13
Am Freitagmorgen war der Himmel behangen. Eine gewaltige Wolkenbank war vom Osten heraufgezogen und bedeckte jetzt den Süden Englands. Kerr fuhr mit dem Dienst-Hillman zum Bezirks-H.-Q. nach Destone.
Er betrat das Gebäude, dem georgianischen Stil nachempfunden – durch den Haupteingang und ging zur dritten Etage, wo der Erkennungsdienst in drei zusammenhängenden Räumen untergebracht war. Eine schier endlose Reihe von Aktenschränken enthielt die Strafregister aller Verbrecher, die Taten innerhalb des Bezirks begangen hatten. Es gab eine direkte Verbindung zwischen dieser Verbrecherkartei und den Unterlagen der Metropolitan Police, die einen wirkungsvollen Informationsaustausch garantierte.
Kerr fragte nach dem Register von Albert Holdman. Der Sergeant sah im Index nach, griff in einen Aktenschrank und kam dann mit der Akte zurück, für die Kerr unterschreiben mußte. Er vergewisserte sich, daß die offiziellen Fotos dabei waren, was den Sergeant verärgerte.
In der Pressestelle ließ Kerr das Foto ablichten und ordnete dann an, daß es in der Gazette veröffentlicht werden sollte.
Er ging zum Hillman und fuhr zurück nach Fortrow. Als er an der anglikanischen Kirche in Bramwell Lane vorbeifuhr, sah er, daß es zehn vor eins war. Helen hatte um eins Mittagspause, und es war nichts Neues, daß eine Fahrt zum H.Q. sehr lange dauern konnte.
Er stellte den Dienstwagen neben die Parkreihe in die Fahrbahn, und als der Parkwächter auf ihn zukam, zeigte er seinen Dienstausweis. Bedrückt schlich der Wächter davon.
Kerr zündete sich eine Zigarette an. Gestern abend hatte Mr. Barley zwischen lyrischen Beschreibungen alter, längst vergessener Dampflokomotiven einfließen lassen, daß dieser Phineas doch trotz all seines Geldes ein sehr netter junger Mann wäre. Wie konnte er jung und reich sein?
Helen kam mit einer Rothaarigen die Stufen herab, deren Gesicht andeutete, daß sie eine Menge von der Welt gesehen hatte. Kerr drückte auf die Hupe, und Helen drehte sich um, sah ihn, redete kurz mit der Rothaarigen und kam dann auf den Hillman zu.
»Wie wäre es mit einem Mittagessen?« fragte Kerr durchs offene Fenster. Sie zögerte.
»Okay, vergiß es«, murmelte er schlecht gelaunt.
»Ich wollte mit Angela essen gehen. Aber warte, John, ich hör mal nach, ob sie was dagegen hat.«
Er schnippte die Asche von der Zigarette. Heute war Zahltag, da konnte er es sich leisten, die paar Pfund auszugeben, die er noch hatte. Sie konnten zum Italienischen Restaurant in Dillington fahren.
Helen kam zurück und setzte sich neben ihn. »Welch eine Überraschung, John.«
»Anders kriegt man dich ja nicht zu sehen.«
Sie lächelte zufrieden, und ein Hauch von Wärme überflutete ihr Gesicht.
»Ich war gestern abend bei dir«, sagte er.
»Ja. Dad sagte es.«
»Er konnte sich nicht verkneifen, mir zu sagen, was für ein netter Kerl dein Phineas ist.« Kerr startete, legte den ersten Gang ein und reihte sich in den Verkehr ein.
»Phineas ist ein lieber Kerl«, stimmte sie zu.
»Aber was für ein Name für einen Mann!«
»Er kann doch nichts dafür! Außerdem gefällt mir der Name.«
»Mich erinnert er an Balletthosen. Dein Vater sagt, daß er im Geld schwimmt.«
»Ja, er scheint genug davon zu haben.«
»Dann führt er dich wohl immer zu den exklusiven Läden aus, was? Er kann es sich ja erlauben, Kaviar und Hummer und all dieses Zeug zu kaufen.«
»Ich habe noch nie Kaviar gegessen und werde ihn wohl auch nie probieren.«
»Woher hat er denn all sein Geld?«
»Er arbeitet; genau wie du.«
»Aber dann verdient er eine Menge mehr als ich.«
»So ist’s nun mal im Leben.«
»Hör mit deiner Lebensphilosophie auf.«
»Puh, du hast aber schlechte Laune heute.«
»Ich mag nur nicht …« Er brach ab. Er warf die Zigarettenkippe aus dem Fenster.
»John«, sagte sie weich, »glaubst du wirklich, daß es mir etwas ausmachen würde, und wenn er das Hundertfache von dir verdient?«
»Ich weiß es nicht. Du gehst ziemlich häufig mit ihm aus. Gestern abend wieder, nicht wahr?«
»Ja.«
»Also?«
»Aber du hast mich doch nicht eingeladen. Und vergiß nicht, daß du mich vorher zweimal versetzt hast. Ein Mädchen muß manchmal seine Unabhängigkeit zeigen.«
Kerr lächelte. Phineas konnte vor Geld stinken – er kam trotzdem nicht an sie heran.
Fusil kam zum Mittagessen zwanzig Minuten zu spät. Josephine überfiel ihn sofort, als er in die Küche kam. »Bob, du bist ja noch sturer und bockiger als sonst!«
»Danke für das Kompliment«, murmelte er.
»Du arbeitest dich kaputt. Warum hörst du nicht auf mich und trittst ein bißchen langsamer?«
Er setzte sich hin, schloß die Augen und rieb sich über die Stirn.
»Hast du Kopfschmerzen?«
»Nein.«
»Du lügst!« rief sie. »Du legst dich heute nachmittag hin!«
»Das kann ich nicht.«
»Es ist mir egal, ob du es kannst oder nicht. Ich sage dir, daß du es kannst.«
»Ich hab auf dem Revier gesagt, daß ich zurückkomme.«
»Ich pfeife auf das Revier.«
»Was, glaubst du, wird Kywood sagen, wenn er erfährt, daß ich im Bett liege?«
»Mit diesem Hanswurst werde ich schon fertig, falls der sich hier sehen lassen sollte.«
Ein paar Stunden Schlaf könnte ich dringend gebrauchen, dachte Fusil. »Ich muß zurück.«
»Du gehst heute nachmittag nicht zum Revier zurück.« Sie servierte das Essen.
Josephine war selten in dieser Stimmung, aber aus Erfahrung wußte er, daß es klug war, sie zu respektieren.
Sie stellte den Braten auf den Tisch. »Warum arbeitest du bis zum Umfallen, Bob?« Ihre Stimme klang plötzlich weicher, und sie sah ihn liebevoll und mit großer Sorge an. Sie war gutherzig, loyal und temperamentvoll.
Er stand auf und schliff das Bratenmesser. »Manche Leute sagen, ich wäre von mir eingenommen, starrsinnig und dumm.« Er schnitt den Braten an.
Sie lächelte flüchtig. »Du bist von dir eingenommen und starrsinnig. Dumm bist du nicht.«
»Wie würdest du denn einen Mann nennen, der glaubt, daß etwas geschehen ist, was völlig unmöglich ist, weil alle Beweise dagegen sprechen?«
»Wenn dieser Mann nicht mein Mann ist, dann ist er ein Narr.«
»Und wenn ich es bin?«
»Dann hast du gute Gründe.«
»Das ist unlogisch.«
»Gut.« Sie stellte die Schüsseln mit gerösteten Kartoffeln und Erbsen auf den Tisch.
»Ein Mann«, sagte Fusil bedächtig, »muß der Mörder sein. Er kann nicht der Mörder sein. Weil er ermordet worden ist.«
Sie setzte sich an den Tisch. »Das hört sich wie einer jener gehirnerweichenden Artikel in der Sunday Times an.«
»Gehirnerweichend ist es ganz gewiß.«
»Dann hör auf, dein Gehirn zu erweichen und vergiß es. Denk an etwas ganz anderes. Im Unterbewußtsein wird dir die richtige Antwort kommen.«
»Du hast viel mehr Vertrauen in mein Unterbewußtsein als ich.«
»Aber so schreibt Onkel Robert seine Bücher.«
»Und du mußt zugeben, daß es lausige Bücher sind.«
Sie lächelte. »Schade, daß er das nicht hören konnte.«
Holdmans offizielles Polizeiporträt wurde in der Gazette abgebildet. Die Zeitungen wurden gebeten, sich in die Suche nach ihm einzuschalten, und sie druckten ein Privatfoto Holdmans (das sie von seiner Frau hatten – das Polizeifoto hätte auf seine Vorstrafe hingewiesen).
Es sah weniger großmaulig aus als das offizielle, dafür wirkte er aber gemeiner.
Die Meldungen über Holdmans Aufenthaltsort fluteten von überall herein. Er war in Aberdeen, Bristol, London, Southampton, Birmingham, Norwich, York, Cardiff, Londonderry, Kirkwall, Seascale, Lincoln, Edinburgh, Plymouth, St. Peter Port, Paisley und vielen anderen Orten gesehen worden. Jeder Meldung wurde nachgegangen. Sie waren alle falsch.
In den folgenden drei Tagen wurde das Wetter erheblich kühler, da der Ostwind ständig neue Wolken vor sich her schob. Schwerer Regen fiel von Dover bis Plymouth und hinauf bis Birmingham. Zitternde Urlauber fluchten über das Wetter, über das andere vor vierzehn Tagen noch begeistert waren. Die Eishersteller drosselten ihre Produktion, die Bingohallen quollen über, und die Verbrechensquote stieg nicht so stark an, wie man erwartet hatte.
Selbst Detektive machten Urlaub. Zuerst hatte man ihnen den Urlaub wegen »außergewöhnlichen Umständen« verwehrt, aber allmählich mußte man sie doch gehen lassen. Nach zehntägiger Verschiebung erlaubte Fusil seinem Detektiv Kerr widerwillig, zehn Tage in Urlaub zu fahren.
Er und Helen fuhren eine Woche nach Jersey. Dort entdeckte Kerr, daß sie erheblich leidenschaftlicher war, als er geglaubt hatte, aber auch, daß sie so altmodisch war zu glauben, die Heirat komme zuerst.
Als sie nach England zurückkehrten, blieb Kerr die letzten Tage bis zum Dienst bei seinen Eltern. Sie lebten in einem alten Haus, für das sie nur acht Shilling und vier Pence Miete in der Woche zahlten, in dem es aber auch weder heißes Wasser noch WC gab. Seine Eltern nahmen das in Kauf, weil die Miete so gering war. Kerr genoß seinen Besuch sehr, er verstand sie besser als je zuvor. Sie hatten keinen Ehrgeiz, waren mit der Vergangenheit fest verwurzelt und fanden die Gegenwart wenig attraktiv – aber das ärgerte ihn nicht; er stellte nur fest, daß nicht jeder das Glück hatte, so abgeschieden und zufrieden zu leben wie sie.
An einem Sonntagabend kehrte er nach Fortrow zurück. Es regnete, und die Fahrt vom Bahnhof zum Polizeiheim deprimierte ihn. Er warf seinen Koffer aufs Bett, fand im Aufenthaltsraum einen gelangweilten Kollegen und ging mit ihm einen trinken.
Als sie um halb zwölf nach Hause kamen, regnete es immer noch, aber sie waren fröhlich und sangen scnmutzige Lieder. Der Hauswart sagte, er wollte sie melden, darauf sagten sie dem Hauswart, wohin er gehen und was er da tun sollte.
Kerr meldete sich am Montagmorgen um acht Uhr dreißig auf dem Revier. In seinem Kopf trampelte ein kleiner Mann mit genagelten Schuhen herum, und in seinem Mund hatte er einen widerlichen, nicht wegzubekommenden Geschmack.
»Hallo, hallo!« strahlte Welland. »Jetzt kann er nicht erwarten, bis er wieder arbeiten darf.« Er betrachtete sich Kerr genau. »Du siehst ja so aus, als ob man dich pausenlos verprügelt hätte.«
»Nur gestern abend«, erwiderte Kerr und setzte sich schnell hin.
»So kann man sich doch nicht an einem einzigen Abend zurichten.«
Kerr starrte eisig auf den Boden. Rowan kam herein. Er machte ein dumpfes Gesicht und erwiderte Wellands fröhliche Begrüßung kaum. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und zündete sich eine Zigarette an.
»Sieh dir den alten John an«, sagte Welland. »Seine Augen sehen aus wie Rühreier, und er zittert in allen Knochen, als befände er sich im Vorstadium des Delirium tremens.«
Rowan schaute nicht hin.
Welland blieb überschwenglich fröhlich. »Du hast was verpaßt, John. Seit du weg bist, haben wir eine Atmosphäre wie bei einer Beerdigung. Fusil brüllt durch die Gegend wie ein verwundetes Rhinozeros.«
»Halt den Mund«, schnarrte Rowan.
»Du mußt immer daran denken: Lächle, und die Welt lächelt mit dir, weine, und du weinst allein.«
Rowan fluchte.
Braddon kam ins Zimmer, und man sah ihm an, daß seine Laune nicht so ausgeglichen war wie sonst. »Mal sehen, daß wir unsere Arbeit getan bekommen.«
»Zu Befehl«, sagte Welland, der sich immer noch nicht von seinen mies gelaunten Kollegen rühren ließ.
»Kerr!« schnarrte Braddon. »Sie haben ein T 14 ausgefüllt, bevor Sie Urlaub nahmen.«
»Hab ich das?«
»Sie haben es falsch ausgefüllt.«
Gut, dachte Kerr.
»Tun Sie’s noch mal, und diesmal richtig. Rowan, Sie gehen zu Shelstone. Welland, gerade wurde ein Einbruchdiebstahl gemeldet. Ein Lagerhaus am Firbank Dock. Überprüfen Sie das. Kerr, sobald Sie das Formular neu ausgefüllt haben, gehen Sie zum Beuteraum und sehen nach, was mit den zwei silbernen Kerzenleuchtern passiert ist. Und räumt dieses Zimmer auf.«
Braddon ging und schlug die Tür hinter sich zu.
»Welch ein Sonnenschein«, murmelte Kerr angewidert.
»Das Leben ist die Hölle gewesen«, sagte Welland. »Erwähne nur nicht den Namen Holdman, dann bekommt jeder Schaum vor den Mund.«
»Haben sie ihn denn noch nicht gefunden?«
»Man hat nichts von ihm gesehen und gehört. Der Alte tobt.«
Rowan und Welland gingen aus dem Zimmer. Kerr ging zu seinem Schreibtisch und fand das Formular T 14. Er hatte es viermal durchgelesen und konnte keinen Fehler entdecken. Beim fünften Anlauf merkte er, daß er die Jahreszahl des Vorjahres geschrieben hatte. Konnte das denn nicht jemand ändern, fragte er sich wütend, und in seinem Kopf hämmerte es noch wilder.
Nachdem er das Formular neu geschrieben und mit dem korrekten Datum versehen hatte, ging er in den Raum, in dem das Diebesgut aufbewahrt wurde. Er suchte nach den beiden silbernen Kerzenleuchtern, konnte sie aber nicht finden.
Auf dem Wege zu seinem Büro kam er beim Sergeant vom Dienst vorbei. Als er ihn nach den Kerzenleuchtern fragte, hörte er, daß in der vergangenen Woche ein Detektiv vom Bezirk vorbeigekommen war und sie abgeholt hatte.
Kerr fluchte. Er dachte an eine Tasse Kaffee, und schlich sich zur Kantine. Die Frau hinter der Theke hatte Mitleid mit ihm und gab ihm ein paar Aspirin.
Der Kaffee und die Aspirin machten ihn munter. Er zündete sich eine Zigarette an. Er dachte über den Lohngeldraub nach. Es sah so aus, als ob Holdman der Mörder von Glenton und Weston war, aber Fusil schien überzeugt zu sein, daß Holdman selbst ermordet worden war. Da er die Frau kennengelernt hatte, stimmte Kerr zu. Aber wenn Holdman nicht der Mörder war …
Irgend etwas fiel ihm auf einmal ein, und obwohl es nicht sehr deutlich war, sagte ihm eine Stimme, daß es wichtig war. Es hatte etwas mit Detective Sergeant Ambleside zu tun …
»Kerr!«
Fusils laute Stimme ließ ihn zusammenfahren. Er riß den Kopf hoch. »Sir?«
Fusil stand vor seinem Tisch. »Haben Sie noch Urlaub?«
»Nein, Sir.«
»Was tun Sie dann zu dieser Stunde in der Kantine?«
»Ich denke, Sir.«
»Seien Sie nicht frech.«
»Bin ich nicht, Sir. Mir ist da etwas im Zusammenhang mit dem Fall des Lastwagenüberfalls eingefallen, als ich oben war, aber ich konnte nicht mehr alles in die richtige Reihenfolge bringen. Es ist seltsam, Sir, aber Kaffee hilft meinem Gedächtnis immer auf die Sprünge, und deshalb kam ich hier herunter. Und es hat geholfen.«
Fusil behielt Kerr im Auge. »Sie«, sagte er, und in seiner Stimme lag ein Ton, der unfreiwillige Bewunderung sein konnte, »Sie sind einer der ganz wenigen Menschen, die mit offenem Gesicht lügen können. Sie haben sich hier heruntergeschlichen, weil Sie gestern abend getrunken haben. Ich werde Ihnen mal was sagen. Ich hole mir auch eine Tasse Kaffee und komme zu diesem Tisch zurück und höre mir an, was der Kaffee Ihrem Gedächtnis getan hat – und wenn sich mein Zuhören nicht lohnt, dann sind Sie bis Weihnachten in jeder Nacht dran, in der was los ist.«
Der D.I. holte sich den Kaffee und kam zum Tisch zurück. Er setzte sich, rührte im Kaffee, nippte ein paarmal daran, nahm seine Pfeife heraus und blaffte: »Nun?«
»Als ich in Cressfield war, Sir, erwähnte Sergeant Ambleside etwas, dem ich damals keine Bedeutung zumaß. Aber es ist mir plötzlich eingefallen. Er sagte, daß das Auto, in dem Glenton verunglückt ist, nach Fingerabdrücken abgesucht wurde. Und das Ergebnis: Das Auto mußte abgewischt worden sein, denn man fand nur Glentons eigene Fingerabdrücke.«
Fusil schüttelte noch einen Löffel Zucker in seinen Kaffee. Er zündete sich die Pfeife so langsam an, daß man merkte, wie wenig er wußte, was er eigentlich tat. »Und im ganzen Auto gab es keine anderen Abdrücke?«
»Das hat er gesagt, Sir.«
»Wissen Sie das ganz genau?«
»Ganz genau nicht.«
»Dann gehen Sie, und rufen Sie Ambleside an. Wenn er nicht da ist, sagen Sie, es wäre sehr dringend.«
Kerr ging aus der Kantine und lief hinauf in den Mannschaftsraum. Er rief in Cressfield an und hatte Glück, den Detective Sergeant in seinem Zimmer anzutreffen. Er bestätigte die Sachlage so, wie Kerr sie in Erinnerung hatte.
»Alles klar!« polterte Fusil, nachdem Kerr ihm den Inhalt des Telefongesprächs berichtet hatte. Er stand auf.
»Glauben Sie, Sir …«
»Jetzt denke ich!« Fusil stieg die Kantinentreppe hoch. Kerr folgte ihm.
Kywood wäre ein erstklassiger Detektiv gewesen, wenn er unter einem Mann gearbeitet hätte, der das besaß, was ihm fehlte: Phantasie und Individualismus. Als Chief Detective Inspector war er überfordert und zu stolz oder zu dumm, selbst vor sich diese Tatsache einzugestehen. Als er an diesem Morgen in Fusils Office kam, verlangte er, daß Fusil den Lohngeldraub abschloß, weil alles kristallklar wäre.
Fusil sagte: »Nein, Sir.«
»Wie oft soll ich es Ihnen noch sagen, Bob?«
»Wir haben einen neuen Beweis.«
»Was soll das denn sein? Einen neuen Beweis? Warum habe ich davon noch nichts gehört?«
»Weil wir ihn gerade erst bekommen haben.«
Kywood murmelte etwas und setzte sich hin.
»In dem Auto, in dem Glenton verunglückt ist, waren nur seine Fingerabdrücke.«
»Na und?«
»Sagt Ihnen das nichts?«
»Nein.«
»Auch dann nicht, wenn Sie berücksichtigen, daß es sich um sein Auto handelte, so daß er überhaupt keinen Grund hatte, die Fingerabdrücke anderer Leute darin zurückzulassen?«
»Worauf wollen Sie hinaus, Mann?« fragte Kywood irritiert.
»Ich will darauf hinaus, daß es neben seinen keine anderen Fingerabdrücke gegeben hat.«
»Aber was hat das mit dem Fall zu tun? Also wirklich, Bob …«
»Die anderen Abdrücke sind abgewischt worden.«
»Gut, also sind sie abgewischt worden. Ich sehe wirklich nicht, was das …«
»Sie sind abgewischt worden, um die Tatsache zu verbergen, daß überhaupt keine Abdrücke da waren.«
Kywood sah irritiert und wütend aus.
»Holdmans Fingerabdrücke hätten da sein sollen – es ist unmöglich, daß er eine so lange Autoreise macht, ohne irgendwo seine Abdrücke zu hinterlassen, und da es sich nicht um ein gestohlenes Auto handelte, würde er auch keine Handschuhe getragen haben.«
»Also gut, dann war er nicht im Auto. Als Glenton den Austin parkte, dafür den Ford mitnahm, ist Holdman mit seinem eigenen weitergefahren.«
»Aber wer war dann in Glentons Auto? Wer hat ihn ermordet?«
»Es gibt keinen echten Beweis, daß er ermordet wurde.«
»Wieso konnte er sich denn so betrinken, wenn er allein war? Er hatte keine Zeit, um irgendwo anzuhalten, um soviel Alkohol zu trinken. Ein anderer hat gefahren, während er daneben saß und getrunken hat. Und der Fahrer wird ihn ermuntert haben, sich vollaufen zu lassen. Und dieser andere hat das Geld genommen, die fünfundsechzigtausend Pfund, die Glentons Beuteanteil waren.«
»Aber Sie haben doch gerade gesagt, daß Holdman nicht im Auto war«, rief Kywood.
»Holdman war es auch nicht. Es war das sechste Mitglied der Bande.«