5
Kerr ging die Dockstraße hinunter, die in der späten Abendsonne noch schäbiger als sonst aussah. Drei Jugendliche, die schwarze lederne Jacken und enge, verwaschene Jeans anhatten, kamen ihm auf dem Bürgersteig entgegen und gaben sich den Anschein, als ob sie ihn vom Gehweg drängen wollten. Er zwängte sich mit sorglosem Vertrauen zwischen zwei von ihnen hindurch, die daraufhin nicht mehr wagten, ihm etwas anzuhaben. Er fragte sich, warum das Gesetz so weich geworden war: Verbrecher oder mögliche Verbrecher wie diese respektierten nur Gewalt. Gewalt würde sie nicht bessern, aber sie verwechselten humane Behandlung mit Schwäche, und Schwäche machte sie noch angriffslustiger.
Zwei Lastwagen, die mit einer Ladung Kisten für Neuseeland vollgestopft waren, fuhren an ihm vorbei und umnebelten ihn mit Dieselrauch. Männer drängten aus einer Kneipe, standen auf dem Bürgersteig herum und schrien sich bedeutungslose Obszönitäten zu, während sie aus Flaschen tranken. Ein paar Flittchen schlenderten an den betrunkenen Männern vorbei und ignorierten die geschrienen Vorschläge, weil sie sicher waren, daß die Männer in diesem Zustand keine Geschäfte mit ihnen machen könnten. Kerr kam an einer enorm dicken Frau mit Lockenwicklern im Haar vorbei, die auf der Treppe ihres dreckigen Hauses saß und die Beine so weit auseinandergespreizt hatte, daß ihre fetten Schenkel allzu deutlich sichtbar waren. Hinter ihr hörte man den Streit zwischen einem Mann und einer Frau. Ein bißchen weiter lächelte ihm ein Flittchen aus dem Fenster eines im Erdgeschoß liegenden Zimmers einladend zu, als er vorbeiging.
Er kam zu der Gastwirtschaft, die Cockpit hieß. Die beiden Türen, die einmal zur Privatwohnung und zum anderen zur Gastwirtschaft führten, waren so mit Dreck verschmiert, daß es fast unmöglich war, die Aufschrift zu lesen und zu sehen, welche wohin führte. Eine Scheibe in der Glastür zur Gastwirtschaft war zerschmettert und durch braunes Papier ersetzt worden.
Die Kneipe war ein langes, viereckiges Zimmer. Die Wände waren einmal in zwei verschiedenen Brauntönen gestrichen worden, aber der Schmutz hatte sie einfarbig gemacht. Vergilbte Fotos von Windjammern hingen in unregelmäßigen Abständen und Höhen an den Wänden, und an die Decke hatte man eine sagenhafte Menge ausländischer Noten und Münzen geklebt oder gesteckt. In der rechten Ecke spielte ein Mann auf dem Klavier. Und um ihn herum standen mehr als zehn Menschen, die den obszönen Text des Liedes grölten. Drei Tische waren zusammengestellt worden, und daran saß eine Anzahl Männer in den verschiedenen Stadien der Trunkenheit. Nur zwei Frauen waren in dem überfüllten, verrauchten Zimmer anwesend, und sie waren Flittchen von der unverkennbaren Sorte.
Kerr drängte sich zur Theke durch. Zweimal fragte er das ihm am nächsten stehende Mädchen nach einem Glas Bier, aber sie ignorierte ihn, weil sie damit beschäftigt war, doppelten Whisky auszuschenken. Schließlich bediente ihn der Barkeeper. »Wo ist der Boss?« fragte Kerr, als er sein Glas in die Hand nahm.
Der Barkeeper schüttelte den Kopf. »Das weiß der liebe Gott. Ich kann Ihnen aber sagen, wo er nicht ist, nämlich hier, wo er seine Arbeit tun sollte.«
»Sagen Sie ihm, daß ich ihn sehen will. Polizei.« Kerr legte eine halbe Krone auf die Theke.
Der Barkeeper änderte seinen Gesichtsausdruck, wurde abweisend, und drückte das Geld zu Kerr zurück.
»Ich zahle«, knurrte Kerr. Der Barkeeper nahm die Münze und gab ihm das Wechselgeld, dann ging er am anderen Ende der Theke durch eine Tür.
Drei Männer, die schon so betrunken waren, daß man sie kaum verstehen konnte, kamen zur Theke und schrien nach mehr Rum. Einer von ihnen nahm ein Bündel Scheine aus seiner Rocktasche und legte eine Zehn-Pfund-Note hin. Gerade an Land, dachte Kerr, sie können ihr Geld nicht schnell genug ausgeben. In zwei Tagen würden die Kneipen und die Nutten sie ausgezogen haben.
Der Barkeeper kam zurück, und mit ihm ein kleiner, eselgesichtiger Mann, der offensichtlich ein Toupet trug. Er starrte Kerr ein paar Sekunden an, dann winkte er ihn zu sich. Kerr trank sein Bier aus und ging dann zum anderen Ende der Theke und dahinter, nachdem der Mann die Klappe hochgehoben hatte. Sie gingen in die hintenliegenden Wohnräume. Sie waren sauber, neu tapeziert und sorgsam möbliert und bildeten einen scharfen Kontrast zur Kneipe, die sie gerade verlassen hatten. Er erinnerte sich, einmal gehört zu haben, kurz nachdem er nach Fortrow gekommen war, daß man ein reicher Mann war, wenn man eine Kneipe an den Docks fünf Jahre lang führt. Der Pächter fragte in einer Stimme, die für den kleinen Mann überraschend tief war, was denn los wäre.
Kerr fühlte sich von seinem Gegenüber – aus unerfindlichem Grund – abgestoßen, so daß er sich zwingen mußte, höflich zu bleiben. »Erinnern Sie sich an einen Seemann namens Feltham?«
»Keine Ahnung.«
»Er hat an einem Abend hier getrunken, ging zu den Docks zurück, fiel hinein und ertrank.«
Der Pächter rieb seine Nase. »Ach, der! Ja, an den erinnere ich mich. Nur mit dem Namen konnte ich nichts anfangen.«
»Sie sind damals befragt worden und haben gesagt, daß er eine Menge getrunken hat.«
»Schon möglich. Soweit zurück kann ich mich nicht mehr genau erinnern.«
»Das war doch erst im April.«
Der Pächter hob die Schultern. »Sie kommen und gehen, es sind Tausende.«
»Aber sie fallen nicht alle in die Docks und ertrinken. Sie werden sich doch wohl noch an die Befragung durch die Polizei erinnern.«
Der Pächter setzte sich auf dem Sofa, das mit einem dicken roten Brokatstoff überzogen war, weiter zurück und öffnete eine silberne Zigarettenschachtel, die neben ihm auf dem Tisch stand. »Zigarette?« Er gab Kerr eine und riß dann ein Streichholz an. »Dieser Kerl, Feltham, kam ’rein, trank und ging wieder. Das nächste, was ich von ihm hörte, war, daß er ertrunken war. Bei der Befragung sprach man von einem Unglücksfall, warum also jetzt all die Fragen?«
Kerr, der nicht zum Sitzen aufgefordert worden war, setzte sich in einen der luxuriösen, gepolsterten Sessel. »Wir sind an dem Fall noch interessiert, rücken Sie also mit all dem ’raus, was Sie wissen.«
Der Pächter hob die Schultern. »Ich habe bei der Befragung alles gesagt. Ich kannte nicht einmal seinen Namen, bis ich hörte, daß er tot war. Wie ich schon sagte, von denen kommen Tausende.«
»Haben Sie ihn jemals außerhalb Ihrer Kneipe getroffen?«
»Hören Sie, Mister, ich weiß nicht, was Sie wollen, aber die simple Wahrheit ist, daß ich ihn nicht kannte.«
Der Mann sprach so überzeugend, daß es die Wahrheit sein konnte. Kerr sagte: »Er war mit einer Frau hier.«
»War er das?«
»Das haben Sie ausgesagt.«
Der Pächter wischte sich mit einer Hand über die Stirn. »Ja, ja, das stimmt.«
»Wie sah sie aus?«
»Sie war …« Er verfiel in Schweigen, während er auf etwas Unsichtbares an der entfernten Wand starrte. Von seiner Zigarette stieg Rauch in sein Gesicht, und er hustete. »Jetzt kann ich mich erinnern. Sie war groß, blond und billig. Ihre Kleider verhüllten das, was sie hatte, nicht, und oben herum hatte sie eine Menge.«
»War sie im Geschäft?«
»Vielleicht.«
»Das wissen Sie nicht genau?«
»Wenn ich es genau weiß, dann laß ich sie nicht hier ’rein.«
»Natürlich nicht«, sagte Kerr sarkastisch.
»Hören Sie, ich halte mich an die Gesetze, und was anderes können Sie mir nicht beweisen.«
»Wissen Sie zufällig, wie sie heißt?«
»Zufällig nicht.«
»Können Sie mir sonst noch etwas sagen?«
»Nichts.«
Kerr nahm das Foto von Earnshaw aus der Tasche. »Haben Sie den Mann links in letzter Zeit gesehen?«
Der Pächter studierte das Foto. Nach einer Weile blickte er hoch. »Hab’ ihn nicht gesehen. Soll ich meine Leute fragen?«
»Das wäre fein, bitte.«
Der Pächter war etwa fünf Minuten weg, dann kam er wieder und sagte, daß niemand den Mann gesehen hätte.
Kerr ging durch die Privathaustür hinaus. Ein paar Meter weiter lag ein Mann auf dem Bürgersteig, und Kerr mußte über den reglosen Körper klettern. Er fragte sich, warum in einer Zeit, in der die Bedingungen auf den Schiffen luxuriös waren, wenn man sie mit der Vergangenheit verglich, die Seeleute immer noch das Vergessen in der Trunkenheit suchten.
Nach einem strammen Vier-Minuten-Spaziergang kam er ins Mariner, ein etwas größeres Lokal als das Cockpit. Da die Polizei seine Getränke zahlte, bestellte er sich noch ein Glas Bier. Während er trank, beobachtete er die Männer, die Würfelpoker spielten. Die meisten von ihnen waren betrunken, aber zwei waren nüchtern. Kerr war davon überzeugt, daß die beiden den Rest übers Ohr hauten, hatte aber keine Ahnung, wie sie das machten.
Er fragte nach dem Chef, und ein großer, wohlgenährter Mann kam hinter der Theke hervor, wo er Getränke serviert hatte. Kerr schlug vor, irgendwohin zu gehen, wo es ruhiger war, und der Wirt führte ihn zu einem der Lagerräume.
»Machen Sie schnell, ja?« sagte der Wirt. »Ich habe einen Mann zu wenig heute abend … ist einfach nicht aufgetaucht … und wenn der Laden voll ist, dann ist es nicht zum Aushalten. Wo brennt’s denn?«
»Ich wollte nur ein paar Dinge fragen, die einen Seemann namens Botnam betreffen.«
»Der ertrunken ist? Aber das ist doch schon vor ein paar Wochen passiert, und die Befragung und alles ist doch schon längst vorbei.«
»Das weiß ich, aber es gibt da noch ein paar Dinge, die wir klären wollen. Er hat hier getrunken, bevor er starb, nicht wahr?«
»Das stimmt.« Der Wirt setzte sich auf eine umgestülpte leere Kiste, und er vergaß einfach, daß er Kerr gebeten hatte, sich kurz zu fassen. »Ich muß zugeben, daß idi betroffen war, als ich feststellte, daß ich ihn eben noch gesehen hatte und daß er im nächsten Augenblick schon tot war. Das erinnert einen daran, daß man selbst vielleicht nicht mehr so lange hat, wie man immer annimmt … Wie wär’s mit einem Drink? Man wird richtig mies gestimmt, wenn man über so was redet. Was möchten Sie? Einen Schluck Scotch?«
»Das wär ’ne feine Sache.«
Der Wirt nahm eine Flasche Whisky aus einer Kiste. Er fand zwei Gläser auf einem Brett. Sie waren schmutzig, aber er wischte sie mit einem vor Dreck stehenden Tuch ab, das ebenfalls auf dem Brett lag. Als er die Drinks eingoß, verstand Kerr, warum der Wirt so eine blühende Gesichtsfarbe hatte.
»Prost.« Der Wirt hob sein Glas und trank. »Was ist los? Wollen Sie noch was?«
»Ich könnte ein bißchen Soda gebrauchen.«
Der Wirt stand auf und suchte in den Kisten herum, bis er eine Flasche Soda gefunden hatte. Er öffnete sie und gab sie Kerr, dann setzte er sich wieder auf seine Kiste.
»Dieser Mann, Botnam, war groß und sah so stark aus wie ein Ochse. Komisch, daß er nicht schwimmen konnte, nicht wahr?«
»Konnte er das nicht?«
»Wenn er’s konnte, warum hat er es dann nicht getan?«
»Vielleicht war er zu betrunken.«
»Als er hier wegging, war er nicht zu betrunken. Er wäre schön dumm gewesen, wenn er zuviel getrunken hätte, was?«
»Wegen der Frau, die er bei sich hatte?«
»Genau. Wer bei so einer Puppe betrunken und impotent ist, der hat es verdient, eingesperrt zu werden.«
»Können Sie sich erinnern, wie sie aussah?«
Der Wirt trank sein Glas leer. Er begann plötzlich zu schwitzen und gebrauchte seinen Zeigefinger, um den Schweiß von der Stirn zu wischen. »Die kann man nicht vergessen, ich jedenfalls nicht. Sie sah so aus, als ob sie gerade aus einer Klosterschule gekommen wäre, und doch war etwas an ihr, das einem sagte, daß sie nicht lange brauchte, um herauszufinden, wie man es macht. Wissen Sie, was ich meine?« Er leckte sich mit einer sehr feuchten roten Zunge über die Lippen. »Was sie mit einem Kerl wie Botnam machte, weiß ich nicht. Er brauchte eine Nutte. Sie aber hatte Klasse. Sie hatte blaue Augen, die einen schwindlig werden ließen.«
»Sie hat ja einen mächtigen Eindruck auf Sie gemacht.«
»Wenn Sie sie gesehen hätten, wären Sie auch beeindruckt. An diesem Abend waren ’ne ganze Menge Männer bei mir im Lokal, und es gab keinen einzigen, der in ihr nicht etwas Besonderes, aber außerhalb ihrer Reichweite, gesehen hätte. Wissen Sie, was ich meine?«
»So ungefähr.«
»Ich hab’ sie wiedergesehen, in der Stadt. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, und das nur vom Ansehen.« Er hob das Glas auf und füllte es wieder. »Aber diesmal, das war komisch. Sie war mit einer kräftigen blonden Nutte, die einfach nicht die gleiche Klasse hatte. Was tat sie mit so einem Flittchen? Hier, trinken Sie aus.«
Kerr trank aus und hielt sein Glas hin, damit der Wirt es nachfüllen konnte. Er vergaß, daß Kerr Soda nahm und schenkte Whisky ein, bis es randvoll war. Kerr trank ab, damit nichts überlief, und nahm dann eine Fotografie aus der Tasche. »Kennen Sie den größeren Mann auf dem Bild, der links steht? Haben Sie ihn je hier gesehen?«
Der Wirt blickte auf das Foto. »Nein, nie.«
»Können Sie vielleicht mal mit Ihren Leuten sprechen, ob einer von ihnen ihn erkennt?«
»Sicher. Soll er in letzter Zeit hier gewesen sein?«
»In den letzten vierzehn Tagen etwa.«
Der Wirt ging aus dem Lagerraum. Kerr trank noch etwas Whisky und goß dann Soda aus der Flasche zu. Der Alkohol wärmte seine Gedanken. Der Wirt sah so aus, als ob er sich mit Frauen auskennen würde, deshalb mußte die Frau bei Botnam schon was Besonderes gewesen sein. Schade, daß dieser stämmige Seemann ihr begegnet war und nicht der gutaussehende vierundzwanzigjährige Mann mit braunem welligen Haar, braunen Augen und einem unwiderstehlichen Charme … Sie hatte die Schönheit der Helena, das Feuer der Kleopatra und das Geschick der Pompadour. Als er sie zuerst getroffen hatte, war sie reserviert wie allen Männern gegenüber, aber man sah auch, daß sie erregt war, weil sie spüren konnte, daß er das ihr vorbestimmte Schicksal war. Als ihre Hände sich trafen, zitterte, als ihre Lippen sich trafen, stöhnte sie. Er wollte sie loslassen, aber sie umklammerte ihn und küßte ihn wild und leidenschaftlich …
»Nein«, sagte der Wirt, als er in den Lagerraum zurückkam.
»Warum nicht?« fragte Kerr wütend.
»Was warum nicht?«
»Nichts«, murmelte Kerr und riß sich schnell zusammen.
»Geht es Ihnen nicht gut?« Der Wirt setzte sich hin und goß sich noch einen Whisky ein. »Ich habe mit allen gesprochen. Niemand kennt den Mann auf dem Bild.« Er gab es zurück.
Kerr trank sein Glas aus. »Vielen Dank. Übrigens, diese Blondine – ging die auf den Strich?«
»Die ich in der Stadt getroffen habe, mit dieser herrlichen Puppe zusammen? Klar, die Blondine war ’ne Nutte. Groß, herausfordernd, Brüste, mit denen man jeden Mann hätte umlegen können, genug Farbe im Gesicht für einen Indianer-Häuptling und ein Blick, der schlicht sagte: ›Fünf Scheine, dann bringe ich dir Dinge bei, von denen du nicht mal zu träumen gewagt hast!‹«
»Haben Sie sie je vorher oder nachher gesehen?«
»Nein.« Er trank einen Schluck. »Ich werd’ Ihnen aber noch was über das andere Mädchen sagen. Es tat weh, sie anzusehen, weil man glaubte, daß man soviel vermißt hat.« Er blickte hoch, und sein Ausdruck wurde gespielt listig. »Das erzähle ich der Alten besser nicht, was? Sind Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Dann halten Sie’s weiter so, bleiben Sie fröhlich. Wollen Sie noch einen?«
»Aber nur einen kleinen.«
Zehn Minuten später sagte Kerr, daß er gehen müßte. Er stand auf. Die Tür im Lagerraum teilte sich in zwei. Mit großer Mühe peilte er sie noch einmal an, und da sah er, daß es doch nur eine Tür war. Sollte ein bißchen Whisky einem Mann wie ihm schon was anhaben können?
Die Sperrstunde für die Kneipen an der Dockstraße begann immer erst eine halbe Stunde später, sie schlossen nicht vor elf Uhr – wahrscheinlich um den Seeleuten aller Nationalitäten soviel Zeit wie möglich zu geben, um bis zum Umfallen zu trinken.
Gegen Viertel vor elf, nach einem Drink, den er ganz bestimmt hätte ablehnen sollen, was er aber nicht getan hatte, betrat Kerr ein weiteres Lokal – war es das sechste oder siebte an diesem Abend? – und sprach mit dem Wirt. Kerr zeigte ihm das Foto von Earnshaw.
»Er kommt mir irgendwie bekannt vor.« Der Wirt, ein großer, dünner Strich in der Natur, klimperte mit ein paar Münzen in der Tasche. »Ja, jetzt weiß ich’s. Er war vor ein paar Tagen hier. Hat Ärger gemacht. Kam ’rein, betrank sich, hatte kein Geld mehr und wollte anschreiben lassen. Beinahe hätte ich ihn ’rausgeworfen.«
Welche Armee hättest du denn dafür zur Verfügung gehabt, dachte Kerr belustigt. »Und was geschah?«
»Als ich ihm nichts mehr gab, ist er gegangen.«
»Hatte er eine Frau bei sich?«
»Nein, er war allein. Er hat was ausgefressen, was? Das überrascht mich nicht. Ich hab’ meiner Frau schon gesagt, daß der darauf aus war, Krawall zu machen.«
Der Wirt hatte nichts Interessantes mehr zu sagen, und Kerr verließ die Kneipe und ging langsam die Dockstraße entlang. Er war auf der Höhe der Memorial Gardens, als ihm einfiel, daß er keine Ahnung hatte, wie das Lokal hieß, in dem er gerade gewesen war. Er fluchte. Er ging zurück, an einer Gruppe singender Männer und Frauen vorbei, und sah, daß die Kneipe jetzt geschlossen war. Der letzte Betrunkene lehnte gegen die Wand und pflegte seinen Schluckauf. Kerr starrte auf das schmutzige Schild, auf dem der Name stand, aber es schien hin und her zu schwanken, so daß er die Buchstaben nicht lesen konnte. Er zündete sich eine Zigarette an, inhalierte den Rauch, und das half, so daß er nach einer Weile feststellte, daß das Schild nicht mehr schwankte. Das Lokal hieß The Ship.