.
»Todd! Was machst du denn hier?« Sein Flieger ist gestern Abend so spät gelandet, dass ich schon im Bett war, als er ankam, und ich ihn bisher noch nicht gesehen habe.
»Haste mal zwanzig Dollar?«
»Wozu?« Mein Bruder hat massenweise Geld, mehr, als er ausgeben kann. Trotzdem macht es ihm einen Heidenspaß, mich anzupumpen, und er hat es im Laufe der Jahre in dieser hohen Kunst zu wahrer Meisterschaft gebracht.
»Ich habe dir Mom den ganzen Morgen vom Hals gehalten, und gerade habe ich sie mit Tante Virginia zum Mittagessen geschickt, also wirst du sie bis zum Probedinner heute Abend nicht mehr zu sehen bekommen.« Habe ich nicht gesagt, der Kerl ist klasse?
»Also gut«, entgegne ich und greife in meine Strandtasche. Aus der angele ich meinen letzten Zwanzigdollarschein, den ich Todd reiche. »Danke. Das ist gut angelegtes Geld.«
Däumeline bietet Todd ihren Liegestuhl an, weil sie mit der Gleitgel-Gang zum Mittagessen geht. Ich bedanke mich artig, denn mal ehrlich, was soll ich sonst machen? Todd lässt sich mit einer Sports Illustrated, einer Sporting News, einem Baseball Digest, einem Golf Magazine, dem Sportteil der heutigen Zeitung und einem Handtuch auf die Liege fallen.
»Ich kann es kaum glauben, dass du tatsächlich gekommen bist. Musst du nicht irgendeinen dringenden Artikel schreiben über irgendeinen Sportler, der irgendein Wurfgeschoß durch irgendwas Rundes oder Eckiges befördert hat?« Mein Bruder ist Sportredakteur bei einer Zeitung und arbeitet eigentlich ununterbrochen. Gott sei Dank ahnt sein Arbeitsgeber nicht, dass mein Bruder ihn für das Privileg bezahlen würde, den ganzen lieben langen Tag über Sport berichten zu dürfen.
»Nö, ich habe einen Praktikanten, der meine Seite für ein paar Tage übernimmt, also kein Problem. Hey, wie komme ich denn an einen von diesen swimmingpoolgroßen Strawberry Margaritas?«
»Du brauchst bloß das Fähnchen an der Rückenlehne aufzustellen. So.« Ich zeige ihm an meinem eigenen Liegestuhl, wie das funktioniert.
Gleich darauf erscheint eine Kellnerin, die unsere Bestellung aufnimmt, und es dauert nicht lange, da schlürft Todd zufrieden seinen Cocktail, während sein Blick zwischen einem Artikel über die Red Sox und den in den Wellen planschenden Pornoköniginnen hin und her wandert.
»Ich hoffe, die tun dieses Wochenende ein bisschen mehr Chlor ins Wasser«, kichert Todd fies.
»Mal ehrlich. Diese Messe macht mich noch wahnsinnig. Gestern Abend haben Mom und ich auf ein Taxi gewartet, und gleich neben uns stand eine Frau in einem Gummikleid, das aussah, als wäre es aus einem Luftballon geschneidert. Ihr Kleid war so kurz, sie hätte es auch als Trägertop tragen können. Und hinter uns standen ein paar Männer und schwärmten doch tatsächlich, wie gut sie duftet. Da bin ich richtig fuchsig geworden. Entschuldige bitte, aber ich bin diejenige, die sich kurz vorher geduscht, eingecremt und mit J’adore Dior parfümiert hat. Sie hat nach Krabbendip gerochen.«
»Jean war auch nicht gerade begeistert, als ich ihr gestern Abend am Telefon von den Stripperschwadronen erzählt habe.« Hm, Jean sitzt allein zuhause und kümmert sich um drei Kleinkinder, während ihr Mann sich in einem Hotel voller Erotikdarstellerinnen verlustiert. Weiß gar nicht, weshalb die sich aufregt.
»Hat Mom dir von dem Kerl mit dem fettigen braunen Teint und der Tonne Goldkettchen um den Hals erzählt, der mich doch tatsächlich gefragt hat, ob ich auch zu der Messe hier bin? Ich habe zu ihm gesagt: ›Hören Sie mal, mein Lieber, ich trage ein rosa Lacoste-Hemd, eine grüne Caprihose und eine dreireihige Perlenkette. Was davon sagt Ihnen: ›Vögelt gegen Geld vor laufender Kamera mit wildfremden Menschen‹?«
»Als heute Morgen eine ganze Horde Stripperinnen vor uns aus dem Aufzug gestiegen ist, meinte Mom: ›Ich kann einfach nicht anders, als ihnen auf die Brüste zu starren.‹ Ich glaube, ihr war nicht klar, dass da noch andere Leute im Aufzug waren, die das mit angehört haben«, erzählt Todd kichernd. Meiner Mutter und mir fehlt die Firewall im Gehirn, die verhindert, dass jeder Gedanken, der uns kommt, gleich unzensiert herausblubbert.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt denken, du amüsierst dich köstlich. Wie oft habe ich dich schon sagen hören, dass du Las Vegas hasst und niemals, nie im Leben dahin fahren würdest?«
Er zuckt die Achseln. »Ich sage viel, wenn der Tag lang ist, nur um dich zu ärgern.«99
»Wenn ich verheiratet bin, behandelst du mich dann endlich wie einen erwachsenen Menschen? Und hörst auf, gemeine Artikel über mich zu schreiben? Versuchst mir nicht jedes Mal Geld aus den Rippen zu leiern, wenn wir uns sehen?«
»Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen, aber weil es deine Hochzeit ist, mache ich dir ein Angebot. Du gibst mir fünf Dollar, und ich bin den Rest der Woche nett zu dir.«
»Du bist echt ein Prinz.«
»Genau.«
Missmutig drücke ich ihm fünf Eindollarscheine in die Hand. »Hey, Todd, wie hast du mich eigentlich hier draußen gefunden? Der Strand ist doch bestimmt zehn Hektar groß, ganz zu schweigen von der restlichen Pool-Landschaft.«
»Ich habe oben bei Mom und Dad aus dem Fenster geguckt und nach dem fettesten Klops am ganzen Strand Ausschau gehalten. Als ich einen weißen Wal gesehen habe, war ich mir ziemlich sicher, dass du das sein musst, und da bin ich.«
Ich strecke die Hand aus und verlange wortlos meine fünf Dollar zurück.
Widerstandslos händigt er sie mir aus. »Aber das war’s wert.«
059
»Mach schon, Mom. Wir müssen zu unserem Termin.« Es ist mein Hochzeitstag, und ich stehe auf dem Flur vor dem Hotelzimmer meiner Eltern, hämmere wie wild gegen die Tür und versuche, meine Mutter aus dem Bett zu bekommen. Ich kann es nicht fassen, dass ich sie doch tatsächlich raustrommeln muss. Bei dem ganzen Wirbel, den sie um die Hochzeit veranstaltet hat, hätte ich angenommen, sie wäre schon seit Sonnenaufgang auf den Beinen. »Wenn wir nicht auf der Stelle zum Spa runtergehen, haben wir keine Zeit mehr für Kaffee und Muffins.«
Meine Mutter macht die Tür auf, und entsetzt sehe ich, wie blass sie um die Nase ist. »Ach du lieber Himmel! Was ist denn mit dir passiert?«, rufe ich entgeistert.
»Pssst, krank. Sehr, sehr krank«, flüstert sie kaum hörbar und stützt sich an meiner Schulter ab. »Ich weiß gar nicht, warum. Dabei habe ich bloß ein Glas Wein getrunken.
»Mom? Wie kannst du behaupten, es sei bloß ein Glas gewesen, wenn der Kellner dir doch immer wieder nachgeschenkt hat.«
Empört schnappt sie nach Luft. »Jennifer, das ist eine Lüge! Ich trinke nicht! Und außerdem habe ich nur ein einziges Glas getrunken. Das war sicher eine allergische Reaktion auf die Tannine im Rotwein.«
»Du hast neben mir am Tisch gesessen, und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie der Kellner dir mindestens fünfzehn Mal das Glas nachgefüllt hat. Du kannst es dir gerne selbst ausrechnen: Es waren nur zwanzig Gäste beim Probedinner, aber wir haben fünfzig Flaschen Wein geleert. Das macht im Durchschnitt etwa zehn Gläser pro Nase.«
»Ich habe keinen Kater! Ich bin krank! Ich habe gestern Abend zu viel fettes Essen gegessen, und das hat eine Kreuzreaktion mit den Tanninen hervorgerufen.«
»Ach, tatsächlich? Tja, wenn du keinen Kater hast, dann macht es dir sicher auch nichts aus, wenn ich von einem fettigen Schweinekotelett mit Zwiebeln erzähle, serviert in einem dreckigen Aschenbecher?«
»Nein!«, kreischt sie und stürzt zu dem Mülleimer neben dem Fahrstuhl.
»Willst du jetzt deine ›Ein Glas‹-Antwort noch mal überdenken?«
»Na ja, vielleicht waren es auch zwei Gläser, aber mehr nicht«, behauptet sie felsenfest. Während uns der Aufzug zum Spa-Bereich bringt, lehnt meine Mutter sich mit beiden Händen gegen die Wand, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Ach, schaut alle her, es ist Julia, die Königin der Leugner! Mom, weißt du noch, warum Fletch und ich das Probedinner gestern Abend so früh verlassen haben?«
»Ehrlich gesagt, nein.«
»Kannst du dich daran erinnern, wie du und Kusine Karla angefangen habt, ›Show Me the Way to Go Home‹ zu singen, und wir euch angefleht haben, es sein zu lassen? Und du hast mich bloß angeguckt mit zerzausten Haaren und deinem auf Halbmast über die Schulter gerutschten Blazer und hast genuschelt: ›Isss main groooßer Tag, unn isch mache, wasss isch will‹, also habe ich mich zu Fletch umgedreht und gesagt: ›Wir verschwinden.‹«
»So was würde ich niemals tun. Und es war bloß ein Glas. Höchstens zwei.«
»Wenn du dir das lange genug einredest, glaubst du es bestimmt irgendwann.«
Ich melde uns an der Rezeption des Spas an. »Hallo, ich komme wegen des Zuckerpeelings, und diese strahlende Brautmutter hier bekommt eine Massage.« Womit ich auf meine Mutter weise, deren Gesicht sich inzwischen grasgrün verfärbt hat. Dann nehme ich dankend Bademäntel und Schlüssel entgegen, und wir gehen zum Umziehen in die Kabinen.
Im Wartebereich des Wellness-Bereichs lasse ich mir Muffins, Obst und einen Champagner mit Orangensaft schmecken, während meine Mutter sich krampfhaft an eine Wasserflasche klammert. Ich halte ihr mein Glas unter die Nase. »Na, ein bisschen Gegengift vielleicht?« Angeekelt zuckt sie zurück und verbirgt das Gesicht in den Händen. Dann kommt die Kosmetikerin und holt mich ab, und als ich ihr folge und hinausgehe, rufe ich über die Schulter zurück: »Kübel nicht auf die Massageliege!«
Nach dem Zuckerpeeling dusche ich mich ab und suche meine Mutter. Eigentlich wollten wir ein bisschen ins Eukalyptus-Dampfbad gehen und anschließend in die Sauna, ehe wir zur Maniküre müssen.
»Jennifer?«, fragt die Dame hinter dem Schalter.
»Ja?«
»Ihre Mutter lässt Ihnen ausrichten, dass sie später beim Friseur wieder dazustößt. Ich glaube, sie ist nach oben gegangen, um sich noch mal ein Weilchen hinzulegen.«
»Danke fürs Ausrichten.«
»Meinen Sie, es ist alles in Ordnung? Sie sah ziemlich mitgenommen aus.«
»Sie wird sich schon wieder berappeln«, versichere ich. »War ja schließlich nur ein Glas Wein.«
060
Hunderttausend Mal habe ich mir meinen Hochzeitstag im Geiste schon ausgemalt. Aber in keiner dieser Phantasien war meine Abstinenzler-Mutter zu verkatert, um mir beim Zurechtmachen zu helfen. Weil ich keine meiner Freundinnen zwangsverpflichten möchte, mir zur Hand zu gehen, ist im Augenblick niemand da. Fletch wird gerade im Herren-Spa geschniegelt und gestriegelt, also bin ich ganz allein im Zimmer, esse ein Clubsandwich und trinke eine Cola, während ich mir eine Wiederholung von The Real World San Francisco anschaue. 100
In einer halben Stunde muss ich in der Kapelle sein, also wird es langsam Zeit, das Kleid anzuziehen. Nachdem ich mir die Mayo von den Händen gewaschen und meinen Lippenstift nachgezogen habe, schlüpfe ich hinein und versuche, den Reißverschluss hochzuziehen. Aber ich schaffe es nur bis auf halbe Höhe, weil ich nicht richtig drankomme. Ich winde mich und mühe mich ab, bis mir der Schweiß ausbricht, aber alles vergebens. Die Brautzeitschriften haben mich angeschmiert: Wie der schönste Tag meines Lebens fühlt sich das ganz bestimmt nicht an.
Zum Glück sieht es aber zumindest aus wie der schönste Tag meines Lebens. Die Friseurin hat mir die Haare locker hochgesteckt und über und über mit winzig kleinen Orchideen besteckt. Es sieht ein bisschen wild und zerzaust aus, nach Brigitte Bardot in jungen Jahren. Und mein Make-up ist der Hammer - die Visagistin hat einen schimmernden Puder auf meine Wangenknochen aufgetragen, und das sieht einfach umwerfend aus. Mein Mittagessen habe ich vor dem Spiegel gegessen, weil ich einfach nicht die Augen von mir lassen konnte und mich dauernd selbst bewundern musste. Ich bin eine echt rattenscharfe Braut.
Hilfesuchend rufe ich im Zimmer meiner Eltern an. Mit amüsiertem Ton setzt mein Dad mich darüber in Kenntnis, dass sie augenblicklich rüberkommen, sobald meine Mutter aufhört zu würgen. Dann lässt er sich über seinen Kummerbund aus. Er ist sauer auf meine Mutter, weil sie darauf bestanden hat, dass er einen Smoking trägt statt eines Blazers und des Hawaiihemds darunter, das ich ihm extra für die Trauung gekauft habe. Wie es scheint, bin ich nicht die Einzige, die mit einem mütterlich bedingten Garderobendilemma zu kämpfen hat.
Nur halb bekleidet, aber strahlend sitze ich auf der Bettkante und warte. Ganz sicher muss ich doch nicht mit herausblitzendem Stahl-BH vor den Altar treten, oder?
061
Da stehe in ich nun, kurz davor, vor Gott und den wichtigsten Menschen in meinem Leben ein feierliches Gelübde abzulegen, und kann an nichts anderes denken als daran, dass der Priester aussieht wie Father Guido Sarducci aus Saturday Night Live.
»Fletch, Guido Sarducci! Er sieht aus wie Father Guido Sarducci«, flüstere ich, ohne die Lippen zu bewegen.
»Genau das habe ich auch gedacht«, wispert er zurück.
»Vielleicht ist er es ja wirklich. Wann hast du ihn das letzte Mal im Fernsehen gesehen? Hey, hast du den kleinen Gangster gesehen, der vor uns geheiratet hat? Seine Braut sah aus, als sei sie höchstens vierzehn, und die hatten schon ein Baby! Und hast du das Tattoo gesehen, das er im Nacken hatte? Der muss …«
Der Priester beginnt mit der Trauungszeremonie. Oh. Wahrscheinlich sollten wir jetzt besser die Klappe halten. Ich hätte schon beinahe Ärger bekommen, weil ich auf dem Weg zum Altar stehengeblieben bin, um einige meiner Gäste zu begrüßen.
Wir haben uns für eine christliche Trauung entschieden. Ich meine, bloß weil ich in einem Casino heirate, heißt das ja noch lange nicht, dass ich ein Heidenkind bin. Allerdings auch Gott eingeschlossen dürfte die ganze Sache eigentlich nicht länger als eine Viertelstunde dauern, was ein neuer Rekord wäre verglichen mit sämtlichen anderen Hochzeiten, auf denen ich bisher war. Auf der Highschool waren Carol und ich bei der Hochzeit eines Mädchens namens Janine, die haargenau sechzehn Minuten dauerte. Wobei sie erst sechzehn und hochschwanger war, aber trotzdem - der Punkt geht an mich.
Haben Sie schon mal eine katholische Trauung mit komplettem Hochamt erlebt? Himmel. Da kann man alt und grau werden und tot umfallen, ehe das Brautpaar endlich im Bund der Ehe vereint ist. Bei einer fünfzehnminütigen Zeremonie bleibt keine Zeit für belanglose Albernheiten, die alle Anwesenden zu Tode langweilen, wie dieses schreckliche »Liebe ist«-Gesülze oder dieses unsägliche »Heute heirate ich meinen Freund«-Gedicht. Igitt. Da würde ich lieber Homer Simpsons Ehegelöbnis aus der Folge »Scheide sich, wer kann« vortragen: »Willst du, Marge, deinen Homer, in Armut oder Reichtum - Armut ist unterstrichen - trotz Impotenz oder Überpotenz, in stiller Einsamkeit oder im Sturm über der Alkali-Ebene in einem düsengetriebenen, von einem Affenpiloten gelenkten …«
Fletch stupst mich an. Hä? »Oh, ähm, ja, ich stehe heute aus freiem Willen vor Ihnen«, sage ich zu Father Guido.
»Wunderbar«, entgegnet er. »Und nun möchte ich eine Stelle aus dem Ersten Brief an die Korinther vortragen.« Father Guido setzt schwungvoll die Brille ab, und ich verdrehe unabsichtlich die Augen. Verzeihung, Padre? Zwanzig Mal am Tag ziehen Sie diese Feier durch, ich würde also drauf wetten, dass Sie das alles in- und auswendig können. Der dramatische Effekt des Entfernens der Lesehilfe ist zwar recht eindrucksvoll, aber Theatralik ist hier nicht vonnöten. Das Video kaufen wir sowieso - also keinerlei Anlass für theosophische Treueschwüre, ja?
»Ähm. Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig …«
ARRRGH!
062
Nach der Trauung müssen Fletch und ich für mindestens tausend Fotos posieren. Mein Bruder knipst gelegentlich ein bisschen für seine Zeitung, also macht er auch heute ein paar Bilder von der Hochzeit. Todd und unser Fotograf scheinen sich ein professionelles Wettweitpinkeln zu liefern, bei dem es darum geht, wer die meisten Linsen im Köfferchen hat und uns aus den unterschiedlichsten Winkeln ablichtet.
»Hey, Ansel Adams, Annie Leibovitz, könntet ihr endlich zu Potte kommen? Bei der Feier wird es bestimmt mehr als genug Gelegenheiten geben zum Fotografieren, und ich fange langsam an zu schmelzen«, jammere ich. Bei vierzig Grad im Schatten ist auch trockene Hitze unerträglich, ganz besonders in meinem Taucheranzug-Miederkorsett. »Ich fühle mich wie ein Schweinebraten, der im eigenen Saft schmort. Los, Schluss jetzt!«
»Aber das sind Erinnerungen, an die Sie Ihr ganzes Leben lang zurückdenken werden«, entgegnet unser Profiknipser.
»Nein, meine Erinnerungen finden DRINNEN statt, wo meine Freunde und meine Familie bereits die Vorzüge von Klimaanlage und Kaltgetränken genießen. Die einzige Erinnerung, die ich gerade habe, sind Schweißperlen, die mir die Visage runterlaufen. Also können wir jetzt bitte reingehen?«
Worauf unser Fotograf entgegnet: »Natürlich!«
»Na endlich!«
»Sobald wir die Aufnahme neben dem Mosaikbrunnen im Kasten haben.«
»Und mit den Elefantenstatuen!«, wirft mein Bruder ein.
»Die Eisentore nicht zu vergessen!«
»Und was ist mit den riesigen Palmen?«
»Hey, wissen Sie, was eine tolle Einstellung wäre? Durch das Blattwerk. Machen wir noch schnell ein paar...«101
Als wir dann endlich nach drinnen gehen dürfen, bin ich bestimmt zehn Pfund leichter. Um die Wartezeit zu verkürzen, haben unsere Gäste die vergangenen zwei Stunden eifrig zum Trinken genutzt, und einige unserer Freunde sind bereits jenseits von Gut und Böse. Fletchs alter Kumpel aus Army-Zeiten, Joel, ist dermaßen hinüber, dass Fletch ihn nach oben in unser Zimmer bringen muss, damit er sich hinlegen kann.
Da alle anderen schon seit TAGEN auf der Feier sind, bekom-men wir die letzten übriggebliebenen Plätze, direkt vor einer Wand, flankiert von meiner Mutter und meinem Vater. Gegenüber sitzen ein paar ihrer Nachbarn. Meine Mutter hat darauf bestanden, dass die anderen Gäste an einem großen, leicht zugänglichen Tisch am Kopfende Platz nehmen, während wir in einer Art winziger Hochzeitsloge eingepfercht sind, in der es quasi unmöglich ist, dass wir a) aufstehen oder b) irgendjemand zu uns rüberkommt, um sich mit uns zu unterhalten. Momzilla hat heldenhaft ihren Kater bezwungen und weicht nicht mehr von meiner Seite. Endlich weiß sie all die harte Arbeit zu schätzen, die ich investiert habe, und die Krittelei ist umgeschlagen in einen Schwall physischer Zuneigungsbekundungen: »Ich kann nicht gleichzeitig trinken und deine Hand halten, Mom.« »Du schnürst mir die Luft ab.« »Bitte, setz dich auf deinen eigenen Stuhl.« »Du hast mich heute schon öfter geküsst als mein Ehemann. HÖR JETZT AUF DAMIT.« Die Aussicht, noch ein paar Bilder zu schießen, wirkt plötzlich verlockend, böte das doch eine willkommene Gelegenheit, dieser Enge und der alles erdrückenden Mutterliebe zu entkommen.
Insgesamt verbringe ich beim Empfang etwa sechsunddreißig Sekunden mit meinen Freunden, weshalb wir uns für später verabreden. Vorher möchte ich mich schnell umziehen. Irgendwie werde ich dann auch noch dazu verdonnert, Torte und Blumen auf das Zimmer meiner Eltern zu bringen.102
Es dauert gut eine halbe Stunde, bis ich wieder unten vor dem Rum Jungle stehe. Vor dem Club hat sich eine Schlange gebildet, die ich ganz selbstverständlich links liegen lasse. Als ich gerade über das Absperrseil steigen und hineingehen will, baut sich ein gigantischer Fleischberg im Anzug mit Kopfhörer auf den Ohren vor mir auf und versperrt mir mit einem enormen Arm den Weg.
»Verzeihung«, sage ich und will um ihn herumgehen.
»Bis zehn ist geschlossene Gesellschaft.«
»Ja, das weiß ich. Da drinnen findet eine Privatparty statt - meine nämlich.«
»Die Party ist vorbei. Bis zehn ist geschlossen, bis die Bestuhlung raus und alles wieder für den normalen Betrieb aufgebaut ist.«
»Aber alle meine Gäste sitzen da drinnen an der Bar. Es kann also gar nicht geschlossen sein, wenn noch Getränke ausgeschenkt werden.«
»Tut mir leid. Vor zehn kann ich Sie da nicht reinlassen.«
»Darf ich denn wenigstens schnell reingehen und meinen Freunden Bescheid sagen? Die fragen sich sicher schon, wo ich stecke.«
»Klar.« Woraufhin ich zur Tür marschieren will, aber wieder stellt er sich mir in den Weg.
»Um zehn Uhr.«
Jetzt verstehe ich, was hier los ist. Diese ungelenke, steroidverdummte Genmutation erlaubt sich einen Spaß mit mir. Kumpel, das ist heute nicht der richtige Tag für deine Sperenzchen.
»Wollen Sie damit sagen, meine Eltern haben Tausende von Dollar für diesen Abend hingeblättert, und Sie wollen mich, die Braut, nicht ZU MEINER EIGENEN HOCHZEITSGESELLSCHAFT LASSEN?«
»Ach, klar können Sie zu denen.« Er knackt mit den Knöcheln seiner tellergroßen Hände.
»Danke sehr.«
»Um zehn Uhr.«
»Habe ich hier irgendwas verpasst? Denn offensichtlich drücke ich mich für Sie unverständlich aus. Sagen Sie, soll ich Sie vielleicht mit dem Geld bestechen, das ich zu meiner Hochzeit geschenkt bekommen habe - und das ich dringend brauche, damit ich nicht aus meiner Wohnung fliege - und einen schönen dicken Schein rausrücken, um mir das Privileg zu erkaufen, an meiner eigenen Hochzeitsfeier teilnehmen zu dürfen?«
Ein Muskel an seinem gewaltigen Kiefer verspannt sich, und er bedenkt mich mit einem fiesen kleinen Grinsen. Sein Blick wandert erst nach links und dann nach rechts, und dann beugt er sich zu mir herunter und erklärt: »Könnte nicht schaden.«
»Glauben Sie mir, könnte es wohl.« Und damit wende ich mich an die Schlange wartender Gäste. »Hey, Leute! Dieser Herr hier erwartet von mir, dass ich ihn BESTECHE, um zu meiner eigenen Hochzeitsfeier gelassen zu werden. Können Sie sich vorstellen, jemand würde so tief sinken, einer Braut an ihrem Hochzeitstag Kohle abknöpfen zu wollen? Also, ich BESTECHE den Kerl ganz sicher nicht, aber wie es aussieht, muss man nur genug Asche ausspucken, dann kommt man auch früher rein!« Ich erwidere das fiese Lächeln des Türstehers und weide mich am Anblick seines Gesichts, das unter der Sonnenbräune kreidebleich geworden ist. »So, also, wie wär’s, wenn ich jetzt schnell reinflitze und meinen Freunden Bescheid sage?«
Beim Rauskommen wünsche ich dem Türsteher unüberhörbar viel Glück beim Schmiergelderkassieren und versichere ihm, dass er uns zum letzten Mal hier gesehen hat. Was ihn nicht weiter kratzt, aber ich fühle mich danach sehr viel wohler.
Irgendwann im Verlauf der letzten halben Stunde muss ich wohl meines Bräutigams verlustig gegangen sein. Er und ein paar Kumpels aus seiner Studentenverbindung sind losgezogen, um mich zu suchen, als ich auf Tortenmission unterwegs war. Wir Übriggebliebenen machen uns auf den Weg zu einer der Lounges, wo wir es uns auf einigen einladenden Couches bequem machen. Nach ein paar Drinks fällt mir auf, wie müde ich eigentlich bin, aber ich will nicht schlafen gehen, ehe Fletch wieder zu uns gestoßen ist. Ich warte und warte, doch er taucht nicht auf. Gegen halb zwölf bitte ich meinen Bruder, Fletch auszurichten, ich sei schon mal auf unser Zimmer gegangen und er solle gleich nachkommen.
Das Erste, was ich sehe, als ich die Tür aufschließe, ist das Kinderbett … allerdings erst, nachdem ich darübergestolpert bin.
Ganz außer mir rufe ich an der Rezeption an. »Ja, hier ist Jennifer Lancaster aus einer Ihrer Hochzeitssuiten. … Bestens, danke. Wobei, nein, eigentlich geht es mir gerade nicht so gut. Man hat mir ein KINDERBETT aufs Zimmer gestellt, und ich bin darüber gestolpert und möchte es gerne entfernen lassen.… Mhm, ja. … Wissen Sie, sämtliche anderen Hochzeitspaare, die ich heute in der Kapelle gesehen habe, hatten schon Kinder, also war es sicher für eins der anderen Zimmer bestimmt.… Vielleicht versuchen Sie es erst mal bei der Kinderbraut und ihrem tätowierten Stecher. Die sehen aus, als würden sie nicht immer die klügsten Entscheidungen treffen, und ich würde wetten, das Baby schläft heute Nacht bei ihnen im Zimmer. … Prima. Vielen Dank.«
Ich reibe mir die Hüfte, die ich mir an dem Bettchen angestoßen habe, und schaue mich im Zimmer um. Das Bett ist zerwühlt, weil Joel darin seinen Rausch ausgeschlafen hat, und er hat einen Fleck hinterlassen, der hoffentlich bloß eine Bierlache ist. Keine Ahnung, warum Fletch ihn nicht auf die COUCH verfrachtet hat, aber ich werde mich jetzt nicht aufregen. Heute ist der schönste Tag in meinem Leben, und er war einfach perfekt. Ich hatte zwar nicht allzu viel Gelegenheit, ihn zu genießen, meine Gäste allerdings dafür umso mehr, und ich denke, das ist doch auch schon mal was.
Dann erst fällt mir auf, dass das ganze Zimmer durchdringend nach Zigarettenqualm stinkt. Fletch muss hier oben gewesen sein und mich gesucht haben, denn sein ganzes Gefolge raucht, wenn sie trinken. Sämtliche Aschenbecher unserer Suite sind leer, weshalb ich mich frage, wo sie die Kippen wohl entsorgt haben. Der Gestank von abgestandenem Zigarettenrauch ist so durchdringend, dass mir übel wird.
Ach … verstehe. Sie haben ihre Kippen in den Überresten meiner letzten Mahlzeit auf dem Tablett des Zimmerservice ausgedrückt. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht in die Luft zu gehen. Ich sage mir selbst immer wieder: schönster Tag, glückliche Gäste, hübsch ausgesehen beim Sandwich-Essen, alles okay.
Angeekelt stelle ich das zigarettenverseuchte Tablett auf den Flur, und endlich erscheint auch jemand vom Service, um das Kinderbettchen abzuholen. Ungeduldig laufe ich in der Suite auf und ab und warte darauf, dass Fletch nach oben kommt. Dann können wir gemeinsam die Geschenke auspacken und haben endlich ein bisschen Zeit für uns. Klingt himmlisch, wenn Sie mich fragen.
Eine weitere halbe Stunde vergeht, ohne dass es ein Lebenszeichen von Fletch gibt … und noch eine halbe Stunde … und dann eine Stunde.
Um zwei Uhr nachts schäume ich schließlich vor Wut. Das ist meine Hochzeitsnacht - also wo zum Kuckuck steckt mein Bräutigam? Das Einzige, worum ich ihn heute gebeten hatte, war, er solle bitte nicht zu viel trinken, weil ich verhindern wollte, dass ich böse auf ihn werde. Angefleht habe ich ihn, um genau zu sein, und er hatte mir hoch und heilig versprochen, sich anständig zu benehmen. Meinen Berechnungen zufolge hat er seit etwa zehn Stunden freien Zugang zu alkoholischen Getränken, also wird er inzwischen sturzbetrunken sein.
Vor einer Stunde habe ich einen wirklich SEHR unsexy wirkenden grauen Flanellpyjama angezogen, meine aufwendige Hochzeitsfrisur gelöst und mir das Hundertachtzig-Dollar-Make-up aus dem Gesicht gewaschen. Da er in absehbarer Zeit NICHT mit mir in diesem Bett schlafen wird, kann er sich auch gleich jeglichen Anflug einer romantischen Hochzeitsnacht abschminken.
Ich gucke gerade das Einzige, was noch im Fernsehen läuft - einen Film mit Britney Spears -, als Todd, Carol und meine Freundin Jen Fletch gegen drei Uhr morgens zur Tür hereintragen.
»Hi! Frrrröhlichen Hochssseitssstaaaag!«, lallt Fletch zur Begrüßung, als er mich sieht, und stolpert ins Zimmer.
»WO ZUM GEIER BIST DU GEWESEN?« Mir kommt Dampf aus den Ohren. Vor ungefähr einer Viertelstunde ist meine Wut in schiere Mordlust umgeschlagen.
Todd antwortet an seiner Stelle. »Er war unten bei uns. Hey, Jen, ich wollte mir was von dir ausleihen, ich …«
»Ich sitze seit beinahe vier Stunden hier oben rum und warte auf dich«, schäume ich. »Ist dir nicht irgendwann mal in den Sinn gekommen nachzuschauen, wo ich bin? Vielleicht mal anzurufen und zu fragen, was ich so mache?« Wütend stampfe ich durch das Zimmer und fange an, Sachen aufzuheben und geräuschvoll hinzustellen.
»Waaaasss?«, nuschelt er.
»Ach, ich bin davon ausgegangen, du bist längst im Bett, also dachte ich, es ist nichts dabei, wenn er noch ein bisschen mit uns abhängt«, wirft Todd ein.
»Habe ich dich gebeten, das auszurichten? Nein. Ich habe dir gesagt, du sollst ihn nach oben schicken, sobald er auftaucht«, entgegne ich. »Ach übrigens, Fletch, besten Dank, dass deine Freunde das Zimmer in Schutt und Asche gelegt haben. Es gibt doch nichts Einladenderes in einer Hochzeitssuite als ein paar Zigarettenkippen, ausgedrückt in einem halbgegessenen alten Sandwich. Und du kannst nur hoffen, dass der Fleck auf der Bettdecke bloß Bier ist, denn du schläfst mit dem Ding auf der Couch.« Und damit packe ich meinen Brautstrauß und werfe ihn nach Fletch. Die Blumen prallen an seiner Brust ab, wobei einige Gardenien regelrecht explodieren.
Während ich tobe, schieben Carol und Jen sich langsam und unauffällig Richtung Tür. »Bye, Jen.« »Gute Nacht, Jen.« »Melde dich, wenn du wieder zuhause bist.« »Danke für alles.«
»Hey, immer mit der Ruhe. Wir haben Fletch gesagt, dass das in Ordnung geht, und wir hatten alle viel Spaß. Ehrlich, eigentlich müsstest du auf uns sauer sein«, meint mein Bruder.
»Todd, Fletch kann seine eigenen Entscheidungen treffen. Und er wollte sich lieber mit seinen Kumpels besaufen, statt den Abend MIT SEINER GERADE ANGETRAUTEN FRAU ZU VERBRINGEN. Und das? Geht einfach gar nicht.«
»Okay, ich verschwinde, aber zuerst musst du mir …« »RAUS! RAUS! RAUS!«, kreische ich in den höchsten Tönen, während mein Bruder Hals über Kopf aus dem Zimmer flüchtet.
Fletch lockert seine Fliege, plumpst bäuchlings ins Bett und will sich die Decke über den Kopf ziehen.
»Oh nein, tust du nicht! DU! COUCH! JETZT!«
»Nein, will hier schhhlafen, weil iss’ne schööööne Hochssseit«, lallt er.
»Ganz bestimmt nicht«, zische ich und wälze ihn dann vom Bett.
»Uff. Autsch. Kofffschtossn. Du bissne böse Frauuu. Hätte niemalsss nich heirann sssolln.«
Kann es mir da irgendwer verdenken, dass ich seinen Laptop nach ihm geworfen habe?