›Porträt einer Stadt‹ – ›Inferno einer Schlacht‹ – ›Protokoll eines Wahnsinns‹ – das waren die Untertitel eines Dokumentar-Bildbandes, den Konsalik 1968 zum 25. Gedenktag der Tragödie von Stalingrad im Hestia-Verlag herausbrachte. Wie eindeutig der Autor schon ›klassisch‹ genannter Romane über den Zweiten Weltkrieg hier Stellung bezieht gegen unverbesserliche Verharmloser und Verklärer des Krieges als eines ›Vaters aller Dinge‹, wie entschieden er für die Verständigung unter den Völkern plädiert, die alle Wiederholungen solcher Katastrophen unmöglich macht, bezeugt bereits die Einleitung, die er diesem Band voranstellte.

HEINZ G. KONSALIK

Stalingrad – Über den Wahnsinn

Als 1914, im Ersten Weltkrieg, bei Langemarck deutsche Studentenregimenter ohne Artillerievorbereitung in den Tod stürmten, nannte man dieses Verbrechen an der deutschen Jugend recht bald eine ›unsterbliche Heldentat‹. Als vor Verdun im mörderischsten Stellungskrieg Hunderttausende Franzosen und Deutsche verbluteten, wurde auch hier sehr schnell vom ›Heldentod‹ gesprochen. Nationale Geschichtsschreiber und vor allem die ewigen Militaristen, deren Unsterblichkeit erschreckend ist, erhoben das Leiden und Sterben der Soldaten, die Unfähigkeit der Strategie, die Blindheit vor den Tatsachen, die Unverantwortlichkeit gewisser Entscheidungen und das Verbrechen an sich, das Krieg heißt, in den ›heiligen Raum des Heldentums‹.

Die Jugend glaubte es … und die Jugend starb dafür.

Allerdings erlebte sie etwas Merkwürdiges: Sie erlebte das, was man ihr nicht in den patriotischen Schilderungen gesagt hatte, was kein nationaler Lehrer ihr am Katheder vorpredigte, was kein General bei der Vereidigung neuer Soldaten erwähnt: Man stirbt nicht mit einem Hurra auf den Lippen, sondern mit einem Schrei, einem Wimmern und Stöhnen, einem Brüllen vor Schmerzen und einer Verzweiflung, die unbeschreiblich ist. Man stirbt nicht mit dem Gefühl im Herzen ›Lieb Vaterland, magst ruhig sein‹, sondern die Angst packt einen, der Körper ist zerfetzt und blutet aus, man kriecht über die Erde und brüllt »Sanitäter! Sanitäääter!«; und dann liegt man da, von Schmerzen zerrissen, und keiner hilft einem, die Erde bebt unter den Granateinschlägen, die Panzer rollen auf einen zu, man sieht sie kommen, man möchte wegkriechen, aber es geht ja nicht, man ist ja nur noch ein Klumpen blutigen Fleisches, und die Ketten kommen näher, immer näher, man sieht den Tod, man weiß, daß man gleich in die Erde gewalzt wird, ein Tod aus 30 Tonnen Stahl, rasselnd wie hunderttausend Kastagnetten … und dann schreit man, schreit und betet und ruft nach der Mutter … und krepiert.

Das ist der Heldentod! Von ihm sprechen keine Generäle, keine Politiker, keine Heldengesänge. Die Wahrheit des elenden Sterbens verschweigt man.

Warum?

Die Antwort ist leicht zu geben: Jeder Krieg erzeugt bei den Militärs eine Art militärischer Perversion.

Wir haben diesen rätselhaften Wahnsinn immer gesehen und sehen ihn auch gegenwärtig, wo immer man im Namen einer anscheinend notwendigen Sache aufeinander einschlägt und sich, vom Staat sanktioniert und mit Orden belohnt, gegenseitig schlechthin mordet. Da wird verbrannte Erde befohlen und Napalm geworfen, da werden Städte und Landstriche von Bombergeschwadern ausgelöscht, mit Frauen, Kindern und Greisen, wie's gerade kommt, und da werden, einer einzigen Stadt wegen, 340.000 junge Männer geopfert, weil diese Stadt einen bestimmten Namen hat, der unbedingt einmal auf den Siegesfahnen stehen und der in den Geschichtsbüchern im Fettdruck erscheinen soll als Mahnmal heldischer Soldatentugend: STALINGRAD.

Schon damals, im Dezember 1942 und Januar 1943, hatte man eine Begründung für diesen Wahnsinn zur Hand: Die deutsche 6. Armee, die an der Wolga unterging, mußte geopfert werden, um weit hinter ihr neue Stellungen in Ruhe aufbauen zu können.

Man frage nicht die Militärs danach, die auch heute wieder an großen Landkarten und in Sandkästen ihre Kriegsspielchen üben, die in den Panzerschränken ihre fertigen Aufmarschpläne liegen haben und die vielleicht nur die Atombombe und die Angst vor einem Atomkrieg, der auch sie treffen könnte, davon abhält, ihr an der Historie geschultes und erweitertes Können unter Beweis zu stellen.

Nein, man frage den Landser, den einfachen Frontsoldaten, der draußen im Dreck gelegen hat, der im Schlamm des Granattrichters schlief, der in den Ruinen von Stalingrad, in den Kellern und Erdhöhlen, unter den aufgerissenen Straßen und in aus Trümmern gebauten Bunkern bei 40 Grad Kälte hungerte, blutete, am lebendigen Leib verfaulte und schließlich doch noch überlebte.

Es sind nicht mehr viel … 6.000 kamen aus Rußland zurück, 6.000 von 91.000 der gefangenen 6. Armee. 6.000 von 364.000, die eingekesselt wurden an der Wolga. Die meisten von ihnen sprechen nicht mehr gern darüber; Stalingrad ist lange her, die Wunden brennen nicht mehr … und warum darüber sprechen? Nutzt es etwas? Hat man daraus gelernt? Sind die Toten von Stalingrad Mahnung geworden?

Jeder aber wird einen Satz sagen, denn der ist zu tief in sein Herz gebrannt: Wir sind verraten worden!

Nicht im Sinne einer Dolchstoßlegende, sondern in der gemeinsten Form: In Stalingrad wurden 364.000 Männer von einem Mann, der Adolf Hitler hieß, kaltblütig in den Tod gejagt, mit vollem Wissen, daß es für diese Männer nie eine Rettung geben wird. Und die Generäle ließen es geschehen, im Führerhauptquartier, im OKH, in der Heeresgruppe Don … und in Stalingrad selbst, wo ein Generalfeldmarschall Paulus so lange zögerte und an seinen ›Führer‹ glaubte, bis seine Armee in den Kellern und Löchern buchstäblich verfault, verhungert und ausgeblutet war.

Ist das nicht Wahnsinn?

Warum man heute diesen Wahnsinn mit schönen Worten umschleiern will, warum in den Memoiren der Generäle gerade diese Tatsache, nämlich der organisierte Mord an einer ganzen Armee, als notwendige Strategie apostrophiert wird, warum man von den ›Helden von Stalingrad‹ spricht und nicht von den ›Hingeschlachteten von Stalingrad‹, ist nur begreifbar in der panischen Angst, spätere Generationen könnten so unverfroren sein, dem patriotischen Gesang die kalte, die ›tote‹ Wahrheit entgegenzuhalten.

Diese Wahrheit kann, soll und muß STALINGRAD heißen. Diese Stadt an der Wolga war der Wendepunkt des 2. Weltkrieges. Nicht die Toten und Verwundeten, nicht die grauenhafte Schlacht allein waren entscheidend – es hat auch andere blutige Entscheidungen gegeben, wie die unerhörte Materialschlacht am Monte Cassino – nein, dieser Untergang der 6. Armee ging unter die Haut, ging tief ins Herz, zerstörte die Seele. Der deutsche Rattenfängerglaube, im Kriege unbesiegbar zu sein, brach unter der Feuerwand an der Wolga zusammen. Deutschland wachte auf und erkannte plötzlich, was es wirklich war.

Und heute? Schläft es wieder?

Dieses Buch soll verhindern, daß Deutschland, daß die deutsche Jugend vor allem, wieder einmal der Hypnose seiner Politiker, Militärs und Historiker verfallen könnte.

Wir wissen nicht, wie groß die Verluste Sowjetrußlands vor Stalingrad waren … wir wissen nur, daß dieses Volk, genau wie das deutsche, unermeßliche Blutopfer bringen mußte, daß Millionen in einem Krieg verbluteten, der nicht nötig war. Und wir wissen, daß in Stalingrad sich Sowjets und Deutsche als erbitterte Feinde gegenüberlagen, aber die Toten wurden Brüder. Dieses Buch soll die Jugend der Welt am Beispiel Stalingrads aufrufen, sich die Hände zu reichen. Ich habe mich nicht gescheut, schreckliche Bilder zu zeigen, Bilder, die noch nie veröffentlicht wurden, Bilder aber, die nichts weiter sind als die Wahrheit. Die Wahrheit über einen Wahnsinn, der Krieg heißt. Ich habe diesen Krieg kennengelernt, vorne im Schützengraben, im Hagel der Granaten. Ich habe mich in die Erde gewühlt und die Körper gefallener Kameraden als Deckung vor mir aufgeschichtet. Ich habe nicht an Kartentischen gesessen und Divisionen zum Sterben geschickt, sondern ich habe selbst geblutet. Ich war mittendrin – im Wahnsinn!

Darum soll dieses Buch nichts mehr verschweigen, nichts mehr mit Lorbeer verbrämen, der so schnell zum Totenkranz wird. Jugend der Welt … sieh dir Stalingrad an!

Sieh dieses grausame Sterben, diesen Strom von Blut, diesen Schrei von Schmerz, der noch heute widerhallt und immer – hallen wird.

Und dann, Jugend der Welt, wisch dir die Augen und sieh deine Umwelt an. Ich weiß, du wirst dann das Richtige tun.

Die Toten von Stalingrad haben es verdient –

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Aus der Kindheit

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Freunde: Willy Millowitsch und Konsalik

Konsalik in der Freizeit:

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Pferdenarr und Hundefreund

Billiardspieler

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Fitness-Training