Der unbekannte Konsalik
Entdeckungen im Privatarchiv des Autors
Heinz G. Konsalik ist von seiner Ausbildung her Dramaturg, also ein Mann des Theaters. Er studierte Theaterwissenschaft, stand selbst auf der Bühne, er lernte das Metier von Grund auf: angefangen vom Windmachen und der Erzeugung von Pferdegetrappel hinter den Kulissen über die schweren Übungen, wie man vor den Augen eines Publikums schlicht eine Treppe hinauf- und hinuntergeht, bis zum Fechten, Tanzen und Singen.
Konsalik war durchaus das, was man einen ›Theaterbesessenen‹ nennt. Es konnte nicht ausbleiben, daß er sich in diesen Jahren auch selbst als Bühnenautor versuchte. Schon mit 17 hatte er ja das obligatorische Griechendrama aller poetisch ambitionierten Halbwüchsigen verfaßt. Nun aber – er war mittlerweile 21 geworden – wandte er sich, von Goethes ›Egmont‹ und Schillers ›Wilhelm Teil‹ beeindruckt, der neueren Geschichte zu: ›Der Geuse‹, eine Tragödie aus der Zeit der Erhebung der Niederlande, wurde Zeugnis ernsthafteren Strebens nach Dramatiker-Lorbeer. Der Krieg, der nacheinander die Theater zerbombte, verhinderte die Aufführung dieser wie auch anderer Frühwerke. Sie verschwanden in Konsaliks Privatarchiv … aus dem Theatermann wurde in den Nachkriegsjahren der Romanschriftsteller, der internationale Bestsellerautor.
›Der Geuse‹, wie auch die übrigen etwa gleichzeitigen Stücke – darunter ein Renaissance-Schauspiel um Brunelleschi, den Erbauer der Florentiner Domkuppel – zeigen einen völlig anderen Konsalik, als wir ihn aus seinen Romanen kennen. Gewiß ist dem nicht zu widersprechen, was er selbst dazu meint: Diese Jugenddramen sind überholt, im Thema, in der Aussage, im Stil. Sie waren ›Kinder ihrer Zeit‹, und Konsalik war in diese Zeit hineingeboren und in ihr aufgewachsen. Immerhin gewähren sie interessante Aufschlüsse und runden das Bild eines Mannes ab, der bewußt den Weg statt in die ›hohe Dichtung‹ in die populäre, breitenwirksame Produktivität des ›Volksschriftstellers‹ wählte. Vielleicht ist es auch nicht ohne Reiz, zu spekulieren, was aus diesem auf so unverwechselbare Weise zu Weltruhm gelangten Autor geworden wäre, hätte er die Weichen damals anders gestellt.
Szenen aus ›Der Geuse‹
Die ›Geusen‹ haben beschlossen, sich gegen Spanien, das Flandern und die Niederlande besetzt hält und unterdrückt, zu erheben, und Jan Brahnis zu ihrem Anführer gewählt. Sie kommen nächtlicherweile in einer abgelegenen Küstengegend zusammen, um Jans große Rede an das Volk zu hören:
(Auf dem freien Platz zwischen den Hütten und dem Deich stehen die Fischer. Spaler steht mit dem 1. und 2. Fischer in Unterhaltung im Vordergrund)
1. Fischer | Was wollt Ihr? |
2. Fischer | Warum ruft Ihr uns zusammen? |
1. Fischer | Die Nachtluft kennen wir und auch den Wind, |
der uns die Zunge salzig macht. | |
2. Fischer | Im warmen Bett |
ruhn sich die Knochen lieber aus als in der | |
Kälte der Seenacht. | |
1. Fischer | Unser Brot ist sauer |
vom Schweiß, den es uns kostet. | |
Spaler | Männer, könnt |
ihr noch an Ruhe denken, wenn die Heimat ruft? | |
1. Fischer | (dumpf) Heimat? Das Wort ist uns verboten. |
2. Fischer | Spaniens Söldnern |
geht die Muskete leicht nach vorne los. Die Bäume | |
sind nicht mehr hoch genug, um all die Körper, | |
die an die Heimat dachten, noch zu tragen. | |
Spaler | Um das Leben, |
um Frieden … | |
1. Fischer | (bitter) Frieden! Ein banales Wort in Flandern: |
Ja, vor Jahrzehnten, als die Kirchenglocken | |
uns jeden Sonntag in die Seele riefen: | |
»Seht, Brüder, wie die Sonne euch beglückt | |
mit Gold und Leben, seht die reiche Frucht, | |
die sich voll kräft'ger Schwere zu der Erde neigt, | |
weil ihre eigenen Halme sie nicht tragen können. Seht, | |
welches Jauchzen in den Lüften jubiliert; ein Volk | |
ist von dem Glück gesegnet, von der Menschheit höchstem | |
dem Frieden eines Herzens in der schönen Heimat!« – | |
Jetzt ist das Stöhnen unsere Musik, das Peitschenknallen | |
der welschen Offiziere unser Glockenklang. Anstatt | |
in Andacht seinen Kirchenstuhl drückt jetzt der Gläubige | |
die Folterbank. Der Glaube uns'rer Ahnen wird zertreten, | |
die päpstliche Tiara soll der Glaube sein, doch nie, | |
nie beugt ein Flame vor dem Königsthron sein Haupt, | |
wenn dieser Thron in Spanien steht und nicht in Flandern. | |
2. Fischer | (erstaunt) |
Und Ihr wollt uns die Freiheit schenken. Ihr? Ein Mann, | |
allein, bekannt wohl, aber nicht berühmt? | |
Spaler | Was ist |
der Name von Gewicht, wenn die Idee den Staat | |
baut? Unbekannt ist öfters besser als zu gut gekannt! | |
2. Fischer | Was warten wir? |
1. Fischer | (zieht die Schulter ein) Mir wird es kühl im Rock. |
Spaler | In einer Stunde hat das Herz ihn warm geschlagen. |
(blickt zum Deich) | |
Da, seht –! Da ist er! Jan! | |
1. Fischer | (spöttelnd) Noch jung! Ein Knabe! |
(Plötzlich ist Jan oben auf dem Deich erschienen und | |
steht hochaufgerichtet im Mondlicht. Das Volk | |
drängt sich enger zusammen und an den Deich heran. | |
Langsam hebt Jan die Hand, Ruhe tritt ein) | |
Jan | (klar und hell) |
Freunde, Flandernsöhne, meine Brüder! – An | |
der Asche unsrer Heimat weint ein ganzes Volk. Die | |
Freiheit, mit deren Blütenkranz sich uns're Ahnen schmückten, | |
liegt nun gefesselt, vergewaltigt in der Höhle fremder Macht. | |
(kommt in Glut) | |
Geknebelt ist sie, nicht gestorben, denn das Blut | |
rollt frei in unsren Adern oder tränkte Flanderns Boden. | |
Ich will zu euch nicht vom Vergangnen sprechen, | |
der Blutdunst dringt noch warm in unsre Nasen, | |
zu grausam war des Schicksals harte Prüfung mit | |
Flanderns unschuldigem Glück. Pompejis Untergang | |
durch des Vesuves glüh'nden Aschenregen war eine | |
Katastrophe der Natur. In Flandern aber, in dem Blut erstickt, | |
im Mord gemordet jegliches Gefühl, war es der Zeiten | |
größtes Greuel: der Untergang des menschlichen Gefühls! | |
Die Gegenwart ist dumpfe Schwere, ist Erleiden, | |
ist Seufzen, Zähneknirschen und geballte Fäuste, | |
sie leben wir, – der Sprache ist sie nicht mehr wert. | |
Die Zukunft aber, jene ferne, glückerfüllte Welt, | |
die uns der Glaube in den stillen Stunden herabbeschwört | |
vom himmlischen Gewölbe, ist unser Trost. Was soll | |
der Mensch, wenn seine Freiheit man ihm raubte, | |
man ihn mit der Tyrannei zur Arbeit treibt, wenn jeder | |
Bissen Brot und jeder Wassertrunk das Blut der Toten | |
um den Staat uns widerspiegelt und ihre Mörder | |
am Tische sitzen mit gespreizten Beinen und als Herr | |
der tausendjähr'gen Scholle uns erpressen? | |
1. Fischer | (wild) Mit dem Beil |
zieh ich ihm seinen Scheitel nach! | |
Volk | (dumpf) Mit Blut |
sühnt man das Blut der Toten nur! | |
Jan | Wir sind |
ein Christenvolk! Nicht Grausamkeit ist unsre Sprache, | |
Gerechtigkeit steht auf der Fahne eines Volks, | |
an dem die Knechtschaft saugt gleich einem Egel. – | |
(etwas ruhiger) | |
Ihr wollt nicht Worte hören, sondern Taten sehen! | |
Freiheit wollt ihr erringen, Frieden, Gleichberechtigung | |
im Raum der andern, neiderfüllten Welt. Mit Brüderschaft | |
wollt ihr den neuen Staat in eine Ewigkeit und Größe | |
bauen und die bodenständige Kultur, das Erbe | |
seit Jahrhunderten im Herzen eurer Enkel wahren! | |
Nicht nur ein Schlagwort werfe ich euch hin, nicht | |
nur ein Hohlgefäß der wortgeschwellten Theorie, in das, | |
gleich wie der Küfer in das Faß den Wein, ihr euer Blut | |
verröchelnd laufen lasst, damit ein Sinn die Leere | |
des Gefäßes fülle. Nein, der Glaube an das Volk, | |
die Treue zu dem Werke eines Herzens und das Opfer | |
für die Nation erringen jenes Glück, das noch | |
im Himmel, in der Zukunft thront. Und nur der Glaube | |
an seine eigne Kraft reißt sie hinab zur Erde. | |
2. Fischer | (entflammt) |
Wir wollen keine Knechtschaft mehr! | |
Volk | Frei woll'n wir sein. |
1. Fischer | (feurig) |
Die Leiden des Jahrhunderts trugen wir, | |
die Zähne bissen wir zusammen, in den Flammen | |
der eignen Häuser schürten wir die innre Glut, | |
doch jetzt schreit unser Herz, das lang bezähmte, | |
das Wort, das in der Kehle würgt: Es ist genug! | |
Volk | (glühend) |
Es ist genug! Die Freiheit wollen wir! | |
Wenn der Tyrannen Macht zum Wahnsinn wächst, | |
wenn statt der Herrschaft Mord im Land regiert, | |
wenn man das eigne Leben schützt mit blanker Klinge | |
und im Verhungern eine Gnade sehen muß, | |
dann greift das Volk zur Waffe, und mit Blut | |
holt es sich, was im Blut ertrank: das Recht! … | |
Wir wollen Brüder sein, denn eine Mutter | |
ernährt uns seit Jahrhunderten: die Heimat. | |
Was gilt uns Geld, was kümmert uns der Name, | |
uns ist der Bettler gleich lieb wie der Graf, | |
wenn er versteht, das eine Wort zu sagen: Bruder. | |
2. Fischer | (wild) |
Das Meer ist unser Herz, der Boden unser Brot, | |
die blühende Natur nahm uns'ren Frohsinn ein, – | |
man hat sie uns gestohlen, Meer, Boden und Natur – | |
wie kann ein Volk noch leben, dem man dieses nahm?! | |
Jan | O Brüder, der Tyrannen Macht ist eitler Spott, |
wenn unsichtbar der Thron wankt und durch Hohn | |
man sich das Selbstbewußtsein wiederzuerringen sucht! | |
Graf Brederode, Flanderns ungekrönter Fürst, hat | |
mit dem Edelsinn der Freiheit einen Schritt gewagt, | |
der ihn nach Brüssel zu der spanischen Regentin trug. | |
Des Königs Schwester Margarete, die den Herrscherwahn | |
und Blutrausch ihres Bruders in der Form der Buhlerei | |
und des Sadismus erbte, fand auf seine Bitte, | |
daß die Tortur aus Flandern man verbanne, nur ein Lächeln, | |
und fand den Ernst so lustig wie ihr Dirnenbett. | |
Ein Höfling, der die schnell gereichte Gunst zum | |
Aufstieg nutzte – Graf von Barlaimont – sah in dem Gang, | |
der Flanderns Joch erleichtern sollte, eine Schmach | |
für Spanien. Sein Wort, das seiner sinnlichen Regentin | |
die Seelenruhe wiedergab, wird die Geschichte | |
noch nach Jahrtausenden in glüh'nden Lettern spiegeln! | |
O Flamenblut, erstarre nicht bei diesem Satz, | |
der unsere Väter noch im Grabe geißelt und den Kindern | |
im Mutterschoße schon das Schandmal auf die Stirne brennt: | |
Ce n'est qu'un tas de geux – | |
das ist nichts als ein Bettlerhaufen! | |
(Empörung im Volk) | |
1. Fischer | (wild) |
Fluch, ewige Verdammnis auf den Teufelskopf, | |
der eine Reinheit in den Schmutz zerrt, weil das Bett | |
ihn höher hebt als seine Ehre. | |
2. Fischer | (wild) |
Flandernsöhne! | |
Tragt ihr die Schmach mit Demut, seid ihr nicht | |
ein Volk, das Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit verdient. | |
Volk | (wild) |
Fluch über die Tyrannen! Wenn ein Volk | |
zur letzten Phase der Verzweiflung wird getrieben, | |
dann, Welt der eiligen Kritik, schließ deine Augen, | |
denn die Vergeltung Gottes steigt zur Erde: Fluch! | |
Jan | (flammend) |
Ist das ein Volk der Freiheit? Herr im Himmel, | |
könntst Du die Sprache Deiner Erde sprechen, donnergleich | |
erschütterte Dein ›Ja‹ die Welt in ihren Fugen. | |
Doch Freunde, soll der billige Despotenspott | |
uns ducken wie ein Hund, der schuldbewußt | |
die Peitsche seines Herrn erwartet? Nein, wir sind | |
doch Flamen, unser Stolz ist unser Diamant! | |
Aus Trotz geboren, mit dem Glauben neu geweiht, | |
steht jetzt der Flame an der Grenze als ein Geuse! | |
Ja, Bettler sind wir, aber nicht im Buhlerbett, | |
sondern vor Gott dem Herrn für unsre Freiheit! | |
2. Fischer | (begeistert) |
Der Name soll der Schild des Volkes sein – | |
Flandern, das Geusenreich, ist ein Fanfarenstoß! | |
Volk | Als Geusen weihen wir die Waffen in der Schlacht, |
als Geusen deckt uns uns're kühle Erde zu, | |
mit Geusenblut wird Flanderns Saat gedüngt, | |
als Geusen treten wir durchs Tor der Freiheit! | |
1. Fischer | Jan Brahnis, Geusenfürst, – den höchsten Adel |
verleiht das Volk Dir, weil es an Dich glaubt! | |
Volk | Heil Jan, unsrem Führer! Heil Geusengeschlecht! |
Jan | (flammend) |
Ballt eure Fäuste, in dem edlen Kampf | |
lenkt Gott die Wege, und der Schwache wird | |
zum Held, wenn er ihm Speer und Schild verleiht! | |
Schwer wird die Zeit und hoch das Opfer sein … | |
Volk | (voll Glauben) |
Und wenn die Erde aufbricht und mit Glut | |
die Menschheit geißelt, – Jan, an deiner Seite | |
verbrennen wir, – dein Volk hält aus! … |
Im 3. Akt des Dramas trifft Jan seine Schwester Gudrid wieder, die nach der Eroberung Flanderns durch Spanier verschleppt worden war und die Jan tot glaubte. Gudrid hat bald zehn Jahre bei den verhaßten Spaniern zubringen müssen. Auf die Frage, was sie in diesen zehn Jahren habe durchmachen müssen, flüchtet sie sich zunächst ins Schweigen, beginnt aber dann doch zu reden:
Jan | Fehlt dir der Mut zur Ehrlichkeit, hemmt |
dich die Scheu vor dem, der eines Blutes | |
mit dir ist, fluch ich dem Schicksal, | |
daß es uns wiedersehen und nicht unerkannt, | |
fremd in der Ferne, sterben ließ. Leb wohl! (will gehen) | |
Gudrid | (schreit auf) Jan! Bleib! |
Jan | (dreht sich um) Wir haben nichts gemeinsam. |
Gudrid | Verstehst du nicht … |
Jan | Die Wahrheit gilt |
mir als der Adel in der Welt, nicht der | |
von außen aufgetragne Schein. | |
Gudrid | So will |
ich dir erzählen. Mit Geduld und Stärke | |
vernimm mein Schicksal und dann heb | |
den Fuß und stoß aus deiner lichten Nähe | |
die Dirne, die du Schwester nanntest. | |
Jan | (entsetzt) Gudrid! |
Hat die Erregung dich verwirrt? | |
Gudrid | Hör zu: |
(holt tief Atem und streicht über ihr langes Haar. Jan | |
kommt langsam näher) | |
Die letzte Fröhlichkeit, die wir als Kind | |
zu zweit genossen, war an jenem Tag, wo | |
du dem Vater bei der Feldarbeit die kleine | |
Hilfe deiner Arme botst. Zehn Jahre zähltest | |
du und warst – o die Erinnerung ist frisch! – | |
ein starker Junge. Plötzlich brauste im Galopp | |
ein Trupp zerfetzter Reiter durch das Feld und | |
schrie: »Der Spanier kommt, sucht Schutz | |
im festen Wall der Stadt« und raste fort, | |
nach Brüssel zu. Was ahnten wir die Schrecken, | |
die diesem Notschrei nachgezogen kamen? Schnell | |
liefen wir, den Pflug im Acker lassend, in | |
die Stadt, und hinter uns fiel polternd | |
dumpf das Tor ins Schloß, und höhnisch | |
begann das Gatter sein Gekreische, als es | |
in die Tiefe fiel. Mit Trotz und Wut nahm | |
Vater seine Waffen aus der Lade und verließ | |
das Haus. Da scholl der Hornruf von den | |
Wällen, und der Spanier sprengte vor das Tor | |
und schrie die Forderung der Übergabe, von | |
Bedingungen blieb stumm sein Mund. Ein | |
Schuß ließ ihn verstummen – das Signal | |
des Angriffs hatte unser Trotz gegeben. | |
Jan | Nein, |
der Glaube an den Sieg und an das Recht | |
hat unser Leben überstrahlt. | |
Gudrid | O Jan, |
erinnerst du dich, wie wir Kübel heißen | |
Wassers auf die Wälle schleiften und, | |
ahnungslos, welch' mörderischem Zweck | |
sie dienten, mit Vergnügen und mit Lachen | |
das kindliche Gemüt an diesem Spiel ergötzten? | |
Zwei Wochen voller Qual trug die Belagerung | |
uns Angst und Schrecken in das Herz. Zwei | |
lange, zwei endlos scheinende, in Ewigkeit | |
getauchte Wochen hielten wir die Stadt, | |
und wenn auch jeder seine Kraft | |
mit seinem Blut verrinnen sah, – wir hielten | |
aus, weil wir ein Volk von Flamen. | |
Ein Schrei – in einer Nacht – der Spanier | |
hat unsern Wall gesprengt mit zwanzig | |
Pulverfässern, – eine Bresche klafft in | |
der Mauer! Gott, o Herr hilf! Lahm vor Angst | |
sind wir empor zur Bodenkammer mit | |
unsrer kranken Mutter gewankt. Betend | |
sank jeder von uns in die Knie und flehte | |
nicht um sein Leben, sondern um die Gnade | |
für die Mutter, für den Vater, um Erbarmen, | |
und sie, die sich im Schmerz der Krankheit | |
krümmte, bat nur für ihre Kinder, betete | |
für uns. Da splitterte die Haustür, grauenvoll | |
erscholl das Haus von wilden Schreien wider, | |
man hörte Möbel krachen, Flüche, deren | |
Gräßlichkeit uns weiß die Wangen werden ließ. | |
Plötzlich stand Vater in der Tür, mit Blut | |
bespritzt, als habe er im Schlachthaus eine Kuh | |
geschlachtet, und sein wirrer Blick, sein Atem | |
war für die Mutter, nicht für uns, ein | |
Spiegel der Verzweiflung und des Endes. Laut | |
schrie Mutter auf, da polterte die Treppe, | |
und eine Horde Krieger, angeschoßnen Bestien | |
gleich, schob sich zu uns empor. Mit | |
seinem Leib hat Vater unsre Tür gedeckt, | |
sein Hieb traf Kopf auf Kopf, der ihm | |
zu nahe unter seine Arme lief. Und da – (weint) – | |
ein Spieß, von starker Hand geworfen, | |
durchbohrte seine Brust, und röchelnd | |
sank er zurück, den letzten Blick auf uns. | |
Da krachte eine Axt, und mittendurch | |
hat ihre Wucht den edlen Kopf gespalten. | |
Wir schrieen – (bedeckt die Augen mit den Händen) | |
– O Jan, Jan, laß | |
mich schweigen, die Erinnerung ist wie ein | |
Brand. Sie weckt den Wahnsinn! | |
Jan | (wie aus Eis) Weiter! |
Gudrid | Ein Degen fuhr der Mutter in die weiße |
Brust, dich griffen sie am blonden Haar | |
und schleiften dich durch Vaters Blut hinaus. | |
Doch mir, mit sechzehn Jahren, halb ein Kind | |
(schluchzt), riß man die Kleider, alles | |
von dem Leib, schlug mich in eine Ecke, | |
blutklebrige, behaarte Hände preßten mich | |
zu Boden und … O Jan, welch ein Geschenk | |
hat Gott den Menschen durch die gütige | |
Ohnmacht gegeben. Es war Nacht um mich. | |
Jan | O, wie ein Feuer brennt es in der Brust, |
das nie erlischt und ewig glüht, solang | |
das Herz noch schlägt! Noch weiß ich | |
alles, alles, alles! Ich weiß es noch, wie ich | |
um Hilfe schrie – so töricht war ich noch –, | |
wie ich mit meinen Füßen um mich trat | |
und zu dir wollte, dich beschützen! Ein Soldat | |
– Soldat, ein Tier war es! – mit höhn'schem | |
Grinsen in seiner Teufelsfratze, rief mir zu, | |
du seist in guter Hut, die Kraft | |
der Männer würde dir ein Paradies vorgaukeln. | |
Ich glaubte nichts, ich schrie, ich wollte | |
dich sehen, sprechen, doch ein Schlag | |
mit dem Musketenkolben, und die Sinne | |
verließen mich. | |
Gudrid | In guter Hut? O Gott, |
nie will ich mehr mit Kleid und Schuh mich schmücken, | |
nie Brot berühren, bettelnd mich ernähren, | |
als eine Stunde nur in solcher Hut | |
nochmals verbleiben. – Freiwild wurde ich | |
für Albas Söldner, mit dem ›Ehrentitel‹ | |
der Marketenderin bedacht, die nachts | |
und oft auch tags wie eine Ware | |
sich für 'nen Silberling verkaufen mußte. Jeder | |
hatte ein verbrieftes Recht auf mich, denn | |
Flanderns Mädchen waren, wie die Offiziere | |
sagten, das staatlich zugelassene Bordell | |
für Albas Heer. | |
(Jan bedeckt das Gesicht mit den Händen) | |
Zuerst, noch ungewohnt | |
des wüsten Treibens, wehrte ich mit | |
Kratzen, Beißen meine Folterknechte ab, doch | |
wenn die Peitsche Blut aus meinem Körper | |
schlug, sank ich ins Stroh und schloß | |
die Augen. Warum seine Ehre, seine Unschuld | |
mit Trotz verweigern, wenn der Schmerz | |
den Menschen nachher zwingt zu tun, was | |
geschehen konnte ohne Blut? | |
Jan | (stöhnt) O sterben, |
sterben unter Qualen, nur die Schande nicht! | |
Gudrid | Ich wollte leben, alles in mir schrie |
nach Leben, weil der Glaube an | |
die Zukunft nicht erstickt war, sondern Stärke | |
und Mut zum stummen Dulden gab. Ich wollte | |
die Sonne wieder sehen, wollte jubeln, tanzen – | |
O ich war jung, jung, voller Hoffnung trotz | |
dem Schlamm, der meinen Leib entehrte. Nein, | |
ich schrie in stillen Nächten, wenn das Heer | |
im Kampf stand und mir Ruhe gönnte, dem | |
Zelt zu: Leben will ich, leben, leben, leben! | |
Das gab mir Kraft zu opfern und zu tragen. | |
Mit achtzehn Jahren kam ein Kind | |
auf diese sünd'ge Welt, ein Junge, schmächtig, | |
unansehnlich, da die Nahrung fehlte. | |
Den Vater – konnte ich ihn kennen, wo | |
jeder seine Spuren hinterließ? Was kümmerte | |
es mich – das Kind war nun geboren | |
und forderte die Mutterpflicht. Es war | |
ja nur ein Bastard, aber, ja, es war | |
ein Kind, mein Kind. Die Herkunft | |
sank mir zurück, ich hatte etwas, | |
das einmal meine Sprache, meine Seele, | |
meine Gedanken haben würd'. So dachte | |
ich. Zu dieser Zeit war ich im Zelt | |
des Hauptmanns Cabriliero eingezogen, | |
und nur … | |
Jan | (ist bei diesem Namen aufgefahren und blickt Gudrid an) |
Gudrid, entsinne dich: | |
Bareño della Cabriliero?! | |
Gudrid | Kennst du ihn? |
Jan | Am Hofe zu Madrid war er |
Oberst in Philipps Garde und mein Herr. | |
Gudrid | Kaum hatte ich das Fieber der Geburt |
mit Not und knappem Leben überstanden, | |
stieß er mich von sich, wie man einen Hund | |
mit einem Fußtritt aus der Hütte scheucht, | |
und schrie, ich Dirne sollte schnell | |
aus dem Bereich des Lagers kommen, oder | |
seine Truppen ließen mich Spießruten | |
laufen, samt dem Wechselbalg. Nun war | |
ich frei, frei von der Gier der Menschen. | |
Ich jubelte, ich jauchzte in die Luft, | |
frei, frei, frei! Wie wurde mir das Kind | |
so leicht im Arm, der vor Entkräftung | |
zitterte. | |
Jan | Darin erkenne ich den Oberst. |
Der Herr, dem zu Gefallen er die Ehre | |
zum Opfer brachte, forderte den Kopf. Er ist | |
vom König, wie ich hörte, durch das Schwert | |
zum Tod verurteilt worden, weil er mich in Spanien nicht | |
fesseln konnte. Er fiel, wie er gelebt – verachtet! | |
Gudrid | Doch |
nicht alles hörtest du. Leid geht nicht | |
so schnell in Freude über, wie ich dachte. | |
Schwach von den Qualen, mußte ich | |
das Kind und mich ernähren. Als ein | |
Bettelweib zog ich in Staub | |
der Straße eingehüllt, von Dorf zu Dorf, | |
von Ort zu Ort, durchquerte tote Länder, | |
verwüstet, abgebrannt, zerstört, versengt, | |
ein Grauen der Kultur – und in | |
dem Magen wühlte Hunger, auf dem Arm | |
schrie jener Wurm, der seine Reise | |
gleich mit dem Fluch begann. Verzweifelt | |
hielt ich oft inne, setzte mich am Rand | |
der Straße in den Staub, kühlte in | |
dem Bach, der meinen Weg durchquerte, | |
die blutverklebten Sohlen meiner Füße. | |
Ich hungerte, ich stöhnte, schrie mir zu: | |
»Warum die Qual, sei stark und mach | |
ein Ende! Dieses Kind, was geht es dich, | |
von fremdem Blute, an? Die Ausgeburt | |
der Schande, wirf es fort!« Und oft | |
wollt' ich im Wahnsinn es erwürgen. | |
Jan | (stöhnt) O Gudrid! Gudrid! |
Gudrid | Und der Winter kam, |
mit Unbarmherzigkeit schickt' er | |
die Stürme, Eis und Schnee, das weiße Leinen, | |
mir bald zum Leichentuch geworden. | |
Gehüllt in Lumpen, wehrlos jedem Sturm, | |
der Kälte preisgegeben, wankte ich | |
auf glatten Straßen, um die Füße | |
zerrissene Leinensäcke, einer beßren | |
Welt entgegen. Jetzt war das Sterben | |
mir lieber als das Leben, und ich sehnte | |
mich nach Licht des Jenseits, nach | |
dem Paradies. Doch an dem Mut, | |
freiwillig mich zu opfern, fehlte es. | |
Der Wind pfiff übers Flachland, dicht | |
gepreßt an meinen Körper hielt ich meinen | |
Knaben, damit die schwache Wärme meines Blutes | |
durch seine Haut ein wenig Leben trug. | |
Wie klirrte unter meinen blauen Füßen | |
der Frost der Straße, und im Arm | |
trug ich ein Bündel Fetzen, stöhnender | |
verfluchter Auswurf, den ich Kind benannte. | |
Auf eine Nacht voll Güte der Natur, | |
in der die Kälte nachließ und ich frohgesinnt | |
an eine Linderung des Leidens glaubte, folgte | |
ein Tag des Schneesturms, gräßlich, ohne | |
Mitleid für die preisgegebne Kreatur. Was | |
wollte Gott an mir bestrafen, was? Ich hatte | |
mich nicht selbst zur Heeresdirne | |
erniedrigt noch gedrängt – der Zwang | |
der Gier nach jungem, ungebrauchtem Fleisch | |
war mein Verhängnis, nicht die eigne Lust. | |
Was wollte Gott bestrafen?! Was? Das Kind, | |
mit jedem Zuge aus der engen Brust ein | |
Stöhnen, Röcheln in die Eisluft hauchend, | |
war zu erfroren, um den kleinen Mund | |
zu einem Schrei zu öffnen. »Nein«, rief ich, | |
»hast du schon das Leben, so behalte es, | |
nicht mir, nicht dir, dem Schicksal, dem | |
zum Trotz, der eine Welt geschaffen haben will | |
und dieses Leid mit Ruhe dulden kann! Zum | |
Trotz behalt den Rasselatem, zeige ihm, | |
daß auch der Mensch sein Schicksal zwingen | |
kann!« So rief ich, durch den Schmerz | |
verblendet, und lästerte den Gott, der mir | |
im Lager Albas allen Trost gegeben. Hin | |
zur Erde sank ich, in den tiefen Schnee, und | |
rieb den kleinen Körper ab, den Mund | |
hab ich geöffnet und den eignen Atem | |
ihm zwischen seine schmalen Lippen eingehaucht – | |
umsonst, vergeblich war die letzte Kraft: | |
Er starb, mein Junge, röchelte noch in | |
der Nacht in meinen zitterigen Armen | |
sein armes Leben aus – zwei Monde alt. | |
Da faßte mich nicht Trauer, nicht | |
der Gram, der den Verlust beweint, – nein, | |
wilder Schmerz, Verzweiflung, Fluch auf | |
diese Welt, auf dieses Leben, das dem Menschen | |
die Prüfung für das Paradies sein sollte! | |
Schrill lachte ich bei den Gedanken, scharrte | |
den Schnee fort, grub mit meinen Nägeln | |
so lange in die Erde, die der Frost | |
zu einer Eisenplatte schien gepreßt zu haben, | |
bis Blut aus meinen Fingern troff und | |
der Schmerz mich zur Vernunft rief. Mit | |
dem halben Messer eines Pfluges, der zerbrochen | |
am Feldweg lag, hab ich den Boden | |
mit Schweiß, der in der Kälte auf dem Rücken | |
fror, mühsam zu einer Grube aufgewühlt | |
und legte in das kärglich' Bett das Kind, | |
den kleinen, blaugefrornen Leichnam, hin | |
zur letzten Ruhe. Und da stieg ein wilder Drang, | |
ein Sehnen, eine heiße Flut vom Herzen | |
mir empor zur Kehle, und ein Schrei, | |
ein Schrei, der in der weißen Öde widertönte, | |
brach aus der Brust und gellte meinen Schmerz, | |
den letzten Fluch, die Bitte um Erlösung in | |
den Schnee. Dann schwanden mir die Sinne. | |
Jan | (voll Schmerz) |
O Gudrid! Gudrid! Armes Menschenkind! (hebt die Faust) | |
Nun, Spanien, hast du Rachsucht mich gelehrt! | |
Gudrid | Jan, sei ein Held! Vergib ihm, denn die Jahre sind … |
Jan | Verzeihen? Niemals! Nie! |
Gudrid | Der Haß ist wie ein Feuer; in der Gegenwart |
glüht es und lodert, gelbe Flammen zucken, | |
doch langsam sinkt es in sich selbst zurück, | |
und Zeit und Leben decken es | |
mit Asche des Vergessens zu, bis es erstickt. | |
Sei stark, Jan, – streiche dem Gedächtnis | |
das nur erzählte Leid der Schwester ab und | |
lebe für die Zukunft, nicht für das Vergangne. | |
Jan | (hart) Vergeben kann ich, wenn es menschlich war. |
Doch was unmenschlich in der Welt getan, | |
das kann ein Mensch nicht mehr vergeben! | |
Gudrid | Vernimm den Ausgang, Bruder, und du wirst |
der Tyrannei verzeihen wie auch ich. | |
Die Länge meiner Ohnmacht weiß ich nicht, jedoch | |
der Schnee, so fühlte ich, war wärmer als | |
die Fetzen, und ein wohliges Gefühl | |
durchrann den Körper, alles wurde leicht, | |
so leicht, so unbeschwert, als läge ich | |
auf einer Wolke, engelsgleich, und schwebte. | |
Da rüttelt mich ein harter Griff aus | |
meinem süßen Traum, ein junger Bauer | |
steht über mir und reibt mir mit | |
dem Schnee die Glieder. »Geht!« so rief ich, | |
»geht, und laßt mich sterben!« Aber er | |
versuchte nicht, mich umzustimmen, sondern nahm | |
mich wie ein Kind auf seinen Arm und wollte | |
mich dem Leben wiedergeben. »Ich will | |
sterben, sterben!« schrie ich, wehrte mich | |
und biß. »Warum reißt Ihr mich aus | |
dem Tod in dieses Leben, in die Hölle, | |
die man die Welt nennt, ungefragt zurück?! | |
Kennt Ihr nicht das Erbarmen? Jedes Tier, | |
ist es des Lebens müde, legt sich hin | |
und wartet auf das Ende. Darf der Mensch | |
nicht auch den Tod ersehnen! Laßt mich! Laßt!« | |
Doch er blieb fest und trug mich stumm | |
zu seinem kleinen Hof. – Nach Wochen | |
war ich genesen von dem schweren Fieber, | |
das mich am nächsten Tag befiel. Als | |
Magd versuchte ich, ihm seine Pflege | |
und seine Mühe um mein Leben zu entgelten, | |
und wenn auch oft der Schmerz mich | |
wieder packte, langsam senkte sich | |
Vergessen auf mein Herz und schloß die Wunden | |
mit Schorf und mit Zufriedenheit. Ich spürte | |
sein Mitleid bald in stille Neigung übergehn, | |
die aus dem Gernsehen eine tiefe Liebe machte. | |
Auch ich gewann ihn lieb, und als der Herbst | |
mich zwanzig Jahre zählen ließ, stand ich in einer kleinen | |
Kirche vor dem Traualter | |
und legte meine kleine Hand in seine, | |
durch Arbeit rauhgewordne. So erhielt | |
die Gudrid Brahnis ihren Ehenamen Fall. | |
Jan | (erstaunt) |
Fall? Sehr wenig flämisch klingt er mir. | |
Gudrid | Er ist ein Deutscher. Seine Mutter war |
Flämin, sein Vater ein Westfale. | |
Von ihnen erbte er die Kraft, die Treue | |
zur Erde und den Willen, frei zu sein, | |
um arbeitsam sein Leben zu gestalten. | |
Jan | Weiß er dein Leid? |
Gudrid | Ich sagte alles. |
Doch aber trat er nicht nach mir, | |
mit Liebe hat er Kummer und die Angst, | |
die Not, die mich verfolgte, mit Geduld ertränkt. | |
An seiner Seite lernte ich vergessen und vergeben – | |
das Leben, Jan, das Leben ist jetzt wieder schön. |
›… und die Nacht kennt kein Erbarmen‹:
Sandra Prinsloo
›Das Schloß der blauen Vögel‹: Klaus Kinski, Margaret Lee
Rosalba Neri, Klaus Kinski, Margaret Lee
›Der Geheimnisträger‹
Eddi Arent, Theo Lingen, Walter Ullrich
›Docteur Erika Werner‹: France Dougnac, François Darbon
Leslie Caron
Konsalik läßt seinen Helden Jan, den Geusen, schließlich durch ein Exekutionskommando der Spanier sterben, nachdem er von einem ehemaligen Freund um klingender Münze willen verraten worden ist.
In einem Zwiegespräch mit dem die Exekution leitenden Leutnant Coruña erkennt Jan, daß dieser den Freiheitskampf der Flamen innerlich bejaht, so wie er sich auch gegen eine Okkupation seines eigenen Landes wenden würde. Prophetisch die Zukunft des befreiten Volkes vorwegschauend, nimmt Jan Abschied von der Welt:
Jan | Gebt mir die Hand! Coruña, |
schätzen lern' ich Spanien, steht Ihr nicht allein. | |
(beide drücken sich die Hand) | |
Ein Wunsch bedrängt mich. | |
Coruña | Sprecht! |
Noch schenkt die Dämmerung ein wenig Zeit. | |
Jan | Im Kerker, in den grauenvollen Tagen, |
das Leben zwischen feuchten Mauern zu verrennen, | |
fand in den letzten Stunden ich die Kraft, | |
dem Volke, dem ich opfre, meinen Wunsch, | |
mein Testament zu schreiben. Dieser Brief (zieht ihn aus der Hose) | |
nimmt Abschied von der Heimat, von den Freunden. | |
Leutnant, nehmt den letzten Willen | |
des Ketzers Jan an Euch, denn Euer Sinn | |
hat mir die nahe Bruderschaft gezeigt, | |
die meine Tat mit Eurem Wollen bindet. | |
Nehmt diesen Brief, mein letztes Wort, und | |
habt die Güte, Flanderns Volk mit ihm | |
nach meinem Tode zu beschenken. | |
Ehrt das Vertrauen, das ich in Euch setze. | |
Coruña | (nimmt den Brief, fest) |
Die Ehre als Soldat verpflichtet mich, den | |
Wunsch Euch zu erfüllen, doch mein Herz | |
wird mit Begeisterung die Botschaft in | |
die Hand der Flamen tragen. Sie ist heilig. | |
Jan | Dank Euch, Coruña. |
Coruña | Meine Pflicht drängt mich! |
Der Morgen dämmert, wenn die Sonne steigt – (stockt) | |
O Held von Flandern, heute fluche ich voll | |
Haß, daß ich ein Spanier bin! | |
Jan | Tut Eure |
Pflicht, auch sie ist Heiligtum des Menschen. | |
Nie ließ ich mich behindern, meine Pflicht | |
durch Lebensweichheit zu verzögern, ja, die | |
holde Schwester, die im Grab ich wähnte, | |
und die des Schicksals güt'ge Hand | |
mir wiederschenkte, trat ich in | |
den Staub, weil sie den Altar meiner Seele | |
nicht verstand – die Pflichterfüllung! | |
Coruña | Euch steht ein Wunsch zu. |
Jan | Ihr tragt |
den einzigsten im Gürtel – meinen Brief. | |
Coruña | Er ist privat, vor dem Gesetz steht Euch |
ein letzter Wille frei. | |
Jan | Schenkt mir als letzte |
Güte wenige Minuten der Besinnung. | |
Coruña | Ihr seid bescheiden, weil Ihr edel seid. |
(Jan blickt sich langsam um) | |
Jan | Das ist die Welt! Gemäuer, Sand und Moos! |
Wenn unsres Schicksals unergründliches Gesetz | |
uns gleich der Zauberfee des silberhellen Märchens | |
ein Lächeln schenkt, dann wiegt ein grüner Zweig | |
auch über den umgrenzten Mauern unseres Lebens, | |
wie hier der Baum mir einen Schimmer schwachen | |
Lebens der mir verschloßnen Erde deutet. Ja, | |
wie ein Graben Wasser um ein wehrhaftes | |
Kastell, umzieht Gemäuer unsere Daseinsqual, | |
beengt die Brust, behindert unsren angeborenen | |
und wilden Drang ins Weite, knebelt unsren | |
Geist und läßt ihn trauern in dem Allgemeinen! | |
(steigert sich immer mehr) | |
Nein! Höher, edler ist die Welt, zwingt sie | |
der Wille, sich das Leben zu gestalten. | |
Was kann des Mannes Seele höher adeln | |
als Kampf um Heimat, die Despoten | |
zum Spielball ihrer Irrsinnslaune treten?! | |
Was hebt ihn höher als das Opfer, | |
wenn aus dem Blut des eigenen gequälten | |
Körpers neues Leben sich erhebt? O wie | |
ein Funke göttlicher Berufung zuckt es uns | |
durch unsre Adern, leuchtet uns am Horizont | |
die Sonne in des Lebens dumpfe Nacht | |
und weckt das Glück wie Knospen zarter Frühlingsblumen! | |
(voll Glauben, erschüttert und mit jedem Wort die Zukunft beschwörend) | |
Jan | Ich seh' sie an den Küsten stehn, wenn |
unsres Meeres grüne Wogen donnergleich | |
sich an den hochgehäuften Deichen brechen, | |
wenn unsrer Mühlen Klappern sich vermischt | |
mit dem Gesang der jubelnd freien Herzen; | |
ich seh' die Großen unsres Reiches, von | |
dem Volk mit Lorbeer stolz bekränzt, durch | |
unsre Städte reiten, und der Glocken Klang | |
tönt in die freien Lande wie die Stimme Gottes! | |
Ich seh' das Banner über alle Meere fliegen, | |
die Saaten reifen, segensschwer den Boden – | |
ein Volk steht auf, besinnt sich seiner Kraft | |
und bricht die Fesseln fremder Tyrannei! | |
Und jenes große Reich, das nachbarlich | |
von Osten uns sich naht, ich sehe | |
sie, wie ihre Herzen sich vereinen, stark, treu | |
und mächtig, allem, was den Frieden stört, | |
die Spitze seiner Pfeile abzubrechen! – | |
(sich steigernd) | |
O Wonne, diese Zeit zu atmen, dieses Glück | |
der Völker in das Herz zu schreiben! Nie | |
wird die Erde mit dem höchsten Gut | |
der Menschheit kräftiger gesegnet sein, | |
als es die Zukunft glaubensfreudig an | |
das Firmament mit Flammenzeichen schreibt! – | |
(ekstatisch) | |
Dann steht das Blut auf, das vergossen, | |
doch nie gestorben war dem Angedenken; | |
dann werden wir, die namenlosen Toten | |
euch, unsren Brüdern, euer heil'ges Banner | |
im Sturme tragen, jedem Schritt voraus; | |
dann eilen wir, gehüllt in Wolkenschleier, | |
hoch über euch den Siegesbogen pflanzend in das Grün | |
des Lorbeers und der Friedenspalme! – | |
(laut, innig mit allem Gefühl) | |
Dem großen Volk setz ich zum Erbe | |
ein herrliches und reiches Land. | |
Lang ist der Kampf, doch ewig leuchtet | |
der Friede aus dem Blut der Zeit! – | |
(reißt das Hemd über der Brust auf. Zu den Soldaten) | |
Was zögert ihr? – Tut eure Pflicht! | |
Gebt Feuer, quält nicht eine freie Seele. | |
Doch nehmt am offnen Grab das stolze Wort, | |
daß eure Kugeln Flanderns Freiheitsfackeln wecken! | |
(Coruña hebt den Degen. Was er befiehlt, tun die Soldaten) | |
Coruña | (laut) Achtung! – Legt an! (Trommelwirbel) – Gebt … |
Feuer! | |
(Die Schüsse krachen. Jan fährt mit der Hand an die Brust) | |
Jan | (laut) Heil Flandern …! (sinkt zusammen. Er ist tot) |
(Unter dem Trommelwirbel tritt Coruña an die Leiche, | |
salutiert stumm, geht zu den Soldaten zurück, und unter Trommelwirbel zieht | |
das Exekutionskommando durch das Tor wieder ab. Die Szene bleibt leer, bis | |
die Trommel verklungen ist.) |