Der unbekannte Konsalik

Entdeckungen im Privatarchiv des Autors

Heinz G. Konsalik ist von seiner Ausbildung her Dramaturg, also ein Mann des Theaters. Er studierte Theaterwissenschaft, stand selbst auf der Bühne, er lernte das Metier von Grund auf: angefangen vom Windmachen und der Erzeugung von Pferdegetrappel hinter den Kulissen über die schweren Übungen, wie man vor den Augen eines Publikums schlicht eine Treppe hinauf- und hinuntergeht, bis zum Fechten, Tanzen und Singen.

Konsalik war durchaus das, was man einen ›Theaterbesessenen‹ nennt. Es konnte nicht ausbleiben, daß er sich in diesen Jahren auch selbst als Bühnenautor versuchte. Schon mit 17 hatte er ja das obligatorische Griechendrama aller poetisch ambitionierten Halbwüchsigen verfaßt. Nun aber – er war mittlerweile 21 geworden – wandte er sich, von Goethes ›Egmont‹ und Schillers ›Wilhelm Teil‹ beeindruckt, der neueren Geschichte zu: ›Der Geuse‹, eine Tragödie aus der Zeit der Erhebung der Niederlande, wurde Zeugnis ernsthafteren Strebens nach Dramatiker-Lorbeer. Der Krieg, der nacheinander die Theater zerbombte, verhinderte die Aufführung dieser wie auch anderer Frühwerke. Sie verschwanden in Konsaliks Privatarchiv … aus dem Theatermann wurde in den Nachkriegsjahren der Romanschriftsteller, der internationale Bestsellerautor.

›Der Geuse‹, wie auch die übrigen etwa gleichzeitigen Stücke – darunter ein Renaissance-Schauspiel um Brunelleschi, den Erbauer der Florentiner Domkuppel – zeigen einen völlig anderen Konsalik, als wir ihn aus seinen Romanen kennen. Gewiß ist dem nicht zu widersprechen, was er selbst dazu meint: Diese Jugenddramen sind überholt, im Thema, in der Aussage, im Stil. Sie waren ›Kinder ihrer Zeit‹, und Konsalik war in diese Zeit hineingeboren und in ihr aufgewachsen. Immerhin gewähren sie interessante Aufschlüsse und runden das Bild eines Mannes ab, der bewußt den Weg statt in die ›hohe Dichtung‹ in die populäre, breitenwirksame Produktivität desVolksschriftstellers‹ wählte. Vielleicht ist es auch nicht ohne Reiz, zu spekulieren, was aus diesem auf so unverwechselbare Weise zu Weltruhm gelangten Autor geworden wäre, hätte er die Weichen damals anders gestellt.

Szenen aus ›Der Geuse‹

Die ›Geusen‹ haben beschlossen, sich gegen Spanien, das Flandern und die Niederlande besetzt hält und unterdrückt, zu erheben, und Jan Brahnis zu ihrem Anführer gewählt. Sie kommen nächtlicherweile in einer abgelegenen Küstengegend zusammen, um Jans große Rede an das Volk zu hören:

(Auf dem freien Platz zwischen den Hütten und dem Deich stehen die Fischer. Spaler steht mit dem 1. und 2. Fischer in Unterhaltung im Vordergrund)

1. Fischer Was wollt Ihr?
2. Fischer Warum ruft Ihr uns zusammen?
1. Fischer Die Nachtluft kennen wir und auch den Wind,
der uns die Zunge salzig macht.
2. Fischer Im warmen Bett
ruhn sich die Knochen lieber aus als in der
Kälte der Seenacht.
1. Fischer Unser Brot ist sauer
vom Schweiß, den es uns kostet.
Spaler Männer, könnt
ihr noch an Ruhe denken, wenn die Heimat ruft?
1. Fischer (dumpf) Heimat? Das Wort ist uns verboten.
2. Fischer Spaniens Söldnern
geht die Muskete leicht nach vorne los. Die Bäume
sind nicht mehr hoch genug, um all die Körper,
die an die Heimat dachten, noch zu tragen.
Spaler Um das Leben,
um Frieden …
1. Fischer (bitter) Frieden! Ein banales Wort in Flandern:
Ja, vor Jahrzehnten, als die Kirchenglocken
uns jeden Sonntag in die Seele riefen:
»Seht, Brüder, wie die Sonne euch beglückt
mit Gold und Leben, seht die reiche Frucht,
die sich voll kräft'ger Schwere zu der Erde neigt,
weil ihre eigenen Halme sie nicht tragen können. Seht,
welches Jauchzen in den Lüften jubiliert; ein Volk
ist von dem Glück gesegnet, von der Menschheit höchstem
dem Frieden eines Herzens in der schönen Heimat!« –
Jetzt ist das Stöhnen unsere Musik, das Peitschenknallen
der welschen Offiziere unser Glockenklang. Anstatt
in Andacht seinen Kirchenstuhl drückt jetzt der Gläubige
die Folterbank. Der Glaube uns'rer Ahnen wird zertreten,
die päpstliche Tiara soll der Glaube sein, doch nie,
nie beugt ein Flame vor dem Königsthron sein Haupt,
wenn dieser Thron in Spanien steht und nicht in Flandern.
2. Fischer (erstaunt)
Und Ihr wollt uns die Freiheit schenken. Ihr? Ein Mann,
allein, bekannt wohl, aber nicht berühmt?
Spaler Was ist
der Name von Gewicht, wenn die Idee den Staat
baut? Unbekannt ist öfters besser als zu gut gekannt!
2. Fischer Was warten wir?
1. Fischer (zieht die Schulter ein) Mir wird es kühl im Rock.
Spaler In einer Stunde hat das Herz ihn warm geschlagen.
(blickt zum Deich)
Da, seht –! Da ist er! Jan!
1. Fischer (spöttelnd) Noch jung! Ein Knabe!
(Plötzlich ist Jan oben auf dem Deich erschienen und
steht hochaufgerichtet im Mondlicht. Das Volk
drängt sich enger zusammen und an den Deich heran.
Langsam hebt Jan die Hand, Ruhe tritt ein)
Jan (klar und hell)
Freunde, Flandernsöhne, meine Brüder! – An
der Asche unsrer Heimat weint ein ganzes Volk. Die
Freiheit, mit deren Blütenkranz sich uns're Ahnen schmückten,
liegt nun gefesselt, vergewaltigt in der Höhle fremder Macht.
(kommt in Glut)
Geknebelt ist sie, nicht gestorben, denn das Blut
rollt frei in unsren Adern oder tränkte Flanderns Boden.
Ich will zu euch nicht vom Vergangnen sprechen,
der Blutdunst dringt noch warm in unsre Nasen,
zu grausam war des Schicksals harte Prüfung mit
Flanderns unschuldigem Glück. Pompejis Untergang
durch des Vesuves glüh'nden Aschenregen war eine
Katastrophe der Natur. In Flandern aber, in dem Blut erstickt,
im Mord gemordet jegliches Gefühl, war es der Zeiten
größtes Greuel: der Untergang des menschlichen Gefühls!
Die Gegenwart ist dumpfe Schwere, ist Erleiden,
ist Seufzen, Zähneknirschen und geballte Fäuste,
sie leben wir, – der Sprache ist sie nicht mehr wert.
Die Zukunft aber, jene ferne, glückerfüllte Welt,
die uns der Glaube in den stillen Stunden herabbeschwört
vom himmlischen Gewölbe, ist unser Trost. Was soll
der Mensch, wenn seine Freiheit man ihm raubte,
man ihn mit der Tyrannei zur Arbeit treibt, wenn jeder
Bissen Brot und jeder Wassertrunk das Blut der Toten
um den Staat uns widerspiegelt und ihre Mörder
am Tische sitzen mit gespreizten Beinen und als Herr
der tausendjähr'gen Scholle uns erpressen?
1. Fischer (wild) Mit dem Beil
zieh ich ihm seinen Scheitel nach!
Volk (dumpf) Mit Blut
sühnt man das Blut der Toten nur!
Jan Wir sind
ein Christenvolk! Nicht Grausamkeit ist unsre Sprache,
Gerechtigkeit steht auf der Fahne eines Volks,
an dem die Knechtschaft saugt gleich einem Egel. –
(etwas ruhiger)
Ihr wollt nicht Worte hören, sondern Taten sehen!
Freiheit wollt ihr erringen, Frieden, Gleichberechtigung
im Raum der andern, neiderfüllten Welt. Mit Brüderschaft
wollt ihr den neuen Staat in eine Ewigkeit und Größe
bauen und die bodenständige Kultur, das Erbe
seit Jahrhunderten im Herzen eurer Enkel wahren!
Nicht nur ein Schlagwort werfe ich euch hin, nicht
nur ein Hohlgefäß der wortgeschwellten Theorie, in das,
gleich wie der Küfer in das Faß den Wein, ihr euer Blut
verröchelnd laufen lasst, damit ein Sinn die Leere
des Gefäßes fülle. Nein, der Glaube an das Volk,
die Treue zu dem Werke eines Herzens und das Opfer
für die Nation erringen jenes Glück, das noch
im Himmel, in der Zukunft thront. Und nur der Glaube
an seine eigne Kraft reißt sie hinab zur Erde.
2. Fischer (entflammt)
Wir wollen keine Knechtschaft mehr!
Volk Frei woll'n wir sein.
1. Fischer (feurig)
Die Leiden des Jahrhunderts trugen wir,
die Zähne bissen wir zusammen, in den Flammen
der eignen Häuser schürten wir die innre Glut,
doch jetzt schreit unser Herz, das lang bezähmte,
das Wort, das in der Kehle würgt: Es ist genug!
Volk (glühend)
Es ist genug! Die Freiheit wollen wir!
Wenn der Tyrannen Macht zum Wahnsinn wächst,
wenn statt der Herrschaft Mord im Land regiert,
wenn man das eigne Leben schützt mit blanker Klinge
und im Verhungern eine Gnade sehen muß,
dann greift das Volk zur Waffe, und mit Blut
holt es sich, was im Blut ertrank: das Recht! …
Wir wollen Brüder sein, denn eine Mutter
ernährt uns seit Jahrhunderten: die Heimat.
Was gilt uns Geld, was kümmert uns der Name,
uns ist der Bettler gleich lieb wie der Graf,
wenn er versteht, das eine Wort zu sagen: Bruder.
2. Fischer (wild)
Das Meer ist unser Herz, der Boden unser Brot,
die blühende Natur nahm uns'ren Frohsinn ein, –
man hat sie uns gestohlen, Meer, Boden und Natur –
wie kann ein Volk noch leben, dem man dieses nahm?!
Jan O Brüder, der Tyrannen Macht ist eitler Spott,
wenn unsichtbar der Thron wankt und durch Hohn
man sich das Selbstbewußtsein wiederzuerringen sucht!
Graf Brederode, Flanderns ungekrönter Fürst, hat
mit dem Edelsinn der Freiheit einen Schritt gewagt,
der ihn nach Brüssel zu der spanischen Regentin trug.
Des Königs Schwester Margarete, die den Herrscherwahn
und Blutrausch ihres Bruders in der Form der Buhlerei
und des Sadismus erbte, fand auf seine Bitte,
daß die Tortur aus Flandern man verbanne, nur ein Lächeln,
und fand den Ernst so lustig wie ihr Dirnenbett.
Ein Höfling, der die schnell gereichte Gunst zum
Aufstieg nutzte – Graf von Barlaimont – sah in dem Gang,
der Flanderns Joch erleichtern sollte, eine Schmach
für Spanien. Sein Wort, das seiner sinnlichen Regentin
die Seelenruhe wiedergab, wird die Geschichte
noch nach Jahrtausenden in glüh'nden Lettern spiegeln!
O Flamenblut, erstarre nicht bei diesem Satz,
der unsere Väter noch im Grabe geißelt und den Kindern
im Mutterschoße schon das Schandmal auf die Stirne brennt:
Ce n'est qu'un tas de geux –
das ist nichts als ein Bettlerhaufen!
(Empörung im Volk)
1. Fischer (wild)
Fluch, ewige Verdammnis auf den Teufelskopf,
der eine Reinheit in den Schmutz zerrt, weil das Bett
ihn höher hebt als seine Ehre.
2. Fischer (wild)
Flandernsöhne!
Tragt ihr die Schmach mit Demut, seid ihr nicht
ein Volk, das Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit verdient.
Volk (wild)
Fluch über die Tyrannen! Wenn ein Volk
zur letzten Phase der Verzweiflung wird getrieben,
dann, Welt der eiligen Kritik, schließ deine Augen,
denn die Vergeltung Gottes steigt zur Erde: Fluch!
Jan (flammend)
Ist das ein Volk der Freiheit? Herr im Himmel,
könntst Du die Sprache Deiner Erde sprechen, donnergleich
erschütterte Dein ›Ja‹ die Welt in ihren Fugen.
Doch Freunde, soll der billige Despotenspott
uns ducken wie ein Hund, der schuldbewußt
die Peitsche seines Herrn erwartet? Nein, wir sind
doch Flamen, unser Stolz ist unser Diamant!
Aus Trotz geboren, mit dem Glauben neu geweiht,
steht jetzt der Flame an der Grenze als ein Geuse!
Ja, Bettler sind wir, aber nicht im Buhlerbett,
sondern vor Gott dem Herrn für unsre Freiheit!
2. Fischer (begeistert)
Der Name soll der Schild des Volkes sein –
Flandern, das Geusenreich, ist ein Fanfarenstoß!
Volk Als Geusen weihen wir die Waffen in der Schlacht,
als Geusen deckt uns uns're kühle Erde zu,
mit Geusenblut wird Flanderns Saat gedüngt,
als Geusen treten wir durchs Tor der Freiheit!
1. Fischer Jan Brahnis, Geusenfürst, – den höchsten Adel
verleiht das Volk Dir, weil es an Dich glaubt!
Volk Heil Jan, unsrem Führer! Heil Geusengeschlecht!
Jan (flammend)
Ballt eure Fäuste, in dem edlen Kampf
lenkt Gott die Wege, und der Schwache wird
zum Held, wenn er ihm Speer und Schild verleiht!
Schwer wird die Zeit und hoch das Opfer sein …
Volk (voll Glauben)
Und wenn die Erde aufbricht und mit Glut
die Menschheit geißelt, – Jan, an deiner Seite
verbrennen wir, – dein Volk hält aus! …

Im 3. Akt des Dramas trifft Jan seine Schwester Gudrid wieder, die nach der Eroberung Flanderns durch Spanier verschleppt worden war und die Jan tot glaubte. Gudrid hat bald zehn Jahre bei den verhaßten Spaniern zubringen müssen. Auf die Frage, was sie in diesen zehn Jahren habe durchmachen müssen, flüchtet sie sich zunächst ins Schweigen, beginnt aber dann doch zu reden:

Jan Fehlt dir der Mut zur Ehrlichkeit, hemmt
dich die Scheu vor dem, der eines Blutes
mit dir ist, fluch ich dem Schicksal,
daß es uns wiedersehen und nicht unerkannt,
fremd in der Ferne, sterben ließ. Leb wohl! (will gehen)
Gudrid (schreit auf) Jan! Bleib!
Jan (dreht sich um) Wir haben nichts gemeinsam.
Gudrid Verstehst du nicht …
Jan Die Wahrheit gilt
mir als der Adel in der Welt, nicht der
von außen aufgetragne Schein.
Gudrid So will
ich dir erzählen. Mit Geduld und Stärke
vernimm mein Schicksal und dann heb
den Fuß und stoß aus deiner lichten Nähe
die Dirne, die du Schwester nanntest.
Jan (entsetzt) Gudrid!
Hat die Erregung dich verwirrt?
Gudrid Hör zu:
(holt tief Atem und streicht über ihr langes Haar. Jan
kommt langsam näher)
Die letzte Fröhlichkeit, die wir als Kind
zu zweit genossen, war an jenem Tag, wo
du dem Vater bei der Feldarbeit die kleine
Hilfe deiner Arme botst. Zehn Jahre zähltest
du und warst – o die Erinnerung ist frisch! –
ein starker Junge. Plötzlich brauste im Galopp
ein Trupp zerfetzter Reiter durch das Feld und
schrie: »Der Spanier kommt, sucht Schutz
im festen Wall der Stadt« und raste fort,
nach Brüssel zu. Was ahnten wir die Schrecken,
die diesem Notschrei nachgezogen kamen? Schnell
liefen wir, den Pflug im Acker lassend, in
die Stadt, und hinter uns fiel polternd
dumpf das Tor ins Schloß, und höhnisch
begann das Gatter sein Gekreische, als es
in die Tiefe fiel. Mit Trotz und Wut nahm
Vater seine Waffen aus der Lade und verließ
das Haus. Da scholl der Hornruf von den
Wällen, und der Spanier sprengte vor das Tor
und schrie die Forderung der Übergabe, von
Bedingungen blieb stumm sein Mund. Ein
Schuß ließ ihn verstummen – das Signal
des Angriffs hatte unser Trotz gegeben.
Jan Nein,
der Glaube an den Sieg und an das Recht
hat unser Leben überstrahlt.
Gudrid O Jan,
erinnerst du dich, wie wir Kübel heißen
Wassers auf die Wälle schleiften und,
ahnungslos, welch' mörderischem Zweck
sie dienten, mit Vergnügen und mit Lachen
das kindliche Gemüt an diesem Spiel ergötzten?
Zwei Wochen voller Qual trug die Belagerung
uns Angst und Schrecken in das Herz. Zwei
lange, zwei endlos scheinende, in Ewigkeit
getauchte Wochen hielten wir die Stadt,
und wenn auch jeder seine Kraft
mit seinem Blut verrinnen sah, – wir hielten
aus, weil wir ein Volk von Flamen.
Ein Schrei – in einer Nacht – der Spanier
hat unsern Wall gesprengt mit zwanzig
Pulverfässern, – eine Bresche klafft in
der Mauer! Gott, o Herr hilf! Lahm vor Angst
sind wir empor zur Bodenkammer mit
unsrer kranken Mutter gewankt. Betend
sank jeder von uns in die Knie und flehte
nicht um sein Leben, sondern um die Gnade
für die Mutter, für den Vater, um Erbarmen,
und sie, die sich im Schmerz der Krankheit
krümmte, bat nur für ihre Kinder, betete
für uns. Da splitterte die Haustür, grauenvoll
erscholl das Haus von wilden Schreien wider,
man hörte Möbel krachen, Flüche, deren
Gräßlichkeit uns weiß die Wangen werden ließ.
Plötzlich stand Vater in der Tür, mit Blut
bespritzt, als habe er im Schlachthaus eine Kuh
geschlachtet, und sein wirrer Blick, sein Atem
war für die Mutter, nicht für uns, ein
Spiegel der Verzweiflung und des Endes. Laut
schrie Mutter auf, da polterte die Treppe,
und eine Horde Krieger, angeschoßnen Bestien
gleich, schob sich zu uns empor. Mit
seinem Leib hat Vater unsre Tür gedeckt,
sein Hieb traf Kopf auf Kopf, der ihm
zu nahe unter seine Arme lief. Und da – (weint) –
ein Spieß, von starker Hand geworfen,
durchbohrte seine Brust, und röchelnd
sank er zurück, den letzten Blick auf uns.
Da krachte eine Axt, und mittendurch
hat ihre Wucht den edlen Kopf gespalten.
Wir schrieen – (bedeckt die Augen mit den Händen)
– O Jan, Jan, laß
mich schweigen, die Erinnerung ist wie ein
Brand. Sie weckt den Wahnsinn!
Jan (wie aus Eis) Weiter!
Gudrid Ein Degen fuhr der Mutter in die weiße
Brust, dich griffen sie am blonden Haar
und schleiften dich durch Vaters Blut hinaus.
Doch mir, mit sechzehn Jahren, halb ein Kind
(schluchzt), riß man die Kleider, alles
von dem Leib, schlug mich in eine Ecke,
blutklebrige, behaarte Hände preßten mich
zu Boden und … O Jan, welch ein Geschenk
hat Gott den Menschen durch die gütige
Ohnmacht gegeben. Es war Nacht um mich.
Jan O, wie ein Feuer brennt es in der Brust,
das nie erlischt und ewig glüht, solang
das Herz noch schlägt! Noch weiß ich
alles, alles, alles! Ich weiß es noch, wie ich
um Hilfe schrie – so töricht war ich noch –,
wie ich mit meinen Füßen um mich trat
und zu dir wollte, dich beschützen! Ein Soldat
– Soldat, ein Tier war es! – mit höhn'schem
Grinsen in seiner Teufelsfratze, rief mir zu,
du seist in guter Hut, die Kraft
der Männer würde dir ein Paradies vorgaukeln.
Ich glaubte nichts, ich schrie, ich wollte
dich sehen, sprechen, doch ein Schlag
mit dem Musketenkolben, und die Sinne
verließen mich.
Gudrid In guter Hut? O Gott,
nie will ich mehr mit Kleid und Schuh mich schmücken,
nie Brot berühren, bettelnd mich ernähren,
als eine Stunde nur in solcher Hut
nochmals verbleiben. – Freiwild wurde ich
für Albas Söldner, mit dem ›Ehrentitel‹
der Marketenderin bedacht, die nachts
und oft auch tags wie eine Ware
sich für 'nen Silberling verkaufen mußte. Jeder
hatte ein verbrieftes Recht auf mich, denn
Flanderns Mädchen waren, wie die Offiziere
sagten, das staatlich zugelassene Bordell
für Albas Heer.
(Jan bedeckt das Gesicht mit den Händen)
Zuerst, noch ungewohnt
des wüsten Treibens, wehrte ich mit
Kratzen, Beißen meine Folterknechte ab, doch
wenn die Peitsche Blut aus meinem Körper
schlug, sank ich ins Stroh und schloß
die Augen. Warum seine Ehre, seine Unschuld
mit Trotz verweigern, wenn der Schmerz
den Menschen nachher zwingt zu tun, was
geschehen konnte ohne Blut?
Jan (stöhnt) O sterben,
sterben unter Qualen, nur die Schande nicht!
Gudrid Ich wollte leben, alles in mir schrie
nach Leben, weil der Glaube an
die Zukunft nicht erstickt war, sondern Stärke
und Mut zum stummen Dulden gab. Ich wollte
die Sonne wieder sehen, wollte jubeln, tanzen –
O ich war jung, jung, voller Hoffnung trotz
dem Schlamm, der meinen Leib entehrte. Nein,
ich schrie in stillen Nächten, wenn das Heer
im Kampf stand und mir Ruhe gönnte, dem
Zelt zu: Leben will ich, leben, leben, leben!
Das gab mir Kraft zu opfern und zu tragen.
Mit achtzehn Jahren kam ein Kind
auf diese sünd'ge Welt, ein Junge, schmächtig,
unansehnlich, da die Nahrung fehlte.
Den Vater – konnte ich ihn kennen, wo
jeder seine Spuren hinterließ? Was kümmerte
es mich – das Kind war nun geboren
und forderte die Mutterpflicht. Es war
ja nur ein Bastard, aber, ja, es war
ein Kind, mein Kind. Die Herkunft
sank mir zurück, ich hatte etwas,
das einmal meine Sprache, meine Seele,
meine Gedanken haben würd'. So dachte
ich. Zu dieser Zeit war ich im Zelt
des Hauptmanns Cabriliero eingezogen,
und nur …
Jan (ist bei diesem Namen aufgefahren und blickt Gudrid an)
Gudrid, entsinne dich:
Bareño della Cabriliero?!
Gudrid Kennst du ihn?
Jan Am Hofe zu Madrid war er
Oberst in Philipps Garde und mein Herr.
Gudrid Kaum hatte ich das Fieber der Geburt
mit Not und knappem Leben überstanden,
stieß er mich von sich, wie man einen Hund
mit einem Fußtritt aus der Hütte scheucht,
und schrie, ich Dirne sollte schnell
aus dem Bereich des Lagers kommen, oder
seine Truppen ließen mich Spießruten
laufen, samt dem Wechselbalg. Nun war
ich frei, frei von der Gier der Menschen.
Ich jubelte, ich jauchzte in die Luft,
frei, frei, frei! Wie wurde mir das Kind
so leicht im Arm, der vor Entkräftung
zitterte.
Jan Darin erkenne ich den Oberst.
Der Herr, dem zu Gefallen er die Ehre
zum Opfer brachte, forderte den Kopf. Er ist
vom König, wie ich hörte, durch das Schwert
zum Tod verurteilt worden, weil er mich in Spanien nicht
fesseln konnte. Er fiel, wie er gelebt – verachtet!
Gudrid Doch
nicht alles hörtest du. Leid geht nicht
so schnell in Freude über, wie ich dachte.
Schwach von den Qualen, mußte ich
das Kind und mich ernähren. Als ein
Bettelweib zog ich in Staub
der Straße eingehüllt, von Dorf zu Dorf,
von Ort zu Ort, durchquerte tote Länder,
verwüstet, abgebrannt, zerstört, versengt,
ein Grauen der Kultur – und in
dem Magen wühlte Hunger, auf dem Arm
schrie jener Wurm, der seine Reise
gleich mit dem Fluch begann. Verzweifelt
hielt ich oft inne, setzte mich am Rand
der Straße in den Staub, kühlte in
dem Bach, der meinen Weg durchquerte,
die blutverklebten Sohlen meiner Füße.
Ich hungerte, ich stöhnte, schrie mir zu:
»Warum die Qual, sei stark und mach
ein Ende! Dieses Kind, was geht es dich,
von fremdem Blute, an? Die Ausgeburt
der Schande, wirf es fort!« Und oft
wollt' ich im Wahnsinn es erwürgen.
Jan (stöhnt) O Gudrid! Gudrid!
Gudrid Und der Winter kam,
mit Unbarmherzigkeit schickt' er
die Stürme, Eis und Schnee, das weiße Leinen,
mir bald zum Leichentuch geworden.
Gehüllt in Lumpen, wehrlos jedem Sturm,
der Kälte preisgegeben, wankte ich
auf glatten Straßen, um die Füße
zerrissene Leinensäcke, einer beßren
Welt entgegen. Jetzt war das Sterben
mir lieber als das Leben, und ich sehnte
mich nach Licht des Jenseits, nach
dem Paradies. Doch an dem Mut,
freiwillig mich zu opfern, fehlte es.
Der Wind pfiff übers Flachland, dicht
gepreßt an meinen Körper hielt ich meinen
Knaben, damit die schwache Wärme meines Blutes
durch seine Haut ein wenig Leben trug.
Wie klirrte unter meinen blauen Füßen
der Frost der Straße, und im Arm
trug ich ein Bündel Fetzen, stöhnender
verfluchter Auswurf, den ich Kind benannte.
Auf eine Nacht voll Güte der Natur,
in der die Kälte nachließ und ich frohgesinnt
an eine Linderung des Leidens glaubte, folgte
ein Tag des Schneesturms, gräßlich, ohne
Mitleid für die preisgegebne Kreatur. Was
wollte Gott an mir bestrafen, was? Ich hatte
mich nicht selbst zur Heeresdirne
erniedrigt noch gedrängt – der Zwang
der Gier nach jungem, ungebrauchtem Fleisch
war mein Verhängnis, nicht die eigne Lust.
Was wollte Gott bestrafen?! Was? Das Kind,
mit jedem Zuge aus der engen Brust ein
Stöhnen, Röcheln in die Eisluft hauchend,
war zu erfroren, um den kleinen Mund
zu einem Schrei zu öffnen. »Nein«, rief ich,
»hast du schon das Leben, so behalte es,
nicht mir, nicht dir, dem Schicksal, dem
zum Trotz, der eine Welt geschaffen haben will
und dieses Leid mit Ruhe dulden kann! Zum
Trotz behalt den Rasselatem, zeige ihm,
daß auch der Mensch sein Schicksal zwingen
kann!« So rief ich, durch den Schmerz
verblendet, und lästerte den Gott, der mir
im Lager Albas allen Trost gegeben. Hin
zur Erde sank ich, in den tiefen Schnee, und
rieb den kleinen Körper ab, den Mund
hab ich geöffnet und den eignen Atem
ihm zwischen seine schmalen Lippen eingehaucht –
umsonst, vergeblich war die letzte Kraft:
Er starb, mein Junge, röchelte noch in
der Nacht in meinen zitterigen Armen
sein armes Leben aus – zwei Monde alt.
Da faßte mich nicht Trauer, nicht
der Gram, der den Verlust beweint, – nein,
wilder Schmerz, Verzweiflung, Fluch auf
diese Welt, auf dieses Leben, das dem Menschen
die Prüfung für das Paradies sein sollte!
Schrill lachte ich bei den Gedanken, scharrte
den Schnee fort, grub mit meinen Nägeln
so lange in die Erde, die der Frost
zu einer Eisenplatte schien gepreßt zu haben,
bis Blut aus meinen Fingern troff und
der Schmerz mich zur Vernunft rief. Mit
dem halben Messer eines Pfluges, der zerbrochen
am Feldweg lag, hab ich den Boden
mit Schweiß, der in der Kälte auf dem Rücken
fror, mühsam zu einer Grube aufgewühlt
und legte in das kärglich' Bett das Kind,
den kleinen, blaugefrornen Leichnam, hin
zur letzten Ruhe. Und da stieg ein wilder Drang,
ein Sehnen, eine heiße Flut vom Herzen
mir empor zur Kehle, und ein Schrei,
ein Schrei, der in der weißen Öde widertönte,
brach aus der Brust und gellte meinen Schmerz,
den letzten Fluch, die Bitte um Erlösung in
den Schnee. Dann schwanden mir die Sinne.
Jan (voll Schmerz)
O Gudrid! Gudrid! Armes Menschenkind! (hebt die Faust)
Nun, Spanien, hast du Rachsucht mich gelehrt!
Gudrid Jan, sei ein Held! Vergib ihm, denn die Jahre sind …
Jan Verzeihen? Niemals! Nie!
Gudrid Der Haß ist wie ein Feuer; in der Gegenwart
glüht es und lodert, gelbe Flammen zucken,
doch langsam sinkt es in sich selbst zurück,
und Zeit und Leben decken es
mit Asche des Vergessens zu, bis es erstickt.
Sei stark, Jan, – streiche dem Gedächtnis
das nur erzählte Leid der Schwester ab und
lebe für die Zukunft, nicht für das Vergangne.
Jan (hart) Vergeben kann ich, wenn es menschlich war.
Doch was unmenschlich in der Welt getan,
das kann ein Mensch nicht mehr vergeben!
Gudrid Vernimm den Ausgang, Bruder, und du wirst
der Tyrannei verzeihen wie auch ich.
Die Länge meiner Ohnmacht weiß ich nicht, jedoch
der Schnee, so fühlte ich, war wärmer als
die Fetzen, und ein wohliges Gefühl
durchrann den Körper, alles wurde leicht,
so leicht, so unbeschwert, als läge ich
auf einer Wolke, engelsgleich, und schwebte.
Da rüttelt mich ein harter Griff aus
meinem süßen Traum, ein junger Bauer
steht über mir und reibt mir mit
dem Schnee die Glieder. »Geht!« so rief ich,
»geht, und laßt mich sterben!« Aber er
versuchte nicht, mich umzustimmen, sondern nahm
mich wie ein Kind auf seinen Arm und wollte
mich dem Leben wiedergeben. »Ich will
sterben, sterben!« schrie ich, wehrte mich
und biß. »Warum reißt Ihr mich aus
dem Tod in dieses Leben, in die Hölle,
die man die Welt nennt, ungefragt zurück?!
Kennt Ihr nicht das Erbarmen? Jedes Tier,
ist es des Lebens müde, legt sich hin
und wartet auf das Ende. Darf der Mensch
nicht auch den Tod ersehnen! Laßt mich! Laßt!«
Doch er blieb fest und trug mich stumm
zu seinem kleinen Hof. – Nach Wochen
war ich genesen von dem schweren Fieber,
das mich am nächsten Tag befiel. Als
Magd versuchte ich, ihm seine Pflege
und seine Mühe um mein Leben zu entgelten,
und wenn auch oft der Schmerz mich
wieder packte, langsam senkte sich
Vergessen auf mein Herz und schloß die Wunden
mit Schorf und mit Zufriedenheit. Ich spürte
sein Mitleid bald in stille Neigung übergehn,
die aus dem Gernsehen eine tiefe Liebe machte.
Auch ich gewann ihn lieb, und als der Herbst
mich zwanzig Jahre zählen ließ, stand ich in einer kleinen
Kirche vor dem Traualter
und legte meine kleine Hand in seine,
durch Arbeit rauhgewordne. So erhielt
die Gudrid Brahnis ihren Ehenamen Fall.
Jan (erstaunt)
Fall? Sehr wenig flämisch klingt er mir.
Gudrid Er ist ein Deutscher. Seine Mutter war
Flämin, sein Vater ein Westfale.
Von ihnen erbte er die Kraft, die Treue
zur Erde und den Willen, frei zu sein,
um arbeitsam sein Leben zu gestalten.
Jan Weiß er dein Leid?
Gudrid Ich sagte alles.
Doch aber trat er nicht nach mir,
mit Liebe hat er Kummer und die Angst,
die Not, die mich verfolgte, mit Geduld ertränkt.
An seiner Seite lernte ich vergessen und vergeben –
das Leben, Jan, das Leben ist jetzt wieder schön.

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›… und die Nacht kennt kein Erbarmen‹:

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Sandra Prinsloo

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›Das Schloß der blauen Vögel‹: Klaus Kinski, Margaret Lee

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Rosalba Neri, Klaus Kinski, Margaret Lee

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›Der Geheimnisträger‹

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Eddi Arent, Theo Lingen, Walter Ullrich

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›Docteur Erika Werner‹: France Dougnac, François Darbon

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Leslie Caron

Konsalik läßt seinen Helden Jan, den Geusen, schließlich durch ein Exekutionskommando der Spanier sterben, nachdem er von einem ehemaligen Freund um klingender Münze willen verraten worden ist.

In einem Zwiegespräch mit dem die Exekution leitenden Leutnant Coruña erkennt Jan, daß dieser den Freiheitskampf der Flamen innerlich bejaht, so wie er sich auch gegen eine Okkupation seines eigenen Landes wenden würde. Prophetisch die Zukunft des befreiten Volkes vorwegschauend, nimmt Jan Abschied von der Welt:

Jan Gebt mir die Hand! Coruña,
schätzen lern' ich Spanien, steht Ihr nicht allein.
(beide drücken sich die Hand)
Ein Wunsch bedrängt mich.
Coruña Sprecht!
Noch schenkt die Dämmerung ein wenig Zeit.
Jan Im Kerker, in den grauenvollen Tagen,
das Leben zwischen feuchten Mauern zu verrennen,
fand in den letzten Stunden ich die Kraft,
dem Volke, dem ich opfre, meinen Wunsch,
mein Testament zu schreiben. Dieser Brief (zieht ihn aus der Hose)
nimmt Abschied von der Heimat, von den Freunden.
Leutnant, nehmt den letzten Willen
des Ketzers Jan an Euch, denn Euer Sinn
hat mir die nahe Bruderschaft gezeigt,
die meine Tat mit Eurem Wollen bindet.
Nehmt diesen Brief, mein letztes Wort, und
habt die Güte, Flanderns Volk mit ihm
nach meinem Tode zu beschenken.
Ehrt das Vertrauen, das ich in Euch setze.
Coruña (nimmt den Brief, fest)
Die Ehre als Soldat verpflichtet mich, den
Wunsch Euch zu erfüllen, doch mein Herz
wird mit Begeisterung die Botschaft in
die Hand der Flamen tragen. Sie ist heilig.
Jan Dank Euch, Coruña.
Coruña Meine Pflicht drängt mich!
Der Morgen dämmert, wenn die Sonne steigt – (stockt)
O Held von Flandern, heute fluche ich voll
Haß, daß ich ein Spanier bin!
Jan Tut Eure
Pflicht, auch sie ist Heiligtum des Menschen.
Nie ließ ich mich behindern, meine Pflicht
durch Lebensweichheit zu verzögern, ja, die
holde Schwester, die im Grab ich wähnte,
und die des Schicksals güt'ge Hand
mir wiederschenkte, trat ich in
den Staub, weil sie den Altar meiner Seele
nicht verstand – die Pflichterfüllung!
Coruña Euch steht ein Wunsch zu.
Jan Ihr tragt
den einzigsten im Gürtel – meinen Brief.
Coruña Er ist privat, vor dem Gesetz steht Euch
ein letzter Wille frei.
Jan Schenkt mir als letzte
Güte wenige Minuten der Besinnung.
Coruña Ihr seid bescheiden, weil Ihr edel seid.
(Jan blickt sich langsam um)
Jan Das ist die Welt! Gemäuer, Sand und Moos!
Wenn unsres Schicksals unergründliches Gesetz
uns gleich der Zauberfee des silberhellen Märchens
ein Lächeln schenkt, dann wiegt ein grüner Zweig
auch über den umgrenzten Mauern unseres Lebens,
wie hier der Baum mir einen Schimmer schwachen
Lebens der mir verschloßnen Erde deutet. Ja,
wie ein Graben Wasser um ein wehrhaftes
Kastell, umzieht Gemäuer unsere Daseinsqual,
beengt die Brust, behindert unsren angeborenen
und wilden Drang ins Weite, knebelt unsren
Geist und läßt ihn trauern in dem Allgemeinen!
(steigert sich immer mehr)
Nein! Höher, edler ist die Welt, zwingt sie
der Wille, sich das Leben zu gestalten.
Was kann des Mannes Seele höher adeln
als Kampf um Heimat, die Despoten
zum Spielball ihrer Irrsinnslaune treten?!
Was hebt ihn höher als das Opfer,
wenn aus dem Blut des eigenen gequälten
Körpers neues Leben sich erhebt? O wie
ein Funke göttlicher Berufung zuckt es uns
durch unsre Adern, leuchtet uns am Horizont
die Sonne in des Lebens dumpfe Nacht
und weckt das Glück wie Knospen zarter Frühlingsblumen!
(voll Glauben, erschüttert und mit jedem Wort die Zukunft beschwörend)
Jan Ich seh' sie an den Küsten stehn, wenn
unsres Meeres grüne Wogen donnergleich
sich an den hochgehäuften Deichen brechen,
wenn unsrer Mühlen Klappern sich vermischt
mit dem Gesang der jubelnd freien Herzen;
ich seh' die Großen unsres Reiches, von
dem Volk mit Lorbeer stolz bekränzt, durch
unsre Städte reiten, und der Glocken Klang
tönt in die freien Lande wie die Stimme Gottes!
Ich seh' das Banner über alle Meere fliegen,
die Saaten reifen, segensschwer den Boden –
ein Volk steht auf, besinnt sich seiner Kraft
und bricht die Fesseln fremder Tyrannei!
Und jenes große Reich, das nachbarlich
von Osten uns sich naht, ich sehe
sie, wie ihre Herzen sich vereinen, stark, treu
und mächtig, allem, was den Frieden stört,
die Spitze seiner Pfeile abzubrechen! –
(sich steigernd)
O Wonne, diese Zeit zu atmen, dieses Glück
der Völker in das Herz zu schreiben! Nie
wird die Erde mit dem höchsten Gut
der Menschheit kräftiger gesegnet sein,
als es die Zukunft glaubensfreudig an
das Firmament mit Flammenzeichen schreibt! –
(ekstatisch)
Dann steht das Blut auf, das vergossen,
doch nie gestorben war dem Angedenken;
dann werden wir, die namenlosen Toten
euch, unsren Brüdern, euer heil'ges Banner
im Sturme tragen, jedem Schritt voraus;
dann eilen wir, gehüllt in Wolkenschleier,
hoch über euch den Siegesbogen pflanzend in das Grün
des Lorbeers und der Friedenspalme! –
(laut, innig mit allem Gefühl)
Dem großen Volk setz ich zum Erbe
ein herrliches und reiches Land.
Lang ist der Kampf, doch ewig leuchtet
der Friede aus dem Blut der Zeit! –
(reißt das Hemd über der Brust auf. Zu den Soldaten)
Was zögert ihr? – Tut eure Pflicht!
Gebt Feuer, quält nicht eine freie Seele.
Doch nehmt am offnen Grab das stolze Wort,
daß eure Kugeln Flanderns Freiheitsfackeln wecken!
(Coruña hebt den Degen. Was er befiehlt, tun die Soldaten)
Coruña (laut) Achtung! – Legt an! (Trommelwirbel) – Gebt …
Feuer!
(Die Schüsse krachen. Jan fährt mit der Hand an die Brust)
Jan (laut) Heil Flandern …! (sinkt zusammen. Er ist tot)
(Unter dem Trommelwirbel tritt Coruña an die Leiche,
salutiert stumm, geht zu den Soldaten zurück, und unter Trommelwirbel zieht
das Exekutionskommando durch das Tor wieder ab. Die Szene bleibt leer, bis
die Trommel verklungen ist.)