1

Der Lotse rief: »Hart backbord!« Der Steuermann, der stolz vorgab, Englisch zu verstehen, ging auf steuerbord. Der Kapitän, ein aufgeregter Grieche aus Kyparissiakos, brüllte laut zu dem Lotsen, einem schwerfälligen Mann, der alle Ausländer verfluchte, hinüber, drückte den Steuermann zur Seite und drehte das Steuer hart backbord. Das rostige Trampschiff zauderte in der Mitte des Docks, als ob es nicht wüßte, ob es weiterrutschen oder die Kaimauer rammen sollte. Allmählich machte sich aber das korrekte Steuern bemerkbar, und langsam bewegte es sich auf den Dockeingang zu. Der Lotse rief: »Maschinen stop!« Das Wasser am Heck des Schiffes, wo die Spitzen der Schrauben über dem Wasser lagen, weil das Schiff nicht voll beladen war, hörte auf zu kochen. Die blecherne Dampfpfeife ertönte einmal, und der Schlepper antwortete mit einem fröhlichen Piep, bevor er anzog. Das Schiff fuhr weich aus dem Dock in den ausgebaggerten Kanal, wo es gedreht wurde. Es trennte sich vom Schlepper, und die Schraube schlug das Wasser weiß, als es langsam den Fluß hinunter in den Ärmelkanal dampfte.

Das Dockwasser kehrte zu seinem normalen, unbewegten, öldurchzogenen, driftenden Zustand zurück. Das Harcourt Dock war immer mit einer Ölschicht bedeckt; Unrat, verdorbene Lebensmittel und die verschiedensten Abfälle lagen darin herum. Das Dock wurde jetzt nur noch von Frachtschiffen benutzt, so daß sich niemand um den Dreck kümmerte. Die Reisenden kamen bei den neuen Docks an, und dort war das Wasser vergleichsweise sprudelnd klar.

Das abfahrende Trampschiff hatte mehr aufgewühlt, als zunächst zu sehen war. Zehn Minuten, nachdem es abgelegt hatte, wurde ein Gegenstand in der Mitte des Docks an die Oberfläche gespült. Das meiste lag noch unter der undurchdringlichen Oberfläche, aber Teile drangen gelegentlich hindurch. Zuerst eine Nase, dann die Lippen. Eine umherschwirrende Möwe flog darüber, zögerte, kam herunter und setzte auf dem Wasser auf. Sie wiegte den Kopf von einer Seite zur anderen und starrte auf das Ding.

Einer der Männer, die dem Griechen beim Ablegen geholfen hatten, saß auf einem Poller und tat eigentlich nichts. Die Dockergewerkschaft war gut organisiert und sorgte dafür, daß ein Arbeiter zu seinem Recht kam; niemand erwartete von ihm, sich bei harter Arbeit die Knochen zu brechen. Im Gegenteil, wenn er hart arbeitete, war es gut möglich, daß er mit gebrochenen Knochen aufwachte – aber aus anderen Gründen. Der Mann holte eine Zigarettenschachtel aus der Tasche – die letzte von zwanzig Schachteln, die er vor einer Woche aus einem amerikanischen Schiff hatte mitgehen lassen – und zündete sich eine Zigarette an. Er fragte sich, ob er heute abend zum Hunderennen oder in die Kneipe gehen sollte. Er warf das benutzte Streichholz ins Dock, und während er es ins dreckige Wasser fallen sah, erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Er blickte genauer hin und stellte entsetzt fest, daß dort ein Mensch trieb.

Er räusperte sich, spuckte und stand auf. Mitten in einer bunt schillernden Öllache schwamm etwas, das eine Nase sein mußte, links davon war eine Stirn und rechts ein Lippenpaar. Und er sah die groben Umrisse eines Gesichts. Unweit davon erstreckte sich der Körper. Augenblicklich spürte der Mann eine Übelkeit in der Magengrube.

Er rannte zwischen Schienen und unter einem der hohen fahrbaren Kräne hindurch an der Kaimauer entlang. Hinten am Docktor sah ihn der Polizist angerannt kommen.

»Was ’n los?« fragte er.

»Kommen Sie zum Harcourt.«

»Hat denn jemand das ganze Schiff geklaut?«

»Da schwimmt ein Mann im Wasser.«

Die Miene des Polizisten änderte sich. »Tatsächlich?«

»Ich mach keine Witze über Leichen.«

»Warte mal, dann komm ich mit.«

»Hab’ keine Zeit.« Der Mann drehte sich um und lief weg, bevor er tiefer in diese Sache hineingezogen werden konnte.

Der Hafenpolizist nahm ein Taschentuch, setzte seinen Helm ab und wischte sich über die Stirn. Obwohl es der Stadtpolizei bei der augenblicklich herrschenden Hitze erlaubt war, ohne Jackett den Dienst zu versehen, durfte die Hafenpolizei das nicht. Sie mußten in voller Pracht arbeiten, ganz egal bei welchen Temperaturen. Er verfluchte die Welt und seinen Vorgesetzten. Er haßte seinen Job, und er haßte die Hafenarbeiter. Er wettete seinen Monatslohn, daß sie der größte Haufen diebischer Bastarde in der ganzen Welt waren. Er war während des letzten Krieges zur See gefahren und erinnerte sich immer noch mit kaltem Haß an jene Fälle, in denen die Hafenarbeiter Lebensmittel aus den Rettungsbooten gestohlen hatten. Er und seine Kameraden hätten jeden Docker gelyncht, wenn sie einen davon erwischt hätten.

Ein zweiter Polizist kam aus einem kleinen Holzschuppen links vor dem Docktor. In dem Augenblick bremste ein Lastwagen davor. Der Fahrer zeigte seine Papiere, und der zweite Polizist wies mit dem Daumen nach rechts. Der Lastwagen fuhr an, dröhnte schwer auf, weil er weit über das gesetzliche Maximalgewicht geladen hatte.

»Bis oben hin mit Strümpfen voll«, sagte der zweite Polizist. »Hundertfünfzigtausend Scheine sind die wert. Gehen nach Australien. Er hätte mir gut ’n paar runterwerfen können. Meine Alte gibt ein Vermögen für Strümpfe aus. Na ja, morgen werden wir ja wieder für die Hälfte bei ihnen einkaufen können.« Er lachte. Im Gegensatz zu seinem Kollegen haßte er die Docker nicht. Er hielt sie für eine listige Bande, und er hatte vor listigen Leuten Respekt.

»Bleib mal hier, Fred.«

»Ist was los?«

»Meldung von ’ner Leiche im Harcourt.«

»Ja? Das mit der letzten ist noch gar nicht so lange her, was? Mann, wie kann man nur so sterben – in dieser stinkenden Brühe!«

Der erste Polizist ging die Kaimauer entlang. Als er Harcourt Dock erreichte, sah er die Möwe, die den Kopf immer noch auf und ab bewegte, und den Gegenstand, der in der Nähe trieb. Es war fraglos eine Leiche.