GUNAR ORTLEPP

Urwaldgöttin darf nicht weinen

Zwei Jahrzehnte ist es her, daß er mit seinem ersten Best- und bis heute besten Longseller vom braven Lagerarzt (gegenwärtige Auflage: zwei Millionen) das Leservolk erstmals zu Tränen rührte. Seitdem hat der Kölner Konsalik, mittlerweile 55, noch manches bewegende Epos auf Mütterchen Rußland und den deutschen Herrn Doktor, mal auf diesen, mal auf jenes, oft auf beide gemeinsam, verfaßt.

Denn zur ›ostischen Seele‹, gesteht der Autor, der eigentlich Heinz Günther heißt und unter dem Mädchennamen seiner Mutter schreibt, fühle er sich mit Macht hingezogen; in den Weiten des Ostens, ob in Krieg oder Frieden, weiß er sich literarisch daheim.

So hat er, eingedenk seiner eigenen Fronterlebnisse als Mann von der Propagandatruppe (schwere Armverwundung bei Smolensk), noch einmal ›Das Herz der 6. Armee‹ schlagen lassen und im Roman ›Die Rollbahn‹ das Schicksalslied vom armen Landser damals vor Orscha und Witebsk angestimmt: »Wahnsinn … alles, alles Wahnsinn!«

Den ›Himmel über Kasakstan‹ hat er beschworen, Rußlands geheimnisvolle Schönheit in ›Ninotschka‹ und ›Natascha‹ besungen, von den ›Verdammten der Taiga‹ und ›Liebesnächten in der Taiga‹, von ›Liebe in St. Petersburg‹, ›Liebe am Don‹ und ›Kosakenliebe‹ gekündet, auch Fiktiv-Historisches etwa über Rasputins Kind (›Die Tochter des Teufels‹) hervorgebracht.

Und da er früher selbst etwas Medizin studiert hat und nun ›das Nicht-Arztsein fast wie ein Trauma‹ empfindet, preist er in vielen seiner Bücher immer wieder auch jene hippokratisch streng vereidigten Heiler und Helfer in Weiß, die sich unermüdlich, sei es im deutschen Land (›Privatklinik‹, ›Diagnose Krebs‹, ›Das geschenkte Gesicht‹) oder fern der Heimat unter Leprakranken im burmesischen Dschungel (›Engel der Vergessenen‹), im Geiste Sauerbruchs und Albert Schweitzers für die Menschheit aufopfern.

»Wir müssen uns«, heißt es bereits im (anschließend mit O.E. Hasse erfolgreich verfilmten) ›Arzt von Stalingrad‹, »nicht unterkriegen lassen wie die Tausende, die verzweifeln, wenn die russischen Nächte kommen. Wir sind Ärzte … Wir müssen ein Beispiel sein, Werner, ein Abbild dessen, was jeder gern sein möchte.«

An solchen Ab- und Vorbildern können sich Konsaliks Leser jetzt schon in 68 (achtundsechzig) Werken, allesamt vorabgedruckt in Illustrierten wie ›Quick‹ oder der ›Bunten‹ und ›Neuen‹, ein Beispiel nehmen, und zwar keineswegs nur an Ärzten – schließlich umfaßt Konsaliks Welt ja weit mehr noch als Taiga und OP.

Er hat der tapferen deutschen Flüchtlingsfamilien (›Aus dem Nichts ein neues Leben‹) gedacht, in der Geschichte vom Parcours-Reiter Horst Hartung und seiner Stute Laska ›Des Sieges bittere Tränen‹ beklagt, dazu Ehelich-Heiteres (›Bittersüßes 7. Jahr‹) und Exotisch-Abenteuerliches (›Im Tal der bittersüßen Träume‹) zum besten gegeben und mitunter schon im Titel den moralischen Imperativ des Sich-nicht-Unterkriegen-lassens paraphrasiert: ›Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen‹. Oft genug schrieb er dabei exakt im Rhythmus des Zeitgeschehens, in Konkurrenz mit der Aktualität – der hochmodernen Themen von Flugzeugentführung und Geiselnahme hat er sich ebenso angenommen wie des Sechs-Tage-Kriegs der Israelis (›Liebe auf heißem Sand‹) oder der CSSR-Besetzung (›Bluthochzeit in Prag‹).

Als sich vor Jahren der Schweifstern Kohoutek unserem Planeten näherte, schickte ihn Konsalik in einem eilends für ›Bild‹ verfaßten Fortsetzungsroman (›Ein Komet fällt vom Himmel‹) sogleich auf Kollisionskurs mit der Erde. Und bevor noch 1972 die blutige Olympiade von München stattfand, hatte er bereits, siehe ›Die Drohung‹, eine belletristische Variante der Katastrophe durchgespielt.

Doch welcher Problematik er sich bisher auch zuwandte, welche Nornenfäden er auch knüpfte, seine Leser haben es ihm stets willig abgekauft. In 16 Sprachen und einer Weltauflage von 22 Millionen Exemplaren, Hardcovers und Taschenbücher zusammengerechnet, sind seine Werke verbreitet, zirka 17 Millionen davon dienen Deutsch-Lesern zur Erbauung – Böll, zum Vergleich, hat eine Gesamtauflage von neun Millionen.

Konsalik ist folglich ein Autor, der sich, als Lohn für harte Schreibarbeit, ein wohlsituiertes Leben leisten kann. Mit Ehefrau Elsbeth residiert er auf dem von Nachbarn so genannten ›Konsalik-Hügel‹ in Ägidienberg im Siebengebirge, zu seinem Besitztum gehören drei Bungalows mit Rosengarten, Schwimm- und Grillhalle sowie Stallungen für die Pferde seiner erwachsenen Töchter Dagmar und Almut, die als Redakteurin im Verlagshaus Bastei-Lübbe Sprechblasen für Comics füllt. Er sammelt Ikonen und Buddhas, liebt Wagner und Tschaikowsky und fährt alljährlich nach Bayreuth.

Konsalik, kein Zweifel, ist aber auch eine literarische Macht, an Publikumswirksamkeit einem Simmel vergleichbar, an Produktivität ihm weit überlegen. Mindestens zwei, drei Romane stößt er im Jahr aus, und er beschäftigt nicht einen, auch nicht zwei, sondern gleich sieben Verleger: Hestia in Bayreuth und Bertelsmann in München werfen abwechselnd die Leinen-Konsaliks auf den Markt, Heyne folgt mit den Taschenbuch-Ausgaben, auch Goldmann, Lichtenberg, Lübbe und Schneekluth sind mit im lukrativen Konsalik-Geschäft.

Und trotzdem hat er ein noch schwereres Los als sein österreichischer Kollege. Denn einen Simmel nehmen die Intellektuellen von der deutschen Literaturkritik wenigstens als ›Beststeller-Mechaniker‹ und ›Klischee-Fabrikanten‹ zur Kenntnis, zu einem Konsalik fällt ihnen kaum je etwas ein.

Ihn freilich, beteuert Konsalik, ficht das nicht an; und blauäugig, rotwangig, rheinisch-jovial, die Hände über der prall gefüllten Weste verschränkt, beruft er sich auf seine enorme Beliebtheit nicht zuletzt im Ausland, vor allem in Frankreich und Südafrika, wo er als meistübersetzter Romancier deutscher Zunge geschätzt werde.

Er begreift sich als ›Volksschriftsteller‹. Er weiß sich im Einklang mit seiner gewaltigen Leserschaft, die laut Hestia-Chef Anton Schupp »alle Gesellschaftsschichten von der Putzfrau bis zum Akademiker« und längst auch beachtliche Kontingente von Jugendlichen umfaßt. Er kann sich seinen Erfolg nur so erklären, daß er schreibt, »wie der Leser denkt und fühlt«.

Dabei darf er auf viele Dankesbriefe etwa von alten Landsern verweisen, die ihm nach Lektüre seiner Kriegsbücher bestätigen: »Jawohl, genauso war's.« Ab und zu allerdings, auf Anfragen Jüngerer, ob's denn wirklich so schlimm gewesen sei, könne er, der ›entschiedene Feind des Kriegs und des Militärs‹, nur antworten: »Im Gegenteil, es war noch viel grauenhafter, als ich es beschreiben kann.«

Nein, die ganze düstere, dreckige Realität möchte er, selbst wenn er sie zu beschreiben fähig wäre, dem breiten Publikum mit dem ›Konsalik-Syndrom‹ (Verleger Schupp) wirklich nicht zumuten. Um keinen Preis will er als einer jener Autoren gelten, »die den Leser, wenn er aus seinem grauen Alltag nach Hause kommt, mit einem Hammer von Problem-Roman auch noch psychisch und physisch belasten«.

Deshalb wirkt ein Konsalik-Roman immer publikumsfreundlich. Er ist denkbar einfach in der Handlungsführung, verwirrt nicht durch psychologische Überzeichnung, schmälert nie das Lesebehagen durch den Streß quälender Spannung und hat stets ein tröstliches Ende.

Er belästigt nicht, wie zum Beispiel ein Simmel, mit pessimistischer Sozial- und Kultur- und Zeitkritik, sondern preist das Allgemein- und Ewig-Menschliche, das sich vorzugsweise – denn »ein gesundes Nationalgefühl«, mahnt Konsalik, »sollte auch der Deutsche haben« – in sauberen teutonischen Helden mit Pflichtbewußtsein, Opfermut und ›eiserner‹ Disziplin verkörpert.

Es sind Helden, die sich offenbar alle damals beim Iwan einen männlichen Jargon angewöhnt haben, von dem sie noch drei Jahrzehnte nach dem Krieg nicht lassen können, Männer von ›saumäßigem Charme‹, die auf gut deutsch ›den Arsch zusammenkneifen‹ und sich schnüffelnd erinnern, wenn es ›gegen den Wind stinkt wie eine Kompanie voller Schweißfüße‹. Doch zugleich bewährt sich Konsalik immer wieder als Autor der sanften Töne, als dezenter Chronist zügig sich kristallisierender Liebschaften, als zärtlicher Porträtist des ewig lockenden Weibes. Wie oft hat er es seinen Lesern schon plastisch vorgeführt, das ›herrliche Geschöpf‹ mit den ›spitzen Brüsten‹ und dem ›schlanken, geschmeidigen, katzenhaften Körper‹, blutvoll wie ›eine rassige Stute‹ oder ›hauchzart wie chinesisches Porzellan‹, mit einer Stimme ›wie Celloklang‹, mit ›diesem dunklen, faszinierenden Lachen, das ihn ins Herz traf‹, mit den ›vollen Lippen, die vor ihm aufbrachen wie eine Blüte, die die Schalen der Knospe sprengt‹, mit den ›Phosphoraugen‹, den ›weiten Augen, in denen die Unendlichkeit Rußlands schimmerte‹, mit Augen so hell, ›als seien sie aus der Wolga geschöpft‹.

Das alles ist echter Konsalik – so echt wie manche Notoperation mit Hammer und Meißel; wie das Rühren an letzte Fragen (»Warum schweigt Gott? Warum schweigt er jetzt? Gerade jetzt …?«); wie jenes Ausharren im Sandsturm in der Wüste (»Der Tod pfiff vor Vergnügen«); wie die entsagungsvolle Dschungel-Liebe der schönen Burmesin Siri zum deutschen Dr. med. Reinmar Haller: »Als Haller seine Suche aufgab, kroch sie durch die Erdröhre zurück ins Dorf und versteckte sich bei einem taubstummen Leprösen, der ihr durch Handschlag Verschwiegenheit geloben mußte.«

So schreibt er nun schon 20 Jahre lang, und seine Leser danken es ihm von Herzen. Hier, so fühlen sie, sendet jemand genau auf ihrer Wellenlänge. Hier, so empfinden sie beglückt, schafft einer Nachschub heran für die Populär-Mythen, die im Kalk des deutschen Normalhirns unauslöschlich abgelagert sind.

Letzten Monat, als er zu einer 14tägigen Signier-Tournee durch Österreich, zu einer Art Bad mit dem Volke, aufbrach, erlebte der Volksschriftsteller Heinz G. Konsalik einen Höhepunkt seiner bisherigen Karriere: Seine sieben deutschen Verleger baten ihm zu Ehren zu einem Empfang ins Wiener Palais Auersperg, das auch als ›Palais des Rosenkavaliers‹ berühmt ist.

200 Gäste, österreichische Buchhändler mit Anhang vor allem, tafelten in Abendkleid und dunklem Anzug bei Borschtsch und Delikatessen vom russischen Buffet zu Balalaika-Musik. Konsaliks alter Kollege Gustl Kernmayr vom Unterhaltungs-Genre (»Weil du arm bist, mußt du früher sterben«) hielt die Laudatio. »Lieber Heinz«, rief er, »wenn dir jemand sagt, du wärst ein Trivial-Schriftsteller, wirf dich in die Brust und sage: ›Gott sei Dank!‹«

Der Spiegel, 6.12.76 (Nr. 50)