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Wen will behaupten, die Romantik sei
tot?
An: SweetMelissa
Von: jen_lancaster@hotmail.com
Datum: 27. August 2002
Betreff: Hier kommt die Braut …
Von: jen_lancaster@hotmail.com
Datum: 27. August 2002
Betreff: Hier kommt die Braut …
Melissa,
damit Du was zu lachen hast, hier ein kleine Liste
aller Leute, die ich in den vergangenen vierundzwanzig Stunden
angebrüllt habe.
• Fletch
• Die bekloppte Mutter im Walsh Park, die dachte,
es sei eine ganz tolle Idee, ihr Krabbelkind mit in den
eingezäunten Hundeauslauf zu nehmen, und dann ausgeflippt ist, als
die Hunde (okay, Maisy) das Kind angesprungen haben. DAS IST EINE
HUNDEFREILAUFFLÄCHE - WAS GLAUBT DIE DENN, WAS DIE HUNDE DA MACHEN
SOLLEN? ROMMÉ SPIELEN?
• Fletch
• Die Leute an der Rezeption des Mandalay Bay.
Die haben doch allen Ernstes versucht, mir zu verklickern, die
Flitterwochensuite sei nur mit Unterbrechungen zu haben, und wir
müssten jeden Tag die Zimmer tauschen, ob das in Ordnung ginge?
(Übrigens, wenn man oft genug »Unmöglich, lassen Sie sich was
einfallen« wiederholt, bekommt man immer seinen Willen.)
• Fletch
• Unsere Vermieterin. Es ist mir egal, wie viel
es kostet, eine zentrale Klimaanlage zu ersetzen. Wir blättern
jeden Monat Tausende von Dollar hin, und zwar genau aus dem Grund,
dass wir uns NICHT um Reparaturkosten kümmern müssen. Auch hier
kann ich nur sagen: In unserer Wohnung herrschen 32°C, LASSEN SIE
SICH WAS EINFALLEN.
• Meine Mutter. Ich werde GANZ BESTIMMT nicht am
Tag vor unserer Abfahrt zu Eurem Hotel am O’Hare-Flughafen fahren,
nur damit Du mein Hochzeitskleid sehen/kritisieren kannst, weil ich
zufälligerweise damit beschäftigt bin, DIE REISE ZU MEINER HOCHZEIT
VORZUBEREITEN.
• Fletch
• Den Tierarzt. Habe ich dem BÜNDELWEISE
HUNDERTDOL-LARSCHEINE bezahlt, damit er die gesamte medizinische
Betreuung der Hunde übernimmt, nur um nachher rauszufinden, dass er
vergessen hat, Maisy gegen Zwingerhusten zu impfen, weshalb der
Chicago Club Canine sich zunächst weigerte, sie ohne gültigen
Impfschutz aufzunehmen?
Wie dem auch sei, wir sehen uns bald,
vorausgesetzt, ich lande nicht vorher im Knast.
Jen
»Maisy, wir sitzen in der Tinte.«
Als die unverbesserliche Optimistin, die sie nun
mal ist, antwortet Maisy darauf mit einem Ganzkörperwedeln, wobei
sie ihr getupftes Hinterteil so heftig schwenkt, dass sie umkippt.
Völlig unbeeindruckt steht sie wieder auf und knabbert herzhaft an
meinen Zehen herum. Igitt. Keine Ahnung, wie sie die auch nur
angucken kann, geschweige denn sie ablecken. Mein katastrophaler
Erstversuch einer Eigenpediküre hat mir zwei eiternde
eingewachsene Zehennägel und, bis die verheilt sind, ein leichtes
Hinken beschert. Jetzt bin ich also nicht nur arbeitslos, sondern
habe auch noch einen Klumpfuß. Toll.
»Maisy, ich meine es ernst. Wir sitzen bis zum Hals
in der Tinte. Was sollen wir denn jetzt bloß machen?«
Maisys Vorschlag ist, erst mal meine aufgeschürften
Knie abzulecken. Ach ja, die Freuden des Beinerasierens. Beim
Versuch, sie eigenhändig mit Wachs zu enthaaren - wobei ich genauso
vorgegangen bin, wie meine Kosmetikerin Petra es immer macht,
wohlgemerkt -, waren die Schmerzen schier unerträglich. Am liebsten
hätte ich mir selbst eine gescheuert, mir derart wehzutun, und ich
schwöre, ich habe dabei mehr Hautfetzen abgerissen als Haare
entfernt. Das Wachs, das die bei Molto Bene benutzen, muss
irgendwie anders sein als der Billigkram aus der Drogerie. Hunde zu
halten hat sich als wesentlich teurer herausgestellt denn gedacht,
und wir haben inzwischen schon rund zweihundert Dollar für
Tierarztrechnungen hingeblättert und mehrere hundert weitere für
Futter und Zubehör. Weshalb ich mich dazu gezwungen sah, sämtliche
nicht lebensnotwendigen kosmetischen Behandlungen vorerst
auszusetzen. Bis auf Weiteres ist nur noch Schneiden und Färben
beim Profi drin. Wenn ich sehe, wie die Kundinnen bei Molto Bene
zwischen den einzelnen Behandlungen in flauschigen Bademänteln und
Pediküre-Flipflops herumlaufen, spüre ich ein richtiges Ziehen in
der Brust.76
Wir haben einen echten finanziellen Engpass, seit
das Justizministerium eine Untersuchung eingeleitet hat zur
Durchleuchtung der Buchführungspraktiken von Fletchs Arbeitgeber.
Seine ehemals fünfstelligen monatlichen Provisionen sind im Laufe
der vergangenen Monate wie Eis in der Sonne dahingeschmolzen. Wie
es scheint, will niemand mit einem Unternehmen Geschäf-te
machen, das man allabendlich im Fernsehen sieht, weil sein Chef
vor Gericht aussagen muss. Wen wundert’s. Er meint, sollte sich
unsere Finanzlage nicht grundlegend ändern, ehe meine
Arbeitslosenunterstützung ausläuft, werden wir unsere Wohnung
womöglich nicht halten können. Als er mir das sagte, bin ich ins
Schlafzimmer gelaufen und habe mir die Bettdecke über den Kopf
gezogen. Der Gedanke daran, irgendwo anders wohnen zu müssen, geht
mir durch Mark und Bein. Allein bei der Vorstellung, in irgend so
eine billige Zweizimmerklitsche in einem der vollkommen
unangesagten Vororte ziehen zu müssen, würde ich am liebsten einen
Eimer Chlorbleiche trinken.
Ich MUSS hierbleiben. Muss ich einfach. Um ganz
ehrlich zu sein, beziehe ich einen viel zu großen Teil meines
Selbstbewusstseins aus der Tatsache, dass ich in diesem
Schmuckstück wohne. Früher habe ich mich über meine Arbeit
definiert, jetzt bleibt mir nur noch die Wohnung. Sie allein macht
es erträglich, dass ich mir nicht mehr die neuesten Sahnestückchen
von Prada leisten kann. Ich kann damit leben, zu miesen
Bewerbungsgesprächen gehen und um Stellen betteln zu müssen, bei
denen man nur halb so viel verdient wie ich früher bekommen habe,
solange mich abends mein traumhaftes Penthouse erwartet. Sobald ich
in die Whirlpoolwanne steige, lösen sich sämtliche
Unannehmlichkeiten des Tages einfach in Wohlgefallen auf und werden
den Abfluss hinuntergespült. Und wenn ich auf meine Terrasse trete
und den Blick über die Stadt schweifen lasse, habe ich das Gefühl,
dass alles möglich ist. Diese Wohnung ist mein Anker; sie hilft
mir, nicht den Verstand zu verlieren. Ohne diesen sicheren Hafen
bin ich bloß noch so ein unbedeutender Niemand aus Indiana mit
einem wertlosen Abschluss von einem staatlichen College.
Ehe ich entlassen wurde, haben wir mit dem Gedanken
gespielt, die Wohnung zu kaufen. Jetzt besteht durchaus die
Möglichkeit, dass wir uns nicht mal mehr die Miete leisten können.
Das will mir einfach nicht in den Kopf, aber wie schon Scarlett
O’Hara sagte: Verschieben wir es doch auf morgen, wenn ich den
Gedanken ertragen kann.
Stattdessen suhle ich mich erst mal in einer
ausgewachsenen Depression, denn heute ist El Cinco de Mayo, der 5.
Mai, mexikanischer Nationalfeiertag, und ich sitze hier in Illinois
fest. Zum ersten Mal seit Jahren bin ich nicht in Las Vegas, um mit
ein bisschen Glücksspiel und Entspannung aufzutanken und meiner
Sonnenbräune eine erste Starthilfe zu geben. Wie um Himmels willen
soll ich dieses frische Limonengrün tragen, wenn ich nicht tief
bronzebraun bin? Mit Selbstbräuner sehe ich höchstens aus wie ein
gegrilltes Streifenhörnchen. Klar, ein paar Sonnenstrahlen habe ich
dieses Frühjahr bei meinen Hundespaziergängen abbekommen, aber das
ist nicht dasselbe. Wenn ich in den Spiegel gucke, denke ich immer:
Hallo, Hui Buh, schön, dich zu sehen. Könnte ich in Las
Vegas am Pool rumgammeln, wäre ich vermutlich schon so braun wie
ein Brathähnchen. Doch leider hat Fletch mir einen Strich durch
sämtliche Reisepläne gemacht, indem er mich taktvoll auf das Marco
Island/Stromversorger-Debakel hinwies.
Alle Probleme würden sich in Wohlgefallen auflösen,
könnte ich bloß endlich einen ordentlichen Job auftun. Aber es
scheint ein Ding der Unmöglichkeit, ohne eigenes Auto eine Stelle
im Außendienst zu bekommen. Eine supercoole Reisegesellschaft war
drauf und dran, mir ein Angebot zu machen, bis ich nebenbei
erwähnte, über keinen fahrbaren Untersatz zu verfügen. Bei Corp.
Com. und Midwest IR Co. bekam ich für die meisten Meetings
Flugtickets, und die wenigen Termine, zu denen ich nicht fliegen
musste, waren bloß eine kleine Taxifahrt entfernt. Davor hatte ich
einen Firmenwagen, weshalb ich also in den letzten fünf Jahren
keinen eigenen Wagen gebraucht habe.
Ein neues Auto zu kaufen steht angesichts unserer
finanziellen Schieflage vollkommen außer Frage. Vorher hatte ich
vorgehabt, den Cadillac meiner Eltern zu kaufen. Als der Caddy noch
funkelnagelneu
war, liebte mein Vater ihn so heiß und innig, dass er ernsthaft
überlegte, den Wagen neben dem Familiengrab auf dem Friedhof
beisetzen zu lassen. »Mal ehrlich«, meinte er, »deine Mutter ist ja
ganz nett, aber Ingenieurskunst wie diese findet man nur einmal im
Leben.« Trotzdem erklärte er sich irgendwann bereit, mir den Wagen
zu verkaufen, und zwar nachdem Mom irgendwann angefangen hatte,
damit herumzukurven. Im Handumdrehen hatte sie sein makellos
aufgeräumtes, auf Hochglanz poliertes Baby in einen rollenden
Müllcontainer verwandelt. Auf dem Rücksitz stapelten sich
aufgerissene Säcke mit Blumenerde, drum herum lagen überall
Cappuccino-Pappbecher von der Tankstelle, Hundehaare, Schuhe,
Regenschirme und Therapie-Fachzeitschriften. 77
In dem Augenblick, als ich mich in die
handschuhweichen vanillegelben Lederpolster sinken ließ und
entzückt den goldenen Glanz der Kosmetikspiegel in den
Sonnenblenden bestaunte, hatte ich mich auch schon Hals über Kopf
in den Wagen verliebt. Als ich eine kleine Spritztour damit
unternahm, ertappte ich mich dabei, wie ich - Miss
Sicherheit-geht-vor - mit hundertfünfundvierzig Stundenkilometern
über die Schnellstraße fegte, die Fenster aufgestellt, während
Courtney Love irgendwas von amethystfarbenen Himmeln johlte. Dann
erhaschte ich einen Blick auf mein Spiegelbild in einem
vorbeifahrenden LKW, und ich muss schon sagen, ich sah genauso
schlank, reich und zum Anbeißen süß aus, wie ich mich fühlte. Der
Caddy ist nicht bloß ein Auto, er ist ein fliegender Teppich!
Und dann stellte ich mir vor, wie cool es wäre, im
Supermarkt in der Schlange vor der Kasse zu stehen und ganz
beiläufig mit dem Autoschlüssel herumzuklimpern. Der Plebs würde
das Cadillac-Logo sehen und gleich wissen, dass er sich in der
Gegenwart wahrer Größe befand. Woraufhin natürlich alle darauf
insis-tieren
würden, mich vorzulassen und mir den Platz einzuräumen, der mir
von Rechts wegen zustand. Allein beim Gedanke an den smaragdgrünen
Lack, die Sitzheizung in den tausendfach verstellbaren Sitzen und
den Zwölffach-CD-Wechsler bekomme ich butterweiche Knie (trotz der
multiplen Schürfwunden). Ich trauere um das Auto, das ich mir nun
nicht mehr leisten kann.
»Maisy, das ist wirklich ZU BLÖD: Ich bekomme
keinen Cadillac, keine kosmetische Grundversorgung, keinen Urlaub
in Las Vegas, keine knackige Sonnenbräune und keinen Job. Mein
Leben hört sich an wie ein schlechter Country-Song.« Ich atme
vernehmlich aus. Maisy schnappt nach dem Luftstrom, den ich
auspuste. »Wenn sich nicht bald was ändert, müssen wir in einen
Pappkarton ziehen.«
Die Aussicht auf jede Menge frische Luft und ein
Leben unter freiem Himmel versetzt Maisy in wahre
Begeisterungsstürme. Sie wackelt, dreht und windet sich und kneift
spielerisch in meine verhornten Fersen. Warum zum Teufel ist dieser
Hund bloß immer so verdammt gut gelaunt? Und hoffnungsfroh? Dauernd
hat sie dieses breite Pitbull-Lachen im Gesicht, grinst wie ein
durchgeknalltes Honigkuchenpferd und rollt dabei vor Freude die
Zungenspitze auf. Kurzfristig müde geleckt, hechelt sie jetzt
zufrieden vor sich hin. Begreift die denn den Ernst der Lage nicht?
Wir brauchen Geld und ein Auto, und das wird uns niemand einfach so
schenken.
Oder … oder … vielleicht doch?
Die Erleuchtung trifft mich so heftig und
unvorbereitet, dass es einen Moment dauert, bis ich das ganze
Ausmaß meiner Idee begreife, so genial wie sie ist.
OH MEIN GOTT, ICH BIN EIN GENIE!
Jetzt weiß ich, wie wir alles wieder
hinbiegen können!
Ich werde HEIRATEN!
Wenn man heiratet, wird man mit Geld und Geschenken
nur so überhäuft, stimmt’s? Faltbare Hochzeitsgeschenke würden uns
helfen, aus den Schulden rauszukommen, und vielleicht kommt sogar
genug zusammen, dass wir uns ein Auto leisten können. Nein, noch
besser, wenn wir nur im kleinen Kreis heiraten, könnten meine
Eltern uns anstelle einer feudalen Hochzeitsfeier einfach den Caddy
schenken. Ein riesengroßer Ballsaal voller Gratulanten wäre zwar
ganz nett, aber kein Muss, vor allem weil ich ja nicht mehr
verpflichtet bin, sämtliche Geschäftspartner einzuladen. Also
könnte eine intime kleine Feier doch genau das Richtige sein, oder?
Und wenn ich mich von der Idee verabschieden muss, im feinsten
Restaurant am Platz Hummerschwänze zu futtern, um an einen
anständigen Job zu kommen, dann ist mir der Caddy näher als das
Krustentier!
Moment, gerade kommt mir noch ein Geistesblitz!
Ruft das Guinnessbuch der Rekorde an, Leute, denn womöglich bin ich
der klügste Mensch der Welt! Was, wenn wir in LAS VEGAS heiraten?
Da meine Hochzeit der Höhepunkt eines lebenslang gehegten Traums
für sie wäre, würde meine Mutter bestimmt nicht geizen und
sämtliche notwendigen Kosmetikbehandlungen spendieren, damit ich an
meinem Hochzeitstag auch wirklich strahle. Und, oooh …
Flitterwochen in Las Vegas wären doch wirklich ein Traum!
Aber wann? Meine geplagten Poren können nicht mehr
lange bis zur nächsten Gesichtsbehandlung warten, also muss es
ziemlich schnell gehen.78 Sicher kämen mehr Gäste - und mit
ihnen mehr Geschenke -, würden wir uns an einem verlängerten
Wochenende trauen lassen. Der Memorial Day ist zu kurzfristig, das
kann man vergessen. Hm, wenn wir am Labor Day heiraten, hätten wir
praktisch den ganzen Sommer, um die Feier zu planen. Und da es
selbst für Hochzeitspaare, die aus einer spontanen Laune heraus in
Las Vegas heiraten, ein unvergesslicher Tag bleibt, müsste sich
doch mit vier Monaten Vorbereitungszeit eine
Riesensause auf die Beine stellen lassen! Und überhaupt nicht
kitschig! Das ist die beste Idee ALLER ZEITEN!
Ein schrecklicher Gedanke lässt meinen Freudenzug
abrupt entgleisen. Was wird denn dann aus meinem langersehnten und
wohlverdienten Tiffany-Klunker mit Prinzess-Schliff? Betrübt schaue
ich auf meinen selbstmanikürten, nackten linken Ringfinger. Nie im
Leben würde es Fletch sich unter den gegenwärtigen widrigen
Umständen bis zum Ende des Sommers leisten können, mir meinen
heißgeliebten hochkarätigen Ring zu kaufen. Wir kommen ja ohnehin
nur mit Ach und Krach über die Runden. Ob ich auch ohne ihn leben
könnte? Ich habe immer schon ein Faible für kostspieligen Schmuck
gehabt, so wie andere Mädels für Brad Pitt. Vergesst den
gemeißelten Waschbrettbauch und das markante männliche Kinn. Ich
brauche Platin und Baguetteschliff zum Glücklichsein. Ganz ringlos
wäre ich ohnehin nicht. Ich hatte schließlich noch den kleinen
Diamanten aus Nannys Verlobungsring, den ich mir eigentlich zu
einem Anhänger umarbeiten lassen wollte. Ob ich mich wohl damit
anfreunden könnte, einen Verlobungsring zu tragen, mit dem ich mich
nicht rund um die Uhr von einem Bodyguard bewachen lassen muss? Ich
weiß nicht so recht.
Ich gerate ins Grübeln, während ich den Blick über
die Stadt schweifen lasse, die sich da von meinem herrlichen
Aussichtspunkt vor mir ausbreitet. Die Sonne geht gerade unter und
spiegelt sich auf den Gebäuden in hundert Farbnuancen, in Gold,
Rosa und Blau. Während ich zum tausendsten Mal verzückt diesen
großartigen Anblick regelrecht aufsauge, komme ich zu dem Schluss,
wenn ein kleinerer Ring bedeutet, dass ich den Dot-Com-Palast
behalten kann, dann … ja. Ja, dann könnte ich mich damit
zufriedengeben.
Womit wohl alles gesagt wäre, was bedeutet …
Heiliger Strohsack, ich werde heiraten!
Ausgelassen johle und hopse ich auf der Terrasse
herum, weshalb
Maisy, die derartige Gefühlsausbrüche meinerseits überhaupt nicht
gewohnt ist, fiepend um mich herumtanzt, während ich es von den
Häuserdächern brülle.79
»Hey, Bucktown, ich heirate! Und behalte meine
Wohnung! Und bekomme einen Cadillac! Dann kann ich mir einen neuen
Job suchen und verdiene wieder richtig Kohle! Dicke, fette Kohle!
Und bald bin ich wieder reich und kann zu Neimann Marcus gehen und
die Schuhe mit den handgemalten Kirschen auf dem Holzabsatz kaufen,
bei denen ich geheult habe, als meine Kreditkarte nicht angenommen
wurde! Juhu!!«
Ich komme immer mehr in Fahrt, während Maisy völlig
außer Rand und Band an mir hochspringt und sich in der Luft halb um
die eigene Achse dreht. »Pediküre! Dann kann ich es mir endlich
wieder leisten, zur Pediküre zu gehen! Nie mehr rumhumpeln! Und wir
feiern eine große Party, und ich werde atemberaubend schön aussehen
und ein umwerfendes Kleid tragen und alle meine liebsten Leute an
meinem absoluten Lieblingsort wiedersehen und vielleicht auch ein
bisschen spielen! Vielleicht gewinne ich ja sogar den Jackpot! Und
die Leute bringen Geschenke für mich mit! Viele, viele wunderschöne
Geschenke! Ob man wohl Kosmetika auf eine Hochzeitsliste setzen
kann? Oooh, oder vielleicht die Kirschpumps? Wie dem auch sei, es
ist ganz egal, ICH HEIRATE NÄMLICH!!! Hurra!«
Völlig außer Puste muss ich mich irgendwann
hinsetzen, um wieder zu Atem zu kommen. Ich überlege, wem ich es
wohl als Erstes erzählen soll. Es liegt auf der Hand, dass ich auf
jeden Fall mit meinen Eltern und ihrem Scheckbuch reden muss, aber
Shayla würde es unbedingt als Erste wissen wollen. Und was ist mit
Carol? Mir hat sie damals als Allererste von ihrer Verlobung
erzählt. Gibt es da eine Art Quid-pro-quo-Protokoll, das es zu
befolgen gilt?
Ob ich es meinem Bruder sagen soll? Nein, der petzt
es gleich meinen Eltern und verdirbt die ganze Überraschung; der
ist so ein Fiesling. Aber Melissa? Ob die böse auf mich ist, wenn
sie es nicht als Allererste von mir hört? Sie ist meine beste
Freundin hier in der Gegend, aber eigentlich ist Andy mein bester
Freund, bloß wohnt der in Indiana, und wir sehen uns kaum. Michael
und Amy sind unsere engsten verheirateten Freunde, doch mit Brett
sind wir auch sehr gut befreundet, und mit Chris genauso, auch wenn
er nicht mehr mit Shayla zusammen ist und …
Oh, Moment. Vielleicht sollte ich es zuerst Fletch
erzählen.
Maisy und ich humpeln beschwerlich die
Wendeltreppe der Dachterrasse hinunter. Sie muss sich eben, als sie
ihr Freudentänzchen aufgeführt hat, irgendwie vertreten haben, und
nun hat sie eine wehe Pfote. Hoffentlich ist das gleich wieder gut.
Wenn nicht, muss ich mit ihr zum Nottierarzt fahren. Ausnahmsweise
muss ich mir in diesem Fall keine Sorgen um die eventuellen Kosten
machen, denn angesichts der anfänglich horrenden Tierarztrechnungen
haben Maisy und Loki nun eine Tierkrankenversicherung. Ist das
nicht ironisch? Meine Hunde sind krankenversichert, ich
nicht.
»Wo bist du?« Eigentlich sollte er in der Küche
sein und eine Salsa für unsere kleine El-Cinco-de-Mayo-Party
anrühren, aber er ist nicht da. Jetzt, wo wir heiraten werden, gibt
es jede Menge Anrufe zu erledigen, Hochzeitszeitschriften zu
kaufen, Menüs zu planen, etc. Am liebsten würde ich gleich auf der
Stelle damit anfangen, doch vorher sollte ich mich vielleicht noch
vergewissern, dass er wirklich mein Verlobter ist, ehe ich eine
Hochzeitskapelle buche.
Aus dem Badezimmer höre ich ein gedämpftes: »Ich
sitze auf dem Topf. Was ist denn los?«
»Komm sofort her!«
»Ich habe zu tun.«
»Wie lange brauchst du denn noch?«
»Keine Ahnung. Ich glaube, die Enchiladas von
gestern Abend waren schlecht. Lass mir noch ein paar Minuten Zeit,
ja?«
Aha, die Enchiladas waren also schuld und nicht
etwa die zwölf Flaschen Corona, die er zum Essen getrunken hat?
Also gut. Jetzt ist nicht die Zeit herumzukritteln, es ist die
Zeit, geduldig abzuwarten.
Und zu warten.
Fünf endlose Minuten später kann ich mich nicht
mehr beherrschen und hämmere gegen die Tür. »Beeil dich!« Geduld
ist nicht gerade meine Stärke.
»Warum gehst du nicht einfach in das andere
Badezimmer, wenn es so dringend ist?«
»Ich muss ja gar nicht.«
»Dann hör auf zu drängeln. Ich bin gleich
fertig.«
»Warum dauert das denn so lange? Was machst du bloß
da drin?«
»Euklidische Geometrie. VERSCHWINDE.«
Obwohl ich es kaum aushalten kann, überlege ich
mir, dass man einen Heiratsantrag wohl lieber nicht durch eine
geschlossene Badezimmertür brüllen sollte, also lungere ich eine
gefühlte Ewigkeit draußen im Flur herum. Wobei es eigentlich bloß
weitere zwei Minuten dauert. Dann kommt er aus dem Bad, gefolgt von
einer duftigen Wolke Lufterfrischer, in der Hand die aktuelle
Ausgabe des Crain’s Chicago Business Magazine. Unverzüglich
stürze ich mich auf ihn.
»Was hast du bloß?«, erkundigt er sich
entnervt.
»Ich muss mit dir reden. Komm her, und setz dich zu
mir«, sage ich und weise auf die Couch.
Er wird ziemlich blass um die Nase, denn eine
solche Ankündigung verheißt normalerweise nichts Gutes. Noch nie in
der Geschichte der Menschheit folgte auf den Satz Ich muss mit
dir reden
etwas, das der so angesprochene Mann gerne hört, wie »Lass uns
einen flotten Dreier mit meiner rattenscharfen Freundin machen«
oder »Ich kaufe dir den 1969er Camaro. Wäre schwarz okay?«.
Verständlich, dass Fletch ein bisschen nervös ist.
Man kann förmlich sehen, wie die kleinen Rädchen in
seinem Hirn arbeiten, während er seinen imaginären Terminkalender
nach kürzlich begangenen Verfehlungen durchwühlt. Manchmal glaube
ich fast, ich bin zu streng mit ihm. Andererseits sagt er immer,
ich sei die ganze Aufregung wert, und er hat freiwillig zugestimmt,
die zehn Jen-bote zu befolgen, also kann er nicht behaupten, er
habe nicht gewusst, worauf er sich einlässt.
Die zehn Jen-bote
Eins: Ich hasse Kochen. Sollte ich daher
irgendwann dazu gezwungen sein, eine Mahlzeit zuzubereiten, gehe
davon aus, das dies nur unter lautstarkem Protest, wüsten
Schimpfworten und so widerwillig wie irgend möglich vonstattengeht.
(Die Empfehlung unseres Chefkochs: Wutausbrüche nach Art des
Hauses.)
Zwei: Es ist für mich unzumutbar, etwas
Schwereres als meine Handtasche zu tragen. Sollte ich irgendwas zu
schleppen haben, werde ich stets versuchen, es dir
aufzuhalsen.
Drei: Ich bin keine gute Zuhörerin, auch
wenn es den gegenteiligen Anschein haben mag. Gut, womöglich nicke
ich und murmele so was wie »mhm, mhm«, aber für gewöhnlich denke
ich dann gerade darüber nach, wie ich das Gespräch wieder auf mich
lenken könnte.
Vier: Es dreht sich immer alles um
mich.
Fünf: Ich maule. Oft und viel. Besondere
Vorsicht ist geboten, wenn ich Hunger habe, müde bin oder mir heiß
ist. Gnade dir Gott, sollten diese drei Zustände je
zusammentreffen.
Sechs: Zu gesellschaftlichen Anlässen komme
ich mit angemessen schicker Verspätung. Die einzige Ausnahme von
dieser Regel sind meine Brunchverabredungen mit Melissa. Deine
Aufgabe besteht darin, mich zu dem betreffenden Restaurant zu
chauffieren, während ich dich die ganze Zeit ankreische, weil du so
rumtrödelst bzw. die Verkehrszeichen beachtest. Wenn es dazu
beiträgt, dass ich pünktlich ankomme, könnte ich unter Umständen
von dir erwarten, über den Bürgersteig zu fahren. Sieben: Wo
wir gerade bei Freundinnen sind - viele meiner Freundinnen sind
attraktiver oder schlanker als ich. Es ist dir untersagt, das zur
Kenntnis zu nehmen.
Acht: Es wird Gelegenheiten geben, bei
denen du für meinen Geschmack zu laut atmest. Gleiches gilt fürs
Kauen. Neun: Männersocken sehen für mich alle gleich aus.
Solltest du also Wert darauf legen, passende Socken zu tragen,
solltest du noch mal unauffällig unter dein Hosenbein linsen, ehe
du bei Geschäftsterminen die Beine überschlägst.
Zehn: Ich liebe es, die Wohnung umzuräumen.
Darum musst du es lieben, Bücherregale zu verschieben.
»Hör auf, so unglücklich aus der Wäsche zu gucken.
Ich verspreche dir, es ist was Gutes«, versuche ich ihn zu
beruhigen. Misstrauisch setzt er sich zu mir, während ich ihm
meinen Vorschlag unterbreite. Mit derselben ruhigen, überzeugenden
Stimme, mit der ich früher in den guten alten Zeiten Waren und
Dienstleistungen im Wert von gut zehn Millionen Dollar an den Mann
gebracht habe, führe ich ihm die Vorteile meines Plans vor Augen
und zerstreue eventuelle Bedenken, noch ehe sie aufkommen
können.80 Je länger ich rede, desto heftiger
wird sein Nicken und zustimmendes Brummen. Wie sich herausstellt,
ist er
sehr empfänglich für meine Pläne, einschließlich Kochgeschirr und
Cadillac.
Aber obwohl er mir in allem zustimmt, ist ein
gewisses Widerstreben nicht zu übersehen.
»Fletch, bitte mach nur mit, wenn du dir
vollkommen, ohne jeden Zweifel, hundertprozentig sicher bist, dass
du es auch wirklich willst. Sag nicht bloß Ja, weil ich eine gute
Verkäuferin bin. Sag Ja, weil es das Richtige für uns ist«, bitte
ich ihn inständig.
»Ich will es ja. Du hast ja eindrucksvoll sämtliche
Gründe dargelegt, warum das wirtschaftlich gesehen eine geniale
Idee ist.« In seiner Stimme schwingt etwas Unausgesprochenes
mit.
»Liebling, ich merke doch gleich, wenn du mir was
verschweigst. Raus damit, was beschäftigt dich? Wenn es dir alles
zu schnell geht, dann musst du ehrlich zu mir sein.«
»Nein, nein, darum geht es nicht. Alles in allem
finde ich eine Hochzeit in Las Vegas wirklich eine klasse
Idee.«
»Fletch, man hört doch das Zögern in deiner Stimme.
Was ist denn los? Bist du enttäuscht, weil wir nicht hier in der
Stadt heiraten? Oder liegt es am Timing? Ich dachte, jetzt, wo ich
nicht arbeite und so wenig Aussicht auf ein gutes Angebot habe,
wäre es die perfekte Gelegenheit, diesen Sommer zu heiraten. Aber
wenn du dir nicht sicher bist, dann vergessen wie es einfach fürs
Erste.« Fletch sagt keinen Ton. »Oder liegt es daran, wie ich
aussehe? Heiliger Himmel, sag mir bitte nicht, dass es daran liegt,
dass ich ein paar Pfund zugenommen habe.« Ein paar Pfund? Beinahe
zwanzig. Ich passe höchstens noch in die Hälfte meiner
Klamotten.
»Jen, du siehst blendend aus. Und ich bin ganz aus
dem Häuschen und wünschte, wir hätten schon vor Jahren
geheiratet.«
»Du findest also nicht, dass ich zu fett bin für
eine Braut?«
»Jetzt wird es aber wirklich
lächerlich.«
»Und wo bitte liegt dann das Problem?«
»Was die Romantik angeht, stinkt das doch zum
Himmel. Die
Sache kommt mir vor wie ein Geschäftsabschluss, nicht wie ein
Heiratsantrag. Als sollte ich dir gleich die Hand geben, statt dich
zu küssen.«
»Wie meinst du das?«
»Ich zerbreche mir schon seit Ewigkeiten den Kopf,
wie ich dir einen Heiratsantrag machen könnte. Aber bei keinem
dieser zahlreichen Szenarien wurde ich von dir beim Verlassen des
Badezimmers nach einer durch verdorbenes mexikanisches Essen
bedingten längeren Sitzung aus dem Hinterhalt überfallen.«
»Oh. Habe ich dir die Schau gestohlen?«
»Nein. Nicht so richtig. Ach, eigentlich schon. Im
Grunde genommen hätte ich dir den Antrag machen müssen.«
Verflucht, ich hatte ganz vergessen, dass er
vielleicht auch ein Wörtchen in dieser ganzen Heiratsgeschichte
mitreden wollte. Und es ist mir auch nicht in den Sinn gekommen, er
könne irgendwelche diesbezüglichen Erwartungen hegen. Den Rest der
Show muss ich unbedingt ihm überlassen, ich kann es nämlich nicht
ertragen, ihn so enttäuscht zu sehen. Also mache ich einen
Vorschlag. »Warum machst du mir nicht einen richtigen
Heiratsantrag, sobald Nannys Diamant eingefasst ist?«
Schlagartig hellt sich seine Miene auf. »Gute Idee!
Das mache ich. Aber ich sage dir nicht, wann, weil es eine
Überraschung sein soll. Wie wäre es, wenn ich mir morgen freinehme
und wir uns beim Juwelier ein paar Fassungen anschauen?«
»Klingt prima.« Wir strahlen uns an. Gerade, als er
sich vorbeugen will, um mich zu küssen, springt Maisy hoch und
schlabbert ihm einmal beherzt mit der Zunge übers Gesicht. Sie ist
zwar klein, aber wild entschlossen, weshalb es das Einfachste ist,
sie gewähren zu lassen und abzuwarten, bis sie sich wieder beruhigt
hat. Zum Glück ist sie nicht besonders ausdauernd, und er kann sich
schnell wieder mir zuwenden, wobei er sich mit einem Hemdzipfel das
Gesicht trocken wischt.
»Wir ziehen das also wirklich durch, hm?«
»Solange meine Eltern bei der Finanzierung
mitziehen und wir am Labor-Day-Wochenende ein schönes Plätzchen für
die Feier bekommen, dann, ja, denke schon.«
Wir besiegeln die Sache mit einem hundefreien
Küsschen. Als ich von der Couch aufstehen will, hält er mich
zurück.
»Darf ich dich mal was fragen?«
Er will mich was fragen? ACH DU LIEBER HIMMEL! Er
will mir jetzt gleich einen Antrag machen! Ich wette, das
hatte er schon die ganze Zeit geplant! Ergibt ja auch irgendwie
Sinn, schließlich kommt heute Abend Besuch zum Essen, und dabei
laden wir sonst sonntags nie Leute zu uns ein … Ich glaube, unser
kleines Grillfest sollte eigentlich eine
Überraschungsverlobungsfeier sein. Juhu! Er will mich fragen, ob
ich seine Frau werden will!
Ja, ich weiß, dass wir uns eigentlich gerade einig
geworden sind, dass wir heiraten wollen, aber ich hatte für heute
keinen großen romantischen Heiratsantrag erwartet. Kein Wunder,
dass er gerade ein bisschen zappelig geworden ist. ER wollte um
meine Hand anhalten, und ich bin ihm zuvorgekommen! Was für ein
unglaublicher Zufall, dass wir beide an einem Tag denselben
Gedanken hatten! Das nenne ich gleiche Wellenlänge. Wir sind SO WAS
VON füreinander geschaffen.
Das Herz klopft mir bis zum Hals und meine Hände
zittern, als ich ihm liebevoll in die Augen schaue und flüstere:
»Fletcher, du kannst mich alles fragen.«
Er hält kurz inne und scheint nachzudenken. Och,
wie süß. Er muss erst seinen ganzen Mut zusammennehmen für den
wichtigsten Moment seines Lebens. Schweigend sehen wir uns an.
Okay, ich bin so weit!!
»Was ist eigentlich mit Maisys Pfote los?«
Courtney, Brett, Kim und Biola sind zu unserem
kleinen El-Cinco-de-Mayo-Fest gekommen, und die große Neuigkeit hat
alle in
besonders ausgelassene Feierlaune versetzt. Wir trinken Margaritas
und verschlingen zentnerweise Guacamole, während Fletch sich um die
Rippchen kümmert, die auf dem Grill brutzeln.
»Fletch, wann hast du gewusst, dass Jen die
Richtige ist?«, will Biola wissen.
Fletch schließt den Deckel des Grills und setzt
sich zu uns. Dann macht er sich eine Dose Miller High Life auf und
antwortet: »Schon vor Jahren.« Er nippt an seinem Bier und denkt
kurz nach. »Genauer gesagt, war es an unserem ersten Valentinstag,
da waren wir gerade erst drei Monate zusammen. Wir sind in das
schickste Restaurant in unserem kleinen verschnarchten
College-Städtchen gegangen, und da haben wir das beste Abendessen
meines Lebens gegessen. Jen hat alles ausgesucht - den Wein, den
Aperitif, die Vorspeisen, einfach alles. Ihr gesundes
Selbstbewusstsein und die gelassene Art haben mich so beeindruckt,
dass ich irgendwann dachte, sie ist viel zu gut für mich.«
Ich lache. »Was aber nicht lange angehalten hat,
oder?«
»Nach dem Abendessen sind wir zu ihr nach Hause
gegangen. Als wir in ihre Wohnung kamen, haben ihre Katzen sich
irgendwie merkwürdig verhalten. Normalerweise schlafen sie ungefähr
dreiundzwanzig Stunden am Tag, sie also hellwach und munter
anzutreffen, war ziemlich ungewöhnlich. Beide starrten wie gebannt
auf einen schwarzen Fleck an der Wand. Bei näherer Betrachtung
stellte sich heraus, dass der Fleck eine kleine Fledermaus
war.«
»Wie ist denn eine Fledermaus in deine Wohnung
gekommen?«, fragt Brett mich, ohne den Blick von Courtney zu
wenden. Hm, vielleicht sollte ich mich mal als Kupplerin versuchen.
Ich finde, die beiden würden ein süßes Pärchen abgeben, vor allem
nachdem Court endlich den KnalliChad abgeschossen hat.
»Ich habe in einem unglaublich gruseligen Haus
gewohnt, aber es war das einzige Wohnheim, in dem Haustiere erlaubt
waren.
Der quietschende alte Kaminabzug hatte sich wohl irgendwie
geöffnet, und die Fledermaus war reingeflattert.« Kein Scherz - der
Schuppen war die reinste Bruchbude. Einmal konnte ich sogar ein
Kamerateam der Lokalnachrichten dazu überreden, einen Beitrag über
meine Wohnung zu drehen, weil es so kalt war wie in einem Eisfach.
Mein Vermieter bekam beinahe einen Herzinfarkt, als er sein Haus im
Fernsehen sah, aber was soll ich sagen? Wenn man auch auf den
fünfundzwanzigsten Telefonanruf in Folge mit Klagen über die
defekte Heizung nicht reagiert, darf man sich nicht wundern, wenn
die Mieter die Sache selbst in die Hand nehmen.
»Ja, und Jen ist völlig ausgeflippt«, erzählt
Fletch. »VÖLLIG. Sie ist rumgerannt wie eine Irre und hat
gekreischt, ihre Katzen würden Tollwut bekommen. Also habe ich ihr
geholfen, die beiden genauestens zu untersuchen, und als wir uns
vergewissert hatten, dass sie nicht den kleinsten Kratzer
abbekommen hatten, haben wir sie in ihre Transportboxen gesteckt.
Aber Jen hat noch immer Panik geschoben, und das nur wegen eines
Far Side-Cartoons. Da kommt nämlich eine ganz zerzauste
Fledermaus abends mit dem Aktenköfferchen unter dem Arm nach Hause
und erzählt seiner Frau: »Ich habe den ganzen Tag einer blöden
Tussi in den Haaren gehangen.« Damals hatte sie noch ganz lange
Haare, und sie war felsenfest davon überzeugt, die Fledermaus würde
sich jeden Augenblick kopfüber hineinstürzen. Dauernd hat sie
irgendwas von langhaarigen Tussis gequiekt, und dann hat sie sich
einen Weidenkorb auf den Kopf gesetzt und die Öffnung am Hals mit
einem Schal abgedichtet, den sie sich ein dutzend Mal um den Hals
geschlungen hat. Und da wurde mir schlagartig klar, dass die
weltgewandte junge Frau aus dem Restaurant bloß eine Show war und
jetzt die echte Jen vor mir stand, und die hatte einen Mülleimer
auf dem Kopf. Und in dem Moment wusste ich, würde ich sie heiraten,
wäre Langeweile von da ab ein Fremdwort für mich.«
»Und wie habt ihr die Fledermaus aus der Wohnung
bekommen?«, hakt Kim nach.
»Ich habe meinen Verbindungskollegen Tim angerufen.
Der ist dann mit einem Lacrosse-Schläger und einer
Schiedsrichtermaske rübergekommen. Damit haben wir beide es dann
irgendwie geschafft, sie einzufangen, und haben sie dann draußen
wieder unbeschadet freigelassen«, berichtet Fletch.
Enttäuscht meint Courtney: »Das ist so ziemlich das
Unromantischste, was ich je gehört habe.«
»Findest du? Dann warte erst mal ab, bis du hörst,
wie Jen mir den Antrag gemacht hat.«
Dann erzählte ich meinen Eltern, dass wir heiraten
wollten, wobei ich es sorgfältig vermied zu verraten, dass sie
nicht die Ersten waren, die es erfuhren.81 Überraschenderweise reagierte meine
Mutter ganz vernünftig, weder weinte sie, noch plapperte sie wie
ein Wasserfall, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Eigentlich
hatte ich gedacht, sie würde ganz sentimental und gefühlsduselig
werden. Aber vielleicht war der Gedanke an die vielen Schecks, die
sie dafür würde ausstellen müssen, eine zu ernüchternde
Vorstellung. Meine Eltern kamen zu dem Schluss, wenn mein Dad sich
bereit erklären würde, uns das Auto zu schenken, dann wäre er vom
Haken und bräuchte die Hochzeitsfeier nicht zu bezahlen. (Wenn es
nach ihm ginge, würde die Hochzeit im Garten hinter dem Haus
stattfinden, Hotdogs auf der einen Seite des Pools, Hamburger auf
der anderen, und versucht bitte, nicht in Nixons Tretminen auf dem
Rasen zu tappen.)
Ich brauche nicht mal zweieinhalb Wochen, um alles
zu planen und beinahe alles Notwendige zu buchen und festzumachen.
Bewaffnet mit der MasterCard meiner Mutter und dem Verspre-chen,
»nicht allzu sehr über die Stränge zu schlagen«, machte ich mich
daran, in Las Vegas einen schönen Ort zum Heiraten auszusuchen.
Eigentlich hätte ich es zum Schießen gefunden, mich von einem Elvis
trauen zu lassen, aber da weigerte Fletch sich rundweg, also
schaute ich mir die Hochzeitskapellen verschiedener Hotels an.
Schließlich entschied ich mich für das Mandalay Bay, weil es so
stilvoll und intim ist. Im Venetian gibt es zwar eine entzückende
Hochzeitslocation auf der Ponte al di Piazza, aber ich wollte nicht
von einem Haufen wildfremder Leute angestarrt werden, während ich
mein Ehegelübde sprach. Sie wollen eine Show sehen? Kaufen Sie sich
ein Ticket.
Die Kapelle des Mandalay Bay ist in einem Gebäude
außerhalb des eigentlichen Hotels untergebracht, woraus ich
schloss, die Wahrscheinlichkeit dürfte hier deutlich geringer sein,
dass irgendwelche verirrten Touristen auf der Suche nach dem Büfett
hereingeschneit kommen. Womit gleichzeitig die Gefahr minimiert
wird, dass ich ständig den Kopf verdrehen muss wie Linda Blair in
Der Exorzist, um nichtsahnende Hotelgäste anzubrüllen:
»Entschuldigen Sie bitte, aber ich lege hier gerade vor Gott und
den Menschen ein feierliches Versprechen ab, also könnten Sie sich
gefälligst freundlicherweise zum Teufel scheren.«82
Wir haben uns dafür entschieden, keine
traditionelle Hochzeitsfeier auszurichten. Es ist nämlich so: Vor
gar nicht allzu langer Zeit haben unsere Freunde Michael und Amy
die absolut spektakulärste Wahnsinnshochzeitsfeier aller Zeiten
gefeiert. Schon allein die Dekoration war atemberaubend. Das Ganze
fand im Chicago Cultural Center statt. Früher war in diesem Gebäude
die öffentliche Bibliothek von Chicago untergebracht, und der
Hauptsaal hat eine Gewölbedecke wie eine alte Kirche. Überall sind
Mosaike, doch statt religiöser Bilder zeigen diese allesamt
literarische Motive. Der Raum hat beeindruckende, drei Stockwer-ke
hohe Fenster und bietet einen überwältigenden Ausblick auf die
ganze Michigan Avenue, und auch ohne ein einziges kleines
Blütenarrangement ist das einer der schönsten Orte, an denen ich je
gewesen bin. Fügt man nun Blumenschmuck, Kristallgläser und
Tischdecken im Wert von mehreren tausend Dollar sowie einen ganzen
Raum voller Menschen in festlicher Abendkleidung hinzu, erinnert
die ganze Szenerie an einen Einrichtungsband von Martha Stewart.
Dann nehme man als Sahnehäubchen noch einen weit über zehn Meter
langen Dessert-Tisch mit mindestens hundert verschiedenen
Leckereien,83 freundliche livrierte Kellner, eine
erstklassige Bar mit kostenlosen Drinks, und schon hat man meine
Traumhochzeit. Während ihrer Ansprache erzählte die reizende Braut
Amy eine anrührende Geschichte darüber, wie sie mit Ende dreißig
den Glauben an die große Liebe schon aufgegeben hatte. Aber nur
einmal verwählt, und schon hatten Michael und sie sich gefunden,
und der Rest ist Geschichte. Und ausgerechnet in dem Moment stieg
auf dem Navy-Pier-Rummelplatz ein Feuerwerk in den Himmel und
versprühte in dem riesigen Fenster genau hinter ihnen einen
knallbunten Funkenregen. Da blieb im ganzen Saal kein Auge
trocken.
Weil ich von vorneherein davon ausging, mit der
perfektesten aller möglichen Hochzeiten unter keinen Umständen
mithalten zu können, überlegte ich mir, sollte meine einfach eine
richtig Gute-Laune-Veranstaltung werden. Also buchte ich den Rum
Jungle für unseren Empfang, einen Club mit brasilianischer Deko im
Mandalay Bay, mit Feuer- und Wasserwänden, deckenhoch gestapelten
Rumflaschen und Käfigen mit knackigen Go-go-Tänzern.84 Da im Rum Jungle ausschließlich
Latin Techno gespielt wird, brauche ich nicht extra einen DJ zu
buchen und muss ihn auch nachher nicht unter Androhung der
Todesstrafe davon abhalten, YMCA und den Ententanz aufzulegen. Wir
sagen
den Leuten, der Dresscode ist Strandresort-Schick, und ich habe
meinem Vater eigens ein wirklich allerliebstes Hawaiihemd gekauft.
Auf die üblichen Mätzchen verzichten wir, wie uns beispielsweise
gegenseitig mit Kuchen zu füttern. Außerdem weigere ich mich, den
Brautstrauß zu werfen, weil ich es für eine seelisch grausame und
unnötige Strafe halte, sämtliche Singlefrauen zusammenzutreiben und
öffentlich zur Schau zu stellen.
Da ich mich sicher irgendwann in ein tyrannisches,
unausstehliches Brautmonster à la Godzilla verwandeln werde, habe
ich mich entschlossen, keine Brautjungfern auszusuchen. Kürzlich
ist mir nämlich aufgegangen, dass es schön und gut sein mag, mit
Mitte zwanzig Brautjungfer zu sein, aber wenn man erst mal über
dreißig ist, wird daraus weniger eine Ehre als eine lästige
Pflicht. Außerdem hat Carol drei Kinder, Shayla macht gerade ihren
Abschluss, und Melissa hat eben erst einen neuen Job angefangen,
nachdem sie mehrere Monate lang arbeitslos war. Ich mag die Mädels
alle viel zu gerne, um ihnen diese völlig unnötige emotionale und
finanzielle Last aufzubürden. Und so muss ich auch keinen albernen
Junggesellinnenabschied mitmachen. Lieber ein paar Geschenke
weniger, als mit einer Klopapierkrone auf dem Kopf
herumzulaufen.
Ich muss gestehen, dass ich bei den Vorbereitungen
ein bisschen geschummelt habe. Mir war klar, dass ich während der
Planungsphase nicht die erforderlichen zwei bis drei Stunden
täglich würde aufbringen können, damit Maisy und Loki ausreichend
ausgelastet, beschäftigt und glücklich sind, also habe ich sie von
acht Uhr morgens bis nachmittags um fünf zur Hundetagesstätte
gebracht. Auch wenn wir uns das kaum leisten können, es war jeden
Dollar wert, so viel ungestörte Arbeitszeit zur Verfügung zu haben.
Darüber hinaus spielen sie in der HuTa so ausgiebig mit den anderen
Hunden, dass sie immer ganz vergnügt und müde nach Hause kommen.
Und wie jeder weiß, ist ein müder Hund ein Hund, der nicht den
Schrank durchwühlt, die geliebten Chanel-Slingback-Pumps
findet und BEIDE MIT STUMPF UND STIEL AUFFRISST.85 Inzwischen gehen sie nur noch zwei
bis drei Mal die Woche in die HuTa, weil die Planung größtenteils
abgeschlossen ist.
Nun bleibt mir nur noch, ein Kleid auszusuchen, und
mal ehrlich, so gerne, wie ich einkaufen gehen, kann das doch wohl
so schwer nicht sein, oder?
Hasse blöde Brautkleider.
Hasse blöde Brautmodeläden.
Hasse blöde Brautmodenverkäuferinnen.
Hasse blöde Brautmodenladenbesitzer.
Hasse blöde Brautzeitschriften wie Modern
Bride, Bride’s Magazine und Chicago Bride.
Hasse blöde kleine Verkäuferinnen bei Escada, Saks
und Neiman, die meine Taille beäugt, abfällig mit der Zunge
geschnalzt und dann abgewunken haben: »Nein, tut uns leid, nichts
über Größe 42. Aber viel Glück bei der Suche.«
Hasse mich blödes dickes Weib, das nicht in
schicke Designerkleider passt.
Hasse blöde Hochzeiten.
Offensichtlich zahlt es sich aus, mitten in
Bloomingdale’s einen Nervenzusammenbruch zu bekommen.
Während meine Lieblingsverkäuferin ein Glas Wasser
für mich holte, kramte eine ausnehmend elegant gekleidete, etwas
füllige Society-Dame in ihrer Handtasche herum, bis sie eine
Visitenkarte von Dress Doctor fand. Jetzt lasse ich mir mein
Hochzeitskleid also von einer Schneiderin maßanfertigen, und diese
ganzen ma-gersüchtigen
Flittchen auf der Michigan Avenue und der Oak Street, die mir das
Gefühl gegeben haben, ich sei das Michelin-Männchen
höchstpersönlich, können mir mal den dicksten Teil meines Hinterns
küssen.
Heute Nachmittag habe ich den ersten Termin bei
Soheila von Dress Doctor. Ihre Assistentin öffnet mir die Tür und
führt mich in den Verkaufsraum. Der Laden gleicht mehr einem Büro;
drinnen ist es ruhig, intim und aufgeräumt. Während ich warte,
nehme ich die aufwendigen Näharbeiten an einem der ausgestellten
Kleider unter die Lupe und stelle fest, dass alles makellos
gefertigt ist.
Soheila kommt durch eine rückwärtige Tür in den
Verkaufsraum und begrüßt mich herzlich. Wie es scheint, bin ich in
guten Händen. Ich zeige ihr die Bilder der Kleider, die mir
gefallen, und wir besprechen, worauf es mir besonders ankommt.
Trägerlose Kleider streichen wir gleich von der Liste, denn da sich
in letzter Zeit noch etwas mehr Fett an meinen ohnehin schon
breiten Schulter gesammelt hat, würde ich darin eher aussehen wie
ein Footballspieler und weniger wie eine Märchenprinzessin.86 Klassische Schnitte finde ich am
schönsten, und alles mit Rüschen und Strass ist mir ein Gräuel.
Außerdem sind meine Knöchel erstaunlich wohlgeformt, weshalb ich
die gerne zeigen würde, vor allem, weil ich vorhabe, wirklich
umwerfende Schuhe zu tragen.
Beim Blättern in ihren Musterbüchern stellt Soheila
mir eine ganze Reihe von »Mögen Sie lieber dies oder das«-Fragen,
was mich ein bisschen an den Besuch beim Augenarzt erinnert. Aber
innerhalb weniger Minuten zeigt sie mir ein Kleid in einer älteren
Ausgabe der Vogue, das einfach alles vereint, was mir gefällt. Es
ist retro und glamourös, ohne durch übermäßigen Spitzenbesatz oder
Stickereien schwer zu wirken. Seine Vollkommenheit liegt in seiner
Schlichtheit. Bewundernd streift mein Blick über das
wunderhübsche Kleid mit A-Linien-Schnitt, etwa wadenlang, mit
kurzer Tüll-Tournüre und weit ausgeschnittenem gerafftem Kragen,
und ich verliebe mich auf der Stelle.
»Das ist es, Soheila«, sage ich und tippe auf die
Seite.
»Ja. Sind Sie sich ganz sicher? Ich habe noch viele
Bücher, die wir uns alle anschauen können, bis Sie ganz bestimmt
wissen, ob Sie tatsächlich das perfekte Kleid gefunden haben«,
entgegnet Soheila freundlich.
»Nein, das ist es. Ich bin mir ganz sicher. Es ist
bloß …« Ich verstumme etwas ratlos.
»Bloß was? Jennifer, ist das auch wirklich Ihre
erste Wahl? Bitte überstürzen Sie diese Entscheidung nicht. Ich
habe genug Zeit, Ihnen das Kleid zu nähen, das Sie wirklich haben
wollen.«
»Nein, das ist es. Ich will es. Ich finde das Kleid
wunderbar. Bloß mit der Farbe bin ich mir nicht so ganz
sicher.«
»Wenn Ihnen das strahlende Schneeweiß zu grell ist,
können wir auch Elfenbein oder Eierschale nehmen.«
»Nein, die Farben sind für mich auch nicht das
Richtige«, gebe ich zurück. Soheila holt ein Stoffmusterbuch, das
sie mir in den Schoß legt.
»Was stellen Sie sich denn vor? Das hier ist eine
herrliche Dupionseide in Ecru. Der schwere Stoff würde hervorragend
zur Schnittführung des Kleides passen. Oder vielleicht wäre Ihnen
etwas Leichteres mit einem ganz zarten Hauch eines Pastelltons
lieber?«, fragte sie und hält mir ein babyrosa Taftstückchen
hin.
»Ja, ganz hübsch, aber …«
»Jennifer, das ist ein einmaliges Ereignis in Ihrem
Leben. Sagen Sie mir, was Sie sehen, wenn Sie sich Ihre
Traumhochzeit vorstellen.«
Also schließe ich die Augen und versuche, mir den
großen Tag bildlich vorzustellen. Fletch, glücklich und
gutaussehend in seinem weißen Smoking, wirbelt mich anmutig über
den Parkettboden.
87 Mit den kurz geschorenen Haaren und
der angesagten Hornbrille erinnert er mich irgendwie an einen
Astronauten aus den sechziger Jahren. Mein ganzer Look ist der von
Jaqueline Lee Bouvier Kennedy aus der Camelot-Ära, und ich trage
die Haare zu einem zuckersüßen dicken Dutt mit Gardenien
hochgesteckt. Geschminkt bin ich mit ausdrucksvollem schwarzem
Eyeliner, märchenhaft langen falschen Wimpern für perfekte Rehaugen
und zartrosa Lippenstift. Nein, lieber nicht. Mit hellem
Lippenstift sehe ich immer aus, als hätte ich gerade
puderzuckerbestäubte Donuts gegessen.88 Wir sehen aus wie Barbie und Ken um
1962. An seinem Arm schwebe ich über die Tanzfläche und drehe mich
in einem - JETZT HAB ICH’S!
»Schwarz! Das ist es! Ich sehe mich in einem
schwarzen Kleid.« Ich verstumme und warte auf ihre Reaktion. Noch
nie habe ich gehört, dass jemand zu seiner Hochzeit Schwarz trägt,
vor allem nicht bei der ersten Hochzeit.
Soheila starrt eine Weile ins Leere und beginnt
dann, langsam zu nicken. »Ein schwarzes Hochzeitskleid. Ja. Ja, ich
denke, das ist eine gute Idee. Das wird ein Blickfang, aber ganz
unkonventionell.«
»Ganz genau!«
»Dann sollte ich jetzt Ihre Maße nehmen«, sagt
sie.
Als sie von dem schwarzen Kleid hört, liegt meine
Mutter mir augenblicklich in den Ohren, es mir doch noch mal zu
überlegen. »Aber du würdest in Weiß bestimmt ganz zauberhaft
aussehen. Ich habe mir immer vorgestellt, wie du in einem
schneeweißen trägerlosen Brautkleid mit langer Schleppe und
perlenbestickter
Korsage heiratest.« Ich bin zuhause bei meinen Eltern, um
Hochzeitseinladungen zu adressieren und den Cadillac abzuholen. Bei
unseren Telefonaten in den letzten Wochen habe ich jedes Mal
unauffällig das Thema gewechselt, sobald die Rede auf mein
Brautkleid kam. Mit voller Absicht habe ich ihr bis heute nicht im
Detail erzählt, wie das Kleid aussehen wird, denn jetzt ist es
endgültig zu spät für irgendwelche Änderungen. Wie erwartet ist sie
von meiner Wahl nicht sonderlich begeistert.
»Nichts von dem, was du da gerade beschrieben hast,
würde mir gefallen oder besonders gut stehen«, gebe ich zu
bedenken. Mit den Füßen stoße ich mich vom Beckenrand ab und
paddele meine Luftmatratze geradewegs in den Sonnenfleck, der auf
dem Wasser im tiefen Teil des Beckens tanzt. Es sind nur noch zwei
Monate bis zur Hochzeit, also habe ich Lichtschutzfaktor null
aufgetragen und röste in der Sonne wie ein Hähnchen am Spieß.
Schlank werde ich an meinem Hochzeitstag zwar nicht sein, aber das
mache ich durch meine knackige Bräune wieder wett.
»Und wenn du dir für die Trauung das Kleid in Weiß
anfertigen lässt und das schwarze anschließend zur Feier trägst?«,
schlägt sie vor, während sie neben mir her schwimmt.
»Wie oft müssen wir das jetzt noch durchkauen? Ich
habe dir doch schon gesagt, dass ich das schwarze Kleid trage. Ich
möchte was Unkonventionelles«, erkläre ich. Bis auf die Wahl des
Kleides hat meine Mutter sich bisher erfreulicherweise aus allen
die Hochzeit betreffenden Entscheidungen herausgehalten. Nur bei
den Einladungen hat sie einen Vorschlag eingebracht. Ich fand
nämlich, irgendwas Glitzerndes, was so richtig nach Las Vegas
aussieht, würde am besten passen, doch sowohl Mom als auch der
Schreibwarenhändler waren anderer Meinung. Ihre Argumente haben
mich letztendlich überzeugt, weshalb ich mich dann für schwere
cremefarbene Karten entschieden habe, die sich wie kleine
Flügeltüren öffnen lassen, hinter denen dann geprägtes
Pergamentpapier über einem gemalten Buchsbaum zum
Vorschein kommt. Die Einladung wird mit einer grünen Tüllschleife
zusammengebunden und steckt in einem grünen Umschlag mit
Pergamentfutter. Wirklich sehr edel.89
»Aber ich würde auch beide Kleider bezahlen.«
»Was wirklich sehr großzügig von dir ist«, entgegne
ich. »Aber auch rausgeworfenes Geld wäre. Mit den tausend Dollar
würde ich lieber die Bar eine Stunde länger geöffnet lassen oder
jedem Gast einen Geschenkkorb mitgeben. Denk dran, du hast selbst
gesagt, bei einer Hochzeit sind die Gäste genauso wichtig wie das
Brautpaar.«
»Jennifer, um das Geld brauchst du dir keine
Gedanken zu machen. Wir können die Feier verlängern und trotzdem
ein zweites Kleid kaufen, wenn du das möchtest.«
Ich gucke sie über den Rand meiner Luftmatratze an.
»Wer sind Sie und was haben Sie mit meiner Mutter gemacht?«,
kommandiere ich streng. In ihrer Kindheit war ihre Familie immer
knapp bei Kasse, weshalb meine Mutter ein äußerst sparsamer Mensch
ist. Die Frau würde lieber sterben, als irgendwas zum regulären
Ladenpreis zu kaufen.
»Ich will doch bloß, dass deine Hochzeit genau so
wird, wie du es dir vorstellst«, empört sie sich. »Was ist denn
daran so verkehrt?«
»Nichts, Mom. Das ist lieb gemeint, und ich bin dir
sehr dankbar für das nette Angebot, aber sich mittendrin auch noch
umziehen zu müssen, wäre nichts als Stress für mich, also kommt das
nicht in die Tüte.«
»Und wenn du dieses Grün trägst, das du so magst?
Oder Rosa vielleicht? Warum muss es denn ausgerechnet Schwarz
sein?«, stochert sie weiter.
»Weil ich Schwarz mag und es mir steht. Und
außerdem kann ich ganz unbeschwert essen, trinken und feiern, ohne
Angst zu
haben, dass jemand mir seinen tropischen Cocktail aufs Kleid
schüttet. Das Kleid ist schön und praktisch, also werde ich
mich darin auf jeden Fall wohlfühlen. Außerdem wollte ich immer
schon ein richtig schickes schwarzes Cocktailkleid, und dieses
Kleid kann ich auch später noch tragen.«
Sie schnaubt. »Ja, zu einer Beerdigung
vielleicht.«
»Mom, lass es gut sein. Du hast dich von
einer Verkäuferin beschwatzen lassen, ein Hochzeitskleid zu kaufen,
das dir nicht gefallen hat. Du hast gesagt, du wirst jedes Mal
wieder wütend, wenn du die Hochzeitsfotos siehst. Seit vierzig
Jahren hegst du einen abgrundtiefen Hass gegen diesen
Brautmodenladen. Das wird mir nicht passieren. Ich habe mich für
das schwarze Kleid entschieden, und dabei bleibt es.«
»Ich will doch bloß, dass du glücklich bist«,
verteidigt sie sich und schrammt dabei hart an der Grenze zur
mütterlichen Märtyrerin vorbei.
»Das bin ich ja auch, also noch mal danke. Ohne
euch wäre das alles nie im Leben möglich gewesen. Ach ja, das hätte
ich beinahe vergessen - ich habe dir noch gar nichts von den
Schuhen erzählt, die ich mir gekauft habe.«
»Hast du die offenen Sandaletten genommen, die ich
dir vorgeschlagen hatte?«
»Nein, die Absätze waren mir zu hoch, und die
Riemchen haben ganz fies in den Knöchel eingeschnitten. Ich habe
mir ein paar wirklich süße Pumps von Enzo gekauft, mit einem
Absatz, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Hinten fehlt ein kleines
Stückchen, aber man kann trotzdem gut darauf laufen und meine Beine
sehen darin einfach toll aus.«
»Schwarz?«
»Ähm … nein.«
»Du hast dir keine schwarzen Schuhe gekauft? Was
willst du denn sonst zu einem schwarzen Kleid tragen?«
»Na ja, sie waren runtergesetzt, was dich doch
eigentlich freuen
sollte. Was sie Farbe angeht, sie sind … na ja, ehrlich gesagt,
sie haben ein Leopardenmuster und …« Meine Mutter taucht plötzlich
unter. »Mom? Mom? Mutter, wo bist du? Mom! MOM! Es sind doch bloß
Schuhe. HÖR SOFORT AUF, DICH ZU ER-TRÄNKEN!«
»Tut es dir nicht leid, dass wir niemanden aus
deiner Familie zur Hochzeit eingeladen haben?«, frage ich
Fletch.
»Jen, was habe ich dir gesagt, Gesprächsattacken
aus dem Hinterhalt betreffend, sobald ich einen Fuß über die
Schwelle setze?« Fletch verstaut seine Aktentasche im
Garderobenschrank und kommt in die Küche.
»Tut mir leid. Vergessen. Egal, bist du traurig,
dass keiner aus deiner Sippe zur Feier kommt?«
Fletch holt ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank und
setzt sich zu mir ins Wohnzimmer, wo ich gerade über der Gästeliste
brüte. »Nein, kein Stück. All meine Freunde kommen, und die sind
für mich mehr Familie, als es meine Schwester oder meine Mutter je
waren. Würden die zur Hochzeit antanzen, bräuchte jede einen
eigenen Tisch, bei den vielen Macken, die sie mitbringen.«
»Ich weiß, ich wollte nur ganz sicher sein, dass es
für dich in Ordnung ist. Wenn’s sein muss, rufe ich deine Mutter an
und entschuldige mich.« Seiner Mutter bei unserem letzten Gespräch
ins Gesicht zu sagen, dass es Jahre gedauert hat, all die Schäden,
die sie bei Fletch angerichtet hatte, wiedergutzumachen, war
vielleicht nicht die diplomatischste aller möglichen
Vorgehensweisen gewesen. (Und mit der Erwähnung der Tatsache, seine
Schwester habe kein Probleme, die sich nicht mit ein bisschen
Haldol90 beheben ließen, habe ich mich auch
nicht unbedingt beliebt gemacht.)
»Wenn du das machst, blase ich die Hochzeit ab.
Denk doch mal darüber nach, Jen. Meine Mutter hat ihr ganzes Leben
lang untätig zugesehen, wie mein Vater mich systematisch
niedergemacht und mir eingeimpft hat, ich sei ein Nichtsnutz und
werde es nie zu irgendwas bringen.« Fletch steht auf und läuft
aufgebracht auf und ab. Immer, wenn wir über dieses Thema reden,
regt er sich auf.
»Lange war mir nicht klar, dass sie mit ihrer
Untätigkeit genauso schlimm war wie mein Vater mit all seinen
Beschimpfungen. Und obwohl ich beim Militär gelernt habe, wie viel
Potential in mir steckt, warst du der erste Mensch, der
wirklich an mich geglaubt hat. Du hast mich davon überzeugt,
dass ich alles erreichen kann und nichts unmöglich ist. Hätte ich
dich nicht kennengelernt, hätte ich eine Ausbildung in einem
Telekommunikationsunternehmen gemacht und einen Zehndollarjob in
irgendeiner kleinen miesen Leitstelle mitten im Nirgendwo von
Indiana angenommen.«
»Ach, ich bitte dich. Du bist immerhin der
zweitklügste Mensch, den ich kenne.91 Du hättest es auch ohne mich
geschafft.« Ganz ehrlich? Der Kerl kann Algorithmen ausrechnen. IM
KOPF!
»Nein, ohne dich an meiner Seite hätte ich das
alles nie geschafft. Und da hat meine Mutter nichts Besseres zu
tun, als zu sagen: ›Du findest was Besseres‹, als ich ihr erzähle,
dass wir heiraten wollen. Und das, nachdem du so nett zu ihr warst?
Auf keinen Fall. Das war unverschämt. Unverzeihlich. Hättest du mir
nicht den Hörer aus der Hand gerissen und ihr diese ganzen Sachen
an den Kopf geworfen, ich hätte es selbst getan.«
»Du hast also nichts dagegen, wenn ich ihre Namen
auf der Gästeliste dick und fett durchstreiche? Ich benutze einen
Marker, es wäre also endgültig.«
»Streich sie ruhig raus. Das sind Giftnattern, und
ich bin heilfroh, dass ich sie endlich los bin.«
Ich lege die Gästeliste beiseite und setze mich ihm
gegenüber auf die Ottomane. »Wie war dein Tag?«
»Besser als gewöhnlich. Clark war nicht im Büro. Er
hat mit keinem Wort erwähnt, wo er war, aber Ernesto hat erzählt,
die Anzeige gegen ihn wegen sexueller Belästigung käme jetzt doch
noch vor Gericht.«
»Cool. Kann er dafür ins Gefängnis wandern?«
»Nein, Jen, das ist ein zivilrechtlicher Prozess,
kein strafrechtlicher.«
»Und was ist da der Unterschied?«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Nicht unbedingt.« Schonungslose Offenheit ist der
Grundpfeiler unserer Beziehung.
»Und wie ist es bei dir gelaufen?«
»Hervorragend. Halt dich fest - ich habe den Job
als Gassigängerin nicht bekommen, für den Marta vom Hundepark mich
empfohlen hat. Der Hundebesitzer meinte, meine Referenzen in allen
Ehren, aber er suche jemand mit etwas mehr
›Verantwortungsbewusstsein‹. Und als ich dann bei diesem
Medienunternehmen angerufen habe, erklären die mir doch, sie
wollten eine andere Richtung einschlagen. Ich habe versucht, sie in
die Ecke zu drängen, und habe gefragt: ›Und welche Richtung wäre
das?‹, aber da ist das Mädel richtig zickig geworden und hat nur
gezischt: ›Jedenfalls nicht Ihre.‹«
»He, das tut mir leid. Ich weiß, wie viel Mühe du
dir gibst.«
»Na ja, wir können bloß hoffen, dass wir jede Menge
Kohle zur Hochzeit geschenkt bekommen, es sieht nämlich nicht
danach aus, als würde ich in naher Zukunft wieder einen Job
bekommen.«
Ich bin zur wöchentlichen Anprobe bei Dress
Doctor. Soheila hat mein ganzes Hochzeitskleid quasi zur Probe
einmal aus Musselin geschneidert, damit es nachher auch wirklich
wie angegossen passt. Sitzt es erst einmal perfekt, zerschneidet
sie den billigen Stoff, um ihn dann als Schnittmuster für die
schwere Dupionseide zu benutzen, die wir für das eigentliche Kleid
ausgesucht haben.
Draußen sind es ungefähr zweiunddreißig Grad,
weshalb ich nur zu gerne aus meiner leicht klebrigen
Straßenkleidung steige. Dann bleibe ich einen Moment in Unterwäsche
in der Umkleide stehen, um mich ein bisschen abzukühlen. Etwas
erfrischt ziehe ich mir schließlich den normalen BH aus und meine
spezielle stützende Hochzeitunterbekleidung an. Als ich das letzte
Mal hier war, hat Soheila auf meine Brüste gewiesen,
kurzentschlossen nach meinen BH-Trägern gegriffen und ganz trocken
erklärt: »Die hier? Sollten da oben sein«, womit sie dann alles
umstandslos himmelwärts zerrte. In dem neuen BH, den ich mir auf
ihr Geheiß zulegen musste, sehe ich aus wie eine vollbusige
Galionsfigur, und theoretisch könnte ich mein Kinn auf meinem
eigenen Vorbau abstützen. Aber bisher hat Soheila noch mit allem
Recht gehabt, weshalb ich ihr blind vertraue. Wenn sie sagt, ich
muss einen stahlversteiften BH tragen, dann soll es so sein. Sie
reicht mir das Kleid aus gebleichtem Musselin, und ich schlüpfe
hinein.
Als ich aus der Kabine komme, nimmt Soheila noch
ein paar letzte Änderungen vor, ehe sie mich vor den dreiteiligen
Spiegel führt. Ehrfürchtig besteige ich das Podest und mustere mein
Spiegelbild, und mein zerzauster Pferdeschwanz und die verschmierte
Wimpertusche sind plötzlich völlig nebensächlich.
Atemlos japse ich: »Ich sehe ja aus wie eine echte
Braut!«
Solheila lächelt still vor sich hin. »Sie sind ja
auch eine echte Braut, meine Liebe.«
»Ich meine, ich wusste, dass es perfekt sitzen
würde, aber ich hätte nie damit gerechnet, dass der Musselin so
hübsch aussieht. Eigentlich eine Schande, es wieder kaputt zu
schneiden.«
»Warten Sie ab, das fertige Kleid wird Sie umhauen.
In Schwarz verschlägt es Ihnen glatt den Atem.«
»Wenn es auch nur halb so schön ist wie das hier,
dann ganz bestimmt.« Ich bewundere mich noch ein bisschen, drehe
mich im Kreis und bestaune das Kleid aus jedem erdenklichen
Blickwinkel. Ich bücke und strecke mich und halte einen imaginären
Brautstrauß in den Händen, dann probiere ich diesen behinderten
Schritt-zusammen-Schritt-zusammen-Gang, von dem ich geschworen
habe, dass es auf meiner Hochzeit so was ganz sicher nicht geben
wird. »Soheila, tun Sie mir bitte einen Gefallen?«
»Aber gerne.«
»Versprechen Sie mir, sollte meine Mutter noch mal
anrufen, dann sagen Sie ihr bitte nicht, wie hübsch das Kleid in
Weiß ausgesehen hat.«
In einer Woche ist meine Hochzeit, und streng
genommen bin ich noch immer nicht verlobt. Fletch wird doch wohl
nicht vergessen haben, meinen Diamanten fassen zu lassen, oder? In
letzter Zeit steckt er eigentlich ständig bis zum Hals in Arbeit,
weil sein reizender Boss auf die geniale Idee gekommen ist, Fletch
an drei Tagen die Woche nach Milwaukee zu schicken. Obwohl er pro
Strecke zwei Stunden braucht, erwartet Clark von Fletch, dass er
morgens pünktlich zur normalen Bürozeit anfängt, weshalb er an
diesen Tagen von sechs Uhr in der Frühe bis acht Uhr abends
unterwegs ist.92
Zum Glück hat Fletch jetzt erst mal zweieinhalb
Wochen Urlaub und kann sich in dieser Zeit hoffentlich ein bisschen
erho-len.
Eben war er ganz komisch und aufgekratzt und hat mich richtig
ausgequetscht, wo ich hinwolle und wann ich wiederkomme und so.
Woraufhin ich ihm erklärt habe, dass ich heute Nachmittag einen
Termin beim Friseur zum Haarefärben habe und zum Abendessen wieder
zuhause bin und er sich gefälligst wieder abregen soll. Normalweise
ist er ja ein unerschütterlicher Fels in der Brandung, weshalb
nicht nur ich ganz kribbelig werde, wenn er sich aufregt, sondern
die Hunde und die Katzen gleich mit. Tucker hat Fletch immer wieder
angestubst, während Loki winselnd um ihn herumgelaufen ist.
Ich stehe gerade am Fuß des letzten Treppenabsatzes
vor meiner Wohnung, als Maisys Kopf im Türrahmen auftaucht. Sie hat
irgendwas Rosafarbenes in Schnauzennähe, und mir bleibt fast das
Herz stehen, weil ich befürchte, dass es nur eine meiner
Kate-Spade-Sandalen sein kann. In letzter Zeit ist Fletch manchmal
so verpeilt, wenn er aus dem Haus geht, dass er vergisst, die
Schranktür zuzumachen. Und während ich nebenan seelenruhig schlafe,
richtet Maisy ein Lederwarenmassaker an. Bisher habe ich drei
Taschen, einen Koffer und vier Paare meiner teuersten Schuhe
eingebüßt sowie, obwohl die nicht aus Leder war, meine
Gucci-Sonnenbrille. Daraufhin haben wir ein Anti-Kau-Spray mit
Extrakten aus Apfelbitterstoffen gekauft, was Maisy allerdings
recht wenig beeindruckt hat: Sie hat die ganze Flasche mit dem
Zeugs einfach aufgefressen.93
Wie ein geölter Kugelblitz flitze ich die fünf
Stufen hinauf und stürze in die Wohnung. »Oh nein, Maisy, was hast
du denn jetzt schon wieder angestellt?«, jammere ich und packe sie
am Halsband, um den Schaden zu begutachten. Aber Maisy hat keinen
Schuh in der Schnauze. Nein, sie hat mit einer Karoschleife ein
Blatt rosa Papier um den Hals gebunden, auf dem in ungelenker
Blockschrift zu lesen steht: LiEbe MammA, Biete heiRAte mEinEn
PapPA …
»Fletch? Fletch, wo bist du? Was ist denn hier
los?«, rufe ich. Woraufhin Loki hereingetrottet kommt, der
ebenfalls ein Schild um den Hals trägt. Ich bücke mich und lese:
… WiR wOllEn nähmlich keInE hUreNKindER mEhr SeiN.
Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, was hier
gerade passiert.
Wie süß ist das denn? Da ist mein langersehnter
Antrag! Jetzt bin ich verlobt! Juhu! Bloß scheint mein Verlobter
gerade unauffindbar zu sein.
Und der dazugehörige Ring genauso.
Wo ist der Ring?
Wieder nehme ich Maisy ins Visier, und mir fällt
auf, dass ihre Schleife ganz nass und durchgekaut ist. Lieber Gott,
bitte, sag mir nicht, dass ich jetzt zwölf bis vierzehn Stunden
warten muss, ehe ich meinen Verlobungsring zu sehen bekomme. Ist ja
schon schlimm genug, mit ansehen zu müssen, wie Teile meiner
Lieblingsaccessoirs aus ihrem Hintern geschossen kommen. Müssen wir
sie jetzt die ganze Zeit beäugen und in ihren Häufchen
herumstochern, bis wir die Sache offiziell machen können?
»Fletch, WO STECKST DU?« Ich höre ein
verräterisches Rauschen, und gleich darauf kommt Fletch mit
schuldbewusster Miene aus dem Badezimmer.
»Du bist früh dran. Es war nicht geplant, dass ich
im Bad bin, wenn du nach Hause kommst.«
»Rory hat mir nur ein paar einzelne Highlights
gesetzt, das dauert nicht so lange.«
»Du hast die Zettel gesehen?«
»Habe ich, und die Antwort lautet Ja.«
»Das hatte ich mir irgendwie schon gedacht, wo wir
doch in zwei Tagen nach Las Vegas fliegen und so.« Dann fällt
Fletch wohl auf, dass ich nicht wie eigentlich erwartet einen
Freudentanz aufführe und in Jubel ausbreche. »Jen, freust du dich
denn
gar nicht? Du hast gesagt, du wünschst dir eine Überraschung, und
da ist sie. Warum also das lange Gesicht?«
Mein Kinn fängt an zu zittern. »Ich war ja auch
glücklich, bis ich gemerkt habe, dass Maisy den Ring gefressen
hat.«
»Nein, hat sie nicht.«
»Hat sie wohl - guck doch!« Und damit zeige ich ihm
das ausgefranste Schleifenband.
»Nein, hat sie nicht«, widerspricht er mir sanft
und zieht mich zu sich heran. »Sie hat deinen Ring nicht gefressen.
Sie hat es versucht, aber sie ist nicht drangekommen. Siehst du?«
Und damit zieht er ein kleines Samtbeutelchen aus der Tasche und
schüttelt es, bis der Inhalt herausfällt. Ein Ring aus Weiß- und
Gelbgold mit dem wunderschönen runden Diamanten meiner Nanny in
einer Chanel-Fassung in der Mitte funkelt in seiner Handfläche. Ich
schnappe ihn mir ohne weitere Umstände. Nicht, was ich erwartet
hatte, aber genau mein Stil.
»Wieso hast du gewusst, was mir gefällt, obwohl ich
immer nur über dicke, klotzige quadratische Klunker und
Baguetteschliff geredet habe? Hat eine meiner Freundinnen dir
geholfen?«
»Nein, den habe ich ganz alleine ausgesucht. Ich
habe mir Hunderte von Fassungen angesehen, doch bei der hier musste
ich gleich an dich denken, also habe ich sie genommen. So, möchtest
du jetzt vielleicht ein Glas Champagner, damit wir ordentlich
anstoßen können?«
»Wir haben keinen. Ich glaube, wir haben bloß noch
die eine klebrige alte Baileys-Flasche im Kühlschrank, die schon
seit Weihnachten da drin steht.«
»Jen, wir haben Champagner.« Er zieht eine Flasche
Moët & Chandon aus einem Sektkübel im Gefrierschrank.
»Und auch noch meine Lieblingsmarke!«, rufe ich
begeistert.
Diamanten und Champagner? Ich sollte öfter
heiraten.
Nach einer langen, stressigen heißen Woche sind
wir endlich in Las Vegas angekommen. Meine Eltern, Fletch und ich
waren im selben Flieger, auch wenn wir nicht alle nebeneinander
gesessen haben. Glücklicherweise hat die einfühlsame Angestellte
unserer Fluglinie, die unser Gespräch beim Check-in zufällig mit
anhörte, das irre Flackern in den Augen meiner Mutter gesehen und
uns daraufhin an entgegengesetzten Enden des Flugzeugs
platziert.94
Es ist nämlich so: Am Abend zuvor hat meine Mutter
sich plötzlich von einer diplomierten Psychotherapeutin mit
Master-Abschluss und vielfältigen Hobbys und Interessen in einen
furchteinflößenden, irren, durchgeknallten japanischen
Anime-Charakter namens Momzilla verwandelt. Als sie sich dann mit
Beginn der Taxifahrt zum Flughafen an meine Fersen heftete und
jedes einzelne Detail meiner sorgfältig geplanten Hochzeitsfeier
skeptisch hinterfragte, ging mir auf, dass ich ein Problem
hatte.
»Mom, was ist denn nur los mit dir? Warum bist du
so gestresst?«, fragte ich.
»Es gibt bloß so viele Kleinigkeiten, an die wir
noch denken müssen«, entgegnete sie, während ihr Fuß mit etwa
hundert Beats pro Minute hektisch auf dem Boden herumtappte und sie
meine Hand mit eisernem Griff umklammert hielt.
»An die habe ich schon alle gedacht. Was glaubst
du, was ich den ganzen Sommer über mit deiner Kreditkarte getrieben
habe? Die gesamte Woche ist bis ins allerkleinste Detail
durchorganisiert. Ich habe dir doch gesagt, dass du dich um nichts
zu kümmern brauchst. Es läuft alles wie am Schnürchen, glaub mir,
also lehn dich einfach zurück und genieße es. Es ist alles
arrangiert.«
»Und was ist mit den Blumen? Die hast du doch noch
gar nicht gesehen! Woher willst du wissen, ob die nachher bei der
Feier auch wirklich hübsch aussehen?«, sorgte sie sich.
»Mom, deine rührende Umsicht in allen Ehren, aber
die ist vollkommen unnötig. Die Floristin sagte mir, sie macht jede
Woche Arrangements für den Rum Jungle, und wir haben in aller
Ausführlichkeit besprochen, was ich mir vorstelle. Ich denke mir,
die ganzen Orchideen, Strelitzien, Gardenien und Ingwerblüten
werden sicher ganz wunderbar aussehen und duften.«
»Wenn wir ankommen, müssen wir uns als Allererstes
anschauen, wo der Sektempfang stattfinden soll. Damit ich mich
vergewissern kann, dass sie uns eine schöne Ecke zugewiesen haben.
Ich meine, stell dir vor, wir sollen vor dem offenen Kamin stehen.
Wir würden uns vorkommen, als wären wir in einer ölverschmierten
Autowerkstatt. Außerdem müssen wir uns um die Tischkarten
kümmern.«
»Auch darüber, Mom, habe ich mich lang und breit
mit dem Hoteldirektor unterhalten. Es ist alles organisiert, und es
wird ganz prima. Und ich habe dir bestimmt schon ein dutzend Mal
gesagt, dass Tischkarten und Gogo-Tänzer in Hängekäfigen EINFACH
NICHT ZUSAMMENPASSEN. Ich möchte, dass alles ganz informell und
zwanglos wird. Tischkarten wären vollkommen kontraproduktiv, was
das »Zum Teufel mit den Traditionen«-Motto meiner Hochzeit
angeht.
»Aber was, wenn der Service miserabel ist? Das
würden meine Schwestern mir bis ans Ende meiner Tage nachtragen.«
Meine Mutter ist eins von acht Kindern, und ihre Sippe verbindet
eine innige Hassliebe. Normalerweise hält meine Mutter nicht viel
von allzu engen Familienbanden, aber ein Großereignis wie diese
Hochzeit bringt natürlich alle zusammen.
»Zunächst einmal sind wir hier in Las Vegas, und da
gibt es so was wie miesen Service gar nicht. Und zweitens habe ich
sogar mit den Kellnern gesprochen, die bei der Feier bedienen
werden, und die wirkten allesamt sehr diensteifrig und beflissen.
Würdest du jetzt also bitte aufhören, dir meinen Kopf zu
zerbrechen.«
»Und dein Kleid? Hast du es auch ganz bestimmt
eingepackt
? Wie willst du das denn noch am Hochzeitstag aufbügeln
lassen?«95
»Mom, wir fliegen nach Las Vegas. Da bekommt
man ALLES, okay? Da könnte ich den Concierge anrufen und eine
Crackpfeife und einen dreizehnjährigen Strichjungen verlangen und
bekäme beides binnen einer Stunde aufs Zimmer gebracht. Mein Kleid
aufbügeln zu lassen sollte also kein größeres Problem
darstellen.«
»SOLL DAS HEISSEN, DU NIMMST DROGEN?«
»Mom, das war eine Übertreibung um der
Veranschaulichung willen. Du solltest dich DRINGEND
entspannen.«
»Und was ist mit Haaren und Make-up?«
»Hast du überhaupt auch nur einen Blick auf
den Programmablauf geworfen, den ich dir gegeben habe? Unser
Friseur- und Kosmetiktermin ist um zwölf Uhr am Hochzeitstag. Den
habe ich schon vor zwei Monaten bei Robert Cromeans gebucht. Das
ist einer der bestens Salons im ganzen Land.« Meine Mutter hatte
die Hände zu Fäusten geballt, und Schweißperlen glitzerten auf
ihrer Oberlippe. »Bei der Anmeldung habe ich ihnen ganz genau
gesagt, wann die Hochzeit stattfindet, und dementsprechend haben
wir die Termine so gelegt, dass genug Zeit für alles ist. Denk
dran, bei denen lassen sich jeden Tag Bräute für ihre Hochzeit
zurechtmachen, also sollten sie ihr Handwerk eigentlich
verstehen.«
Aber auch diese Nachricht konnte ihr Nervenflattern
augenscheinlich nicht besänftigen. Also plapperte ich weiter auf
sie ein. »Mom, bitte, bitte, bitte beruhige dich. Sonst machst du
mich auch noch nervös.«
»Aber es gibt so vieles, das wir nicht vergessen
dürfen.«
»Ja, ich WEISS. Und ich habe mich schon UM ALLES
GEKÜMMERT. Wie ich die Sache sehe, bleibt dir nur eine Wahl.
Du kannst in die Vergangenheit reisen und dich mit mir zusammen um
die Planung kümmern oder du kannst dich ganz einfach auf mich und
mein Organisationstalent verlassen.« In diesem Moment traten wir an
den Check-in-Schalter unserer Airline. Zwinkernd hob die Dame
hinter dem Schalter die Hand, an der ebenfalls ein Verlobungsring
blitzte. Wir tauschten einen kurzen, verständnisvollen Blick aus -
auf Anhieb erkannte sie meinen ehrenhaften Kampf um das schwarze
Kleid, während mir gleich klar wurde, welch hohen Verluste sie in
der Schlacht um den Lachs hatte hinnehmen müssen. Ohne ein einziges
Wort wies sie uns meilenweit voneinander entfernte Sitzplätze
zu.
Das Gute an der Sache war, dass ich mir
ausnahmsweise keine Sorgen darum machte, Kidnapper könnten das
Flugzeug in ihre Gewalt bringen. Sollte Al Qaida es wagen, unseren
Flugplan durcheinanderzubringen, so war ich überzeugt, Momzilla
würde die potentiellen Entführer zerquetschen wie lästige
Insekten.
Fletch und ich sitzen gleich hinter der Bordküche,
und eine freundliche Stewardess versorgt uns den ganzen Flug über
mit kostenlosen Bloody Marys. Sie stellt sogar den Getränketrolley
auf dem Gang vor uns ab, damit meine Mutter nicht zu uns
durchkommt. Als wir schließlich auf dem Rollfeld aufsetzen, hat
meine mütterlich bedingte Anspannung sich erfreulicherweise in Luft
aufgelöst.96
An der Gepäckausgabe treffen wir vier uns wieder.
Mein Vater ist mittlerweile ein einziges Nervenbündel, was man von
ihm eigentlich so gar nicht kennt. In Korea hat er früher Landminen
entschärft, wozu er seiner unerschütterlichen Ruhe wegen
prädestiniert war. Da sie sich aber nicht an mich kletten und mir
damit den Verstand rauben konnte, hatte Momzilla ihre geballte
Aufmerksamkeit auf Big Daddy gerichtet. Dreieinhalb Stunden lang
hatten sie über die zwanzig Pfund Schokoladenmünzen dis-kutiert,
die wir eigens als kleine Aufmerksamkeit für die Gäste geordert
hatten.97 Dad konnte nicht verstehen, warum er
nicht einen Blick auf die Münzen werfen durfte, und Momzilla konnte
nicht verstehen, warum ein Mann mit lähmender Arthritis in den
Schultern nicht einfach die Münzen schleppen und die Klappe halten
konnte. Momzilla hätte sie ja auch selbst getragen, aber sie hatte
ja darauf bestanden, mein Hochzeitskleid zu transportieren.
Die ganze unterschwellige Anspannung geht Fletch
richtig an die Nieren, und meine wunderbare Ruhe verflüchtigt sich
ebenfalls schlagartig. Mir bleibt nichts anderes übrig, als den
Braut-Joker zu ziehen und ultimativ Friedensverhandlungen zu
verlangen. Unter einem brüchigen Waffenstillstand marschieren wir
zu der wartenden Limousine. Wir werden herzlich vom Fahrer begrüßt,
der sofort unser Gepäck übernimmt, auch wenn meine Mutter sich
strikt weigert, ihm die Münzen auszuhändigen.
»Wie geht’s uns denn heute?«, fragt er.
»Wenn ich noch einmal das Wort ›Schokomünzen‹ höre,
vergesse ich mich«, brummt mein Dad entnervt.
»Gleich werde ich handgreiflich.« Mom stiert Dad
vorwurfsvoll an.
»Ich bin nicht mal annähernd so betrunken, wie ich
sein müsste«, entgegnet Fletch.
»Uns geht’s bestens, danke«, sage ich und bedenke
alle mit finsteren Blicken. Der Fahrer verstaut unsere Koffer und
Taschen im Kofferraum, während wir in die Limousine steigen. Kaum
haben wir alle Platz genommen, fängt Mom an, an unserem Menü
herumzukritteln, Fletch jammert rum, er brauche dringend einen
Martini, und Dad beklagt sich, weil Mr Nixon, die arme Socke, ganz
allein in der Hundepension sitzt.
Und ich? Mit reicht‘s.
»Leute? REISST EUCH ENDLICH ZUSAMMEN. Wir sind
jetzt hier, okay? Bald werden wir fünfzig unserer besten Freunde
und liebsten Verwandten sehen, und wir werden uns gefälligst
AMÜSIEREN. Und warum? Weil alles bis ins kleinste Detail
durchgeplant und von mir liebevoll organisiert wurde, sodass nichts
dem Zufall überlassen wurde«, keife ich. Ich komme richtig in Fahrt
und wettere gleich weiter: »Diese Hochzeit wird einfach PERFEKT,
und deshalb will ich jetzt kein Wort mehr hören über Schokolade
oder Menüfolgen oder Blumen oder sonst irgendwas. Das Gemecker
und das Gejammer hören jetzt auf der Stelle auf. Und dann setzen
wir alle ein breites, strahlendes Lächeln auf und benehmen uns wie
eine normale, glückliche Familie, UND WENN ES DAS LETZTE IST, WAS
WIR TUN. Es kann überhaupt nichts schiefgehen, weil ich mich um
alles gekümmert und an sämtliche Eventualitäten gedacht habe. Also
bitte ich alle Anwesenden, haltet ein und schweigt. Es wird toll.«
Alle bitten verschreckt flüsternd um Verzeihung, und ich lehne mich
mit einem triumphalen Grinsen im Gesicht zurück.
»Wohin?«, erkundigt sich der Chauffeur, der gerade
auf dem Fahrersitz Platz nimmt.
»Ins Mandalay Bay, bitte«, entgegne ich.
»Wird bestimmt ein ziemlich wildes Wochenende im
Mandalay«, meint er, als wir auf die Paradise Road einbiegen.
»Ach, tatsächlich«, erwidere ich großmütig. Sonst
nervt es mich immer, wenn der Fahrer mir ein Gespräch aufdrängen
will, insbesondere, wenn ich in Begleitung unterwegs bin. Aber ich
versuche meiner Familie zu beweisen, wie umgänglich und nett ich
bin. »Und warum das?«, frage ich mit geheucheltem Interesse.
»In dem Hotel steppt dieses Wochenende der
Bär.«
»Wegen des Feiertags und des langen Wochenendes,
meinen Sie?«
»Auch, aber vor allem wegen der Stripper und
Pornostars.«
Verdatterte Stille macht sich auf den hinteren
Sitzen breit.
»Sie wissen aber schon, dass dieses Wochenende die
Erotik-Messe in Ihrem Hotel stattfindet, oder?«
Die nächsten drei Tage bringt mein Vater damit zu,
sich vor meiner Mutter zu verstecken. Und da die zufälligerweise
nichts Besseres zu tun hat, als an mir zu kleben wie eine Klette,
ist auch Fletch wie vom Erdboden verschluckt. Gelegentlich
erhaschen Mom und ich in einem der Restaurants oder Bars des Hotels
einen flüchtigen Blick auf die beiden Abtrünnigen, die mit
ebenfalls früher angereisten Freunden die Sau rauslassen. Ich bin
froh, dass die beiden sich so gut amüsieren. Die Panikzustände
meiner Mutter haben bisher ungeahnte Höhen erreicht, und wir zanken
uns ununterbrochen wegen allem und jedem. (»Bis Treasure Island
zu laufen würde mindestens eine Stunde dauern, selbst wenn wir
einen Teil der Strecke mit der Einschienenbahn fahren.« »Nein,
bestimmt nicht.« »DOCH, BESTIMMT.« »Warum benutzt du keine
Sonnencreme?« »Weil ich richtig knackig braun werden will.«
»Davon bekommt man Hautkrebs.« »Bestimmt sterbe ich vorher an
einem Herzinfarkt.« »Meinst du wirklich, es ist gut, so viel
Geld an den Spielautomaten zu verschleudern?« »Das waren fünf
Dollar in Fünfcentstücken!«) Zum Glück ist mein Bruder gestern
Abend angekommen, und obwohl er eigentlich ein Stinkstiefel ist,
trägt seine Anwesenheit dazu bei, die Atmosphäre etwas zu
entspannen. Er und Mom sind gerade irgendwo unterwegs. Ich weiß
nicht, was sie machen, und will es auch nicht wissen, denn endlich
bin ich ganz allein und genieße die herrliche, köstliche
Einsamkeit.
Weil wir unser Geld zusammenhalten müssen und noch
keine Geschenke bekommen haben, kann ich meine kostbare Freizeit
nicht dazu nutzen, das zu tun, was ich sonst immer in Las Vegas
mache. Da also sowohl Shoppen als auch Spielen gestrichen sind,
tue ich was für meine Bräune. Mir gefällt es hier ganz prima, denn
der Außenbereich des Mandalay Bay sucht seinesgleichen. Überall in
der prächtigen, üppig grünen Parklandschaft verstreut laden
Schwimmbecken und Whirlpools zum Baden ein, obwohl ich persönlich
den riesigen Natursandstrand am Wellenbad am tollsten finde.
Aber heute hat es mir irgendwie den Spaß verdorben.
Es scheint nämlich, als sei ich die Einzige am Pool, die nicht im
Abspann von Analpiraten II genannt wird, und ich fühle mich
reichlich unwohl. Eigentlich will ich gar nicht hinschauen, aber
ich kann einfach nicht anders. Mal ehrlich, noch nie in meinem
ganzen Leben habe ich so viel Silikon auf einem Haufen gesehen! Das
schlummernde Mädel rechts neben mir scheint unter ihren winzigen
Augenklappen von einem Bikinioberteil hautfarbene Wassermelonen zu
verstecken, und die Frau zu meiner Linken trägt nichts als
Däumelines Unterwäsche - zwei mit Zahnseide befestigte
Fingerhütchen. Vorhin hat sich ein Herr, der in seiner Badehose
wohl eine übergroße Zucchini schmuggelte, gleich nebenan auf
meiner Augenhöhe mit Pornosternchen Däumeline über ihren
neuesten Film unterhalten. Ich hatte Angst, mir mit einer falschen
Bewegung womöglich ein Auge auszustechen, weshalb ich nicht so
genau mitbekommen habe, worüber die beiden eigentlich redeten, doch
ich glaube, es ging dabei um einen »Rimjob«.98
Angesichts dieser völligen Reizüberflutung schließe
ich die Augen und mache sie erst wieder auf, als ein großer
Schatten mich streift. Ich gucke hoch, und mein Blick fällt statt
auf eine flauschige Schäfchenwolke auf einen haarigen, dicken, aber
irgendwie tröstlich vertrauten Bauch.
»Hey, Schweinchen Dick!«, ruft mein Bruder
fröhlich.
»Todd! Was machst du denn hier?« Sein Flieger ist
gestern
Abend so spät gelandet, dass ich schon im Bett war, als er ankam,
und ich ihn bisher noch nicht gesehen habe.
»Haste mal zwanzig Dollar?«
»Wozu?« Mein Bruder hat massenweise Geld, mehr, als
er ausgeben kann. Trotzdem macht es ihm einen Heidenspaß, mich
anzupumpen, und er hat es im Laufe der Jahre in dieser hohen Kunst
zu wahrer Meisterschaft gebracht.
»Ich habe dir Mom den ganzen Morgen vom Hals
gehalten, und gerade habe ich sie mit Tante Virginia zum
Mittagessen geschickt, also wirst du sie bis zum Probedinner heute
Abend nicht mehr zu sehen bekommen.« Habe ich nicht gesagt, der
Kerl ist klasse?
»Also gut«, entgegne ich und greife in meine
Strandtasche. Aus der angele ich meinen letzten
Zwanzigdollarschein, den ich Todd reiche. »Danke. Das ist gut
angelegtes Geld.«
Däumeline bietet Todd ihren Liegestuhl an, weil sie
mit der Gleitgel-Gang zum Mittagessen geht. Ich bedanke mich artig,
denn mal ehrlich, was soll ich sonst machen? Todd lässt sich mit
einer Sports Illustrated, einer Sporting News, einem
Baseball Digest, einem Golf Magazine, dem Sportteil
der heutigen Zeitung und einem Handtuch auf die Liege fallen.
»Ich kann es kaum glauben, dass du tatsächlich
gekommen bist. Musst du nicht irgendeinen dringenden Artikel
schreiben über irgendeinen Sportler, der irgendein Wurfgeschoß
durch irgendwas Rundes oder Eckiges befördert hat?« Mein Bruder ist
Sportredakteur bei einer Zeitung und arbeitet eigentlich
ununterbrochen. Gott sei Dank ahnt sein Arbeitsgeber nicht, dass
mein Bruder ihn für das Privileg bezahlen würde, den ganzen
lieben langen Tag über Sport berichten zu dürfen.
»Nö, ich habe einen Praktikanten, der meine Seite
für ein paar Tage übernimmt, also kein Problem. Hey, wie komme ich
denn an einen von diesen swimmingpoolgroßen Strawberry
Margaritas?«
»Du brauchst bloß das Fähnchen an der Rückenlehne
aufzustellen. So.« Ich zeige ihm an meinem eigenen Liegestuhl, wie
das funktioniert.
Gleich darauf erscheint eine Kellnerin, die unsere
Bestellung aufnimmt, und es dauert nicht lange, da schlürft Todd
zufrieden seinen Cocktail, während sein Blick zwischen einem
Artikel über die Red Sox und den in den Wellen planschenden
Pornoköniginnen hin und her wandert.
»Ich hoffe, die tun dieses Wochenende ein bisschen
mehr Chlor ins Wasser«, kichert Todd fies.
»Mal ehrlich. Diese Messe macht mich noch
wahnsinnig. Gestern Abend haben Mom und ich auf ein Taxi gewartet,
und gleich neben uns stand eine Frau in einem Gummikleid, das
aussah, als wäre es aus einem Luftballon geschneidert. Ihr Kleid
war so kurz, sie hätte es auch als Trägertop tragen können. Und
hinter uns standen ein paar Männer und schwärmten doch tatsächlich,
wie gut sie duftet. Da bin ich richtig fuchsig geworden.
Entschuldige bitte, aber ich bin diejenige, die sich kurz
vorher geduscht, eingecremt und mit J’adore Dior parfümiert hat.
Sie hat nach Krabbendip gerochen.«
»Jean war auch nicht gerade begeistert, als ich ihr
gestern Abend am Telefon von den Stripperschwadronen erzählt habe.«
Hm, Jean sitzt allein zuhause und kümmert sich um drei Kleinkinder,
während ihr Mann sich in einem Hotel voller Erotikdarstellerinnen
verlustiert. Weiß gar nicht, weshalb die sich aufregt.
»Hat Mom dir von dem Kerl mit dem fettigen braunen
Teint und der Tonne Goldkettchen um den Hals erzählt, der mich doch
tatsächlich gefragt hat, ob ich auch zu der Messe hier bin? Ich
habe zu ihm gesagt: ›Hören Sie mal, mein Lieber, ich trage ein rosa
Lacoste-Hemd, eine grüne Caprihose und eine dreireihige
Perlenkette. Was davon sagt Ihnen: ›Vögelt gegen Geld vor laufender
Kamera mit wildfremden Menschen‹?«
»Als heute Morgen eine ganze Horde Stripperinnen
vor uns aus dem Aufzug gestiegen ist, meinte Mom: ›Ich kann einfach
nicht anders, als ihnen auf die Brüste zu starren.‹ Ich glaube, ihr
war nicht klar, dass da noch andere Leute im Aufzug waren, die das
mit angehört haben«, erzählt Todd kichernd. Meiner Mutter und mir
fehlt die Firewall im Gehirn, die verhindert, dass jeder Gedanken,
der uns kommt, gleich unzensiert herausblubbert.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt
denken, du amüsierst dich köstlich. Wie oft habe ich dich schon
sagen hören, dass du Las Vegas hasst und niemals, nie im Leben
dahin fahren würdest?«
Er zuckt die Achseln. »Ich sage viel, wenn der Tag
lang ist, nur um dich zu ärgern.«99
»Wenn ich verheiratet bin, behandelst du mich dann
endlich wie einen erwachsenen Menschen? Und hörst auf, gemeine
Artikel über mich zu schreiben? Versuchst mir nicht jedes Mal Geld
aus den Rippen zu leiern, wenn wir uns sehen?«
»Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen, aber weil
es deine Hochzeit ist, mache ich dir ein Angebot. Du gibst mir fünf
Dollar, und ich bin den Rest der Woche nett zu dir.«
»Du bist echt ein Prinz.«
»Genau.«
Missmutig drücke ich ihm fünf Eindollarscheine in
die Hand. »Hey, Todd, wie hast du mich eigentlich hier draußen
gefunden? Der Strand ist doch bestimmt zehn Hektar groß, ganz zu
schweigen von der restlichen Pool-Landschaft.«
»Ich habe oben bei Mom und Dad aus dem Fenster
geguckt und nach dem fettesten Klops am ganzen Strand Ausschau
gehalten. Als ich einen weißen Wal gesehen habe, war ich mir
ziemlich sicher, dass du das sein musst, und da bin ich.«
Ich strecke die Hand aus und verlange wortlos meine
fünf Dollar zurück.
Widerstandslos händigt er sie mir aus. »Aber das
war’s wert.«
»Mach schon, Mom. Wir müssen zu unserem Termin.«
Es ist mein Hochzeitstag, und ich stehe auf dem Flur vor dem
Hotelzimmer meiner Eltern, hämmere wie wild gegen die Tür und
versuche, meine Mutter aus dem Bett zu bekommen. Ich kann es nicht
fassen, dass ich sie doch tatsächlich raustrommeln muss. Bei dem
ganzen Wirbel, den sie um die Hochzeit veranstaltet hat, hätte ich
angenommen, sie wäre schon seit Sonnenaufgang auf den Beinen. »Wenn
wir nicht auf der Stelle zum Spa runtergehen, haben wir keine Zeit
mehr für Kaffee und Muffins.«
Meine Mutter macht die Tür auf, und entsetzt sehe
ich, wie blass sie um die Nase ist. »Ach du lieber Himmel! Was ist
denn mit dir passiert?«, rufe ich entgeistert.
»Pssst, krank. Sehr, sehr krank«, flüstert sie kaum
hörbar und stützt sich an meiner Schulter ab. »Ich weiß gar nicht,
warum. Dabei habe ich bloß ein Glas Wein getrunken.
»Mom? Wie kannst du behaupten, es sei bloß
ein Glas gewesen, wenn der Kellner dir doch immer wieder
nachgeschenkt hat.«
Empört schnappt sie nach Luft. »Jennifer, das ist
eine Lüge! Ich trinke nicht! Und außerdem habe ich nur ein einziges
Glas getrunken. Das war sicher eine allergische Reaktion auf die
Tannine im Rotwein.«
»Du hast neben mir am Tisch gesessen, und ich habe
mit eigenen Augen gesehen, wie der Kellner dir mindestens fünfzehn
Mal das Glas nachgefüllt hat. Du kannst es dir gerne selbst
ausrechnen: Es waren nur zwanzig Gäste beim Probedinner, aber wir
haben fünfzig Flaschen Wein geleert. Das macht im Durchschnitt etwa
zehn Gläser pro Nase.«
»Ich habe keinen Kater! Ich bin krank! Ich habe
gestern Abend zu viel fettes Essen gegessen, und das hat eine
Kreuzreaktion mit den Tanninen hervorgerufen.«
»Ach, tatsächlich? Tja, wenn du keinen Kater hast,
dann macht es dir sicher auch nichts aus, wenn ich von einem
fettigen Schweinekotelett mit Zwiebeln erzähle, serviert in einem
dreckigen Aschenbecher?«
»Nein!«, kreischt sie und stürzt zu dem Mülleimer
neben dem Fahrstuhl.
»Willst du jetzt deine ›Ein Glas‹-Antwort noch mal
überdenken?«
»Na ja, vielleicht waren es auch zwei Gläser, aber
mehr nicht«, behauptet sie felsenfest. Während uns der Aufzug zum
Spa-Bereich bringt, lehnt meine Mutter sich mit beiden Händen gegen
die Wand, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Ach, schaut alle her, es ist Julia, die Königin
der Leugner! Mom, weißt du noch, warum Fletch und ich das
Probedinner gestern Abend so früh verlassen haben?«
»Ehrlich gesagt, nein.«
»Kannst du dich daran erinnern, wie du und Kusine
Karla angefangen habt, ›Show Me the Way to Go Home‹ zu singen, und
wir euch angefleht haben, es sein zu lassen? Und du hast mich bloß
angeguckt mit zerzausten Haaren und deinem auf Halbmast über die
Schulter gerutschten Blazer und hast genuschelt: ›Isss main
groooßer Tag, unn isch mache, wasss isch will‹, also habe ich mich
zu Fletch umgedreht und gesagt: ›Wir verschwinden.‹«
»So was würde ich niemals tun. Und es war bloß ein
Glas. Höchstens zwei.«
»Wenn du dir das lange genug einredest, glaubst du
es bestimmt irgendwann.«
Ich melde uns an der Rezeption des Spas an. »Hallo,
ich komme wegen des Zuckerpeelings, und diese strahlende
Brautmutter hier bekommt eine Massage.« Womit ich auf meine Mutter
weise,
deren Gesicht sich inzwischen grasgrün verfärbt hat. Dann nehme
ich dankend Bademäntel und Schlüssel entgegen, und wir gehen zum
Umziehen in die Kabinen.
Im Wartebereich des Wellness-Bereichs lasse ich mir
Muffins, Obst und einen Champagner mit Orangensaft schmecken,
während meine Mutter sich krampfhaft an eine Wasserflasche
klammert. Ich halte ihr mein Glas unter die Nase. »Na, ein bisschen
Gegengift vielleicht?« Angeekelt zuckt sie zurück und verbirgt das
Gesicht in den Händen. Dann kommt die Kosmetikerin und holt mich
ab, und als ich ihr folge und hinausgehe, rufe ich über die
Schulter zurück: »Kübel nicht auf die Massageliege!«
Nach dem Zuckerpeeling dusche ich mich ab und suche
meine Mutter. Eigentlich wollten wir ein bisschen ins
Eukalyptus-Dampfbad gehen und anschließend in die Sauna, ehe wir
zur Maniküre müssen.
»Jennifer?«, fragt die Dame hinter dem
Schalter.
»Ja?«
»Ihre Mutter lässt Ihnen ausrichten, dass sie
später beim Friseur wieder dazustößt. Ich glaube, sie ist nach oben
gegangen, um sich noch mal ein Weilchen hinzulegen.«
»Danke fürs Ausrichten.«
»Meinen Sie, es ist alles in Ordnung? Sie sah
ziemlich mitgenommen aus.«
»Sie wird sich schon wieder berappeln«, versichere
ich. »War ja schließlich nur ein Glas Wein.«
Hunderttausend Mal habe ich mir meinen
Hochzeitstag im Geiste schon ausgemalt. Aber in keiner dieser
Phantasien war meine Abstinenzler-Mutter zu verkatert, um mir beim
Zurechtmachen zu helfen. Weil ich keine meiner Freundinnen
zwangsverpflichten möchte, mir zur Hand zu gehen, ist im Augenblick
niemand da. Fletch wird gerade im Herren-Spa geschniegelt und
gestriegelt,
also bin ich ganz allein im Zimmer, esse ein Clubsandwich und
trinke eine Cola, während ich mir eine Wiederholung von The Real
World San Francisco anschaue. 100
In einer halben Stunde muss ich in der Kapelle
sein, also wird es langsam Zeit, das Kleid anzuziehen. Nachdem ich
mir die Mayo von den Händen gewaschen und meinen Lippenstift
nachgezogen habe, schlüpfe ich hinein und versuche, den
Reißverschluss hochzuziehen. Aber ich schaffe es nur bis auf halbe
Höhe, weil ich nicht richtig drankomme. Ich winde mich und mühe
mich ab, bis mir der Schweiß ausbricht, aber alles vergebens. Die
Brautzeitschriften haben mich angeschmiert: Wie der schönste Tag
meines Lebens fühlt sich das ganz bestimmt nicht an.
Zum Glück sieht es aber zumindest aus wie der
schönste Tag meines Lebens. Die Friseurin hat mir die Haare locker
hochgesteckt und über und über mit winzig kleinen Orchideen
besteckt. Es sieht ein bisschen wild und zerzaust aus, nach
Brigitte Bardot in jungen Jahren. Und mein Make-up ist der Hammer -
die Visagistin hat einen schimmernden Puder auf meine Wangenknochen
aufgetragen, und das sieht einfach umwerfend aus. Mein Mittagessen
habe ich vor dem Spiegel gegessen, weil ich einfach nicht die Augen
von mir lassen konnte und mich dauernd selbst bewundern musste. Ich
bin eine echt rattenscharfe Braut.
Hilfesuchend rufe ich im Zimmer meiner Eltern an.
Mit amüsiertem Ton setzt mein Dad mich darüber in Kenntnis, dass
sie augenblicklich rüberkommen, sobald meine Mutter aufhört zu
würgen. Dann lässt er sich über seinen Kummerbund aus. Er ist sauer
auf meine Mutter, weil sie darauf bestanden hat, dass er einen
Smoking trägt statt eines Blazers und des Hawaiihemds darunter, das
ich ihm extra für die Trauung gekauft habe. Wie es scheint, bin ich
nicht die Einzige, die mit einem mütterlich bedingten
Garderobendilemma zu kämpfen hat.
Nur halb bekleidet, aber strahlend sitze ich auf
der Bettkante und warte. Ganz sicher muss ich doch nicht mit
herausblitzendem Stahl-BH vor den Altar treten, oder?
Da stehe in ich nun, kurz davor, vor Gott und den
wichtigsten Menschen in meinem Leben ein feierliches Gelübde
abzulegen, und kann an nichts anderes denken als daran, dass der
Priester aussieht wie Father Guido Sarducci aus Saturday Night
Live.
»Fletch, Guido Sarducci! Er sieht aus wie Father
Guido Sarducci«, flüstere ich, ohne die Lippen zu bewegen.
»Genau das habe ich auch gedacht«, wispert er
zurück.
»Vielleicht ist er es ja wirklich. Wann hast du ihn
das letzte Mal im Fernsehen gesehen? Hey, hast du den kleinen
Gangster gesehen, der vor uns geheiratet hat? Seine Braut sah aus,
als sei sie höchstens vierzehn, und die hatten schon ein Baby! Und
hast du das Tattoo gesehen, das er im Nacken hatte? Der muss
…«
Der Priester beginnt mit der Trauungszeremonie. Oh.
Wahrscheinlich sollten wir jetzt besser die Klappe halten. Ich
hätte schon beinahe Ärger bekommen, weil ich auf dem Weg zum Altar
stehengeblieben bin, um einige meiner Gäste zu begrüßen.
Wir haben uns für eine christliche Trauung
entschieden. Ich meine, bloß weil ich in einem Casino heirate,
heißt das ja noch lange nicht, dass ich ein Heidenkind bin.
Allerdings auch Gott eingeschlossen dürfte die ganze Sache
eigentlich nicht länger als eine Viertelstunde dauern, was ein
neuer Rekord wäre verglichen mit sämtlichen anderen Hochzeiten, auf
denen ich bisher war. Auf der Highschool waren Carol und ich bei
der Hochzeit eines Mädchens namens Janine, die haargenau sechzehn
Minuten dauerte. Wobei sie erst sechzehn und hochschwanger war,
aber trotzdem - der Punkt geht an mich.
Haben Sie schon mal eine katholische Trauung mit
komplettem Hochamt erlebt? Himmel. Da kann man alt und grau werden
und tot umfallen, ehe das Brautpaar endlich im Bund der Ehe
vereint ist. Bei einer fünfzehnminütigen Zeremonie bleibt keine
Zeit für belanglose Albernheiten, die alle Anwesenden zu Tode
langweilen, wie dieses schreckliche »Liebe ist«-Gesülze oder dieses
unsägliche »Heute heirate ich meinen Freund«-Gedicht. Igitt. Da
würde ich lieber Homer Simpsons Ehegelöbnis aus der Folge »Scheide
sich, wer kann« vortragen: »Willst du, Marge, deinen Homer, in
Armut oder Reichtum - Armut ist unterstrichen - trotz Impotenz oder
Überpotenz, in stiller Einsamkeit oder im Sturm über der
Alkali-Ebene in einem düsengetriebenen, von einem Affenpiloten
gelenkten …«
Fletch stupst mich an. Hä? »Oh, ähm, ja, ich stehe
heute aus freiem Willen vor Ihnen«, sage ich zu Father Guido.
»Wunderbar«, entgegnet er. »Und nun möchte ich eine
Stelle aus dem Ersten Brief an die Korinther vortragen.« Father
Guido setzt schwungvoll die Brille ab, und ich verdrehe
unabsichtlich die Augen. Verzeihung, Padre? Zwanzig Mal am Tag
ziehen Sie diese Feier durch, ich würde also drauf wetten, dass Sie
das alles in- und auswendig können. Der dramatische Effekt des
Entfernens der Lesehilfe ist zwar recht eindrucksvoll, aber
Theatralik ist hier nicht vonnöten. Das Video kaufen wir sowieso -
also keinerlei Anlass für theosophische Treueschwüre, ja?
»Ähm. Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig
…«
ARRRGH!
Nach der Trauung müssen Fletch und ich für
mindestens tausend Fotos posieren. Mein Bruder knipst gelegentlich
ein bisschen für seine Zeitung, also macht er auch heute ein paar
Bilder von der Hochzeit. Todd und unser Fotograf scheinen sich ein
professionelles Wettweitpinkeln zu liefern, bei dem es darum geht,
wer die meisten Linsen im Köfferchen hat und uns aus den
unterschiedlichsten Winkeln ablichtet.
»Hey, Ansel Adams, Annie Leibovitz, könntet ihr
endlich zu Potte kommen? Bei der Feier wird es bestimmt mehr als
genug Gelegenheiten geben zum Fotografieren, und ich fange langsam
an zu schmelzen«, jammere ich. Bei vierzig Grad im Schatten ist
auch trockene Hitze unerträglich, ganz besonders in meinem
Taucheranzug-Miederkorsett. »Ich fühle mich wie ein Schweinebraten,
der im eigenen Saft schmort. Los, Schluss jetzt!«
»Aber das sind Erinnerungen, an die Sie Ihr ganzes
Leben lang zurückdenken werden«, entgegnet unser
Profiknipser.
»Nein, meine Erinnerungen finden DRINNEN statt, wo
meine Freunde und meine Familie bereits die Vorzüge von Klimaanlage
und Kaltgetränken genießen. Die einzige Erinnerung, die ich gerade
habe, sind Schweißperlen, die mir die Visage runterlaufen. Also
können wir jetzt bitte reingehen?«
Worauf unser Fotograf entgegnet: »Natürlich!«
»Na endlich!«
»Sobald wir die Aufnahme neben dem Mosaikbrunnen im
Kasten haben.«
»Und mit den Elefantenstatuen!«, wirft mein Bruder
ein.
»Die Eisentore nicht zu vergessen!«
»Und was ist mit den riesigen Palmen?«
»Hey, wissen Sie, was eine tolle Einstellung wäre?
Durch das Blattwerk. Machen wir noch schnell ein paar...«101
Als wir dann endlich nach drinnen gehen dürfen, bin
ich bestimmt zehn Pfund leichter. Um die Wartezeit zu verkürzen,
haben unsere Gäste die vergangenen zwei Stunden eifrig zum Trinken
genutzt, und einige unserer Freunde sind bereits jenseits von Gut
und Böse. Fletchs alter Kumpel aus Army-Zeiten, Joel, ist dermaßen
hinüber, dass Fletch ihn nach oben in unser Zimmer bringen muss,
damit er sich hinlegen kann.
Da alle anderen schon seit TAGEN auf der Feier
sind, bekom-men
wir die letzten übriggebliebenen Plätze, direkt vor einer Wand,
flankiert von meiner Mutter und meinem Vater. Gegenüber sitzen ein
paar ihrer Nachbarn. Meine Mutter hat darauf bestanden, dass die
anderen Gäste an einem großen, leicht zugänglichen Tisch am
Kopfende Platz nehmen, während wir in einer Art winziger
Hochzeitsloge eingepfercht sind, in der es quasi unmöglich ist,
dass wir a) aufstehen oder b) irgendjemand zu uns rüberkommt, um
sich mit uns zu unterhalten. Momzilla hat heldenhaft ihren Kater
bezwungen und weicht nicht mehr von meiner Seite. Endlich weiß sie
all die harte Arbeit zu schätzen, die ich investiert habe, und die
Krittelei ist umgeschlagen in einen Schwall physischer
Zuneigungsbekundungen: »Ich kann nicht gleichzeitig trinken und
deine Hand halten, Mom.« »Du schnürst mir die Luft ab.« »Bitte,
setz dich auf deinen eigenen Stuhl.« »Du hast mich heute schon
öfter geküsst als mein Ehemann. HÖR JETZT AUF DAMIT.« Die
Aussicht, noch ein paar Bilder zu schießen, wirkt plötzlich
verlockend, böte das doch eine willkommene Gelegenheit, dieser Enge
und der alles erdrückenden Mutterliebe zu entkommen.
Insgesamt verbringe ich beim Empfang etwa
sechsunddreißig Sekunden mit meinen Freunden, weshalb wir uns für
später verabreden. Vorher möchte ich mich schnell umziehen.
Irgendwie werde ich dann auch noch dazu verdonnert, Torte und
Blumen auf das Zimmer meiner Eltern zu bringen.102
Es dauert gut eine halbe Stunde, bis ich wieder
unten vor dem Rum Jungle stehe. Vor dem Club hat sich eine Schlange
gebildet, die ich ganz selbstverständlich links liegen lasse. Als
ich gerade
über das Absperrseil steigen und hineingehen will, baut sich ein
gigantischer Fleischberg im Anzug mit Kopfhörer auf den Ohren vor
mir auf und versperrt mir mit einem enormen Arm den Weg.
»Verzeihung«, sage ich und will um ihn
herumgehen.
»Bis zehn ist geschlossene Gesellschaft.«
»Ja, das weiß ich. Da drinnen findet eine
Privatparty statt - meine nämlich.«
»Die Party ist vorbei. Bis zehn ist geschlossen,
bis die Bestuhlung raus und alles wieder für den normalen Betrieb
aufgebaut ist.«
»Aber alle meine Gäste sitzen da drinnen an der
Bar. Es kann also gar nicht geschlossen sein, wenn noch Getränke
ausgeschenkt werden.«
»Tut mir leid. Vor zehn kann ich Sie da nicht
reinlassen.«
»Darf ich denn wenigstens schnell reingehen und
meinen Freunden Bescheid sagen? Die fragen sich sicher schon, wo
ich stecke.«
»Klar.« Woraufhin ich zur Tür marschieren will,
aber wieder stellt er sich mir in den Weg.
»Um zehn Uhr.«
Jetzt verstehe ich, was hier los ist. Diese
ungelenke, steroidverdummte Genmutation erlaubt sich einen
Spaß mit mir. Kumpel, das ist heute nicht der richtige Tag für
deine Sperenzchen.
»Wollen Sie damit sagen, meine Eltern haben
Tausende von Dollar für diesen Abend hingeblättert, und Sie
wollen mich, die Braut, nicht ZU MEINER EIGENEN
HOCHZEITSGESELLSCHAFT LASSEN?«
»Ach, klar können Sie zu denen.« Er knackt mit den
Knöcheln seiner tellergroßen Hände.
»Danke sehr.«
»Um zehn Uhr.«
»Habe ich hier irgendwas verpasst? Denn
offensichtlich drücke ich mich für Sie unverständlich aus. Sagen
Sie, soll ich Sie
vielleicht mit dem Geld bestechen, das ich zu meiner Hochzeit
geschenkt bekommen habe - und das ich dringend brauche, damit
ich nicht aus meiner Wohnung fliege - und einen schönen dicken
Schein rausrücken, um mir das Privileg zu erkaufen, an meiner
eigenen Hochzeitsfeier teilnehmen zu dürfen?«
Ein Muskel an seinem gewaltigen Kiefer verspannt
sich, und er bedenkt mich mit einem fiesen kleinen Grinsen. Sein
Blick wandert erst nach links und dann nach rechts, und dann beugt
er sich zu mir herunter und erklärt: »Könnte nicht schaden.«
»Glauben Sie mir, könnte es wohl.« Und damit wende
ich mich an die Schlange wartender Gäste. »Hey, Leute! Dieser Herr
hier erwartet von mir, dass ich ihn BESTECHE, um zu meiner eigenen
Hochzeitsfeier gelassen zu werden. Können Sie sich vorstellen,
jemand würde so tief sinken, einer Braut an ihrem
Hochzeitstag Kohle abknöpfen zu wollen? Also, ich BESTECHE
den Kerl ganz sicher nicht, aber wie es aussieht, muss man nur
genug Asche ausspucken, dann kommt man auch früher rein!« Ich
erwidere das fiese Lächeln des Türstehers und weide mich am Anblick
seines Gesichts, das unter der Sonnenbräune kreidebleich geworden
ist. »So, also, wie wär’s, wenn ich jetzt schnell reinflitze und
meinen Freunden Bescheid sage?«
Beim Rauskommen wünsche ich dem Türsteher
unüberhörbar viel Glück beim Schmiergelderkassieren und versichere
ihm, dass er uns zum letzten Mal hier gesehen hat. Was ihn nicht
weiter kratzt, aber ich fühle mich danach sehr viel wohler.
Irgendwann im Verlauf der letzten halben Stunde
muss ich wohl meines Bräutigams verlustig gegangen sein. Er und ein
paar Kumpels aus seiner Studentenverbindung sind losgezogen, um
mich zu suchen, als ich auf Tortenmission unterwegs war. Wir
Übriggebliebenen machen uns auf den Weg zu einer der Lounges, wo
wir es uns auf einigen einladenden Couches bequem machen. Nach ein
paar Drinks fällt mir auf, wie müde ich eigentlich bin, aber ich
will nicht schlafen gehen, ehe Fletch wieder zu
uns gestoßen ist. Ich warte und warte, doch er taucht nicht auf.
Gegen halb zwölf bitte ich meinen Bruder, Fletch auszurichten, ich
sei schon mal auf unser Zimmer gegangen und er solle gleich
nachkommen.
Das Erste, was ich sehe, als ich die Tür
aufschließe, ist das Kinderbett … allerdings erst, nachdem ich
darübergestolpert bin.
Ganz außer mir rufe ich an der Rezeption an. »Ja,
hier ist Jennifer Lancaster aus einer Ihrer Hochzeitssuiten. …
Bestens, danke. Wobei, nein, eigentlich geht es mir gerade nicht so
gut. Man hat mir ein KINDERBETT aufs Zimmer gestellt, und ich bin
darüber gestolpert und möchte es gerne entfernen lassen.… Mhm, ja.
… Wissen Sie, sämtliche anderen Hochzeitspaare, die ich heute in
der Kapelle gesehen habe, hatten schon Kinder, also war es sicher
für eins der anderen Zimmer bestimmt.… Vielleicht versuchen Sie es
erst mal bei der Kinderbraut und ihrem tätowierten Stecher. Die
sehen aus, als würden sie nicht immer die klügsten Entscheidungen
treffen, und ich würde wetten, das Baby schläft heute Nacht bei
ihnen im Zimmer. … Prima. Vielen Dank.«
Ich reibe mir die Hüfte, die ich mir an dem
Bettchen angestoßen habe, und schaue mich im Zimmer um. Das Bett
ist zerwühlt, weil Joel darin seinen Rausch ausgeschlafen hat, und
er hat einen Fleck hinterlassen, der hoffentlich bloß eine
Bierlache ist. Keine Ahnung, warum Fletch ihn nicht auf die COUCH
verfrachtet hat, aber ich werde mich jetzt nicht aufregen. Heute
ist der schönste Tag in meinem Leben, und er war einfach perfekt.
Ich hatte zwar nicht allzu viel Gelegenheit, ihn zu genießen, meine
Gäste allerdings dafür umso mehr, und ich denke, das ist doch auch
schon mal was.
Dann erst fällt mir auf, dass das ganze Zimmer
durchdringend nach Zigarettenqualm stinkt. Fletch muss hier oben
gewesen sein und mich gesucht haben, denn sein ganzes Gefolge
raucht, wenn sie trinken. Sämtliche Aschenbecher unserer Suite sind
leer, weshalb ich mich frage, wo sie die Kippen wohl entsorgt
haben. Der
Gestank von abgestandenem Zigarettenrauch ist so durchdringend,
dass mir übel wird.
Ach … verstehe. Sie haben ihre Kippen in den
Überresten meiner letzten Mahlzeit auf dem Tablett des
Zimmerservice ausgedrückt. Ich muss mich zusammenreißen, um
nicht in die Luft zu gehen. Ich sage mir selbst immer wieder:
schönster Tag, glückliche Gäste, hübsch ausgesehen beim
Sandwich-Essen, alles okay.
Angeekelt stelle ich das zigarettenverseuchte
Tablett auf den Flur, und endlich erscheint auch jemand vom
Service, um das Kinderbettchen abzuholen. Ungeduldig laufe ich in
der Suite auf und ab und warte darauf, dass Fletch nach oben kommt.
Dann können wir gemeinsam die Geschenke auspacken und haben endlich
ein bisschen Zeit für uns. Klingt himmlisch, wenn Sie mich
fragen.
Eine weitere halbe Stunde vergeht, ohne dass es ein
Lebenszeichen von Fletch gibt … und noch eine halbe Stunde … und
dann eine Stunde.
Um zwei Uhr nachts schäume ich schließlich vor Wut.
Das ist meine Hochzeitsnacht - also wo zum Kuckuck steckt mein
Bräutigam? Das Einzige, worum ich ihn heute gebeten hatte, war, er
solle bitte nicht zu viel trinken, weil ich verhindern wollte, dass
ich böse auf ihn werde. Angefleht habe ich ihn, um genau zu
sein, und er hatte mir hoch und heilig versprochen, sich
anständig zu benehmen. Meinen Berechnungen zufolge hat er seit etwa
zehn Stunden freien Zugang zu alkoholischen Getränken, also wird er
inzwischen sturzbetrunken sein.
Vor einer Stunde habe ich einen wirklich SEHR
unsexy wirkenden grauen Flanellpyjama angezogen, meine aufwendige
Hochzeitsfrisur gelöst und mir das Hundertachtzig-Dollar-Make-up
aus dem Gesicht gewaschen. Da er in absehbarer Zeit NICHT mit mir
in diesem Bett schlafen wird, kann er sich auch gleich jeglichen
Anflug einer romantischen Hochzeitsnacht abschminken.
Ich gucke gerade das Einzige, was noch im Fernsehen
läuft - einen Film mit Britney Spears -, als Todd, Carol und meine
Freundin Jen Fletch gegen drei Uhr morgens zur Tür
hereintragen.
»Hi! Frrrröhlichen Hochssseitssstaaaag!«, lallt
Fletch zur Begrüßung, als er mich sieht, und stolpert ins
Zimmer.
»WO ZUM GEIER BIST DU GEWESEN?« Mir kommt Dampf aus
den Ohren. Vor ungefähr einer Viertelstunde ist meine Wut in
schiere Mordlust umgeschlagen.
Todd antwortet an seiner Stelle. »Er war unten bei
uns. Hey, Jen, ich wollte mir was von dir ausleihen, ich …«
»Ich sitze seit beinahe vier Stunden hier oben rum
und warte auf dich«, schäume ich. »Ist dir nicht irgendwann mal in
den Sinn gekommen nachzuschauen, wo ich bin? Vielleicht mal
anzurufen und zu fragen, was ich so mache?« Wütend stampfe ich
durch das Zimmer und fange an, Sachen aufzuheben und geräuschvoll
hinzustellen.
»Waaaasss?«, nuschelt er.
»Ach, ich bin davon ausgegangen, du bist längst im
Bett, also dachte ich, es ist nichts dabei, wenn er noch ein
bisschen mit uns abhängt«, wirft Todd ein.
»Habe ich dich gebeten, das auszurichten? Nein. Ich
habe dir gesagt, du sollst ihn nach oben schicken, sobald er
auftaucht«, entgegne ich. »Ach übrigens, Fletch, besten Dank, dass
deine Freunde das Zimmer in Schutt und Asche gelegt haben. Es gibt
doch nichts Einladenderes in einer Hochzeitssuite als ein paar
Zigarettenkippen, ausgedrückt in einem halbgegessenen alten
Sandwich. Und du kannst nur hoffen, dass der Fleck auf der
Bettdecke bloß Bier ist, denn du schläfst mit dem Ding auf der
Couch.« Und damit packe ich meinen Brautstrauß und werfe ihn nach
Fletch. Die Blumen prallen an seiner Brust ab, wobei einige
Gardenien regelrecht explodieren.
Während ich tobe, schieben Carol und Jen sich
langsam und
unauffällig Richtung Tür. »Bye, Jen.« »Gute Nacht, Jen.« »Melde
dich, wenn du wieder zuhause bist.« »Danke für alles.«
»Hey, immer mit der Ruhe. Wir haben Fletch gesagt,
dass das in Ordnung geht, und wir hatten alle viel Spaß. Ehrlich,
eigentlich müsstest du auf uns sauer sein«, meint mein
Bruder.
»Todd, Fletch kann seine eigenen Entscheidungen
treffen. Und er wollte sich lieber mit seinen Kumpels besaufen,
statt den Abend MIT SEINER GERADE ANGETRAUTEN FRAU ZU VERBRINGEN.
Und das? Geht einfach gar nicht.«
»Okay, ich verschwinde, aber zuerst musst du mir …«
»RAUS! RAUS! RAUS!«, kreische ich in den höchsten Tönen, während
mein Bruder Hals über Kopf aus dem Zimmer flüchtet.
Fletch lockert seine Fliege, plumpst bäuchlings ins
Bett und will sich die Decke über den Kopf ziehen.
»Oh nein, tust du nicht! DU! COUCH! JETZT!«
»Nein, will hier schhhlafen, weil iss’ne schööööne
Hochssseit«, lallt er.
»Ganz bestimmt nicht«, zische ich und wälze ihn
dann vom Bett.
»Uff. Autsch. Kofffschtossn. Du bissne böse Frauuu.
Hätte niemalsss nich heirann sssolln.«
Kann es mir da irgendwer verdenken, dass ich seinen
Laptop nach ihm geworfen habe?