8
Weaver saß in seinem Büro im alten Lagerhaus und äugte durch seine Hornbrille Detective Sergeant Braddon an. Er schüttelte den Kopf. »Es ist unmöglich«, sagte er mit gereizter Stimme. »Ich sage Ihnen, es ist völlig unmöglich.«
»Nichts ist unmöglich«, erwiderte Braddon, als er aus seinem Erfahrensschatz zitierte.
»Ich sage Ihnen, daß jeder Wächter, der von unserer Firma engagiert wird, über jeden Verdacht erhaben ist. Glauben Sie denn nicht, daß wir alle Referenzen überprüfen?« Er tat sehr indigniert.
»Referenzen kann man fälschen.«
»Aber das ist doch Unsinn! Zwei Wächter werden ermordet, und zwei weitere vergast. Glauben Sie denn nicht, daß der eine, dem Sie unterstellen, daß er zu der Bande gehörte, nicht dafür hätte sorgen können, daß ihm nichts passierte?«
»Er konnte doch gar nicht genau wissen, was die Bande vorhatte, oder? Und für die Bande wäre es doch am einfachsten, den Mitwisser umzulegen.«
»Wollen Sie damit sagen, daß sie möglicherweise umgebracht worden sind, weil …« Weaver war schockiert, als er zum erstenmal begriff, daß man nicht unbedingt schuldlos sein brauchte, wenn man getötet wurde.
Braddon kratzte sich im Nacken. Weaver, der nicht mehr sitzen konnte, stand auf und ging im Zimmer auf und ab.
»Haben Sie uns die Liste gemacht?« fragte Braddon.
»Sie ist hier.« Weaver blieb an seinem Schreibtisch stehen und hob einen Schnellhefter auf, in dem zwei Blätter lagen, die mit einer Büroklammer befestigt waren. »Sie meinen, daß entweder Bleather oder Locksley den Verbrechern die Informationen über unseren Lastwagen gegeben haben?«
»Davon habe ich nichts gesagt, Mr. Weaver. Wenn es einer der Wächter war, dann können es ebensogut Fish oder Young gewesen sein – denn die Bande hat wahrscheinlich damit gerechnet, daß auch das Gas tödlich sein würde. Aber noch spricht nichts dafür, daß es überhaupt jemand von ihnen war. Die Bande kann die Information von einem anderen Beschäftigten Ihrer Firma haben oder von der Firma, die die Lastwagen herstellt oder die Sicherheitsvorkehrungen.«
»Aber damit sagen Sie ja … Dann könnte ich es ja sogar gewesen sein«, rief er entsetzt.
»Das könnte sein«, erwiderte Braddon, und er machte sich nicht die Mühe, hinzuzufügen, daß das wohl kaum zutreffend sein könnte.
»Ich schwöre, daß ich es nicht war. Ich habe dieser Firma treu gedient, seit es sie gibt.« Weaver ließ sich in seinen Sessel fallen, als ob seine Beine ihn nicht mehr tragen könnten.
Braddon warf einen Blick über die Angaben auf den beiden Papierbogen. Fish war zwanzig Jahre in der Armee gewesen und seit zwölf Jahren bei Moxon Security Company. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder, er lebte in Fortrow, und seine Frau arbeitete halbtags als Krankenschwester. Young war ein Automechaniker gewesen, bevor er vor fünf Jahren zu dieser Firma stieß. Zuerst hat er der kleinen Reparaturgruppe angehört, die man später aufgelöst hatte. Er war verheiratet, hatte einen Sohn, und er lebte in Astey, einem Vorort von Fortrow. Bleather war irgendwo im Norden bei der Polizei gewesen, aber als seine Frau vor drei Jahren starb, hatte er gekündigt und war in den Süden gegangen und Wächter bei Moxon geworden. Er lebte als Untermieter in einem Haus, das einer älteren Witwe gehörte. Locksley war seit vier Jahren bei der Firma, zuvor war er Hilfsarbeiter gewesen. Er lebte bei seiner Mutter.
Braddon blickte Weaver an und legte sich die Liste in den Schoß. »Was ist mit den Referenzen?«
»Die müssen natürlich ausgezeichnet sein, ganz ausgezeichnet.«
»Überprüfen Sie sie?«
»Aber natürlich! Ein Mitglied der Zentrale oder der Filialmanager erkundigt sich bei dem Mann, der die Referenz geschrieben hat.«
»Und haben Sie Abschriften der Referenzen dieser vier Männer?«
»Habe ich Ihnen die nicht …?« Weaver suchte auf seinem Schreibtisch. Er fand ein weiteres Blatt Papier, das er dann Braddon reichte.
Er las die Fotokopien der Referenzen. Die Armee sagte nur Gutes über Fish, die Polizei nur Gutes über Bleather. Die Autowerkstatt bestätigte, daß Young ein ehrlicher und fleißiger Mann war, und eine Baufirma teilte mit, daß man sich auf Locksley verlassen konnte.
»Ich bin absolut sicher, daß es niemand war, der bei unserer Firma arbeitet.«
Damit meint er, dachte Braddon amüsiert, in erster Linie sich selbst.
Detective Sergeant Ambleside saß in seinem Office in Cressfield Central und mühte sich mit seinem Bericht ab. Jedesmal, wenn seine ungelenken Finger auf den falschen Buchstaben schlugen, fluchte er. Das Telefon klingelte, und dankbar verließ er seinen Platz an der Schreibmaschine und hob ab. Es war der Print-Mann. Die Abdrücke des toten Mannes gehörten Robert Glenton, einundvierzig Jahre alt, langes Vorstrafenregister, das unter anderem mehrere bewaffnete Raubüberfälle enthielt.
Ambleside legte auf, stand auf und ging zum offenen Fenster hinüber. Er zündete sich eine Zigarette an und starrte auf die Häuserblocks auf der anderen Straßenseite. Der volltrunkene Fahrer, der sich in seinem Ford totgefahren hatte, war also ein berüchtigter Verbrecher, dem niemand eine Träne nachweinen würde.
Aber steckte nicht noch etwas mehr dahinter? Robert Glenton war ein cleverer, brutaler Mann gewesen, der beweisen wollte, daß sich Verbrechen auszahlte. Er war ein Mann gewesen, der sich nicht mit kleinen Fischzügen abgab, der den großen Coup plante und ausführte – zum Beispiel einen Lohngeldraub von hundertachtzehntausend Pfund. Ambleside fiel die versengte Schulter am Anzug des toten Mannes auf. Die Bande in Fortrow hatte ein höllisches Feuer gelegt, um alles zu verbrennen, was möglicherweise eine Spur hätte sein können. Ob Glenton mit der Schulter ans Feuer gekommen war?
Er tippte die Asche von seiner Zigarette. Ein Detektiv mußte Phantasie haben. Sie befähigte ihn dazu, Verbindungen zu sehen, die er sonst nicht bemerken würde. Aber man konnte sich auch in Phantasien verrennen.
Ein Mann, volltrunken, starb in seinem Auto. Ein Verbrecher. Sein Anzug war versengt. Reichte das aus, um eine Verbindung zu dem brutalen Verbrechen in Fortrow herzustellen?
Er bestellte bei der Vermittlung ein Gespräch nach Fortrow.
Fusil war beim Essen so mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er gar nicht wußte, was er eigentlich aß. Da sie den ganzen Morgen damit verbracht hatte, dieses Essen zu richten, war Josephine verärgert, aber sie versuchte, ihn das nicht anmerken zu lassen. Nur fuhr sie Timothy, ihren elfjährigen Sohn, hin und wieder ein bißchen schärfer an als gewöhnlich.
Zum Nachtisch gab es einen Schokoladenauflauf mit Schlagsahne. Fusil schlang es in sich hinein wie den Hauptgang. Er sagte nicht mal, wie gut es ihm schmeckte. Josephines Geduld neigte sich ihrem Ende. »Bob«, sagte sie laut.
»Ja, Schatz?«
»Wenn du das nächste Mal wieder so viel mit einem Fall zu tun hast, dann sag mir doch bitte Bescheid. Ich werde dir dann vertrocknete Schinkenbrote zum Essen hinlegen.«
»Ja, Schatz«, antwortete er.
»Aber Daddy mag doch keine vertrockneten Schinkenbrote«, sagte Timothy, der den ganzen Mund mit Schokolade verschmiert hatte. »Das weißt du doch.«
»Ich weiß viele Dinge«, antwortete Josephine.
»Was meinst du, Schatz?« fragte Fusil.
»Ach, es ist egal.«
»Hast du nicht was gesagt?«
»Ja, aber das war nur für mich selbst gedacht, denn sonst hört mir ja ohnehin niemand zu.«
Fusil fiel plötzlich auf, daß seine Frau sehr verärgert war, und er suchte nach Worten, um sie ein bißchen aufzumuntern, aber da klingelte das Telefon. Mit verdächtiger Hast stand er auf. Josephine seufzte. Sie war sehr stolz auf ihren Mann, aber es gab Zeiten, in denen er sich ausschließlich seiner Arbeit widmete, und dann wurde das Zusammenleben sehr schwierig.
Draußen im Flur hob Fusil den Hörer ab. Der Anruf kam vom Inspektor vom Dienst. Er hatte von der Polizei in Cressfield gehört, daß ein Mann im betrunkenen Zustand am Freitagabend in seinem Auto tödlich verunglückt war. Der Anzug des Mannes war versengt. Der Mann war als Robert Glenton identifiziert worden, achtmal vorbestraft, mehrfach wegen bewaffneten Raubüberfalls.
Fusil setzte sich auf die Pinienholztreppe, die noch hell und glänzend war, denn das Haus stand erst ein paar Jahre. Glenton hatte kein Geld bei sich gehabt, und es gab keine direkte Verbindung zwischen ihm und dem Geldraub, aber sein Jackett war versengt, und wenn er um halb fünf aus Fortrow weggefahren war – zu dieser Zeit hatte Miss Railton den gelben Austin das erste Mal bemerkt –, dann hätte er zur Zeit des Unfalls in Cressfield sein können.
Eigentlich müßte er jetzt nach Cressfield fahren, aber er hatte das Gefühl, daß er zu diesem Zeitpunkt nicht aus Fortrow weg konnte. Sollte er Braddon schicken? Braddon hatte Routine, aber dieser Fall verlangte nicht nur Routine, er verlangte nach einem Blitzeinfall, nach Phantasie. Kerr vielleicht?
Seine Gedanken wurden unterbrochen. »Wer ist es?« fragte Josephine scharf.
Er blickte hoch und war ein wenig erstaunt, als er sie in der Tür zum Wohnzimmer stehen sah. »Das Revier«, sagte er und stand auf. »Ich muß weg.«
»Du hast mir versprochen, Bob, daß du heute nachmittag hierbleiben würdest.«
»Es tut mir leid, ich kann es nicht. Es kann sein, daß das die Wende ist, auf die wir alle gewartet haben.«
Sie war sehr enttäuscht, aber sie sagte nichts mehr.
Fusil dauerte die Fahrt viel zu lange. Die heiße Sonne schien alle Leute auf die Straße gelockt zu haben. Als er zum Revier kam, parkte er seinen Wagen und ging zu seinem Büro. Er rief den Mannschaftsraum an und bekam keine Antwort. Braddon war ebenfalls nicht da.
Fusil telefonierte mit der Kantine, und irgendeine Frau sagte ihm wirsch, daß sie von nichts wüßte, daß es Sonntagnachmittag wäre und sie nach Hause ginge. Er probierte es im Polizeiheim, aber Kerr war nicht da. Nie ist jemand zur Hand, wenn man ihn braucht, dachte Fusil wütend, sie hängen nur alle hier herum, wenn es nichts zu tun gibt.
Schließlich kam Braddon zurück. Das Labor hatte ein erstes Ergebnis durchtelefoniert, aber damit konnte man nicht viel anfangen. Auf der Sauerstoff-Flasche waren Markierungen gefunden worden.
»Bleiben Sie auf dieser Spur?« fragte Fusil, und es klang wie ein Befehl.
»Ja, Sir, soweit ich am Sonntag auf der Spur bleiben kann«, antwortete er.
Sonntags schien alles irgendwie abgeschnitten zu sein, nur nicht das Verbrechen, dachte Fusil wütend. »Haben Sie eine Ahnung, wo Kerr sein könnte?«
»Er wollte zu Bleather und Fish nach Hause gehen, Sir.«
»Holen Sie ihn so schnell wie möglich zurück. Er soll sich bei mir melden und dann mit dem Zug nach London und Cressfield fahren.« Er erklärte kurz, was geschehen war.
Kerr gehörte zu den Realisten, die ganz genau wußten, was man essen mußte, um am Leben zu bleiben. Deshalb wäre es albern gewesen, das Angebot eines guten Sonntagsessens abzulehnen, nur weil es bedeutete, statt der offiziell genehmigten Mittagspause von einer Stunde mindestens zwei Stunden außer Dienst zu sein. Das Essen war so köstlich, wie er gehofft hatte. Mrs . und Helen Barley hatten ihn davon überzeugt, daß gute Kochkünste eine der Voraussetzungen für eine dauerhafte Ehe waren.
Um halb drei fuhr er mit dem Hillman zu dem Haus, in dem Bleather als Untermieter wohnte. Es war ein kleines Haus, kompakt und häßlich, aber es war frisch gestrichen, und der kleine Garten wohlgepflegt.
Mrs. Sparrow, die Hausbesitzerin, legte Wert auf unbedingte Reinlichkeit. Bei ihr hätte man vom Boden essen können.
»Es war ja so ein Schock«, sagte sie. Ihre Stimme klang dünn und piepsend. »Ich hab dem Polizist gestern schon gesagt, es klingt zu phantastisch, man kann es gar nicht glauben! Was leben wir doch in einer schrecklichen Zeit.«
»Ja, manchmal geht es ein bißchen rauh zu«, erwiderte Kerr, der sich heimlich über die Frau amüsierte.
»Er war ein netter Mann, so ruhig, er machte nie Schwierigkeiten. Mir tat es immer leid, wenn er an den Wochenenden wegfuhr, um seine Kusine und deren Familie zu besuchen. Stellen Sie sich vor, als er erschossen wurde, habe ich gerade Kartoffel geschält! Meine liebe Mutter hat immer gesagt: ›Heute noch da und morgen schon weg‹, und das stimmt genau, nicht wahr?«
Iß, trink und sei fröhlich, denn morgen kann’s zu spät sein, dachte Kerr. Ihm fiel ein, wie schrecklich es sein müßte, wenn es einen gerade am Tag vorm Zahltag erwischte, daß man also nicht mal mehr Zeit hatte, sein Gehalt auszugeben. »Darf ich mir mal sein Zimmer ansehen?«
»Aber natürlich. Ich bin gerade dabei, es gründlich sauberzumachen, denn es hat sich schon ein anderer Herr gemeldet, der hier wohnen möchte. Mein lieber Mann hat mir das Haus und ein bißchen Geld hinterlassen, aber da die Preise immer mehr steigen und da wir eine Regierung haben, die der Meinung ist, Eigentum müßte bestraft werden, bin ich auf Untermieter angewiesen, die mir helfen, die Unkosten zu decken.«
Ohne sich auch nur einmal zu unterbrechen, ging sie die Treppe voran und führte ihn ins Schlafzimmer. Das Bett war abgezogen, die Matratze nackt, der Teppich aufgerollt. Am Fenster hing kein Vorhang mehr, die Wände waren abgewaschen worden, und der Fußboden glänzte vom frisch aufgetragenen Poliermittel.
»Ich habe den netten Polizisten, der gestern hier war, gefragt, was ich mit den Kleidern des armen Mr. Bleather tun sollte. Er hat mich gebeten, sie zu verwahren, bis die Polizei die nächsten Angehörigen festgestellt hat. Ich nehme an, daß es seine Kusine ist.«
»Wissen Sie zufällig, wo sie wohnt?«
»Nein. Er hat nicht viel über sie erzählt.« Daß ihr das ein Greuel war, hörte man ihrem Tonfall an.
»Hat er viele Sachen hier?«
»Nein, nur die paar Sachen, die im Schrank hängen, seine Wäsche, diese Bücher und dann ein paar nutzlose Dinge. Er hat immer gesagt, daß er keine Lust mehr hätte, sich Besitztümer anzuschaffen, seit seine Frau gestorben war.«
Er öffnete den Schrank und sah sich um, aber es stimmte tatsächlich: Bleather hatte bis auf ein Sparbuch, auf dem dreihundert Pfund standen, nichts von Wert hinterlassen.
Es war ein ernüchternder Gedanke, dachte Kerr, daß ein Mann mit seinem Tod so vollkommen ausgelöscht war, daß nichts mehr an ihn erinnerte bis auf ein paar alte Kleider und dreihundert Pfund.
Kerr brauchte noch eine weitere Viertelstunde, bis er aus dem Haus kam, und auch dann mußte er Mrs. Sparrows Redefluß unterbrechen. Er fuhr die zwei Kilometer bis zu dem Haus von Fish. Es handelte sich um ein Reihenhaus, war aber von einem großen Garten umgeben. Es war ein teures Haus für einen Mann, der selten mehr als zwanzig Pfund in der Woche nach Hause brachte.
Mrs. Fish war eine Frau, die bis zur Grenze ihrer Belastungskraft strapaziert zu sein schien. Sie sprach zwar beherrscht, aber man hörte die aufkeimende Hysterie hinter jedem Wort.
Ihr Sohn, zwanzig Jahre alt, gab sich keine Mühe, seine Abneigung oder gar seinen Haß zu verbergen. Kerr war nicht überrascht. Ihre Besorgnis über Fishs ernsten Zustand war ihre private Angelegenheit, und doch hörte die Polizei nicht auf, sie zu belästigen.
»Wie geht es ihm?« fragte Kerr.
»Immer dasselbe«, antwortete Mrs. Fish. »Und das Krankenhaus sagt uns immer noch nicht, wie schlimm es wirklich um ihn stehe. Als wir das letzte Mal bei ihm waren, hat er die ganze Zeit gehustet. Es tut weh, es hören zu müssen.«
»Ich hoffe, daß es ihm bald besser geht«, sagte er, und er war sich bewußt, wie sinnlos seine Worte waren.
»Haben Sie die Mörder?« wollte der Sohn wissen.
»Noch nicht«, antwortete Kerr.
»Ihr laßt euch aber Zeit, was? Ich nehme an, daß es euch nicht sonderlich stört, daß mein Vater vergast worden ist. Er ist nicht so wichtig, als daß ihr euch graue Haare darum wachsen laßt.«
Kerr antwortete nicht.
Sie standen im Wohnzimmer, und als erstes hatte Kerr eine Stereo-Anlage gesehen, die offensichtlich viel Geld gekostet hatte.
Mrs. Fish setzte sich jetzt in einen Sessel und zündete sich hastig und nervös eine Zigarette an. »Was wollen Sie?«
»Wir hätten gern gewußt, ob Sie in den vergangenen Tagen oder Wochen jemanden in der Nähe des Hauses gesehen haben. Es wäre ja möglich, daß jemand Ihren Mann überwacht hat.«
Sicherlich merkten sie, daß er in Wirklichkeit hier war, um zu spionieren, dachte Kerr, daß er hier war, um Spuren des Geldes zu finden, das ihr Mann von den Verbrechern bekommen hatte – wenn er ein Verräter war. Aber sie zeigte nicht, daß ihr das bewußt war. Sie sagte, ihr wäre nichts aufgefallen, und ihrem Mann wohl auch nicht, jedenfalls hätte er nichts gesagt.
»Ihr tappt ja noch ganz schön im dunkeln«, sagte der Sohn. »Ihr werdet den Fall nie klären, weil mein Vater euch nicht wichtig genug ist.«
»Hör auf, Fred«, sagte seine Mutter schwach.
»Warum denn aufhören? Soll ich nichts sagen? Das ist es ja, was unser Land verdirbt! Wenn du zur Masse gehörst, dann sollst du nichts kritisieren, auch wenn es zum Himmel stinkt. Dad wird vergast, kommt fast um dabei, aber ich darf nichts sagen. Ich sage Ihnen …«
»Aber dieser Herr kann doch nichts dafür, Fred.«
»Keiner kann was dafür!« Der Junge drehte sich auf dem Absatz herum und warf im Hinausgehen krachend die Tür ins Schloß.
»Es hat ihn schrecklich mitgenommen«, sagte Mrs. Fish, als ob sie Kerr eine Erklärung schuldig gewesen wäre.
Kerr sagte, das verstünde er, und auch dabei nahmen seine Augen alles auf, was es in diesem Zimmer zu sehen gab – ausgelegter Teppich, Vorhänge von hervorragender Qualität, eine Bar …
Fünf Minuten später ging er zu seinem Auto. Er blickte auf die Uhr. Kurz nach vier Uhr, Teezeit. Wenn er jetzt zu Helen zurückführe, wäre er nicht vor halb sechs auf dem Revier, und wenn ihn dann jemand fragte, wo er seit heute morgen gewesen wäre, war es schwierig, eine gutklingende Erklärung zu finden. Widerwillig beschloß er, sofort zum Revier zurückzufahren.
Er war noch keine zwei Minuten da, als man ihm sagte, daß der D.I. seinen Bericht erwartete.
»Packen Sie Ihre Sachen und fahren Sie nach Cressfield«, ordnete Fusil an. »Im Coach Inn ist ein Zimmer für Sie reserviert.«
»Aber ich …«
»Wenden Sie sich an Detective Sergeant Ambleside auf dem Polizeirevier. Ein betrunkener Mann hat am Freitagabend einen tödlichen Unfall gehabt. Der Mann hieß Glenton und war ein ausgereifter Ganove. Sie sollen herausfinden, ob er etwas mit dem Job bei uns zu tun hat.«
»Und wie soll ich vorgehen, Sir, wenn es keinen Beweis gibt und die Polizei in Cressfield …?«
»Ich erwarte, daß Sie endlich einmal eigene Initiative zeigen.« Wie lieb er wieder ist, dachte Kerr. »Sir, wissen wir denn …?«
»Wir wissen nur, daß sein Jackett versengt war, und daß die Zeiten in etwa übereinstimmen.«
»Das hört sich ein bißchen an den Haaren herbeigezogen …«
»Geben Sie mir keine langen Erklärungen ab«, unterbrach Fusil ihn zum viertenmal. »Setzen Sie sich in Bewegung und passen Sie auf, daß Sie nicht zuviel Spesen machen. Ich werde das nachprüfen.«
»Ich versichere Ihnen, Sir, daß dazu kein Grund bestehen wird«, erwiderte Kerr.
Fusils Ärger steigerte sich. »Worauf warten Sie dann noch?«
»Ich dachte, Sie wollten meinen Bericht hören, Sir. Ich bin gerade von Fish und Bleather zurückgekommen. Bei Bleather ist keine Spur von Geld zu sehen, aber bei Fish. Das Haus muß sehr viel gekostet haben, und der Flur und das Wohnzimmer sind sehr kostspielig eingerichtet. Es sieht so aus, als ob Fish eine Menge mehr ausgegeben hätte, als er verdient.«
Fusil lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Sie sind ein guter Beobachter.«
Kerr nickte.
»Nur eins stimmt mit Ihnen nicht – Sie gehen nicht methodisch vor. Wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, die Informationen durchzulesen, die wir über Fish haben, dann hätten Sie erfahren, daß er vor zwei Jahren eine Menge Geld im Toto gewonnen hat und daß er damit das Haus gekauft und eingerichtet hat.«
Ich hätte doch zum Tee zu Helen fahren sollen, dachte Kerr.
Plexford lag auf dem östlichen Ufer des River Craydon, einem Nebenfluß der Themse. Das Dorf bestand aus einem halben Dutzend Geschäfte, zwei Kneipen, zwanzig alten Häusern, von denen die meisten für viel Geld modernisiert worden waren, und einer Anzahl neuer und meist großer Häuser.
Der Craydon war ein Fluß mit vielen Windungen und Biegungen, so daß er auf vielen Streckenabschnitten einer sich hastig vorwärts bewegenden Schlange glich. Die Strömung war recht schnell, aber das traf nur für die Mitte des Flusses zu. Das Wasser an den Seiten stand fast still.
Unter den ins Wasser ragenden Zweigen einer Trauerweide hatte sich eine Leiche verfangen. Sie lag mit dem Gesicht im Wasser, mit dem Rücken bereits im Schlamm. Erst am sechsten Tag würde die Leiche auftreiben, wenn man sie bis dahin nicht fand.
Es war die Leiche von Bill Weston, und im Tode sah sein Gesicht noch säuerlicher aus als im Leben.