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Weaver, der Abteilungsleiter von Moxon Security Company in Fortrow, wühlte in den Papieren auf seinem Schreibtisch. »Ich weiß, daß es irgendwo hier herumliegt«, sagte er mit seiner dünnen, häufig quengelnden Stimme.

Fish wartete vor dem Schreibtisch. Er freute sich immer wieder über all diese Unzulänglichkeiten in den Büros.

»Ah, hier ist es! Das ist der Plan für nächste Woche. Sie sind von Montag bis Freitag dran. Merken Sie sich vor, daß wir am Freitag eine große Ladung haben.«

Fish zeigte sich unbeeindruckt. Ihm war es egal, wieviel Geld er zu transportieren hatte – wenn er dabei war, konnte nichts schiefgehen, denn er beachtete alle Vorschriften gewissenhaft, umsichtig und bedächtig. Das hatte er in zwanzig Jahren bei der Armee gelernt.

Weaver blickte auf und sah Fish über die große Hornbrille hinweg an. »Ich sagte, daß Sie eine große Ladung haben werden. Die Löhne und Urlaubsgelder für die Arcol-Fabrik.«

»Das ist nichts Neues für mich«, erwiderte Fish mit seiner tiefen Stimme, die immer etwas lauter als nötig war.

»Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie frühzeitig das Geld bei der Bank bestellen müssen.«

Hatte er das je vergessen? War das Geld nicht jedesmal für sie bereit, wie es sich gehörte?

»Die Direktion muß sofort benachrichtigt werden, wenn das Geld geladen ist.«

»Das haben Sie schon mal gesagt.«

Der Manager wurde wütend und klagte Fish an, nie zuzuhören, wenn man ihm etwas sagte. Fish schwieg daraufhin; es war ihm zu lästig, auf eine solch absurde Anschuldigung zu antworten.

Fish ging aus dem Büro und kletterte die baufällige Holztreppe hinunter zum Hof, wo ein Mann in Hemdsärmeln mit einem Schlauch bewaffnet einen Lastwagen wusch. »Sind Sie bald fertig?« fragte Fish.

»Was soll ich sein?« Young drehte sich um. »Soll ich Ihnen mal was sagen? Zu einer Wagenwäsche gehört mehr als herumzustehen und zuzusehen. Sie sollten es ruhig mal probieren, Mann.« Youngs Jähzorn schien etwas mit seinem roten Haar zu tun zu haben.

Fish ging weiter. Er verstand die junge Generation nicht mehr, und da schloß er auch Young mit ein, wenn der auch schon fünfunddreißig war. Sie wollten alles für nichts haben, mehr Lohn für die halbe Arbeit. Wie sein Sohn, der lange Haare hatte, einen ungepflegten Bart, wild und wirr über die Weltrevolution redete, Architekt werden wollte und sich wie ein Halbirrer benahm.

Zwei Jahre in der Armee hätten ihm beigebracht, daß harte Arbeit wichtiger war als Maulaffen feilhalten.

 

Im C.I.D.-Mannschaftsraum des Headquarters, Abteilung Ost, in Fortrow starrte Detektiv Kerr auf das Formular vor sich, und er fragte sich, warum Formulare so sein müssen. Er hatte um Spesen in Höhe von siebenundzwanzig Shilling gebeten – Geld, das er mit einem alten Säufer durchgebracht hatte, um etwas zu erfahren. Er mußte unzählige Fragen beantworten, bevor der Detective Inspektor sein Okay geben und das Formular dem Superintendent zur Auszahlung weiterleiten konnte.

Welland, der seine sechs Monate als C.I.D.-Hilfskraft abdiente, blickte von seinem Schreibtisch hoch. »Wer hat am Samstag nachmittag Dienst?«

»Wir alle«, antwortete Kerr.

»Du machst Witze.«

»Wollen wir wetten, daß noch was passiert und wir das ganze Wochenende über Dienst haben?«

»Mal nicht den Teufel an die Wand«, grinste Welland. Er sah aus wie ein Mann, der nie launisch sein konnte.

Kerr seufzte. »Mir ist eben bewußt geworden, daß ich keine Lieblingstante habe, die sterben und mir zwanzigtausend Pfund hinterlassen würde, so daß ich auf den Bahamas leben könnte.«

»Du denkst wieder an den Strand, der mit den schönsten Frauen gepflastert sein soll«, lachte Welland. »An dem Tag, an dem du nicht an Frauen denkst, bist du entweder krank oder tot. Du kannst nur geheilt werden, wenn du heiratest.«

»Unsinn«, erwiderte Kerr, aber er fragte sich, ob Welland vielleicht recht hatte. Vielleicht lag es daran, daß er älter wurde, aber der Gedanke an Heirat hatte immer mehr für sich, da das Leben im Polizeiheim auch nicht gerade üppig war. Außerdem hatte Helen erst vor drei Tagen fast im Vorübergehen gesagt, daß sie mit einem Kerl namens Phineas ausgehen würde. Phineas! Wie kann man nur so heißen? Und wie kann man mit einem Kerl ausgehen, der so heißt?

Er zündete sich eine Zigarette an. Ein verheirateter Polizist in Fortrow bekam ein schönes Haus, für das man keine Miete zahlen brauchte, so daß es vielleicht stimmt, wenn man sagte, daß zwei fast so preiswert wie einer leben konnten.

Welland legte sich in seinem Stuhl zurück, der alarmierend unter seinem Gewicht krachte. »Wann machst du Urlaub?«

»Bald – wenn nicht irgend jemand einen Strich durch meine Rechnung macht«, fügte Kerr hinzu.

»Fährst du weg?«

»Ich wollte ein paar Tage nach Frankreich, aber ich habe gehört, daß es da so teuer ist, daß man entweder essen oder trinken kann, aber nicht beides.«

Das Telefon auf Rowans Schreibtisch schlug zweimal an, und Kerr stand widerwillig auf, durchquerte das Zimmer und meldete sich. Nachdem er kurz zugehört hatte, legte er den Hörer wieder hin. »Der Alte. Er will einen von uns sehen. Bist du beschäftigt?«

»Sehr«, antwortete Welland.

Als Kerr das Zimmer verließ, dachte er darüber nach, was er mit vierhunderttausend Pfund machen würde, die er im Toto gewonnen hätte. Kann man überhaupt die Zinsen eines solchen Vermögens ausgeben? Er kam am letzten Zimmer des Flurs an, klopfte an die Tür und ging hinein.

Fusil, der D.I., hatte nur einen Gott, und der hieß Erfolg. Er war bereit, sich selbst und die anderen bis zur Grenze zu strapazieren, um diesen Erfolg zu erreichen, und deshalb wurde er zwar respektiert, aber nicht geliebt. Ihn kümmerte es einen feuchten Staub, was die anderen von ihm hielten.

Er blickte hoch, als Kerr eintrat. »Unfall und Fahrerflucht auf der Ascrey Cross sind gemeldet worden. Eine Frau ist schwer verletzt, sie wird wohl kaum durchkommen. Fahren Sie zur Chigwell-Road-Kreuzung und sehen Sie nach.«

»Jawohl, Sir.«

Während Kerr die Treppe hinunterging, dachte er über seine veränderte Beziehung zwischen ihm und dem D.I. nach. Ursprünglich war nichts als Unfreundlichkeit zwischen ihnen gewesen, hauptsächlich wegen Kerrs sorgloser Haltung dem Leben und der Arbeit gegenüber. Aber seit dem Fraser-Fall, als beide Männer entdeckten, wie rauh und häßlich das Leben sein kann, schienen sie ein stillschweigendes Abkommen getroffen zu haben, alles zu tun, um ihre gegenseitigen Abneigungen nicht zum Ausbruch kommen zu lassen.

Endlich war der Dienst-Hillman mal nicht unterwegs, Kerr stieg ein und fuhr zur Chigwell Road. Die Unfallstelle war durch die unvermeidliche Menschentraube gekennzeichnet. Kerr stellte den Hillman hinter Kranken- und Streifenwagen ab. Ein Polizist aus dem Streifenwagen sprach mit einer älteren Frau, während der andere Sachen einsammelte, die über die Straße verstreut lagen: ein Hut, eine Tragetasche, aus der ein paar Kartoffeln gerollt waren, eine Handtasche, die aufgesprungen war – ein Lippenstift und ein bißchen Kleingeld waren herausgefallen.

Kerr ging zu dem zweiten Polizisten, der den Lippenstift gerade in die Handtasche steckte. »Schon Anhaltspunkte, George?«

Der Uniformierte blickte hoch; auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck verbitterter Wut, aber als er redete, klang seine Stimme beherrscht. »Die Frau, die da drüben mit Bert redet, hat alles gesehen. Sie sagt, es wäre ein graues Auto gewesen, nicht sehr groß. Mehr weiß sie nicht. Ihr ist erst eingefallen, nach dem Kennzeichen zu sehen, als das Auto schon über alle Berge war.«

»Keine Glasscherben?« fragte Kerr.

»Überhaupt keine Spuren.«

Kerr ging zum Bürgersteig, wo Bert mit der Frau stand. Er stellte der Augenzeugin ein paar Fragen. Die ältere Frau hatte einen Schock, konnte das Geschehen aber folgerichtig wiedergeben. Die Straße war frei gewesen, die Frau hatte die Straße betreten. Das Auto war sehr schnell um die Ecke geschossen, Reifen quietschten, das Auto schlitterte, riß die Frau um und fuhr weiter – noch schneller als vorher. Eine ganz normale Limousine.

Er dankte ihr für ihre Hilfe, bot sich an, sie nach Hause zu bringen und ging dann zu der Stelle, wo der Zusammenprall passiert war. Wie hoch waren die Chancen, eine Fahrerflucht aufzuklären? Keine Glasscherben bedeutete: keinen zerbrochenen Scheinwerfer. Das Auto hatte höchstens einen eingedrückten Kotflügel. Der Fahrer brauchte nicht mal eine Werkstatt.

Er ging zu dem zweiten Polizisten zurück, der eine Liste der Dinge anfertigte, die er von der Straße aufgesammelt hatte.

»Was ist das für eine Frau, die angefahren wurde?«

Der Streifenpolizist schüttelte den Kopf. »Ganz normal.«

»Jung?«

»Mittel. Leicht ergrautes Haar.«

Wer wartete auf sie zu Hause und fragte sich inzwischen, warum sie sich wohl verspätet hatte, dachte Kerr, und ihm wurde bewußt, daß er sich vor zwei Monaten noch keine Gedanken darüber gemacht hätte.

 

Superintendent Passmore sah aus wie ein freundlicher, großherziger Familienvater, dessen größter Wunsch ans Leben war, in Ruhe und Frieden gelassen zu werden. Bis zu einem gewissen Grad trog dieser Schein nicht, aber es muß hinzugefügt werden, daß er im Dienst ein eifriger Disziplinverfechter war, der weder Laxheit noch Unfähigkeit duldete und Integrität nicht an der Beliebtheit eines Vorgesetzten maß. Im Gegensatz zu Fusil war Passmore bei seinen Untergebenen beliebt.

Er saß hinter seinem Schreibtisch und schob Fusil einen Papierbogen über die Platte. »Ich habe eine neue Liste von Moxon Security Company über die nächsten Geldtransporte bekommen«, sagte Passmore. »Weiß der Teufel, warum sie es immer an mich statt an Sie adressieren.«

»Ich werde das veranlassen, Sir.«

Passmore nickte. »Am Freitag haben sie einen Transport über hunderttausend Pfund«, sagte er.

»Ja, Sir.«

»Werden Sie verstärkten Begleitschutz anfordern?«

Fusil zögerte. »Ich glaube nicht, Sir«, sagte er dann. »Erinnern Sie sich an das Rundschreiben aus dem H.Q. des Bezirks, in dem es heißt, daß verstärkter Begleitschutz nur auf besondere Fälle beschränkt werden muß? Und dieser Fall ist nicht besonders – die Gesamtsumme liegt lediglich um fünfzehntausend Pfund höher als gewöhnlich.«

Passmore sagte nichts. Es war immer sehr schwierig, in solchen Situationen das Richtige zu tun. Weil man im Bezirks-Hauptquartier auch zu wenige Fahrzeuge hatte, waren die Anforderungen aus Fortrow nicht sehr willkommen. Und im H.Q. würde man bestimmt knurren – obwohl sie mit Kritik immer schnell bei der Hand waren –, wenn man nur wegen der verhältnismäßig geringen Mehrsummen verstärkten Begleitschutz beantragte. Aber wenn etwas passieren sollte, würde Fusil dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Man würde ihm vorwerfen, daß er keinen verstärkten Begleitschutz angefordert hatte. Es war ein Adler-oder-Zahl-Spiel; ein Spiel, das bei der Polizei schon zur Gewohnheit geworden war.