11

Als Fusil vom H.Q. zurückfuhr, dachte er, daß er am fünften Tage nach dem Raubüberfall die erste heiße Spur gefunden hatte. Jetzt wußte er, hinter wem er her war.

Und er wußte auch, daß Glenton seines Beuteanteils beraubt und ermordet worden war. Der Mörder mußte ein Mitglied der Bande sein. Das bewies der Zeitpunkt seines Todes. Wenn er mit einer üblichen Durchschnittsgeschwindigkeit mit dem Ford von Miss Railtons Haus nach Cressfield gefahren war, dann stimmten die Zeiten haargenau. Besonders schnell konnte er im Schnitt nicht gefahren sein, denn er mußte durch London. Es war also keine Zeit für einen Außenstehenden geblieben. Nein, der Mörder mußte ein Mitglied der Bande sein, der Mörder mußte sogar in seinem Auto gewesen sein, vielleicht aber auch war er hinter Glenton gefahren. Und von Cressfield waren der oder die Mörder nach Plexford gefahren, um dort Weston zu erstechen.

Fusil ging auf die Bremse und runzelte die Stirn. Holdman machte ihm Sorgen. Die Bande bestand aus Profis, bis auf Holdman.

Holdman war ein kleiner Ganove, der ein paarmal mit der Polizei aneinandergeraten war, der es aber in der Hierarchie der Unterwelt nicht weit gebracht hatte.

Man kann auch zu mißtrauisch sein, dachte Fusil plötzlich. War es nicht möglich, daß der Coup von Fortrow Holdmans Einführung ins große Verbrechen sein sollte? Sollte er dabei seine Feuerprobe bestehen? Und doch … Es war nicht vorstellbar, daß sich vier Top-Gangster bei einem solchen Coup mit einem Anfänger belasteten.

Er hob die Schultern. Er wußte die Namen von wenigstens vier Verbrechern, und ihnen würde er den Coup nachweisen, so wahr er Fusil hieß.

Kerr sah der Rothaarigen beim Einsteigen in den Porsche zu.

Sie hatte wunderschöne Beine und zögerte nicht, sie zu zeigen. Ihr Gesicht zeigte äußerste Selbstsicherheit, und ihre Lippen waren voll und sinnlich. Er sah, wie der Porsche davonfuhr.

Wahrscheinlich war sie jähzornig, tobte sie, wenn nicht alles so lief, wie sie es haben wollte, sammelte sie Diamanten und war obendrein noch frigide.

Er ging zur Bushaltestelle und reihte sich in die Schlange ein. Nach drei Minuten kam der Bus, der ihn nach Astey brachte, wo Young wohnte.

Polizeiarbeit konnte sehr langweilig sein. Als er von der Bushaltestelle zu der zweiten Straße links ging, versuchte er nachzurechnen, wie viele Wächter er noch besuchen mußte, wie häufig er noch die Bankkonten überprüfen mußte, wie häufig er noch mit Wettannahmestellen und Briefträgern reden mußte, um den Beweis zu finden, daß einer der Wächter mehr Geld ausgab, als er verdiente.

Fusil hatte die doppelte und dreifache Befragung angeordnet, weil er davon ausging, daß zwei oder drei Detektive mehr sahen als einer, daß es an einem Tag in einem Haus anders aussehen konnte als an einem anderen.

Mrs. Young öffnete die Tür, nachdem er geklopft hatte. Sie seufzte, als sie ihn sah. »Bei mir ist gar nicht aufgeräumt.«

Sie trat zur Seite und ließ ihn in den Flur kommen. Sie war eine kleine, unauffällige Frau, die sich damit abgefunden hatte, das Leben so zu nehmen, wie ihr Mann es gestaltete.

Young saß im Wohnzimmer und beobachtete ein Pferderennen im Fernsehen. Er blickte hoch, als Kerr eintrat, fluchte und wollte wütend wissen, wer ihm erlaubt hätte, ihn erneut in seinen eigenen vier Wänden zu stören. Er schimpfte mit seiner Frau, weil sie den Detektiv hereingelassen hatte. Kerr versuchte, höflich zu sein, aber der Versuch erstickte in Youngs kompromißlosem Geschrei. Als er das Haus verließ, hatte er nichts Vernünftiges herausgefunden, und er fühlte sich so sauer, wie er aussah.

An der Ecke stand eine Telefonzelle. Er rief Helen im Büro an.

»Ich bin ganz traurig, ganz einsam und hab die Nase voll«, sagte er, sobald sie sich gemeldet hatte. »Wie wäre es, wenn wir heute abend tanzen gehen?«

»Wer bist du?«

»Wer soll ich denn sein? Der Maharadscha von Jaipur?« Sie lachte. »Jetzt erkenne ich dich wenigstens an der Stimme.«

Er fragte sich, ob sie einen Anruf von Phineas erwartet hatte. Sie würde doch so viel Geschmack und Menschenverstand haben, um zu sehen, daß dieser Phineas ein Trottel erster Klasse war, auch wenn er einen Sportwagen fuhr und sich erlauben konnte, sie in teure Restaurants auszuführen.

»Hast du Lust oder nicht?«

»Himmel, du scheinst aber schlecht gelaunt zu sein.«

»Ich habe einen lausigen Tag hinter mir.«

»Und jetzt willst du mit mir einen lausigen Abend verbringen?«

Erst seit jüngster Zeit hatte sie angefangen, ihn ein wenig hochzunehmen, und das deutete auf eine Veränderung in ihrer Beziehung hin. Zu seinem Ärger war er nicht sicher, welcher Art diese Änderung war. »Willst du, oder willst du nicht? Soll ich dich um sieben abholen?«

»Wie wäre es, wenn du um halb sieben kommst, damit du bei uns essen kannst?«

»Das wäre wunderbar.«

»Fein, John. Laß mich bitte nicht wieder warten.«

Als er aus der Telefonzelle trat, bemerkte er, wie warm die Sonne schien. Ganz egal, was die Leute sagten – das Leben war schön.

Das Leben blieb schön, bis er zurück ins Revier kam. Er sollte sofort zu Fusil gehen. Das tat er.

»Jetzt?« fragte er ungläubig.

»Habe ich das nicht gesagt?« schnarrte Fusil.

»Aber ich habe mich für heute abend verabredet.«

Fusil starrte Kerr an. »Wann werden Sie endlich so viel Verantwortungsgefühl entwickeln, daß Sie lernen, daß ein Job nicht getan ist, nur weil es fünf Uhr ist?«

»Ich mußte schon eine Verabredung absagen, weil Sie mich nach Cressfield geschickt haben, Sir.«

»Mir kommen gleich die Tränen. Verdammt noch mal, erwarten Sie von mir, daß ich den Laden hier dicht mache, damit Sie einen schönen Abend verleben können?«

»Dann muß ich zuerst anrufen«, sagte Kerr schwach.

Fusil blickte ihn an, als wollte er auch das ablehnen, aber nach einer kurzen Pause nickte er schließlich. »Ich gebe Ihnen genau drei Minuten. Und bringen Sie die Liste mit den Nummern der gestohlenen Geldscheine mit.«

Kerr rief vom Mannschaftsraum aus in Helens Büro an. Er erklärte ihr, daß es mit heute abend nichts werden konnte. Spitz erwiderte sie, daß sie volles Verständnis dafür hätte, daß ihm nicht daran gelegen sei, mit ihr einen lausigen Abend zu verbringen.

Er lief die Treppe hinunter, und als er das Auto erreicht hatte, fragte Fusil, ob er an die Liste gedacht hatte. Nein.

Die Fahrt nach London verlief die meiste Zeit schweigend. Fusil war in seinen Gedanken versunken, und Kerr, der neben ihm saß, sinnierte darüber, ob Helen auch verstanden hatte, daß er wirklich keine andere Wahl hatte, als die Verabredung, die er erst kurz zuvor getroffen hatte, abzusagen. Ein böser Verdacht tauchte ihm auf. Ob Phineas wohl in der Zwischenzeit angerufen und einen gemeinsamen Abend vorgeschlagen hatte?

Sie verfranzten sich in dem Straßengewirr in Londons Vorstädten, und das trug nicht zu Fusils Stimmung bei, aber ein Polizist führte sie dann direkt zum Polizeirevier. Der Inspektor vom Dienst bestellte in der Kantine zwei Tassen Kaffee und stellte ihnen Detective Sergeant Jones vor, der sie begleiten sollte. Jones behandelte Fusil zuerst mit väterlichem Respekt – der erfahrene Stadtmensch muß dem Vetter vom Land hilfreich unter die Arme greifen –, aber Fusil hatte schon sehr bald klargestellt, wer von beiden die durchschlagendste Vaterfigur war.

»Ich habe mit dem anderen Revier bereits gesprochen. Sie brauchen dort also nicht mehr vorzufühlen, wenn Sie zu Croft gehen. Ich habe auch die Haussuchungsbefehle für Sie. Das hat einige Schwierigkeiten gegeben. Der Magistrat will, daß erst dann Durchsuchungsbefehle ausgestellt werden, wenn wirklich handfeste Beweise vorliegen – Sie haben sicherlich gehört, was vor ein paar Tagen beim Untersuchungsrichter passiert ist?«

Dem Mann war offensichtlich an einem kleinen Schwatz gelegen, aber Fusil trank seinen Kaffee aus, sobald er genügend abgekühlt war, dann stand er auf und bat um die Durchsuchungsbefehle. Jones holte sie aus seiner Tasche und schob sie ihm hin. Fusil öffnete den ersten und las ihn durch.

»Die sind in Ordnung, Sir«, sagte Jones. »Ich habe sie überprüft.«

»Ich nicht«, schnarrte Fusil zurück und las weiter.

Ein schönes Gefühl, dachte Kerr, wenn man mal sieht, wie auch andere Fusils scharfe Zunge zu spüren bekommen.

Sie fuhren mit zwei Autos weiter, Jones fuhr voraus. Es ging an einer Fabrik vorbei, die wie ein Gefängnis aussah, weil sie von einer großen Ziegelsteinwand umgeben war, die man obendrauf auch noch mit Stacheldraht abgesichert hatte. Jones blieb vor einer Häuserreihe stehen, die in wenigen Jahren bereits zum Slumviertel gezählt werden würde.

Es war eigenartig, einen so erfolgreichen Mann wie Riley in dieser schäbigen Gegend zu finden.

Als die drei auf dem Bürgersteig standen, sagte Jones: »Er ist ein listiger alter Fuchs. Sie müssen sich vorsehen, Sir.«

»Ich werde mich bemühen, Sergeant«, sagte Fusil.

Jones errötete leicht. »Ich wollte Ihnen nur helfen, Sir. Riley tut manchmal so, als wenn er nicht ganz dabei wäre – aber das stimmt ganz und gar nicht.«

Fusil ging zu der Haustür der Nummer 17 und wollte den Türklopfer in Bewegung setzen, stellte aber fest, daß er verrostet war. Er klopfte mit den Knöcheln gegen die Tür.

Riley öffnete. Er trug ein kragenloses Hemd, eine Hose, die von breiten Trägern gehalten wurde, und Pantoffeln. Er war nicht rasiert. Er bemerkte Jones nicht und starrte Fusil mißtrauisch und unfreundlich an.

»Riley?« fragte Fusil.

»Was wollen Sie?« Rileys Blick ging von Fusil zu Jones. Sein Gesichtsausdruck wurde noch unfreundlicher.

»Ich bin Detective Inspector Fusil aus Fortrow.«

Riley konnte seinen Schock nicht verbergen. Er hatte zwar sofort gewußt, daß Fusil ein Polizist war, auch bevor er Jones entdeckt hatte, aber er hatte nicht damit gerechnet, daß Fusil aus Fortrow sein könnte. Zu spät versuchte er, seine Erregung zu überdecken. »Woher kommen Sie?«

Fusil antwortete nicht.

Riley kratzte sich die Wange. »Ist denn was, Mister?«

»Sie wollen nur wissen, wie Sie mit Ihrer Werkstatt zurechtkommen«, warf Jones ein.

Fusil drehte sich um, und obwohl er nichts sagte, verstand Jones: Fusil hatte nichts für Detective Sergeants übrig, die ihm dazwischenredeten. Fusil machte einen Schritt ins Haus.

»Ich will nicht, daß Sie hier reinkommen«, sagte Riley. »Ich kann nichts für Sie tun.«

Fusil holte den Durchsuchungsbefehl aus der Tasche und übergab ihn Riley, dann drückte er sich an ihm vorbei. Jones und Kerr folgten ihm. Kerr schloß die Tür hinter sich.

Aus dem Wohnzimmer kam eine Frau in den kleinen, dunklen Flur. Sie hatte äußerlich viele Ähnlichkeiten mit ihrem Mann: Sie war klein, spröde und schlecht gelaunt. Ein Blick genügte ihr, um zu wissen, was hier vor sich ging, und schnell zog sie sich ins Zimmer zurück. Die Tür krachte ins Schloß.

»Okay«, sagte Fusil, »beginnt mit der Durchsuchung. Beginnt in diesem Zimmer da.« Er wies mit dem Daumen auf die Tür, hinter der Mrs. Riley verschwunden war.

»Sie haben kein Recht …«, begann Riley.

»Halten Sie die Luft an«, sagte Fusil. »Wohin können wir beide denn gehen, um uns ein bißchen zu unterhalten?«

»Nirgends, Mister.«

»Fein, dann nehmen wir Sie mit nach Fortrow.«

Rileys Augen glänzten vor Wut auf, aber er beherrschte sich.

»Also gut, kommen Sie hier herein.« Er ging ins Eßzimmer.

Fusil setzte sich auf einen der knarrenden Holzstühle um den zerschnittenen Mahagonitisch und stopfte langsam seine Pfeife. Aber Riley war zu erfahren, um sich schon durch Schweigen verwirren zu lassen. Er ging zum Fensterbrett und suchte unter den Zeitungen, die dort lagen, bis er eine Schachtel Zigaretten gefunden hatte.

Die Hitze trieb Fusil den Schweiß auf die Stirn. Er blickte zum Fenster. »Wollen Sie keine frische Luft? Wie wäre es, wenn Sie das Fenster etwas öffnen?«

»Ich hab’s lieber geschlossen, Mister.«

Fusil steckte sich die Pfeife in den Mund, stand auf und ging zum Fenster. Er versuchte es aufzureißen, aber es bewegte sich nicht. Er ging wieder zurück zu seinem Stuhl und steckte seine Pfeife an. Wieder Schweigen. Sie hörten die Schritte der Männer über sich, und durch die Wand zum Nebenhaus hörte man das Krächzen einer Schallplatte.

Fusil paffte ein paarmal und füllte den Raum mit würzigem Rauch.

Schließlich war es Riley, der das Wort ergriff. »Sie haben noch gar nicht gesagt, was Sie wollen.«

»Ist Ihnen nicht nach Raten zumute?«

»Ich kenne dieses Nest nicht, wo Sie herkommen.«

»Fortrow? Noch nie dagewesen?«

»Nein.«

»Auch nicht kürzlich darüber gelesen?«

»Nein.«

»Und Sie wußten nicht, daß am vergangenen Freitag dort zwei Sicherheitsmänner ermordet worden sind?«

»Nein, das wußte ich nicht.«

»Und danach sind zwei weitere Männer ermordet worden.«

Riley warf Fusil einen hastigen Blick zu, schaute dann aber wieder in eine andere Richtung.

»Ich spreche von Glenton und Weston.«

Riley war verblüfft. Er leckte sich über die schmalen Lippen und kratzte sich seine gezeichnete Wange, ohne zu wissen, was er tat.

Fusils Pfeife war ausgegangen, und er steckte sich ein neues Streichholz an und saugte die Flamme in die Pfeife hinein.

»Weston hatte ein Messer im Bauch.«

»Ich hab den Namen noch nie gehört«, krächzte Riley.

»Bestimmt nicht?«

»Wirklich nicht.«

»Jemals was von Robert Glenton gehört?«

»Nein.«

»Nie mit ihm gearbeitet?«

»Ich sagte doch, daß ich ihn nicht kenne.«

»Er ist mit seinem Auto über eine Klippe gestoßen worden.« Fusil drückte den Tabak mit dem rechten Zeigefinger fest.

»Jetzt bin ich gespannt, wer als nächster dran ist.«

Riley leckte sich wieder über die Lippen. Er warf seine Zigarette zu Boden und zündete sich eine neue an. »Ich bestimmt nicht.«

»Glauben Sie nicht, daß sie auch Ihren Anteil an dem Raub haben wollen, wie sie ja auch Glentons und Westons Anteil an sich gerissen haben?«

»Welcher Raub? Welcher Anteil?«

Fusil blickte ihn gelangweilt an.

»Ich hab’ nichts Krummes gemacht«, sagte Riley.

Wieder schwiegen sie. Schweiß begann über Fusils Gesicht zu laufen, und er wischte ihn mit dem Taschentuch ab.

Nach fünf Minuten kam Jones ins Zimmer und schüttelte den Kopf. Fusil wartete, und obwohl er ziemlich aufgeregt war, ließ er sich nichts anmerken. Ob Kerr wohl den Beweis fand, den sie so sehr brauchten? Kurz darauf kam Kerr ins Zimmer, und er wußte, daß die Antwort Nein lautete.

»Seid ihr jetzt mit dem Wühlen fertig?« fragte Riley.

»Seht mal nach, was er bei sich hat«, ordnete Fusil an.

Riley wehrte sich nicht. Er stand auf und ließ sich von Kerr durchsuchen. In seiner Gesäßtasche hatte er ein Bündel Geldscheine. Es waren sechs Fünfpfundnoten und fünfzehn Einpfundnoten. Fusil überprüfte die Nummern mit der Liste, die er aus Fortrow mitgebracht hatte. Eine Nummer auf der Fünfpfundnote war identisch mit einem Schein, den die Bank der Moxon Security ausgehändigt hatte.

Fusil legte die Liste in seinen Schoß. Er lächelte. »Sehr leichtsinnig. Wie kann man nur das gestohlene Geld mit sich herumtragen?«

»Ich habe nichts getan!« Rileys linkes Auge begann zu zucken.

»Eine der Fünfpfundnoten stammt aus dem Lohngeldraub von Fortrow – sie gehört zu den hundertachtzehntausend Pfund, bei deren Raub die beiden Wächter ermordet worden sind.«

»Damit habe ich nichts zu tun.«

»Die Nummer auf dem Schein sagt das Gegenteil.« Fusil tippte auf die fünf Pfund in seiner Hand.

»Ein Schein beweist noch gar nichts.« Riley bemühte sich krampfhaft, seine Ruhe wiederzugewinnen. »Ich hab im Pferderennen gewonnen – der Fünfer muß aus dem Wettbüro kommen.«

»Das ist aber eine miese Ausrede.«

»Kann schon sein, aber mit diesem einen Schein können Sie nicht das Gegenteil beweisen.« Jetzt versuchte Riley nicht mehr den Eindruck zu erwecken, ein bißchen dümmlich zu sein.

»Glauben Sie denn wirklich, mehr hätten wir nicht?« Fusil tat so, als wäre er amüsiert.

»Woher soll ich das wissen?«

»Wir können beweisen, daß Sie bei Glenton, Weston, Croft und Holdman waren.«

Und wieder war es Riley nicht möglich, seine Erregung zu verbergen. »Ich hab diese Namen noch nie gehört«, sagte er automatisch.

»Dann waren Sie wohl auch noch nie in dem Haus Challon Place Nummer 24

»Ja, das stimmt, da war ich noch nie.«

»Und Ihre Fingerabdrücke, die es da im ganzen Hause gibt, die haben die Heinzelmännchen dahin gebracht, was?«

Riley zögerte. »Sagten Sie Challon Place 24

»Nein, ich hab Buckingham Palace gesagt.«

»Das ist schon … ja, jetzt erinnere ich mich, ich war schon mal da, aber von den anderen weiß ich nichts.«

»Und warum waren Sie da?«

»Ich wollte das Haus mal kaufen, aber dann gefielen mir die Nachbarn nicht.«

»Sie würden wohl auch den Nachbarn nicht gefallen haben«, meinte Fusil. »Wo waren Sie am Freitagnachmittag?«

»Hier.«

»Können Sie das beweisen?«

»Fragen Sie doch meine Frau.«

»Die würde mir sagen, daß Sie ein Engel sind und einen Heiligenschein tragen. Und wo waren Sie am Freitag nach sechs Uhr?«

»Wann?«

»Warum sind Sie so überrascht? Können Sie sich nicht denken, daß es mich interessiert, was Sie gemacht haben, nachdem der Überfall vorbei war?«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Mister. Ich war hier.«

»Und das kann wieder Ihre Frau bestätigen?«

»Ja, sie war hier, aber auch noch ein paar Kumpel von mir. Wir haben einen gehoben.«

»Und die heißen?«

»Ted Holmes und Frank Broughton. Der alte Ted hatte ’ne Schürze mitgebracht.«

Fusil blickte zu Jones, der kaum merklich nickte, um zu zeigen, daß ihm diese Namen bekannt waren. »Mit dem Geld, das Sie jetzt haben, könnten Sie die beiden leicht kaufen, was?« fragte Fusil barsch.

»So was würde ich nicht tun. Ehrlich, so was tue ich nicht.«

»Hat sonst noch jemand Sie gesehen?«

»Hier waren keine … nein, das ist gelogen! Ich hab unten in der Kneipe eine Flasche oder zwei getrunken.«

»Wie spät war es da?«

»Das weiß ich nicht genau, aber es wurde schon dunkel.«

»Und wie heißt die Kneipe?«

»The Duke’s Head.«

Er würde diese Aussage nie machen, wenn sie nicht stimmte, dachte Fusil. Wenn er bei Einbruch der Dunkelheit in London gewesen war, konnte er als Mörder von Glenton nicht in Betracht kommen – was ihn aber nicht überraschte, denn er war wirklich erstaunt gewesen, als er von Glentons Tod hörte. Das Fragespiel wurde fortgesetzt, aber es war klar, daß sie nicht genügend Beweise zusammentragen konnten, um Riley festzunehmen. Es gab keinen Zweifel, daß Riley einer der Verbrecher gewesen war, aber um ihn festzunehmen, brauchten sie Beweise, die vor Gericht stichhaltig waren. Sicher, er hatte einen gestohlenen Geldschein in seinem Besitz gehabt, aber den konnte er auch zufällig irgendwo bekommen haben.

Seine Fingerabdrücke hatte man in Challon Place gefunden, aber auch das war kein Beweis, daß er zusammen mit den anderen dort gewesen war. Und bisher konnte nur seine Frau ihm das Alibi für den Freitagnachmittag geben – aber solange das Gegenteil nicht bewiesen wurde, war es eben ein Alibi … Der endgültige Beweis wäre das Geld gewesen. Aber wenn es nicht im Hause war, wo konnte er es dann versteckt haben? Er würde nicht so dumm sein, es auf sein Konto zu überweisen. Es war an einem sicheren Ort versteckt, und wenn man auch Riley von morgens bis in die Nacht hinein überwachte, so war er gerissen genug, um die Polizisten nicht zu seinem Versteck zu führen.

Fusil fluchte still vor sich hin. Wenn er doch nur die geraubten Geldscheine fände, damit auch die dümmste Jury nicht auf Rileys Leugnen hereinfiel …

Eine Uhr auf dem häßlichen Sideboard schlug neun. Riley sagte: »Kann ich Ihnen noch irgendwie helfen, Mister?« Seine Augen blitzten lustig. »Ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber ich kann Ihnen nichts mehr sagen.«

Fusil stand auf. »Wir sehen uns wieder«, sagte er dumpf.

»Ich will den Fünfer zurückhaben.«

»Ich gebe Ihnen eine Quittung.«

Kerr schrieb die Quittung. Als er sie Riley aushändigte, dachte er an die Spur der Todesangst, des Todes und des Unglücks, die dieser Mann gelegt hatte, und er spürte ein primitives Verlangen, diesen Kerl zusammenzuschlagen.

Fusil ging zur Tür und öffnete sie. »Ich möchte gern wissen, wer Sie zuerst hochnimmt, Riley«, sagte er. »Wir – oder die Mörder?«

Riley schüttelte den Kopf, als ob das Unsinn wäre. Er zeigte keine Furcht, aber das Zucken seines linken Auges flackerte wieder auf.

Die Polizisten gingen aus dem Haus und kehrten zu ihren Autos zurück.

Croft lebte in einem großen Haus mit eigenem Garten in der Nähe der Kirche. Früher war das Haus einmal das Vikariat gewesen.

Auf ihr Klopfen hin öffnete eine Frau die schwere Holztür. Sie war jung, blond und hatte eine Figur, die an den richtigen Stellen in die Kurven ging, und nur die harten Linien auf ihrem Gesicht sprachen dagegen, sie eine Schönheit zu nennen.

»Ist Croft da?« fragte Fusil.

Sie studierte ihn haßerfüllt, als sie ihn als Polizeibeamten ausgemacht hatte. »Nein.«

»Dürfen wir hereinkommen?«

»Das würde Ihnen so passen.«

Fusil gab ihr den Durchsuchungsbefehl und drückte die Tür auf, um ins Haus zu treten. Der Flur war geschmackvoll und teuer dekoriert und eingerichtet, und neben dem Telefon stand eine Ledercouch, die mindestens hundert Pfund gekostet hatte.

»Stirling!« kreischte sie. »Komm her!«

Croft rannte in den Flur. Er trug ein Unterhemd und sehr enge Jeans, die seine strammen Muskeln betonten. »Was ist los?« fragte er wütend.

»Wir wollen uns ein bißchen unterhalten und das Haus durchsuchen«, antwortete Fusil.

Die Frau drückte sich an Croft heran, als ob sie bei ihm Schutz suchte. Sie gab ihm den Durchsuchungsbefehl, und er warf einen kurzen Blick darauf.

»Durchsucht ihn«, wies Fusil an.

»Ihr durchsucht mich nicht.«

Fusil lächelte, und in jenem Lächeln lag ein wölfischer Ausdruck. »Fein«, sagte er, und man sah ihm an, daß er es so meinte.

Croft riß die Schultern zurück und verlegte sein Gleichgewicht auf die Ballen seiner Füße.

»Tu’s nicht, Stirling«, sagte die Frau mit schriller Stimme. »Sie wollen dich auseinandernehmen.«

Sie hatte recht. Croft konnte es in ihren Augen sehen. Sie hatten es darauf angelegt, mit ihm ein paar Runden zu gehen, denn sie waren zu dritt, und er war allein. Er entkrampfte sich. Jones durchsuchte ihn – eine leichte Aufgabe, da er so wenig an hatte.

Kerr und Jones durchsuchten das Haus, während die anderen drei ins Wohnzimmer gingen. Croft schüttete sich und der Frau zwei Whiskys ein. Er bot Fusil keinen an. Der D. I. zündete sich die Pfeife an und wartete.

»Bleiben Sie lange?« fragte Croft ironisch.

»Vielleicht«, erwiderte Fusil. »Ich komme aus Fortrow.«

»Na und?«

»Sagt Ihnen der Name nichts?«

»Nein.« Croft schüttete sich einen zweiten Whisky ein.

»Schlechtes Gedächtnis?«

»Dieser Name ist nicht in meinem Gedächtnis.«

»Sollte er aber sein. Sie waren am vergangenen Freitagnachmittag da, zusammen mit Glenton, Riley, Weston und Holdman.«

Croft konnte sein Entsetzen nicht verbergen. Haßerfüllt starrte er Fusil an, er ballte die Fäuste und schien drauf und dran zu sein, Fusil an den Hals zu springen, als die Frau ihm etwas zuflüsterte. Croft griff nach seinem Glas und trank es aus.

Das Verhör dauerte eine Stunde. Fünfzehn Minuten später kamen Jones und Kerr ins Wohnzimmer. Sie hatten nichts gefunden.

»Rufen Sie das Revier an«, ordnete Fusil an. »Fragen Sie nach, ob sie ein paar Männer schicken können, die den Garten mit einem Rechen durchsuchen sollen. Erinnern Sie sie daran, Scheinwerfer mitzubringen.«

Jones fragte Croft, ob er das Telefon benutzen könnte. Croft antwortete nicht. Daraufhin ging Jones in den Flur und rief sein H.Q. an.

Fusil stand auf und sagte, daß er fertig wäre – für den Augenblick. Er war verbittert und wütend und gab sich keine Mühe, das zu verbergen. Die Hausdurchsuchung war ein Fehlschlag gewesen, das Verhör ebenso, und niemand wußte das besser als Croft, der frech wurde, als er merkte, daß die Beweise gegen ihn nicht ausreichten.

Er war am Freitagnachmittag bei seiner Frau gewesen, und eine ganze Ladung Bullen könnten ihn davon nicht abbringen. Fortrow? Nie gehört. Raub und Mord? So etwas tat er nicht. Und Freitagabend? Da war er mit seiner Frau in einem teuren Club in West-End gewesen, und wenn die dummen Polizisten ihm das nicht glaubten, dann sollten sie doch nachfragen.

Und seine Fingerabdrücke am Challon Place? Sicher, da war er ein paarmal gewesen, aber er konnte sich nicht erinnern, wann, aber er war sehr sicher, daß die anderen zur gleichen Zeit nicht dagewesen wären. Glenton und Weston waren also ermordet worden, und er konnte der nächste auf der Liste sein, die sich die Bullen zurechtgeträumt hatten. Damit konnte man ihm keine Angst einjagen, er hatte ein reines Gewissen.

Fusil wartete im Garten, bis die Suche vorüber war. Sie fanden nichts. Er ging den Weg voran zu den Autos, verabschiedete sich von Jones und machte sich nicht die Mühe, sich auch von den anderen zu verabschieden.

Fusil fuhr aus London hinaus und kam wieder einmal von der richtigen Route ab, was ihn in Wut versetzte, zumal Kerr empfohlen hatte, eine andere – und wie sich herausstellte – richtige – Straße zu nehmen. Schließlich landeten sie auf der vierspurigen Schnellbahn.

»Geben Sie mir eine Zigarette«, sagte Fusil.

Überrascht, daß sein Chef die Pfeife ablehnte, nahm Kerr seine zerknitterte Zigarettenschachtel aus der Tasche und steckte eine Zigarette zwischen Fusils Lippen. Er zündete ein Streichholz an.

»Irgendwas stimmt nicht«, sagte Fusil auf einmal.

»Womit, Sir?« Das einzige, was nicht stimmt, dachte Kerr, ist die Zeit. Nach Mitternacht konnte er nicht mehr klar denken.

»Mit dem ganzen Fall.«

»Ich bin sicher, daß wir bald den Beweis finden werden.«

»Seien Sie doch kein Dummkopf.«

Da sieht man’s mal wieder, dachte Kerr. Da gibt man sich Mühe, den Kerl aufzumuntern, und dann haut er einem gleich eine runter.

»Benutzen Sie doch mal Ihr Gehirn, Mann.«

Kerr antwortete nicht.

»Wie viele Männer waren an dem Raub beteiligt?«

»Fünf, Sir, wenn wir uns auf die Fingerabdrücke verlassen, die im Haus gefunden worden sind.«

»Gehen wir davon einmal aus. Fünf Verbrecher. Zwei sind ermordet worden, und der Mörder muß einer der Verbrecher sein, weil ein Außenstehender nicht in den Zeitplan hineinpaßt. Bleiben also drei übrig. Zwei haben wir verhört, und beide haben ein Alibi für die Zeit des Mordes an Glenton. Im Gegensatz zu den Alibis, die sie für den Nachmittag haben, werden die für den Abend stimmen. Was bedeutet das?«

»Daß der fünfte Mann der Mörder ist.«

»Und der fünfte Mann ist Holdman, ein kleiner Ganove, der nie in einem großen Coup dabei war, der nur eine große Klappe hatte und nicht viel mehr. Wo hat er plötzlich den Grips her, sich die Morde auszudenken, und den Mut, sie zu begehen?«

»Vielleicht ist Holdman nicht der kleine Ganove, für den jeder ihn gehalten hat«, warf Kerr ein.

»Warum war er überhaupt dabei?«

»Weil sie einen fünften Mann brauchten.«

»Die anderen vier waren Profis. Profis geben sich nicht mit einem Ganoven ab.«

»Aber sie haben ihn akzeptiert.«

»Warum? Warum?« Fusil schlug mit der Faust auf das Steuer. Das Auto schlingerte ein wenig. »Dieser Fall macht mir Magengeschwüre.«

Um halb vier kamen sie in Fortrow an. Fusil parkte sein Auto im Hof des Polizeireviers. Kerr stieg aus. »Gute Nacht, Sir.«

»Wo wollen Sie denn hin?«

»Sir, ich brauche Schlaf. Erst gestern nacht habe ich …«

»Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, daß man einen solchen Fall nicht während der Dienstzeit von neun bis fünf löst?«

Er hätte zur Armee gehen sollen, dachte Kerr, während er wütend hinter Fusil die Treppen hochstieg. Dann hätte er wenigstens Beschwerdebriefe an seinen Abgeordneten schreiben können. Er gähnte einmal, zweimal, noch mal, aber er konnte die Welle seines Schlafes nicht aus dem Schädel jagen. Fusil machte Licht in seinem Büro, ging um den Schreibtisch herum und ließ sich in den Sessel fallen. »Wir brauchen Holdmans Adresse. Warum brauchen die in London so lange, um sie festzustellen?«

Das liegt bestimmt daran, daß man den Beamten dort hin und wieder erlaubt, ins Bett zu gehen, dachte Kerr. Fusil fuhr hoch. »Was ist das denn?« Er hob ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch auf. Kerr gähnte.

»Ein Bericht von Braddon. Sie haben die Sauerstoff-Flaschen bis zu den Kunden verfolgt, an die sie zuerst ausgeliefert worden sind. Ein Krankenhaus, zwei Werkstätten, drei Fabriken.« Fusil warf wütend den Zettel hin. »Ich wette mein Jahresgehalt, daß diese Flaschen schon so häufig zum Nachfüllen zurückgegeben worden sind, daß es Unsinn ist, diese Spur weiterzuverfolgen.«

»Fein, Sir.«

»Was?« fuhr Fusil ihn an.

»Ich … ich war …«

Fusil schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Sie haben mir überhaupt nicht zugehört!«

Kerr gähnte wieder und suchte krampfhaft nach einer Ausrede. »Ich frage mich, ob eine der Sauerstoff-Flaschen an Rileys Werkstatt geliefert worden ist.«

»Was meinen Sie?«

»Ich … ich wollte … Sir, erinnern Sie sich, daß Jones scherzhaft zu Riley sagte, wir wollten von ihm wissen, wie er mit seiner Werkstatt zufrieden wäre? Ich nehme an, daß er als Aushängeschild eine Werkstatt betreibt.«

Fusil fiel wieder in seinen Sessel. »Verdammt noch mal, Sie zeigen Anzeichen von Intelligenz«, sagte er.