HADEMAR BANKHOFER

Ein Prophet an der Schreibmaschine?

Es gibt sie überall auf der Welt: jene sehr oft ehrfurchtsvoll bewunderten Menschen, die die Fähigkeit zur außersinnlichen Wahrnehmung besitzen. Es sind Frauen und Männer, die Gegenstände und Sachverhalte in der Zukunft ›paranormal‹ erkennen können. Der amerikanische Parapsychologe Professor Rhine und viele seiner Kollegen erklärten sich bereits vor Jahren überzeugt, daß Hellsehen möglich sei. Seit Urzeiten schon wird von Hellsehern berichtet. Jede Religion hatte ihre Propheten. Viele dieser außerordentlich begabten Menschen waren hochgeachtet, besonders dann, wenn sich ihre Voraussagen exakt bewahrheiteten.

Heinz G. Konsalik ist ein Hellseher, ein ›Prophet‹ auf andere, weniger esoterische und exklusive Weise. Wie einst Jules Verne nimmt er ahnungsvoll vorweg, was die wissenschaftliche und zivilisatorische Entwicklung der Zukunft an möglichen Überraschungen bereithält. Freilich: Konsalik ist nicht bewußt auf die große Prophetie aus. Er konstruiert und spekuliert nicht. Er setzt sich nicht eigens an die Schreibmaschine, um für seine Leser bizarre Science-fiction-Gemälde zu erstellen. Es überkommt ihn vielmehr, geradezu magisch-intuitiv, wenn er Seite um Seite heruntertippt. Heinz G. Konsalik ist ohnedies einer jener Autoren, die wie in Trance die Handlungen ihrer Romane lebhaft aus sich heraus imaginieren: Oft ist es so, daß er von dem fiktiven Geschehen in seinem Innern übermannt wird und sich selbst über den Verlauf seines Romans wundert. So entstehen auch seine ›Prophetien‹, die nicht nur den Normalleser, sondern selbst den Experten immer wieder aufs neue verblüffen.

Kein Mensch hätte noch vor zwei Jahrzehnten ernsthaft daran zu denken gewagt, daß Ärzte die Herzen von Kranken austauschen könnten, als Konsalik eben dies zum Gegenstand seines Romans ›Alle Mütter heißen Anita‹ machte. Er schilderte damals minuziös bis ins Detail den Vorgang einer Herzverpflanzung. Fast genau so verlief dann die erste Transplantation durch Dr. Barnard.

Zufall? Parapsychisches Phänomen? Dichterphantasie? Nichts davon. Konsalik, der einmal Medizin studierte und Arzt werden wollte, hat nach eigener Aussage sechzehn Fachzeitschriften abonniert, die ihn umfassend über den neuesten Stand medizinischer Forschung unterrichten. Er eignet sich die gesicherten Erkenntnisse der Wissenschaft an und denkt von da aus hypothetisch, schöpferisch weiter. Zunächst mag mancher Leser seinerzeit die ›blühende Phantasie‹ seines Autors belächelt haben. Als aber die Schlagzeilen von der ersten gelungenen Herzverpflanzung um die Welt gingen, da griffen Tausende noch einmal zu ›Alle Mütter heißen Anita‹, die es einfach nicht fassen konnten, wie sehr Konsalik seiner Zeit voraus gewesen war. Es dauerte dann nicht lange, da reizte es Konsalik wiederum, der Medizin in die Zukunft zu schauen. Diesmal ging es um das menschliche Gehirn. Nur zaghaft wagten Ärzte in aller Welt die Prognose, daß es bald einmal gelingen würde, entscheidende Eingriffe im Zerebrum vorzunehmen, Konsalik befaßte sich intensiv mit diesen Theorien. In seinem Roman ›Das Schloß der blauen Vögel‹ beschrieb er genau eine äußerst riskante Gehirnoperation und weitere kühne Versuche dieser Art. Wenige Jahre nach Erscheinen des Buches führte ein amerikanischer Chirurg den entsprechenden Eingriff genau so aus, als ob er Konsaliks Roman dazu als Vorlage verwendet hätte.

Dergleichen wiederholte sich immer wieder im Ablauf von Konsaliks Schaffen: Er schilderte in allen Einzelheiten die erstaunlichsten Gesichtsoperationen und Hauttransplantationen in dem Roman ›Das geschenkte Gesicht‹, damals, als die wiederherstellende Chirurgie erst am Anfang war. Er wagte sich früh an das Thema Krebs heran und schrieb das Buch ›Diagnose Krebs‹, als die Medizin dieser Krankheit noch viel ohnmächtiger als heute gegenüberstand.

Heinz G. Konsalik ist schreibend seiner Zeit immer von neuem voraus. Er antizipiert Geschehnisse, mit denen seine Leser in der Realität oft erst lange nach der Lektüre seiner Bücher konfrontiert werden. Er sorgt solchermaßen dafür, daß seine Mitmenschen ihnen nicht gänzlich unvorbereitet entgegengehen müssen. Und dies nicht nur im Bereich wissenschaftlich-fachlicher Entwicklungen:

Die Olympischen Spiele in München standen bevor. Konsalik setzte sich mit diesem bedeutenden sportlichen Ereignis vorweg auseinander und durchdachte die Probleme von Terror und Gewalt. Er schrieb den Roman ›Die Drohung‹, die Geschichte eines terroristischen Mordanschlages während der Olympiade. All jene, die ihn gelesen hatten, erstarrten in der Erinnerung an ihre Lektüre, als sie von der Geiselnahme im israelischen Trainingslager und dem anschließenden blutigen Massaker erfuhren. Konsalik hatte die Katastrophe mit unheimlicher Genauigkeit vorausgesehen.

Ein ›Prophet‹ an der Schreibmaschine? Jedenfalls ein Mann, den Ahnung und Klarsicht erfüllen wie nur wenige und dem die Zukunft daher kein Buch mit sieben Siegeln sein muß.

Rolf Schlegel

›Die Drohung‹ wurde blutige Wirklichkeit

Konsaliks Roman erschien bereits im Frühjahr

Nordhorn. Mit großer Erregung hat man in den Frühjahrsmonaten des Jahres H.G. Konsaliks Roman ›Die Drohung‹ gelesen, in dem die XX. Olympischen Spiele in München zu einem ›Festival des Todes‹ gemacht werden sollten. Es war damals nicht zu ahnen, daß es tatsächlich ein furchtbares Blutbad geben würde, bei dem 18 Menschen ihr Leben verloren. Konsalik schrieb vor einem halben Jahr diesen Roman, in dem eine dramatische Jagd auf einen geheimnisvollen internationalen Erpresserring erfolgreich abgeschlossen wird. Er konnte nicht ahnen, daß nur die Figuren vertauscht und stattdessen palästinensische Mörder den olympischen Frieden brechen würden.

In seinem Vorwort schreibt der Autor, daß er sich lange mit dem Verlag überlegt habe, ob dieses Buch geschrieben und herausgegeben werden soll. »Auch wenn es kein Tatsachenbericht, sondern – aus der Phantasie geboren – ›nur‹ ein Roman ist, zeigt es doch eine keineswegs phantastische, ebenso grandiose wie schreckliche Möglichkeit auf. Sollte sie je zur Wirklichkeit werden, so wäre es freilich zu spät, ihre Auswirkungen zu beschreiben. Und so ist dieser Roman geschrieben und veröffentlicht worden, um zu zeigen, auf welch dünner Schicht von Sicherheit wir alle leben. Er soll keine Panik erzeugen, sondern zum Nachdenken anregen, zum Nachdenken darüber, wozu der Mensch fähig ist, wenn Intelligenz und Brutalität, Geldgier und Machthunger sich vermählen.

Es gibt heute nichts mehr, was nicht möglich wäre – auch das Geschehen dieses Romans kann morgen bereits Wirklichkeit sein. Eine ernste Drohung.«

Konsalik hat am wenigsten mit den palästinensischen Mördern rechnen können, er wollte nur aufzeigen, welche Unmenschlichkeiten sich in einer pervertierten politischen Umwelt in die Tat umsetzen lassen. Bei ihm geht es um einen internationalen Erpresserring, der mit eingemauerten, ferngezündeten Sprengsätzen die vollbesetzten Tribünen des großen Stadions in die Luft jagen oder dafür 10 Millionen Dollar kassieren will.

Fast minuziös beschreibt Konsalik in seinem Roman den gleichen Ablauf des blutigen Geschehens, wie ihn die Welt als Augenzeuge miterlebt hat. Im Münchner Polizeipräsidium wird über den ersten Erpresserbrief beraten, im Beisein von Innenminister Genscher. »Bei den Olympischen Spielen sind alle Völker friedlich vereint«, schreibt Konsalik, »die sich sonst am liebsten gegenseitig ausrotten würden. Ein Fanatiker scheidet aus … politische Fanatiker sind finanzielle Bettnässer. Kein Volk der Erde hat ein Interesse daran, seine eigenen Leute im Rahmen der Olympiade zu pulverisieren«.

An einer anderen Stelle heißt es in einem Telefonat des Innenministers mit einem Bundesanwalt in Karlsruhe: »Mein Gott, das ist ja unausdenkbar. Ich fliege sofort mit einem Hubschrauber nach München. Setzen Sie sofort eine Sonderkommission des Bundeskriminalamtes ein und eine der Sicherungsgruppe Bonn«.

In einer Lagebesprechung charakterisiert einer der Teilnehmer den bevorstehenden Coup so: »Diese Wahnsinnigen werden das nicht vor leerem Haus tun. Jedes Theater braucht Zuschauer, jeder Akteur träumt vom großen Applaus. Und wenn es der tausendfache Aufschrei des Entsetzens ist … wer soviel Geld, Mühe, technischen Aufwand und Satanerie investiert, will auch den ganz großen Schlag.«

Sekundengenau schildert Konsalik wenige Minuten vor dem erwarteten ›großen Schlag‹ die gleiche Situation, die am Dienstag Millionen von Fernsehzuschauern in aller Welt miterlebt haben: »Auf dem Olympiagelände befanden sich 3.000 Polizisten, 24.000 Helfer standen bereit, 3.000 Ärzte, ebenso viele Sanitäter. Vor den Blicken der Gäste verborgen, warteten in Seitenstraßen und Hinterhöfen 400 Krankenwagen, die Bundeswehr hatte ihre Sanitätswagen alarmiert … es war eine Aktion gewesen, so blitzschnell, daß selbst die Zeitungsleute nichts mehr an ihre Redaktionen melden konnten. Auf einem … Flugplatz warteten … Hubschrauber, Lastwagen mit Blutplasma, Blutkonserven, Blutersatz und Infusionsflaschen fuhren um das Stadion auf …«

Es ist ein geisterhaftes Bild, das von Konsalik aufgezeichnet und leider Wirklichkeit wurde. Das gespenstische Treiben auf dem Flugfeld von Fürstenfeldbruck wurde gegenwartsnah heraufbeschworen. Während es bei Konsalik eher ›Science-fiction‹ war und der verbrecherische Schlag mißlang, erlebte die Welt ein Blutbad, das sich auch der Verfasser in seinen kühnsten Vorstellungen nicht ausgemalt hat. Aber ›es gibt heute nichts mehr, was nicht möglich wäre‹ – das Geschehen des Romans wurde blutige Wirklichkeit.

H.G. Konsalik ist maßlos erschüttert

RS Nordhorn. »Ich bin maßlos erschüttert, daß die Vision meines Buches eine so grauenvolle Wirklichkeit geworden ist.« Das sagte gestern abend der Schriftsteller H.G. Konsalik in einem Telefon-Interview den GN. »Das Buch wurde zu einer bestürzenden Aktualität, die ich nie erwartet hätte. Es wurde unter ganz anderen Vorzeichen geschrieben und sollte nur aufzeigen, was in unserer menschlichen Gesellschaft überhaupt möglich ist. Daß dieses Blutbad so geschehen ist, kann ich jetzt noch nicht fassen«, sagte Konsalik. »Gerade weil mir das Buch sehr am Herzen lag, habe ich mir eine andere ›publicity‹ gewünscht«, erklärte der Autor abschließend.

Grafschafter Nachrichten, 7.9.72