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Tarbard saß zusammen mit Paula an einem Tisch, den man im Club für ihn reserviert hatte. Sie sahen sich die erste Shownummer an. Das Mädchen mit dem kleinen Leberfleck auf der linken Brust tanzte so dicht vor Tarbards Nase, daß er sich fast belästigt fühlte; sie brachte ihren Körper an Stellen ins Vibrieren, von denen man das gar nicht für möglich gehalten hätte. Tarbard fand es geschmacklos, wie deutlich sie ihm zeigte, daß er ihr nur einen Wink zu geben brauchte, wenn er sich von Paula trennte. Er nippte an seinem Champagner.

Paula schenkte sich noch ein großes Glas Kognak randvoll ein. Sie hatte dem Ober gesagt, er solle die Flasche der Einfachheit halber gleich auf dem Tisch stehenlassen. Das Mädchen mit dem Leberfleck machte sie wütend, und sie zog einen Schmollmund. Tarbard lächelte in sich hinein. Wenn er Paula fortschickte, würde sie glauben, er hätte eine andere Frau. Daß es das große Geld war, was ihn reizte – auf die Idee würde sie nie kommen.

Der Club war nun verkauft. Er hatte einen Reingewinn von etwas über achttausend Pfund erzielt. Niemand in seiner Familie wäre in der Lage gewesen, ein so erfolgreiches Geschäft abzuschließen – sie hätten eher achttausend dabei verloren. Die Käufer, zwei Italiener und ein Grieche, hatten den Preis herunterhandeln wollen. Doch sie wußten nicht, daß er mit seinem untrüglichen Instinkt ihre finanziellen Möglichkeiten ziemlich genau eingeschätzt hatte.

Die achttausend waren für ihn eine Kleinigkeit. Bald würde er ein Vermögen machen. Achtzehn Monate lang, seit die erste zweizeilige Meldung durch die Zeitungen gegangen war, hatte er geplant und gearbeitet; er hatte ernste Rückschläge hinnehmen müssen. Aber nun war es soweit. Die Juwelenkollektion war mit zweieinhalb Millionen Pfund versichert; der tatsächliche Wert allein der Diamanten betrug mehr als eine Million. Er hatte immer schon davon geträumt, ein riesiges Grundstück zu kaufen. Es mußte einen Hügel haben, auf dem er dann stehen und über sein Land blicken konnte.

Die Show war vorüber, und die Hauptbeleuchtung wurde wieder eingeschaltet. Die Gäste unterhielten sich; Ober hasteten zwischen den Tischen hin und her; der Weinkellner sollte an fünf Orten zugleich sein; zwei Paare zahlten und standen auf.

»Laß uns gehen«, sagte Paula.

»Noch nicht«, meinte er.

»Warum sollen wir denn bleiben?«

»Weil ich es gern möchte.« Sie trank aus, zog wieder ihren Schmollmund und füllte sich ihr Glas noch einmal bis an den Rand voll. Die Kognakflasche war inzwischen halb leer. Wahrscheinlich glaubte sie, daß er die zweite Show und das Mädchen mit dem Leberfleck gern noch gesehen hätte.

Der Weinkellner kam an ihren Tisch und schenkte Tarbard mit einer theatralischen Geste den letzten Champagner aus der Flasche ein. Dann fragte er, ob Tarbard noch etwas wünschte – eine neue Flasche Champagner, Kognak oder eine Zigarre …? Tarbard schickte ihn mit einer Handbewegung fort. Er legte Wert auf höflichen Respekt; aber Unterwürfigkeit war ihm zuwider. Er drehte das Sektglas zwischen seinen Fingern. Drei Tage noch, dann war er Multimillionär. Und die Polizei hatte keine Ahnung, was sich vor ihren Augen abspielen würde.

 

Williams wohnte in einem modernen kleinen Bungalow, der auf der Ostseite eines großen Grundstückes lag. Er schaltete die Außenbeleuchtung ein und machte die Tür auf. Als er Kerr sah, war er zunächst überrascht, dann regte er sich auf. »Was um alles in der Welt wollen Sie denn hier?« sagte er mit sich überschlagender Stimme. Er war viel kleiner als Kerr, und weil er dicht vor ihm stand, mußte er zu ihm aufsehen.

»Darf ich bitte hineinkommen, Mr. Williams?«

»Was denken Sie sich? Jeder Mensch hat ein Recht auf sein Privatleben, und ich werde es nicht zulassen …«

Kerr unterbrach ihn gelassen. »Ist es Ihnen lieber, wenn ich mir erst einen Durchsuchungsbefehl ausstellen lasse?«

Williams schrumpfte förmlich zusammen.

Kerr ging hinein und machte die Tür hinter sich zu. Die Diele war offensichtlich neu tapeziert und schlicht, aber sehr wirkungsvoll möbliert; der Fußboden war derartig auf Hochglanz poliert, daß sich Teile der Decke und Wände darin spiegelten.

Williams fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Was wollen Sie?« murmelte er und versuchte, den Nichtsahnenden zu spielen, was ihm kläglich mißlang.

»Darf ich mal mit Ihrer Frau sprechen?«

»Sie ist nicht da.«

»Wann kommt sie wieder?«

»Das kann ich nicht sagen.«

Wie um ihn zu verhöhnen, ertönte eine schrille Stimme aus dem Wohnzimmer. »Wer ist denn da? Wenn es Mary ist, sag ihr, sie soll reinkommen und nicht so lange da draußen in der Kälte rumstehen.«

»Ist das Ihre Frau?« fragte Kerr.

Williams nickte stumm. Er drehte sich um und führte ihn mit hängenden Schultern ins Wohnzimmer. Mrs. Williams saß vor einem Kaminfeuer und strickte. Sie war etwas rundlich, trug eine strenge Brille, und ihr Mund sah aus wie ein Strich. John Kerr hatte den Eindruck, daß diese Frau mit sich und ihrem Leben nicht zufrieden war. Sie musterte ihn von oben bis unten und strickte dabei mit flinken Händen weiter. »Wer sind Sie?« fragte sie kühl.

»Ich bin Constable Kerr vom Kreis-CID

Sie sah an ihm vorbei, fixierte ihren Mann, und ihr Blick sagte, daß dort einer der größten Trottel stand, den die Welt je gesehen hat.

»Darf ich bitte einmal Ihre Hände sehen, Mrs. Williams?«

 

Josephine Fusil konnte kein Verständnis dafür aufbringen, daß Kerr unbedingt zu ihrem Mann wollte. »Müssen Sie ihn denn so spät noch stören?« fragte sie auf der Treppenstufe vor ihrer Haustür.

»Ja, leider, Mrs. Fusil.« Sie war immer schon etwas hochnäsig gewesen, dachte Kerr und verkannte dabei, daß sie ihrem Mann nur unnötige Arbeit vom Halse halten wollte.

Sie seufzte. »Na, dann kommen Sie mal rein.« Kerr blieb im Flur stehen, und sie steckte ihren Kopf durch eine Tür und rief ihren Mann.

Fusil trug ein offenes Hemd, einen alten Pullover und ziemlich zerknitterte Flanellhosen. Kerr fand, daß er in diesem Aufzug bedeutend menschlicher wirkte. »Was ist denn passiert? Hat jemand das Rathaus geklaut?«

»Ich habe den Glazebrookfall aufgeklärt, Sir.«

»So? Dann lassen Sie uns mal ein Glas Bier trinken und Sie erzählen mir die Geschichte.«

Im Wohnzimmer saß Kerr in einem nicht mehr sehr neuen Lehnstuhl. »Williams hat sich selbst verraten«, sagte er, »ich hab’s nur nicht gleich gemerkt. Er schimpfte und nörgelte ja ständig; und als der Betriebsleiter am Donnerstag die Hände der Leute inspizierte, wäre er vor Wut fast in die Luft gegangen. Am Freitag hat der Betriebsleiter die Aktion noch einmal wiederholt, um ganz sicher zu gehen. Man hätte eigentlich erwartet, daß Williams nun ganz und gar verrückt spielen würde; aber das Gegenteil trat ein: Er sagte keinen Mucks mehr. Das konnte nur bedeuten, daß er am Donnerstagabend die schwarzen Flecken an den Händen seiner Frau bemerkt hatte. In der Firma wurde darüber geredet, daß Mrs. Williams sich immer wieder beklagt hätte, zu wenig Geld von ihrem Mann zu bekommen.«

»Sind Sie schon bei ihr gewesen?«

»Ja, Sir, und ihre Hände waren voller schwarzer Flecken. Sie hat ein Geständnis abgelegt und unterschrieben.«

»Und ihr Mann?«

Kerr zögerte. »Für ihn war es ein Tiefschlag. Er brachte kein Wort mehr heraus und war vollkommen fertig. Wissen Sie, Sir, er hat mir richtig leid getan. Dabei hatte ich mich unterwegs noch gefreut, diesem Mistkerl eins auswischen zu können.«

»Ja, so geht es einem manchmal.«

Josephine brachte zwei Flaschen Bier und zwei Zinnkrüge auf einem Tablett. Ehe sie wieder hinausging, bedachte sie Fusil mit einem vorwurfsvollen Blick.

Fusil schenkte das Bier ein. »Schade, daß wir die anderen Fälle nicht genauso elegant aus der Welt schaffen können«, sagte er und schob einen vollen Krug über den Tisch.

Das Unmögliche war geschafft, dachte Kerr. Aber Wunder dauern nun einmal länger.