16
Detective Inspector Pritchard saß in seinem Büro in Sasshurst und verzehrte sein letztes Sandwich zum Lunch.
Sein Detective Sergeant kam herein. »Die Bus-Gesellschaft hat uns gerade angerufen, Sir. Es muß entweder der Bus 6 oder 12 gewesen sein. Nummer 6 fährt vom Busdepot nach Haver, Nummer 12 kommt aus Birmingham und fährt bis nach Gilstead.«
Pritchard schob die leere Tasse zur Seite. »Die Stelle, an der Elwick ihn geschnappt hat, liegt kurz hinter dem Depot«, sagte er. »Dieses kurze Stück wäre er bestimmt gelaufen.«
»Oder er hat festgestellt, daß er im falschen Bus saß«, warf der Sergeant ein.
»Nein. Er hat im Birmingham-Bus gesessen.« Pritchard stand auf und ging zur großen Gebietskarte hinüber. »Das sind über neun Kilometer bebautes Gebiet«, stöhnte er. »Haben wir immer noch nichts vom Busschaffner gehört?«
»Nein, Sir. Wir haben beide befragt. Es war nichts aus ihnen herauszuholen.«
»Und die weggeworfenen Fahrkarten im Bus? Man wirft doch manchmal seinen Fahrschein sofort weg, wenn man sich ausgewiesen hat.«
»Nichts, Sir.«
Pritchard steckte sich einen Kaugummi in den Mund – eine Angewohnheit, seit er vor fünf Jahren das Rauchen aufgegeben hatte. Er kaute. Rachan machte den Mund nicht auf.
Während des Verhörs hatte er entweder geschwiegen und die Polizisten mit einem mörderischen Haß in seinen blaßblauen Augen angestarrt, oder er hatte unflätige Flüche und Beschimpfungen ausgestoßen. Er hofft, dachte Pritchard, daß seine Frau das Geld in Sicherheit bringt, bevor die Polizei herausfindet, wo sie wohnt.
Warum war Rachan im Bus gewesen? Verbrecher seines Kalibers fahren mit dem Auto, mit einem teuren Auto, um sich selbst und allen anderen zu zeigen, wie erfolgreich sie sind. Die einzig plausible Antwort auf diese Frage: Sein Auto war in einer Reparaturwerkstatt. Das zu überprüfen, würde lange Zeit in Anspruch nehmen – und Zeit hatten sie nicht.
Der Sergeant unterbrach seine Gedanken. »Ist das alles, Sir?«
»Ja.«
Pritchard kaute weiter. Am Nachmittag würde der D. I. aus Fortrow da sein, und am frühen Abend würde er beginnen, laut über die Schlamperei der Polizei in Sasshurst zu schimpfen.
Das Telefon klingelte. Der Leiter des Labors im Bezirks-H.-Q. teilte mit, daß man in Rachans Anzug eine große Menge Sägemehl gefunden hatte, hauptsächlich Eichenmehl.
Pritchard legte den Hörer auf. Er steckte sich einen neuen Kaugummi in den Mund. Rachans Anzug war teuer gewesen, wie es sich für einen richtigen Verbrecher gehört. Rachan arbeitete nicht in einem Sägewerk – wie also kam Sägemehl in seinen Anzug?
Um Viertel nach vier hatte Pritchard eine Liste aller holzverarbeitenden Betriebe von Sasshurst und Umgebung vor sich auf dem Schreibtisch liegen. Er fuhr mit dem Finger an den Namen und Adressen entlang.
»Harry!« schrie er plötzlich auf. »Hier ist es!« Er zeigte auf eine Adresse auf der dritten Seite. »Dort werden Eichenmöbel für den Garten hergestellt, und der Betrieb liegt nicht weit von der Busroute. Ich wette tausend Pfund gegen einen Penny, daß wir da an der richtigen Adresse sind!«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, antwortete der Sergeant. Er war ein geborener Pessimist.
»Den da?« fragte der Vorarbeiter in der Möbelfabrik. »Sie wollen von mir wissen, ob ich den kenne?«
»Darum geht’s«, bestätigte Pritchard.
»Klar kenn ich den. Da hinten steht sein Auto. Beim Zurücksetzen hat ihm jemand den Motor eingedrückt.« Er zeigte mit dem Finger auf ein cremefarbenes Buick-Coupé. »Er kann ihn hier in der Gegend nicht reparieren lassen. Keine Ersatzteile da.«
»Wissen Sie, wo er wohnt?«
»Um die Ecke. Nummer 40.«
Die Detektive beeilten sich.
Pritchard klingelte, während die beiden Polizisten hinter ihm blieben. Mrs. Rachan öffnete die Tür, sah, wer vor ihr stand, und wollte die Tür zuschlagen.
Es war zu spät. Als sie das Haus betraten, warf ihnen Mrs. Rachan alle Schimpfworte an den Kopf, derer sie habhaft werden konnte. Als die Männer einen großen Koffer fanden, ihn aufs Bett legten und öffneten und das Geld entdeckten, schien die Frau am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu sein.
Fusil, Kerr und Fish kamen erst um fünf Minuten nach acht Uhr an diesem Abend auf dem Bahnhof von Sasshurst an. Fusil war schlecht gelaunt und sagte während der Taxifahrt zum Polizeirevier kein Wort.
Der Sergeant vom Dienst führte sie in das Büro des Inspektors. Pritchard und Fusil gaben sich die Hand. Pritchard wollte etwas sagen, aber Fusil ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Haben Sie Ihren verdammten Constable schon rausgeworfen?« Fusil konnte nicht mehr an sich halten. Zuviel Schweiß hatte ihn dieser Fall gekostet – sein Unmut mußte jetzt heraus. Aber bevor er fortfahren konnte, antwortete Pritchard leise, aber bestimmt: »Nein.«
»Schade, daß er nicht zu mir gehört.«
»Vielleicht. Jedenfalls gehört er zu meiner Mannschaft.«
Fusil merkte, daß er zu heftig begonnen hatte, und überlegte, wie er einen neuen Anlauf machen konnte.
»Außerdem«, sagte Pritchard, »ist nichts Schlimmes passiert.«
»Nichts Schlimmes?« Fusil vergaß seinen neuen Anlauf. »Wie würden Sie es denn nennen, wenn durch die Dummheit eines blutigen Anfängers neunzigtausend Pfund auf Nimmerwiedersehen verschwinden? Sie werden ihm wohl noch einen Orden geben, was? Etwas steht jedenfalls fest: Nur noch ein Wunder kann das Geld zutage bringen.«
»Vielleicht auch gute Polizeiarbeit.«
»Und wer soll die zustande bringen?« fragte Fusil mit schäumendem Sarkasmus.
»Um ehrlich zu sein, wir halten eine ganze Menge von uns.«
»Ach?«
»Und nicht ganz zu Unrecht.«
»Ich würd’ mal gern die Dankschreiben lesen«, knurrte Fusil.
»Vielleicht schreiben Sie uns eins«, antwortete Pritchard ungerührt, »wenn Sie hören, daß wir das Geld, nur wenige Stunden nachdem wir gehört haben, daß es überhaupt in unserer Gegend ist, sichergestellt haben.« Pritchard, der seinen Stolz nicht verbarg, holte einen Koffer hinter seinem Schreibtisch hervor.
Kerr grinste. Fusil wollte etwas sagen, aber diesmal blieb ihm die Spucke weg.
Kerr klopfte, und Helen öffnete. »Hallo, Fremder«, sagte sie.
»Helen, das mit gestern abend tut mir schrecklich leid.«
Ihre braunen Augen betrachteten ihn ruhig. »Ich habe von halb acht bis halb neun vor dem Kino gewartet«, sagte sie. »Ich bin angepöbelt und angerempelt worden. Schließlich bin ich nach Hause gegangen.«
»Der Alte hat mich nach Sasshurst geschleppt.«
»Ach?«
»Helen, ich konnte nichts dran machen.«
»Aber anrufen hättest du doch können.«
»Ich habe zweimal versucht, dich vom Revier aus zu erreichen, aber bei dir war immer besetzt. Als ich es das dritte Mal versuchte, kam Fusil gelaufen und drohte, mich zu den Uniformierten zurückzuschicken, wenn ich noch eine Sekunde vergeudete.«
Sie schob eine Haarlocke aus der Stirn.
»Können wir …« Er fühlte sich schuldbewußt. »Können wir denn heute abend ausgehen?«
»Phineas hat mich eingeladen.«
Er fluchte still vor sich hin.
»Er wollte zum neuen Club gehen.«
»Fein, wenn man soviel Geld hat, daß man zu allen neuen Clubs gehen kann«, sagte er verbittert.
»Er holt mich um acht ab.«
»Dann will ich mich lieber verdrücken. Mehr als einen Teller Spaghetti bei Joe kann ich dir ohnehin nicht anbieten.« Er wandte sich ab. Geld – man konnte dagegen ankämpfen, aber man würde immer verlieren.
»Meinst du nicht …« Sie brach ab.
»Was?«
»Meinst du nicht, wir könnten zur Telefonzelle laufen und Phineas absagen? Ich kann ihm erzählen, daß ich plötzlich schreckliche Kopfschmerzen bekommen hätte.«
Er wirbelte herum. Sie lächelte, und in ihren tiefbraunen Augen lag eine zärtliche Wärme.