10

Kerr fuhr so schnell über die Barstone-Fortrow-Straße, wie der Hillman konnte, und das war nicht sehr schnell. Er blickte auf die Uhr. Kurz nach sechs. Um acht hatte er seine Verabredung, Er versuchte aus der müden alten Maschine noch etwas mehr herauszuholen, aber selbst beim gelindesten Hügel fiel die Geschwindigkeit einfach zurück. Die Landschaft war sehenswert, auf der linken Seite wohlbestellte Felder und rechts hügeliges Waldland, aber er hatte schon zu normalen Zeiten nichts für Landschaften übrig, und im Augenblick haßte er sie nachgerade, weil soviel davon zwischen ihm und Fortrow lag. Ein Jaguar E-Typ raste an ihm vorbei, die lächerliche 100-km-Geschwindigkeitsbegrenzung ignorierend. Warum gab man der Polizei keine E-Typen?

Fusil war noch in seinem Büro, als Kerr zurückkam. »Ich habe ein Foto von der blonden Gertie, Sir.« Er nahm das Foto aus der Tasche – es war ein Standardbild, das die Person von vorn und von jeder Seite zeigte – und legte es auf den Schreibtisch.

Fusil blickte kurz darauf und nahm sich dann die vier Fotos vor, die auf seinem Schreibtisch gelegen hatten. Er schob sie Kerr hin.

Kerr sah sie sich an. Sie waren mit einem sehr guten Teleobjektiv gemacht worden. Jede Einzelheit war zu erkennen. Auf dreien sah man nur Jane, auf dem vierten lag er auf dem Rücken und sie neben ihm, auf einen Ellbogen gestützt, auf ihn herabblickend. Sie sah wie eine Frau auf der Schwelle zum Leben aus.

»Seltsam«, sagte Fusil, »sie sieht gar nicht so aus.«

»Das habe ich Ihnen doch gesagt, Sir.«

»Aber sie muß doch eine sein. Nehmen Sie die Fotos und gehen Sie damit in die Kneipen.«

»Wenn Jane aber …«

»Nehmen Sie sich die Bilder und tun Sie Ihre Arbeit, ohne zu widersprechen. Erstatten Sie mir anschließend Bericht.«

»Ich glaube, ich habe schon erwähnt, daß ich heute abend eine Verabredung habe, Sir.«

»Das hindert Sie doch nicht daran, mir Bericht zu erstatten.«

Wütend drehte Kerr sich um und ging. Er fuhr hinunter zu den Docks und ging ins Cockpit, das noch nicht lange auf war, aber bereits mit Männern aller Nationalitäten gefüllt war. Kerr fragte nach dem Wirt, und nach einer Weile kam der eselsgesichtige Mann, dessen Toupet offensichtlicher war als je zuvor, aus seinen Wohnräumen. Kerr zeigte ihm das Foto der blonden Gertie.

»Das ist sie, ja«, sagte der Wirt und hob seine Stimme, um eine plötzliche Diskussion aus der entfernten Ecke zu übertönen, in der sechs Männer sich miteinander stritten.

»Sind Sie absolut sicher?« fragte Kerr.

»Bei der kann man sich nicht vertun, was?«

»Eigentlich nicht. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«

Kerr steckte das Bild wieder weg und lief zu seinem Wagen. Zwei Jungen hatten etwas in den Staub seiner Kühlerhaube gekritzelt und liefen weg, als er näher kam. Als er sah, was sie geschrieben hatten, wischte er es weg, weil es kein Werbespruch für einen Polizeidienstwagen war.

Er fuhr zum Mariner, in dem es seltsamerweise fast leer war. Der Wirt war nicht da. Kerr fluchte, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als ein Bier und ein Paket Kartoffelchips zu bestellen. Als Bier und Chips verzehrt waren, stieß er eine Zigarette aus und blickte auf die Uhr. Es war fünf nach sieben, und wenn der Wirt nicht bald kam, würde er seine Verabredung verpassen.

Er bestellte noch ein Paket Chips und nach einem leichten Zögern auch noch ein Bier. Das hatte er halb getrunken, als der Wirt kam und ihn wie einen lange vermißten Freund begrüßte. Kerr versuchte ihm zu erklären, daß er es sehr eilig hätte, was der Wirt ignorierte. Er führte ihn zu demselben Lagerraum, in dem sie schon einmal gesessen hatten. Der Wirt goß zwei sehr große Whisky ein und gab Kerr das eine Glas.

Kerr zeigte das Bild, auf dem Janes Gesicht deutlich zu sehen war.

»Das ist sie, ja«, sagte der Wirt. Seine Stimme schwärmte wieder.

»Tut’s einem nicht weh, wenn man sie so sieht? Was würde ich darum geben, wenn ich dieser glückliche Vogel neben ihr wäre!« Er wollte das Foto schon zurückgeben, als er es nochmals betrachtete. »Das sind ja Sie?« rief er. »Sie sind der glückliche Vogel, ohne Zweifel!« Er beugte sich zu Kerr herüber und senkte die Stimme. »Wie ist sie? Ist sie so unschuldig, wie sie aussieht? Oder haben Sie ihr ein paar Dinge beibringen können? Wippt sie schön auf und ab?«

»Keine Ahnung«, sagte Kerr und verheimlichte nicht, daß er diese Frage für geschmacklos hielt.

Der Wirt blinzelte. »So ist’s richtig, Junge, teilen Sie mit niemandem, was Sie besitzen. Aber ich sage Ihnen ehrlich, wenn ich zehn Jahre jünger wäre, dann würde ich mich auch drum bewerben. Sie braucht nur richtig behandelt zu werden, ganz egal, wie sie aussieht, dann ist sie so heiß, daß man sich dran verbrennt. Ich hab’ ein Auge dafür.«

»Vielleicht ist das diesmal blind.«

Er blickte Kerr lüstern an. »Noch nicht herausgefunden? Versuchen Sie’s mal mit Stout und Muscheln.«

Kerr nahm das Foto von Jane wieder an sich und gab dem Wirt ein Bild der blonden Gertie. »Kennen Sie die auch?«

Der Wirt starrte ein paar Sekunden lang auf das Bild, dann schlug er sich mit der geballten Faust vor die Stirn. »Natürlich, natürlich! Das ist die alte Nutte, mit der ich sie gesehen habe. Jetzt will ich Ihnen mal was sagen. Für ein paar Pfund bringt die Ihnen fast alles bei, was sie weiß, und wenn’s was mehr sein soll, kostet es noch mal einen Fünfer.« Er stand auf und schenkte sich noch einen Drink ein. »Was ist denn mit Ihnen los? Trinken Sie nicht? Waren Sie so aktiv, daß Sie zu schwach sind, Ihr Glas zu heben?« Er brüllte vor Lachen und setzte sich wieder. »Die Polizei ist ja ziemlich beschäftigt gewesen, was?«

»Ach?«

»Na ja, es hat ja nicht lange gedauert, die beiden Frauen ausfindig zu machen, nicht wahr? Aber was hat das mit dem Mann zu tun, der ertrunken ist?«

»Wir wissen noch nicht, was das damit zu tun hat.«

»Sie behalten alles für sich, und das ist gut. Ich habe ja immer gesagt, daß wir eine hervorragende Polizei haben – außer, wenn sie mich dabei erwischt, wenn ich nach der Sperrstunde noch einen oder zwei Drinks verkaufe.« Wieder brüllte er vor Lachen.

Kerr trank den Whisky zur Hälfte und ließ dann das Glas stehen. Er ignorierte die ermunternde Aufforderung des Wirts, dankte reserviert und ging.

Fusil saß in seinem Büro, machte Schreibarbeit und sah müde und abgeschlafft aus. Warum ging er nicht endlich nach Hause, dachte Kerr.

»Der Wirt des Cockpit«, sagte er, »hat die blonde Gertie als die Frau identifiziert, mit der Feltham an dem Abend, an dem er starb, bei ihm war. Der Wirt des Mariner hat Jane Waynet als die Frau identifiziert, mit der Botnam an dem Abend zusammen war, an dem er starb, und er hat weiterhin die blonde Gertie als die Frau identifiziert, die er mit Jane Waynet zusammen gesehen hat.«

Fusil trommelte mit den Fingern auf seinem Schreibtisch.

»Kann ich jetzt gehen, Sir?«

»Was?«

»Kann ich jetzt gehen?«

»Wenn Sie um Ihren Dienst so bemüht wären, wie um Ihre Freizeit, dann könnten Sie vielleicht ein guter Kriminalbeamter werden.«

Kerr ging hinaus. Er lief die Treppe hinunter, stieg in den Hillman ein und wollte starten. Der Motor sprang nicht an. Er verfluchte alle Autos und alle Autohersteller. Sein Fluch half nicht viel, denn es bedurfte noch fünf weiterer Versuche, bevor der Motor endlich kam. Es war sieben Minuten vor acht. Er fuhr zu schnell aus dem Hof und hätte fast einen wüst schimpfenden Fußgänger überfahren.

Der Hillman parkte auf einer Grasnarbe neben der Landstraße, die etwa eine halbe Meile von der Hauptküstenstraße entfernt lag. Sie saßen dicht zusammen auf der vorderen Sitzbank. Sein linker Arm lag um ihre Hüfte, und ihre Wange lag an seiner Schulter. Ihr seidiges Haar kitzelte sein Ohr.

Sie rutschte ein wenig näher, und dadurch lag der Ansatz ihrer Brüste in seiner Hand … Sie erschauerte vor der wilden Leidenschaft, die sich ihrer bemächtigt hatte und die sie noch nicht ganz verstand. Ihr Körper peinigte sie, ihr Geist peinigte sie. Sie küßte ihn mit einem Mund, der brannte. Sie stöhnte, als ob sie Schmerzen hätte, als sie seine Hand zu ihrem Körper zog. Die Feuer brannten nicht weniger wild in ihm, aber mit phantastischer Selbstbeherrschung hielt er sich zurück. Sie gehörte ihm, wenn er wollte, aber er war ein Ehrenmann und würde sich nie an ihrer Unschuld vergehen …

»Geh nicht«, sagte sie.

»Was?«

»Geh nicht weg, John. Du hast die irritierende Angewohnheit, mit den Gedanken woanders zu sein. Ich will, daß du hier bist, bei mir.«

Er küßte sie, und sie erwiderte den Kuß. Er umfaßte ihre Brust mit seiner Hand, und sie bewegte sich nicht.

Plötzlich zog er die Hand zurück.

»Was ist?« fragte sie erschreckt.

»Nichts.«

»Doch, da ist was.«

»Wir sollten besser fahren.«

»Warum?«

»Kannst du es dir nicht denken?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie gepreßt.

»Ich will nicht … du bist zu lieb.«

»Zu … zu lieb?« Sie wiederholte die Worte langsam, als ob sie den Sinn nicht verstünde. »Dann ist es nicht, weil …« Sie brach ab. »Möchtest du wirklich gehen?«

»Natürlich nicht.«

Sie sprach sehr leise, fast flüsternd. »Es ist … es ist schon fast eine Ewigkeit her, seit jemand so nett zu mir war. Es ist seltsam, nicht wahr, wie die Zeit plötzlich aufhört, Zeit zu sein. Wie lange kennen wir uns jetzt? Mir kommt es so vor, als wenn es Jahre wären.«

»Jane, ich …« Er versuchte, an der Frage vorbeizukommen, aber sie kam ohne sein eigenes Dazutun heraus. »Warum bist du mit der blonden Gertie zusammen?«

»Mach’ dir darüber keine Sorgen.«

»Ich muß mir darüber Sorgen machen.«

»John, wir können glücklich zusammen sein. Ich weiß es. Aber wir müssen die Vergangenheit vergessen, die Zukunft ignorieren und nur der Gegenwart leben.«

»Aber du kannst mir doch nicht sagen …«

»Kennst du die Geschichte von Amor und Psyche?«

»Nein.«

»Oder die Geschichte von Pandoras Büchse?«

»Kannst du nicht …«

»John, es gibt Menschen, die nicht aufhören können, Fragen zu stellen, auch wenn man sie bittet, es nicht zu tun, die immer wieder dasselbe fragen, auch wenn sie wissen, daß die Antwort weh tun kann. Sei bitte nicht so.«

»Du sagst also …«

»Ich sage nur, daß wir wunderbar glücklich sein können, das ist alles. John, ich habe kein … glückliches Leben gehabt, deshalb habe ich erfahren, daß Glück das Kostbarste im Leben ist. Wir haben uns gefunden. Wir dürfen uns nicht verlieren. Psyche wird nicht in Amors Gesicht sehen, Pandora wird nicht ihre Büchse öffnen.«

Er küßte sie wieder, aber mit weniger Leidenschaft. Zum erstenmal war er sicher, daß es noch andere Dinge im Leben gab.

 

Als sie zurück zu den Heights fuhren, blickte Jane zu den Häusern hinaus und dachte verbittert darüber nach, ob irgendeiner dieser Menschen, die gemütlich und in Sicherheit in ihren eigenen warmen kleinen Kreisen verkehrten, etwas darüber wußte, wie kalt die Umwelt sein konnte.

An ihre Mutter konnte sie sich nicht mehr erinnern, sie war gestorben, als sie zwei Jahre alt war, aber ihren Vater sah sie noch deutlich vor sich. Mittelgroß, Neigung zur Glatze, vierschrötig, stets gerötetes Gesicht, fröhlich, ein Künstler, der die Welt für einen Scherz hielt und nur seine Kunst ernst nahm. Er hätte es umgekehrt machen sollen. Als er plötzlich starb, hinterließ er 53 Pfund, ein paar Schulden und fünf Gemälde, die ein Trödlerladen ablehnte.

Menschen mit Familie, Verwandten und Freunden konnten sich nicht vorstellen, wie die Welt aussah, wenn man all das plötzlich nicht mehr hatte. Ihre Mutter war Australierin gewesen, und ihre Verwandten lebten irgendwo in einem Nest, das so ähnlich wie Keeroongooloo hieß, Tausende von Kilometern weit weg. Ihr Vater war der einzige Sohn eines einzigen Sohnes gewesen, und obwohl er viele Leute gekannt hatte, besaß er wenig Freunde.

Ihr Vater hatte ein wenig Geld damit verdient, Kleiderentwürfe zu zeichnen, eine Arbeit, die er von einem Mann namens Simon bekam. Simon hatte ein fleischiges Gesicht, dicke feuchte Lippen und hungrige braune Augen. Als er ihr gesagt hatte, daß er ihrem Vater zuliebe ihr einen Job in seinem großen Theaterkostümgeschäft geben wollte, war sie sehr dankbar gewesen, was nur bewies, wie jung sie damals gewesen war. Da er die Toten respektierte, hatte er drei Wochen gewartet, bevor er sie zum Abendessen eingeladen hatte.

Sie hatte geglaubt, daß sie zu Hause essen würden, aber statt dessen waren sie in ein italienisches Restaurant in der Stadt gegangen, wo sie viel trinken und sich anhören mußte, daß seine Frau frigide war. Auf dem Nachhauseweg erinnerte er sich plötzlich, daß er etwas in seinem Geschäft vergessen hätte, und sie fuhren kurz vorbei. Sie hatte sich zu wehren versucht, aber sie hatte zuviel getrunken.

Er war recht großzügig gewesen. Er hatte ihr eine Wohnung gemietet, und wenn auch sein Geschmack in einigen Dingen recht seltsam war, so hatte er ihr doch den menschlichen Kontakt und die Sicherheit gegeben, die sie so plötzlich verloren hatte. Die Welt war kalt und grausam, und das schlimmste Schicksal, was einem passieren konnte, war, alleingelassen zu werden.

Sie war schwanger geworden. Er war wütend gewesen. Er hatte ihr zwanzig Pfund gegeben, dafür mußte sie eine Erklärung unterschreiben, daß er nicht der Vater war, und sie in ein Heim für ledige Mütter eingewiesen, über das er sehr gut Bescheid zu wissen schien.

Die Heimvorsteherin war groß und dick und hatte kleine Schweinsaugen. Die Mädchen waren verloren, verängstigt und liebebedürftig. Die Vorsteherin gab ihnen biblische Texte zu lesen und hörte nicht auf, sie daran zu erinnern, wie schlimm sie gesündigt hatten und wieviel sie der Gesellschaft schuldeten, daß sie ein solches Heim zur Verfügung stellte. Sie war eine Mischung aus pharisäischer Christin und Sadistin.

Die Geburt hatte in einem kleinen, trüben Zimmer stattgefunden, in dem der Spruch hing: »Wenn du gesündigt hast, dann mußt du büßen.« In Übereinstimmung mit diesem Spruch waren bei der Geburt ein ungeschickter Medizinstudent und die Vorsteherin anwesend.

Janes Kind war sofort nach der Geburt zur Adoption weggegeben worden. Zwei Wochen später mußte sie gehen, um Platz für die nächste ledige Mutter zu machen. So trüb und häßlich das Leben in dem Heim auch gewesen war, sie hatte schwarze Verzweiflungstränen geweint, als sie gehen mußte.

Sie hatte einen Job in einem Geschäft und ein Zimmer in einem Haus bekommen, das einer Frau gehörte, die vorgab, einst auf der Bühne gestanden zu haben. Eines Tages kam die Heimvorsteherin ins Geschäft, sah sie und wollte lautstark wissen, wie es ihr ginge. Eine Stunde später hatte der Geschäftsführer sie mehr oder weniger vergewaltigt, geleitet von der Vermutung, daß eine ledige Mutter sich selbst mit seinem schlechten Atem zufriedengeben würde.

Arbeitsstellen waren wegen einer wirtschaftlichen Rezession sehr knapp, und bald schon konnte sie die Miete nicht bezahlen. Die Hausbesitzerin machte sie darauf aufmerksam, daß man zwar naiv sein konnte, wenn man reich war, daß sich aber ein armes Mädchen diesen Luxus nicht erlauben konnte. Die Hausbesitzerin stellte sie einem Mann namens Pete vor.

Pete war ein erfolgreicher Spieler, der sein Geld mit vollen Händen ausgab. Er kaufte ihr einen Pelzmantel, der aus Nylon war, aber wie echt aussah, ein diamantenes Halsband, dessen Diamanten Klunker waren, und er zeigte sich mit ihr in seinen Lieblingsbars und -kneipen. Er war rauh und rüde, aber er gab ihr Sicherheit, er beschützte sie vor der eisigen Umwelt, einer Umwelt mit Pranken und Vampirzähnen.

Pete hatte eine Pechsträhne, und seine Spielgefährten nahmen ihn in die Mangel, als er seine Schulden nicht bezahlen konnte. Er begann zu trinken. Aus Loyalität blieb sie bei ihm. Eines Abends, nachdem er zwei Stunden heftig getrunken hatte, ohne ein Wort mit ihr zu sprechen, holte er plötzlich ein Messer heraus und schrie sie an, daß er seinen Namen in sie einritzen wollte. Sie waren in einem Lokal, wo die Gäste es sich zur Religion gemacht hatten, sich um nichts zu kümmern. Sie war so in Panik geraten, daß sie glaubte zu ersticken. Dann, als Pete sie in eine Ecke gedrückt hatte, war Ray Fraser plötzlich wie ein Ritter in glänzender Rüstung vorgetreten und hatte Pete schrecklich verprügelt.

Das war vor zwei Jahren gewesen.

Kerr brach plötzlich in ihre Gedanken ein. »Du bist so still.«

»Ich denke nach«, sagte sie leichthin.

Sie kamen zu den Heights. Sie küßte ihn, streichelte mit der Hand zärtlich über sein Gesicht, es war eine Geste der Liebe und Verzweiflung, und dann verließ sie ihn hastig trotz seiner flehentlichen Bitten, noch etwas zu bleiben.

Sie fuhr mit dem Lift zum siebten Stockwerk. Sie ging zur Wohnungstür, schloß sie auf und ging hinein. Aus dem Wohnzimmer drang Popmusik, die viel zu laut war.

Fraser lag in einem Sessel. Er hatte ein Glas in der rechten Hand, und neben dem Sessel stand eine Whiskyflasche auf dem Tisch. Er sah sie hereinkommen. »Wo bist du gewesen?« Seine Stimme klang schrill, wie immer, wenn er viel getrunken hatte.

Sie ging zu einem der Sessel, setzte sich und zog sorgfältig ihr Kleid zurecht. Er blickte auf ihre Beine.

»Ich habe dir doch gesagt, daß ich mit dem Bullen aus bin«, sagte sie.

»Und wo seid ihr gewesen?«

»Wir haben in Fortrow gegessen und sind dann ein bißchen spazierengefahren.«

Fraser stand auf. »Du siehst … du siehst …« Endlich fiel ihm das richtige Wort ein. »Dir steht ein verdammtes Leuchten im Gesicht.«

»Das tut mir leid.«

»Du magst ihn, nicht wahr?«

»Er ist nett.«

»Du hast ihn dran gelassen, das ist’s!« schrie er. Er beugte sich über sie. »Mich wolltest du nicht lassen, und ihn hast du.«

Sie sagte nichts.

»Hast du?« Er schlang seine massiven Hände um ihren Hals.

»Nein«, antwortete sie. Sie blieb ganz still.

Er nahm seine Hände von ihrem Hals. Er sah wild und aufgeregt aus. »Du lügst!«

»Es ist die Wahrheit.«

Er ging zu seinem Sessel zurück und goß sich noch einen Whisky ein. »Was hast du erfahren?«

»Nicht sehr viel.«

»Verdammt, was hat er dir gesagt?«

»Er ist in zwei Kneipen unten am Hafen gewesen, im Mariner und im Cockpit.« Sie beobachtete sein Gesicht.

Er nahm einen großen Schluck und zündete sich eine Zigarette an. Jetzt wußte er, hinter was die Polizei her war.