3

Es wurde dunkel. Glenton zog die schweren Vorhänge zu und machte im Wohnzimmer von Challon Place 24 Licht. Er ging vom Fenster zum Tisch und zündete sich mit der üblichen Bedachtsamkeit eine Zigarre an. Am Tisch saßen Riley und Croft. Croft trank Whisky, während Riley bis jetzt noch nichts getrunken hatte.

»Also«, sagte Glenton barsch. »Raus mit der Sprache. Worum geht’s?« Seine dünnen Lippen strafften sich.

»Es geht um Holdman«, sagte Riley.

»Was ist mit ihm?«

Riley nahm die Verärgerung Glentons ungerührt zur Kenntnis. Er war ein Fachmann, dessen Dienste stets gesucht waren. Er konnte sich seine Jobs aussuchen. Wenn ihm jemand dumm kam, stieg er aus. »Er paßt nicht zu uns.«

»Und er paßt uns nicht«, fügte Croft lautstark hinzu.

Glenton setzte sich langsam hin. Er mußte stark an sich halten, um die beiden nicht zum Teufel zu schicken. Aber in den vergangenen fünfzehn Jahren hatte er mehrmals lernen müssen, sich zu beherrschen. »Holdman ist in Ordnung.«

»Wozu? Zum Quatschen?« knurrte Riley.

»Ich weiß, daß er ’ne Menge quatscht, aber was soll’s? Er ist in Ordnung.«

»Er paßt nicht zu uns«, schnarrte Croft. »Bob, es geht um einen dicken Fisch, dafür brauchen wir Profis. Sie, ich, Brenner und Bill, wir kennen uns aus. Aber Bert Holdman – der kann nichts, nur seine Klappe aufreißen.«

Glenton langte über den Tisch, griff zur Ginflasche und goß sich einen Drink ein. Er fügte einen Schuß Tonic hinzu. »Ich sage, daß er zu uns paßt.«

»Wieso?« wollte Riley wissen.

»Wir brauchen einen fünften Mann.«

»Und warum muß es dieses Großmaul sein?« fragte Croft. »Wenn man ihn hört, hat er bis auf den Postzugraub alles allein gemacht. Und was hat er bis heute gemacht? Nichts.«

»Er hält schon seinen Mund, wenn’s drauf ankommt.«

»Sie haben die Frage noch nicht beantwortet«, sagte Riley. »Warum haben Sie ihn mitgebracht? Wenn Sie noch einen Fahrer brauchen, können Sie Alf oder Snout nehmen, die können mit einem heißen Ofen umgehen wie Stirling Moss.«

Croft wurde noch wütender. Niemand konnte so gut fahren wie er.

»Er ist für den Job nötig – verlassen Sie sich darauf«, sagte Glenton.

»Nein, ich verlasse mich nicht darauf«, sagte Riley brüsk.

Glenton nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas. Er ballte die Fäuste. Die Tage, in denen Befehle ohne Widerworte akzeptiert wurden, waren vorbei: Das große Verbrechen heutzutage verlangte Experten, und Experten wollten davon überzeugt sein, daß alles seine Richtigkeit hatte – sonst zogen sie ab wie beleidigte Primadonnen. Nein, er kam nur mit Vernunft weiter. »Ihr kennt mich«, sagte er geduldig. »Ich drehe keine krummen Dinger. Ich weiß, daß Bert eine große Klappe hat, aber das zählt nicht. Er ist nützlich.«

Die beiden sagten nichts.

»Ich hatte mal einen Kumpel«, sagte Glenton, und er ließ sie nicht aus den Augen. »Wir arbeiteten zusammen, und wir waren sehr erfolgreich. Eines Abends machten wir uns an einen Juwelierladen heran, und dabei ist die Schaufensterscheibe auf ihn gefallen. Das Glas hat ihn in der Mitte durchgeschnitten, und ich konnte nichts für ihn tun. Ich habe die Polizei gerufen, aber er war schon tot, als sie ihn im Krankenhaus ablieferten. Bert ist sein Sohn.«

»Er redet zuviel«, murmelte Riley, aber die Schärfe in seiner Stimme war nicht mehr da.

Glenton bemühte sich, seine Erleichterung zu verheimlichen. Er war jetzt sicher, daß sie Holdman akzeptieren würden, wenn er noch ein bißchen weiterredete.

 

Helen Barley lächelte, als sie sah, wie Kerr einer zu heftig geschminkten Blondine nachstarrte, die über den Bürgersteig wackelte. »Soll ich auch so durch die Gegend laufen?«

»Was sollst du?« Er wandte seinen Blick und sah Helen ins Gesicht.

»Du bist ein unverbesserlicher Heuchler. Hand aufs Herz und schwöre, daß du nicht jede Bewegung dieser retortenblonden Biene in dich aufgesogen hast.«

Er grinste.

Sie legte ihren Arm um ihn. »Ihr Männer seid alle gleich: Ihr könnt eure Augen nicht zu Hause halten.«

»Dabei finde ich sie ziemlich häßlich«, protestierte Kerr schwach.

»Jetzt bist du auch noch ein Lügner. Komm, wir gehen weiter. Ich habe Hunger.«

»Wohin sollen wir denn essen gehen?«

»Wir wär’s mit dem neuen Lokal, das neben Rottman’s eröffnet hat?«

Kerr rechnete, ob er genug Geld hatte, um in ein gutes Restaurant zu gehen.

»Halbe-halbe natürlich.« Sie wußte, daß er es haßte, nicht für sie beide zu zahlen, aber es war albern, nur deshalb auf ein gutes Essen zu verzichten. Sie war eine praktisch veranlagte Frau mit einem Auge für realistische Einschätzungen. Seit dem Fraser-Fall waren sie sich erheblich nähergekommen. Der Fall selbst hatte ihn mitgenommen, und seither hing er seltener seinen träumerischen Schwärmereien nach. Sie war mehr verletzt gewesen, als sie je zugegeben hätte, und es war fast eine Ironie, daß gerade der Fraser-Fall dazu beigetragen hatte, ihre Beziehung tiefer werden zu lassen.

»Woran denkst du?« fragte er.

Jetzt wich sie der Wahrheit aus. »Ich hab darüber nachgedacht, ob ich den Saum meines blauen Kleides umnähen kann, um es den Sommer über tragen zu können.«

»Hört ihr Frauen eigentlich nie auf, darüber nachzudenken, was ihr tragt, getragen habt oder tragen werdet?«

»Warum denn? Das ist doch eine harmlose Beschäftigung.«

Sie waren am Restaurant angekommen und gingen hinein. Es war noch so neu, daß man für sein Geld etwas bekam und freundlich bedient wurde. Der Oberkellner konnte das Einkommen seiner Gäste ziemlich genau abschätzen, aber er grüßte Kerr, als ob dessen Anzug nicht von der Stange und nicht bereits ziemlich abgetragen wäre, und begleitete die beiden zu einem Ecktisch am Fenster. Er nahm die Bestellung einer Karaffe mit Rotwein mit dem gleichen Vergnügen entgegen, das er gezeigt hätte, wenn sie eine Flasche Château Lafite bestellt hätten.

Kerr bot Zigaretten an. »War es schön am Dienstagabend?« fragte er mit einstudierter Lässigkeit.

»Am Dienstag … warum am Dienstag?« fragte sie.

»Bist du nicht mit Phineas verabredet gewesen?«

»O ja, natürlich.«

»Was für ein Name! Wenn ich Phineas hieße, dann würde ich … würde ich …« Er rang nach Worten, um das zu beschreiben, was er dann tun würde.

»Niemand könnte je den Fehler machen, dir einen solchen Namen zu geben.«

Er war sich nicht ganz sicher, ob das als Kompliment oder als ausgewachsene Beleidigung gemeint war. »Wohin seid ihr gegangen?«

»Wir waren im Theater in Barstone. Mir ist das Stück ziemlich an die Nieren gegangen … mit all diesen verbotenen Wörtern und so.«

»Zu diesem Stück hat er dich mitgenommen?« Kerr war lauter geworden. »In dem die ganze Besetzung pudelnackt rumläuft?«

»Nein, nur ein paar, und es war dunkel.«

»Er muß verrückt sein, dich zu so was mitzunehmen – vielleicht hat er sich auch Hoffnungen gemacht.«

Sie lächelte, und ihr Gesicht strahlte sanfte Wärme aus. Zufrieden stellte sie fest, daß er alle Anzeichen von Eifersucht zeigte.

 

Die Filiale von Moxon Security Company war in einem alten Lagerhaus in Bratby Cross untergebracht, einem Vorort im Osten von Fortrow. Hinter dem zweistöckigen Gebäude lag der Hof, auf dem die drei gepanzerten Lastwagen standen. Durch die vielen Fabriken in der Umgebung war die Luft so verschmutzt, daß die Wagen ständig schmierig und schmutzig zu sein schienen, ganz egal, wie häufig man sie wusch. Das war die Quelle konstanten Streits zwischen Weaver und seinen Männern.

Am Freitagmittag kam Fish aus dem Gebäude, überquerte den Hof und ging auf den einen verbliebenen Lastwagen zu.

»Alles klar?« fragte er die drei wartenden Begleiter. Er nahm sie in Augenschein. Sie trugen die blaue Uniform der Firma, Schutzhelme, die tief über den Nacken reichten, Schutzbrillen, die sie jetzt noch über die Helme geschoben hatten, Polizeiknüppel und Gaspistolen, die in Spezialtaschen steckten. Bleather und Young trugen die drei Stahlkassetten, in denen das Geld abgeholt wurde.

»Alle da und korrekt ausgerüstet«, sagte Locksley, sich seiner Verantwortung bewußt.

Fish ignorierte die anderen. Locksley hatte kein Gehirn und keine Ambitionen; er interessierte sich nur für Frauen und Motorräder. »Haben Sie das Logbuch, George?«

»Alles da«, antwortete Bleather und klopfte auf seine rechte Tasche.

»Okay, steigen wir ein.« Fish ging um den Lastwagen herum, öffnete die Fahrerhaustür und kletterte hinein. Young folgte ihm. Bleather und Locksley stiegen in den Transportraum. Das kleine Guckloch zwischen Fahrerhaus und Transportraum war offen. Fish drehte sich um und wandte sich an Bleather. »Probieren Sie den Funk aus, George.«

Bleather stellte das Gerät an. Durch eine Sondergenehmigung der Bezirkspolizei durften sie im Notfall auf die Wellenlänge der Polizei gehen, um Alarm zu schlagen, aber unter normalen Umständen blieben sie auf ihrer eigenen Wellenlänge. Bleather hob den Sender und drückte auf einen Knopf. »Hallo, Moxon Eins. Dies ist der Testruf von Blau Drei. Ende.«

Verzerrt und femininer als in Wirklichkeit drang die Stimme von Weaver an ihre Ohren. »Sie sind nicht sehr laut zu hören.«

»Sagen Sie dem alten Narr, daß es im Hof nie sehr laut ist«, schnarrte Fish, und seine Verärgerung ließ ihn seinen alten Grundsatz brechen, in der Gegenwart seiner Untergebenen nie den Vorgesetzten zu kritisieren.

Fish drückte auf einen Knopf am Armaturenbrett, und neben dem Knopf leuchtete ein Lämpchen auf – die Dachsirene funktionierte. Ursprünglich hatten sie die Sirene echt getestet, vor jedem Einsatz, aber es hatte Beschwerden gehagelt, und Weaver mußte diesen Test einstellen. Fish drückte auf einen anderen Knopf, um sich zu vergewissern, daß die Türen und Fenster im Fahrerhaus elektrisch verschlossen waren, dann löste er den elektrischen Verschluß und drehte das Fenster an seiner Seite herunter. Young tat es ihm nach. Die Luft im Fahrerhaus war heiß und stickig, und bis sie das Geld an Bord hatten, konnten sie die frische Luft genießen.

Fish startete, warf den ersten Gang ein, drehte eine Kurve und fuhr dann zum Tor, das Young öffnete und wieder schloß, als der Lastwagen es passiert hatte. Young kam zurück ins Fahrerhaus und bot Zigaretten an.

»Vielen Dank«, sagte Fish. Er fand eine Lücke im fließenden Verkehr und bog in die Straße ein. Young riß ein Streichholz an.

Locksley meldete sich durch das offene Guckloch. »Hier hinten ist es verdammt heiß und muffig. Habt ihr den Ventilator angestellt?«

»Natürlich«, antwortete Fish.

»Mann, davon spürt man aber nichts.«

»Ja, da hinten wird’s immer ziemlich heiß. Die Firma sollte einen größeren Ventilator einbauen lassen.« Er sprach mit der Befriedigung eines Mannes, der die Unbehaglichkeit eines andern nicht zu teilen braucht.

»Ganz egal, wie groß der Ventilator auch ist«, warf Fish ein, »irgendeiner würde immer stöhnen.«

Young zog an seiner Zigarette und stieß den Rauch aus. »Wie viele Touren haben wir?«

»Drei.«

»Eine davon ist ziemlich dick, nicht wahr?«

»Etwas über einhundertundachtzehntausend Pfund.« Fish mußte abrupt auf die Bremse gehen, als ein Auto vor ihnen nach rechts abbog, ohne es angezeigt zu haben.

Von hinten kam ein wütender Schrei. »Vergeßt nicht, daß wir noch da sind, Leute. Wir wären bald aus unseren Sitzen geflogen.«

Fish ignorierte Locksley, legte einen höheren Gang ein und beschleunigte, als das Auto vor ihm abgebogen war.

Locksley rief durch die viereckige Öffnung: »Hab ich euch schon von der Puppe erzählt, mit der ich gestern abend zusammen war?«

»Ja«, log Fish.

»Die war vielleicht heiß! Ich sage euch, ehrlich, von der konnte sich selbst Kleopatra noch ’ne heiße Scheibe abschneiden.«

Kleopatra! dachte Fish mit wütender Verachtung. Das einzige, was Locksley über Kleopatra wußte, war, daß sie mit irgendeinem Walliser einen Film gedreht hatte.

 

Zum viertenmal in vier Minuten blickte Glenton auf die Uhr. Es war zehn nach zwölf. Croft war bereits seit zehn Minuten überfällig. Bei einem Plan, der auf die Sekunde abgestimmt war, bedeuteten zehn Minuten eine ganze Ewigkeit. »Wo, zum Teufel, ist er?« fragte er mit belegter Stimme. Weder Riley noch Holdman antworteten.

Sie standen im Wohnzimmer des Hauses in Challon Place und warteten. Während die Sekunden vorbeitickten, wuchs die Spannung. Glenton war kein Amateur, der sich schnell aus der Ruhe brachte, aber diese Verspätung machte ihn doch nervös.

Riley zündete sich eine Zigarette an. Scheinbar schien er am wenigsten von allen betroffen; er blieb ruhig. Aber seine unruhigen braunen Augen verrieten ihn. Plötzlich sagte er: »Ich mag keine Schießerei.«

»Aber, Brenner, ich habe Ihnen doch gesagt«, begann Glenton.

»Ich weiß, was Sie mir gesagt haben, aber trotzdem bleibt es dabei, daß ich keine Schießereien mag. Sie hängen zwar heute keinen mehr, aber die Schnüffler strengen sich immer mehr an, wenn jemand umgelegt wurde.«

»Die können alle bis zum Umfallen schnüffeln, dann werden sie immer noch nichts herauskriegen.«

»Ich mag keine Schießereien«, sagte Riley starrsinnig. Es war klar, daß er die Konsequenzen fürchtete, nicht die Handlung selbst.

»Angsthase«, sagte Holdman.

Riley starrte Holdman an, und auf seinem Gesicht stand die unverhohlene Abneigung geschrieben.

Ein Ausruf Glentons lenkte sie ab. »Da ist er!«

Sie starrten wie gebannt durchs Fenster. Ein Abschleppwagen fuhr langsam auf der anderen Straßenseite.

 

Die High Street war zur Einbahnstraße gemacht worden, und der gepanzerte Lastwagen mußte drei Blocks weiterfahren, bevor er in die High Street hineinkonnte, um auf der Höhe der Westminster-Bank zu parken. Fish und Young stiegen aus und gingen nach hinten. Locksley öffnete die Tür und sprang auf die Straße. Bleather reichte ihnen die drei Stahlkassetten.

Fish betrat als erster die Bank und ging zum letzten Schalter, der frei war. Er reichte dem Kassierer die Vollmacht, während Locksley und Young die Stahlkassetten zum Schalter »Beratungsdienst« brachten, an dem es keine Glasscheibe gab.

Der Kassierer rief einen Kollegen herbei, und die beiden hoben die Stahlkassetten auf und gingen an den Schreibtischen vorbei zur rechten Seite, wo das Büro des Managers lag. Sie blieben etwas über fünf Minuten.

Fish quittierte den Empfang des Geldes und fügte wie immer hinzu, daß er es nicht überprüft hätte. Das fehlte gerade noch, daß jemand ihn für einen möglichen Differenzbetrag verantwortlich machte. Er gab die Anweisung, die Schutzbrillen vor die Augen zu ziehen, und ging dann den beiden anderen voran, die die drei Stahlkassetten trugen. Als er durch die Schwingtür war, blieben Young und Locksley stehen, während Fish auf den Bürgersteig trat.

Das war der gefährlichste Augenblick; der Augenblick, in dem eine Bande zuschlagen konnte. Fish blickte nach rechts und links und sah keine Gruppe Männer, kein wartendes Auto am strategisch wichtigen Punkt hinter dem Lastwagen. Er gab mit dem Kopf ein Zeichen, und Young und Locksley kamen heraus und folgten ihm über den Bürgersteig, zwischen die geparkten Autos, zurück zum gepanzerten Lastwagen.

Bleather zog die Stahlkassetten herein, Locksley kletterte wieder in den Transportraum, schwang die Türflügel zu, ließ den Riegel fallen und klopfte auf die Tür – das Zeichen, daß alles in Ordnung war.

Fish ging um das Fahrzeug herum und stieg ins Fahrerhaus. Er drehte das Fenster hoch – er fluchte, weil er das nicht getan hatte, bevor er die Bank betreten hatte – und als Young sich neben ihn setzte, stellte er den automatischen Tür- und Fensterverschluß an. Er startete und ließ den Ventilator laufen, der Frischluft ins Fahrerhaus bringen sollte. Er ordnete sich in den Verkehrsstrom ein und bog an der nächsten Ampel, hundert Schritte hinter der Bank, nach rechts ab.

 

Das H.Q. der Abteilung Ost schien ohne jede Rücksicht auf die Menschen geplant und gebaut worden zu sein, die darin arbeiten mußten. Wahrscheinlich glaubte man in jenen Tagen nicht daran, daß Polizisten auch nur die gewöhnlichsten Annehmlichkeiten in Anspruch nehmen dürften. Fusils Zimmer, das am Ende des Flügels lag, kam ihm heißer und stickiger als jedes andere vor.

Er trat an das einzige Fenster des Zimmers und starrte auf den wenig erfreulichen Ausblick – eine kleine Häuserreihe aus der Viktorianischen Zeit, die vom endgültigen Verfall nicht weit entfernt sein konnte. Er fragte sich, wie lange er noch warten sollte, um sich für einen Job in einer erheblich größeren Abteilung zu melden. Seine Abteilung hier in Fortrow war zu klein, um Karriere zu machen – und er wollte Karriere machen.

Er blickte auf seine Uhr. Es war Viertel vor drei. Wenn er Glück hatte, konnte er bald nach Hause gehen und Josephine ausführen. Es war schon lange her, als er noch die Zeit hatte, wochentags mal mit seiner Frau auszugehen. Wenn er an sie dachte, entspannten sich seine sonst so harten Gesichtszüge. Natürlich hatten sie ihren Streit – sie waren beide sehr eigenwillig –, aber es hatte keinen einzigen Augenblick gegeben, in dem sie sich gefragt hatten, wie er oder sie je auf den Gedanken gekommen war, den anderen zu heiraten.

Es klopfte, und Kerr kam herein. Fusil betrachtete den großen, stattlichen Detektiv, die forsche Haltung, den »Nichts-kann-mich-erschüttern«-Gesichtsausdruck. Kerr könnte eines Tages ein wirklich guter Detektiv werden, dachte Fusil, denn er besitzt alle notwendigen natürlichen Fähigkeiten; es kam nur darauf an, daß er lernte, das Leben ernster zu nehmen.

Fusil ging zu seinem Schreibtisch zurück. »Ich habe einen anonymen Brief bekommen.« Er hob ihn aus einem Ablagekörbchen auf. »Ein Mann namens Farr soll schmutzige Filme zeigen.«

»Ich kenne nur einen Farr, und der kann es nicht sein, denn das ist ein hochgestochener alter Ratsherr«, sagte Kerr fröhlich.

»Es ist der Ratsherr«, schnarrte Fusil. Er legte den Brief wieder auf seinen Schreibtisch. »Das Briefpapier ist offensichtlich teuer, und das Wasserzeichen gibt uns leicht einen Anhaltspunkt. Versuchen Sie es mal in den größten Geschäften der Stadt. Und dieser kleine Buchladen an der Ecke der Wimpole Street hat früher mal Schmutzfilme verkauft, sehen Sie da auch mal nach.«

»Soll ich auch zu Farr gehen, Sir?«

»Wenn jemand zu Farr geht, dann ganz gewiß nicht Sie!«

Fusil sah Kerr nach, als dieser sein Office verließ. Es war alles vergeudete Zeit, dachte er, denn selbst wenn Kerr etwas herausfand – und welche Chance hatte er schon? –, dann hätte er hundert Pfund gegen einen Penny gesetzt, daß man gegen Farr nichts ausrichten konnte. Warum auch, zum Teufel? Wenn Erwachsene Vergnügen daran finden, sich solche Filme anzusehen, was war schon dabei? Aber weil er den anonymen Brief bekommen hatte, mußte er etwas unternehmen, um für den Fall, daß sich später etwas ergab, zeigen zu können, daß er alles versucht hatte. Ein vernünftiger D.I. lernt schnell, sich selbst zu schützen.

Er blickte wieder auf die Uhr. Fünf nach drei. Er war weg.

 

An der Ampel der Drecon-Kreuzung blieb der gepanzerte Lastwagen stehen. Drei Fahrzeuge hinter ihm stand ein 3,8-Jaguar, der in der vergangenen Nacht in London gestohlen worden war. Am Steuer saß Glenton.